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Das Verhältnis von Emotion und Kognition bei René Descartes

©2012 Examensarbeit 74 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
1649 veröffentlichte der französische Philosoph René Descartes seine Abhandlungen über die Leidenschaften der Seele (frz. Les passions de l‘âme). In diesem Werk beschäftigt er sich mit der Entstehung von Affekten und Gefühlen, die er nicht nur kategorisch einteilt, sondern auch versucht, ihre Existenz und ihr Auftreten zu erklären. Nach genauen Beobachtungen von Menschen und ihren Gefühlen, sowie der Erforschung des eigenen Körpers hat er Thesen aufgestellt, mit denen er Emotionen begreifen möchte. Descartes geht davon aus, dass alles, was unsere Seele erleidet, sei es Trauer, Hass, Liebe, Freude oder ähnliche Empfindungen, durch natürliche Zusammenhänge, also rein mechanisch wirkende Vorgänge, abläuft. In seinen Ausführungen versucht Descartes folglich alle körperlichen Funktionen, die zu den verschiedenen Gefühlslagen führen und nach seiner Meinung mit ihnen notwendig einhergehen, darzulegen. Zudem stellt er die These auf, dass alle Emotionen Wirkungen auf den Menschen, seine körperlichen Reaktionen und Handlungen haben, die gut oder schlecht für den Lebensalltag sind. Inwiefern die Leidenschaften für uns nützlich sind und auf welche Art und Weise wir auf sie hören oder sie lieber beseitigen sollen, möchte Descartes in seinem Werk aufzeigen. Doch das Thema der Emotionen ist kein einfaches und wurde nicht nur im 17. Jahrhundert thematisiert. In der antiken Philosophie wurden Gefühle in erster Linie in ethischen Debatten angeführt. Gefühlen wurden in jenen Zeiten kein hoher Wert zugesprochen, es galt sie zu zügeln, um moralisch korrektes Handeln ermöglichen zu können. Wer sich am wenigsten seinen Gefühlsregungen hingab, galt als starker und ethisch korrekter Mensch. Dass Gefühle einen rationalen Charakter haben könnten, so wie man bei Descartes‘ Theorien über ihren Nutzen für den Lebensalltag vermuten kann, beachtete man nicht. Viele Denker zur Zeit Descartes‘, im 19. Jahrhundert und sogar noch heute, debattieren schließlich weiter über Gefühle, entwickeln Descartes‘ Positionen weiter oder widersprechen seinen Behauptungen. Darüber, dass Gefühle einen bestimmten Nutzen für unser Leben haben, sind sich aber heute die meisten Philosophen einig. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern die Vernunft bei der Entstehung und der Erhaltung von Gefühlen eine Rolle spielt. Denn sind Emotionen für uns nützlich, beurteilen sie scheinbar Sachlagen und informieren uns über Situationen, in denen wir sie empfinden. Somit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Anne Schneider
Das Verhältnis von Emotion und Kognition bei René Descartes
ISBN: 978-3-8428-3154-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Universität Paderborn, Paderborn, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 2012
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
... 3
2. Gefühle und ihr positiver Nutzen ... 5
3. Die Rolle der Kognition bei Emotionen im 17. Jahrhundert ... 15
4. Das Problem der Kognition von Emotionen in der gegenwärtigen Debatte ... 26
4.1
Kritische Interpretationen der Theorien Descartes` ... 28
4.2
Das Auftreten von Emotionen durch gesellschaftliche Prägung ... 40
5. Kritische Positionen zu Descartes in der modernen Debatte ... 52
6. Fazit
... 67
Literaturverzeichnis ... 71
Primärliteratur ... 71
Sekundärliteratur ... 71
Abbildungsverzeichnis ... 72

