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Kleinstaaten in den internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert

Das Fürstentum Liechtenstein – Strategien und Rollenverständnisse

©2014 Diplomarbeit 92 Seiten

Zusammenfassung

Kleinstaaten sind in vielerlei Hinsicht besondere Akteure auf der Bühne der internationalen Politik: Sie zählen wenig Einwohner, besitzen kaum ökonomische und verfügen kaum über militärische Macht. Und nichtsdestotrotz müssen sie in einer weitgehend anarchisch organisierten Welt ihre eigene Unabhängigkeit immer wieder gegen ungleich größere und in allen Bereichen potentere Staaten behaupten, wollen sie nicht als eigenständige Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft von der politischen Landkarte verschwinden. Dabei sind ihren Möglichkeiten der kleinstaatlichen Außenpolitik durch die personellen und materiellen Ressourcen enge Grenzen gesetzt. Einige Kleinstaaten betreiben gar seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten erst Außenpolitik.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Haas, Robert: Kleinstaaten in den internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert.
Das Fürstentums Liechtenstein ­ Strategien und Rollenverständnisse, Hamburg,
Diplomica Verlag GmbH 2015
PDF-eBook-ISBN: 978-3-95636-856-1
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2015
Zugl. Universität Potsdam, Diplomarbeit, 2014
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http://www.diplom.de, Hamburg 2015
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Erkenntnissinteresse ...1
Politikwissenschaftliche Relevanz ...2
Methode und Aufbau der Arbeit ...3
Literatur- und Forschungslage ...4
2.
Der Kleinstaat als Forschungsobjekt
- Definitionsansätze und Theorien
2.1. Staat ­ Kleinstaat ­ Mikrostaat
Versuch einer Abgrenzung des Begriffes Mikrostaat ...7
2.2. Das Fürstentum Liechtenstein ­ ein Mikrostaat? ...10
2.3. Begriffserklärung Außenpolitik ...10
2.4. Kleinstaaten und ihre Rollenverständnisse im internationalen System ...12
2.4.1. Der Integrationsskeptiker ...15
2.4.2. Der Pragmatische Mitspieler ...17
2.4.3. Der Selbstbewusste Partner ...19
2.5. Außenpolitische Strategien von Mikrostaaten ...21
2.6. Mikrostaaten in den internationalen Beziehungen ­
Motive für eine Mitgliedschaft ...25
2.7. Kleinstaaten und die Herausforderungen der Interdependenz ...27
2.8. ,,Outsourcing" mikrostaatlicher, hoheitlicher Aufgaben ...28
3. Liechtensteins traditionelle und aktuelle Außenpolitik
3.1. Liechtensteins internationale Beziehungen im Wandel der Geschichte ...31
3.2. Liechtensteins außenpolitischer Aufbruch ...32
3.3. Liechtensteins Neutralität ­ Geschichte und Ausblick ...33
3.4. Die politischen Träger der liechtensteinischen Außenbeziehungen ...35
3.5. Außenpolitische Ziele und Prioritäten des Fürstentum Liechtensteins ...38

4. Liechtenstein in den internationalen Beziehungen -
Rollenverständnisse
und
Strategien
4.1. Bilaterale Beziehungen
4.1.1. Die Beziehung zur Schweiz ...41
4.1.2. Beziehungen zu Österreich ...43
4.1.3. Beziehungen zu anderen Staaten ...44
4.1.4. Liechtensteins Rollenverständnis gegenüber seinen Nachbarstaaten
und in den bilateralen Beziehungen ...47
4.2. Multilaterale europäische Beziehungen
4.2.1. Liechtenstein und Europa ­ Integration in die Europäische Union ...49
4.2.1.1. Indirekte Zusammenarbeit und Integration mit der EU ...49
4.2.1.2. Direkte Zusammenarbeit und Integration mit der EU ...52
4.2.1.3. Der europäische Integrationswille Liechtensteins
mit Zukunftsausblick ...58
4.2.2. Liechtensteins Rollenverständnis in seinen multilateralen
europäischen Beziehungen ...61
4.3. Multilaterale globale Beziehungen
4.3.1. Die Vereinte Nationen ...63
4.3.1.1. Mikrostaaten und die Vereinten Nationen ...63
4.3.1.2. Liechtensteins Weg in die Vereinten Nationen ...64
4.3.1.3. Aspekte und Prioritäten aktueller liechtensteinischer UN-Politik ...67
4. 3.2. Liechtensteins Rollenverständnis gegenüber der UN und
in den globalen multilateralen Beziehungen ...69
5.
Herausforderungen und Zukunft eines Mikrostaates
5.1. Mikrostaaten und die Herausforderungen der Globalisierung
Wo liegen Lichtensteins Chancen? ...71
5.2. Fazit und Ausblick ­ Rollenverständnisse und Strategien ...74
6. Verzeichnisse
6.1. Literaturverzeichnis ...81
6.2. Quellenverzeichnis ...86
6.3. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ...88

Abkürzungsverzeichnis
Abl.
Amtsblatt der EG/EU
Abs.
Absatz
Art.
Artikel
BuA
Berichte und Anträge der Regierung Liechtenstein
bzw.
beziehungsweise
DBA
Doppelbesteuerungsabkommen
Doc./Dok. Document/Dokument
EFTA
European Free Trade Association / Europäische
Freihandelsassoziation
EG
Europäische
Gemeinschaft
EGMR
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
EU
Europäische
Union
EWG
Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer
Wirtschaftsraum
FATF
Financial Action Force on Money Laundring
(Geldwäsche-Ausschuss der OECD)
IAEA
International Atomic Energy Agency
IAEO
Internationale
Atomenergieorganisation
IGH
Internationaler Gerichtshof (UNO)
KSZE
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
LGBL
Landesgesetzblatt
(Liechtenstein)
LV
Landesverfassung
Liechtenstein
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
OSZE
Organisation
für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
SIS
Schengen
Information
System
UN
United Nation / Vereinte Nationen
UNO
United Nations Organisation
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume / Ausgabe
WTO
World
Trade
Organisation
z.T.
zum
Teil

