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Bürokratie in der medizinischen Versorgung: Eine kritische Zustandsanalyse

©2013 Bachelorarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:
1, Problem- und Aufgabenstellung:
Gesundheit gilt als ein fundamentales Gut, im Verständnis vieler Menschen als eines der höchsten Güter überhaupt. Denn ‘Gesundheit ist nicht nur ein individueller Wert, sondern eine Voraussetzung für Wohlbefinden, Lebensqualität und Leistung, ein Wirtschafts- und Standortfaktor, die Voraussetzung für die Stabilität des Generationenvertrages und sie leistet einen Beitrag zur Teilhabe an der Gesellschaft und zur sozialen Gerechtigkeit.’ Dieses Gut zu erhalten ist nicht nur eine persönliche Aufgabe, sondern auch Aufgabe des Staates.
Das deutsche Gesundheitssystem galt über Jahre hinweg als eines der Hochwertigsten im Vergleich zu anderen internationalen Systemen. Doch seit geraumer Zeit wird dieser Status immer mehr in Frage gestellt. Das Gesundheitswesen in Deutschland wird seit den jüngsten Gesundheitsreformen zunehmend geprägt von steigendem Kostendruck und knapp bemessenen personellen Ressourcen. Das Spannungsfeld zwischen der Qualität der medizinischen Dienstleistungen und den verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erhöht sich.
Unter den Akteuren des Gesundheitssystems steigt zunehmend die Unzufriedenheit. Während Bundesregierung, Ärzte, Krankenhäuser, Krankenversicherer und Zulieferer darum kämpfen, ihre Interessen zu wahren, bleiben die Patienten besorgt und enttäuscht zurück. Mehr als die Hälfte der Bürger bekunden ihre Unzufriedenheit mit dem System.
Auf die wachsenden Besorgnisse und die Unzufriedenheit um das deutsche Gesundheitswesen reagierte der Gesetzgeber mit einer endlosen Reihe von Reformen. Jedoch haben die gesamten Entscheidungen der letzten Jahrzehnte zu einer unnötigen und unproduktiven Ausweitung der Bürokratie geführt. Immer mehr qualifizierte Mitarbeiter der Medizin, der Therapie oder der Pflege sind nicht mehr in der Lage, sich dem Versicherten und dem Patienten zeitlich ausreichend und qualifiziert zu widmen, da sie am Schreibtisch zunehmend Dokumentationen für Dritte erledigen müssen.
Jedes Jahr suchen in mehr als 500 Millionen Fällen Patienten in Deutschland den Rat ihres niedergelassenen Arztes. Krankenhäuser erbringen rund 20 Millionen stationäre Behandlungen. Hinzu kommen noch Leistungen der Pflege und weitere Dienstleistungen. [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Frommann, Daniel: Bürokratie in der medizinischen Versorgung: Eine kritische
Zustandsanalyse, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2013
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-3929-8
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2013
Zugl. Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), Magdeburg, Deutschland, Bachelorarbeit,
August 2013
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http://www.diplom.de, Hamburg 2013
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
II
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...III
Abkürzungsverzeichnis ... IV
1 Einleitung ... 1
1.1 Problem-
und
Aufgabenstellung ...1
1.2
Aufbau und Leitfragen ...2
1.3 Methodik
...3
2 Bürokratie und Bürokratisierung ... 4
2.1 Der Begriff Bürokratie und Max Weber ...4
2.2 Bürokratisierung ...9
2.3 Bürokratiekosten ... 11
2.4 Bürokratieabbau ...13
