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Inwieweit rechtfertigen Menschenrechtsverletzungen das Eingreifen des UN-Sicherheitsrates?

Die erstmalige Anwendung der „Responsibility to Protect“ im Libyen-Einsatz.

©2013 Bachelorarbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

1, Einleitung:
‘Everyone has the right to life, liberty and security of person.’
Art. 3 Universal Declaration of Human Rights (UDHR) (UN 2013a).
Die ‘Allgemeine Erklärung der Menschenrechte’ wurde am 10. Dezember 1948 durch die Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet (UN 2013b). Durch die Verabschiedung haben sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen darauf geeinigt, die Erklärung anzuerkennen; sie sind somit dazu verpflichtet, die Einhaltung der Erklärung zu akzeptieren (Bautze 2012: 156).
Im Anschluss an die ‘Allgemeine Erklärung der Menschenrechte’ wurden weltweit Menschenrechtskataloge in verschiedenen Regionen verabschiedet, die das Ziel besitzen, den Menschenrechtsschutz in der jeweiligen Region zu gewährleisten. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Europäische Menschenrechtskonvention, die im Jahr 1953 in Kraft getreten ist und die den Menschenrechtsschutz in Europa in Anlehnung an die Normen der ‘Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte’ umfasst. Ihrem Beispiel folgten die Amerikanische Menschenrechtskonvention, die im Jahr 1978 in Kraft getreten ist, sowie die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Recht der Völker (1986) (vgl. Wittinger 2008: 26f.). Im Gegensatz dazu sahen manche islamitische Staaten die ‘Allgemeine Erklärung der Menschenrechte’ aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich des Verständnisses der Menschenrechte nicht an und gründeten daher die ‘Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung’ aus dem Jahr 1981. Basierend auf diesem Umstand und den ihnen zugrunde liegenden kulturellen Unterschiede stellt sich daher die Frage nach der Universalität der ‘Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte’ (ebd.: 28). Mit der Resolution 45/155 vom 18. Dezember 1990 vereinbarte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, nach der Teheraner Menschenrechtskonferenz 1968 eine zweite Weltmenschenrechtskonferenz nach der Verabschiedung der ‘Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte’ 1948 abzuhalten. Hauptanliegen der Konferenz in Wien war u.a. die Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes (vgl. Volger 2008: 217). Bereits im Vorfeld der Konferenz haben sich die Mitgliedstaaten in den verschiedenen UN-Regionaltruppen zur Vorbereitung der Konferenz für das Prinzip (lateinamerikanische Regionalgruppe) bzw. gegen das Prinzip der universellen Menschenrechte (afrikanische und asiatische Regionalgruppe) ausgesprochen. [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Yamani, Adam: Inwieweit rechtfertigen Menschenrechtsverletzungen das Eingreifen
des UN-Sicherheitsrates? Die erstmalige Anwendung der ,,Responsibility to Protect"
im Libyen-Einsatz, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-7694-1
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2014
Zugl. Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland, Bachelorarbeit, Mai 2013
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Printed in German

2
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ... 3
2 Geschichtlicher Rückblick ... 7
2.1 Der UN-Einsatz in Somalia ... 7
2.2 Die Bürgerkriege in Ruanda und im Kosovo ... 10
2.2.1 Ruanda ... 10
2.2.2 Kosovo ... 13
2.3 Die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen ... 16
3 Die Weiterentwicklung des Völkerrechts ... 18
3.1 Die Reden Kofi Annans ... 18
3.2 Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ... 21
3.3 Die ,,Responsibility to Protect" ... 24
3.3.1 Entstehung ... 24
3.3.2 Inhalt ... 26
4 Der Libyen-Einsatz ... 28
4.1 Der Arabische Frühling ... 28
4.2 Libyen ... 31
4.2.1 Der Bürgerkrieg ... 31
4.2.2 Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates ... 32
a) Die Resolution 1970 des Sicherheitsrates ... 32
b) Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates ... 34
4.3 Der NATO-Einsatz in Libyen ... 37
5 Zusammenfassung und Ausblick ... 39
Literaturverzeichnis ... 42

3
1 Einleitung
,,Everyone has the right to life, liberty and security of person."
