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Prognose der Wahrscheinlichkeit von Kundenabwanderungen

Methodenvergleich und Gestaltungsempfehlungen

©2004 Lizentiatsarbeit 99 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In den letzten Jahren konnte in vielen Branchen eine Intensivierung des Wettbewerbs beobachtet werden, wobei sich klassische Wettbewerbsstrategien wie Kosten- oder Qualitätsführerschaft zunehmend als unwirksam erwiesen. Diese Intensivierung kann darauf zurückgeführt werden, dass viele Märkte ihre Sättigungsgrenze erreicht haben, was zu einer Stagnation des Wachstums führte. Zudem gestaltet sich die Differenzierung der einzelnen Unternehmen von der Konkurrenz schwierig, weil Produkt- und Leistungsunterschiede immer kleiner werden.
In zunehmendem Masse ist auch das Verhalten der Kunden dynamischer geworden. Dies zeigt sich in einer weiteren Differenzierung und Polarisierung der Kundenwünsche, z.B. der Individualisierung als einem der zentralen Verhaltens-Megatrends der 90er Jahre und geht mit einer zunehmenden Emotionalisierung der Konsumerlebnisse einher. Die Kunden der Neuzeit verlangen eine individuellere Behandlung, was nach einer gezielten Kundenorientierung seitens der Unternehmen ersucht, um den spezifischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Aktuelle Untersuchungen im Bereich der Konsumentenforschung zeigen, dass viele Kunden nach Unabhängigkeit streben. Die Konsumenten gelten als emanzipiert, anspruchsvoll und kritisch. Auch sind sie immer häufiger bereit die Marke bzw. den Anbieter zu wechseln.
Die veränderten Marktbedingungen bzw. Wettbewerbssituationen führten schließlich zum seit den frühen neunziger Jahren propagierten Paradigmenwechsel vom klassischen „inside-out“-orientierten Transaktionsmarketing zum „outside-in“-orientierten Beziehungsmarketing. Beim Beziehungsmarketing steht nicht das Produkt im Zentrum des Interesses, sondern die Gestaltung der Beziehungen zu den Anspruchsgruppen, insbesondere zu den Kunden.
Indem die Unternehmensaktivitäten auf die Kundenbeziehung ausgerichtet werden, ergeben sich Wettbewerbsvorteile, die von der Konkurrenz nur schwer zu imitieren sind. Daraus resultieren für das Unternehmen Erlössteigerungswirkungen durch Cross-Buying oder erhöhte Preisbereitschaft sowie Kostensenkungswirkungen aufgrund von Erfahrungseffekten seitens des Unternehmens wie auch des Kunden.
Wird das Verhalten heutiger Kunden betrachtet, lässt sich eine hohe Bereitschaft erkennen, eingegangene Geschäftsbeziehungen nicht zum gewünschten Maß seitens der Anbieter aufrecht zu erhalten. Mit zweckmäßigen Gegenmaßnahmen kann aber dem vorzeitigen Ausscheiden eines Kunden aus der Geschäftsbeziehung entgegengewirkt […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9539
Schnider, Christian: Prognose der Wahrscheinlichkeit von Kundenabwanderungen -
Methodenvergleich und Gestaltungsempfehlungen
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Universität Basel, Lizentiatsarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

I
Inhaltsverzeichnis
Symbolverzeichnis...IV
1. Einleitung und Problemstellung ... 1
1.1 Notwendigkeit der Identifikation gefährdeter Kundenbeziehungen... 1
1.2 Problemstellung und Ziele der Untersuchung... 3
1.3 Gang der Untersuchung ... 4
2. Theoretische Betrachtung von Kundenbeziehungen ... 5
2.1 Grundlagen des Relationship Marketing... 5
2.2 Kundenbeziehungslebenszyklus ... 6
2.3 Kundenabwanderung... 7
2.3.1 Grundlagen der Kundenabwanderung ... 7
2.3.2 Abwanderungsprozess und Identifikation gefährdeter Beziehungen ... 8
2.3.3 Gründe für eine Kundenabwanderung und Variablen zu deren
Erklärung ... 9
3. Konzeption der Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit ... 10
3.1 Allgemeine Grundlagen von Prognosen ... 10
3.2 Grundlagen der Prognose der Wahrscheinlichkeit einer Abwanderung ... 12
3.3 Ziele und Prozess der Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit... 12
3.4 Wahl des geeigneten Inputs für die Prognose der Wahrscheinlichkeit von
Kundenabwanderungen... 14
3.5
Kriterien für die Bewertung von Methoden zur Prognose der
Abwanderungswahrscheinlichkeit ... 15
3.5.1 Grundlagen und Ansätze für die Bewertung von Prognosemethoden... 15
3.5.2 Kriterien für die Bewertung des Prognoseinputs... 16
3.5.3 Kriterien für die Bewertung des Prognoseprozesses ... 17
3.5.4 Kriterien für die Bewertung des Prognoseergebnisses ... 18
4. Methoden zur Analyse sowie Prognose der Kundenabwanderung... 20
4.1 Loyalitätsleiter als qualitativer Ansatz... 20
4.1.1 Anwendung der Loyalitätsleiter für die Identifikation gefährdeter
Beziehungen ... 20
4.1.2 Kritische Würdigung der Loyalitätsleiter ... 21
4.2 Markov-Ketten als stochastischer Ansatz ... 21

