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EU-Lobbying zwischen Interessenvertretung und Korruption

©2014 Masterarbeit 125 Seiten

Zusammenfassung

Die Europäische Union (EU) erholt sich langsam von den Erfahrungen einer schweren Finanzkrise, die seit dem Vertrag von Maastricht wie nie zuvor, ein großes Fragezeichen hinter den Prozess der europäischen Integration gesetzt hat. Krisenzeiten, die gleichzeitig von wirtschaftlicher Regression begleitet werden, erwecken regelmäßig nationalistische Ressentiments, die in der Bevölkerung der Mitgliedstaaten (MS) zwangsläufig zu euroskeptischen Äußerungen führen. Ein besonderer Aspekt der EU, der europakritischen Debatten nicht entkommen kann, ist das Phänomen des EU-Lobbying. Die kontinuierliche Erweiterung der EU-Zuständigkeiten in den meisten Politikbereichen, die zunehmende Macht und Bedeutung der von der EU verabschiedeten Gesetze für die Nationalstaaten führten zur selben Zeit einen Wandel der Interessensvertretungslandschaft in Brüssel herbei. Um die EU-Institutionen herum ist aus einem Gemisch von Interessengruppen, eine regelrechte Industrie erwachsen. Das EU-Viertel stellt heutzutage einen hochkonzentrierten Ballungsraum des politischen Einflusses dar. Allerdings wird in den Nationalstaaten die direkte Einflussnahme von Lobbyisten auf die europäische politische Willensbildung als Bedrohung für die demokratischen Legitimität und die Transparenz der EU-Institutionen empfunden. Genauso wird der Begriff Lobbying in der breiten Öffentlichkeit ablehnend dargestellt und oftmals negativ mit Korruption und Intransparenz assoziiert. Diese Wahrnehmung beruht unter anderem auf der Beobachtung, dass verabschiedete Verordnungen und Richtlinien häufig das Ergebnis partikularer und nationaler Einzelbelange sind, die mit Hilfe bedenklicher Handlungen durchgesetzt wurden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Partizipation und Mitwirkung von Interessenvertretern auf europäischer Ebene eine Verbesserung oder Untergrabung des demokratischen Systems hervorruft?
Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, die Lobbystrukturen im Brüsseler EU-Viertel und den europäischen Entscheidungsfindungsprozess systematisch zu analysieren und auf die genannten Fragen ausführlich einzugehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Milaqi, Bledar: EU-Lobbying zwischen Interessenvertretung und Korruption, Hamburg,
Diplomica Verlag GmbH 2015
PDF-eBook-ISBN: 978-3-95636-432-7
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2015
Zugl. Rheinische-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Masterarbeit, 2014
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http://www.diplom.de, Hamburg 2015
Printed in Germany

II
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... II
Abkürzungsverzeichnis ... IV
Abbildungsverzeichnis ... V
1 Einleitung ... 1
1.1 Aufbau der Arbeit ... 2
1.2 Forschungsstand und Methodik ... 3
2 Das Primat der Politik auf die Wirtschaft oder anders rum? ... 6
2.1 Das Konzept des Lobbying ... 6
2.1.1 Die Herkunft des Phänomens Lobbying ... 6
2.1.2 Die begriffliche Definition von Lobbying ... 7
2.2 Wieso nimmt die Politik externe Expertise in Anspruch? ... 11
2.3 Theorien europäischer Interessenvermittlung ... 14
2.3.1 (Neo-)Institutionalismus ... 15
2.3.2 (Neo-)Pluralismus vs. (Neo-)Korporatismus ... 17
2.3.3 Interessenvermittlung als Teil der Netzwerktheorie ... 19
3 Brüssel als Mekka des EU-Lobbying ... 21
3.1 Die Entwicklung der Interessenvertretung auf europäischer Ebene ... 22
3.1.1 Die Anfänge der europäischen Interessenvertretung (1945-1978) ... 22
3.1.2 Europäische Interessenvertretungen gewinnen an Bedeutung (1978-1992) ... 24
3.1.3 EU-Lobbying zwischen Maastrichter und Lissaboner-Vertrag (1992-2009) ... 26
3.1.4 EU-Lobbying nach dem Vertrag von Lissabon und die gesetzliche Bestimmungen ... 33
3.2 Die europäischen Transparenzinitiativen und das gemeinsame Transparenzregister ... 35
3.2.1 Der Beginn der Transparenzdebatte und ihre Entwicklung ... 36
3.2.2. Das gemeinsame Transparenzregister - Inhalt und Kritik ... 40
4 Die europäischen Institutionen und die politische Entscheidungsfindung ... 45
4.1 EU-Institutionen als Adressaten des EU-Lobbyings ... 45
4.1.1 Die Europäische Kommission ... 45
4.1.2 Das Europäische Parlament ... 49
4.1.3 Der Rat der europäischen Union (Ministerrat) ... 52
4.2 Beschreibung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ... 56

III
4.3 Die Messung der Einflussnahme von Lobbyisten ... 60
5 Typologie der Interessenvertretungslandschaft in Brüssel ... 67
5.1 In-House-Lobbying, Wirtschafts- und Handelsverbände & Gewerkschaften ... 67
5.2 Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen und Selbständige Berater ... 69
5.3 NGOs und Think Tanks ... 70
6 EU-Lobbying und Korruption ... 72
6.1 Lobbying in der Korruptionsforschung ... 73
6.2 Dalli-Gate und andere Korruptionsfälle ... 75
6.3 Grauzonen, der Drehtür-Effekt und das Thema der Anschlussbeschäftigung ... 78
7 Demokratie und EU-Lobbying ... 80
8 Zusammenfassung ... 82
Anhang Interviews ... VI
Literaturverzeichnis ... XXVII

IV
Abkürzungsverzeichnis
AdR - Ausschuss der Regionen
ALTER-EU - The Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation
AStV - Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten
BDI - Bundesverband der Deutschen Industrie
CEEP - Europäischer Verband der öffentlichen Wirtschaft
CEFIC - Verband der Europäischen chemischen Industrie
CEO - Corporate Europe Observatory
EEA - Einheitliche Europäische Akte
EEB - European Environmental Bureau
EG - Europäische Gemeinschaft
EGKS - Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EPACA - European Public Affairs Consultancies Association
ER - Der Europäische Rat
ERT - European Round Table of Industrialist
ETI - Europäische Transparenzinitiative
ETUC - Europäischer Gewerkschaftsbund
EU - Europäische Union
EuGH - Europäischer Gerichtshof
GB - Grünbuch
IG - Interessengruppen
MR - Ministerrat (Rat der Europäischen Union)
MS - Mitgliedstaaten
NGOs - Nichtregierungsorganisationen
OEEC - Europäischer Wirtschaftsrat
OLAF - Europäische Amt für Betrugsbekämpfung
PAM - Public Affairs Management
RAA - Rat für allgemeine Angelegenheiten
REI - Rat der Europäischen Industrien
RL - Richtlinie
SEAP - Society of European Affairs Professionals
VO - Verordnung
TMR - Theorien mittlerer Reichweite
UNICE - Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände
VA - Vermittlungsausschuss
WB - Weißbuch
WSA - Wirtschafts- und Sozialausschuss

V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.: Typologie der Lobbyisten in Brüssel ... 21
Abbildung 2.: SWOT-Analyse des gemeinsamen Transparenzregisters ... 44
Abbildung 3.: Einfache Struktur des Ministerrates ... 53
Abbildung 4.: Grafische Darstellung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ... 59
Abbildung 5.: Die Bewertung politischer Positionen nach Hand-coding ... 65
Abbildung 6.: Verwendeter Wortschatz von EU-Institutionen und IG ... 66

1
1 Einleitung
,,Je mehr Blumen und Bäume im Garten der europäischen Politik zu finden sind,
desto mehr Vögel und Bienen gibt es, die versuchen, an den Nektar zu kommen.
Dieser Nektar ist wie in der Natur nur begrenzt und erzeugt Konkurrenz."
1
Die Europäische Union (EU) erholt sich langsam von den Erfahrungen einer schweren
Finanzkrise, die seit dem Vertrag von Maastricht wie nie zuvor, ein großes Fragezeichen
hinter den Prozess der europäischen Integration gesetzt hat. Krisenzeiten, die gleichzeitig von
wirtschaftlicher Regression begleitet werden, erwecken regelmäßig nationalistische
Ressentiments, die in der Bevölkerung der Mitgliedstaaten (MS) zwangsläufig zu
euroskeptischen Äußerungen führen. Ein besonderer Aspekt der EU, der europakritischen
Debatten nicht entkommen kann, ist das Phänomen des EU-Lobbying.
Die kontinuierliche Erweiterung der EU-Zuständigkeiten in den meisten Politikbereichen, die
zunehmende Macht und Bedeutung der von der EU verabschiedeten Gesetze für die
Nationalstaaten führten zur selben Zeit einen Wandel der Interessensvertretungslandschaft in
Brüssel herbei. Um die EU-Institutionen herum ist aus einem Gemisch von Interessengruppen
(IG) eine regelrechte Industrie erwachsen. Das EU-Viertel stellt heutzutage einen
hochkonzentrierten Ballungsraum des politischen Einflusses dar.
Allerdings wird in den Nationalstaaten die direkte Einflussnahme von Lobbyisten auf die
europäische politische Willensbildung als Bedrohung für die demokratischen Legitimität und
die Transparenz der EU-Institutionen empfunden. Genauso wird der Begriff Lobbying in der
breiten Öffentlichkeit ablehnend dargestellt und oftmals negativ mit Korruption und
Intransparenz assoziiert. Diese Wahrnehmung beruht unter anderem auf der Beobachtung,
dass verabschiedete Verordnungen (VO) und Richtlinien (RL) häufig das Ergebnis
partikularer und nationaler Einzelbelange sind, die mit Hilfe bedenklicher Handlungen
durchgesetzt wurden. Die zeitliche Koinzidenz der Parteispenden der Automobilindustrie an
die CDU und die Verschiebung der Abstimmung der EU-Abgasnorm ist ein aktuelles Beispiel
und kann illustrativ die öffentliche Wahrnehmung dieses Phänomens erklären.
2
Welchen
Einfluss üben Lobbyisten tatsächlich auf die europäische Politik aus und welche Funktion
haben sie aus dem Blickwinkel der Integrationstheorien? Wie dünn ist die Trennlinie
zwischen Interessenvertretung und Korruption? Stellt Lobbyismus in der Tat eine Bedrohung
1
Schendelen, R. van, Trends im EU-Lobbying und in der EU-Forschung; in: Kleinfeld, R. (Hrsg.), Lobbying.
Strukturen, Akteure, Strategien, Bürgergesellschaft und Demokratie, Bd. 12., Wiesbaden 2007, S. 72.
2
Vgl. Deckwirt, Ch.: Fragwürdige Großspenden der BWM-Großaktionäre Quandt/Klatten. Schranken für
Parteispenden sind dringend nötig; online im Internet https://www.lobbycontrol.de/2013/10/grossspenden-der-
bmw-grossaktionaere-quandtklatten/, Oktober 2013 [zugegriffen am 20.10.2013].