3
1.
Einleitung
1649 veröffentlichte der französische Philosoph René
Descartes seine Abhandlungen über die Leidenschaften
der Seele (frz. Les passions de l`âme). In diesem Werk
beschäftigt er sich mit der Entstehung von Affekten und
Gefühlen, die er nicht nur kategorisch einteilt, sondern
auch versucht, ihre Existenz und ihr Auftreten zu
erklären. Nach genauen Beobachtungen von Menschen
und ihren Gefühlen, sowie der Erforschung des eigenen
Körpers hat er Thesen aufgestellt, mit denen er
Emotionen begreifen möchte. Descartes geht davon
aus, dass alles, was unsere Seele erleidet, sei es Trauer,
Hass, Liebe, Freude oder ähnliche Empfindungen,
durch natürliche Zusammenhänge, also rein
mechanisch wirkende Vorgänge, abläuft. In seinen
Ausführungen versucht Descartes folglich alle
körperlichen Funktionen, die zu den verschiedenen
Gefühlslagen führen und nach seiner Meinung mit
ihnen notwendig einhergehen, darzulegen. Zudem stellt
er die These auf, dass alle Emotionen Wirkungen auf
den Menschen, seine körperlichen Reaktionen und
Handlungen haben, die gut oder schlecht für den
Lebensalltag sind. Inwiefern die Leidenschaften für uns
nützlich sind und auf welche Art und Weise wir auf sie
hören oder sie lieber beseitigen sollen, möchte
Descartes in seinem Werk aufzeigen. Doch das Thema
der Emotionen ist kein einfaches und wurde nicht nur
im 17. Jahrhundert thematisiert. In der antiken
Philosophie wurden Gefühle in erster Linie in ethischen
Debatten angeführt. Gefühlen wurden in jenen Zeiten
kein hoher Wert zugesprochen, es galt sie zu zügeln,
um moralisch korrektes Handeln ermöglichen zu

4
können. Wer sich am wenigsten seinen
Gefühlsregungen hingab, galt als starker und ethisch
korrekter Mensch. Dass Gefühle einen rationalen
Charakter haben könnten, so wie man bei Descartes`
Theorien über ihren Nutzen für den Lebensalltag
vermuten kann, beachtete man nicht. Viele Denker zur
Zeit Descartes`, im 19. Jahrhundert und sogar noch
heute, debattieren schließlich weiter über Gefühle,
entwickeln Descartes` Positionen weiter oder
widersprechen seinen Behauptungen. Darüber, dass
Gefühle einen bestimmten Nutzen für unser Leben
haben, sind sich aber heute die meisten Philosophen
einig. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage,
inwiefern die Vernunft bei der Entstehung und der
Erhaltung von Gefühlen eine Rolle spielt. Denn sind
Emotionen für uns nützlich, beurteilen sie scheinbar
Sachlagen und informieren uns über Situationen, in
denen wir sie empfinden. Somit liegt es nahe, ihnen
einen kognitiven Gehalt zuzusprechen. Ist ein solcher
Gehalt denkbar oder sind Emotionen doch bloß
phänomenale Erscheinungen? Wenn eine Art von
Kognition auszumachen ist, kann man diese Fähigkeit
dann den Gefühlen selbst zuschreiben oder spielt doch
unsere mehr oder weniger bewusste Bewertung eines
Ereignisses eine Rolle bei der Entstehung und
Empfindung von Gefühlen?
Zunächst möchte ich in meiner Arbeit die
Ausführungen Descartes` durchleuchten, um daran das
Auftreten der Emotionen zu erläutern und die Rolle der
Kognition somit herauszustellen (Kapitel 2 und 3).
Dabei soll vor allem sein Traktat über die
Leidenschaften der Seele als Primärtext fungieren, aber
auch andere Texte Descartes` als Grundlage dienen, die
Aufschluss über die Frage nach der Kognition bei