3 Das Gesundheitswesen in Deutschland ...17
3.1 Die Struktur des Gesundheitswesens ...17
3.2 Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ...20
3.3 Verwaltungsinstitutionen in der medizinischen Versorgung ... 21
3.4 Die ambulante und stationäre Versorgung ...23
3.5 Die Arzt- Patienten Beziehung ...23
4 Steuerung des Gesundheitswesens ...29
4.1 Steuerung und Regulierung ...29
4.2 Rationalisierung ...31
4.3 Rationierung ...32
4.4 Priorisierung ...33
5 Bürokratie in der medizinischen Versorgung ...35
5.1 Beispiele von Bürokratie ...35
5.1.1 Bürokratie in der Pflege ...35
5.1.2 Die elektronische Versichertenkarte ...37
5.1.3 Die Praxisgebühr ...38
5.1.4 Kassenanfragen ...39
5.1.5 Kodierrichtlinien ...40
5.1.6 Disease- Management -Programme (DMP) ...41
5.2 Ergebnisse bisheriger Untersuchungen ...42
6 Zusammenfassung ...46
7 Fazit ...52
Quellenverzeichnis ...56

Abbildungsverzeichnis
III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Vor- und Nachteile bürokratischer Organisationen ... 8
Abbildung 2:
Bürokratiekosten in Deutschland nach Branchen ...12
Abbildung 3:
Abbau von Bürokratiekosten ...16
Abbildung 4:
Die organisatorischen Beziehungen der Hauptakteure im deutschen
Gesundheitswesen ...19
Abbildung 5:
Beziehung der Akteure im deutschen Gesundheitswesen ...24
Abbildung 6:
Einschätzung der Bevölkerung zum Arztberuf ...27
Abbildung 7:
Auswirkung der Gesundheitsreform auf die Arzt- Patienten Beziehung ...28
Abbildung 8:
Umfrage Hartmannbund unter Assistenzärzten zu Arbeitsbedingungen ...44
Abbildung 9:
Ärztebefragung Attraktivität Arztberuf ...45

Abkürzungsverzeichnis IV
Abkürzungsverzeichnis
AKR Ambulante
Kodierrichtlinien
AOK Allgemeine
Ortskrankenkasse
BIP Bruttoinlandsprodukt
BMG Bundesministerium
für
Gesundheit
DEVK Deutsche
Eisenbahn-Versicherungskasse
DGVP
Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten
DMP
Disease- Management- Programm
DRG
Diagnosis Related Group
EDV Elektronische
Datenverarbeitung
eGK elektronische
Gesundheitskarte
EU Europäische
Union
G-BA Gemeinsamer
Bundesausschuss
GKV Gesetzliche
Krankenversicherung
GMG
Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
ICD International
Statistical Classification of Diseases
IGSF
Institut für Gesundheits- System- Forschung
IT Informationstechnik
KBV Kassenärztliche
Bundesvereinigung
KPMG
Klynveld, Peat, Marwick und Goerdeler International Cooperative
MDK Medizinischer
Dienst
der Krankenversicherung
MLP
Marschollek, Lautenschläger und Partner AG
NKR Normenkontrollrat
OECD Organisation
for
Economic
Co-operation and Development
RSA Risikostrukturausgleich
SGB
Sozialgesetzbuch
SKM
Standard- Kostenmodell
VFA Verband
forschender
Arzneimittelhersteller
VSG Versorgungsstrukturgesetz
WIWO Wirtschaftswoche
ZEKO Zentrale
Ethikkommission

1 Einleitung
1
1 Einleitung
1.1
Problem- und Aufgabenstellung
Gesundheit gilt als ein fundamentales Gut, im Verständnis vieler Menschen als
eines der höchsten Güter überhaupt.
1
Denn ,,Gesundheit ist nicht nur ein indivi-
dueller Wert, sondern eine Voraussetzung für Wohlbefinden, Lebensqualität
und Leistung, ein Wirtschafts- und Standortfaktor, die Voraussetzung für die
Stabilität des Generationenvertrages und sie leistet einen Beitrag zur Teilhabe
an der Gesellschaft und zur sozialen Gerechtigkeit."
2
Dieses Gut zu erhalten ist
nicht nur eine persönliche Aufgabe, sondern auch Aufgabe des Staates.