2
für die Demokratie dar oder gehört dieser unvermeidlich zum Alltagsleben der politischen
Prozesse im Mehrebenensystem Europas? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob
die Partizipation und Mitwirkung von Interessenvertretern auf europäischer Ebene eine
Verbesserung oder Untergrabung des demokratischen Systems hervorruft?
Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, die Lobbystrukturen im Brüsseler EU-Viertel
und den europäischen Entscheidungsfindungsprozess systematisch zu analysieren und auf die
genannten Fragen ausführlich einzugehen. Es wird die These aufgestellt, dass EU-Lobbying
die institutionelle Nachfrage nach mehr Fachkompetenz befriedigt, wobei der Prozess der
Interessenvermittlung, teilweise aufgrund seiner intransparenten Vorgehensweise, gewisse
Legitimationsrisiken birgt. In diesem Rahmen werden bedeutende Merkmale und Formen des
EU-Lobbying dargestellt sowie die beteiligten Akteure und Zielgruppen auf verschiedene
Politikfelder näher analysiert. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die
Interessensvermittlung ein integraler Bestandteil der politischen Willensbildung ist und die
EU, eine in ihrer Bedeutung wachsende Volkswirtschaft verkörpert, stellt die Untersuchung
des EU-Lobbying kontinuierlich ein wichtiges und aktuelles Thema dar, das die Öffentlichkeit
und die politische Wahrnehmung prägt und durchaus auch in Zukunft für Diskussionen
sorgen wird.
1.1 Aufbau der Arbeit
Zunächst wird der Terminus Lobbyismus begrifflich definiert. Diese Bestimmung dient der
Abgrenzung des Forschungsrahmens der Arbeit. An dieser Stelle werden die theoretischen
Aspekte des Terminus Lobbyismus und seine konzeptionellen Überlappungen mit anderen
Begriffen unterstrichen. Das Kapitel schließt mit einem Überblick der politiktheoretischen
Erkenntnisse über das Phänomen der Interessenvertretung ab. Das dritte Kapitel präsentiert in
chronologischer Reihenfolge (beginnend bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl (EGKS) bis hin zur Gegenwart) die geschichtliche Entwicklung und
Konsolidierung des Lobbying in der EU-Hauptstadt. Zentral dabei ist die Bedeutung der von
Interessengruppen für die wirtschaftliche Integration der EU. Darüber hinaus wird die
gesetzliche Basis für Lobbyismus auf EU-Ebene erläutert und Transparenzinitiativen
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Schwerpunkt des darauffolgenden Kapitels nimmt
die wichtigen EU-Institutionen als Adressaten von Lobbyarbeit in den Blick. In diesem
Zusammenhang wird die Ermittlung der Einflussnahme anhand verschiedener Methoden

3
dargestellt. Besonderes Augenmerk gilt hier dem Thema der Anschlussbeschäftigung der
Kommissare. Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Formen und der Zusammensetzung der
organisierten Interessenvertretung im EU-Viertel und versucht auf Basis einzelner Indikatoren
die Brüsseler Akteure voneinander zu unterscheiden.
Neben der politischen Repräsentation von Interessen, birgt Lobbyismus die Gefahr von
Korruption und Intransparenz. Aus diesem Grunde setzt sich der darauffolgende Teil der
Untersuchung mit dem Thema der Korruption auseinander und versucht die
Berührungspunkte eingehender zu beleuchten. Der Begriff Lobbyismus wird aus Perspektive
der Korruptions-forschung definiert. Um die Dynamik und die Reichweite des Phänomens
innerhalb der EU-Machtstrukturen zu verdeutlichen, wird der sogenannte Dalli-Fall
behandelt, der international großes Aufsehen erregt und der öffentlichen Diskussion über den
Einfluss der Lobbynetzwerke ­ in diesem Fall der Tabakindustrie - eine neue Dimension
verliehen hat. In dieser Hinsicht soll der Frage nachgegangen werden ob es ein gutes oder
böses Lobbying gibt und ob EU-Lobbying tatsächlich den Entscheidungsfindungsprozess
durch die Möglichkeit zur Beteiligung aller Akteure in der EU vereinfacht und somit zur
Verstärkung der Demokratie beiträgt, oder sich zu einem Mechanismus entwickelt, der mittels
Intransparenz den finanziell schwächeren Interessensgruppen den Geltungsrahmen nimmt.
Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigen Argumente und Aspekte der
Abhandlung ab.
1.2 Forschungsstand und Methodik
Während eines Seminars und einiger Besuche bei Lobbyorganisationen in Brüssel entstand
die Idee über EU-Lobbying zu schreiben.
3
Die vermittelten Kenntnisse und Praxiseinblicke
weckten das subjektive Erkenntnisinteresse an einem solch aktuellen und umstrittenen Thema.
Die methodische Beschäftigung mit der Materie erwies sich aufgrund der Vielzahl an
Publikationen in den letzten Jahren als eine äußerst schwierige Herausforderung. Die ständig
zunehmende politische Bedeutung Brüssels für transnational agierende Konzerne kam auf
nationaler wie auf EU-Ebene in jener wissenschaftlichen Literatur zum Ausdruck, die sich
verstärkt mit dem Phänomen des europäischen Lobbyismus auseinandersetzte. Allerdings ist
die systematische Untersuchung des Themas als Forschungsbereich in der Politikwissenschaft
3
European Office von VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau), Bankwatch Network CEE,
Friend of the Earth Europe.

4
spärlich erschlossen. Auf den ersten Blick lässt sich die Literatur zu dem Thema in zwei
Kategorien einteilen:
1. In Schriften, die aufgrund nationaler Faktoren und einer EU-Politikverdrossenheit an das
Phänomen in voreingenommener Weise herangehen. Hierbei wird Lobbyismus durch
normativ aufgeladene Ansichten beurteilt.
4
Ein oppositioneller Geist gegenüber
korporatistischen Politiken sowie Globalisierung und Neo-Liberalismus
5
prägt die
Argumentation etlicher Arbeiten in dieser Kategorie. Darüber hinaus wird der Zuwachs
politischer Einflussahme von Lobbyisten als Scheitern der Demokratie wahrgenommen
und daher wird für mehr Pluralismus und Partizipation plädiert. Die
Auseinandersetzungen neigen jedoch gelegentlich dazu nicht nur Lobbyismus als
Phänomen zu kritisieren, sondern das ganze EU-Konstrukt in Frage zu stellen. Dieser
Ansatz hat die Diskussion über EU-Lobbying im Frühstadium dominiert und erregt im
Nachhinein der Finanzkrise einige Aufmerksamkeit.
6
2. Im Gegensatz dazu befassen sich andere Untersuchungen mit ,,dem Klischee der
unbelasteten Normalität, der sinnvollen Kooperation und der tradierten Routine"
7
zwischen Politik und Interessenvertretern und berücksichtigen nicht die Kritik an den
intransparenten Praktiken und Machenschaften, die dieses Verhältnis kennzeichnen.
Solche Werke weisen in den meisten Fällen eine pädagogische Tendenz auf, bei der
Lobbyexperten aus dem Brüsseler Milieu den karrierestrebenden Lobbyisten deskriptiv
Erfolgsrezepte für alle Sektoren und Politikbereiche vermitteln.
8
Die Merkmale in den aufgeführten Kategorien korrelieren des Öfteren miteinander und sind
nicht strikt getrennt voneinander vorzufinden. Indem Lobbyismus an sich, einen Prozess der
Beeinflussung impliziert, ist der Begriff Einfluss Untersuchungsgegenstand einer Vielzahl
wissenschaftlicher Beiträge auf diesem Gebiet. Dabei wird der Schwerpunkt auf einen
4
Siehe Arnim, H. von, Das Europa-Komplott. Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln, Wien
2006.
5
Siehe Cronin, D., Corporate Europe. How Big Business Sets Policies on Food, Climate and Ware, London
2013. Siehe auch Balanyá, B. (Hrsg.): Europe Inc. Regional and global restructuring and the rise of corporate
power, 2. Aufl., London 2003. Vgl. Interview mit Herrn Olivier Hoedeman.
6
Vgl. Beyers, J./Eising, R./Maloney, W., Researching Interest Group Politics in Europe and Elsewhere: Much
We Study, Little We Know?; in: Beyers, J./Eising, R. (Hrsg.), Interest group politics in Europe. Lessons from
EU studies and comparative politics, West European Politics Series, New York 2010, S. 2f.
7
Leif, Th., Souveränitätsverzicht der Politik und Bedeutungsverlust der Parlamente ­ Lobbyismus als
Schattenmanagement widerspricht dem Prinzip des Pluralismus; in: Korte, K. (Hrsg.), Angewandte
Politikforschung. Eine Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld, Wiesbaden 2012, S. 183.
8
Siehe. Vondenhoff, Ch./Busch-Janser, S., Praxishandbuch Lobbying, Brüssel 2008 und Zetter, L., Lobbying.
The Art of Political Persuasion, Hampshire 2008.