5
Gefühlen geben können. Anschließend möchte ich im
vierten Kapitel das aufgegriffene Thema anhand der
aktuellen Debatten durchleuchten, die teilweise auf
Descartes` Überlegungen zurückgreifen und in dessen
Ausführungen Hinweise auf einen in Emotionen selbst
liegenden kognitiven Gehalt suchen, aber auch weitere
Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage nach
diesem kognitiven Gehalt geben. Um eine allgemeine
Kritik an Descartes` frühen Theorien in der aktuellen
Debatte werde ich dabei nicht umhinkommen. Dadurch
soll deutlich werden, inwieweit Descartes` Werke die
nachfolgenden Überlegungen in der philosophischen
Emotionstheorie vorangebracht haben und wo es
dennoch Streitpunkte oder Weiterentwicklungen gibt.
Da sich diese Stellungnahmen nicht nur auf die Frage
nach der Kognition beziehen, widme ich diesem Thema
ein ganzes abschließendes Kapitel (Kapitel 5).
2.
Gefühle und ihr positiver Nutzen
,,
[...]d
ie Menschen, die am meisten von [...] [den
Leidenschaften] bewegt werden, [sind] auch fähig [...],
am meisten die Süße dieses Lebens zu genießen."
1
So schließt René Descartes seine Abhandlungen über
die ,,Leidenschaften der Seele".
Inspiriert durch einen Briefwechsel mit der Prinzessin
Elisabeth von Böhmen, die, von einem schicksalhaften
Leben mit familiären Machtkämpfen und Todesfällen
berührt, unter Trauer und Krankheiten zu leiden hatte,
erklärt er in dieser Schrift die physischen Vorgänge
beim Auftreten von Gefühlen, ihren positiven und
1
PA, S. 325, Art. 212.

6
negativen Effekten und wie man diese nutzen oder
verändern kann.
Doch was genau meint Descartes damit, dass sich ein,
wie im angeführten Zitat beschriebener, emotionaler
Mensch an den positiven Aspekten seiner Gefühle
erfreuen kann und was sind diese positiven Aspekte?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, muss
zunächst einmal geklärt werden, was Gefühle
überhaupt sind und wie sie entstehen. Laut Descartes ist
der Mensch im dualistischen Sinne ein
zusammengesetztes Wesen von Körper und Seele.
Während der Körper ein materieller Gegenstand ist, der
rein mechanisch für die Bewegungen seiner Glieder
zuständig ist, lässt sich der Seele die einzige Aufgabe
des Denkens zuschreiben
2
. Durch ihr Denken fasst sie
äußere Gegenstände auf, die durch die Sinnesorgane
wahrgenommen werden, oder kann aus eigener Kraft
eigene Vorstellungen, die ihr nicht durch äußere
Gegenstände direkt gegeben sind, entwickeln
3
. Die
Seele kann auch Willensakte vollziehen, worauf erst im
zweiten Kapitel ausführlicher eingegangen werden soll.
Descartes nimmt somit folgende Einteilung der
Aufgaben der Seele vor, die hier aber nicht näher
erläutert werden braucht:
2
Vgl. PA, S. 33, Art. 17.
3
Vgl. ebd., Art. 20.

7
Seele
Leiden
Tätigkeiten
(Wahrnehmungen,
der Seele
Kenntnisse)
(Willensakte)
Seele zur Körper Ziele im Ziele in
Ursache zur Ursache Körper Seele
(Wahrnehmung
(ohne Willen:
(z.B. Laufen (Gott lieben
der Willensakte, Träume, wollen) wollen,
Seelen-Vorstel- Illusionen) immaterielle
lungen &
Gegenstände)
-Gedanken)
Abbildung 1: Die Aufteilung der Seele
(vgl. PA, S. 33, Art. 17)
Gefühle ordnet Descartes weder allein dem Körper
noch allein der Seele zu. Denn neben diesen beiden
Substanzen nennt er noch eine Einheit, die die sehr
enge Verbundenheit und Einflussnahme von Seele und
Körper verdeutlichen soll: die Körper-Seele-Einheit
4
.
Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz-, Hunger-,
Durstempfindungen usw., daß ich meinem Körper nicht nur wie
ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern daß ich
ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so daß
ich mit ihm eine Einheit bilde.
5
Nur durch die Sinnesorgane des Körpers und seine
inneren Organe und Funktionen wie Nervenbahnen,
Blutströme und Lebensgeister, und die mit ihnen
verbundene Seelentätigkeit, ist es uns möglich, Gefühle
zu haben. Denn Gefühle werden nach Descartes in uns
hervorgerufen, wenn wir in der Welt außerhalb unseres
eigenen Körpers durch unsere Sinne Dinge
wahrnehmen, die für uns von subjektiver Bedeutung
sind. Diese äußeren Objekte werden durch die
4
Vgl. PA, Art. 28, S. 47-49.
5
Meditationes, S. 145.