Das deutsche Gesundheitssystem galt über Jahre hinweg als eines der Hoch-
wertigsten im Vergleich zu anderen internationalen Systemen. Doch seit ge-
raumer Zeit wird dieser Status immer mehr in Frage gestellt. Das Gesundheits-
wesen in Deutschland wird seit den jüngsten Gesundheitsreformen zunehmend
geprägt von steigendem Kostendruck und knapp bemessenen personellen
Ressourcen. Das Spannungsfeld zwischen der Qualität der medizinischen
Dienstleistungen und den verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
erhöht sich.
3
Unter den Akteuren des Gesundheitssystems steigt zunehmend die Unzufrie-
denheit. Während Bundesregierung, Ärzte, Krankenhäuser, Krankenversicherer
und Zulieferer darum kämpfen, ihre Interessen zu wahren, bleiben die Patienten
besorgt und enttäuscht zurück. Mehr als die Hälfte der Bürger bekunden ihre
Unzufriedenheit mit dem System.
4
Auf die wachsenden Besorgnisse und die Unzufriedenheit um das deutsche
Gesundheitswesen reagierte der Gesetzgeber mit einer endlosen Reihe von
Reformen. Jedoch haben die gesamten Entscheidungen der letzten Jahrzehnte
zu einer unnötigen und unproduktiven Ausweitung der Bürokratie geführt. Im-
mer mehr qualifizierte Mitarbeiter der Medizin, der Therapie oder der Pflege
1
vgl. Wippermann, u.a. 2011, S. 11
2
Paul, Schmidt- Semisch, 2010 , S. 119
3
vgl. Gühl, 2012, S. 1
4
vgl. Porter, Guth, 2012, S. 2

1 Einleitung
2
sind nicht mehr in der Lage, sich dem Versicherten und dem Patienten zeitlich
ausreichend und qualifiziert zu widmen, da sie am Schreibtisch zunehmend Do-
kumentationen für Dritte erledigen müssen.
5
Jedes Jahr suchen in mehr als 500 Millionen Fällen Patienten in Deutschland
den Rat ihres niedergelassenen Arztes. Krankenhäuser erbringen rund 20 Milli-
onen stationäre Behandlungen. Hinzu kommen noch Leistungen der Pflege und
weitere Dienstleistungen.
6
Jedoch beklagen die direkt am Prozess der medizini-
schen Versorgung Beteiligten, also Patienten und Ärzte den Mangel an Zeit für-
einander. In immer kürzerer Zeit müssen immer mehr Patienten behandelt wer-
den. Und mit jedem zusätzlichen Patienten steigt der Verwaltungsaufwand.
Wichtiger als die Gesundheit des Menschen erscheint der Zwang zur Dokumen-
tation und zum Füllen von Papier. Das Individuum Mensch soll durch starre Vor-
lagen und vorgegebene Behandlungsweisen rationell, kostengünstig, standardi-
siert versorgt werden.
Das Gesundheitswesen stellt mit einem Ausgabenvolumen von rund 278,3 Mil-
liarden Euro und 4,7 Millionen Beschäftigten in 2009 einen der bedeutendsten
Zweige der deutschen Wirtschaft dar. Einer von zehn Arbeitsplätzen liegt im
Bereich Gesundheitswesen, für welches 10,6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
ausgegeben werden. Das vom Geld im deutschen Gesundheitssystem immer
weniger für die tatsächliche Patientenversorgung zur Verfügung steht, da die
Verwaltung des Systems aufgrund bürokratischer Vorgaben und neuer Regulie-
rungsinstanzen immer aufwändiger wird, ist eine oft gehörte Vermutung, genau
wie die diesbezüglich genannten, zum Teil sehr hohen Zahlen, die ,,gefühlt"
deutlich über den offiziellen des Statistischen Bundesamtes liegen.
7
1.2
Aufbau und Leitfragen
Inhalt dieser Arbeit soll die kritische Betrachtung der Folgen von Bürokratie auf
unsere medizinische Versorgung sein.
