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Schriftspracherwerb. Die Aneignung der Schriftsprache anhand eines konkreten Beispiels einer Schülerin innerhalb der Jahrgangsstufen eins bis drei

©2015 Hausarbeit 28 Seiten

Zusammenfassung

Der Schriftspracherwerb ist ein wesentliches Bildungsziel in der Primarstufe und beschäftigt sich mit dem Erwerb einer bestimmten Einzelsprache, der Lateralität sowie der schriftlichen Handlungskompetenz. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich der Schriftspracherwerb zuerst mit der phonologischen Bewusstheit, später mit der Phonem-Graphem-Zuordnung und daraufhin mit der Orthographie sowie mit dem Erwerb einer Rechtschreibung.
Zudem ist der Erwerb von Lesen und Schreiben ein Gegenstand vieler unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen, wie Grundschulpädagogik, der Fachdidaktik Deutsch, der Sprachwissenschaft, der Linguistik, der Psychologie, der Spracherwerbsforschung, Deutsch als Zweit- und Sondersprache sowie der Inklusionspädagogik.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



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1. Was ist Schriftspracherwerb?
Der Schriftspracherwerb ist ein wesentliches Bildungsziel in der Primarstufe und beschäftigt
sich mit dem Erwerb einer bestimmten Einzelsprache, der Lateralität
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sowie der schriftlichen
Handlungskompetenz. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich der Schriftspracherwerb zuerst mit
der phonologischen Bewusstheit, später mit der PhonemGraphemZuordnung und daraufhin
mit der Orthographie sowie mit dem Erwerb einer Rechtschreibung.
Zudem ist der Erwerb von Lesen und Schreiben ein Gegenstand vieler unterschiedlicher
wissenschaftlicher Disziplinen, wie Grundschulpädagogik, der Fachdidaktik Deutsch, der
Sprachwissenschaft, der Linguistik, der Psychologie, der Spracherwerbsforschung, Deutsch als
Zweit und Sondersprache sowie der Inklusionspädagogik (Vgl. SchründerLenzen, S.15).
Der Begriff wurde erstmals von dem Psychologen Eugen Weigl 1976 verwendet, um die
bisherigen Fortschritte in Sprache und Schrift zu beschreiben (Vgl. Topsch, S.10 f.,
Füssenich/Löffler S.18).
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Die Lateralität beschreibt die Beherrschung von feinmotorischen Tätigkeiten, die sich in diesem Zusammenhang
auf die dominante Hand des Schreibers beziehen.
2. Formen der Schriftsprache
Man unterscheidet grundsätzlich drei verschiedene Formen der Schriftsprache. Hierzu zählen
die ideographische, die logographische und die phonographische Schriftsprache, die im
weiteren Verlauf näher erläutert werden.
Als ideographische Schriften lassen sich beispielsweise die Bildschrift der Eskimo, die
Hieroglyphen der Ägypter oder die Wandmalerei der Höhlenmenschen nennen. Diese Schrift
ermöglicht es, denjenigen eine Handlung nachvollziehen zu lassen, der keinerlei
Sprachkenntnisse beherrscht. Dies ist möglich, da die Zeichen unmittelbar auf den gemeinten
Inhalt verweisen und nicht auf das Wort einer Sprache. Somit ist die ideographische Schrift in
ihrer Verschriftlichung vollkommen unabhängig von einer bestimmten Einzelsprache. Eben
solche Zeichen, die immer noch häufig verwendet werden, nennt man Piktogramme
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. Diese
können an Orten sinnvoll sein, an denen Leute mit verschiedenen Schriftsprachen aufeinander
treffen können. Sie werden häufig verwendet, da sie fast weltweit einheitlich sind.
Um die logographische Schrift nähergehend erklären zu können, benötigt man das Wissen,
dass das Wort aus zwei untrennbar miteinander verbundenen Seiten besteht: dem signifiant
und dem signifié. Das signifiant bezeichnet das Gemeinte, das signifié das Wort, welches das
Gemeinte bezeichnet. Bei logographischen Schriften verweisen die Schriftzeichen auf das
Wort, welches das Gemeinte bezeichnet. Ein gutes Beispiel für eine logographische Schrift
stellt die chinesische Schrift dar, da es unterschiedliche Zeichen für die einzelnen Wörter gibt.
Damit einhergehend ist natürlich ein umfassendes Zeichenrepertoire der chinesischen Schrift
unvermeidbar. Aufgrund der vielen, aber doch sehr ähnlichen Dialekte in China, wäre eine
lautorientierte Schrift ebenfalls weniger sinnvoll.
Die deutsche Schrift ist eine phonographische Schrift, da sie jedem gesprochenen Phonem ein
geschriebenes Graphem zuordnet. Die Schrift, die dem phonologischen System folgt, gibt eine
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Ein Piktogramm ist eine vereinfachte Darstellung bzw. ein Symbol, welches eine Information vermitteln soll. Der
Wortursprung stammt aus dem Lateinischen pictum (gemalt) und dem Griechischen gráphein (schreiben).

