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Die Realisierung sozialen Lernens im Sportunterricht unter besonderer Berücksichtigung des Lernbereichs "Fairness, Kooperation"

Aufgezeigt anhand ausgewählter Spiele und Übungsformen in einer 5. Jahrgangsstufe

©2002 Examensarbeit 54 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Kindern und Jugendlichen scheint es auf den ersten Blick noch nie so gut wie heute gegangen zu sein: In den westlichen Industrienationen genießen sie ein hohes Maß an sozialer Selbständigkeit, eine liberale Erziehung mit partnerschaftlich-demokratischen Eltern und breit gefächertem und selbst bestimmbaren Medien- und Freizeitangebot. Die jetzige Generation ist materiell hervorragend versorgt und früher lebensgefährliche Kinderkrankheiten sind weitestgehend besiegt bzw. relativ problemlos zu kurieren.
Sieht man allerdings genauer hin, so fällt auf, dass die Probleme der Kinder und Jugendlichen heute eher im zwischenmenschlichen Bereich liegen, in der Unsicherheit von Kontakten und Beziehungen. Zwar können sie die angenehmen Seiten der Wohlstandsgesellschaft für sich nutzen, sie bekommen aber auch die Nachteile zu spüren. Selbständigkeit und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung stehen sozialer Unsicherheit und den damit verbundenen psychischen Irritationen gegenüber.
Gewalt und Aggression sind allgegenwärtig. Neben den in den Medien erscheinenden offensichtlichen Erscheinungsformen wie Krieg, Kriminalität, ausländerfeindliche Aktionen, sexueller Missbrauch etc. gibt es im Alltag unzählige weniger auffällige: Aggressionen im Straßenverkehr, in der Familie, in der Berufswelt (Mobbing), in der Schule, im Sport und subtilere Formen der psychischen Aggression (z.B. Schikanieren von Untergebenen oder von Dienstleistungspersonal). Viele dieser Verhaltensweisen werden in unserer modernen „Ellbogengesellschaft“ akzeptiert und von den meisten Erwachsenen sogar vorgelebt.
Fast täglich berichten die Medien von Gewalttaten und aggressiven Übergriffen junger Menschen. Hierbei lässt sich feststellen, dass nicht nur deren Anzahl steigt, sondern dass sich vor allem die Qualität der Aggressionen verändert hat. Die immer jünger werdenden „Täter“ haben immer geringere Hemmschwellen. Nach HURRELMANN (in: VALTIN/ PORTMANN 1995) zeigen aktuelle Studien, „dass 10 -12% der Kinder im Schulalter an psychischen Störungen vor allem in den Bereichen Leistung, Emotion und Sozialkontakt leiden. Dazu gehören auch aggressive und gewalthaltige Verhaltensweisen. Immer häufiger ist von körperlichen und psychischen Belästigungen die Rede. Viele Lehrerinnen und Lehrer berichten, die Kinder seien heute schon in der Grundschule, vor allem aber auch in der Mittelstufe nicht nur zappeliger, unruhiger und nervöser als die aus früheren Jahrgängen, sondern es […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis:

0. Problemstellung

I. Theoretischer Teil
1. Begriffsklärung
1.1. Soziales Lernen
1.2. Fairness
1.3. Kooperation

2. Spiele im Sportunterricht
2.1. Gründe für den Einsatz von Spielen im Sportunterricht
2.2. Werteerziehung durch Spiele?
2.3. Probleme bei der Wertevermittlung im Sportunterricht
2.4. Die Rolle des Sportlehrers

II. Bezug zum amtlichen Lehrplan
1. Fachbezogene Unterrichts- und Erziehungsaufgaben
2. Der Lernbereich „Fairness, Kooperation“

III. Praktischer Teil
1. Vorüberlegungen und Umsetzung
1.1. Methodische Vorüberlegungen
1.2. Werteerziehung durch Gespräche im Sportunterricht
1.3. Spiele und Übungsformen zur Realisierung sozialen Lernens
2. Abschließende Bewertung der Sequenz

IV. Literatur:

V. Anhang

0. Problemstellung

Kindern und Jugendlichen scheint es auf den ersten Blick noch nie so gut wie heute gegangen zu sein: In den westlichen Industrienationen genießen sie ein hohes Maß an sozialer Selbständigkeit, eine liberale Erziehung mit partnerschaftlich-demokratischen Eltern und breit gefächertem und selbst bestimmbaren Medien- und Freizeitangebot. Die jetzige Generation ist materiell hervorragend versorgt und früher lebensgefährliche Kinderkrankheiten sind weitestgehend besiegt bzw. relativ problemlos zu kurieren.