5
spezifischen Politikbereich oder Sektor
9
, auf ein bestimmtes Thema
10
oder auf eine besondere
Interessengruppe gelegt.
11
Aktuelle Arbeiten überwinden die oben genannte Fokussierung und
nehmen Bezug aus allen Blickwinkeln.
12
Im Unterschied zu den anfänglichen Schriften über
Lobbyismus, die in Ermangelung von Daten empirischen Studien waren, gibt es in den letzten
Jahren, ernsthafte Versuche, das Phänomen auf Basis empirischer Daten darzustellen.
13
Der nachfolgende Beitrag stellt eine Bestandsaufnahme dar. Seine Untersuchungsmethodik
beruht auf der Auswertung der vorhandenen Literatur und versucht, einen Überblick der
verschiedenen Ansätze aus mehreren Blickwinkeln zu geben. Das neue Element dieser
Abhandlung besteht darin, das Verhältnis zwischen EU-Lobbying und Korruption zu
untersuchen. Diese Beziehung ist in den bisherigen Studien fast vollständig unerforscht
geblieben. Einige Arbeiten, die sich damit befasst haben, weisen einen eher investigativ-
journalistischen Charakter auf und legen ihren Schwerpunkt auf das Phänomen der
Korruption im EU-Verwaltungsapparat.
14
Um an detaillierte Daten und weiteren Erkenntnissen zu Fragen und Angelegenheiten zu
gelangen, wurden Interviews mit Experten durchgeführt, die aufgrund ihrer Position auf der
Entscheidungsebene agieren. Der Mehrwert dieser Interviews besteht darin, dass sie im
Gegensatz zur theoretischen Herangehensweise, das Phänomen subjektiv beschreiben und
anhand der praxisorientieren Erkenntnisse, die Entwicklung neuerer Ansätze fördern.
Unabhängig von vorbereiteten Fragenkatalogen, bieten Interviews öfters auch die Möglichkeit
spontane Fragen zu stellen.
Als einschlägige Literatur für die Untersuchung dienten, neben den amtlichen Dokumenten
der EU und dem Lissaboner Vertrag, ebenfalls die Werke ,,Lobbying in der EU" von
Michalowitz und ,,Lobbying in the European Union" von Klüver. Des Weiteren erwiesen sich
Artikel und Berichte von Organisationen wie ,,The Alliance for Lobbying Transparency and
Ethics Regulation
"
(ALTER-EU) oder ,,Corporate Europe Observatory" (CEO), die sich
durch langjährige Erfahrung als kritische Beobachter der Lobbyaktivitäten von
Großkonzernen in Brüssel profiliert haben, als sehr hilfreich. Der Untersuchungszeitraum der
vorliegenden Arbeit erstreckt sich von der EGKS bis zur Gegenwart.
9
Siehe Falk, S./Rehfeld, D. (Hrsg.): Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006.
10
Siehe Naurin, D/Wallace, H. (Hrsg.), Unveiling the Council of the European Union. Games Governments Play
in Brussels, New York 2008.
11
Siehe Greenwood, J., Inside the EU Business Associations, London 2002.
12
Siehe Schendelen, R. van, Die Kunst des EU-Lobbyings. Erfolgreiches Public Affairs Management im
Labyrinth Brüssels, Berlin 2012.
13
Siehe Klüver, H, Lobbying in the European Union. Interest Groups, Lobbying Coalitions and Policy Change,
Oxford 2013.
14
Siehe Warner, M. C, The Best System Money Can Buy. Corruption in the European Union, New York 2007.

6
2 Das Primat der Politik auf die Wirtschaft oder anders rum?
2.1 Das Konzept des Lobbying
2.1.1 Die Herkunft des Phänomens Lobbying
Lobbying und Interesse sind eng miteinander verknüpft. Eine Gesellschaft zeichnet sich durch
ihre Herrschaftsstrukturen aus, in denen ein oder mehrere Subjekte ihre Macht auf andere
ausüben. Hierbei treten insbesondere solche Subjekte in Vordergrund, die die natürliche
Veranlagung aufweisen, andere Subjekte zu beeinflussen und so ihre gemeinsamen und auch
persönlichen Interessen bei der Machtausübung durchzusetzen. Aus diesem Grunde ist
Lobbying eine natürliche Eigenschaft der menschlichen Gesellschaft und kann zu den ältesten
Berufen gezählt werden.
15
Das Wort Lobby kommt originär aus dem lateinischen Wort lobium und bezeichnet wörtlich
die Wartehalle eines Hauses, in dem Gäste auf das Treffen mit dem Hausherrn warteten und
die Gelegenheit nutzen, durch die Dienerschaft wichtige Informationen zu sammeln. Bereits
während des antiken Griechenlands und des Römischen Reiches nahmen Lobbyisten Einfluss
auf Senatoren und Patrizier. Dasselbe spielte sich später auch in den Höfen der Könige und
Fürsten ab. Als ,,Lobbyisten des Mittelalters" hatten Höflinge eine vornehmliche Rolle und
übten direkten Einfluss beim Treffen von Entscheidungen aus. Viele historische Ereignisse
sind als Folge des Einflusses jener Kaste zustande gekommen, die zu dieser Zeit die
Entscheidungsträger begleitete.
16
Zwei Jahre nach der Verabschiedung der amerikanischen Verfassung, trat im Jahr 1789, als
Folge der aktiven Einflussnahme von Lobbyisten das erste Zollgesetzt in Kraft. Drei Jahre
später sollte ein Lobbyist namens William Hull im Auftrag einer Gruppe von Veteranen ihre
Ansprüche auf Abfindungssummen für die geleisteten Dienste während der Revolutionskriege
vertreten und geltend machen.
Der Ursprung des Begriffs ,,Lobbying" wie er heute bekannt
ist, ist im angelsächsischen Raum beheimatet. Mitte der 1860er Jahre versammelten sich im
Foyer des dem Kongress nahegelegenen »Willard Hotels« in Washington, D.C. Vertreter der
Politik und Wirtschaft. Die informellen Treffen zielten darauf ab, die Aufmerksamkeit des
Präsidenten
Ulysses S. Grant zu erregen, worauf hin er die engagierten Wirtschaftsvertreter
15
Vgl. Zetter, L., Lobbying. The Art of Political Persuasion, Hampshire 2008, S. 6.
16
Vgl. Zetter, L., Lobbying, a.a.O., S. 6. Vgl. Schendelen, R. van, Die Kunst des EU-Lobbyings. Erfolgreiches
Public Affairs Management im Labyrinth Brüssels, Berlin 2012, S. 14.

7
spöttisch als Lobbyisten bezeichnet haben soll. Diese Tatsache hat sich in den meisten
Büchern über Lobbyismus etabliert. Engländer hingegen sind der Auffassung, dass mit Lobby
die zentrale Halle, in der sich britische Abgeordnete aufhielten, des im Jahr 1854 gebauten
Westminister Gebäudes gemeint ist. Trotz dieser Beispiele, stellt das Entstehen gut
organisierter
Interessengruppen (IG)
ein Phänomen der post-industriellen und kapitalistischen
Ära dar. Diese Verbände
knüpften ihre Investitionsvorhaben im Eisenbahnbau und der
Erschließung des Landes an gewisse Gefälligkeiten und Vergünstigungen von Seiten des
Staates.
17
Zu dieser Zeit war die Interessenvertretung eine ausschließliche Domäne der Industrie und
des Handels. Aus diesem Grunde gilt sie heute als Vorreiterin des modernen Corporate
Lobbying. ,,Im Laufe der Jahre entwickelte sich dieses Lobbying vom bloßen
Korridorverhalten hin zu kollateralen Aktivitäten."
18
Neben dem Informationsaustausch
leisteten IG politische Hilfestellung und Wählermobilisierung. Seitdem hat ihr Einfluss
beträchtliche Veränderungen erlebt. Ihre Rolle in der Politik wurde deutlich anspruchsvoller
und präziser. Was man heute genau unter Lobbyismus versteht und was die Aktivität der IG
impliziert, wird im kommenden Teil tiefgründig erläutert.
2.1.2 Die begriffliche Definition von Lobbying
Die meisten Meinungsverschiedenheiten sind Folge eines fehlenden gemeinsamen
Begriffsverständnisses. Ein beträchtlicher Teil der Diskussion über das Phänomen des
Lobbyismus beschäftigte sich vorwiegend mit der Begriffsbestimmung. Im Allgemeinen
versteht man unter Lobbying (auf Deutsch Lobbyismus)
19
den Versuch, Einfluss auf die
öffentliche Ordnung zu nehmen. Hierüber liefert Van Schendelen eine kurze und objektive
Definition, die auf normative Wertungen verzichtet. Er bezeichnet Lobbying, als
,,Ansammlung unorthodoxer Bemühungen, um Informationen und Unterstützung im Spiel
der Interessen zu erlangen und dadurch ein gewünschtes Ergebnis von einem Machthaber
zu bekommen"
20
17
Vgl. Zetter, L., Lobbying, a.a.O., S. 6. Vgl. Schendelen, R. v., Die Kunst des EU-Lobbyings, a.a.O., S. 34.
Vgl. Leif, Th./Speth, R., Die fünfte Gewalt ­ Anatomie des Lobbyismus in Deutschland; in: Leif, Th./Speth, R.
(Hrsg.), Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland, 1. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 19. Vgl. Baumgartner,
F./Leech, L. B., Basic Interests. The Importance Of Groups in Politics and Political Science, Princeton 1998, S.
3. Vgl. Köppl. P., Power Lobbying: Das Praxishandbuch der Public Affairs. Wie professionelles Lobbying die
Unternehmenserfolge absichert und steigert, Wien 2003, S. 86.
18
Schendelen, R. v., Ebd.
19
Beide Begriffe werden in dieser Arbeit komplementär verwendet.
20
Schendelen, R. v., Ebd., S. 35.