Art. 3 Universal Declaration of Human Rights (UDHR) (UN 2013a)
Die ,,Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" wurde am 10. Dezember 1948 durch die
Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet
(UN 2013b). Durch die Verabschiedung haben sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen
darauf geeinigt, die Erklärung anzuerkennen; sie sind somit dazu verpflichtet, die Einhaltung
der Erklärung zu akzeptieren (Bautze 2012: 156).
Im Anschluss an die ,,Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" wurden weltweit
Menschenrechtskataloge in verschiedenen Regionen verabschiedet, die das Ziel besitzen, den
Menschenrechtsschutz in der jeweiligen Region zu gewährleisten. Besonders hervorzuheben
ist hierbei die Europäische Menschenrechtskonvention, die im Jahr 1953 in Kraft getreten ist
und die den Menschenrechtsschutz in Europa in Anlehnung an die Normen der ,,Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte" umfasst. Ihrem Beispiel folgten die Amerikanische
Menschenrechtskonvention, die im Jahr 1978 in Kraft getreten ist, sowie die Afrikanische
Charta der Menschenrechte und Recht der Völker (1986) (vgl. Wittinger 2008: 26f.). Im
Gegensatz dazu sahen manche islamitische Staaten die ,,Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte" aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich des Verständnisses
der Menschenrechte nicht an und gründeten daher die ,,Allgemeine Islamische
Menschenrechtserklärung" aus dem Jahr 1981. Basierend auf diesem Umstand und den ihnen
zugrunde liegenden kulturellen Unterschiede stellt sich daher die Frage nach der Universalität
der ,,Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" (ebd.: 28). Mit der Resolution 45/155 vom
18. Dezember 1990 vereinbarte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, nach der
Teheraner Menschenrechtskonferenz 1968 eine zweite Weltmenschenrechtskonferenz nach der
Verabschiedung der ,,Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" 1948 abzuhalten.
Hauptanliegen der Konferenz in Wien war u.a. die Weiterentwicklung des
Menschenrechtsschutzes (vgl. Volger 2008: 217). Bereits im Vorfeld der Konferenz haben sich
die Mitgliedstaaten in den verschiedenen UN-Regionaltruppen zur Vorbereitung der Konferenz
für das Prinzip (lateinamerikanische Regionalgruppe) bzw. gegen das Prinzip der universellen
Menschenrechte (afrikanische und asiatische Regionalgruppe) ausgesprochen. Ebenfalls haben
sich die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft für die universellen Menschenrechte
ausgesprochen
(vgl.
Volger
2008:
218f.).
Obwohl
vor
der
Konferenz

4
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten herrschten, schafften die Teilnehmer im
Abschlussdokument der Wiener Menschenrechtskonvention 1993 den Spagat zwischen den
verschiedenen Ansichten der 171 Teilnehmerstaaten; sie erkannten das Prinzip der universellen
Menschenrechte an, wiesen allerdings auf regionale Unterschiede hin (vgl. ebd.: 220). Somit
stellte die Wiener Menschenrechtskonferenz eine Weiterentwicklung der Menschenrechte dar
(vgl. ebd.: 225).
Gleichzeitig mit der Wiener Menschenrechtskonferenz waren die Vereinten Nationen in den
1990er Jahren mit einer Reihe von Bürgerkriegen konfrontiert, wie u.a. in Somalia, Ruanda und
im Kosovo, in denen jeweils schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden und wo
die Vereinten Nationen für ihr Verhalten schwer kritisiert wurden (vgl. Santos 2011: 16).
Gemäß Artikel 1 Ziff. 1 UN-Charta ist das primäre Ziel der Vereinten Nationen ,,to maintain
international peace and security" (UN 2013c) und überträgt gemäß Art. 24 Ziff. 1 UN-Charta
dem Sicherheitsrat die ,,primary responsibility for the maintenance of international peace and
security" (UN 2013d). Nach den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg einigten sich die
Mitglieder der Vereinten Nationen, dass ,,nothing (...) shall authorize the United Nations to
intervene in matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any state" gemäß
Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta (UN 2013c) sowie dass ,,all Members shall refrain in their international
relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence
of any state" gemäß Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta (ebd.). Zudem erkennen die Vereinten Nationen
laut Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta die Souveränität der Mitgliedstaaten an: ,,The Organization is
based on the principle of the sovereign equality of all its Members" (ebd.). Kapitel VII der UN-
Charta beinhaltet allerdings zwei Ausnahmen, die Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta außer Kraft setzen
würden: zum einen bekräftigen die Vereinten Nationen, dass ,,nothing in the present Charter
shall impair the inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs
against a Member of the United Nations" nach Art. 51 UN-Charta (UN 2013e) und zum anderen
besitzen die Vereinten Nationen bzw. der Sicherheitsrat die Möglichkeit, wenn er gemäß Art.