1
1. Einleitung
Erkenntnissinteresse
Kleinstaaten sind in vielerlei Hinsicht besondere Akteure auf der Bühne der
internationalen Politik: Sie zählen wenig Einwohner, besitzen kaum ökonomische und
verfügen kaum über militärische Macht. Und nichtsdestotrotz müssen sie in einer
weitgehend anarchisch organisierten Welt ihre eigene Unabhängigkeit immer wieder
gegen ungleich größere und in allen Bereichen potentere Staaten behaupten, wollen sie
nicht als eigenständige Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft von der
politischen Landkarte verschwinden. Dabei sind ihren Möglichkeiten der kleinstaatlichen
Außenpolitik durch die personellen und materiellen Ressourcen enge Grenzen gesetzt.
Einige Kleinstaaten betreiben gar seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten erst
Außenpolitik.
Entgegen der Auffassung der ,,Realistischen Schule" hat der Kleinstaat überlebt und
scheint weiterhin eine beliebte Gesellschaftsform zu sein. Durch die politischen
Umwälzungen ab 1989 stieg der Anteil der europäischen Kleinstaaten bis zum Jahr 1993
erheblich an. Nicht nur in Europa zeigt sich diese Tendenz der Vermehrung von
Kleinstaaten, sonder auch global gesehen. Zurzeit zählen die Vereinten Nationen 185
Mitgliedstaaten ­ von diesen gehören die Mehrzahl zur Kategorie der Kleinstaaten und
Mikrostaaten. Die Erforschung kleiner Staaten in der Politikwissenschaft wurde lange Zeit
sehr unzulänglich behandelt. Kleinstaaten wurden anfänglich von US-amerikanischen
Wissenschaftlern aus im Sinne der ,,Realistischen Schule" untersucht. Erst Jahre später
begannen Wissenschaftler der betroffenen Länder ­ auch im Focus der
Herausforderungen in den internationalen Beziehungen ­ dieses Thema zu erforschen.
Auch die Liechtensteinische Politikwissenschaft brachte hier eine große Anzahl von
Grundlagenliteratur heraus. Auslöser hierfür könnte in der aktiven Kleinstaatenpolitik,
der aktiven Neutralitätspolitik in der Praxis und der wissenschaftlichen
Kleinstaatenbefassung in der Theorie liegen. Ein weiterer Grund hierfür könnte in der
Einsicht Liechtensteins zu finden sein, dass man nun mal ein Mikrostaat ist und so mit
allen Vor- und Nachteilen auf internationalen Parket bestehen muss.
Gerade Liechtenstein bietet hier einen sehr interessanten Forschungsschwerpunkt, da es
zum einen zu den winzigsten Staaten Europas zählt und auch durch seine bilateralen
Verträge zur Schweiz in einer Sonderrolle in den internationalen Beziehungen auftritt.

2
Diese Arbeit soll versuchen, aus liechtensteinischer Perspektive, die außenpolitischen
Rollenverständnisse des Fürstentums gegenüber anderen Staaten und Regionen und zu
Letzt natürlich auch in den internationalen Organisationen zu untersuchen. Hierbei
können Rollenverständnisse als außenpolitische Konzepte verstanden werden, die sich in
den internationalen Beziehungen des Kleinstaates offenbaren. Hauptaugenmerk soll hier
auf die Außenpolitik der letzten 30 Jahre gelegt werden, da bedingt durch den politischen
Umbruch ab 1989 auch das Fürstentum sich neuen außenpolitischen Rahmen-
bedingungen und Herausforderungen ausgesetzt sah. Letztendlich ist in diesen Jahren
auch mit einer aktiveren Außenpolitik des Liechtensteins zu rechnen, da es sich gegenüber
der Schweiz außenpolitisch zu emanzipieren versucht und in internationalen
Organisationen seine Anerkennung als Mikrostaat sucht.
Dem Aspekt der geographischen Größe eines Staates wird besondere Aufmerksamkeit
gewidmet, da die Kleinstaatentheorie hier einen kausalen Zusammenhang zwischen der
Kleinheit und der daraus resultierenden, außenpolitischen Verhaltensmustern sieht. Des
Weiteren soll die Frage nach der Veränderung bzw. Entwicklung der Rollenverständnisse
im Laufe der letzten 30 Jahre beantwortet werden.
Politikwissenschaftliche Relevanz
Die Zahl der souveränen Staaten in der Welt ist seit der Beendigung des Ersten
Weltkrieges stark gestiegen und seit den politischen Umwälzungen in Europa, in den
Anfangsjahren der 1990er, gab es eine regelrechte "Proliferation von Kleinstaaten".
Diese unerwartete Vermehrung souveräner, kleiner Staaten und der sich daraus
ergebenen Problematiken haben das Interesse der Politikwissenschaft an der
Mikrostaatenforschung neu entfacht. Gerade in Europa ist die eingehende Beschäftigung
mit kleineren Staaten im Hinblick auf die EU-Integration und die Herausforderungen der
Globalisierung höchst aktuell. ,,Die Rolle der Kleinstaaten im Haus Europa ist im
geschichtlichen Rückblick gesehen eine durchaus relevante und für die Entwicklung der
europäischen Integration wesentlich. Es ist anzunehmen, dass die Kleinstaaten auch in
Zukunft ihre Rolle wahrnehmen werden."
(Neisser 2003 : 80)
Momentan konzentriert sich die aktuelle Kleinstaatenforschung überwiegend an den
europäischen Staaten und hat dessen politische Systeme, die EU-Integration und eben
ihre Außenpolitik als gegenwärtigen Forschungsschwerpunkt.