II
4.2.1 Methodische Grundlagen von Markov-Ketten ... 21
4.2.2
Anwendung von Markov-Ketten zur Prognose von
Abwanderungswahrscheinlichkeiten ... 22
4.2.3 Kritische Würdigung des Markov-Ketten-Ansatzes... 24
4.3 Multivariate Prognosemethoden ... 24
4.3.1 Zwei-Gruppen-Diskriminanzanalyse... 25
4.3.1.1 Eigenschaften der Diskriminanzanalyse ... 25
4.3.1.2 Verwendung der Zwei-Gruppen-Diskriminanzanalyse für die
Identifikation abwanderungsgefährdeter Kunden... 26
4.3.1.3
Kritische Würdigung der Zwei-Gruppen-
Diskriminanzanalyse... 27
4.3.2 Logistische Regression und Logit-Modell... 28
4.3.2.1 Die lineare Regression als Ausgangspunkt... 28
4.3.2.2
Das binäre Logit-Modell für die Prognose der
Abwanderungswahrscheinlichkeit ... 29
4.3.2.3 Kritische Würdigung des Logit-Modells ... 30
4.3.3 Ereignisanalyse ... 31
4.3.3.1 Methodische Grundlagen der Ereignisanalyse... 31
4.3.3.2 Überlebensfunktion und Hazard-Raten... 32
4.3.3.3 Das Proportional-Hazard-Modell... 32
4.3.3.4 Kritische Würdigung der Ereignisanalyse ... 34
4.3.4 NBD/Pareto-Modell... 34
4.3.4.1 Grundlagen und Annahmen des NBD/Pareto-Modells... 34
4.3.4.2 Spezifikation des NBD/Pareto-Modells zur Prognose der
Abwanderungswahrscheinlichkeit ... 36
4.3.4.3 Kritische Würdigung des NBD/Pareto-Modells ... 37
4.4 Soft Computing Methoden... 38
4.4.1 Entscheidungsbaumanalyse ... 38
4.4.1.1 Grundlagen der Entscheidungsbaumanalyse... 38
4.4.1.2 Entscheidungsbaum zur Prognose der Wahrscheinlichkeit
einer Abwanderung ... 39
4.4.1.3 Kritische Würdigung der Entscheidungsbaumanalyse... 40
4.4.2 Neuronale Netze ... 41
4.4.2.1 Grundlagen und Bestandteile Neuronaler Netze... 41

III
4.4.2.2 Funktionsweise Neuronaler Netze für die Prognose der
Abwanderungswahrscheinlichkeit ... 42
4.4.2.3 Kritische Würdigung Neuronaler Netze... 44
5. Methodenvergleich und Gestaltungsempfehlungen... 45
5.1 Methodenvergleich anhand von Bewertungskriterien und Inputvariablen ... 45
5.2 Methodenvergleich im Kontext von Beziehungs- und Leistungstypen ... 46
5.3 Gestaltungsempfehlung bezüglich der Informationsgewinnung... 47
6. Zusammenfassung und Ausblick ... 49
Literaturverzeichnis... V
Anhang ...XIII

IV
Symbolverzeichnis
P Matrix
der
Übergangswahrscheinlichkeit
p
ij
Wahrscheinlichkeit für einen Übergang vom Zustand i in den Zustand j
p
r
Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses nach einer Zeitdauer r
i
Abwanderungswahrscheinlichkeit des Kunden i
x
ik
(t)
Ausprägung der k-ten Kovariable der Person i zum Zeitpunkt t
0
Konstanter Einflussfaktor
k
Koeffizient der unabhängigen Variable k
w
i
Gewichtungsfaktor der Variable i
t diskreter
Zeitpunkt
T
Zeitdauer bis zum Eintritt des untersuchten Ereignisses
f(t) Dichtefunktion
der
stetigen Variable t
F(t) Verteilungsfunktion
der stetigen Variable t
S(t) Überlebensfunktion
h(t) Hazardrate,
Mortalitätsrate
P(alive) Wahrscheinlichkeit einer aktiven Kundenbeziehung

1
1.
Einleitung und Problemstellung
1.1
Notwendigkeit der Identifikation gefährdeter Kundenbe-
ziehungen
In den letzten Jahren konnte in vielen Branchen eine Intensivierung des Wettbewerbs
beobachtet werden, wobei sich klassische Wettbewerbsstrategien wie Kosten- oder
Qualitätsführerschaft zunehmend als unwirksam erwiesen (vgl. Krafft 2002, S. 1). Diese
Intensivierung kann darauf zurückgeführt werden, dass viele Märkte ihre
Sättigungsgrenze erreicht haben, was zu einer Stagnation des Wachstums führte. Zudem
gestaltet sich die Differenzierung der einzelnen Unternehmen von der Konkurrenz
schwierig, weil Produkt- und Leistungsunterschiede immer kleiner werden (vgl. Jeker
2002, S. 1).
In zunehmendem Masse ist auch das Verhalten der Kunden dynamischer geworden.
Dies zeigt sich in einer weiteren Differenzierung und Polarisierung der
Kundenwünsche, z.B. der Individualisierung als einem der zentralen Verhaltens-
Megatrends der 90er Jahre und geht mit einer zunehmenden Emotionalisierung der
Konsumerlebnisse einher (vgl. Meffert 1998, S. 11f.). Die Kunden der Neuzeit
verlangen eine individuellere Behandlung, was nach einer gezielten Kundenorientierung
seitens der Unternehmen ersucht, um den spezifischen Bedürfnissen gerecht zu werden
(vgl. Bruhn 2001a, S. 2). Aktuelle Untersuchungen im Bereich der Konsumentenfor-
schung zeigen, dass viele Kunden nach Unabhängigkeit streben. ,,Die Konsumenten
gelten als emanzipiert, anspruchsvoll und kritisch. Auch sind sie immer häufiger bereit
die Marke bzw. den Anbieter zu wechseln." (vgl. Jeker 2002, S. 1f.).
Die veränderten Marktbedingungen bzw. Wettbewerbssituationen führten schliesslich
zum seit den frühen neunziger Jahren propagierten Paradigmenwechsel vom klassischen
,,inside-out"-orientierten Transaktionsmarketing zum ,,outside-in"-orientierten
Beziehungsmarketing (vgl. Bruhn 1999, S.31ff). Beim Beziehungsmarketing steht
nicht das Produkt im Zentrum des Interesses, sondern die Gestaltung der Beziehungen
zu den Anspruchsgruppen, insbesondere zu den Kunden.
Indem die Unternehmensaktivitäten auf die Kundenbeziehung ausgerichtet werden,
ergeben sich Wettbewerbsvorteile, die von der Konkurrenz nur schwer zu imitieren sind
(vgl. Dittrich 2000, S. 1). Daraus resultieren für das Unternehmen Erlössteigerungswir-