39 UN-Charta eine ,,existence of any threat to the peace, breach of the peace, or act of
aggression" feststellt, Zwangsmaßnahmen gemäß Art. 41f. UN-Charta zu erlassen (ebd.; vgl.
Santos 2011: 60). Obwohl parallel zu den Geschehnissen der Menschenrechtsschutz
weiterentwickelt wurde, kamen einzelne Staaten diesem Schutz nicht nach. Durch den
Misserfolg des UN-Mandats in Somalia 1992 schreckten die Vereinten Nationen vor weiteren
Mandaten u.a. in Ruanda und im Kosovo zurück. Dies liegt insbesondere daran, dass die
Vereinten Nationen im Falle Somalias die Erkenntnis gewannen, dass sie durch zahlreiche
Mandate den Bürgerkrieg nicht beenden konnten (vgl. Volger 2008: 185). Die Erfahrungen aus

5
Somalia prägten die zukünftigen Entscheidungen des Organs wie bspw. im Fall von Ruanda,
wo 1994 in Folge eines Völkermordes ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen
stattgefunden haben (vgl. Eisele 2010: 275). Ausgelöst durch die Bürgerkriege in den 1990er
Jahren entfachte eine Debatte, die den Namen der ,,Responsibility to Protect" trägt.
Insbesondere der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, der auf der
Generalversammlung im Jahr 1999 die Mitgliedstaaten auf die Geschehnisse aufmerksam
machte und aufforderte, trotz der geltenden UN-Charta bei möglichen schweren
Menschenrechtsverletzungen etwas zu unternehmen, hat die teils schwierige Debatte
entscheidend vorangebracht und sich jahrelang für das Konzept eingesetzt (vgl. Volger 2008:
429f.). Die Debatte stand von Anfang an vor einer großen Herausforderung: durch die Tatsache,
dass die Vereinten Nationen gemäß Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta die Souveränität der
Mitgliedstaaten anerkennen, bestand ein Konflikt zwischen dem Prinzip der Souveränität der
Staaten und dem Konzept der ,,Responsibility to Protect" (vgl. Dolzer 2010: 36). Im Laufe des
20. Jahrhunderts haben die Staaten kontinuierlich an Souveränität verloren, sei es u.a. durch
Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta oder durch den Prozess der voranschreitenden und intensivierten
Globalisierung, insbesondere die wirtschaftliche Globalisierung, die für eine steigende
internationale Vernetzung verantwortlich ist. Die ,,Responsibility to Protect" würde somit
ebenfalls einen Souveränitätsverlust für die Staaten bedeuten, da ein Staat bei schweren
Menschenrechtsverletzungen einen Eingriff der Vereinten Nationen befürchten müsste (vgl.
ebd.: 36ff.). Allerdings stellt Annan 2001 in seiner ,,Nobel Lecture" in Oslo fest, dass ,,the
sovereignty of States must no longer be used as a shield for gross violations of human rights"
(Annan 2001). Schlussendlich wurde das Konzept der ,,Responsibility to Protect" auf der
Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2005 von den Mitgliedstaaten anerkannt
und im Abschlussbericht aufgefasst. Sollte ein Staat seine Bevölkerung nicht vor schweren
Menschenrechtsverletzungen
1
schützen können oder wollen, besitzen die Vereinten Nationen
die Verantwortung, den Schutz der betroffenen Bevölkerung zu übernehmen (vgl. Santos 2011:
77). Mit der Aufnahme des Konzeptes stellt sich nun die Frage, inwieweit
Menschenrechtsverletzungen das Eingreifen des Sicherheitsrates rechtfertigen. Welche
Voraussetzungen müssen erfüllt werden, damit der Sicherheitsrat die Befugnis besitzt
1
Unter schwere Menschenrechtsverletzungen definiert das Internationale Strafgerichtshof folgende Straftaten:
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression (vgl. Bautze 2012: 108);
siehe ausführlicher unter 3.2.