5
vgl. Bandelow, Eckert, Rüsenberg, 2009, S. 231
6
vgl. Thielscher, 2012, S. 9
7
vgl. Blümel, Fuchs, Busse, 2013, S. 7

1 Einleitung
3
Folgende Fragestellung soll beantwortet werden:
Welche Auswirkungen hat die Bürokratie auf unsere medizinische Versorgung?
Deshalb sollen zunächst im zweiten Teil der Arbeit die Begriffe und die Entste-
hung von Bürokratie im Allgemeinen erläutert werden.
Anschließend, im dritten Teil, werden die Akteure im deutschen Gesundheits-
wesen, die Zusammenhänge und die Strukturen der medizinischen Versorgung
dargestellt. Diese Organisationen und ihre Beziehungen zueinander unterliegen
einer Steuerung und Regulierung, welche im vierten Abschnitt der Arbeit erläu-
tert werden, bevor es dann um konkrete Beispiele und Folgen der Bürokratie in
der medizinischen Versorgung und bisherige Forschungsergebnisse zu diesem
Thema geht. Zusammenfassend werden die wichtigsten Ergebnisse betrachtet,
ein Fazit der gewonnenen Ergebnisse gezogen und auf weiteren Forschungs-
bedarf hingewiesen.
1.3
Methodik
Eine fundierte empirische Informationssammlung ist das Kernelement zur
Überprüfung von wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Zusam-
menhängen. Zur Entscheidungsfindung, für die Planung von Strategien, oder
auch nur mit dem Ziel, sich eine Meinung im ,,Konzert der demokratischen Ge-
sellschaft" zu verschaffen, ist ein breites Wissen über den Status Quo unum-
gänglich.
8
Gleichwohl bedarf es eines Verständnisses der Zusammenhänge und
Ursachen, die zu der aktuellen Situation geführt haben.
Die Untersuchung ist als qualitative Literaturanalyse konzipiert. Berücksichtigt
wurde die verfügbare aktuelle Fachliteratur, welche einen inhaltlichen Bezug zu
der Untersuchungsfrage aufweist. Mittels einer systematischen Recherche in
der gesundheitswissenschaftlichen Literatur und in den Online- Datenbanken
von SpringerLink, Statista und WISO sollen die Grundfragen zu der medizini-
schen Versorgung und deren Steuerung, zu Bürokratie und deren Folgen und
zur aktuellen Lage im Gesundheitssystem in Bezug auf Bürokratie ermittelt
werden.
8
vgl. Diekmann, 2005, S. 11

2 Bürokratie und Bürokratisierung
4
2 Bürokratie und Bürokratisierung
2.1 Der Begriff Bürokratie und Max Weber
Zunächst sollen die Begriffe definiert und beschrieben werden, die in Beziehung
zur Entstehung von Bürokratie stehen und für die weiteren Ausführungen eine
wichtige Rolle spielen. Es wird dargestellt seit wann es diese Form der ,,Herr-
schaft" gibt und warum Bürokratie entsteht. Welche Folgen hat Bürokratie und
was sind mögliche Werkzeuge, um eine sich weiter ausbreitende Bürokratie zu
vermeiden?
Erstmals wurde der Begriff der ,,Bürokratie" von dem französischen Regie-
rungsbeamten Vincent de Gornay (1712 - 1759) verwendet. Er sprach mit Blick
auf die - von ihm konstatierte - Reglementierungswut der Regierung von der
,,bureaucratie" als der Krankheit der Schreibstuben und Kanzleien und bezeich-
nete diese als zuweilen vierte oder fünfte Regierungsform.
9
Der Begriff Bürokratie besteht aus zwei Teilen:
,,bureau", welches Büro, Arbeitszimmer und Schreibtisch bedeutet
,,cratie", welches für Herrschaft, Macht und Gewalt steht.
10
Die wissenschaftliche Fundierung von Bürokratie geht jedoch auf die Arbeiten
von Max Weber (1864 - 1920) zurück, der ,,Bürokratie" als soziologischen
Grundbegriff geprägt hat. Weber untersuchte Bürokratie unter dem Aspekt der
Herrschaft, die er als ,,Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts, bei (..)