8
Bewegung der Lebensgeister in den Nervenbahnen
durch unsere Seele repräsentiert. Das bedeutet, dass,
beispielsweise bei Sehvorgängen, äußere Objekte durch
,,vermittelnde durchsichtige Körper zwischen ihnen und
uns"
6
auf uns einwirken, wodurch die Bewegungen der
Lebensgeister Impulse in unserem Körper weiterleiten,
die durch die Berührung der hinter unseren Augen
liegenden kleinen Fasern und deren Verbindung zum
Gehirn eine Vorstellung des äußeren Objekts in unserer
Seele darstellen. Mit den Lebensgeistern bezeichnet
René Descartes ,,sehr subtile[...] Teile des Blutes"
7
, die
durch ihre Bewegungen und Strömungen in das Gehirn
und in verschiedene Organe des Körpers Impulse
weiterleiten, die uns letztendlich die äußeren Objekte
als Bilder oder Vorstellungen repräsentieren und damit
wichtige Informationen für den aus Körper und Seele
zusammengesetzten Menschen geben. Denn die
Außenwelt hat insofern Einfluss auf uns, als dass ihre
Zustände gut, schlecht, gefährlich, erfreuend oder
ähnliches für uns sein können. Durch ihre
Wahrnehmung und die daraus entstehenden Gefühle
werden wir dann informiert, ob wir uns näher mit der
Situation befassen oder uns besser von ihr abwenden
sollen. Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass
Wahrnehmungen dadurch entstehen, dass unsere
Sinnesorgane äußere Gegenstände aufnehmen, diese
Informationen durch das Strömen der Lebensgeister in
die Zirbeldrüse im Gehirn, welche der Hauptsitz der
Seele ist, zusammengeführt werden, wo daraufhin ein
Abbild des äußeren Objekts entsteht
8
.
Hier tritt nicht nur die Frage auf, wie man sich diese
durchsichtigen vermittelnden Körper zwischen dem
6
PA, S. 25, Art. 13.
7
Ebd., S. 17, Art. 10.
8
Vgl. ebd., S. 41, Art. 23; S. 51-61, Art. 30-35.

9
Außenobjekt und unseren Sinnesorganen vorstellen
muss, sondern ebenso das auch von Elisabeth von
Böhmen erkannte Problem, dass es kaum
nachvollziehbar ist, wie der materielle Körper durch
seine physiologisch von Descartes erklärbaren
Vorgänge ein gedankliches Bild in einer immateriellen
Seele hervorrufen kann. Eine plausible Klärung dieses
Einwands kann Descartes weder im Briefwechsel mit
seiner Kritikerin noch in den anschließend entstandenen
Leidenschaften der Seele geben. Er antwortet nur, dass
es tatsächlich schwer ist, die Vereinigung von Seele
und Körper wissenschaftlich zu erläutern. Denn dabei
muss man sich nur auf das reine Denken und die eigene
Vernunft berufen. Die Vereinigung aber muss man im
Alltag empfinden und der ,,menschliche Geist [ist]
nicht fähig [...], sehr deutlich und zu gleicher Zeit den
Unterschied zwischen Seele und Körper und ihre
Vereinigung zu begreifen, weil man sie dafür zugleich
als ein einziges Ding und als zwei begreifen muß, was
sich widerspricht."
9
. Aber nicht nur Dinge der
Außenwelt werden der Seele durch diesen Vorgang
präsent, sondern auch Dinge, die wir direkt auf unseren
Körper beziehen, wie Hunger oder Schmerz. Diese
Wahrnehmungen werden uns ebenso durch die gleichen
Nervenbahnen bewusst, was auch zeitgleich mit
Repräsentationen der Außenwelt stattfinden kann.
10
Von der Zirbeldrüse bewegen sich die Lebensgeister
weiter durch die Nervenbahnen in bestimmte Muskeln,
wodurch körperliche Reaktionen wie Herzklopfen,
Erbleichen, Zittern oder das Bewegen bestimmter
Glieder entstehen. Je nach Bedeutung der äußeren
Objekte oder Situationen für uns entstehen
9
Briefe, S. 272.
10
Vgl. PA, S. 41-43, Art. 24.