6
einzuschreiten?
Welche
Möglichkeiten
besitzt
der
Sicherheitsrat,
um
Menschenrechtsverletzungen in einem Staat zu unterbinden?
Um Antworten auf die oben gestellten Fragen zu erhalten und näher zu erläutern, ist es
zunächst einmal bedeutsam, den geschichtlichen Hintergrund in den 1990er Jahren
aufzugreifen. Dabei spielt insbesondere der Einsatz der Vereinten Nationen in Somalia eine
große Rolle, da dieser die zukünftigen Entscheidungen des Organs hinsichtlich anderer
Bürgerkriege, wie zum Beispiel in Ruanda, maßgeblich beeinflusste (vgl. Volger 2008: 185).
Als sich die Mitglieder des Sicherheitsrates im Jahr 1999 bezüglich des Kosovo nicht einigen
konnten, intervenierte die North Atlantic Treaty Organization (NATO) ohne dessen
Zustimmung im Krisengebiet, um mögliche Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Durch
das Eingreifen der NATO verdichteten sich die Anzeichen, dass die Vereinten Nationen eine
Reihe von Reformen benötigten, insbesondere auch hinsichtlich der zahlreichen
Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Nationen, um weiterhin ihre Ziele zu verfolgen
und Hauptaufgaben zu erfüllen (vgl. Santos 2011: 53f.). Anschließend widmet sich die Arbeit
mit der Weiterentwicklung des Völkerrechts um die Jahrtausendwende. Hierbei wird zunächst
auf die zahlreichen Reden Kofi Annans eingegangen, in denen er immer wieder auf das Konzept
der ,,Responsibility to Protect" hinweist. Bevor im Anschluss daran die Entstehung und der
Inhalt der ,,Responsibility to Protect" dargestellt wird, ist zunächst die Entstehung des
Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erwähnenswert. Zwar wurde der IStGH unabhängig
vom Konzept der ,,Responsibility to Protect" bereits einige Jahre zuvor gegründet. Sie
komplementieren sich allerdings gegenseitig durch die Tatsache, dass Straftaten, wie zum
Beispiel Völkermord oder Kriegsverbrechen, die die ,,Responsibility to Protect" umfasst, vom
Internationalen Strafgerichtshof erfasst und aufgearbeitet werden können (vgl. Dolzer 2010:
38). Somit erhofften sich die Vereinten Nation durch die Gründung des IStGH und dem
Konzept der ,,Responsibility to Protect" zwei weitere Entwicklungen hin zum Schutze der
Menschenrechte. Überdies hinaus widmet sich die Arbeit im letzten Kapitel dem Libyen-
Einsatz der NATO im Jahr 2011, indem die ,,Responsibility to Protect" zum ersten Mal vom
Sicherheitsrat miteinbezogen wurde (Lehmann et al. 2011: 2). Nachdem die Entstehung des
Arabischen Frühlings zusammengefasst wird, wird anhand der Resolutionen 1970 und 1973,
die der Sicherheitsrat im Rahmen des Bürgerkrieges in Libyen erlassen hat, die erstmalige
Anwendung der ,,Responsibility to Protect" dargestellt. Der Schluss der Arbeit umfasst
schließlich den Einsatz der NATO in Libyen.

7
2 Geschichtlicher Rückblick
2.1 Der UN-Einsatz in Somalia
Die ersten Jahre nach der Kolonialzeit erwiesen sich als schwierig für Somalia, das 1960
seine Unabhängigkeit erlangte. Durch die jahrelange Präsenz der ehemaligen Kolonialmächte
Großbritannien und Italien entstanden erhebliche Unterschiede zwischen dem Norden und dem
Süden des Landes. Die Präsenz zahlreicher Klans, die in erster Linie versuchten, die
Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu befriedigen, war über den ganzen Staat verteilt und verhinderte
somit ein homogenes Nationalgefühl unter der Bevölkerung. Demgegenüber konnte der Staat
nur eingeschränkt auf den Einfluss der Klans reagieren, da ihm essentielle Maßnahmen, wie die
Präsenz einer Verwaltung und ausgebildete Beamte, fehlten (vgl. Janssen 2008: 98). Durch die
Ermordung des Präsidenten Abdirashiid Ali Shermaarke von einem seiner Leibwächter am 15.