Sieht man allerdings genauer hin, so fällt auf, dass die Probleme der Kinder und Jugendlichen heute eher im zwischenmenschlichen Bereich[2] liegen, in der Unsicherheit von Kontakten und Beziehungen. Zwar können sie die angenehmen Seiten der Wohlstandsgesellschaft für sich nutzen, sie bekommen aber auch die Nachteile zu spüren. Selbständigkeit und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung stehen sozialer Unsicherheit und den damit verbundenen psychischen Irritationen gegenüber.

Gewalt und Aggression sind allgegenwärtig. Neben den in den Medien erscheinenden offensichtlichen Erscheinungsformen wie Krieg, Kriminalität, ausländerfeindliche Aktionen, sexueller Missbrauch etc. gibt es im Alltag unzählige weniger auffällige: Aggressionen im Straßenverkehr, in der Familie, in der Berufswelt (Mobbing), in der Schule, im Sport und subtilere Formen der psychischen Aggression (z.B. Schikanieren von Untergebenen oder von Dienstleistungspersonal). Viele dieser Verhaltensweisen werden in unserer modernen „Ellbogengesellschaft“ akzeptiert und von den meisten Erwachsenen sogar vorgelebt.

Fast täglich berichten die Medien von Gewalttaten und aggressiven Übergriffen junger Menschen. Hierbei lässt sich feststellen, dass nicht nur deren Anzahl steigt, sondern dass sich vor allem die Qualität der Aggressionen verändert hat. Die immer jünger werdenden „Täter“ haben immer geringere Hemmschwellen. Nach Hurrelmann (in: Valtin/ Portmann 1995) zeigen aktuelle Studien, „dass 10 -12% der Kinder im Schulalter an psychischen Störungen vor allem in den Bereichen Leistung, Emotion und Sozialkontakt leiden. Dazu gehören auch aggressive und gewalthaltige Verhaltensweisen. Immer häufiger ist von körperlichen und psychischen Belästigungen die Rede. Viele Lehrerinnen und Lehrer berichten, die Kinder seien heute schon in der Grundschule, vor allem aber auch in der Mittelstufe nicht nur zappeliger, unruhiger und nervöser als die aus früheren Jahrgängen, sondern es nehme auch die Minderheit der ruppigen, aggressiven, gewalttätigen und sogar brutalen Schülerinnen und Schüler zu. Auch von Übergriffen auf Lehrerinnen und Lehrer wird berichtet, wobei offenbar an Hauptschule und Berufsschulen die meisten Probleme wahrgenommen werden, die oft mit der multiethnischen und kulturellen Zusammensetzung dieser Schülerschaften zu tun haben“[3].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

München. Die Zahl verhaltensauffälliger Schüler nimmt in Bayern rapide zu. Im vergangenen Jahr mußten mehr als 1500 Kinder an einer Schule zur Erziehungshilfe unterrichtet werden- doppelt so viele wie noch ein Jahr zuvor. Diese Zahlen nannten Pädagogen bei einer SPD-Anhörung im Landtag. Für den Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern forderten einige Lehrer drastische Maßnahmen. Ein Schuldirektor aus Augsburg sprach sich für den vollständigen Ausschluß von „Extremschülern“ aus dem Unterricht aus.

Bereits im Kindergarten zeigten sich immer häufiger Verhaltensauffälligkeiten. „Es ist für viele Kinder selbstverständlich, sich mit Kratzen, Beißen und Schlagen zur Wehr zu setzen“, berichtete die Kindergarten-Leiterin Claudia Till... „Lehrer und Schulleiter sind gegenüber diesen Kindern oft machtlos“, sagte der Augsburger Schulleiter von Hoermann.