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genaue Auskunft über die phonologische Gestalt der Wörter wieder.
Dies ist besonders sinnvoll, wenn sich Wörter einer Einzelsprache durch Pluralbildung, Tempus
oder Person am Wortstamm verändern und nicht ausschließlich Flexionsmorpheme
angehangen werden (Vgl. Steinig, S.93 ff.).
2.2 Didaktik des Schriftspracherwerbs
Um eine phonographische Schrift zu erlernen, hier speziell die deutsche Sprache, können zwei
unterschiedliche Methoden zum Schriftspracherwerb genutzt werden. Man unterscheidet die
Buchstabier und Lautiermethode kontrovers voneinander, sowie die analytische und die
synthetische Methode.
a) Buchstabier und Lautiermethode
Bei der Buchstabiermethode werden die Buchstaben bei ihrem Namen genannt, sodass es
beispielsweise bei den Buchstaben F oder P zur Aussprache [ef] oder [pe] kommt. Dies kann
Schwierigkeiten beim Buchstabieren mit sich bringen, da ein Graphem durch zwei Phoneme
geäußert wird. Die Lautiermethode entstand als Gegenbewegung zur Buchstabiermethode, da
man das Buchstabenlernen als eine Erschwernis sah. Sprachlernende sollte das einzelne
Graphem als Laut näher gebracht und das Buchstabenlernen somit zu erleichtert werden (Vgl.
Topsch, S.49 f.).
c) analytische und synthetische Methode
Die analytische Methode umschreibt das Erlernen von Wörtern und Sätzen, was später anhand
einer Analyse auf die einzelnen Elemente, die der Grapheme, zurückführen soll. Die,
insbesondere in den 60ziger Jahren vertretende, synthetische Methode sieht das Erlernen der
einzelnen Laute bzw. Grapheme als Ausgangspunkt für den Schriftspracherwerb an. Die beiden
vorgestellten Methoden gerieten in den 80ziger Jahren in eine kontroverse Diskussion, die
einige empirische Untersuchungen zur Folge hatten. Hierbei stellte sich heraus, dass keine der
beiden Methoden die Bessere ist, da die Kinder keiner strikten Methodik folgen und sich die
Sprache nach ihren eigenen Regeln selbst aneignen (Vgl. Topsch, S.53 ff.).
2.3 Schriftspracherwerbsprinzipien
Die deutsche Orthographie lässt sich als ein Zusammenspiel von wenigen Strukturmerkmalen
oder grundlegenden Prinzipien, die der Schreiber beherrschen sollte oder zu beherrschen lernt
erklären. An den Schreiber stellen diese Prinzipien hohe Anforderungen, um eine möglichst
leserfreundliche Schrift zu gewährleisten. Demzufolge beinhaltet die Schreibung vier
unterschiedliche Typen von Informationen, die sich auf die phonologischen über die silbischen,
bis hin zur morphologischen und orthographischen (oder: wortübergreifenden
grammatischen) Ebene erstreckt.
a) Phonologisch
In der alphabetischen Schrift trägt die Schrift Informationen über die phonologische Gestalt
der Wörter. Hierbei werden den Phonemen Grapheme zugeordnet. Phoneme können einem
einzelnen Buchstaben oder einer Buchstabenkombinationen entsprechen, wie zum Beispiel