3
In dieser Arbeit soll darauf aufbauend, die außenpolitischen Strategien und eben auch
deren Rollenverständnis in den internationalen Beziehungen untersucht werden. Als
neuen Aspekt, und dadurch von politikwissenschaftlichem Interesse, kommt hier die
Untersuchung einmal aus der Innensicht von Kleinstaaten hinzu und nicht wie bisher in
der politikwissenschaftlichen Forschung nur von ,,außen".
Methode und Aufbau der Arbeit
Für die methodische Analyse der außenpolitischen Strategien und des
Rollenverständnisses Liechtensteins in dessen internationalen Beziehungen wurde ein
deduktives Verfahren gewählt. Außenpolitische Entscheidungsträger im Fürstentum
Liechtenstein sind neben dem Fürsten als Staatsoberhaupt auch der liechtensteinische
Landtag und das liechtensteinische Staatsvolk. Für die hier vorliegende Arbeit wurden
Reden, Stellungsnahmen und Positions- und Arbeitspapiere dieser Institutionen als
Quellen ausgewählt um die Sicht aus dem "Inneren" des Fürstentums auf die
internationalen Beziehungen zu beleuchten und zu erläutern. Die außenpolitischen
Vertreter Liechtenstein stammen überwiegend aus dem akademischen Bereich oder
wendeten sich nach dem Ausscheiden aus der Politik der Kleinstaatenforschung zu, so
dass hier einige relevante politikwissenschaftliche Arbeiten vorliegen. Neben
Primärquellen wurde selbstverständlich diese Arbeiten genutzt um die außenpolitischen
Strategien und außenpolitischen Rollenverständnisse herauszuarbeiten und zu
analysieren.
Kleinstaatenforschung, die sich mit dem Rollenverhalten von Kleinstaaten
wissenschaftlich auseinandersetzt, nimmt fortlaufend die Perspektive der Außenansicht
auf das zu untersuchende und beschreibende Objekt ein. Hier muss aber ein
Perspektivwechsel realisiert werden um zu einer Innenansicht zu gelangen. Die
Herausforderung besteht hier nach Fachtermini zu suchen mit denen sich die Kleinstaaten
selbst charakterisieren und identifizieren. So werden Rollenkonzepte definiert, die für die
Einstellungsmuster von Kleinstaaten typisch sind.
Hier beginnt die eigentliche Analyse des liechtensteinischen Rollenverständnisses und der
außenpolitischen Strategien durch Begutachtung der vorliegenden wissenschaftlichen
Literatur. Es wird nach Indikatoren gesucht, die Aufschluss über das Rollenverständnis
und die Strategien geben könnten. Im Bezug auf Liechtenstein sind angemessene
Indikatoren: Situationsrollen, Interessen, Perzeption und Ziele. Um es nicht dazu
kommen zu lassen, dass diese Rollenverständnisse als abstrakte Begriffe da stehen und

4
somit losgelöst von der Realität bleiben, werden die Fakten aus der realpolitischen
liechtensteinischen Wirklichkeit mit einbezogen.
Die Arbeit beginnt mit einem Kapitel über das Forschungsobjekt Kleinstaat. Hier werden
zuerst die verschiedenen Ansätze und Definitionsversuche von Kleinstaatlichkeit
aufgezeigt um dann zu klären ob sie sich auf das Fürstentum anwenden lassen. Es werden
weiterhin drei typische Rollenverständnisse von Kleinstaaten analysiert und eine
Erwartungshypothese für das Fürstentum Liechtenstein formuliert. Auch soll hier die
theoretischen Grundlagen für außenpolitische Strategien von Mikrostaaten und deren
Motive für eine Mitgliedschaft in internationalen Organisationen dargelegt werden. Um
dann abschließend die Frage der Abhängigkeit und das "Outsourcing" kurz zu beleuchten.
Den Anfang des zweiten Teils macht das Fürstentum Liechtenstein und seine historischen
Außenbeziehungen um dann im Folgenden näher auf die politischen Träger der
liechtensteinischen Außenpolitik einzugehen. Die Neutralität Liechtensteins wird hier
ebenfalls einen wesentlichen Punkt einnehmen und die Formulierung der aktuellen
außenpolitischen Ziele und Prioritäten der liechtensteinischen Außenpolitik.
Hiermit soll ein Übergang vom Theorieteil zum dritten Teil, dem Analyseteil, geschaffen
werden. Hier werden anhand der realpolitischen Ebene in den bilateralen Beziehungen,
der multilateralen europäischen und der multilateralen globalen Beziehungen
Rollenverständnisse und Strategien analysiert. Bezug nehmend zu den drei Unterkapiteln
werden Zwischenfazite zum entsprechenden Rollenkonzept formuliert.
Im letzten Teil der Arbeit soll kurz auf die Globalisierung und die daraus resultierenden
Herausforderungen und Chancen für den Mikrostaat Liechtenstein eingegangen werden
um dann im Schlussfazit die eingangs erarbeiteten Erwartungshypothesen noch einmal
aufzugreifen und Fragen zu beantworten. Auch soll hier die Anwendbarkeit der Theorie
am speziellen Beispiel Liechtensteins noch einmal reflektiert werden.
Literatur- und Forschungslage
Innerhalb der Politikwissenschaft wurden wenige Konzepte so stark moniert und dann
trotz allem für politikwissenschaftliche Analysen genutzt wie die der Kleinstaatentheorie.
Hier teilt die Theorie ihr Schicksal mit Realität auf die sie sich bezieht. Sie wurden des
Öfteren schon für nicht mehr existent und ihre Gesellschaftsform für nicht
überlebensfähig
gehalten.

