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Entwicklung eines Modells zur Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft von Lehrenden im Hinblick auf Feedbacksituationen am Beispiel von TutorInnen der Höheren Mathematik (HM)

©2011 Masterarbeit 130 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In Weiterbildungen für Lehrende, in Lehrerfortbildungen und in hochschuldidaktischen Angeboten wird viel mit dem Element der Reflexion der eigenen Lehrtätigkeit gearbeitet. Aber: Ist das überhaupt gerechtfertigt? Gibt es Messinstrumente, die erfassen, wie reflektiert eine Lehrperson ist (Frage 2) bzw. wie eine Veränderung der Reflexion zum Beispiel durch eine Fort- oder Weiterbildung erfasst und bewertet werden kann (z.B. durch Vorher-Nachher-Befragungen/‚Kompetenz’-Tests)? Und: heißt das, wenn jemand reflektierter ist, dass er professioneller in der Lehre ist, also auch professioneller handelt?
Insbesondere den Fragen nach der Relevanz von Reflexionsfähigkeit (Frage 1), der Modellierung des Phänomens (Frage 3) und der Möglichkeit der Erfassung (Frage 2) soll in dieser Arbeit nachgegangen werden. Dies wird am Beispiel von studentischen Tutoren (im Folgenden nur noch mit Tutoren bezeichnet), also Studierenden, die in der Lehre tätig sind, beantwortet. Der empirische Teil umfasst eine leitfadengestützte Interviewbefragung mit sechs Tutoren der Höheren Mathematik an der Universität Stuttgart. Diese werden speziell zu Feedbacksituationen, also zu Situationen, in denen die Tutoren den Studierenden Rückmeldung zu deren Leistung, Verhalten und Lernfortschritten geben, befragt und zur Qualität des gegebenen Feedbacks. Ziel dieser Befragung ist es, das vorher aufgestellte Modell zu überprüfen und erste Ideen für ein Instrument (bzw. die Weiterentwicklung des Instruments) zu entwickeln, mit dem die Reflexionsfähigkeit (am Beispiel von eigenem Feedbackverhalten) von Tutoren erfasst werden könnte. Der Einsatz dieses Instruments kann beispielsweise im Rahmen einer Weiterbildung, wie z.B. einem Tutorenqualifizierungsprogramm, interessant sein, wenn evaluiert werden soll, ob sich die Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft anhand der Qualifizierung verändern.
Für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz und der Möglichkeit der Erfassung ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern das Konstrukt ‚Reflexionsfähigkeit’ mit anderen Konstrukten, wie z.B. den subjektiven Theorien und dem professionellen Handeln, zusammenhängt. Die Notwendigkeit der thematischen Einordnung und Abgrenzung liegt auch daran, da das Thema dieser Arbeit, äußerst komplex ist - es tangiert die Kognitions-, Motivations- und die Handlungsforschung und, da es sich um einen Lehr- und Lernkontext als Reflexionsobjekt handelt, auch Untersuchungen zur […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Entwicklung eines Modells zur Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft von Lehrenden im
Hinblick auf Feedbacksituationen am Beispiel von TutorInnen der Höheren Mathematik
(HM)
ISBN: 978-3-8428-3139-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Universität Stuttgart, Stuttgart, Deutschland, MA-Thesis / Master, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