2
kungen durch Cross-Buying oder erhöhte Preisbereitschaft sowie Kostensenkungswir-
kungen aufgrund von Erfahrungseffekten seitens des Unternehmens wie auch des
Kunden (vgl. Georgi 2003, S. 225).
Wird das Verhalten heutiger Kunden betrachtet, lässt sich eine hohe Bereitschaft
erkennen, eingegangene Geschäftsbeziehungen nicht zum gewünschten Mass seitens
der Anbieter aufrecht zu erhalten (vgl. Hippner/Wilde 2003, S.453). Mit zweckmässigen
Gegenmassnahmen kann aber dem vorzeitigen Ausscheiden eines Kunden aus der
Geschäftsbeziehung entgegengewirkt werden. Eine empirische Untersuchung von
Reichheld und Sacher kommt zum Ergebnis, dass eine Verringerung der
Kundenabwanderungsrate von 10 auf 5% je nach Branche eine Kundenwertsteigerung
zwischen 30 und 85% mit sich bringt (vgl. Reichheld/Sacher 1990, S. 5; Cornelsen
2003, S. 645). Die Bedeutung einer Verminderung der Abwanderungsrate zeigt sich
darin deutlich. Das zentrale Problem liegt dabei nicht bei der Wahl der geeigneten
Gegenmassnahmen, sondern in der frühzeitigen Erkennung abwanderungsgefährdeter
Kunden.
,,Im Rahmen der Kundenbindungsanalyse werden die für das Kundenbindungsmana-
gement relevanten Ziel- und Steuerungsgrössen (z.B. Kundenbindung,
Kundenzufriedenheit und Qualität) häufig auf einem aggregierten Niveau gemessen. Es
werden beispielsweise Kundenbindungsraten ermittelt, die den Anteil an gebunden
Kunden an sämtlichen Kunden des Unternehmens angeben." (Georgi 2003, S. 225). Mit
einer aggregierten Sichtweise ist es nicht möglich, einzelne Kunden mit einer erhöhten
Abwanderungsneigung zu identifizieren. Eine individuelle Betrachtungsweise wäre
jedoch nötig, um im Rahmen eines Frühwarnsystems abwanderungsgefährdete Kunden
frühzeitig identifizieren zu können und um geeignete Gegenmassnahmen einleiten zu
können, mit denen die Kundenbeziehung wieder hergestellt und eine definitive
Abwanderung vermieden werden kann. An dieser Notwendigkeit einer frühzeitigen
Erkennung knüpft die vorliegende Untersuchung an. Es sollen Methoden vorgestellt und
kritisch gewürdigt werden, die auf individueller Basis einen Hinweis auf die
Abwanderungswahrscheinlichkeit eines Kunden liefern können.

3
1.2
Problemstellung und Ziele der Untersuchung
Die vorliegende Untersuchung zielt nicht auf eine weitere theoretische Fundierung der
Kundenbindungs- und Kundenrückgewinnungsmassnahmen ab. Vielmehr sollen die
methodischen Grundlagen zur eigentlichen Früherkennung des Phasenüberganges vom
gebundenen zum abwanderungsgefährdeten Kunden analysiert werden. Ziel ist es, auf
Basis geeigneter Indikatoren die methodischen Grundlagen für ein Frühwarnsystem
aufzubauen, mit dem eine Unternehmung in der Lage ist, abwanderungsgefährdete
Kunden rechtzeitig identifizieren zu können und in der Folge zweckmässige
Kundenbindungs- bzw. Kundenrückgewinnungsmassnahmen einzuleiten. Weiterhin gilt
es anhand von Bewertungskriterien die Methoden zur Identifikation gefährdeter
Beziehungen kritisch zu würdigen und zu vergleichen.
Durch eine Auswertung des bisherigen Abwanderungsverhaltens können typische
Bruchstellen von Geschäftsbeziehungen abgeleitet und Frühwarnindikatoren
identifiziert werden (vgl. Stauss 2000, S. 16). Die hohe Unzufriedenheit von Kunden im
Prozess einer Abwanderung lässt auf einen zentralen Einfluss der Zufriedenheit auf die
Abwanderungsneigung schliessen (vgl. Wirtz 2003, S. 383). Untersuchungen zeigten
jedoch, ,,dass die reine Zufriedenheit eines Kunden nicht immer dessen zukünftiges
Verhalten bestimmt." (Homburg/Bruhn 2003, S. 6). Die Zufriedenheit beeinflusst das
Verhalten des Kunden gegenüber dem Unternehmen definitiv positiv, jedoch kann das
gegenwärtige und vor allem das zukünftige Verhalten des Kunden über das Konstrukt
der Kundenbindung besser und nachhaltiger beschrieben werden (vgl.
Homburg/Bruhn 2003, S. 6). Die Kundenbindung kann demnach in Betracht gezogen
werden, um das Wiederkaufsverhalten von Kunden zu beschreiben und damit die
Wahrscheinlichkeit einer möglichen Kundenabwanderung zu prognostizieren. Eine
erfolgreiche Kundenbindung kann aus Zufriedenheit resultieren, was aber nicht heisst,
dass ein zufriedener Kunde zwingend auch ein gebundener Kunde ist.
,,Trotz der wachsenden Erkenntnis, von welch hoher Bedeutung der Erhalt bestehender
Kundenbeziehungen ist, wurde bisher relativ wenig unternommen, um Konzepte,
Systeme und analytische Tools zu entwickeln, mit denen man dieses Ziel erreichen
kann." (Payne/Rapp 1999, S. 3). Bisher wurden in der Marketing-Literatur nur einzelne
Methoden zur Identifikation abwanderungsgefährdeter Kunden vorgestellt und

4
analysiert
1
. Eine Gesamtbetrachtung mit Methodenvergleich fand jedoch nicht statt.
Diese Lücke soll die vorliegende Untersuchung schliessen und damit Input für den
Aufbau eines Frühwarnsystems auf Basis der einzelnen Kunden liefern.
1.3
Gang der Untersuchung
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die methodische Grundlage für die Prognose der
Wahrscheinlichkeit einer Kundenabwanderung darzulegen. Die Untersuchung besteht
aus sechs Teilbereichen. Zu Beginn werden in Abschnitt 2 die theoretischen Grundlagen
von Kundenbeziehungen und Kundenbindung aufgezeigt und relevante
Begriffsdefinitionen erörtert. Anhand des Kundenbeziehungslebenszyklus wird sodann
schwergewichtig auf die Kundenabwanderungsphase bzw. die Gefährdungsphasen
eingegangen. Es soll hier gezeigt werden, wo die Gründe einer Kundenabwanderung zu
finden sind und welche Indikatoren für eine frühzeitige Identifikation herangezogen
werden können.
Abschnitt 3 widmet sich nach einer allgemeinen Einführung von Prognosemodellen der
Prognose der Wahrscheinlichkeit von Kundenabwanderungen. Neben den begrifflichen
Grundlagen, Zielen, Annahmen und dem Prozessablauf von Prognosen werden an dieser
Stelle Bewertungskriterien für die später folgende Evaluation der Prognosemethoden
aufgezeigt.
In Abschnitt 4 werden anschliessend die methodischen Grundlagen diskutiert. Dabei
soll nicht die mathematische Vollständigkeit im Vordergrund stehen, sondern die
Fähigkeit der einzelnen Methoden zur Identifikation gefährdeter Beziehungen. Der
anschliessende fünfte Abschnitt soll Methoden direkt anhand vorher bestimmter
Kriterien vergleichen und evaluieren. Zudem werden Handlungsempfehlungen für die
Wahl und Anwendung der verschiedenen Methoden gegeben. Schliesslich fasst der
letzte Abschnitt die Untersuchung zusammen, widmet sich offenen Fragestellungen und
soll einen Ausblick geben.
1
Eine Ausnahme bildet hier Krafft 2002, 2003a, 2003b, der die Ereignisanalyse und das NBD/Pareto-
Modell analysiert und vergleicht.