5
Aber todgesagte leben anscheinend länger und der Kleinstaat wird nach momentaner
Einschätzung auch weiterhin existent sein. Hier mag auch der Grund liegen warum die
Kleinstaatenforschung immer wieder ihre Verwendung fand, eben um diese
,,kleinstaatlichen Phänomene" zu erklären und zu ergründen. Hauptsächliches Problem
bestand in der Tatsache, dass Kleinstaaten im internationalen System als Akteur
existieren, sich für die wissenschaftliche Analyse als Einheit aber als untauglich erweisen.
Herangehensweisen und Interessen bei der Analyse kleiner Staaten unterlagen immer
dem aktuellen Zeitgeschehen und der damit verbundenen Sichtweise auf dieses Thema.
Auch waren sie stark von der wissenschaftlichen Herkunft der Autoren und deren
Forschungs- und Theorietradition abhängig. Anfänglich galt das wissenschaftliche
Interesse mehr den Großstaaten und Kleinstaaten wurden erst gar nicht betrachtet.
Bedingt war dies, durch die Dominanz US-amerikanischer Wissenschaftler in der
Politikwissenschaft. Dem Phänomen Kleinstaat wurde erst durch Vertreter der
"Realistischen Schule" Beachtung geschenkt und sich inhaltlich, von der Theorie des
Realismus geprägt, mit der sicherheitspolitischen Fragestellung auseinandersetzten.
Erwähnt werden sollen hier die Werke von Annette Baker Fox: "The Power of small states"
und von David Vital: ,,The inequality of states: a study of the small power in international
relations". Andere Autoren wie Robert Keohane und Marshall Singer beschränkten sich
auf Einzelaspekte des Kleinstaatenphänomens wie Konfliktverhalten, auf kleinstaatliches
Allianzverhalten fokussierte sich Robert Rothstein und Daniel Frei beleuchtet den Aspekt
von Verhalten zum Umgang mit der Gefahr externer Abhängigkeiten.
Den wissenschaftlichen Höhepunkt erreichte die Kleinstaatenforschung bis Ende der
1960er Jahre und wurde dann
aufgegeben.
Seit Ende der 1960er Jahre tauchte das Forschungsthema Kleinstaat auch immer mehr in
der europäischen Wissenschaft auf. Mit zunehmendem Maß beschäftigten sich
Wissenschaftler aus Kleinstaaten wie Österreich, der Schweiz und Liechtenstein mit der
Erforschung Kleinstaatlicher Problematiken. Hier wurde der Kleinstaat aber mehr aus
sozioökonomischen Gesichtspunkten betrachtet und untersucht.
Autoren wie Hans Vogel: ,,Der Kleinstaat in der Weltpolitik", Ottmar Höll; ,,Small states in
Europe and dependence" und Erling Bjøl: ,,The Power oft he Weak" seien hier erwähnt.
Die Kleinstaatentheorie entwickelte sich allerdings nie zu einer relevanten Leittheorie und
auf Grund einer noch immer nicht gefundenen gemeinsamen Definition des Begriffes
Kleinstaat wurde auch hier Ende der 1980er Jahre die Kleinstaatentheorie aufgegeben.

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Erst durch die politischen Umwälzungen in Europa seit dem Beginn der 1990er Jahren
und die dadurch neu entstandenen Kleinstaaten scheint die Kleinstaatenforschung in
Europa wieder ein Comeback zu feiern. Gerade aus den direkt "betroffenen Staaten" ist in
den letzten Jahren eine Vielzahl von wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema
Kleinstaat erschienen. Besonders hervorzuheben sind hier die skandinavischen Länder
und die mitteleuropäischen Kleinstaaten wie Österreich, die Schweiz und eben auch das
Fürstentum Liechtenstein. International gesehen wurden diese Beiträge zur
Kleinstaatenforschung wenig wahrgenommen, wenn nicht sogar ignoriert und in
US-amerikanischen Arbeiten wurde erst gar keine Bezüge zu diesen Arbeiten hergestellt.
Bedingt sicher auch durch die Sprachbarriere, da viele dieser europäischen
wissenschaftlichen Abhandlungen in der jeweiligen Landessprache verfasst wurden.
Weitere Gründe liegen auch in der noch immer sehr US-dominierten Politikwissenschaft
und der Annäherung an das "Kleinstaatenproblem" welches von den amerikanischen
Politologen eher mit kausal argumentierenden Ansätzen begegnet wird. Seit den späten
1990er Jahren ist innerhalb Europas das Verlangen nach und eine Berechtigung für die
Erforschung des Kleinstaatenphänomens existent.
Besonders erwähnenswert für das Fürstentum Liechtenstein ist hier das Liechtenstein-
Institut mit zahlreichen Veröffentlichungen zu relevanten Themen wie: Kleinstaates in der
internationalen Politik, dem politischen Systemen von Kleinstaaten und der EU-
Integration. Erwähnenswerte Autoren, die sich auf liechtensteinischer Seite mit dem
Forschungsbereich Mikrostaaten in den letzten Jahrzehnten auseinandergesetzt haben,
sind Arno Waschkuhn, Gerard Batlinger, Marzell Beck, Erhard Busek, Hans Geser und
Romain Kirt. Zusammenfassend muss hier aber auch gesagt werden, dass die
wissenschaftliche Literatur der Kleinstaatenforschung, auch gerade mit dem
Themeninhalt Fürstentum Liechtenstein, doch sehr unzureichend ist und eher einen
vernachlässigten Teil der Politikwissenschaft darstellt. Bei der Analyse der Literatur für
diese Arbeit trifft man immer auf die oben genannten Autoren und kaum auf "nicht-
liechtensteinische" Vertreter dieses politikwissenschaftlichen Zweiges. Die Zukunft wird
zeigen ob sich die Kleinstaatenforschung als anerkannter wissenschaftlicher Bereich in der
Politikwissenschaft durchsetzten kann.