1
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... 1
Abbildungsverzeichnis ... 3
1.
Einleitung: Vorstellen der Relevanz des Themas und der Struktur der Arbeit ... 4
2.
Erklärung des Themas anhand eines Modells ... 6
3.
Definition des Begriffs ,Reflexion` und Dimensionen der Reflexion ... 7
4.
Beschreibung der in der Feedbacksituation wirkenden Kräfte anhand eines Handlungsmodells 11
5. Einbettung
der
Phänomene
,Reflexionsfähigkeit und Reflexionsbereitschaft` in die Theorie und
Forschungslandschaft ... 17
5.1.
Einbettung der Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft in (Kompetenz)modelle zur
Professionalität von Lehrenden ... 17
5.2.
Zusammenhang zu (Handlungs-)Wissen und Kognition ... 20
5.3.
Einbettung in das Themengebiet ,,subjektive Theorien" und epistemologische
Überzeugungen ... 23
5.4.
Befunde zu Wissen und subjektiven Theorien als handlungssteuernde Elemente ... 27
5.5.
Moralisches Handeln als Ziel-/Orientierungsdimension ... 29
5.6. Diagnose-/Beurteilungsfähigkeit und Attribuierung von Erfolg/Misserfolg ... 31
5.7.
Format und Lernziele des HM-Tutoriums und spezieller Auftrag an Tutoren als
Orientierungs-/Zieldimension ... 35
6.
Feedbacksituationen auf der Inhaltsdimension von Reflexion ... 37
6.1.
Definition von Feedback und allgemeine Regeln für das Geben von Feedback ... 38
6.2.
Fehlerkultur und ,richtiger' Umgang mit Fehlern ... 39
6.2.1. Unterscheidung
von Fehlerarten... 39
6.2.2. Feedback
auf
Fehler
­
mögliche Lehrerreaktionen ... 40
6.2.3.
Beschreibung einer ,positiven' Fehlerkultur ... 41
6.3.
,Ideales` Feedbackverhalten in Abhängigkeit vom richtigen Umgang mit Fehlern im HM-
Tutorium ... 42
7.
Normatives Verständnis der idealen Reflexionsfähigkeit: Recherche zur Entwicklung von
Kriterien zur Modellierung ... 43
7.1.
Überblick zur Forschung und Evaluationsmethoden zu Lehrkognitionen und ähnlichen
Phänomenen ... 44
7.1.1.
Orientierung an Gibbs Reflexionsschritten bei der Modellierung des Phänomens ... 45
7.1.2.
Orientierung an ähnlichen untersuchten Phänomenen... 48
7.2.
Modellierung der Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft (Kriterien) ... 51
8.
Empirisches Vorgehen bei der Erfassung von Reflexionsaussagen ... 56

2
8.1. Qualitative
Forschung
und Grenzen des Instruments ... 56
8.2.
Vorstellung des Instruments zur Erfassung der Reflexionsfähigkeit ... 58
8.3. Untersuchungsdesign
... 59
8.4.
Vorstellung der Ergebnisse und deren Auswertung ... 60
8.5.
Interpretation der Ergebnisse ... 67
8.6.
Ideen für die Weiterentwicklung des Fragebogens ... 69
9. Schluss
... 72
9.1. Weiterführende
Überlegungen zur möglichen Erfassung des Phänomens ... 72
9.2. Weitere
damit
zusammenhängende
interessante Forschungsfragen ... 74
Literatur ... 76
Internetquellen ... 81
Anhang ... 82

3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Darstellung zur Veranschaulichung des Themas der Arbeit ... 6
Abbildung 2: Sich selbst beim Unterrichten über die Schulter schauen (Meyer 2004 zit. n. Wyss
http://141.30.37.165/docs/P59.pdf, S. 1) ... 8
Abbildung 3: Dimensionen der Reflexion, eigene Darstellung ... 9
Abbildung 4: Überblicksmodell zu Determinanten und Verlauf motivierten Handelns
(Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 3) ... 12
Abbildung 5: Integration des Modell der Handlungsphasen in das Überblicksmodell
(Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 8) ... 14
Abbildung 6: Weiners Kategorisierung der attribuierten Ursachen für Erfolg und Misserfolg
(Zimbardo/Gerrig 2004, S. 533 und Forgas 1999, S. 80) ... 33
Abbildung 7: Fehlersituationen (Mindnich/Wuttke/Seifried 2008, S. 160) ... 40
Abbildung 8: Zusammenhang zwischen Attribution und Lehrerreaktionen (Hofer 1986 zit. n. Groeben
u.a. 1988, S. 65) ... 83
Abbildung 9: Interne Beeinflussungs- und Regulierungsaspekte des Lernverhaltens (Strasser 2008, S.
22) ... 83
Abbildung 10: Strukturmodell systematischer Lehr-Lernprozesse in der dualen Berufsbildung (vgl.
Nickolaus 2006, S. 10) ... 84