10
unterschiedliche Gefühle. Die Bedeutung ist dabei sehr
individuell und abhängig von Erfahrungen und der
,,Beschaffenheit des Körpers oder der Kraft der
Seele"
11
. Wenn ein von uns wahrgenommenes Objekt
für uns von Bedeutung ist, werden wir verwundert.
Durch die Verwunderung bewerten wir den
Gegenstand, der uns so überrascht und dem wir daraus
folgend Achtung oder Missachtung entgegenbringen
12
.
Erst dadurch werden die Lebensgeister geweckt, die
folglich in die für die Emotion zuständige Hirnregion
und für die Bewegung zuständigen Muskeln im Körper
strömen und somit unsere Gefühle auslösen.
13
Und daraus, daß einige dieser Wahrnehmungen mir angenehm,
andere unangenehm sind, ist vollkommen gewiß, daß mein Körper
oder vielmehr mein ganzes Ich, sofern es aus Körper und Geist
zusammengesetzt ist, von den umgebenden Körpern auf
mannigfache Art zuträglich und unzuträglich beeinflußt werden
kann.
14
Descartes nennt sechs Grundemotionen. Alle anderen
Gefühle sind nur ,,Spezifizierungen von ihnen"
15
. Zu
den Grundemotionen zählt er zunächst die
Verwunderung, dann die Begierde und die
Gegensatzpaare Liebe und Hass, sowie Freude und
Traurigkeit. Diese Grundemotionen entstehen laut
Descartes durch die beschriebenen physiologischen
Vorgänge, während die weiteren Gefühle, auf die er im
dritten Teil seiner Leidenschaften der Seele eingeht und
die er die ,,besonderen Leidenschaften"
16
nennt, auf
diesen aufbauen.
Nachdem nun geklärt ist, wie unsere Gefühle physisch
durch die Zusammenarbeit von Körper und Seele
11
PA, S. 61, Art. 36.
12
Vgl. ebd., S. 95-97, Art. 53 f.
13
Vgl. ebd., S. 109 ff., Art. 70.
14
Meditationes, S. 147.
15
PA, S. 109, Art. 69.
16
Ebd., S. 235, Art. 149.