Fränkischer Tag vom 31.10.97

Abb. 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nicht nur weil die Schule von der zunehmenden Aggressivität besonders betroffen ist, sondern vor allem wegen ihres großen Einflusses auf die Kinder ist es sinnvoll, hier besonderen Wert auf die Förderung der sozialen Kompetenzen zu legen. Die jetzigen und zukünftigen Lehrer[4] werden besonders im pädagogischen Bereich gefordert sein, deshalb ist es notwendig, sich zum Thema Sozialerziehung Gedanken zu machen. Eine wichtige Rolle bei dieser Aufgabe spielen dabei die Sportlehrer, weil der Sportunterricht eine gute Möglichkeit bietet, die Schüler emotional geöffnet, leidenschaftlich und engagiert zu treffen und sie so positiv zu beeinflussen. Durch seine besonderen Interaktions- und Kommunikations-strukturen, wie z.B. Situationen des Miteinander und Gegeneinander, des Wettkampfes, der Gestaltung, des Spiels u.v.m. im Gegensatz zu dem primär auf die Vermittlung von Sachwissen ausgerichteten Lernens in anderen Fächern, werden dem Sportunterricht besondere Möglichkeiten der Sozialerziehung zugeschrieben. Im Sportunterricht sind die Gelegenheiten, soziale Erfahrungen zu machen, besonders häufig, weshalb hier eine Einflussnahme zu Gunsten prosozialen Verhaltens besonders aussichtsreich erscheint. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bereits seit den 70er Jahren eine intensive Diskussion in der Sportpädagogik geführt wird, inwieweit der Sportunterricht intentionale soziale Erziehungsziele beinhalten solle. Das Ergebnis dieser Überlegungen spiegelt sich im aktuellen Lehrplan für das Fach Sport wider (vgl. Abb. 3): Erziehung zur Fairness und Kooperation sind als wichtige Ziele aufgeführt und erstmals sollen diese beiden Verhaltensweisen auch in die Notengebung einfließen. Es wird also nicht länger nur auf Weiten, Zeiten und Technik, sondern auch auf die Sozialerziehung großer Wert gelegt. Um diese mit Erfolg durchzuführen benötigt man Formen des Sports, die diese gewünschten Verhaltensweisen (vgl. Abb. 3) fördern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Sportunterricht beinhaltet soziales Lernen und bildet Handlungs- und Erfahrungsgelegenheiten für eine praxisorientierte Sozialerziehung. Regelentsprechendes Handeln und die damit verbundene Achtung des Gegners als Partner in einem gemeinsamen Leistungsvergleich erziehen die Schüler zur Fairness. Sie erkennen die Notwendigkeit, die eigenen Interessen zeitweise zurückzunehmen und Verständnis, Nachsicht und Toleranz zu zeigen. Das Handeln in der Gemeinschaft sowie das Sichern, Unterstützen und Helfen durch Lehrer und Schüler fördert zudem die Kooperation.“

(Lehrplan für die bayer. Hauptschule, S.58)

Abb. 3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Thematik dieser Arbeit berührt viele Aspekte der Bezugswissenschaften der Sportpädagogik. Um die nötige Verständnisgrundlage der zentralen Begriffe zu gewährleisten, soll im ersten Kapitel eine Begriffsklärung vorangestellt werden, um danach den Bezug zur Schule mit Hilfe des amtlichen Lehrplan für die bayerische Hauptschule herstellen zu können. Erst dann kann die praktische Umsetzung, also die Realisierung des sozialen Lernens beschrieben und letztendlich auch ihre Ergebnisse geschildert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Theoretischer Teil

1. Begriffsklärung

Da die Begriffe aus der Themenstellung dieser Arbeit in der Fachliteratur zum Teil unterschiedlich gebraucht werden und sich deren Bedeutung in manchen Aspekten erheblich vom Alltagsverständnis unterscheidet, scheint es mir wichtig, eine Begriffsklärung voranzustellen. Aufgrund der vielen verschiedenen Aspekte der Termini innerhalb der Bezugswissenschaften der Sportpädagogik müssen diese begrifflichen Eingrenzungen etwas detaillierter erfolgen, um die nötige Basis für ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.