8
Die öffentliche Ordnung umfasst das gesamte Spektrum der Entscheidungsträger und
Meinungsmacher. Davon haben die demokratisch legitimierten Vertreter, die dazu ermächtigt
sind, offizielle und rechtsgültige Entscheidungen zugunsten des Gemeinwohls zu treffen und
somit eine breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit genießen, zwangsläufig einen hohen
Stellenwert bei den Lobbyisten, die selbst jenseits der Gesetzgebungsprozesse agieren.
Unorthodoxe
21
Anstrengungen sind alle Formen und Methoden der Interessenvermittlung, die
sich ständig im wandelnden Prozess befinden und nicht an Ort und Zeit gebunden sind. Im
Kontext der vorgenannten Definition bilden Personen mit einem gemeinsamen Nenner, die
gleiche Interessen vermitteln und dieselbe Methode zur Informationsbeschaffung und
Interessendurchsetzung anwenden, eine Lobbygruppe. Lobbyismus ist ein aufwendiger und
vielseitiger Produktionsprozess, bei dem oft mehr Informationsinput hineinfließt als
politischer Output erzielt wird und bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Die
Beeinflussung und Lenkung systemrelevanter Politikelemente und -faktoren weist eine
gewisse Systematik auf. Sie bezweckt eine weit vom Augenmerk der öffentlichen Diskussion,
beinahe stille Bejahung und Einführung der vertretenen Belange. Dies lässt sich am besten
durch diskrete Treffen mit den politischen Repräsentanten verschiedener Ränge realisieren.
22
Lobbyismus kann als eine Ableitung von Interessen bzw. IG gesehen werden. Das Phänomen
ist für die Durchsetzung Letzterer unentbehrlich. Als ein Fundament der Politikwissenschaft
stellt Interesse den Ausgangspunkt vieler politischer Handlungen dar. Die Koordinierung von
gemeinsamen Interessen in einer organisierten Gruppe ist ein Zeichen von Reifung und
ermöglicht, dass deren Forderungen politisch leicht vertretbar und adressierbar sind. In
diesem Kontext ist es erwähnenswert, dass der Anspruch politischer Einflussnahme ein
charakteristisches Merkmal einer Interessengruppe ist. Darüber hinaus besitzt eine solche
Organisation, unabhängig davon, ob die Vertretung ihrer Interessen partikularer Natur sind
oder nicht, einen privatrechtlichen Status.
23
21
Die Methode der Einflussnahme wird je nach Land und Epoche unterschiedlich wahrgenommen. In diesem
Zusammenhang kann eine i-Form des Informationsaustausches in Land X institutionalisiert und somit
rechenschaftspflichtig sein und in Land Y als unorthodox gelten. Weil Lobbyismus ein Phänomen ist, das eng
mit der Politik in Zusammenhang steht und diese vom strukturellen Wandel der Gesellschaft abhängt, fällt es
schwer eine statische Definition der orthodoxen Formen und Methoden zu formulieren.
22
Vgl. Leif/Speth, Die fünfte Gewalt ­ Anatomie des Lobbyismus in Deutschland, a.a.O., S. 12f. Vgl. Leif, Th.,
Souveränitätsverzicht der Politik und Bedeutungsverlust der Parlamente, a.a.O., S. 180. Vgl. Schendelen, R. v.,
a.a.O., S. 36. Vgl. Zetter, L., Lobbying, a.a.O., S. 3.
23
Hier weist Klüver darauf hin, dass Interessengruppen nicht die Besetzungen eines politischen Postens
beanspruchen und nicht von öffentlichen Geldern finanziert werden. Vgl. Klüver, H, Lobbying in the European
Union. Interest Groups, Lobbying Coalitions and Policy Change, Oxford 2013. S. 5f.

9
Diese Eigenschaft unterscheidet sie von öffentlichen Institutionen.
24
Im Gegensatz dazu trennt
Leif IG von Lobbying. Seiner Auffassung nach zielt das Lobbying in erster Linie auf die
Vertretung von Partikularinteressen zu einem bestimmten Zeitpunkt ab und ist daher
projektabhängig. IG hingegen agieren über einen längeren Zeitraum und pflegen neben der
politischen Komponente auch die Außendarstellung der Verbandswerte sowie das
Verbandsimage. Dabei ist Lobbyismus stark durch eine Informationsdiskretion und
Informalisierung geprägt.
25
Wenn in dieser Abhandlung über Lobbyismus gesprochen wird, ist ebenfalls die
Interessengruppe gemeint. Dasselbe gilt ebenso für die Lobbyisten, die demnach als
Interessenvermittler oder Interessenvertreter verstanden werden. Die Definition von Leif
bietet ein statisches Bild und lässt den Wandel, dem das Phänomen im Laufe der Jahre
unterlaufen ist, unberücksichtigt. In dem angelsächsischen Gebiet hat sich diesbezüglich der
breite Begriff Advocacy etabliert. Darunter fällt generell die Annahme von den diskreten
Handlungen vollkommen aus. Hier geschieht die Beeinflussung der öffentlichen Ordnung
durch die Anregung von öffentlichen Debatten. Der Lobbyist - in diesem Fall als Advocate
tätig - kann während einer Diskussion, den für sich günstigen Zeitpunkt auswählen und durch
seine Partizipation, beispielsweise in Form einer Stellungnahme, den Prozess der
Gesetzgebung zu lenken. Neben den klassischen Formen der Interessenvertretung mittels IG,
Organisationen oder Zivilgesellschaften umfasst dieser Begriff auch weitere wirksame
Akteure der politischen Einflussnahme wie z.B. Public Affairs und Public Relations
Unternehmen, Anwaltskanzleien, Think Tanks, Institutionen oder andere Dienstleister. In
diesem Kontext können selbst Beamte zu bestimmten Themen Partei ergreifen und somit als
Advokaten agieren. Auf europäischer Ebene betrifft diese Erscheinung nicht nur hochrangige
Entscheidungsträger.
26
Bis zum Erreichen eines bestimmten Ziels beinhaltet die Lobbyaktivität verschiedene
Etappen, wie etwa Monitoring der Aktivitäten von politischen Entscheidungsträgern, die
Kontaktpflege mit diesen und anderen relevanten Akteuren, der öffentlichen Meinung oder
das Liefern von themenspezifischen Informationen. Diese vereinfachten Schritte setzten vor
allem Fähigkeiten und Erfahrung im Netzwerk- und Kommunikationsmanagement, in der
24
Vgl. Klüver, H, Lobbying in the European Union. a.a.O., S. 5f. Vgl. Leif/Speth, Die fünfte Gewalt, a.a.O., S.
13. Vgl. Lösche, P, Lobbyismus als spezifische Form der Politikberatung; in: Falk, S./Rehfeld, D. (Hrsg.):
Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006, S. 334.
25
Vgl. Leif/Speth, Die fünfte Gewalt, a.a.O., S. 14ff.
26
Vgl. Baumgartner, F./Berry, J. (Hrsg.), Lobbying and Policy Change. Who wins, Who loses and Why?,
London 2009, S. 8. Vgl. Mahoney, Ch., Brussels versus the Beltway. Advocacy in the United States and the
European Union, Washington 2008, S. 9.