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dem [] (geschrieben: <sch>). Bei den unten aufgeführten Wörtern findet die Phonem
GraphemZuordnungen fast eins zu eins statt, sodass eine orthographisch korrekte Schreibung
möglich wäre.
Phonologische Wortform
Schreibung gemäß dem phonologischen Prinzip
/ne:bn/
neben
/zy:s/
süß
Bei der phonologischen Erfassung von Wörtern muss jedoch immer von der Standardvarietät
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der Sprache ausgegangen werden, da eine dialektale Färbung die phonologische Wortform
stark verändern könnte.
Beispiel: Das Kind würde das Wort <Bälle> vermutlich *<bele> schreiben, da es genau so
schreibt, wie es das Wort ausspricht (Vgl. Steinig/Huneke, S. 99).
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Die Standardvarietät stellt die standardisierte Varietät einer Einzelsprache dar. Die Gesamtheit aller Varietäten
einer Sprache nennt man eine Standardsprache.
b) Silbisch
Viele Schreibungen weichen vom phonologischen Prinzip ab, sodass die Schreibsilbe sowie die
Sprechsilbe zügiges Lesen unterstützen müssen. Zu erkennen ist dies anhand des Wortes
<sprichst>, welches phonographisch *<schprichst> geschrieben werden würde. Da die
Anfangssilbe des Wortes jedoch sehr unübersichtlich und lang wäre und das Auge diese nicht
schnell genug erfassen könnte, werden lange Silben vermieden. Dies vermeidet man auch bei
den Wörtern <Strumpf> und <Splint> in der Anfangssilbe, um die Schreibsilbe für den Leser
übersichtlicher zu machen.
Ähnlich wird auch das silbeninitiale <h> verwendet, welches ebenfalls das Lesen erleichtern
soll. Dieses <h> ist in der gesprochenen Sprache nicht zu hören, sodass die Wörter <sehen>
und <ruhen> phonographisch *<seen> und *<ruen> geschrieben werden müssten. Jedoch
ginge aus dieser Schreibung nicht eindeutig hervor, dass es sich um zweisilbige Wörter handelt
und eine fehlerfreie und zügige Worterkennung wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls nur
schwer zu erkennen.
Bei den Wörtern <Jahr> oder <Lehm> wird die Schreibung mit dem Dehnungs<h> deutlich,
welches über die silbische Gliederung eines Wortes hinausgeht. Das Auftreten des Dehnungs
<h> beschränkt sich auf vier Konsonanten, vor denen es häufig steht. Hierzu zählen m, n, l und
r. Diese Laute stehen meist vor komplexen Silbenrändern und nach einem kurzen Vokal, sodass
das Dehungs<h> die silbischen Verhältnisse, auch in komplexen Komposita, schneller und
sicherer erfassen lassen soll. Trotzdem wird das Dehnungs<h> in den meisten Fällen
weggelassen (beispielsweise Tal und Bär).
Auch die Schreibung eines doppelten Konsonanten fällt in die silbische Erfassung von Wörtern.
Sie zeigen ein Silbengelenk an, wobei der Konsonant zwischen den Silben eine doppelte
Funktion erfüllt. Hierbei muss beim Schriftspracherwerb besonders darauf geachtet werden,
dass das Kind den Unterschied zwischen einem konsonantischen und einem vokalischen
Silbenrand erkennt. Dies lässt sich sehr einfach durch den Öffnungsgrad des Kiefers
festmachen, der bei Vokalen einen hohen und bei Konsonanten einen geringen Öffnungsgrad
erreicht. Um eine Silbe als kurz aussprechen zu können, müssen sie konsonantisch enden, da
es sonst der intervokalische Konsonant in der Öffnungsbewegung der darauffolgenden Silbe
gebraucht wird und es somit zu einer doppelten Funktion dieses Konsonanten kommt.