[konkret benannten] Personen Gehorsam zu finden"
11
, definierte. Er unterschied
dabei drei mögliche Herrschaftsformen:
· die
charismatische Herrschaft beruht auf der ,,außeralltäglichen Hingabe
an die Heiligkeit oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der
durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen"; sie ist demnach durch
ein ,,Führer-Anhänger-Verhältnis" gekennzeichnet;
9
vgl. Wunder, 1986, S. 41
10
vgl. Eichhorn, 2002, S. 153
11
Weber, 1976, S. 28

2 Bürokratie und Bürokratisierung
5
· die
traditionelle Herrschaft, die sich ,,auf den Alltagsglauben an die Heilig-
keit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autori-
tät Berufenen" gründet und die somit durch ein ,,Herr-Diener-Verhältnis" be-
schreibbar ist und
· die
bürokratische Herrschaft, die Weber als ,,legale Herrschaft mit büro-
kratischem Verwaltungsstab" definiert, die ,,auf dem Glauben an die Legalität
gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung
der Herrschaft Berufenen" aufbaut. Beim Herrschaftstyp Bürokratie besteht also
ein Verhältnis ,,Vorgesetzter- Untergebener".
12
Max Weber war der Erste, der den Begriff der Bürokratie geklärt und starke
Thesen über die Funktion der Bürokratie in modernen Gesellschaften entwickelt
hat. Für Weber hat Bürokratie zwei Bedeutungen. Auf der einen Seite ist sie die
effizienteste Form der Verwaltung, die sowohl von Regierungen wie von Privat-
unternehmen als Mittel der Herrschaft eingesetzt wird. Auf der anderen Seite ist
die Bürokratie sehr eng verknüpft mit dem Aufstieg des modernen Staates. Die-
ser Staat wird allgemein charakterisiert als ein System ,,legaler Herrschaft mit
einem bürokratischen Verwaltungsstaat."
13
Webers Analysen zur Bürokratie prägen nach rund 80 Jahren nach wie vor die
Vorstellungen über Politik und Verwaltung. Weber gilt als Wegbereiter der Or-
ganisationstheorie und der Verwaltungswissenschaften.
14
Webers Idealtyp der legalen Herrschaft zielt auf die Vermeidung jeglicher per-
sönlicher Willkür bei der Herrschaftsausübung und sichere Kontinuität und Pro-
fessionalität in der Erledigung der Aufgaben.
15
Gemäß seiner Leitidee der fort-
schreitenden Rationalisierung sah Weber in der Bürokratie die reinste Form
legaler Herrschaft und die höchste Stufe der Rationalität, die durch Sachlichkeit
Unpersönlichkeit (im positiven Sinne als Unparteilichkeit) und Berechenbarkeit
gekennzeichnet ist.
16
Welche Merkmale im Einzelnen für den Idealtyp der Bürokratie konstitutiv sind,
hat Weber nirgendwo in der Form einer konsistenten Aufstellung dargelegt.
12
vgl. Weber, 1976, S. 124
13
Haller, 2009, S. 223
14
vgl. Bogumil, Jann, 2008, S. 137
15
vgl. Kirchhof, 2012, S. 34
16
vgl. Armbrüster, Banzhaf, Dingemann, 2010, S. 17

2 Bürokratie und Bürokratisierung
6
Daher sind immer wieder unterschiedliche Sichtweisen und Formulierungen in
der Literatur dargestellt worden. Jedoch die am häufigsten gefundenen Merk-
male des Idealtyps Bürokratie nach Weber sind:
x Positionen/ Stellen als Bausteine der Organisation
x feste Amtskompetenzen und klare Amtshierarchie
x Regelgebundenheit und Unpersönlichkeit der Amtsführung
x Aktenmäßigkeit aller verwaltungstechnischen Abläufe
x Qualifiziertes und loyales Fachpersonal
All diese Punkte kommen uns heute sehr bekannt vor und nicht zuletzt dank
Weber sind sie zu einer Art Gemeingut im Denken über Organisationen gewor-
den.