4
1.
Einleitung: Vorstellen der Relevanz des Themas und der
Struktur der Arbeit
In Weiterbildungen für Lehrende, in Lehrerfortbildungen und in hochschuldidaktischen Angeboten
wird viel mit dem Element der Reflexion der eigenen Lehrtätigkeit gearbeitet. Aber: Ist das überhaupt
gerechtfertigt? Gibt es Messinstrumente, die erfassen, wie reflektiert
1
eine Lehrperson ist (Frage 2)
bzw. wie eine Veränderung der Reflexion zum Beispiel durch eine Fort- oder Weiterbildung erfasst
und bewertet werden kann (z.B. durch Vorher-Nachher-Befragungen/,Kompetenz'-Tests)? Und: heißt
das, wenn jemand reflektierter ist, dass er
2
professioneller in der Lehre ist, also auch professioneller
handelt?
3
Insbesondere den Fragen nach der Relevanz von Reflexionsfähigkeit (Frage 1), der Modellierung des
Phänomens (Frage 3) und der Möglichkeit der Erfassung (Frage 2) soll in dieser Arbeit nachgegangen
werden. Dies wird am Beispiel von studentischen Tutoren
4
(im Folgenden nur noch mit Tutoren be-
zeichnet), also Studierenden, die in der Lehre tätig sind, beantwortet. Der empirische Teil umfasst
eine leitfadengestützte Interviewbefragung mit sechs Tutoren der Höheren Mathematik an der Uni-
versität Stuttgart. Diese werden speziell zu Feedbacksituationen
5
, also zu Situationen, in denen die
Tutoren den Studierenden Rückmeldung zu deren Leistung, Verhalten und Lernfortschritten geben,
befragt und zur Qualität des gegebenen Feedbacks. Ziel dieser Befragung ist es, das vorher aufge-
stellte Modell zu überprüfen und erste Ideen für ein Instrument (bzw. die Weiterentwicklung des
Instruments) zu entwickeln, mit dem die Reflexionsfähigkeit (am Beispiel von eigenem Feedbackver-
halten) von Tutoren erfasst werden könnte. Der Einsatz dieses Instruments kann beispielsweise im
Rahmen einer Weiterbildung, wie z.B. einem Tutorenqualifizierungsprogramm, interessant sein,
wenn evaluiert werden soll, ob sich die Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft anhand der Qualifizie-
rung verändern.
Für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz und der Möglichkeit der Erfassung ist es wichtig,
sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern das Konstrukt ,Reflexionsfähigkeit' mit anderen Konstruk-
1
Definition von ,Reflexion` in Kapitel 3 und Präzisierung des Phänomens Reflexionsfähigkeit und
Reflexionsbereitschaft in Kapitel 5.
2
Zur einfachen Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die maskuline Form verwendet, das feminine
Pendant ist in der Pluralform immer eingeschlossen.
3
Siehe Abbildung 1, das heißt Qualität von beeinflusst in hohem Maße . Die Frage nach dem
Zusammenhang zwischen Reflexion und professionellem Handeln wird vor allem im theoretischen Teil
behandelt, eine empirische Prüfung dieses Zusammenhangs kann in dieser Arbeit aber nicht geleistet werden.
4
Je nach Definition des Begriffs ,Tutoren` werden im Alltag z.B. auch manchmal Promovenden mit
eingeschlossen.
5
Die Begründung für die Wahl von Feedbacksituationen als Reflexionsobjekt wird in Kapitel 6 erfolgen.

5
ten, wie z.B. den subjektiven Theorien und dem professionellen Handeln, zusammenhängt
6
. Die
Notwendigkeit der thematischen Einordnung und Abgrenzung liegt auch daran, da das Thema dieser
Arbeit, äußerst komplex ist ­ es tangiert die Kognitions-, Motivations- und die Handlungsforschung
und, da es sich um einen Lehr- und Lernkontext als Reflexionsobjekt handelt, auch Untersuchungen
zur Unterrichtsqualität und deren Bedingungsfaktoren (siehe Kapitel 6). So wird zum Beispiel dem
Aspekt des richtigen Umgangs mit Fehlern und der Fehlerforschung ein großer Stellenwert einge-
räumt, da Feedback (insbesondere in der Mathematik) häufig auf Fehler erfolgt. Um die Komplexität
des Themas zu veranschaulichen, wird es daher in Kapitel 2 anhand einer graphischen Darstellung
präziser erklärt.
Die methodische Vorgehensweise, Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft über Interviews zu erfassen,
beinhaltet zentrale Grundannahmen, die erfüllt sein müssen und in Kapitel 7 vorgestellt werden.
6
Siehe dazu Kapitel 4.