11
entstehen, lässt sich auch leicht ihr Nutzen erkennen:
Wie bereits erwähnt, hat der Körper Einfluss auf die
Seele, denn nur durch diese Verbindung können
Leidenschaften entstehen, die die Seele veranlassen,
Handlungen, die auf Grund der Strömungen der
Lebensgeister von der Zirbeldrüse zu den Muskeln
folgen, ,,zu billigen und zu solchen beizutragen, die
dem Körper dienen und ihn bewahren oder in
irgendeiner Weise vervollkommnen."
17
Laut Descartes
werden der Seele somit durch Gefühle wie Freude oder
Traurigkeit mitgeteilt, was gut oder schlecht für sie und
den Körper ist. Wenn die Seele diesen Nutzen oder
Schaden erkannt hat, entsteht die Begierde nach etwas,
was sich durch die Gefühle als gut für uns vorstellt,
oder nach etwas, was dem entgegensteht, was sich uns
durch eine negative Leidenschaft als Übel präsentiert
18
.
Anders ausgedrückt: Leidenschaften erhalten oder
intensivieren unsere Gedanken über bestimmte Dinge,
die gut für uns sind
19
und veranlassen uns somit, dass
wir uns mit diesen Dingen befassen oder uns von
schädlichen Dingen abwenden. Auch, wenn uns
Gefühle häufig lästig erscheinen, sind sie doch zunächst
,,von Natur aus gut"
20
und uns dienlich. Denn durch
Liebe und Hass verbinden wir uns mit Gegenständen
oder Subjekten, die sich uns als besonders gut für
unseren Körper und unsere Seele darstellen oder halten
uns von jenen fern, die abträglich erscheinen
21
. Durch
Furcht oder Schlaffheit wird die Seele davon
abgehalten, Handlungen zu veranlassen, die schlecht
für uns sind
22
. Zorn hilft der Seele ,,Beleidigungen
17
PA, S. 209, Art. 137.
18
Vgl. ebd., S. 207-209, Art. 137.
19
Vgl. ebd., S. 115, Art. 74.
20
Ebd., S. 319, Art. 211.
21
Vgl. ebd., S. 217 ff., Art. 142.
22
Vgl. ebd., S. 273, Art. 174.

12
zurückzuweisen"
23
und die Begierde spornt uns an, für
etwas zu kämpfen, was uns gut erscheint, indem sie
sich auf das Begehren des Guten und gegen das Wollen
des Schlechten richtet
24
. Durch Freude genießen wir
das Gute
25
, während Trauer die Seele Übel oder Fehler
erkennen lässt
26
.
Man kann Gefühle folglich als eine Art Informations-
Träger bezeichnen, die unserem körperlichen und
psychischen Wohlergehen und Überleben dienen.
Solche Schutzmechanismen können auch ohne Gefühle
auftreten, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn wir
unsere Augen schließen oder schnell zurückweichen,
wenn jemand seine Hand wie bei einem Schlag auf uns
zu bewegt, auch wenn wir wissen, dass unser
Gegenüber unser Freund ist und uns niemals schlagen
würde. Wir sprechen dann von Reflexen oder Affekten,
die nur auf Grund der Wahrnehmung der äußeren
Gegenstände und den darauf folgenden
mechanistischen Körpervorgängen automatisch
verlaufen
27
. Gefühle sind aber Informations-Träger auf
einer zweiten Ebene, die uns helfen, eine Situation
bewusst wahrzunehmen und sie zu reflektieren, anstatt
schnelles Handeln zu erzeugen. Denn die
Verwunderung, die jedem weiteren Gefühlszustand
vorausgeht, lässt uns bereits erkennen, ob eine äußere
Wahrnehmung für uns in irgendeinem Sinne bedeutsam
ist oder nicht. Würden unsere Körperfunktionen keine
Reflexe zustande bringen, sondern nur auf Grund von
Gefühlen handeln, hätten wir die Armbewegung
unseres Freundes wahrscheinlich gar nicht weiter
23
PA, S. 311, Art. 203.
24
Vgl. ebd., S. 135, Art. 87.
25
Vgl. ebd., S. 141, Art. 91.
26
Vgl. ebd., S. 143, Art. 92.
27
Vgl. ebd., S. 25 ff., Art. 13.