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Die Sprechsilbenstruktur wird nach Fikkert (1994) und Freitas (1997) schon in den ersten
beiden Lebensjahren erworben, was gute Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb
darstellt. Laut Huneke (2000) wird durch Singen und das Aufsagen von Abzählversen bereits im
Vorschulalter ein Zugang zum Silbengelenk aufgezeigt, da die Wörter häufig silbisch gegliedert
gesprochen werden. In der ersten Jahrgangsstufe wird diese Aneignung durch das
Silbenklatschen gemeinschaftlich gestärkt.
Beispiel: Das Kind hat nun gelernt, dass es doppelte Konsonanten gibt und schreibt das Wort
<Bälle> nun *<belle> (Vgl. Steinig/Huneke, S. 99 f.).
c) Morphematisch
Die morphematische Information lässt sich vom Wortstamm eines Wortes ableiten. Ein Kind
würde das Wort <schwirren> nach phonologischen und silbischen Informationen *<schwiren>
schreiben, da es aufgrund mangelnder Informationen und womöglich zur Ähnlichkeit des
Wortes Wirt keinen Anhaltspunkt für eine alternative Schreibung hätte. Wenn es durch die
morphematische Information aber lernt, dass das Wort <schwirrt> von schwirren kommt, wird
ihm die Verwandtschaft der Wörter deutlich. Der Leser erkennt somit vereinzelte
Wortbausteine wieder und kann diese auf eine morphematische Verwandtschaft beziehen.
Dies erleichtert ebenfalls das Lesen einzelner Wörter.
Auch die Auslautverhärtung ist durch den morphematischen Wortstamm einfacher zu
verstehen. Ein Schreibanfänger würde <Hund> durch die Auslautverhärtung *<Hunt>
schreiben. Wird ihm aber deutlich, dass das Wort <Hund> ein Nomen ist, welches einen Plural
aufweist, so kann ihm die Schreibung durch die Pluralbildung <Hunde> erleichtert werden, da
nun kein verhärteter Auslaut mehr zu hören ist. Ein weiteres Beispiel wäre das Wort <lieb>,
welches durch die Auslautverhärtung anhand phonologischer Informationen *<liep>
geschrieben werden würde. Da <lieb> aber eine morphematische Verwandtschaft zum Wort
<lieben> hat, wird deutlich, dass die Auslautverhärtung nicht phonographisch sein kann (Vgl.
Steinig/Huneke, S. 101).
Beispiel: Das Kind hat nun gelernt, dass das Wort <Bälle> einen Wortstamm besitzt und vom
Wort Ball abgeleitet wird. Es schreibt das Wort nun wie folgt: *<bälle>.
d) Orthographisch
Die orthographische Information wird häufig auch als ,,wortübergreifende grammatische
Information" bezeichnet und beinhaltet die Substantivierung, die Großschreibung am
Satzanfang sowie die Interpunktion.
Die Substantivierung ist ein Mittel der Schreibung und erleichtert nur das Lesen, da in anderen
Sprachen (zum Beispiel das Englische) auch Substantive klein geschrieben werden und dies
keinerlei Beeinträchtigung vorweist. Die Substantivierung kann auch erst im
Satzzusammenhang erkannt werden, dies zeigt folgendes Beispiel:
Sie sitzt am Tisch.
,,Aber tisch nicht zu viel auf."
Im ersten Satz ist Tisch das Substantiv und wird dementsprechend groß geschrieben, im
zweiten jedoch ist tisch das Verb und wird klein geschrieben.

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Auch die Großschreibung sowie die Interpunktion sind ausschließlich syntaktische Mittel und
zeigen die Grenzen eines Satzes an bzw. geben eine syntaktische Struktur vor (Vgl.
Steinig/Huneke, S. 102 f.).
2.4 Schriftspracherwerbsmodelle
Bezüglich des Schriftspracherwerbs wurden schon mehrere Modelle entworfen, die die
Aneignung des eben solchen verdeutlichen sollen. In diesem Kontext werden nun die
Schriftspracherwerbmodelle von Gudrun Spitta (1994) und Klaus B. Günther (1984)
nähergehend erläutert.
Die ,,Schreibentwicklungstabelle", wie Spitta ihr Modell nennt, ist in sechs
aufeinanderfolgende Phasen unterteilt. Es soll die ,,Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit des
frühen Kindes und Schulalters" darstellen. Aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse des Kindes
lassen sich die sechs Stufen voneinander unterscheiden. Diese Erkenntnisse beeinflussen laut
Spitta die Schriftlichkeit des einzelnen Kindes.
Phase
Name der Phase
Alter (schätzungsweise)
1
Vorkommunikative Aktivitäten
Ab dem 2. Lebensjahr
2
Vorphonetisches Stadium
Ab dem 2. Bis 5. Lebensjahr
3
Halbphonetisches Stadium
Ab dem 4. Bis 6. Lebensjahr
4
Phonetische Phase
Ab dem 5. Bis 7. Lebensjahr
5
Phonetische Umschrift mit Integration typischer
Rechtschreibmuster
Ab dem 6. Bis 7. Lebensjahr
bis hin in das 1. Oder 2.
Schuljahr
6
Übergang zur entwickelten Rechtschreibfähigkeit
Ab dem 8. Bis 9. Lebensjahr
bis hin zum 2. Oder 3.
Schuljahr
In die erste Phase, die der ,,vorkommunikativen Aktivitäten", werden die ersten
Schreibversuche der Kinder gefasst. Sie versuchen mit Papier und Stift etwas zu
verschriftlichen, was man als ,,Kritzeleien" bezeichnen kann. Da Kinder in dieser Phase noch
nicht kommunizieren können, nennt man dies die vorkommunikative Phase. Diese tritt
meistens ab dem 2. Lebensjahr ein.
Die Phase des ,,vorphonetischen Stadiums" kann schon ab dem zweiten bis fünften Lebensjahr
eintreten und umschreibt eine kommunikative Absicht in den ,,Kritzeleien" von Kindern. Häufig
werden bereits Großbuchstaben oder Vorformen solcher verinnerlicht sowie verschriftlicht.
Jedoch können Kinder in dieser Phase noch keine PhonemGraphemZuordnung herstellen,
sodass es nicht selten vorkommt, dass BildBuchstabenKombinationen auftreten.
Im Alter von vier bis sechs Jahren kann das ,,halbphonetische Stadium" erreicht werden, in
dem Kinder die Zuordnung von Phonemen und Graphemen kennenlernen. Das Kind versucht
somit, eine lautgetreue Schreibung zu ermöglichen, wobei oft nur deutlich herauszuhörende
Laute bzw. Lautgruppen schriftlich fixiert werden. Zudem sind meist noch nicht alle
Buchstaben erlernt worden, sodass nur bekanntes Buchstabenmaterial wiedergegeben
werden kann. Dies führt dazu, dass markante Konsonanten oder Vokale repräsentativ für ein
Wort stehen können.