6
2.
Erklärung des Themas anhand eines Modells
Im Folgenden werde ich das Thema der Arbeit anhand einer graphischen Darstellung zu ver-
anschaulichen (siehe Abbildung 1).
Der HM-Tutor hat bestimmte Vorstellungen über qualitativ hochwertige Lehre, seine Rolle,
die Aufgaben eines Tutors, die Lernziele der Studierenden usw., die ihn und sein Handeln in
der Feedbacksituation beeinflussen (). Er gibt dem Studierenden in der konkreten Situati-
on ein Feedback (). Der Studierende reagiert in irgendeiner Weise auf den Lehrenden und
dessen Feedback () ­ in der Situation oder bei einem schriftlichen Feedback, etwas verzö-
gert.
7
Der Tutor reflektiert dann im Nachhinein in irgendeiner Art und Weise die Feedback-
situation und die Qualität seines eigenen Handelns, des eigenen Feedbacks in der Situation
(). Im Interview verbalisiert er diese Reflexion () in gewisser Weise angestoßen und
gesteuert durch den Leitfaden und die Interviewsituation, die nach der Transkription in einer
bestimmten Art und Weise ausgewertet und interpretiert wird (). Daran anschließend
werden das Modell und das Instrument zur Erfassung dieses Phänomens weiterentwickelt
und kritisch beleuchtet.
Abbildung 1: Darstellung zur Veranschaulichung des Themas der Arbeit
7
Im Sinne Watzlawicks kann man nicht nicht kommunizieren, sprich es kann auch nicht nicht reagiert werden
(vgl. http://www.paulwatzlawick.de/axiome.html), d.h. auch keine Reaktion ist ein Signal für den Tutor.
Personenfaktoren i. w. S. (Ziele, Motive usw.)
Feedback des Tutors
Reaktion des Studierenden
Reflexion des Tutors
Verbalisierung der Reflexion im Interview
Auswertung und Interpretation von
T = Tutor
S = Studierender
I = Interviewer

7
3.
Definition des Begriffs ,Reflexion` und Dimensionen der
Reflexion
Der Begriff Reflexion kommt ursprünglich aus dem Lateinischen von dem Verb ,reflektere'
und bedeutet in seiner Ursprungsbedeutung ,,abwenden, rückwärts biegen, zurück beugen"
(http://www.albertmartin.de/latein/?q=reflectere&con=0). Aufgrund seiner sprachlichen
Weiterentwicklung hat das Verb ,reflektieren' nun unterschiedliche Bedeutungsfacetten ,,1.
zurückstrahlen, spiegeln 2. überlegen, nachdenken 3. an etwas interessiert sein, etwas er-
streben, sich um etwas bemühen" (http://services.langenscheidt.de/fremdwb/
fremdwb.html).
Ist Reflexion von Lehrpersonen also Nachdenken und Überlegen im zweiten Bedeutungssin-
ne?
Nach Mühlhausen (2006) sollte Reflexion ,,nicht einfach als Synonym für alle denkbaren
Formen von Nachdenken verwendet werden. Er schlägt zwei differenzierende Formen vor,
die er als Analyse und Reflexion bezeichnet. Bei der Analyse wird im Voraus festgelegt, was
untersucht werden soll. Das Vorgehen ist methodisch ausgewiesen und beruht auf theoreti-
schen Konzepten" (Wyss 2008, S. 6). Verfolgt man aber auch die Wortherkunft von Analyse
(griech. : Auflösung, in Zusammensetzung mit anderen Begriffen auch Ursachenana-
lyse oder Bilanzanalyse, vgl. http://de.pons.eu/griechisch-deutsch/%CE%B1%CE%BD%CE%
AC%CE%BB%CF%85%CF%83%CE%B7), so gibt es einen Hinweis darauf, dass Analyse eher
eine systematische Untersuchung (z.B. von Ursachen oder dem Input-Output-Verhältnis)
beinhaltet. ,,Demgegenüber zielt die Reflexion darauf ab, Erlebtes nach selbst gewählten
Kriterien zu beurteilen. Die interessierenden Aspekte werden erst während der Reflexion
vom Betrachter festgelegt" (Mühlhausen zit. nach Wyss 2008, S. 6). Mühlhausen lässt bei der
Unterscheidung von Analyse und Reflexion auch den Selbstbezug von Reflexion außer Acht.
Analysiert man sich selbst, sein eigenes Denken und Handeln, dann ist von Reflexion im ei-
gentlichen, engeren Sinne (,re`: sich selbst) die Rede.
8
Reflexion kann sich folglich nicht auf
andere/s beziehen und beinhaltet immer ein Rückbezug zum eigenen System. Das Reflexi-
onsobjekt ist also immer gleich das Reflexionssubjekt bzw. ein Teil des Reflexionssubjekts.
8
Über andere Dinge als sich selbst kann man streng genommen nicht reflektieren, sondern nachdenken,
analysieren usw.