10
politischen Strategieberatung sowie eine starke sachliche Fachkompetenz voraus. Aus diesem
Grunde besteht die Lobbyszene heutzutage vorwiegend aus geübten Politikberatern,
wirksamen Kommunikationsstrategen und erfahrenen Rechtsanwälten. Dementsprechend gibt
es keine passende und genaue Berufsbezeichnung für einen Lobbyisten, außer die eines
Interessenvertreters oder Advokats.
27
Im Deutschen wird für Advocacy der vielschichtige Begriff Politikberatung verwendet.
Politikberatung stellt eine Versorgung politischer Akteure mit wissenschaftlichem Material
dar. Das können themenspezifische politische Informationen, prozessorientierte
Lösungsansätze sowie Strategien der politischen Kommunikation sein. Daher betrachten sich
die Politikberater selbst als fachkompetente und sachliche Spezialisten, die als Vermittler
zwischen Handelnden aller Sphären der Gesellschaft, insbesondere der Politik fungieren.
28
Sowohl der angelsächsische als auch der deutsche Terminus gehören zur Familie des Public
Affairs Management (PAM). Der Begriff PAM stammt vom Lateinischen res publica
(Gemeinwesen) und manu agere (mit der Hand leiten) ab und bedeutet das Management
öffentlicher Angelegenheiten. Hierbei wird jedes Thema wahrgenommen, das die Agenda
einer bestimmten IG beeinträchtigen kann. Wegen der zielgerichteten Aktivität und der
effizienten Vermittlung und Durchsetzung von Interessen wird als die ,,Königsdisziplin" des
PAM bezeichnet. Dabei ist Lobbying an sich ohne PAM nicht wegzudenken.
29
In dieser Abhandlung bildet Lobbyismus einen breiten Begriff, der aus den Schlüsselaspekten
aller Genres des PAM besteht. Das Phänomen meint eine wechselseitige Austauschbeziehung
zwischen Interessenvertretern und politischen Entscheidungsträgern, die sich möglichst
diskret zu sein. Die Bedeutung und Tragweite der angebotenen Informationen verdeutlichen
die tatsächliche Machtposition, aus der politische Zugeständnisse resultieren können. Dabei
bedient sich Lobbyismus der vielfältigen Methoden und Instrumente des PAM und seiner
Unterkategorien. Bisher richtete der Ansatz dieser Arbeit seine Aufmerksamkeit auf den
Lobbyisten. Was jedoch ist etwa die Sicht der Politik und wieso nimmt sie Lobbyisten in
Anspruch?
27
Vgl. Goodwin, K/Ainsworth, H. S. /Godwin, E., Lobbying and Policy Making. The Public Pursuit of Private
Interests, London 2013, S. 3. Vgl. Köppl. P., Power Lobbying: Das Praxishandbuch der Public Affairs, a.a.O., S.
83.
28
Vgl. degepol Deutsche Gesellschaft für Politikberatung e.V., Was ist Politikberatung? Berater, Auftraggeber,
Tätigkeiten und die degepol als Berufsverband, Berlin 2010, S. 5ff. Vgl. Falk, S./Rehfeld, D./Römmele,
A./Thunert, M, Einführung: Politikberatung ­ Themen, Fragestellungen, Begriffsdimensionen, Konzepte,
Akteure, Institutionen und Politikfelder; in: Falk, S./Rehfeld, D. (Hrsg.): Handbuch Politikberatung, Wiesbaden
2006, S. 14.
29
Vgl. Dagger, S., Einführung. Mythos Brüssel?; in: Dagger, S./Kambeck, M. (Hrsg.), Politikberatung und
Lobbying in Brüssel, 1. Aufl., Wiesbaden 2007, S. 13. Vgl. Greven, M.,

11
2.2 Wieso nimmt die Politik externe Expertise in Anspruch?
,,Für die Politik ist Wissen, oder verkürzt Information,
die Währung mit der Einfluss erworben werden kann".
30
Die Geschichte des Lobbyismus offenbart, dass die Politik immerfort der Versuchung erliegt,
unter dem Einfluss externer Akteure zu stehen. Im Allgemeinen ermöglicht der Staat mit
seinen politischen Komponenten - einschließlich der Ämter - anhand bestimmter Prozesse und
Regelungen politische Entscheidungen zu treffen, die auf breite Zustimmung und
Anerkennung stoßen. Eine Trennung des Amtes in den eigentlichen Mandatsträger und die
Intervention Externer, führt zum Ausfall der Legitimationsgrundlage, die ein Merkmal der
Staatlichkeit ist und somit zur Erweiterung des Demokratiekonzepts. Der Staat gewinnt
hiermit eine neue Resonanz.
31
In diesem Zusammenhang legt Priddat drei wesentliche
Aspekte des Phänomens der Inanspruchnahme von Politikberatungsleistungen seitens
politischer Entscheidungsträger dar, die dieses neue Konzept des Staates prägen:
1. Externe Politikberater
32
werden bei Themen angeworben, die Politiker später nicht
rechenschaftspflichtig machen und womit sie sich nicht befassen wollen.
2. Politikberater zeichnen sich durch ihr Wissen und ihre sachliche Fachkompetenz aus.
Dementsprechend halten sie sich im Vergleich zu den Politikern als ermächtigter und
urteilssicherer.
3. In einem Kontext, in dem der Staat langsam seine Kompetenzen an weitere Akteure
überträgt, gewinnt externe Politikberatung an Gewicht.
33
Generell deckt die Politikberatung nur die Vorentscheidungsphase, d.h. die Vorbereitung der
Gesetzgebung oder die politische Position vor der Verordnungsbestimmung ab. Das
Anvertrauen von Sachverständigkeit und Zuschreiben von Kompetenzen an externe
Politikberater hat für den Politiker den Vorteil, dass die Adressierung der Verantwortlichen,
sollte ein Gesetzesvorhaben sein Ziel verfehlen, wegen fehlerhafter Beratung weiterhin offen
stünde. In diesem Sinne birgt die Fachkompetenz, nicht nur einen Vorteil, sondern auch ein
30
Vondenhoff, Ch./Busch-Janser, S., Praxishandbuch Lobbying, Brüssel 2008, S. 109.
31
Vgl. Priddat, B., Politik unter Einfluss. Netzwerke, Öffentlichkeit, Beratungen, Lobby, Wiesbaden 2009, S.
16.
32
Im Sinne der vorigen Begriffsbestimmung, treten Politikberater auch als Lobbyisten auf, falls ihre Intervention
zu einer Änderung der politischen Entscheidungen führt.
33
Vgl. Priddat, B. Politik unter Einfluss, a.a.O., S. 56f.

12
Akzeptanzrisiko. Im Gegensatz dazu, erwirbt diese Information im Falle eines Erfolgs, eine
stärkere Legitimität zur weiteren Berücksichtigung. Immerhin hat ein Berater nicht die
gleiche Funktion wie der Adressierte. Er ist kein öffentlicher Akteur in der politischen Arena
und trägt daher keine politische Verantwortung. Dennoch kann Lobbyismus zu Streitfragen
und Kontrollverlusten führen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wieso
Entscheidungsträger sich nicht direkt an den institutionsinternen wissenschaftlichen Dienst
wenden, sondern stattdessen externe Beratung aufsuchen?
34
Im Zuge der dynamischen Entwicklungsprozesse und des technologischen Fortschritts,
versucht sich die Gesellschaft den neuen Herausforderungen zu stellen. Die Festlegung
notwendiger Rahmenbedingungen fordert gezwungenermaßen die Einführung gesetzlicher
Regulierungen von Seiten der Politik. Wegen starrer Verwaltungsstrukturen und mangelnder
fachlicher Disposition läuft sie dabei Gefahr, sehr schnell krisenanfällig zu werden. Die
Ursache dafür liegt in der schleppenden Anpassung an neue technologische und soziale
Trends wie auch am mangelnden Know-how, welche zwangsläufig Bedarf nach externer
unternehmerischer Expertise entstehen lasse. Das Verstehen und Management von neuen
Tendenzen stellt ein wichtiges Merkmal von PAM dar.
35
Das Dasein von IG eröffnet den Entscheidungsträgern die Chance sich mit den Erwartungen
zu bestimmten Themen auseinanderzusetzten. In diesem Fall nutzen sie die aus der Praxis und
Empirie abgeleiteten themenspezifischen Erkenntnisse, die Interessenvertreter anempfehlen.
Die Advokaten werden somit vorübergehend als ,,Berater" eingesetzt. Der Informationslücke,
die früher klassischerweise von Verbänden gefüllt wurde, nehmen sich heute Public Affairs
Agenturen an. ,,Oft können die [Zuständigen] mit diesem Wissensvorsprung nicht mithalten
und übernehmen das Datenmaterial [...] ungeprüft".
36
Des Weiteren soll die dargebotene Information aus transparenten und glaubwürdigen Quellen
stammen. Demzufolge genießen interdisziplinär wissenschaftliche Ansätze einen besonderen
Status. Eine unsachliche Beratung veranlasst den Politiker dazu, sich an die Konkurrenz zu
wenden.
37
Das Phänomen der Politikberatung bzw. des Lobbyings wird als ein Merkmal jener
Gesellschaften qualifiziert, in denen Eliten vorkommen. Politiker mit einem beträchtlichen
34
Vgl. Priddat, B. Politik unter Einfluss, a.a.O., S. 57.
35
Vgl. Priddat, B., Ebenda, S. 172.
36
Hinrichs, U., Politiker und Lobbyisten ­ Lobbyisten als Politiker; in: Leif, Th./Speth, R. (Hrsg.), Die fünfte
Gewalt. Lobbyismus in Deutschland, 1. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 93.
37
Vgl. Priddat, a.a.O., S. 58 und S. 172f. Vgl. Kießling, A.: Politische Unternehmenskommunikation und
angewandte Politikforschung ­ Potentiale und Limitationen am Beispiel der Erneuerbaren Energie-Politik im
Wendejahr 2011; in: Korte, K-R. (Hrsg.): Angewandte Politikforschung. Eine Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c.
Werner Weidenfeld, Wiesbaden 2012, S. 218f.