7
2. Der Kleinstaat als Forschungsobjekt
­ Definitionsansätze und Theorien
2.1. Staat ­ Kleinstaat ­ Mikrostaat
Versuch
einer
Abgrenzung des Begriffes Mikrostaat
Mikrostaaten fallen unter den Oberbegriff Kleinstaaten und können auch als Kleinst- oder
Zwergstaaten bezeichnet werden.
(vgl. Bruha/Gey-Ritter 1998 : 154)
In der wissen-
schaftlichen Literatur werden noch weitere Unterscheidungen getroffen, zu finden sind
hier Begriffe wie Miniaturstaat, Diminutivstaat oder gar Liliputstaat ­ als besonders
kleine Art des Kleinstaates, aber zum Teil werden diese Begriffe auch synonym für
Kleinstaat genutzt.
(vgl. Geser 2001 : 89)
Sowohl für den Klein- als auch für den Mikrostaat
fehlt eine homogene Begriffsbestimmung, sprich es besteht keine Einigkeit darüber, wann
von einem Klein- bzw. Mikrostaat oder eben von einem normalen Staat gesprochen wird.
Zum Teil sehen einige Autoren
(vgl. Ehrhardt 1970 : 8 ff.)
in den verwendeten Begriffen eine
Geringschätzung oder sogar Diskriminierung der Kleinstaaten. In dieser Arbeit soll der
Begriff Mikrostaat daher eine neutrale Anwendung finden und als Synonym für
Kleinststaat, Zwergstaat oder Ministaat verwendet werden. Der Begriff Mikrostaat wird
zwar zur Beschreibung kleiner Staaten in der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen
Literatur immer häufiger genutzt, aber bisher ist eine einheitliche Definition nicht
existent.
(vgl. Geser 1992 : 628)
Da mit dem Begriff Mikrostaat keinerlei besonderen
völkerrechtlichen Rechte oder Pflichten verbunden sind, ist eine einheitliche Definition
praktisch auch nicht wirklich notwendig. Mikrostaaten stellen keine eigene Kategorie im
Völkerrecht, auch die Kategorie des Kleinstaates ist nicht weiter definiert und besitzt
keinerlei rechtliche Relevanz.
(vgl. Hummer 2004 : 111, 116 f.)
Ungeachtet das dem Mikrostaat in der wissenschaftlichen Literatur keine genaue
Definition erfährt, kann nicht geschlussfolgert werden, dass die Forschung darüber
unbedeutend ist.
(vgl. Kirt/Waschkuhn 2001 : 26)
Im Zuge der sogenannten "Mikrostaatenkriese" der Vereinten Nationen umschrieb der
ehemalige UN-Generalsekretär U Thant Kleinstaaten ,,...entites which are exceptionally
small in area, population and human and economic resources..."
(U Thant 1966/67, S. Add.1;
para.163)
Hier werden zwar für die Bestimmung der Kleinheit eines Staates schon einige
Anknüpfungspunkte genannt, aber es bleiben noch genauere Definitionsaspekte offen.

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Die zu dieser Zeit stark forcierte Kleinstaatenforschung, orientierte sich zur Einstufung
von Staaten in Klein- oder Mikrostaaten sehr stark an der Bevölkerungsgröße, wobei auch
hier die festgesetzten Obergrenzen sehr unterschiedlich ausfielen.
(vgl. Hummer 2004 : 46)
Die in den Definitionen genannten Bevölkerungsgrößen schwankten größtenteils zwischen
drei Millionen
(vgl. Waschkuhn 2009 : 759)
, einer Million
(vgl. Kilian 2002 : 220)
bis hinunter
auf 300.00
(vgl. Ehrhardt 1970 : 93f.; 102)
oder nur 100.000
(vgl. Hummer 2004 : 32)
Einwohnern. Des Weiteren findet man in der wissenschaftlichen Literatur noch
anderweitige Herangehensweisen um Kleinstaaten zu definieren. Hier werden Faktoren
wie Staatsfläche, Bruttoinlandsprodukt, das Maß der effektiven Staatsmacht oder die
jeweilige politische Selbstwahrnehmung des Staates herangezogen.
(vgl. Gstöhl 2001a : 102)
Selbst hier unterscheiden sich die verschiedenen Autoren wieder in der Größendefinition
von Einwohnerzahl und Staatsgebiet. Aus Sicht vieler Autoren haben die Nichtexistenz
einer allgemeinen breit anerkannten Definition und die damit zusammenhängende
Willkür bei der Bestimmung eines Klein- oder Mikrostaates das Unvermögen der
Bezeichnung als politikwissenschaftlichen Begriff zu Folge.
(vgl. Gstöhl 2001a : 101 f.)
Hummer entgegen argumentiert, dass es so einen Kategorienansatz nicht geben kann, da
es sich bei dem Kleinstaatenbegriff um einen Typenbegriff und eben nicht um einen
Gattungsbegriff handelt. Klein- bzw. Mikrostaaten sind genau, wie jeder andere Staat
jeweiliger Größe, gleichberechtigte Völkerrechtssubjekte.
(vgl. Hummer 2004 : 23, 42)
Da in internationalen Organisationen aber versucht wird den Mikrostaat besonderen
Regeln zu unterwerfen, muss aber eben eine breite anerkannte, eindeutige Definition
gefunden werden. Im weiteren Verlauf sollen kurz Definitionsversuche einiger Autoren
aufgezeigt werden, um schlussfolgernd daraus zu einer Arbeitsdefinition des
,,Mikrostaates" für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu gelangen.
Laut Waschkuhn zählen Staaten mit einer Einwohnerzahl von 15 Millionen zu der
Kategorie der Kleinstaaten, wonach Staaten mit gerade nur drei Millionen Einwohner
dann zur Kategorie der Mikrostaaten gehören. Zur genaueren sozialwissenschaftlichen
Bestimmung möchte er dann noch Variablen wie territoriale Fläche, das
Bruttosozialprodukt und die Bevölkerungsgröße mit einfließen lassen.
(vgl. Marxer
/Pàllinger 2009 : 901)
Bei weniger als 15 bzw. 10 Millionen Einwohnern ziehen Vertreter der US-amerikanischen
Kleinstaatenforschung die Grenze. Sollten es weniger als eine Million Einwohner sein,
sprechen sie von Mikro- bzw. Kleinststaaten.