Oktober 1969 erlangte das Militär, an dessen Spitze der Generalleutnant Mohamed Said Barré
stand, durch einen Putsch die Macht in Somalia. Das Militär genoss daraufhin eine hohe
Anerkennung in der Bevölkerung, da es, zusammen mit dem Obersten Revolutionsrat (Supreme
Revolutionary Council, SRC), versuchte, die zahlreichen Probleme im Landesinneren in den
Griff zu bekommen. Im Laufe der Zeit wurden allerdings die Absichten der SRC immer
deutlicher: sie verlangsamten den Prozess der Demokratisierung und strebten fortlaufend nach
mehr Macht (vgl. Bartl 1999: 27f.). In den späten Siebzigern wuchs der Unmut in der
Bevölkerung an; infolgedessen zog Barré in einen Krieg gegen Äthiopien und unternahm dabei
den Versuch, die Region Ogaden, das größtenteils aus Somalis bestand, zu erobern, um die
Opposition einzuschüchtern. Abhängig von der Sowjetunion, die für die Beschaffung der
Waffen des somalischen Militärs zuständig war, verlor Barré den Rückhalt der UdSSR, die sich
dazu entschloss, mit Äthiopien zu kooperieren. Dies veranlasste Barrés Streitkräfte, sich
notgedrungen aus dem Gebiet zurückziehen (vgl. Janssen 2008: 98f.). Angeschlagen durch den
verlorenen Konflikt mit Äthiopien erfolgte ein Putschversuch seitens der Offiziere gegen Said
Barré, der unterdessen fehlschlug. Die daraufhin angewandte Gewalt von Barré veranlasste
Überlebende nach Äthiopien zu fliehen, wo die Regimegegner im Anschluss daran die ,,Somali
Salvation Democratic Front" (SSDF) gründeten. Aus dem Norden Somalias trafen
Oppositionelle zusammen und bildeten Anfang der Achtziger Jahren die ,,Somali National
Movement" (SNM) und strebten ebenfalls den Sturz des Regimes an (vgl. Janssen 2008: 99).
Die ununterbrochenen politischen Unruhen führten zu Defiziten der somalischen Wirtschaft,
die sich vor allem im Ernährungsbereich in der Bevölkerung auswirkten. Nach Angaben des
Internationalen Komitees des Roten Kreuzes litten im Jahr 1992 75% der Bevölkerung, die in

8
den Flüchtlingscamps untergekommen waren, an Unterernährung (Bartl 1999: 32f.),
währenddessen die Militärausgaben des Staates zwei Drittel des Etats ausmachten und die
Bevölkerung somit zunehmend auf internationale Hilfe angewiesen war und bis heute noch ist.
Durch einen abgeschlossenen Friedensvertrag im Jahr 1998 zwischen Somalia und Äthiopien
entstand kurzerhand die Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage, was allerdings zur einer
Trotzreaktion seitens der ,,Somali National Movement" führte, da Äthiopien ihre Unterstützung
für die SNM einstellte. Daraufhin entschloss sich die Rebellenorganisation, die dem SNM
angehörte, eine Offensive zu starten und leitete im Mai 1988 den somalischen Bürgerkrieg ein
(vgl. Janssen 2008: 99f.).