13
Budget bedienen sich der Möglichkeit, sich politisch beraten zu lassen. Hierbei ist indes der
Prozess von besonderer Bedeutung und weit weniger der tatsächliche politische Inhalt. Dieser
genießt Prestigeimage und sendet das Signal nach außen, dass eine gewisse Unabhängigkeit
beim Treffen von Entscheidungen vorliegt. Die Anhörung von Lobbyisten oder
Politikberatern, liefert dem Entscheidungsträger nicht nur Informationen, sondern bringt ihm
auch Vorteile für den politischen Diskurs und seine Rhetorik.
38
Darüber hinaus stellt dieser Kontakt die Möglichkeit dar, Vertrauensbeziehungen für
Nebentätigkeiten oder spätere Anschlussbeschäftigungen zu pflegen. Aus diesem Grunde
bezeichnet man die Politik als das Gebiet des ,,Netzwerk- und Beziehungsmanagements", auf
dem die beteiligten Akteure um Einfluss ringen. Angesichts der genannten Gründe ist die
politische Realität eher von einer harmonischen Beziehung zwischen Politik und Lobbyismus
geprägt. Des Öfteren interagieren sie gemeinsam ,,in einem geschlossenen Informations- und
Beratungskreislauf"
39
und profitieren von den gegenseitigen Begutachtungen.
Ungeachtet
dieser Tatsache wird der Eigenständigkeit des Politikers ein hoher Stellenwert zugeschrieben.
Falls anstelle der Interessenvertretung des Gemeinwohls, die Partikularinteressen in des
Politikers in den Vordergrund rücken und ein Interessenskonflikt entsteht, besitzt er keine
langfristige Perspektive in der Politik.
40
Der europapolitische Raum ist aufgrund seiner Komplexität relativ frei von der Parteienlogik.
Neben der relativen Unabhängigkeit von der Fraktion, ist der Kontakt zu Interessenvertretern
- auf der formellen oder informellen Ebene ­ ein wichtiges Element der Politik auf EU-Ebene.
Dieser Kontakt ermöglicht antizipierende Wahrnehmung und Abschätzung politischer
Interessenpositionen sowie den Aufbau eines themenspezifischen vertrauten Netzwerks, dass
Informationen und Argumente für den politischen Entscheidungsträger bereithält und auf das
er dauerhaft zugreifen kann. Des Weiteren sind das Institutionengefüge und die politische
Willensbildung der EU im Vergleich zu der nationalen Ebene sehr vielfältig und komplex,
was die Präsenz von Lobbyisten erforderlich macht.
41
Um der europapolitischen Realität
näher zu kommen, wird im nachfolgenden Teil das Phänomen des Lobbyings in der EU aus
der Sicht der politischen Theorien dargestellt.
38
Vgl. Priddat, a.a.O., S. 83ff.
39
Leif, Th., Von der Symbiose zur Systemkrise; in: APuZ, 19/2010, S.5
40
Vgl. Priddat, a.a.O., S. 175. Vgl. Leif, Th. Von der Symbiose zur Systemkrise, a.a.O., S. 3ff. Vgl. Hinrichs, U.,
Politiker und Lobbyisten ­ Lobbyisten als Politiker; a.a.O., S. 95.
41
Vgl. Woll, C., Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union?; in APuZ, 15-16/2006, S. 33.

14
2.3 Theorien europäischer Interessenvermittlung
Die Interessenvermittlung spielt eine zentrale Rolle bei der politischen Entscheidungsfindung
in der EU. Aus den vielfältigen konventionellen und unkonventionellen Formen der
Interessenvertretung lassen sich Rückkopplungseffekte auf alle institutionellen und
prozeduralen Merkmale eines politischen Systems erkennen. Aufgrund der Entfaltung der EU,
erfährt das Phänomen einen stetigen Wandel. Dessen ungeachtet erweist sich die strukturierte
theoretische Erfassung des Phänomens als ein äußerst schwieriges Unterfangen für die
Forscher des Europäischen Politiksystems. Im Allgemeinen ermöglichen Theorien komplexe
Inhalte strukturanalytisch zu erklären um daraus generalisierte Schlussfolgerungen abzuleiten.
Ihr Zweck besteht darin, Modelle zu entwickeln, die durch deskriptive Äußerungen oder
kausale Erklärungen vielschichtige zusammenhängende Konstruktionen vereinfachen können.
Sie stellen den Ausgangspunkt einer rationalen Untersuchung dar und sind das
Aufschlussreiche einer wissenschaftlichen Abhandlung.
42
Die wissenschaftlichen Theorien,
die sich dem Thema widmen, lassen sich in zwei Oberkategorien einordnen:
1. In Globaltheorien, die einen allgemeingültigen Erklärungsanspruch aufweisen, allerdings
wegen des breiten Wirkungsbereiches keine einleuchtende Definition des Bezugsrahmens
ermöglichen. Dazu gehören empirisch-analytische Integrationstheorien wie
Neofunktionalismus und Intergouvernementalismus. Neofunktionalismus sieht den
europäischen Integrationsprozess als Resultat von Spill-Over Effekten. Auf Basis des
individuellen Engagements und der Kooperation versuchen wichtige politische Akteure ­
in diesem Fall Eliten ­ in einem Lernprozess, ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen.
Demgemäß fällt eine Prognose für den weiteren Verlauf der europäischen Integration eher
zuversichtlich aus.
43
Intergouvernementalismus hingegen sieht die europäische Integration
als eine Angelegenheit des Staates, der - als Produkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse -
die innerstaatlich eingeflossenen Interessen verschiedener Gruppen repräsentiert, die heute
dem Lobbyismus-Konzept nahe stehen. Auf Basis eines Kosten-Nutzen-Kalküls vertreten
IG zuerst innerstaatlich ihre spezifischen Belange und versuchen auf die Position der
42
Vgl. Michalowitz, I., Lobbying in der EU, Wien 2007, S. 25.
43
Vgl. Haas, B. E., The Uniting of Europe. Political, Social, and Economic Forces 1950-1957, Stanford 1958, S.
300. Vgl. Michalowitz, I., Lobbying in der EU, a.a.O., S. 25. Vgl. Wolf, D., Neo-Funktionalismus; in: Bieling,
H.-J./Lerch, M. (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, 2. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 65. Vgl. Neuss, B.,
Ernst B. Haas, Beyond the Nations State. Beyond the Nation State. Functionalism and International
Organization, Stanford 1964; in: Kailitz, S. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, Wiesbaden 2007, S.
143.

15
Entscheidungsträger verschiedener Politikbereiche Einfluss zu nehmen. Demnach werden
ihre vordefinierten Partikularinteressen in den zwischenstaatlichen Verhandlungen auf
europäischer Ebene diskutiert. Problematisch erweist sich bei dieser Theorie jedoch die
Inflexibilität der Interessendefinition. Für die europäische Interessenvermittlung sind in
diesen Kontext vor allem die Großtheorien des (Neo-)Institutionalismus und des
Rationalismus von besonderer Bedeutung.
44
2. Auf der anderen Seite stehen Theorien mittlerer Reichweite (TMR), die strukturierte
Ansätze aus den beobachteten Prozessen und Einzelaspekte der bereits erforschten
Globaltheorien logisch folgernd ableiten und interpretieren. Im Unterschied zu den
Globaltheorien ist der Erklärungsanspruch von TMR limitiert. Ihr besonderes Augenmerk
liegt in der Verifizierung und Erklärung von gewissen Gemeinsamkeiten oder
Unterschieden zwischen dem europäischen und nationalstaatlichen System. Dabei
versuchen sie interdisziplinär und handlungsorientiert, neue Rahmenbedingungen für eine
Diskussion festzulegen und, im Unterschied zu Intergouvernementalismus die besonderen
Merkmale der Interessenvermittlung jenseits nationaler Modelle zu akzentuieren. Im
Mittelpunkt der Genese der Theorien der europäischen Interessenvermittlung stehen
Pluralismus, Korporatismus und die Untersuchung von Politiknetzwerken.
45
Der nachfolgende Teil der Arbeit wird eine Zusammenfassung der Kerngedanken der
europäischen Interessenvermittlung aus Sicht verschiedener Theorien aus den angeführten
Oberkategorien liefern.
2.3.1 (Neo-)Institutionalismus
In der ursprünglichen Theorie von Institutionalismus stand Interessenvertretung nicht im
Mittelpunkt. Sie fungierte nur als Forschungsbezugssystem, das die Wahrnehmung der
politischen Entscheidungsträger auf bestimmte Merkmale einzelner Akteure sowie deren
Bedeutung für künftige politische Alternativen lenken ließ. Der behavorialistische und
44
Vgl. Bieling, H., Intergouvernementalismus; in: Bieling, H./Lerch, M. (Hrsg.), Theorien der europäischen
Integration, 2. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 92f. Vgl. Steinhilber, J., Liberaler Intergouvernementalismus; in:
Bieling, H./Lerch, M. (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, 2. Aufl., Wiesbaden 2006, S.168. und S.
179. Vgl. Grimmel, A./Jacobeit, C. (Hrsg.), Politische Theorien der europäischen Integration. Ein Text- und
Lehrbuch, Erste Auflage, Wiesbaden 2009, S. 192ff. Vgl. Michalowitz, Lobbying, a.a.O., S. 27.
45
Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 26ff. .