13
beachtet, sondern sie als bloße Geste während unserer
Unterhaltung verstanden.
Zudem können Emotionen, auch ohne dass sie eine
aktive Handlung nach sich ziehen sondern nur durch
ihre innerorganischen Bewegungen,
gesundheitsfördernd sein: So wirkt ein erhöhter
Pulsschlag, der mit dem Gefühl der Liebe umhergeht,
verdauungsanregend
28
oder führt bei der Freude zu
einem Wärmeempfinden durch die bessere
Durchblutung
29
. Beide Emotionen lassen uns durch
schneller fließendes und feineres Blut in den Venen,
was eine rötliche Gesichtsfarbe verursacht, auch
gesünder und fröhlicher aussehen
30
. Durch die starke
Erregung der Lebensgeister, die durch die Begierde
ausgelöst wird, wird unser Körper beweglicher und
unsere Sinne schärfer
31
.
Bei all diesem positiven Nutzen der Gefühle, muss aber
ebenso erwähnt werden, dass sie auch negative Effekte
mit sich bringen können. Denn so wie die Liebe oder
die Freude gesund sind, können negativ konnotierte
Gefühle zu physisch und psychisch schlechten
Zuständen führen: Hass bringt beispielsweise einen
unregelmäßigen Pulsschlag mit sich, der Stiche im
Herzen oder Erbrechen verursachen kann
32
.
Diese Überzeugung, dass auch negative Gedanken und
Gefühle den menschlichen Körper und die Psyche
krank machen können, versuchte René Descartes auch
seiner Brieffreundin Elisabeth von Böhmen zu
erläutern. Er wusste von ihren Schicksalsschlägen und
führte diese als Grund für Elisabeths starke Erkrankung
an:
28
Vgl. PA, S. 151 ff., Art. 97.
29
Vgl. ebd., S. 153 ff., Art. 99.
30
Vgl. ebd., S. 175, Art. 115.
31
Vgl. ebd., S. 155, Art. 101.
32
Vgl. ebd., S. 153, Art. 98.

14
,,[...] eine Person, die [...] sich aber fortgesetzt Tragödien vor
Augen stellt, deren sämtliche Akte unheilvoll sind, und sich nur
damit beschäfigt, Gegenstände der Trauer und des Erbarmens zu
betrachten, [...] ich glaube, sage ich, daß das allein genügen
würde, ihr Herz daran zu gewöhnen, sich zusammen zu ziehen und
Seufzer auszustoßen; infolgedessen könnten, da der Kreislauf des
Blutes verzögert und verlangsamt wird, die gröbsten Teilchen
dieses Blutes durch Aneinanderhaften ihr leicht die Milz
verstopfen, indem sie sich in deren Poren behindern und
festsetzen; und die feinsten Teilchen könnten durch Zurückhaltung
ihrer Bewegung ihre Lunge beeinträchtigen und einen Husten
verursachen, der auf die Dauer sehr zu fürchten sein würde."
33
Bisher scheint Descartes bereits eine sehr plausible
Theorie über das Entstehen und die
Daseinsberechtigung von Gefühlen gefunden zu haben.
Da er aber schon in seinen Meditationen erkannte, dass
die Sinne uns häufig täuschen und er nun erklärt, dass
auch die Emotionen durch Sinneswahrnehmungen
entstehen, muss er sich mit dem Problem
auseinandersetzen, dass die scheinbar für unser
Wohlergehen so wertvollen Gefühle uns auch häufig
täuschen können
34
. Wir müssen uns vor solchen
falschen Emotionen hüten, denn durch sie kommen uns
äußere Gegenstände oder Subjekte häufig wertvoller
vor als sie sind. Oder für uns schädliche Dinge wirken
durch täuschende Leidenschaften positiv, so wie eine
Schokoladentorte für Diabetiker.
Doch wie ist es möglich, Täuschungen zu erkennen und
uns vor ihnen zu hüten? Hier tritt die Vernunft hinzu,
kognitive Arbeit ist also nötig: Wir müssen uns unseres
Verstandes bedienen, um falsche Gefühle zu erkennen
und ihnen entgegenzuwirken. Mit diesen kognitiven
Vorgängen beschäftigt sich das folgende Kapitel.
33
Briefe, S. 292 f.
34
Vgl. PA, S. 133, Art. 85.