17
Die von Weber reklamierte Effizienz bürokratischer Organisationen ist in
vielfältiger Weise in Frage gestellt worden. Bürokratie wird geradezu als Syno-
nym für Ineffizienz, für pedantisches, engstirnig- formalistisches Denken und
Handeln sowie als Krankheit, die der guten Verwaltung die Kraft raubt, verwen-
det.
18
Bürokratie unterscheidet sich von den anderen Herrschaftsformen insbesonde-
re durch ihre rechtsstaatliche und demokratische Ausrichtung. Damit ist deut-
lich, warum Weber in der Entwicklung der bürokratischen Verwaltung ,,die
Keimzelle des modernen oczidentalen Staates"
19
sieht. Bürokratie ist das Kenn-
zeichen jeder modernen Form von Verwaltung im öffentlich staatlichen Bereich,
aber auch in weiteren Bereichen und Organisationen wie in Unternehmen, Be-
trieben, Verbänden, Parteien, Kirchen, usw., in denen Herrschaft auf der Basis
einer rational-legalen Ordnung ausgeübt wird.
20
Bürokratische Organisationen bringen Vorteile aber auch Nachteile und Prob-
leme mit sich.
Fast jede Organisation hat Vorteile der Bürokratie und nutzt diese. Ein Vorteil ist
die Erstellung von organisationalen Hierarchien, die effizient Interaktionen zwi-
schen den organisationalen Ebenen kontrolliert aufzeigt. Somit klärt sie die
Spezifikation der vertikalen Weisungsrechte und der horizontalen Aufgabenbe-
ziehungen. Individuen können somit für die Art, wie sie etwas tun, verantwort-
17
vgl. Preisendörfer, 2008, S. 100
18
vgl. Wimmer, 2004, S. 162
19
ebd. S. 128
20
vgl. Zimmermann, 2003, S. 46

2 Bürokratie und Bürokratisierung
7
lich gemacht werden. Die Spezifikation der Rollen und die Nutzung von Regeln,
Standardarbeitsanweisungen und Normen zur Regulierung der Ausführung von
Aufgaben reduzieren Kosten, die mit der Kontrolle der Arbeit von Untergebenen
verbunden sind und steigern die Integration innerhalb der Organisation. Ein wei-
terer Vorteil besteht darin, dass sie eine Position von der anderen trennt. Die
Gerechtigkeit und Gleichheit der bürokratischen Auswahl, der Evaluation und
des Entlohnungssystems ermuntern die Mitglieder, die Interessen und Erwar-
tungen der Organisation zu fördern und umzusetzen. Auf diese Weise fördert
Bürokratie die Differenzierung, steigert die organisationalen Kernkompetenzen
und erleichtert es, im Wettbewerb mit anderen Organisationen um knappe Res-
sourcen zu bestehen.
21
So wird bei bürokratischen Organisationen allgemein ihre technische Überle-
genheit gegenüber anderen Organisations- und Herrschaftsformen in komple-
xen, arbeitsteiligen und hochgradig differenzierten Gesellschaften hervorgeho-
ben. Betont wird vor allem die Objektivität, Stetigkeit, Berechenbarkeit, Planbar-
keit und Zuverlässigkeit der Bürokratie.
Allerdings löst gerade die unpersönliche Objektivität ein Unbehagen an Büro-
kratie aus und lässt sie als befremdlich, wenn nicht gar bedrohlich erscheinen.
Zu den Nachteilen und Problemen zählen unter anderem ,, die aufgeblähte Bü-
rokratie, die berühmten unnützen und überflüssigen Gesetze und Vorschriften,
aber auch bürokratische Sprache, unverständliche bis absurde Vorschriften und
Bescheide, unfreundliches Verhalten von Mitarbeitern der Verwaltung, Unper-
sönlichkeit, Rigidität, Dogmatismus, undurchschaubare Prozesse und Zustän-
digkeiten".