1.1. Soziales Lernen

Der Begriff „soziales Lernen“ ist weder in der allgemeinen noch in der Sportpädagogik eindeutig definiert. Er wird in missverständlicher Weise auf verschiedenen Ebenen gebraucht; er bezeichnet zum einen die Zielebene erzieherischen Handelns, zum anderen macht er Aussagen über den Erziehungsprozess und die Sozialformen des Unterrichts. Wegen seiner unklaren Verwendung soll zunächst eine Begriffsanalyse erfolgen, die die genaue Bedeutung in dieser Arbeit erklärt.

Im englischen Sprachraum ist der Begriff „soziales Lernen“ seit den Arbeiten von Miller/ Dollart (1941) und Bandura/ Walters (1963) bekannt und beschreibt die Imitation als „sozial induzierte Form des Lernens“. Bei uns tauchte er erst um 1970 auf, wurde aber sofort interessiert aufgenommen, was zu einer Vielzahl von Beiträgen und Definitionsversuchen führte.

Ein Grund für die Verwirrung um den Begriff liegt in der unterschiedlichen Auslegung des Wortes „sozial“. Im Alltagsgebrauch wird ihm automatisch eine positive Wertung zugeschrieben, also synonym mit „von der Gesellschaft erwünscht“ (= prosozial). In der Psychologie (wie auch in anderen Wissenschaften) hingegen ist der Begriff „sozial“ wertneutral; er besagt lediglich, dass etwas in irgendeiner Form der Interaktion mit anderen geschieht, beinhaltet also sowohl pro- als auch antisoziale Verhaltensweisen. Jede Teildisziplin der Sportwissenschaft (Sportpsychologie, Sportsoziologie, Sportpolitik, Sportpädagogik, Sportdidaktik) greift auf unterschiedliche Definitionsansätze zurück, so dass es erforderlich wird, sich auf einen zu beschränken. Ein Vorstellen der verschiedenen Ansätze soll an dieser Stelle unterbleiben, da sie für die Bearbeitung der Themenstellung nicht unbedingt erforderlich sind.

In der Sportpädagogik wird meist „Sozialisation“ als Überbegriff für alle Prozesse verwendet, die den Menschen in seine soziale Umwelt integrieren und zur Entwicklung seiner Persönlichkeit beitragen, wobei das soziale Lernen als der Teil der Sozialisation verstanden wird, „der auf intentionalen pädagogisch gesteuerten Lernprozessen beruht…, d.h. für den z.B. Lehrer im Unterricht absichtsvolle Lernsituationen arrangieren“[6].

Zwar könnte man kritisieren, dass hier nicht unterschieden wird zwischen sozialem Lernen und sozialem Lehren oder –berechtigterweise- bemängeln, dass soziales Lernen auch nicht-intentional erfolgen kann oder auch antisoziale Verhaltensweisen sozial gelernt werden. Durch die notwendigen Unterscheidungen würde jedoch die Behandlung sehr umständlich und verwirrend erfolgen müssen. Da diese zugegebenermaßen etwas unschärfere Begrifflichkeit in der Sportpädagogik und –didaktik aber durchaus gebräuchlich ist, soll sie für diese Arbeit herangezogen werden, zumal Unklarheiten nicht auftauchen sollten, da sich aus der Themenstellung erkennen lässt, dass es sich um intentionales soziales Lernen und damit logischerweise ausschließlich um die Vermittlung prosozialer Verhaltensweisen dreht.

Keller/ Hafner (1999, S. 9) verstehen unter sozialem Lernen

- die Aneignung sozialer Verhaltensweisen und Fertigkeiten,
- die Bildung sozialer Einstellungen und Werthaltungen und
- die Übernahme sozialer Rollen.