5
2.
Theoretische Betrachtung von Kundenbeziehungen
Eine Kundenbeziehung ist dann vorhanden, wenn zwischen den beiden
Beziehungspartnern Unternehmen und Kunde mehrere Transaktionen stattgefunden
haben, wobei zwischen früheren, aktuellen und zukünftigen Transaktionen ein
inhaltlicher Zusammenhang besteht (vgl. Georgi 2000, S. 17, 29). Der Aufbau und die
Pflege von Kundenbeziehungen stehen dabei im Zentrum des Relationship Marketing,
das nachfolgend kurz erläutert wird.
2.1
Grundlagen des Relationship Marketing
,,Seit einigen Jahren nehmen Überlegungen zum Relationship Marketing eine zentrale
Stellung in der Marketingwissenschaft ein, das sich vom traditionellen Marketing im
Hinblick auf das Marketingobjekt grundlegend unterscheidet". (Georgi 2000, S. 1). Das
Relationship Marketing kann als eine der wichtigsten Entwicklungen der 90er Jahre im
Bereich Marketing gesehen werden (vgl. Alajoutsijärvi/Möller/Tähtinen 1998, S. 1270).
Verglichen mit dem klassischen Transaktionsmarketing, das die Leistung bzw. das
Produkt und Einzeltransaktionen fokussiert, wählt das Relationship Marketing als
Ausgangspunkt der Betrachtung die Beziehungen zu den Anspruchsgruppen. Folglich
werden sämtliche Unternehmensaktivitäten an den Wünschen und Bedürfnissen der
Kunden ausgerichtet (vgl. Bruhn 2001a, S. 12f.). Das Relationship Marketing sollte
nicht als eine Neudefinition des Marketinggedankens angesehen werden, sondern
vielmehr als konsequente Weiterentwicklung des traditionellen Marketing, das auf die
Aufrechterhaltung lukrativer Kundenbeziehungen abzielt (vgl. Bruhn 2003, S. 7).
Dem Relationship Marketing kann folgende Definition zugrunde gelegt werden:
,,Relationship Marketing umfasst sämtliche Massnahmen der Analyse, Planung,
Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und
Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen ­ insbesondere
zu den Kunden ­ des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen."
(Bruhn 2001a, S. 9). Neben dem Konzept der Perspektivenübernahme
2
und dem Denken
2
Um Interaktionen mit dem Kunden erfolgreich zu gestalten, müssen sowohl Kunden die
Unternehmensperspektive wie auch das Unternehmen die Kundenperspektive einnehmen (vgl. hierzu
ausführlich Bruhn 2001a, S. 53ff.).

6
in der Erfolgskette
3
basiert das Relationship Marketing auf dem Konzept des
Kundenbeziehungslebenszyklus (vgl. Bruhn 2001a, S.43ff.).
2.2
Kundenbeziehungslebenszyklus
Der Kundenbeziehungslebenszyklus beschreibt die idealtypischen Abschnitte im
zeitlichen Verlauf einer Kundenbeziehung (vgl. Berry/Linoff 2000, S. 72ff.; Bruhn
2001a, S 46ff.; Stauss 2000, S. 15). Sein Konzept bezieht sich insbesondere auf den
dynamischen Charakter von Beziehungen und stellt damit das Denkraster für die
Ableitung geeigneter Marketingaktivitäten dar (vgl. Bruhn 2003, S. 7). Der
Kundenbeziehungslebenszyklus umfasst den gesamten Zeitrahmen der Beziehung
zwischen Kunden und Unternehmen. Er beginnt mit der erfolgreichen Akquisition eines
Neukunden und endet mit dessen endgültigen Abwanderung. Die Beziehungsabschnitte
werden anhand der Dauer der Geschäftsbeziehung und der Entwicklung der
Beziehungsintensität abgetragen. Idealtypisch kann eine Kundenbeziehung in die
Kernphasen Kundenakquisition, Kundenbindung und Kundenrückgewinnung
eingeteilt werden (vgl. Anhang, S. XV, Schaubild 1). Dabei ist anzumerken, dass die
Kundenbindung entgegen der Terminologie in allen drei Kernphasen relevant ist (vgl.
Georgi 2003, S. 225f.).
Um die Dauer einer Kundenbeziehung abzuschätzen, werden Erfahrungswerte
herangezogen. Für die Messung der Kundenbindungsintensität kann auf verschiedene
Indikatoren zurückgegriffen werden. Dabei können psychologische Indikatoren (z.B.
Beziehungsqualität, Vertrauen, Commitment, usw.), verhaltensbezogene Indikatoren
(z.B. Kauf-, Informations-, Integrations-, Kommunikationsverhalten, usw.) und
ökonomische Indikatoren (z.B. Kundendeckungsbeitrag, Customer Lifetime Value,
Umsatzgrössen, usw.) unterschieden werden (vgl. Bruhn 2001a, S. 46f.).
Im gesamten zeitlichen Verlauf einer Kundenbeziehung kann es zu Gefährdungspha-
sen kommen. Als gefährdet können Kundenbeziehungen bezeichnet werden, wenn der
Kunde Anlass zur Unzufriedenheit hat oder aus anderen Gründen erwägt die Beziehung
3
Erfolgsketten dienen als Basis für die Planung, Steuerung und Kontrolle des Relationship Marketing.
Sie stellen die Wirkung einzelner Variablen dar, um eine strukturierte Analyse und Massnahmenab-
leitung zu ermöglichen (vgl. hierzu ausführlich Bruhn 2001a, S. 57ff.).