8
Daher möchte ich in Bezug auf Mühlhausen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass je nach
methodischem Vorgehen und der Operationalisierung einer Untersuchung von Reflexionsbe-
reitschaft und -fähigkeit das Phänomen auch durch eine Analyse von Feedbackverhalten er-
fasst werden kann. So analysiert und reflektiert ein Interviewee beispielsweise in einem In-
terview, in dem zwei Feedbacksituationen nach bestimmten Kriterien unterschieden werden
sollen (z.B. Welche Situation ist lernförderlicher für den Lernenden, welche ist zeitaufwendi-
ger usw.), zugleich. In dem in dieser Arbeit verwendeten Leitfaden ist dies nicht der Fall, da
keine Unterscheidungskriterien bzw. -konstrukte vorgegeben werden.
Professionelles Reflektieren ist also ein bewusstes Überlegen und Nachdenken in Bezug auf
eine Handlung durch die agierende Person selbst (vgl. Wyss 2008, S. 3). Szczyrba geht darauf
ein, dass es wichtig sei, ,,sich selbst zum Gegenstand der Wahrnehmung, Reflexion und Be-
wertung zu machen" (Szczyrba 2009, S. 158), betont aber unter Verweis auf Wieck die Pro-
blematik, dass ,,das Auge [...] sich selbst nicht sehen kann ­ zumindest nicht ohne sich einen
Spiegel vorzuhalten" (Wieck 2001 zit. n. Szczyrba 2009, S. 158). Der Unterschied zwischen
der Bereitschaft und der Fähigkeit kann an dieser Aussage erklärt werden, der Spiegel steht
für die Bereitschaft und bezeichnet die Tatsache, dass der Spiegel vorgehalten wird, ob und
was dann gesehen wird, ist die Fähigkeit.
Abbildung 2: Sich selbst beim Unterrichten über die
Schulter schauen (Meyer 2004 zit. n. Wyss
http://141.30.37.165/docs/P59.pdf, S. 1)
Schön unterscheidet bei der Reflexion über Handeln zwei Formen (vgl. Schön zit. n. Hilzen-
sauer 2008, S. 4): Reflection-in-action (Reflexion-in-der-Handlung) und reflection-on-action
(Reflexion über die Handlung). Bei der ersten Form läuft die Reflexion in der Handlung ab.
Die Reflexion-über-die-Handlung tritt hingegen aus dem Handlungsfluss heraus, dies ge-
schieht in der Regel retrospektiv. Es wird versucht, das eigene Handlungswissen zu ordnen
und verständlich zu formulieren. Er betont auch, dass ,,viele Einschätzungen nicht in der Si-