Soziales Lernen ist ein Ergebnis der intentionalen Förderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung, aber auch aus dem täglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernen (vgl. Bandura), d.h. es kann nicht vollständig darauf Einfluss genommen werden, da neben der Erziehung auch andere, un- oder zumindest schwer kontrollier- und lenkbare Prozesse an der Sozialisation beteiligt sind (= nicht-intentionale Erziehung).

Ziele und Inhalte sozialen Lernens sind schwierig zu operationalisieren, zum einen, weil die Bewertung sozialer Verhaltensweisen als gut oder schlecht subjektiv ist, zum anderen auch aufgrund verschiedener Vorstellungen innerhalb einer Gesellschaft und eines Zeitraums. Als allgemein erstrebenswertes Ziel wäre die Gemeinschaftsfähigkeit zu nennen, die man in folgende Einzelziele untergliedern könnte:

- Hilfsbereitschaft
- Friedfertigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Selbstbeherrschung
- soziale Sensibilität (Empathiefähigkeit)
- Selbstbehauptung
- Konflikt-/ Kommunikationsfähigkeit
- Toleranz
- Verantwortungsbewusstsein
- Höflichkeit (Keller/ Hafner 1999, S.10)

Der amtliche Lehrplan für die bayerische Hauptschule bezeichnet es als die Aufgabe des Unterrichts, „die (…) soziale Kompetenz der Schüler zu fördern“ (S. 14), was in die gleiche Richtung wie der oben genannte Begriff Gemeinschaftsfähigkeit zielt.

1.2. Fairness

Dieser scheinbar eindeutige Begriff wird nicht nur im Alltagsgespräch, sondern auch in der Fachliteratur unterschiedlich gebraucht bzw. verstanden. Vielfältige Begriffsbestimmungen und Definitionsversuche, die zum größten Teil recht unscharf dieses Abstraktum beschreiben sind seit der Entstehung des Wortes zu finden.

a) Historische Bedeutung[7]

„Fair“ und „Fairness“ sind Begriffe, die bereits im England des Mittelalters ein standesgemä­ßes (= anständiges) Verhalten der Oberschicht beschreiben. Sie stammen vom altenglischen „ faeger “ = „passend, angenehm, schön“. Dem sportsman, der dem Großbürgertum oder der Aris­tokratie angehörte, war das Gewinnen unwichtig; er wollte einen möglichst unterhaltsamen Zeitvertreib, er nutzte den Sport sogar, um Ehrlichkeit, Redlichkeit und gönnerische Gesten zu demonstrieren. Während des 19. Jahrhunderts fanden in der Zeit der Industrialisierung dann auch die damals vorherrschenden „bürgerlichen“ Werte (Leistung, Gewinnstreben, Ehrgeiz) Einzug in den Sport, der sich nun auch den unteren Gesellschaftsschichten eröffnete. Damals wurde erstmals der Sport von der Pädagogik benutzt, um den verwöhnten und oft motivationsarmen Kindern in den public schools das Leistungsprinzip nahe zu bringen. Dabei wurde das fair play zum Leitgedanken der moralischen Erziehung.

Bevor die Kommerzialisierung im Sport einsetzte, war es z.B. noch üblich, auch bei größeren offiziellen Tennisturnieren dem stärkeren Spieler zu Beginn des Spiels ein Handicap (= Rückstand) zu geben, um dem schwächeren die gleichen Gewinnchancen einzuräumen. Ab 1920 verschwanden dann diese Regelungen und eine Aufweichung des Fairnessgedankens setzte ein zugunsten einer stärkeren Leistungs- und Erfolgsbetonung. Die Fairness wurde immer mehr als die bloße Einhaltung der Spielregeln verstanden.