7
zu beenden bzw. sein Engagement einzuschränken (vgl. Stauss 2000, S. 16;
Bruhn/Michalski 2003, S. 247). Die dynamische Betrachtung der oben genannten
Indikatoren ­ aggregiert zur Bindungsintensität ­ kann erste Hinweise auf
Phasenübergänge und eine mögliche Kundenabwanderung liefern.
2.3
Kundenabwanderung
2.3.1
Grundlagen der Kundenabwanderung
Eine Kundenbeziehung kann sowohl vom Kunden als auch vom Unternehmen beendet
werden. Daraus ergibt sich die Unterscheidung in kundeninitiierte bzw.
unternehmensinitiierte Beendigung (vgl. Michalski 2002, S. 14). Bei der
kundeninitiierten Beziehungsbeendigung ist das Unternehmen grundsätzlich an der
Aufrechterhaltung und am Ausbau der Kundenbeziehung interessiert. Dem Kunden
erscheint die Beziehung aber als nicht mehr attraktiv und soll demzufolge aufgelöst
werden. Eine Trennung kann auch aus Sicht des Unternehmens profitabel und
wünschenswert sein, vor allem im Rahmen einer Bereinigung des Kundenstammes.
Ressourcen aus unrentablen Beziehungen können freigesetzt und effizienter verwendet
werden (vgl. Alajoutsijärvi, Möller, Tähtinen 1998, S. 1271). Aber auch rechtliche
Gründe können Unternehmen zu einer Auflösung bestehender Kundenbeziehungen
zwingen (vgl. Bruhn/Michalski 2003, S. 249; Michalski 2002, S. 14).
Bei einer unternehmensinitiierten Beziehungsbeendigung wird die Prognose der
Wahrscheinlichkeit einer Abwanderung hinfällig, weil die Entscheidung alleine vom
Unternehmen getroffen wird und somit keine Unsicherheit seitens des Unternehmens
vorliegt. Für die vorliegende Untersuchung sind somit nur kundeninitiierte
Beziehungsbeendigungen identifikationsbedürftig, denn nur bei diesen kann von einer
Kundenabwanderung im eigentlichen Sinn gesprochen werden.
,,Definitorisch lassen sich eine Vielzahl von Begriffsvarianten anführen, die das
Phänomen der Kundenabwanderung zu beschreiben vermögen."
4
(vgl. Michalski 2002,
S. 7). Um den Prozesscharakter der Beziehungsauflösung hervorzuheben, kann
4
Für ausgewählte Definitionen in der aktuellen Literatur des Begriffs Kundenabwanderung vgl.
Michalski 2002, S. 7f.

8
folgende Definition in Betracht gezogen werden: ,,Kundenabwanderung umfasst
sämtliche Entscheidungsprozesse sowie Massnahmen eines Kunden, die letztlich darin
münden, dass die bisherige Geschäftsbeziehung zu diesem Anbieter beendet wird." (vgl.
Michalski 2002, S. 8).
2.3.2
Abwanderungsprozess und Identifikation gefährdeter Beziehungen
Ein Hauptgrund für die Identifikation abwandernder bzw. bereits abgewanderter
Kunden ist ihre Rückgewinnung (vgl. Reichheld/Sasser 2003, S. 157). Ein effektives
Relationship Marketing befasst sich neben der Neukundenakquisition und der
Beziehungspflege bestehender Kunden auch mit der Kundenabwanderung (vgl.
Alajoutsijärvi, Möller, Tähtinen 1998, S. 1271). Die Kundenbindungsmassnahmen
zielen deshalb auf intakte Kundenbeziehungen, wie auch auf gefährdete bzw.
abwandernde Kunden ab (vgl. Bruhn/Michaski 2003, S. 247).
Der Abwanderungsprozess kann hinsichtlich seiner Dauer und Stärke der
Kundenreaktion unterschieden werden (vgl. Anhang, S. XVI, Schaubild 2).
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein abwanderungswilliger Kunde
einfacher identifiziert werden kann, wenn der Abwanderungsprozess länger dauert und
von stärkeren Reaktionen begleitet wird. Der Abwanderungszeitpunkt kann bei
vertraglichen Geschäftsbeziehungen wie etwa Zeitschriften- oder Mobiltelefonabonne-
menten, über die Prüfung der aktuellen Kundendaten einfach ermittelt werden, weil die
Geschäftsbeziehung mit der Kündigung als beendet gilt. Bei nicht-vertraglichen
Beziehungen ist der Abwanderungszeitpunkt aber schwieriger zu bestimmen. Es kann
nicht festgestellt werden, ob der Kunde im Moment der Betrachtung keinen
Konsumbedarf aufweist oder bereits abgewandert ist.
Bei vertraglichen Beziehungen können sich jedoch auch Probleme ergeben, wenn sich
der Abwanderungsprozess schleichend vollzieht. Als schleichender Abwanderungs-
prozess gilt eine Geschäftsbeziehung, die nicht schlagartig mit einer Kündigung
aufgelöst wird, sondern deren Leistungsbezug peu à peu auf Konkurrenzunternehmen
verlagert wird (vgl. Barth/Kaletsch 2001, S. 134). Dies kann dazu führen, dass die
Beziehung nur noch aus vertraglichen Formalitäten ohne nennenswerten
Leistungsbezug besteht.

9
2.3.3
Gründe für eine Kundenabwanderung und Variablen zu deren Erklärung
Das Produkt oder die Leistung eines Unternehmens wird vom Kunden nicht nur anhand
des Potentials zur Lösung seines Problems bzw. zur Befriedigung seiner Bedürfnisse
beurteilt, sondern gleichzeitig mit den Angeboten der direkten Wettbewerber verglichen
(vgl. Benkenstein 2002, S. 6; Bruhn 2001b, S. 30). Bei der Entscheidung für oder wider
ein Produkt oder eine Leistung ­ und damit am Abwanderungsprozess ­ sind also drei
Parteien beteiligt: Der Kunde mit seinen Bedürfnissen und Problemen, der aktuelle
Anbieter der Leistung und dessen Mitbewerber. Die Gründe für eine Abwanderung
können somit in drei Gruppen eingeteilt werden (vgl. Michalski 2002, S. 43):
Unternehmens-, kunden- und wettbewerbsbezogene Gründe. Beispiele für die
typologisierten Gründe einer Abwanderung können dem Schaubild 3 (Anhang, S. XVII)
entnommen werden.
Während die Unterscheidung in unternehmens-, kunden- und wettbewerbsbezogene
Gründe den Initiatoren des Abwanderungsprozesses gerecht wird, können die
individuumsbezogenen Einflussfaktoren jeweils durch individuelle ökonomische bzw.
vorökonomische Merkmale erklärt werden (vgl. Bruhn 2001a, S. 223f.; vgl. Anhang,
S. XVIII, Schaubild 4). Vom Prinzip her beschreiben diese zwei Variablengruppen die
Einflussfaktoren der Kundenbindung. ,,Geht man von der Annahme aus, dass die
Kundenbindung primär durch die Beziehung des Kunden zum Unternehmen beeinflusst
wird, ist die Wahrscheinlichkeit des Wiederkaufs beziehungsweise der
Beziehungsweiterführung abhängig vom Grad der Bindung." (Bruhn 2001a, S. 223).
Die Unterscheidung der Initiatoren von Abwanderungsprozessen und die
Typologisierung der individuellen Einflussfaktoren geben erste Hinweise auf einen
möglichen Ansatz zur Prognose der Wahrscheinlichkeit von Kundenabwanderungen.