22
In der folgenden Tabelle sind Vor- und Nachteile der bürokratischen Organisati-
on im Sinne Max Webers gegenübergestellt. Unterschieden wird dabei zwi-
schen Vor- und Nachteilen für den Staat und für die Bürger auf vier grundle-
genden Dimensionen einer Organisation.
21
vgl. Jones, Bouncken, 2008, S. 331
22
vgl. Jann, Wegrich, Tiessen, 2007, S. 12

2 Bürokratie und Bürokratisierung
8
Abbildung 1: Vor- und Nachteile bürokratischer Organisationen
23
Damit wird als ein generelles Problem jeder bürokratischen Organisation bzw.
bei der grundsätzlichen Kritik am bürokratischen Prinzip die fehlende Anpas-
sung an sich wandelnde Ziele in einer sich permanent wandelnden gesellschaft-
lichen Umwelt deutlich.
Bürokratien haben auf Grund ihrer strukturellen Merkmale in der Regel Schwie-
rigkeiten, sich dem sozialen Wandel anzupassen. In der Folge sinkt ihre Leis-
tungsfähigkeit, denn sie sind von Reformulierungen ihrer gesetzten Ordnung
abhängig, um weiterhin effektiv zu sein. Und: Mit zunehmendem sozialem
Wandel werden zwangsläufig die Anpassungsschwierigkeiten der Bürokratie
größer.
24
Der Begriff ,,Bürokratie" ist also kein Begriff der heutigen Zeit, sondern existiert
schon bereits seit mehreren Jahrhunderten. Die Bedeutung wie ,,Herrschaft des
Büros" wurde schon lange vor der französischen Revolution als Schimpfwort
genutzt. Er beschrieb einen negativen Zustand, in dem Verwalten zum Selbst-
zweck geworden war.
25
Bereits in einen Brief aus dem Jahre 1821 beschrieb der Reformer der preußi-
schen Verwaltung- Freiherr von Stein- das Grundübel der Bürokratie folgend:
23
Seibel, 1986, S. 142
24
vgl. Zimmermann, 2003, S. 44
25
vgl. Bogumil, Jann, 2008, S. 114

2 Bürokratie und Bürokratisierung
9
,,... daß wir fernerhin von besoldeten buchgelehrten, interessenlosen, ohne Eigenthum
seyenden Buralisten regiert werden...Diese 4 Worte enthalten den Geist unserer und
ähnlicher geistlosen Regierungsmaschinen, besoldet, also Streben nach Erhalt und
Vermehrung der Besoldeten;-buchgelehrt; also lebend in der Buchstabenwelt, und
nicht in der wirklichen;- interessenlos, denn sie stehen mit keiner der den Staat ausma-
chenden Bürgerklasse in Verbindung; sie sind eine Kaste für sich, die Schreibkaste;-
eigenthumslos, also alle Bewegungen des Eigenthums treffen sie nicht; es regne oder
scheine die Sonne, die Abgaben steigen oder fallen, man zerstöre alte hergebrachte
Rechte, oder lasse sie bestehen,...alles das kümmert sie nicht. Sie erheben ihren Ge-
halt aus der Staatskasse und schreiben, schreiben, schreiben im stillen mit wohlver-
schlossenen Thüren versehenen Bureau, unbekannt, unbemerkt, ungerühmt und zie-
hen ihre Kinder wieder zu gleich brauchbaren Schreibmaschinen an."
26
Noch heute ist der Begriff, zumindest außerhalb der Fachöffentlichkeit, eher
negativ besetzt.
Das Wort Bürokratie wird daher im nicht- wissenschaftlichen Sprachgebrauch
oftmals für unpersönliches und formalistisches Verhalten der Verwaltung ver-
wendet und dient damit auch der Wertung. Eine solche Wertung sollte die Wis-
senschaft vermeiden. Dieser Begriff soll hier dennoch verwendet werden, da er
gerade im Zusammenhang mit Deregulierung und dem Abbau von Verwaltung
Verwendung findet. Das durchaus positiv besetzte Schlagwort ist hier Bürokra-
tieabbau.