Mit zunehmendem Einfluss der Industrie und damit des Geldes verschwand der ursprünglich „edle“ Hintergrund im Leistungssport und ist seitdem eigentlich nur noch bei Amateuren anzutreffen. Ein faires Verhalten im originären Verständnis wird heute als exotisch und mutig, in bestimmten Kreisen und Kulturen sogar als Schwäche angesehen (vgl. Abb. 4); durch die Bedeutungsverschiebung entwickelten sich sogar paradoxe Begriffe wie zum Beispiel das „faire Foul“ im Fußball. Es herrscht das so genannte elfte Gebot: „Du sollst dich nicht erwischen lassen“ oder, anders ausgedrückt, die Wasserballer-Moral: „Oben lächeln, unten treten.“

b) Begriffsbestimung

Aufgrund der oben beschriebenen historischen Entwicklung des Begriffes „Fairness“ gibt es in der Fachliteratur enger und weiter gefasste Definitionen, die aber alle Folgendes als gemeinsamen Nenner haben:

1. eine größtmögliche Chancengleichheit
2. die strikte Einhaltung der Regeln
3. die Achtung des Gegners und seine Unantastbarkeit

Zu Beginn der sechziger Jahre wurde von Lenk[8] ein wichtiger Schritt zur Differenzierung des Begriffs vorgenommen. Er unterschied zwischen formeller und informeller Fairness. Erstere beinhaltet lediglich das Einhalten der Regeln und Vereinbarungen, also der „Muss-Normen“, die auch vom Schiedsrichter - falls vorhanden - eingefordert werden können und deren Nichtbeachtung normalerweise mit allgemein bekannten Sanktionen bestraft wird. Die informelle Fairness meint die „Soll-Normen“, sprich: Achtung und Respekt vor dem Gegner, Ehrlichkeit, Wahrung der Chancengleichheit etc., deren Übertretung nicht bestraft werden kann, höchstens durch Missachtung der Mitspieler.

Für die Fairnesserziehung im Sportunterricht sollten natürlich beide Aspekte von Bedeutung sein. Eine adäquate Begriffsbestimmung für Pädagogen liefert meines Erachtens Röthig[9]:

„Die Fairness gebietet vor allem

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

die Anerkennung und Einhaltung der Spielregeln,

- partnerschaftlichen Umgang mit dem Gegner,
- die Fähigkeit, sich in kritischen Situationen des Kampfes und des Wettstreits von der eigenen Rolle zu distanzieren,
- auf gleiche Chancen und Bedingungen zu achten,
- das Gewinnmotiv zu ‚begrenzen’,
- rechte Haltung in Sieg und Niederlage’
- ‚echten Einsatz der eigenen Kräfte’“.

Nach diesem Verständnis ist jemand, der nicht unfair ist, noch kein fairer Sportler; die Antonyme bewegen sich also auf verschiedenen Ebenen.

Bei jüngeren und vor allen bei weiblichen Sportlern kann ein noch weiterer Fairnessbegriff festgestellt werden, wie ein Umfrage in Baden-Württemberg ergab. So bezeichnen diese Gruppen auch bestimmte Gerätearrangements bzw. Übungsangebote als „unfair“ und meinen damit „ungerecht, nicht angepasst, zu schwierig oder bloßstellend“[10].

Abschließend ist anzumerken, dass in den Fachbüchern der Begriff „Fairplay“ (oder „Fair Play“) noch gebräuchlicher ist als „Fairness“. Beides wird oft synonym gebraucht, wobei „Fairplay“ eher eine bestimmte Handlungsweise ausdrückt, „Fairness“ dagegen mehr die abstrakte Wertvorstellung betont. Im bayerischen Hauptschullehrplan ist allerdings nur von „Fairness“ die Rede.

1.3. Kooperation

Auch bei der Verwendung des Begriffs „Kooperation“ herrscht nicht immer Einheitlichkeit. Kooperatives Verhalten ist dadurch bestimmt, dass „individuelle Ziele im Rahmen eines gemeinsamen Ziels beibehalten werden. Dabei erleichtern die Individuen anderen das Erreichen individueller Teilziele, sofern diese nicht im Widerspruch zum gemeinsamen Ziel stehen“[11]. Mit kooperativem Handeln werden zum Teil Begriffe wie Altruismus, Konformität, Koalition etc. assoziiert, was aber nicht korrekt ist, da Kooperation weder meint, dass eigene Ziele aufgegeben werden oder die einer Mehrheit verfolgt werden, noch impliziert, dass gemeinsam gegen eine anderen Gruppe mit konkurrierenden Zielen vorgegangen wird. Der Sportwissenschaftlers Anders[12] definiert Kooperation als „die wechselseitige Beziehung zwischen Personen oder Gruppen, durch die ein Ziel in gemeinsamer Anstrengung erreicht und somit eine gemeinsame Belohnung erzielt wird“. Dabei ist anzumerken, dass diese Belohnung nicht für jeden Kooperierenden gleich groß sein muss. Sie könnte vom individuellen Einsatz oder hierarchischen Rang des Akteurs abhängen oder auch für jeden eine andere sein. Wichtig ist das Zusammenarbeiten für ein gemeinsames Großziel, dass das Erreichen eines Teilziels (individuelle Belohnung) erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht.