9
Dabei betonen sie wie sich der Staat selber in den Beziehungen zu den Nachbarstaaten
und sich in seiner Selbstwahrnehmung sieht, ob er sich selber als Mikro- oder Kleinstaat
fühlt und bezeichnet.
(vgl. Förster/Lambertz 2004 : 7)
Eine genauere Definition erfuhr der Begriff Mikrostaat bei der UNO zuerst auch nicht.
In der politischen und völkerrechtlichen Diskussion wurden sie mit nicht mehr als einer
Bevölkerungsgröße von einer Million beschrieben.
(vgl. Gstöhl 2001a : 102)
Wie weiter oben schon erwähnt, definierte im Jahr 1967 der UN-Generalsekretär U Thant
die ,,Mikrostaaten" als Staaten, die aus dem Zerfall der Kolonialreiche hervorgingen und
,,außergewöhnlich klein an Gebiet, Bevölkerung und menschlichen und wirtschaftlichen
Ressourcen" waren.
(vgl. Gstöhl 2001a : 103)
Als ,,unabhängige, effektive politische Einheiten auf zugehörigen Gebiet mit weniger als
300. 000 zugehörigen Einwohnern, die völkerrechtliche Rechte und Pflichten von Staaten
nicht hinreichend wahrnehmen kann" beschrieb sie Ehrhardt.
(Ehrhardt 1970 : 87)
Beitritte zur UNO oder zur EU, verbunden mit deren Anerkennung und Zugestehen des
internationalen Status der Mikrostaaten, zeigen, dass diese Ansicht heutzutage veraltet ist.
Eine explizite Definition von Mikro- oder Kleinstaaten existierte bei der EU anfänglich
ebenfalls nicht. Bei der Anzahl der Abgeordneten oder der Stimmengewichtung im Rat
orientierte man sich an der Bevölkerungszahl der jeweiligen Länder.
In Zusammenhang mit der 2004 stattgefundenen EU-Erweiterungsrunde wurde klar, dass
die EU die Kleinststaaten als eigene Staatenklasse betrachtet.
Zur
Abgrenzung
gegenüber anderer kleiner EU-Mitgliedsstaaten wie Malta oder Luxemburg wählte man
als Klassifizierung eine Bevölkerungszahl von maximal 100.000 Einwohnern.
(vgl. Marxer/ Pàllinger 2009 : 901)
Als primäres Abgrenzungskriterium sollen in dieser Arbeit die Bevölkerungsgröße und die
geographische Größe eines Landes gewählt sein. Ein Mikrostaat ist ein Staat, dessen
Einwohnerzahl weniger als 100.000 Einwohner beträgt. Demnach versteht die
vorliegende Arbeit, deren Ziel die Untersuchung von Strategie- und Rollenverhalten von
Kleinstaaten in internationalen Beziehungen ist, unter den europäischen Mikrostaaten die
bevölkerungsärmsten und geographisch kleinsten Staaten Europas zu denen das
Fürstentum Liechtenstein nun einmal gehört. Das Fürstentum Liechtenstein, genauso wie
die anderen europäischen Kleinstaaten, bildet somit auch einen Sonderfall, da es nicht aus
dem Dekolonisierungsprozess hervorgegangen ist. So wird auch untersucht werden, ob
Liechtenstein als Mikrostaat in der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist.

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2.2. Das Fürstentum Liechtenstein ­ ein Mikrostaat?
Trotz langjähriger Kleinstaatenforschung besteht nicht wirklich Einigkeit über eine exakte
Definition für diese Staatenkategorie.
(vgl. Kirt/Waschkuhn 2001 : 26)
Ungeachtet dessen ist
die Feststellung, dass es sich bei dem Fürstentum Liechtenstein um einen Mikrostaat
handelt, zweifelsohne gerechtfertigt. Völlig unabhängig davon, ob die traditionellen
Abgrenzungskriterien
(vgl. Kocher 2003 : 16 ff.)
wie Bevölkerungszahl und Staatsfläche
zugrunde gelegt werden, oder aber diesem grundlegenden Kriterienkatalog um weitere
relationale oder attributive Merkmale
(vgl. Geser 2001 : 97)
erweitert werden.
Liechtenstein ist mit seiner Bevölkerungszahl von 36.842 Einwohnern
(Stand 31. Dezember
2012)
, einer Gesamtfläche von 160 Quadratkilometern und einer Bevölkerungsdichte von
218 Personen pro Quadratkilometer in jeglicher Hinsicht ein kleines und relativ dicht
besiedeltes Land. Fügt man aber zusätzlich noch das Kriterium der Fähigkeit eines
Staates seinen Einfluss auf internationaler Ebene geltend zu machen hinzu
(vgl. Keohane 1969 : 296)
, so hat, im Gegensatz zu den anderen europäischen Mikrostaaten,
das Fürstentum Liechtenstein als gleichberechtigtes Mitglied in der EFTA und des EWR
durchweg den integrationspolitischen Rang eines europäischen Kleinstaates.
Auch auf ökonomischer Ebene sind die Unterschiede zwischen den restlichen
europäischen Kleinststaaten und Liechtenstein enorm. Schlussfolgernd nimmt das
Fürstentum somit eine Zwischenposition ein, denn strukturell gleicht es eher einem
Mikrostaat, aber wirtschaftlich und integrationspolitisch doch mehr einem Kleinstaat.
2.3. Begriffserklärung Außenpolitik
Laut Werner Link ist Außenpolitik ,,[...] die aktive und reaktive Gestaltung der
Beziehungen einer staatlich organisierten Gesellschaft zu ihrer Umwelt nach
Zielvorstellungen, die in Auseinandersetzung mit dieser Umwelt im internen
Willensbildungs- und Entscheidungsprozess entwickelt und in konkreten
Handlungssituationen umzusetzen versucht werden."
(Link 1978 : 484)
Des Öfteren wird Außenpolitik als Verbindung von Herrschafts-, Sicherheits- und
Wohlfahrtspolitik gegenüber der internationalen Umwelt verstanden und verwirklicht. Bei
der Analyse von Außenpolitik wird das Augenmerk auf die auswärtigen Beziehungen eines
Staates als vorrangigen Akteur gelegt.
(vgl. Nohlen 1998 : 33)
Innerhalb der Rollenverständnisse bzw. des Rollenkonzeptes geht man davon aus, dass
jeder Staat ein mehr oder weniger stark ausgebildetes Rollenkonzept inne hat und sein