9
tuation selbst analysiert werden können, sondern einer nachträglichen Bearbei-
tung/Reflexion bedürfen" (vgl. Schön zit. n. Hilzensauer 2008, S. 5), ein Aspekt, der die in
dieser Arbeit beschriebene methodische Erhebung der nachträglichen Reflexion durch Inter-
views unterstützt. Neben der Zeitdimension (in und nach der Handlung) gibt es aber laut
Fund et al (2002) auch die ,,action reflected upon", also die Inhaltsperspektive sprich, die
Handlung, in diesem Fall das eigene Feedbackverhalten, über das reflektiert wird.
Abbildung 3: Dimensionen der Reflexion, eigene Darstellung
Neben der Zeitdimension (Wann findet die Reflexion statt?) und der Inhaltsdimension
(Worüber findet die Reflexion statt?)
9
kann eine weitere Dimension zur Unterscheidung von
unterschiedlichen Reflexionsprozessen ausdifferenziert werden, die Ziel-
/Orientierungsdimension (Woran orientiert sich die Reflexion bzw. der Reflektierende bei
der Reflexion?), z.B. an welchen Annahmen, moralischen Vorstellungen, Idealvorstellungen
von Lehre, Erfahrungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen uvm. orientiert sich die
reflektierende Lehrperson. Die dreidimensionale Grafik hat keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Sie könnte um weitere Dimensionen erweitert werden. So könnten
Reflexionsprozesse auch differenziert werden hinsichtlich der Fragen ,Wieso reflektiert wird
(z.B. Diskrepanzerfahrung vs. Aufforderung des Interviewers)?' oder ,Wer reflektiert ­ der
Interviewee, d.h. der Handelnde bei einer Selbstreflexion oder der Interviewer im Falle einer
Fremdreflexion?' uvm. Diese Aspekte werden aber nicht direkt in dieser Arbeit beachtet.
9
Siehe auch Fund/Court/Kramarski, die bei schriftlichen Reflexionen in die Dimensionen "object of writing
(content)" und "form of writing" (Fund/Court/Kramarski 2002, S. 485) unterscheiden. Laut Dauber (2006)
versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch unter Selbstreflexion ,, eine Art geistige, mentale
Selbstbetrachtung der eigenen Gedanken, inneren Gefühle, Phantasien, Erfahrungen aus der Vergangenheit
und Erwartungen an die Zukunft" (Dauber zit. n. Wyss 2008, S. 3).
Zeitdimension
Inhaltsdimension
Ziel-/
Orientierungs-
dimension

10
Saarni/Kogan setzen dem Pol ,Reflexivität` den Pol ,Impulsivität` gegenüber. Die von ihnen
als kognitive Stile (auch ,conceptual tempo`) bezeichnete Skala beschreibt ,,das Ausmaß, in
dem ein Kind während der Suche nach der richtigen Lösung einer Aufgabe eine Antwort
zurückhalten kann, und zwar in Situationen, wo hohe Antwortunsicherheit bzw. mehrere
Antwortalternativen gegeben sind" (zit. n. Lander 1991, S. 48).
10
Die Autoren gehen hier
allerdings vor allem auf die reflection-in-action ein, die in dieser Arbeit nicht direkt erfasst
wird. Das Konstrukt von Impulsivität/Reflexivität bei der Aufgabenbearbeitung lässt sich aber
auf Lehr-Lern-Situationen übertragen. Clauss spricht von ,Impulsivität`, wenn eine Person
,,auf äußere Reize rasch anspricht, dabei das ,innere Handeln` vernachlässigt, eine beliebige
Hypothese ohne zureichende Berücksichtigung ihres Wahrscheinlichkeitsgrades wählt, ohne
sorgfältige Reflexion drauflos handelt und sich ,unüberlegt` entscheidet" (Clauss zit. n.
Langer 1991, S. 48). Reflexivität bedeutet folglich, dass eine Person innerlich handelt und
eine Hypothese auf Wahrscheinlichkeit prüft (ähnlich dem wissenschaftlichen Arbeiten in
der Forschung) und entscheidet. Insbesondere der Aspekt des Prüfens einer Hypothese auf
Wahrscheinlichkeitsgrad kann auch auf reflection-on-action übertragen werden.
In Kapitel 7. wird die Definition von Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft erneut aufgegriffen
und die ideale Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft an verschiedenen Kriterien
operationalisiert.
10
Dieses Konstrukt ,,gelangte relativ spät (1964) in die Diskussion, hat aber seitdem ein immenses Interesse auf
sich gezogen" (Lander 1991, S. 48).