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Die darauffolgende ,,phonetische Phase", die zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr
anzusiedeln ist, zeigt eine deutliche Besserung der phonetischen Schreibweise. Es kann
gelingen, ein Wort anhand phonetischer Erkenntnisse vollkommen richtig niederzuschreiben,
dennoch bleiben Rechtschreibung und Regelhaftigkeiten unberücksichtigt.
Die Kinder erlernen die Rechtschreibung und erkennen orthographische Besonderheiten
innerhalb syntaktischer Strukturen in der Phase der ,,phonetischen Umschrift, bei der in
zunehmenden Maße typische Rechtschreibmuster integriert werden". Diese Phase
durchlaufen Kinder innerhalb des sechstes bis siebten Lebensjahres, welche sich der ersten
und zweiten Jahrgangsstufe zuordnen lassen. In dieser Phase treten auch erstmals
Übergeneralisierungen auf, wie beispielsweise *<Omer> statt <Oma>, da das Kind die korrekte
Schreibung von <Mutter> erlernt hat und das phonologische [a] dem graphematischen <er>
zuordnet.
Die letzte Phase nach Gudrun Spitta ist der ,,Übergang zur entwickelten Rechtschreibfähigkeit",
in der die grundlegenden Regeln der Rechtschreibung gefestigt werden oder bereits sind.
Hierzu zählen die Substantivierung, die Großschreibung am Satzanfang sowie die
Interpunktion. Diese Phase der Festigung findet zwischen dem achten und neunten Lebensjahr
statt (drittes und viertes Schuljahr).
Klaus B. Günthers ,,Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese und Schreibstrategien"
gliedert sich, im Gegensatz zu Gudrun Spittas Modell, in ausschließlich fünf Stufen. Diese
werden zudem noch einmal in die Kategorien Lesen (Rezeption) und Schreiben (Produktion)
unterteilt. Die Stufen lassen sich aufgrund einer jeweiligen neuen Strategie unterscheiden, was
nicht bedeutet, dass die vorhergehenden Strategien nicht in dieser impliziert sind.
Zu beachten ist, dass Günther seiner ersten Stufe nicht die Bezeichnung ,,1.", sondern ,,0."
Gibt. Diese nullte Stufe nennt sich die ,,präliteralsymbolische Stufe", die den Kindern
verdeutlicht, dass ein zweidimensionales Wort auf einen dreidimensionalen Gegenstand
verweist. Wenn Kindern nun eine dreidimensionalen Gegenstand zu Papier bringen wollen,
stellen sie fest, dass die wichtigen Merkmale dieses Gegenstandes durch zeichnen zu Papier
gebracht werden müssen, da eine realistische Darstellung aller Einzelheiten kaum möglich ist.
Dies wird den Kindern meistens erst bei der Verschriftlichung von Wörtern bewusst und nicht
beim Zeichnen.