11
eigenes Selbstverständnis in der Politik der internationalen Beziehungen verwirklichen
will. ,,Difficult as they may be to trace and assess, role scenarios seem too central to the
continuities and transformations through which action occurs on the global stage to
ignore."
(Rosenau 1987 : 64)
Das Analyseziel mikrostaatlicher Rollenverständnisse ist es zu dem konzeptionellen
Ausgangspunkt außenpolitischen Handelns eines Staates vorzudringen. Dabei können die
Rollenverständnisse als außenpolitische Hauptideologie nicht getrennt von dem
spezifischen außenpolitischen Auftreten eines Staates ergründet werden. ,,Wir gehen
davon aus, daß staatliche Rollenkonzepte nachhaltig auf das Rollenverhalten der zentralen
Entscheidungsträger einwirken, individuelles Verhalten staatlicher Repräsentanten also
eine Ableitung des außenpolitischen Rollenkonzepts einer Nation darstellt."
(Kirste/Maull
1996 : 287)
Weil nach langfristigen und permanenten Mustern der außenpolitischen Grundhaltungen
gefragt wird, muss eine stärkere Fokussierung hin zum Staat vorgenommen werden ohne
eine Differenzierung zwischen einzelnen Akteuren und Akteursgruppen zu unternehmen.
Situationsrollen sind zu verstehen als wechselnde Rollen, die der Mikrostaat in der
Vergangenheit besetzt hat und erlebte außenpolitische Erfahrungen fließen in aktuelle
oder zukünftige Rollenverständnisse mit ein. In vergleichbaren politischen
Konstellationen neigen Kleinststaaten dazu ähnliche Situationsrollen einzunehmen.
Unter Perzeption ist die Einschätzung der eigenen Position im internationalen System,
sowie die Wahrnehmung anderer Akteure in diesem System zu verstehen.
Dieser Punkt bedient sich zweier erkenntnismäßiger Faktoren, da erstens
ausschlaggebend ist wie der jeweilige Staat sich selber in den internationalen Beziehungen
wahrnimmt und zweitens wie er von anderen beteiligten Akteuren im Gegensatz dazu
gesehen wird.
(vgl. Barrios 1999 : 31 f.)
Das außenpolitische Handeln eines Staates ist auf dessen jeweilige Interessen
zurückzuführen. Die Regierung muss in der Lage sein, die Interessenvielfalt
gesamtgesellschaftlich in eine zuverlässige und doch flexible Ordnung zu bringen und
nach außen zu artikulieren. Repräsentations- und Durchsetzungsfähigkeit spielt hier eine
große Rolle. Festgesetzte Ziele werden durch absichtsvolles Handeln erreicht und sind
richtungsweisend für die Planung außenpolitischen Handelns.

12
2.4. Kleinstaaten und ihre Rollenverständnisse im internationalen System
In seinem Werk ,,Der Kleinstaat in der Weltpolitik" entwickelt der Autor Hans Vogel ein
Zwei-Ebenen-Modell über kleinstaatliche Verhaltensstrukturen und Verhaltensstrategien.
(vgl. Vogel 1979 : 40)
(hier auf Seite 13 graphisch dargestellt). Aus der strukturellen
Knappheit entsteht eine externe Verkettung, welche wiederum die externe Dependenz
erhöhe. Dies könne letztendlich zu einer stärkeren Fremdbestimmung führen. Er ging
jedoch bereits Ende der 70er Jahre davon aus, dass diese verhängnisvolle Kausalkette an
verschiedenen Stellen durch spezielle, bewusst gewählte, Strategien überwunden oder
zumindest gedämpft werden könne.
(vgl. Vogel 1979 : 36 ff.)
Kleinstaatlichkeit wird als
Beginn einer Kausalkette gesehen, durch welche das Rollenverhalten eines Staates
determiniert wird. Festzuhalten ist jedoch, dass es kein generalisierbares Verhalten von
Mikrostaaten in internationalen Beziehungen gibt.
Allerdings gibt es gewisse ,,typische" kleinstaatliche Strategien und Verhaltensweisen um
das Manko ihrer Kleinstaatlichkeit auszugleichen und den Herausforderungen der
politischen Umwelt zu begegnen.
(vgl. Kossdorff 2000 : 51)
Ursächlich für die
kleinstaatlichen Strategien ist der Wunsch, konflikt- und abhängigkeitsschaffende
Strukturen zu verändern.
(vgl. Vogel 1979 : 155)
Vogels Modell der kleinstaatlichen Strategien auf der realpolitischen Ebene muss für diese
Arbeit zusätzlich mit einer konzeptionellen Ebene ergänzt werden, weil kleinstaatliche
Rollenkonzepte exakten außenpolitischen Strategien vorausgehen. In der politischen
Praxis sind diese beiden Ebenen untrennbar miteinander verbunden und es besteht eine
Wechselwirkung zwischen beiden. Basierend auf dem Rollenverständnis gegenüber einem
Staat oder einer Region resultieren dadurch auch die Strategien des Kleinstaates.
Der Erfolg oder auch Misserfolg hat wiederum direkten Einfluss auf die Rollenkonzepte.
Dem Mikrostaat sind seine eigenen Möglichkeiten im internationalen System sehr
bewusst und diese spiegeln sich direkt in den außenpolitischen Rollenkonzepten wider.
Um typologische Rollen von Kleinstaaten identifizieren zu können, hat sich die
Kleinstaatentheorie bestimmter Elemente der Rollentheorie bedient. Elemente wie das
Wertesystem, das Weltbild und eigene Rollenvorstellungen bestimmen, welche
Verhaltensweisen ein Staat im Rahmen der internationalen Beziehungen für sich anstrebt.