16
Rational-Choice Ansatz stellten die Basis für die Neoinstitutionalismustheorie von March und
Olsen dar.
46
Unter Bezugnahme beider Ansätze führten die Autoren fünf Eigenschaften auf,
die diese kennzeichnen: Die Ansätze sind kontextuell, weil sie Institutionen nur unter
Berücksichtigung ökonomischer und sozialer Größen und nicht als autonome Entität
erforschen und zudem reduktionistisch, weil sie die Politik als eine Gesamtheit von
individuellen Verhalten und Instrumenten bewerten. Darüber hinaus bewerten sie die Ansätze
als utilitaristisch, da beide das Prinzip der Nutzenmaximierung als Motiv jeder Handlung
sehen. Indem Politik als Instrument bewertet und die ,,Geschichte als ein zielgerichteter
Prozess beschrieben,,
47
wird, sind der behavorialistische und Rational-Choice Ansatz
instrumentalistisch und funktionalistisch.
48
Im Gegensatz dazu sehen Olsen und March den Stützpunkt politischer Handlungen und freier
Entscheidungen in der Existenz und Konsolidierung politischer Institutionen begründet, die
nach den definierten Rahmenbedingungen agieren bzw. das Politiktreiben ermöglichen.
Dadurch rückten Institutionen wieder in den Fokus der wissenschaftlichen Politikanalyse. Sie
sind der Ort, in dem sich Interessen privater Akteure entfalten können. Die Theorie wurde
weiter entwickelt und beinhaltet heute drei verschiedene Formen von Institutionen
49
:
a) Der historische Institutionalismus richtet sein Augenmerk auf die offiziellen Institutionen
sowie deren dauerhafter Geltung auf die handelnden Akteure.
b) Der soziologische Neoinstitutionalismus schließt dabei die informellen Normen in seinem
Sinne ein und weist somit einen klaren konstruktivistischen Ansatz auf.
c) Der rationalistische Ansatz beobachtet sowohl die Aktivität der beteiligten Akteure als
auch deren Anpassung an die institutionellen Strukturen und Rahmenbedingungen.
50
Die Theorie ist von einer globalen Reichweite gekennzeichnet und hat den Vorteil, dass man
auf Basis eines bereits vordefinierten institutionellen Rahmens aus dem Verhalten der
Handelnden bestimmte Handlungsanalogien erkennen und interpretieren kann.
46
Vgl. Kailitz, S, James G. March/Johan P. Olsen, Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of
Politics, New York/London 1989; in: Kailitz, S. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, Wiesbaden
2007, S. 278. Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 27.
47
Kailitz, S, James G. March/Johan P. Olsen, Rediscovering Institutions, a.a.O., S. 278.
48
Vgl. Kailitz, S, Ebenda.
49
Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 28.
50
Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 28. Vgl. Kailitz S, James G. March/Johan P. Olsen, Rediscovering Institutions,
a.a.O., S. 280.

17
2.3.2 (Neo-)Pluralismus vs. (Neo-)Korporatismus
Pluralismus und Korporatismus sind zwei Theorien, die die Diskussion über das Phänomen
der Interessenvermittlung Mitte des letzten Jahrhunderts dominiert haben. Beiden Paradigmen
setzen sich mit den Beziehungen zwischen dem Staat und den IG auseinander und
unterscheiden sich hauptsächlich in der Herangehensweise zur Einflussausübung und in der
Auslegung des Verhältnisses zwischen diesen Entitäten.
51
Neopluralismus geht auf Ernst Fraenkel zurück, der sich in seiner Arbeit ausführlich den
,,Faktoren der politischen Willensbildung" gewidmet hat. Sein Ansatz wird vom
Leitgedanken geprägt, dass jedes Individuum seinem Eigeninteresse folgt. Demzufolge treten
an die Stelle des öffentlichen Gemeininteresses eine Vielzahl von unkoordinierten IG auf, die
als Vertreter von Partikularinteressen agieren und miteinander um Zugang in der politischen
Politikgestaltung wetteifern. Ferner tragen Strukturen des Staates dazu bei, dass die in den
politischen Prozess involvierten Akteure mannigfaltig sind und Gehör finden. Währenddessen
findet zwischen den diversen kleinen IG keinerlei wechselseitige Beratung statt. Es werden im
Gegenteil starke Debatten angeregt, die jedoch nicht auf Tripartismus abzielen, sondern
vielmehr in einer Einbahnstraße enden. Dem Staatswillen wird im Aushandlungsprozess ein
inaktiver Status zugeschrieben. Ein wesentliches Merkmal des pluralistischen Ansatzes ist das
Fehlen eines Spitzenverbandes, der in diesem Zusammenhang die Belange abstimmen würde.
Das Endprodukt dieses Prozesses stelle nach Fraenkel das tatsächliche Gemeinwohl dar.
52
Das Pluralismusmodell sorgte jedoch für viel Kritik. Mancur Olson wies auf das Vorliegen
des Trittbrettfahrer-Effektes hin. Ihm zufolge würden Nicht-Mitglieder durch die Aktivität der
Verbände einen Vorteil genießen, ohne selbst einen Beitrag zu leisten oder sich organisieren
zu müssen. Angesichts der Annahme, dass das Ergebnis der Interessenvertretung ein
öffentliches Gut sei, erscheint einerseits die Anziehung bestimmter Gruppen als eine
mühselige Herausforderung. Somit würde ebenfalls das Prinzip der Exklusivität ausfallen, da
jeder von dem Ergebnis profitieren dürfe. Andererseits sei es ,,kleinen speziellen Gruppen
[...] leichter als größeren, allgemeinere Interessen vertretenden Organisationen, selektive
51
Vgl. Michalowitz, I., Beyond Corporatism and Pluralisms: Towards a New Theoretical Framework; in:
Warleigh, A./Fairbrass, J. (Hrsg.), Influence and Interests in the European Union: The new Politics of Persuasion
and Advocacy, 1. Aufl., London 2003, S. 38.
52
Vgl. Strohmeier, G, Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964; in: Kailitz,
S. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, Wiesbaden 2007, S. 126f. Vgl. Lijphard, A., Patterns of
Democracy. Government Forms and Performance in Thirty-Six-Countries, Cambridge 1999, S. 171. Vgl.
Michalowitz, I., Lobbying in der EU, a.a.O., S. 30. Vgl. Schäfer, A./Streck, W., Korporatismus in der
Europäischen Union; in: Höpner, M./Schäfer, A. (Hrsg.), Die politische Ökonomie der Europäischen Integration,
MPIfG Schriften, Bd. 61., Köln 2008, S. 204.

18
Anreize zu entwickeln und [...] Nicht-Mitglieder auszugrenzen."
53
Der Kritik von Olson
schloss sich auch der Politikwissenschaftler Scharpf an, der das pluralistische
Organisationssystem aus der demokratietheoretischen Perspektive in Frage stellte. Ihm
zufolge favorisiere Pluralismus vorwiegend nur die organisierten IG, deren Monopolstellung
sich empirisch überprüfen ließ. Des Weiteren unterstrich er die Schwäche des Pluralismus,
einen Reformkurs einzuschlagen und schrieb ihm daher konservative Züge zu.
54
Im Gegensatz zum pluralistischen Ansatz der Interessenvermittlung, zeichnet sich
Korporatismus durch ein konsensorientiertes institutionalisiertes System aus, in dem eine
begrenzte und privilegierte Anzahl von IG nicht als kleine Formation agieren, sondern
sachgemäß und hierarchisch-strukturiert in Spitzenverbände eingegliedert sind. Zudem
werden sie direkt in das politische Entscheidungsverfahren einbezogen. Das korporatistische
Modell erfordert eine rege Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren.
55
Als klassische Lobbyisten können IG individuell oder mit Hilfe der staatlichen Handelnden
wichtige Entscheidungen formulieren und umsetzen. In diesem Sinne werden Sie in den
Politikentscheidungsfindungsprozess ,,inkorporiert". Sie vollziehen im Korporatismus eine
Transaktion mit dem Staat, indem sie - als Marktteilnehmer unterwegs - für den Zugang und
das Sonderrecht zum Politiksystem den Entscheidungsträger mit diversen Leistungen wie z.B.
Information oder Expertise beliefern. Dieser Tausch stärkt die Akzeptanz der von staatlichen
Akteuren getroffenen Entscheidungen und beschert diesen eine Legitimitätsgrundlage bei den
durch die IG repräsentierten Mitgliedern.
56
Dank der Bereiche, die sie vertreten, genießen einzelne Akteure einen privilegierten Status.
Vor Erlass neuerer VO und RL oder Ergreifen bestimmter Maßnahmen sind sie die ersten
Ansprechpartner von denen sich die Entscheidungsträger beraten lassen. Mit Beratung sind
dabei wiederholte Kolloquien zwischen den Leitern der Spitzenverbände und den politischen
Vertretern gemeint, um gemeinsame vertragsverbindliche Einigungen zu erzielen. Sie werden
langsam zu einem festen Bestandteil des politischen Systems. Diese Form von Konsultationen
heißt ,,Tripartismus" oder ,,Dreiparteienbündnis". Auf nationaler Ebene finden Gespräche in
der Regel statt, wenn z.B. über Arbeitsmarktpolitik verhandelt wird. In diesem Fall sitzen
Vertreter der Regierung an einem Tisch mit der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite
53
Michalowitz, a.a.O., S. 31.
54
Vgl. Kropp. S, Verbände und Interessenpolitik; in: Jesse, E./Sturm, R. (Hrsg.), Demokratien des 21.
Jahrhunderts im Vergleich. Historische Zugänge, Gegenwartsprobleme, Reformperspektiven, Opladen 2003, S.
237. Vgl. Michalowitz, Ebenda.
55
Vgl. Lijphard, A. Patterns of Democracy, a.a.O., S. 171f.
56
Vgl. Kropp. S, Verbände und Interessenpolitik, a.a.O., S. 238. Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 32.