In Sportspielen hängt der Grad der Kooperation ab von den Spielregeln, deren Umsetzung, der Motivation der Mitspieler, der Form der Belohnung, der Stellung der Spielenden innerhalb des Teams und externen Faktoren (Kontrolle, „Lehrerzwang“). Echte Kooperation verlangt nicht nur Aktion, sondern Interaktion, wodurch der soziale Aspekt von Interaktionsspielen und Kooperationsspielen deutlich wird. Sie beinhaltet keinen Wettbewerb; man könnte sogar sagen, Wettbewerb und Kooperation sind diametral entgegengesetzt. Die Motivation zum Spielen besteht damit aus dem gemeinsamen Lösen einer Aufgabe, die zu einer Belohnung jedes Teilnehmers führt; es gibt keine „Verlierer“.

2. Spiele im Sportunterricht

2.1. Gründe für den Einsatz von Spielen im Sportunterricht

Die weit verbreiteten Kleinen Spiele mit all ihren Varianten sind bei Kindern und Sportlehrern gleichermaßen beliebt. Ursachen ihrer Anwendungshäufigkeit sind ganz verschiedener Natur:[13]

- Ihre Vielfalt an heiteren und abwechslungsreichen Formen machen den Spielern einfach Freude. Durch kooperatives Handeln werden Kontakte gefördert, das Kennenlernen wird erleichtert, Vertrauen entwickelt sich und Gruppenbildungen setzen ein.
- Viele Spiele sind leicht erlernbar; sie verlangen wenige Grundfertigkeiten und sind deshalb sofort von den meisten spielbar; Erfolgserlebnisse stellen sich schnell ein.
- Die Situation entwickelt sich ständig, so dass Spannung im Spiel herrscht und die Spieler fesselt. Der Spielverlauf ist jedes Mal anders, der Ausgang meist ungewiss.
- Die Spiele haben meist Wettbewerbscharakter und spornen zu höchstem Einsatz an, ohne jedoch Sieg und Niederlage zu stark zu betonen; der Spaß steht im Vordergrund.
- Selbständige Entscheidungen bestimmen das Spielhandeln; es gibt eine Fülle von Bewegungsmöglichkeiten, auch innerhalb der Spielregeln.
- Viele Spiele können schnell und unter einfachsten Bedingungen gespielt werden.
- Mit dem Einsatz von Kleinen Spielen können sowohl sportartunabhängige Ziele verfolgt werden als auch sportartspezifische und sportspielvorbereitende Fähigkeiten und Fertigkeiten geschult werden.
Einen einheitlichen didaktischen Ort für Spiele im Sportunterricht zu nennen, ist nicht möglich. Vielmehr hängt der Einsatz von Aufgabe und Charakter des jeweiligen Spiels ab:
- in der Einleitung einer Sportstunde im Sinne einer Erwärmung oder, um den Bewegungshunger zu stillen
- zur Auflockerung von Stundenteilen
- als Stundenausklang zum Beruhigen nach hohen Belastungen
- als Vorbereitung auf Sportspiele oder
- als eigene Spielstunden