Nach dem Zerfall des Barré Regimes gelang der Interimsregierung mit Regierungschef
Omar Arteh Ghaleb und Staatspräsident Ali Mahdi Mohamed im Oktober 1991 auch weiterhin
keine Beruhigung der Lage in Somalia (Volger 2008: 180). Auf Empfehlung des damaligen
UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali, der als Experte für die Region am Horn von
Afrika gilt (Janssen 2008: 103), sendeten die Vereinten Nationen bzw. Der Sicherheitsrat ein
erstes Zeichen Richtung Somalia, indem sie sich am 23. Januar 1992 in der Resolution 773 für
ein Waffenembargo aussprachen. Parallel zu den Geschehnissen wurde die Hungersnot im
Sommer 1992 in diversen Medien dokumentiert, was den Druck der Mitgliedstaaten, primär in
die USA und Westeuropa, erhöhte, die Bevölkerung vor einer humanitären Katastrophe zu
schützen. Daraufhin erfolgte eine Aufstockung der Exporte an Nahrungsmitteln seitens der
westlichen Staaten, die allerdings aufgrund von bewaffneten Milizen nicht vollständig an die
Bevölkerung weiter gereicht wurden. Als Konsequenz wurden im Spätherbst 1992
Überlegungen seitens der USA und der Vereinten Nationen laut, sich aktiver in Somalia zu
engagieren (vgl. Volger 2008: 180f.). Zu diesem Zeitpunkt plädierte eine große Anzahl an
Sicherheitsratsmitgliedern ­ nachdem das Waffenembargo zu keiner Beruhigung der Lage
führte ­ zu weiteren Maßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta (Bartl 1999: 44f.). Die
sodann beschlossene Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 der Vereinten Nationen stellte ein
neues Kapitel in der Geschichte des Organs dar, da der Sicherheitsrat erstmals in seiner
Geschichte eine interne staatliche Angelegenheit in Verbindung mit schweren
Menschenrechtsverletzungen als eine Bedrohung des Weltfriedens gemäß Art. 39 UN-Charta
einstuft und somit Zwangsmaßnahmen laut Kapitel VII der UN-Charta ergreifen darf (vgl.
Goede 2009: 5). Dabei wurde keine weitere UN-Friedenstruppe nach Somalia geschickt,
sondern die Unified Task Force (UNITAF), eine 30.000 Einsatzkräfte starke Truppe aus 20
Ländern, die unter dem Oberkommando der USA stand. In den darauffolgenden Monaten
gelang es der UNITAF, die Situation zu entschärfen, was unter anderen daran lag, dass sie

9
wichtige Teile Somalias unter ihre Kontrolle brachte und somit die Arbeit der internationalen
Hilfsorganisationen erleichterte. Allerdings konnte auch der Einsatz der UNITAF die Lage in
Somalia nicht stabilisieren; sie wurde daher, angesichts der kritischen Lage, durch die
Resolution 814 abgelöst und durch eine erneute UN-Friedenstruppe (UNOSOM II), bestehend
aus 28.000 Mann, ersetzt, deren Hauptaufgabe darin bestand, die an dem Bürgerkrieg
Beteiligten - notfalls mit militärischer Gewalt - zu entwaffnen. Die Erfüllung dieser Aufgabe
erwies sich jedoch als schwierig, da die Friedenstruppe immer wieder in zahlreiche Konflikte
geriet, was ihre Arbeit zusätzlich erschwerte. Dies hatte wiederum zur Folge, dass das Ansehen
der Friedenstruppe, insbesondere aufgrund des Vorgehens der US-Truppen, litt und zunehmend
den Rückhalt seitens der somalischen Bevölkerung verlor (vgl. Volger 2008: 181f.). Als
Konsequenz ordnete der US-amerikanische Präsident Clinton den Abzug des US-Militärs an,
was zugleich direkte Auswirkungen auf die Aufgabenverteilung der UNISOM II hatte, da dem
Beispiel der US-Amerikaner andere westliche Staaten folgten und ihre Truppen ebenfalls
abzogen.
Die anschließende Friedenstruppe bestand aus Soldaten, die größtenteils aus
Entwicklungsländern stammten und die, aufgrund einer schlechteren Ausbildung, die Aufgaben
aus der beschlossenen Resolution 814 nur schwer nachgehen konnten (vgl. Janssen 2008: 112).
Der Abzug zahlreicher Soldaten veranlasste den Sicherheitsrat im Februar 1994 dazu, in seiner
neuen Resolution 897 die Aufgaben der UNOSOM II zu reduzieren: die Friedenstruppe sollte
sich primär um humanitäre Hilfeleistungen und den Wiederaufbau politischer Institutionen
kümmern und somit eine passivere Rolle als zuvor einnehmen. Jedoch bestand auch mit der
neuen Resolution wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage, da die politischen Unruhen
im Landesinneren durch die zahlreichen Konflikte verschiedener Klans weiterhin die Arbeit
der UNOSOM II beeinträchtigten und eine Zusammenarbeit erschwerten. Folgenderweise
erlies der Sicherheitsrat im November 1994 die Resolution 954, die die Beendigung der Arbeit
der Friedenstruppe UNOSOM II am 31. März 1995 beinhaltete (vgl. Volger 2008: 183). Die
Vereinten Nationen blieben allerdings nach dem Abzug der gesamten UNOSOM II dennoch
weiterhin mit 50 Bediensteten in Somalia (Bartl 1999: 54).