19
zusammen. Korporatistische Konsultationen auf EU-Ebene hingegen haben einen klaren
institutionellen Charakter. Bereits früher hat die KOM den gesetzlichen Rahmen für derartige
Formen der Repräsentation entwickelt und sie sogar initiiert und gefordert, damit bestimmte
Gruppen keine Monopolstellung gewinnen.
57
Aus diesem Grunde stellt Korporatismus die Etablierung und Institutionalisierung der IG
unter Mitwirkung des Entscheidungsträgers dar. Sein Integrationsgrad hängt davon ab, wie oft
der Staat die IG zur Vermittlung in Anspruch nimmt. Die Darstellung der Theorie erfolgte in
diesem Abschnitt auf der Grundlage der deskriptiven und normativen Perspektive. Einerseits
zielte die deskriptive Ebene darauf ab, die Korrelation zwischen Staat und IG zu
durchleuchten. Andererseits strebte das normative Element des Neo-Korporatismus an
,
die
legitimen Interessenvertreter, die den institutionalisierten Austausch von Erkenntnissen
induzieren, hervorzuheben. Heutzutage sind reine Pluralismus- und Korporatismusformen
selten vorzufinden. Die meisten Modelle stellen eine Synthese zwischen beiden Typen dar.
2.3.3 Interessenvermittlung als Teil der Netzwerktheorie
Sowohl Pluralismus als auch Korporatismus kalkulieren nur unzureichend eventuelle
Auswirkungen von Außenfaktoren mit ein. Aus diesem Grunde entstand der Ansatz der
Politiknetzwerke, der im Vergleich zu den beiden anderen Ansätzen weit fortgeschritten ist.
Der Ansatz der Politiknetzwerke ist ebenfalls unter die Kategorie der TMR zu verankern. Er
hat seinen Ursprung in dem Begriff issue network von Hugh Heclo. Mitte der 70er Jahre
untersuchte er die Rolle von IG und anderen Akteuren, die sich themenspezifischen
Bündnissen und Netzwerken bedienten, um einen gewissen Einfluss bei politischen
Entscheidungsträgern zu erzielen. Ihm zufolge stellt der Ausgangspunkt der IG einen
wichtigen Faktor für die politischen Schritte und Einflussanlässe während des
Entscheidungsfindungsprozesses dar.
58
Die Integration von Verbänden in bestimmten
Netzwerken ist allgegenwärtig. Ein solcher Schritt impliziert für die IG mehr
Informationsaustausch und Kooperation zwischen den Akteuren und eine Steigerung der
Unabhängigkeitsgefälle vom Staat. Die Politiknetzwerkanalyse versucht Schwachstellen der
57
Vgl. Kropp., S, Ebenda. Vgl. Michalowitz, a.a.O., S. 32f. Vgl. Lijphard, A., Patterns of Democracy, a.a.O., S.
172f. Vgl. Lelieveldt, H./Princen, S., The Politics of the European Union, Cambridge 2011, S. 133f. Vgl.
Bellamy, R./Castiglione, D., Democracy by Delegation? Who Represents Whom and How in European
Governance; in: Governance and Opposition, Bd. 46. Nr. 1., Oxford 2010, S. 110.
58
Vgl. Rüb, F. Hugh Heclo, Modern Social Politics in Britain and Sweden. From Relief to Income Maintenance,
New Haven/London 1974; in: Kailitz, S. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, Wiesbaden 2007, S.
157.

20
bisherigen Theorien zu verbessern und analysiert die Interessenvertretung aus zwei
Perspektiven. Einerseits richtet sie ihr Augenmerk auf die Mikro-Ebene, d.h. auf das
Verhältnis der IG untereinander: andererseits wird auf der Makro-Ebene dem Verhältnis
zwischen Staat und IG mehr Relevanz beigemessen. Dabei erkennt man bei beiden
Denkansätzen, dass pluralistische und korporatistische Überlegungen eine ebenso hohe
Bedeutung in der Diskussion über die Rolle der IG haben.
59
Das Augenmerk auf der Mikro-Ebene bezweckt eine Analyse der Interaktion und der
Machtpositionen unter den Akteuren im Laufe des politischen Prozesses. Hierbei wird auf das
Binom Staat-IG nicht Bezug genommen, sondern die Perspektive verschiebt sich von dieser
Beziehung hin zur Konstellation der themenorientierten Netzwerke. Hierzu werden Merkmale
der Netzwerke genauer untersucht. Das Augenmerk auf der Makro-Ebene konzentriert sich
auf dynamische Größen der Beziehung zwischen Staat und Interessenvertretungen, wie der
Institutionalisierungsgrad der IG oder der Einfluss des Staates unter Bezugnahme der
Annahmen vorgenannter Paradigmen, mit Rücksicht auf die Modelle der Interessenvertretung
und der Struktur des Staates.
60
,,Die Politiknetzwerkeanalyse zeigt einen Trend der Sektorisierung und Arbeitsteilung sowie
einer Fragmentierung des Staates und einer wachsenden Anzahl von Akteuren auf"
61
, die den
politischen Willensbildungsprozess lenken wollen. Eine breite Mitgliedschaft in den
Politiknetzwerken vermag ein hohes Potential für die Berücksichtigung kollektiver Interessen
in einem Prozess zu bergen. Dennoch weist die Vermutung, dass die politische Teilhabe der
Gesellschaftsstrukturen eine Verstärkung der demokratischen Legitimität herbeiführen kann,
eine Umwandlung der Intention von IG auf, die ursprünglich nur themenbezogene Interessen
bestimmter Gruppen und nicht unter allen Umständen durch eingegangene Kompromisse das
Gemeinwohl vertreten. Eine solche Annahme würde die Ungezwungenheit als typisches
Merkmal von Lobbying in den Prozess aufnehmen.
62
Da die Erforschung der
Politiknetzwerke im Hinblick auf ihre Aufbaustruktur einen starken Bezug zur pluralistischen
und korporatistischen Theorie aufweist, stellt sie keine eigenständige Theorie, sondern
vielmehr einen Ansatz dar, der zur Erklärung wichtiger Merkmale sowie Identifizierung von
59
Vgl. Michalowitz, I., Beyond Corporatism and Pluralisms: Towards a New Theoretical Framework, a.a.O., S.
37. Vgl. Kropp. S, Verbände und Interessenpolitik, a.a.O., S. 241. Vgl. Michalowitz, I., Lobbying in der EU,
a.a.O., S. 35.
60
Vgl. Michalowitz, I, Lobbying in der EU, Ebenda.
61
Michalowitz, a.a.O., S. 36.
62
Vgl. Kropp. S, Verbände und Interessenpolitik, a.a.O., S. 241f. Vgl. Straßenberger, G/Münkler, H, Was das
Fach zusammenhält. Die Bedeutung der Politischen Theorie und Ideengeschichte für die Politikwissenschaft; in:
Buchstein, H./Göhler, G. (Hrsg.), Politische Theorie und Politikwissenschaft, 1. Aufl., Wiesbaden 2007, S. 74.

21
Strukturelementen des Phänomens im Kontext des europäischen Politiksystems dienen kann.
Wie sich genau solche Strukturen von IG auf EU-Ebene entwickelt haben und welche Rolle
sie für das EU-Politiksystem spielen, wird ausführlich im kommenden Kapitel beschrieben.
3 Brüssel als Mekka des EU-Lobbying
Heute verkörpert Brüssel zweifellos die Hauptstadt der politischen Entscheidungsfindung auf
europäischer Ebene. Beinahe 80% der Gesetzgebung, die das tägliche Leben der europäischen
Bürger bestimmt; wird dort ratifiziert. Neben ihrer Institutionen verfügt die EU über kein
anderes grundlegendes bürokratisches Fundament, das ihre Beamten und politischen
Entscheidungsträger direkt mit Informationen und Expertise versorgt. Demzufolge erweist
sich die Lobbyarbeit vor Ort als unabdingbar. Bis Anfang Dezember 2013 hatten sich beim
gemeinsamen Transparenzregister (TR) über 6000 Organisationen registriert. Neben der
Lobbyaufgabe, kommt ihnen für ihre nationalen Mitglieder eine Überwachungsfunktion zu.
63
Die EU-Institutionen sind der meist frequentierte Ort von Interessenvertretern. Das Spektrum
von IG ist sehr breit. Man kann die Akteure in Brüssel in die Abbildung 1 dargestellten
Kategorien untergliedern. Jedoch haben die IG bis zur Gründung eines solchen Registers auf
europäischer Ebene kontinuierlich einen Wandel erfahren. Der nächste Abschnitt bietet einen
chronologischen Überblick über die Entwicklung dieses Phänomens.
Abbildung 1.: Typologie der Lobbyisten in Brüssel
Quelle: Eigendarstellung nach Statistiken des Transparenzregisters
64
63
Vgl. Statistiken des Transparenzregisters, Ebenda.
64
Vgl. Statistiken des Transparenzregisters; online im Internet http://ec.europa.eu/transparency/docs/reg/
new_statistiques_de.pdf, April 2013 [zugegriffen am 03.12.2013]. Hierbei sind ebenfalls statistische Daten aus
dem Kontaktverzeichnis Dod's Parliamentary Communications, European Union & Public Affairs Directory
2013: EPAD, London 2012 ausgewertet.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783956364327
ISBN (Paperback)
9783956367762
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen – Institut für Politische Wissenschaft
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Note
2,7
Schlagworte
EU EU-Lobbying Lobbyismus Korruption Europäsche Union Interessenvertretung Entscheidungsfindung Berlin Brüssel Industrie NGO Legitimität
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Titel: EU-Lobbying zwischen Interessenvertretung und Korruption
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