11
4.
Beschreibung der in der Feedbacksituation wirkenden
Kräfte anhand eines Handlungsmodells
Im Folgenden werde ich Feedbacksituationen bzw. das Feedbackgeben an sich in das
Handlungsmodell von Heckhausen/Heckhausen einbetten, damit deutlicher wird, welchen
Handlungsbezug (im Sinne einer reflection-in-action) Reflexionsfähigkeit hat.
11
Von Handlung ist im Gegensatz zu Verhalten bei Scheele/Groeben dann die Rede ,,wenn
beobachtbare Verhaltensweisen des Menschen als intentional
12
beschrieben werden
können" (Scheele/Groeben 1986, S. 6 zit. n. Schwarz-Govaers 2005, S. 71). Nach Wright lässt
sich daher Handeln nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Wissens, Willens und der
Motive des Handelnden erklären (Wigger 1983, S. 91, zit. n. Schwarz-Govaers 2005, S. 70).
Da Handeln aber immer in bestimmten Situationen und Kontexten stattfindet, spricht Lenk
bei Handlungen von Interpretationskonstrukten. Im Gegensatz zu Verhalten definiert er
Handeln daher als ,,situations-, kontext- und institutionsabhängiges, regelbezogenes,
normen-, wert- und zielorientiertes, systemhaft eingebettetes, wenigstens partiell ablauf-
kontrolliertes oder teilbewusstes motiviertes Verhalten eines personalen oder kollektiven
Akteurs, das diesem als von ihm durchgeführt zugeschrieben wird" (Lenk 1977, S. 10, zit. n.
Schwarz-Govaers 2005, S. 71). Auch hier kann von einer Ziel-/ Orientierungsdimension
gesprochen werden.
,,Der Motivationsforschung
13
geht es darum, solche Aktivitätseinheiten im Hinblick auf deren
,,Wozu" und deren ,,Wie" zu erklären" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 1). Das bedeutet,
dass eine nachträgliche Verbalisierung des ,Wozu' und ,Wie', die die Motivation für diese
Handlung ausdrücken, einem Element von Reflexionsprozessen, nämlich der Begründung
von Verhalten, entspricht (hier v.a. reflection-on-action). Sowohl beim Handeln als auch
beim Reflektieren orientiert sich das Subjekt am Ziel-/Orientierungsrahmen (d.h. an Normen,
Werten, Regeln, Zielen usw.).
11
Auch die dritte Bedeutung des Reflexionsbegriffs (,,an etwas interessiert sein, etwas erstreben, sich um etwas
bemühen", siehe Kapitel 3) zeigt, dass Reflexion einen handlungsleitenden Charakter hat.
12
Daneben gibt es auch die Unterscheidung bewusst/unbewusst, auf die aber an dieser Stelle aus Gründen des
Umfangs nicht eingegangen werden soll.
13
Anm. AKF: der das Handlungsmodell von Heckhausen/Heckhausen in erster Linie zuzuordnen ist.

12
Der Zusammenhang zwischen Motivation und ähnlichen Entscheidungssteuerungselemen-
ten, wie der Volition, aber auch Situationseinflüssen (siehe Abbildung 4 und 5), ist keines-
wegs trivial.
Die Beschreibungen und Beispiele zum Handlungsmodell beziehen sich in der Abbildung 1,
Kapitel 2, vor allem auf die Schritte , , und Letzteres im Hinblick auf die
reflection-in-action.
Abbildung 4: Überblicksmodell zu Determinanten und Verlauf motivierten Handelns (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 3)
Das Handlungsmodell wird an einer Beispielsituation, einem Feedback eines Tutors an einen
Studenten (auf einen Fehler des Studenten hin) verdeutlicht. Es wird also die Perspektive des
Tutors eingenommen, auch wenn dem Handlungsausschnitt eine Handlung (im Zusammen-
spiel mit dessen Motiven usw.) des Studenten vorausgeht, die Handlung des Tutors in ir-
gendeiner Weise auf den Studenten abgestimmt ist und der Student vermutlich in irgendei-
ner Form auf die Handlung des Tutors reagieren wird.
Hinsichtlich der Personenfaktoren (siehe 1. in Abbildung 4), die die interagierenden Perso-
nen in die Situation hineinbringen, v.a. der Tutor, können laut Heckhausen/Heckhausen drei
Arten unterschieden werden:
x ,,Universelle Verhaltenstendenzen und Bedürfnisse, z.B. physische Bedürfnisse und
das Streben nach Wirksamkeit"
14
(Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 3),
x ,,Motivdispositionen (implizite Motive), die einzelne Individuen von anderen unter-
scheiden" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 3), wie z.B. beim Tutor das Leistungs-
motiv, subjektive Lehrmotive, die Persönlichkeit der Lehrperson uvm. Dazu zählen
14
Zur Vertiefung vgl. Zimbardo/Gerrig 2004, S. 629 f. oder Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 2.