13
Diese Rollenkonzepte dienen dem Kleinstaat als ,,Richtschnur für außenpolitisches
Handeln"
(Kirste/Maull 1996 : 283)
und können normgebend als Einstellungs- und
Verhaltensmuster für sein Verhalten sein.
(vgl. Kirste/Maull 1996 : 284)
Ausgehend davon, dass diese Rolle durch eine Reihe von unterschiedlichsten Faktoren
determiniert wird, können für den vorliegenden Fall Indikatoren wie Perzeption,
Situationsrollen, Interessen und Ziele herangezogen werden. Das Gesamtrollenkonzept
steht natürlich gleichzeitig in Interaktion mit den einzelnen Indikatoren.
Rollenverständnisse leisten einen wichtigen Beitrag zur Erklärung in Bezug darauf, warum
und wie Akteure ihr Interessen und Ziele definieren, warum sie Ereignisse in der
internationalen Politik auf eine ganz bestimmte Weise wahrnehmen und welche
Situationsrolle sie wann auswählen. Ist es möglich diese Einzelkomponenten einem
Gesamtrollenverständnis zu zuordnen, sind dann bestimmte außenpolitische Strategien
und Handlungsweisen nachzuvollziehen.
Abb. 1 (oben): Die kleinstaatliche Kausalkette nach Vogel (Realpolitische Ebene)
Quelle: Vogel, Hans: Der Kleinstaat in der Weltpolitik, Zürich 1979, S.40
Abb. 2. (unten): Erweiterung der kleinstaatlichen Kausalkette (Konzeptionelle Ebene)
Quelle: Eigene Darstellung

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Abb. 3: Rollenverständnisse und Indikatoren
Quelle: Eigene Darstellung
Am deutlichsten zeichnen sich Rollenkonzepte in Verbindungen zu anderen Staaten ab:
,,How a state decides to satisfy its interests depends on how it defines itself in relation to
other states, which in the field of foreign and security policy is best exemplified through
national-role concepts."
(Goetschel 2000 : 12)
Auf der einen Seite entwickeln Staaten selber, geprägt durch eigene Vorstellungen, Werte
und Normen, außenpolitische Rollenkonzepte (ego part) und auf der anderen Seite
fließen auch Erwartungen der anderen Akteure hinsichtlich des Verhaltens in den
internationalen Beziehungen mit in dieses Rollenkonzept (alter part).
(vgl. Kirste/Maull
1996 : 286 ff.)
In dieser politikwissenschaftlichen Arbeit soll aber mehr der Aspekt des ,,ego part"
(Kirste/Maull 1996 : 286)
, also die Eigendefinition des Rolleninhabers und verbunden damit
die individuelle Vorstellung von Mikrostaaten bezüglich ihrer Außenpolitik betrachtet
werden. Bisher ist mir keine politikwissenschaftliche Untersuchung zu
Rollen-
verständnis
Interessen
Situations-
rollen
Ziele
Perzeption

15
Rollenverständnissen aus der mikrostaatlichen Innenperspektive bekannt.
Schlussfolgernd daraus müssen die Rollenverständnisse hier erst konzipiert werden.
2.4.1. Der Integrationsskeptiker
Gegenüber der Integration hegt der Integrationsskeptiker ein gewisses Misstrauen obwohl
er, auch beispielsweises aus ökonomischen Gründen, Mitglied in multilateralen
Bündnissen ist. Er nimmt häufig die Rolle des neutralen Beobachters ein und sieht den
Nationalstaat als politische Einheit gegenüber supranationaler Integration deutlich im
Vorteil. Der Integrationsskeptiker charakterisiert sich durch häufige Kritik gegenüber
anderen Staaten oder Integrationsbündnissen um seinen individuellen Sonderstatus als
berechtigt hinzustellen. Dänemark war zweitweise innerhalb der Europäischen Union sehr
skeptisch gegenüber einer Intensivierung der Integration.
Der dänische Sonderstatus wurde im September 2000 in einem Referendum bekräftigt.
(vgl. Petersen 2000 : 320 ff.)
Auf Grund der ungebrochenen Vorbehalte innerhalb der
dänischen Bevölkerung gegenüber einer fortlaufenden Integration hat Dänemark oft zu
einem schwierigen Partner werden lassen.
(vgl. Maurer/Wessels 2003 : 110)
Auch die Schweiz sei hier als Beispiel erwähnt. Skeptisch gegenüber einer Integration
konzentrierte sie sich mehr auf ihre Rolle als erfolgreicher internationaler Finanzplatz.
Dadurch erreicht die Schweiz auch eine Art der globalen Ausrichtung, zieht aber bilaterale
Verträge einer eventuellen europäischen Integration vor. Zu beachten ist hier aber auch
die Wichtigkeit der Schweiz die Autonomie ihrer Kantone und Gemeinden zu schützen.
Dem Souveränitätsverfechters, als Steigerung gegenüber dem Integrationsskeptiker, ist
der Schutz nationaler Interessen wie Territorialität, Autonomie, Souveränität, Nicht-
Einmischung in nationale Angelegenheiten und Autonomie oberste Priorität.
Seine Strategie ist durch wenig Kompromissbereitschaft und Hartnäckigkeit in Bezug auf
die Durchsetzung seiner Interessen geprägt.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783956368561
ISBN (Paperback)
9783956365126
Dateigröße
753 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam – Internationale und Vergleichende Politikwissenschaft
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Note
2,2
Schlagworte
Lichtenstein Außenpolitik Mikrostaat Schweiz EU Europa Internationale Politik Multilateral Globale Beziehung
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Titel: Kleinstaaten in den internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert
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