27
Aus individueller Perspektive sind die überpersönlichen Zwecke und
Ziele der Bürokratie oftmals nicht einsehbar und verständlich. Darüber hinaus
besteht die Gefahr, dass Bürokratie zum Selbstzweck wird, indem sie ihre inter-
ne Organisation gegenüber den eigentlichen Zielen in den Vordergrund stellt
(Bürokratismus).
28
2.2 Bürokratisierung
Die Debatte um Überregulierung und Bürokratisierung ist alles andere als neu.
Auch die dabei diskutierten Maßnahmen zur ,,Bekämpfung bürokratischer Rege-
lungswut" sind keine Erfindungen des 21. Jahrhunderts. Vielmehr gehören Kla-
26
vgl. Hattenhauer, 1980, S. 212
27
vgl. Steinhaus, 2008, S. 60
28
vgl. ebd. S. 43

2 Bürokratie und Bürokratisierung
10
gen über bürokratische Hemmnisse und Überregulierung seit Jahren, wenn
nicht Jahrzehnten, zum guten Ton- und das nicht nur in Deutschland.
29
Es scheinen die Belastungen, insbesondere von Unternehmen, durch bürokrati-
sche Regelungen auch weiterhin anzusteigen. Dies legen zumindest Ergebnis-
se der Befragung von Unternehmen nahe: So antworteten im Jahr 1994
58
Prozent der befragten Unternehmen, die Belastung durch staatliche Bürokratie
sei hoch oder sehr hoch, zehn Jahre später gaben dies 79 Prozent an.
30
Bürokratisierung ist also ein zu viel an Bürokratie. Sie wird in drei Dimensionen
geteilt. Zu viel Staat, bürokratische Verfahren und zu viel Regulierung.
31
Der Umfang der Staatsaufgaben wird unter dem Begriff zu viel Staat kritisiert.
Dabei ist dies nicht ein originäres Bürokratieproblem, sondern eher eine ord-
nungspolitische Frage, welche Aufgaben der Staat wahrnehmen soll und inwie-
weit dazu die Steuern der Bürger umverteilt werden. Die Ausgaben des Staates
spiegeln in Deutschland weniger die Ausweitung der Aktivitäten wieder, als die
sozialstaatliche Umverteilung, die inzwischen mehr als die Hälfte der Gelder
aus dem Bundeshaushalt beanspruchen. Die Staats-, Steuer- und Abgabequo-
ten ähneln denen unserer europäischen Nachbarstaaten. Nur die Sozialabga-
benquote ist überdurchschnittlich hoch und belastet damit den Faktor Arbeit in
Deutschland.
32
Die Probleme, die innerhalb der Behörden oder bei der Koordination zwischen
den Behörden und deren Kontakt zum Bürger entstehen, werden als ,,bürokrati-
sche Verfahren" zusammengefasst: Langsame und schwerfällige Bearbeitung,
interne Koordinationsprobleme, mangelndes Kostenbewusstsein, Unpersönlich-
keit, mangelnde Dienstleistungs- und Kundenorientierung, unverständliche
Verwaltungssprache sind nur einige Beispiele. Zusätzliche Koordinations-
schwierigkeiten entstehen in Deutschland durch den Verwaltungsförderalismus
sowie durch die Integration weiterer (nicht- staatlicher) Akteure wie Kammern
und Genossenschaften in Genehmigungsverfahren.
33
29
vgl. Jann, Wegrich, Tiessen, 2007, S. 11
30
vgl. Kayser u. a. 2004, S. 17
31
vgl. Jann, Wegrich, Tiessen, 2007, S. 21
32
vgl. ebd. S. 25- 29
33
vgl. ebd. S. 45- 49

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783842839298
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg – Medizinmanagement
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Note
1,7
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