10
3.
Konzeption der Prognose der Abwanderungswahr-
scheinlichkeit
3.1
Allgemeine Grundlagen von Prognosen
Eine Prognose ist eine objektive Wahrscheinlichkeitsaussage über das Auftreten eines
zukünftigen Ereignisses, basierend auf Beobachtungen in der Vergangenheit (vgl.
Pepels 1997, S. 239). ,,Eine Prognose ist nie frei von Subjektivität, aber gekennzeichnet
durch das Bemühen, die Subjektivität durch Verwendung formaler Modelle und
Analyse empirischer Daten soweit wie möglich einzuschränken." (Hammann/Erichson
1994, S. 340). Prognosen werden eingesetzt, um mögliche Probleme leichter zu
identifizieren und die anschliessende Problemlösung zu unterstützen (vgl. Green/Tull
1982, S.469f.). Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Typen von Prognosen
unterscheiden.
Während qualitative Methoden auf einer subjektiven begründeten Beurteilung und
damit auf Intuition, Erfahrung und subjektiven Werthaltungen beruhen, versuchen
quantitative Methoden mathematisch-statistische Ansätze auf die Prognosesituation
anzuwenden (vgl. Hadeler/Winter 2000, S. 3001; Weis/Steinmetz 2000, S. 369ff.) Die
Prognosemethoden umfassen neben den Prognosemodellen, die durch stetige
Funktionen beschrieben werden, auch die Klassifikation von neuen Elementen (vgl.
Han/Kamber 2001, S. 279). Die Klassifikation kann als Spezialfall einer Prognose
betrachtet werden, bei der das Prognoseresultat ein diskret skaliertes Merkmal darstellt.
Aufgrund der Länge des Prognosezeitraums werden kurz-, mittel- und langfristige
Prognosen unterschieden. Kurzfristige Prognosen erstrecken maximal über einen
Zeitraum von einem Jahr. Typischerweise werden Tages-, Wochen- und
Monatsprognosen erstellt. Mittelfristige und langfristige Prognosen bezeichnen
Prognosen mit einem Prognosezeitraum von einem bis drei Jahren bzw. vier bis zehn
Jahren. Prognosen mit einem Horizont von mehr als zehn Jahren werden als
Projektionen bezeichnet.
Monokausale bzw. univariate Prognoseverfahren beruhen auf den Vergangenheitswer-
ten einer einzelnen Einflussgrösse. Multikausale bzw. multivariate Prognosenverfahren
berücksichtigen dagegen nicht nur eine, sondern mehrere beeinflussende Grössen (vgl.
Berekoven/Eckert/Ellenrieder 1999, S. 258 und Weis/Steinmetz 2000, S. 372).

11
Beim Methodeneinsatz zur Prognose von Ereignissen müssen drei zentrale
Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Berry/Linoff 2000, S. 61ff.): (1) The past is a good
predictor of the future, (2) the data is available and (3) the data contains what we want
to predict.
Prognosen beruhen also auf der Annahme, dass beobachtete Gesetzmässigkeiten der
Vergangenheit auch in der Zukunft Gültigkeit haben. Dabei muss die Vergangenheit
genug Prognosegehalt beinhalten, um zukünftige Ereignisse korrekt abzubilden. Zu
beachten gilt es, dass externe Effekte die Prognose verzerren können, was letztendlich
zu falschen Prognoseresultaten führen kann. Die konjunkturelle Lage eines
Wirtschaftsraumes hat beispielsweise ein hohes Potential, um Prognosen zu verzerren.
Deshalb ist es nötig, externe Effekte zu identifizieren und in das Prognosemodell zu
integrieren. Bei der Identifikation externer Effekte ist meist spezifisches Fachwissen
nötig, weshalb bei der Modellierung von Prognosemodellen dem Beiziehen von
Experten beizupflichten ist (vgl. Berry/Linoff 2000, S. 62).
Die zweite Annahme bezieht sich auf die Verfügbarkeit von Daten. Beeinflussende
Variablen müssen nicht nur identifiziert und in das Prognosemodell aufgenommen
werden, sondern auch messbar und verfügbar sein. Als Datenbasis kommen neben
Primärdaten auch Sekundärdaten in Frage. Dabei werden Primärdaten eigens für den
Untersuchungszweck erhoben, während Sekundärdaten aus bereits erhobenen Daten
bestehen. Idealerweise können Methoden zur Prognose von Ereignissen auf so genannte
Data Warehouses zugreifen. Unter einem Data Warehouse versteht man eine
themenorientierte, integrierte, zeitbezogene und dauerhafte Sammlung von
Informationen zur Entscheidungsunterstützung des Managements (vgl.
Schinzer/Bange/Mertens 1999, S. 377).
Die letzte Annahme bezieht sich auf die Notwendigkeit, dass ein statistischer
Zusammenhang zwischen den erhobenen Daten und dem Prognosegegenstand besteht
und somit die ausgewählten Indikatoren tatsächlich in der Lage sind, den
interessierenden Gegenstand zu erklären bzw. zu prognostizieren.