2.2. Werteerziehung durch Spiele?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Spielerziehung“, d.h. Erziehung zum und durch das Spiel(en), ist ein Begriff, der in der pädagogischen Literatur immer wieder auftaucht. In der Sportpädagogik wird darunter natürlich vor allem die Vermittlung von Werten durch Bewegungsspiele verstanden. Ohne die Einhaltung gewisser Verhaltensgrundsätze ist humanes und erfolgreiches Spielen nicht möglich. „Insgesamt läuft die erzieherische Einflussnahme in den Bewegungsspielen vor allem auf die Erziehung zu sozialen Verhaltensweisen, auf Gemeinschaftspflege und die Erziehung zur Fairneß hinaus“[14]. Besonders in den siebziger Jahren fand die Idee der Werteerziehung durch Spiele großen Zuspruch; in den USA entstand gar eine neue Spielebewegung, die so genannten „ New Games “. Diese „Neuen Spiele“ sind allerdings gar nicht so neu; was sich verändert hat ist vielmehr die Einstellung zum Spiel. Es wird ohne Schiedsrichter gespielt, Fairness ist oberstes Gebot und die Gemeinsamkeit wird besonders betont. Vielfach meinen Verfechter der Spielerziehung schlussfolgern zu können, „dass der spielerische Geist auch vor unserer Arbeit und unserem Leben nicht Halt macht“[15]. Leider konnte sich diese hohe Erwartung nicht erfüllen. Die Anhänger der New Games entstammten der Anti-Kriegsbewegung in Amerika um 1970 und waren alle gleicher Gesinnung. Ihre Freude an freiwilligem wettbewerbslosen Spielen ließ sich nicht auf Schule und Kinder übertragen. Diese Enttäuschung manifestierte sich in einem Vernachlässigen der Diskussion über Möglichkeiten der Erziehung durch Spiele, die sich erst wieder Anfang der neunziger Jahre entfachte und nun mit veränderter und realistischerer Zielsetzung stattfindet.

Die Analysen der Spielpraxis sowohl in nicht-sportlichen als auch in den Kleinen Spielen und Großen Sportspielen belegen, dass Bildung und Erziehung als Funktion von (Bewegungs-) Spielen in den verschiedensten Formen existieren. Fraglich ist jedoch, ob bei pädagogischer Inanspruchnahme des Spiels trotz guter Absichten nicht der Spielcharakter zerstört und die Spielwirklichkeit verloren geht, was natürlich auch negative Auswirkungen auf die gesteckten Ziele hat. Ein charakteristisches Merkmal des Spiels ist doch seine Zweckfreiheit. Diese muss auf jeden Fall für den Spieler subjektiv vorhanden sein, auch wenn sie, objektiv betrachtet, vom Spielleiter „angetastet“ wird, da er das Spiel ja zweckgebunden einsetzt.

[...]


[1] vgl. Pühse 1994, S.15ff

[2] Dass dies kein neues Problem ist, soll eine historische Zitatsammlung (siehe Anlage A) zeigen.

[3] vgl. Bach et al. 1984; Klockhaus/ Habermann-Morbey 1986; Engel/ Hurrelmann 1989, zit. aus: Pühse 1994, S.15

[4] In dieser Arbeit wird aus stilistischen Gründen nicht immer gesondert die weibliche Form ergänzt: „Lehrer“ meint also „Lehrer und Lehrerinnen“.

[5] Anmerkung: Zitate werden übernommen, wie sie in der Originalliteratur gefunden wurden, d.h. sie werden auch nicht der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.

[6] Pühse 1990, S.32

[7] vgl. Luther/ Hotz 1998, S. 33ff

[8] Olympiasieger 1960 im Rudern und Vizepräsident der Weltgesellschaft für Philosophie

[9] zit. aus Luther 1996, S. 321

[10] Geßmann in Gerhardt/ Lämmer 1995, S. 128

[11] Bittner 1985, S. 14

[12] in: Beyer 1987, S. 339

[13] vgl. Döbler 1996, S. 20f

[14] Döbler 1996, S.29

[15] Andrew Fluegelman, ein Anhänger der New Games -Bewegung, in: Döbler 1996, S. 29

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832479091
ISBN (Paperback)
9783838679099
DOI
10.3239/9783832479091
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg – Pädagogik, Philosophie, Psychologie
Erscheinungsdatum
2004 (April)
Note
1,0
Schlagworte
sport lernen schulunterricht spiel
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