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Die darauffolgende Phase stellt die Aneignung des Schriftspracherwerbs anhand des Lesens
dar und wird als ,,logographemische Phase" bezeichnet. Wörter werden durch bekannte
Teilelemente, Wortlängen und Buchstaben erkannt und identifiziert. Dies führt häufig zur
Verwechslung von Buchstaben und deren Positionen innerhalb eines Wortes, was deutlich
mittels der darauffolgenden Verschriftlichung dieser Wörter zu erkennen ist. Eine Auslassung
einzelner Buchstaben ist hierbei keine Seltenheit.
Die zweite Stufe, welche als ,,Phonetische Phase" bezeichnet wird, beinhaltet die Phonem
GraphemKorrespondenz und ermöglicht somit das Lesen und Schreiben bisher unbekannter
Wörter. Durch die nun erlernte phonologischgraphematische Schreibweise kommt es häufig
zu unterschiedlichen Schreibungen von Wörtern. Auch bei bereits bekannten Wörtern kommt
es nun zu Fehlern, da das Kind meist schreibt, wie es spricht.
Die orthographische Phase orientiert sich an der kleinsten bedeutungstragenden Einheit, dem
Morphem, sowie der Silbe und Buchstabensequenzen. Das Kind erlernt anhand dieser kleinen
Einheiten, wie Wörter gebildet werden und welche Regeln dies mit sich bringt. Mit dieser
Phase ist der Schriftspracherwerb abgeschlossen, da zunächst die orthographische Phase nur
auf die Rezeption angewandt wird. Dies geschieht, da die Lesekompetenz der
Schreibkompetenz voraus ist. Jedoch ist die Anwendung auf die spätere Produktion als
wichtiger einzustufen.
Die ,,integrativautomatische Phase" beschreibt keine neuen Erkenntnisse, sondern die
Entwicklung der Schriftsprache eines kompetenten Lesers und Schreibers.
2.5 Problematiken beim Schriftspracherwerb
a) Übergeneralisierungen
Übergeneralisierungen sind insbesondere im Bereich der Orthographie zu finden, da ein Kind,
das eine neue Rechtschreibregel erlernt hat, diese nun auf jedes scheinbar zutreffende Wort
anwendet. Zumeist sind diese Regeln noch nicht verinnerlicht oder nur zum Teil verstanden
worden. Insbesondere die phonologische Gestalt von Wörtern kann Kindern hierbei
Schwierigkeiten bereiten. Eine Übergeneralisierung ist somit zu Anfang kein direkter Fehler, sie
zeigt ausschließlich an, dass das Kind eine neue Regel anwenden kann. Treten
Übergeneralisierungen jedoch trotz Korrektur weiterhin auf, sei dem nachzugehen.
Auch im Sprachgebrauch kann es durch das Kind zu Übergeneralisierungen kommen. Nennt
das Kind jeden Vierbeiner einen Hund, so ist dies ebenfalls eine Übergeneralisierung.
b) Legasthenie
Paul Ranschburg prägte 1916 den Begriff der Legasthenie (lat. Legere=lesen; griech.
Astheneia=Schwäche), indem er Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und
Rechtschreiben beschrieb. Er differenzierte hierbei noch einmal die Lese und
Schreibleistungen von Mädchen und Jungen sowie die gesonderte Situation von
zweisprachigen Kindern. Nachträglich wurde in die Definition von Legasthenie auch die
Intelligenz der Kinder mit aufgenommen, die mindestens durchschnittlich sein musste. Dieser
Aspekt wurde jedoch kurze Zeit später wieder revidiert, da auch Kinder mit geringerer
Intelligenz ein Anspruch auf Förderung haben. Mit der Diagnose einhergehend sind die
Nichtberücksichtigung der Rechtschreibung und eine bereits genannte, besondere Förderung
verbunden, sodass es zu einer Ungerechtigkeit kommen kann. 1978 wurden jedoch die

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783961161676
ISBN (Paperback)
9783961166671
Dateigröße
2.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau – Germanistik
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
Schriftsprache Lateralität Handlungskompetenz Phonem Graphem Phonem-Graphem-Zuordnung
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