12
3.2
Grundlagen der Prognose der Wahrscheinlichkeit einer
Abwanderung
Die Prognose der Wahrscheinlichkeit einer Kundenabwanderung untersucht
Abwanderungsneigung eines spezifischen Kunden bzw. einer Kundenkohorte. Sie
prognostiziert die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kunde die Beziehung zu einem
Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt abbricht. Eine Spezialisierung der
Wahrscheinlichkeitsprognose stellen Methoden dar, die Kunden in eine Klasse
abwanderungsgefährdeter bzw. nicht-abwanderungsgefährdeter Kunden klassifizieren.
Um die stetige Abwanderungswahrscheinlichkeit eines Kunden besser nutzen und
interpretieren zu können, kann eine Transformation vorgenommen werden. Dabei wird
die Abwanderungswahrscheinlichkeit anhand eines festzulegenden Schwellenwerts in
eine dichotome Variable transformiert, welche die Ausprägungen abwanderungsgefähr-
det bzw. nicht-abwanderungsgefährdet aufweist.
Die Analyse der Kundenabwanderung gibt Aufschluss darüber, welche Kunden
abwanderungsgefährdet sind und was die Gründe für ihr Verhalten sein könnten (vgl.
Ultsch 2002, S. 315). Umschrieben werden diese zwei Schlüsselaufgaben durch die
Vorhersage (prediction) und das Verständnis (understanding) des Abwanderungsvor-
gangs (vgl. Richeldi/Perrucci 2002).
Für die Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit bieten sich verschiedene
Methoden an. Die Wahl des geeigneten Prognoseverfahrens sollte aber nicht zufällig,
sondern nach einer Evaluation und Analyse der vorhandenen Kundendaten im Kontext
verschiedener Leistungs- und Beziehungstypen getroffen werden.
3.3
Ziele und Prozess der Prognose der Abwanderungswahrschein-
lichkeit
Der Nutzen aus der Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit von Kunden liegt in
der Früherkennung abwanderungsgefährdeter Kunden. Das frühzeitige Erkennen
drohender Abwanderung erlaubt es dem Unternehmen, rechtzeitig entsprechende
Gegenmassnahmen einzuleiten. Je genauer der Prognoseinhalt quantifiziert werden
kann, desto enger können gefährdete Kunden eingegrenzt und entsprechende
Kundenbindungs- bzw. Kundenrückgewinnungsmassnahmen veranlasst werden. Das
Verständnis des Abwanderungsprozesses und die Identifikation von Abwanderungs-

13
gründen ermöglichen eine stetige Produkt- bzw. Leistungsverbesserung und eine
Stärkung der Kundenbindung. Um Abwanderungsgründe bzw. geeignete Indikatoren zu
identifizieren, können Stärke und Richtung des Einflusses der gewählten unabhängigen
Variablen interpretiert werden. Durch entsprechende Massnahmen können negative
Einflussfaktoren gemildert bzw. Positive verstärkt werden.
Neben der Identifikation abwanderungsgefährdeter Kunden und der Analyse der
Einflussfaktoren kann die Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit auch
Aufschluss über die Höhe eines kundenspezifischen Customer Lifetime Values
(CLV) geben. ,,Die Berücksichtigung einer Kundenbindungswahrscheinlichkeit [bzw.
der Abwanderungswahrscheinlichkeit] (Anm. d. Verf.) basiert auf der Überlegung, dass
bei der Ermittlung des Kundenwertes das Risiko einer Beziehung miteinbezogen
werden sollte, um die Unsicherheit der Beziehungserhaltung in die Berechnung des
CLV zu integrieren." (Bruhn 2001a, S. 223). Die Integration der individuellen
Abwanderungswahrscheinlichkeit vermindert den Customer Lifetime Value zugunsten
einer zusätzlichen Berücksichtigung des kundenspezifischen Risikos. Die
Abwanderungswahrscheinlichkeit stellt eine grundlegende Grösse zur Bestimmung des
CLV dar, denn nur diese kann die Kundenbeziehung und die darin beinhaltenden
Risiken im erweiterten investitionstechnischen Ansatz bewerten (vgl. Bruhn 2001a, S.
223).
Die Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit kann als zeitpunktbezogene,
statische Analyse angesehen werden. Durch die Verknüpfung zeitlich verschiedener
Prognoseresultate eines Kunden bzw. Kundensegments kann eine dynamische
Betrachtung angesetzt werden. Diese Betrachtung kann Aufschluss über die Wirkung
von Marketingmassnahmen geben, die direkt oder indirekt auf die Kundenbindung
wirken.
Die Prognosebildung folgt einem Prozess, der idealtypisch wie folgt dargestellt werden
kann. Die Analyse vergangener Ereignisse liefert Erfahrungswerte, mit welchen
zwischen einer Gruppe gebundener und einer Gruppe abgewanderter Kunden
unterschieden werden kann. Darüber hinaus sind vom Kunden individuelle
Ausprägungen weiterer Merkmale bekannt. Durch die Integration dieser
Kundeninformationen in Datenbanken oder globalen Data Warehouses können die
Prognosemethoden die Verhaltensmuster bei gegebenen Kundeneigenschaften

14
analysieren. Wenn sich für die Zukunft ein gleiches oder ähnliches Verhalten der
Kunden unterstellen lässt, erlaubt die Analyse des gegenwärtigen Kundenstammes eine
Prognose darüber, wie sich der Kunde gegenüber seinem Geschäftspartner verhalten
wird. Als Prognoseinput greifen die Methoden auf die aktuellen Kundendaten in
Datenbanken zurück und geben als Output eine Wahrscheinlichkeitsangabe bzw. eine
Klassenzugehörigkeit zurück. Das Schaubild 5 (Anhang, S. XIX) gibt einen
schematischen Überblick über den Prozessablauf einer Verhaltensprognose.
3.4
Wahl des geeigneten Inputs für die Prognose der Wahrschein-
lichkeit von Kundenabwanderungen
Für die Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit müssen ­ abhängig von der
gewählten Prognosemethode ­ Variablen bzw. Indikatoren hinzugezogen werden,
welche die Kündigungsneigung und damit die Wahrscheinlichkeit der Abwanderung
eines Kunden quantifizieren. Prinzipiell kann bei entsprechend vorliegenden Daten jede
beliebige Variable in die Analyse miteinbezogen werden. Variablen, die nicht
signifikant zur Diskriminierung der beiden Kundengruppen beitragen, werden zu einem
späteren Zeitpunkt über einen Signifikanztest aus dem Modell entfernt.
Bei der Wahl der geeigneten Variablen und Indikatoren geht es primär um das
Verständnis, weshalb ein aktiver Kunde die Leistung des Unternehmens erneut in
Anspruch nimmt. ,,Geht man von der Annahme aus, dass die Kundenbindung primär
durch die Beziehung des Kunden zum Unternehmen beeinflusst wird, ist die
Wahrscheinlichkeit des Wiederkaufs beziehungsweise der Beziehungsweiterführung
abhängig vom Grad der Bindung." (Bruhn 2001a, S. 223). Die Wahrscheinlichkeit der
Kundenabwanderung kann also als Gegenereignis der Wahrscheinlichkeit des
Wiederkaufs angesehen werden und ist somit zur Kundenbindung negativ korreliert.
Die Einflussfaktoren der Kundenbindung umfassen ökonomische wie auch
vorökonomische Determinanten (vgl. Anhang, S. XVIII, Schaubild 4) und können
auch für die Erklärung und Quantifizierung der Abwanderungswahrscheinlichkeit
eingesetzt werden.
Die Determinanten der Kundenbindung können ergänzt werden ­ wenn auch nicht ohne
Überschneidung ­ indem endogene wie auch exogene Segmentationskriterien
hinzugefügt werden (vgl. Anhang, S. XX, Schaubild 6). Ausgehend von