Es stellt sich nun die Frage, bis zu welchem Grad der Einsatz der Vereinten Nationen als
Erfolg einzustufen ist. Die zahlreichen Missionen haben zwischenzeitlich eine Beruhigung der
Lage mit sich gebracht, indem die Akteure der Vereinten Nationen die allgemeine Sicherheit
verbesserten sowie die Milizen teilweise entwaffnet werden konnten. Zudem konnten
Fortschritte im Bereich der Lebensumstände der somalischen Bevölkerung erreicht werden
sowie mit dem Aufbau einer Verwaltung begonnen werden. Allerdings konnten die Vereinten

10
Nationen die Lage nicht konstant stabilisieren, was letztendlich auch an den verfeindeten
Konfliktparteien lag, die eine Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen verweigerten und
somit eine mögliche Aussöhnung erschwerten (vgl. Volger 2008: 183f.).
Die gesammelten Erfahrungen aus Somalia prägten im Allgemeinen jedoch die zukünftigen
Entscheidungen der Vereinten Nationen hinsichtlich humanitärer Notsituationen in anderen
Staaten, da die Mitgliedstaaten die Sorge teilten, bei einem ähnlichen Fall abermals in einer
innerstaatlichen Auseinandersetzung zu geraten (ebd.: 185). Diese Angst, erneut zu Versagen,
spiegelte sich im Verhalten der Vereinten Nationen während des Genozids in Ruanda wider
(vgl. Eisele 2010: 275).
2.2 Die Bürgerkriege in Ruanda und im Kosovo
2.2.1 Ruanda
Ähnlich wie in Somalia ist die Vorgeschichte in Ruanda von Belang, um die Geschehnisse im
anschließenden Genozid besser nachvollziehen zu können. Die Bevölkerung in Ruanda setzt
sich aus drei Gruppen zusammen: die Hutus, ein ackerbautreibendes Bantu-Volk, das ca. 80%
der Bevölkerung repräsentiert; die Tutsis, die aus Nordafrika stammen und Viehzüchter sind
(ca. 19%) und die Twa (ca. 1%), die bevorzugt in den Waldgebieten leben und Jäger und
Sammler sind. Letztere spielten im Bürgerkrieg sowie im anschließenden Genozid jedoch keine
Rolle. Begleitet von einem Mythos bezüglich ihrer Herkunft sahen sich die Tutsis als etwas
,,Höheres" gegenüber den Hutus. Den Tutsis gelang es daraufhin, aus den vielen kleinen, von
den Hutus gegründeten Königreichen, ein Zentralregime aufzubauen, welches unter ihrer
Kontrolle stand, da das Militär ausschließlich aus Tutsis bestand. Zwar waren die Rangfolge
und Hierarchie zwischen den Hutus und Tutsis klar geregelt, allerdings war das
Zusammenleben friedlich. Externe Faktoren beeinflussten das Zusammenleben beider
Bevölkerungsgruppen; insbesondere Belgien übte als Kolonialmacht nach dem Ersten
Weltkrieg einen großen Einfluss in Ruanda aus. Durch die Bevorzugung des europäischen
Kleinstaats u.a. Positionen in der Kolonialverwaltung zu besetzen sowie den Zugang zur
Bildung zu gewährleisten, entstanden kontinuierlich Spannungen zwischen den Hutus und den
Tutsis. Im Jahr 1959 spitzte sich die Lage folglich zu. Neben den zahlreichen
Benachteiligungen zulasten der Hutus, die daraufhin die Parmehutu-Partei gründeten,
verschärfte ein Mord die Situation um das Zusammenleben beider Gruppen. Als einer der
Führer der Parmehutu-Partei ermordet wurde, kam es im Laufe der nächsten Jahre zu
zahlreichen Massakern seitens der Hutus gegenüber den Tutsis, die anschließend flüchteten.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783842876941
Dateigröße
617 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Augsburg – Politische Wissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
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