15
3.
Die Rolle der Kognition bei Emotionen
im 17. Jahrhundert
Kognitive Emotionstheorien werden besonders in der
gegenwärtigen Debatte, wie sich in den nachfolgenden
Kapiteln noch deutlicher zeigen wird, thematisiert.
Kognitivismus bezeichnet in der Philosophie der
Gefühle ,,eine Position, der zufolge Gefühle auf
konstitutive Weise mit Urteilen, Wertungen oder
Überzeugungen verbunden sind"
35
. In gegenwärtigen
Theorien wird behauptet, dass ,,das Auftreten von
Emotionen gegenüber einem Objekt ebenso wie deren
Qualität und Intensität von dem Resultat bestimmter
kognitiver Prozesse abhängt"
36
, was sagen soll, dass
eine wahrnehmende Person einen Gegenstand bewertet
oder einschätzt, sie also Urteilsfähigkeit besitzt. Dabei
spielt die Relevanz des Objekts für die Ziele,
Hoffnungen und Wünsche der Person eine große Rolle.
Wenn beispielsweise der Partner einer Person gestorben
ist, hat dies eine hohe Relevanz, denn die Hoffnung,
bzw. der Wunsch nach einem gemeinsamen
Zusammenleben, der ewigen Liebe und der
Zweisamkeit ist nicht mehr erfüllbar. Hinzu kommt zu
dieser Relevanz die Einschätzung des Ereignisses als
nicht rückgängig zu machen und der Auffassung, dass
die Situation für die Person nicht zu bewältigen ist.
Diese Bewertungen führen schließlich bei den
kognitiven Emotionstheoretikern zum Gefühl der
Trauer.
Hier stellt sich nun in Bezug auf unser Thema die
Frage, ob nur vernunftbesitzende Lebewesen, wie die
wahrnehmende Person, diese Fähigkeit zur Beurteilung
besitzen, oder ob nicht auch bereits den Gefühlen selbst
35
Hartmann 2010, S. 19.
36
Pawlik 2006, S. 235.

16
durch ihren Informationsgehalt eine Art von Kognition
zugeschrieben werden können. Wie Descartes auch
bemerkt, können uns Gefühle täuschen. Auch diese
Befähigung scheint einen gewissen kognitiven Gehalt
mit sich zu bringen.
Wie die bisherigen Ausführungen im ersten Kapitel
veranschaulichen, wollen uns Gefühle laut René
Descartes` Auffassungen etwas mitteilen, nämlich was
gut für unseren Körper und unsere Seele ist, was
unserer Person folglich gut tut oder sogar unser
Überleben sichert. Somit scheinen Gefühle Situationen
oder äußere Objekte als gut oder schlecht für uns zu
bewerten. Die Verwunderung selbst scheint darüber zu
urteilen, was wichtig oder unwichtig für uns ist, sie
scheint folglich die Entscheidung über die Relevanz
eines äußeren Objekts für unsere Ziele und Wünsche zu
übernehmen, und entscheidet schließlich durch die
Stärke ihres Auftretens darüber, ob wir uns bewusst
näher mit einer Sache beschäftigen oder nicht. Birgt sie
somit einen kognitiven Gehalt?
Solchen Gehalt im Sinne von einer Bewertung durch
eine urteilsfähige Person scheint Descartes den
Gefühlen hier nicht zuzuschreiben. Wie bereits
erwähnt, entstehen Emotionen, wie auch die
Verwunderung, zunächst durch die Wahrnehmung
eines äußeren Objekts. Dies geschieht scheinbar
automatisch durch unsere Sinnesorgane und die
mechanisch wirkende Arbeit der Lebensgeister und der
Blutkörper in unseren Nervenbahnen, die uns den
äußeren Gegenstand im Geiste repräsentiert. Damit eine
Emotion entsteht, ist aber nicht nur die bloße
Vorstellung, also ein Abbild dieses Gegenstands oder
dieser wahrgenommenen Person im Geist erforderlich,
sondern es ist auch die Art und Weise zu betrachten,

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842831544
DOI
10.3239/9783842831544
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – Kulturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2012 (Mai)
Note
1,3
Schlagworte
jahrhundert prägung emotion kognition descartes
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Titel: Das Verhältnis von Emotion und Kognition bei René Descartes
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