15
Segmentationskriterien lassen sich z.B. profitable von unprofitablen oder zufriedene
von unzufriedenen Kunden abgrenzen (vgl. Bruhn 2001a, S. 97). Weil die
Abwanderungswahrscheinlichkeit eines Kunden nicht anhand eines einzelnen
Kriteriums prognostiziert werden kann, sollte für die Prognose eine Kombination
exogener bzw. endogener Segmentationskriterien erwogen werden.
5
3.5
Kriterien für die Bewertung von Methoden zur Prognose der
Abwanderungswahrscheinlichkeit
3.5.1
Grundlagen und Ansätze für die Bewertung von Prognosemethoden
Um die Prognosemethoden objektiv bewerten und vergleichen zu können, sollen
systematische Bewertungskriterien hergeleitet und anschliessend auf die
verschiedenen Methoden angewandt werden. Die Bewertungskriterien sollen auf
diejenigen Methoden anwendbar sein, mit denen abwanderungsgefährdete Kunden
identifiziert werden können bzw. die Wahrscheinlichkeit einer Kundenabwanderung
prognostiziert werden kann.
In der Literatur finden sich verschiedene Gütekriterien zur Bewertung einzelner
statistischer Methoden (vgl. Backhaus et al. 2000). Ein umfassendes Bewertungsraster,
das auf beliebige Methoden ­ und damit auch auf die Prognose der Wahrscheinlichkeit
einer Kundenabwanderung ­ angewendet werden kann, findet sich jedoch nicht
6
. Eine
Ausnahme bildet hier Michalski, welche die Verfahren der Entscheidungsunterstützung
der Früherkennung drohender Kundenabwanderungen gemäss folgenden Kriterien
beurteilt (vgl. Michalski 2002, S.227):
Die Genauigkeit der Prognose bezieht sich auf die Fähigkeit, die Wahrscheinlichkeit
einer Abwanderung exakt zu bestimmen.
5
vgl. auch Krafft 2002, S. 79: Bei dieser empirischen Untersuchung wird versucht die Kündigungs-
bzw. Bindungsneigung durch Merkmale der Bereiche Soziodemographie, Einstellung, Präferenzen
und Gesamtzufriedenheit zu erklären.
6
Han/Kamber schlagen folgende Kriterien vor: Predictive Accuracy, Speed, Robustness, Scalability,
Interpretability (vgl. Han/Kamber 2001, S. 283),
Vgl. zu weiteren Beurteilungskriterien von Data Mining Methoden Goebel/Gruenwald 1999, S. 21f.;
S. 283; Lusti 1999, S. 116.

16
Der Lösungsweg der Methode sollte möglichst transparent und damit
nachvollziehbar sein.
Die Methoden sollten auf den gesamten Kundenstamm anwendbar sein.
Der Analyseaufwand für die Bestimmung der Abwanderungswahrscheinlichkeit
sollte möglichst gering bzw. entsprechend der Problemstellung angepasst sein.
Der Aufwand für die Realisation sollte angemessen sein.
Aufbauend auf diesem Bewertungsansatz sollen nun Bewertungskriterien hergeleitet
werden. Dabei sollen die Bewertungskriterien spezifisch auf die Problemstellung der
Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit zugeschnitten sein. Im späteren Gang
dieser Untersuchung werden die Kriterien auf die einzelnen Prognosemethoden
angewendet. Dabei sollen der Prognoseinput, -prozess und -output bewertet werden. Die
Bewertungskriterien werden zusammenfassend in Schaubild 7 (Anhang, S. XXI)
dargestellt.
3.5.2
Kriterien für die Bewertung des Prognoseinputs
Die Bewertungskriterien für den Prognoseinput umfassen neben den Anforderungen an
die Datenbeschaffenheit auch das Vermögen, die vorhandenen Kundendaten im
Rahmen einer Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit zu nutzen.
Das zentrale Thema einer Identifikation abwanderungsgefährdeter Kunden ist das
Aufdecken von Gesetzmässigkeiten im Abwanderungsverhalten. Diese
Gesetzmässigkeiten können mit Hilfe spezifischer Kundenmerkmale beschrieben
werden. Deshalb muss eine Prognosemethode die spezifischen Kundenmerkmale in
den Prognoseprozess einbeziehen und verarbeiten können. Damit möglichst alle
relevanten Kundenmerkmale in den Prognoseprozess miteinbezogen werden können,
sollte die Prognosemethode daher möglichst geringe Anforderungen an das
Datenniveau der Inputgrössen stellen. Die Methode sollte im Weiteren in der Lage
sein, auf vorhandene Kundendatenbanken zurückgreifen zu können.
Um die Eignung der Prognosemethoden bezüglich des Prognoseinputs zu überprüfen,
kann somit eine Reihe von Kriterien herangezogen: Verwendbarkeit spezifischer
Kundenmerkmale als Input, geringe Ansprüche an Skalenniveau der Inputgrössen und
Implementierbarkeit vorhandener Kundendatenbanken.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832495398
ISBN (Paperback)
9783838695396
DOI
10.3239/9783832495398
Dateigröße
2.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Basel – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2006 (April)
Note
2,0
Schlagworte
relationship marketing churn data mining kundenbindung
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Titel: Prognose der Wahrscheinlichkeit von Kundenabwanderungen
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