13
auch Eigenschaften, Faktoren, Gewohnheiten des Handelnden, wie z.B. dass der Tu-
tor eher durch eine Führungspersönlichkeit (mit den Eigenschaften entscheidungs-
stark, übernimmt gerne Verantwortung usw.) charakterisiert ist und er eine hohe
(Selbst-)Reflexionsbereitschaft besitzt und
x ,,Zielsetzungen (explizite Motive), die eine Person (Anm. AKF: in dem Fall der Tutor)
gefasst hat und verfolgt" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 3). Diese sind beim Tutor
z.B. der Auftrag, den er in seiner Tätigkeit erfüllen soll.
Kognitive Aspekte wie Wissen u.a. werden hier nicht explizit erwähnt. Die Reflexionsfähigkeit
(nicht die Reflexionsbereitschaft) wäre tendenziell diesen zuzuordnen.
15
Die agierende Person fasst zunächst die Merkmale der Situation auf (primary appraisal) und
schätzt ab, was die Situation für sie bedeutet (vgl. Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 374)
(Situations-Ergebnis-Erwartungen, siehe 2. und 5. in der Abbildung 4), so z.B. schätzt der
Tutor es als möglich ein, dass er sich als wirksam und kompetent erleben kann (weil er seines
Erachtens nach viele Kenntnisse und Fähigkeiten in HM besitzt) und er dem Studenten
weiterhelfen will. Diese Situationsauffassung ist noch relativ unabhängig von der Reaktion
des Studenten.
Weiterhin hat der Akteur bestimmte Erwartungen (secondary appraisal), wie wahrscheinlich
es ist, dass ein bestimmtes Handeln zu einem bestimmten Ergebnis führt (vgl.
Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 374) (Handlungs-Ergebnis-Erwartungen, siehe 4. und 5. in
der Abbildung 4), so erwartet er beispielsweise, wenn er dem Studenten den richtigen
Lösungsweg sagt (,,Hier musst Du die 2. Ableitung gleich 0 setzen."), dass der Student die
Aufgabe versteht.
Der letzte von Heckhausen/Heckhausen differenzierte Erwartungstyp beschreibt, wie
wahrscheinlich der Akteur eine bestimmte Folge auf ein Ergebnis einschätzt (vgl.
Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 374) (Ergebnis-Folgen-Erwartungen, siehe 5. und 6. in der
Abbildung 4). Je nach tatsächlichem Ergebnis, erfolgter Reaktion und Folge schätzt der
Akteur (reappraisal) die neue Situation ein und bewertet diese. So fragt der Student
15
Die in Kapitel 5.3. beschriebenen subjektiven Theorien wären ebenfalls am ehesten dieser kognitiven
Struktur zuzuordnen, wenn auch hier Motive, Bedürfnisse, Einstellungen u.a. greifen.

14
beispielsweise nach, wieso er die 2. Ableitung gleich 0 setzen soll. Der Tutor bewertet dann
seine Hilfestellung und sein Handeln als nicht ausreichend und beschließt, z.B. den
Studenten durch Fragen selbst auf die Antwort zu führen.
Abbildung 5: Integration des Modell der Handlungsphasen in das Überblicksmodell (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 8)
Das Zusammenwirken von Volition und Motivation ist für die Handlungsplanung und -
bewertung, d.h. die Planung, situative und nachträgliche Bewertung der Feedbackqualität,
ausschlaggebend. Beim 1. Übergang (Intentionsbildung) findet ein Umbruch zwischen der
Motivationsphase des Abwägens
16
und den Volitionsphasen des Planens und Handelns statt
(vgl. Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 7). Die Intentionsbildung ,,regelt, welche Motivati-
onstendenz überhaupt den Übergang passieren darf, d.h. den Status einer Intention ge-
winnt, die zur gegebenen Zeit das Handeln bestimmt" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 7).
Hier wägt der Tutor ab, was er überhaupt anstrebt und anstreben will. So kann es beispiels-
weise sein, dass der Tutor an dieser Stelle entscheidet, dass es seine Aufgabe ist, den Studie-
renden zu helfen und er sich dabei als wirksam erleben will. Alle Bestrebungen in andere,
entgegengesetzte Richtungen passieren dann laut Modell nicht den Übergang.
,,Der 2.Übergang ist der von der Intentionsbildung zur Handlungsinitiierung, also zwischen
den beiden volitionalen Phasen des Planens und des Handelns" (Heckhausen/Heckhausen
2010, S. 7). In dieser Phase wird geregelt, welche Intentionen Zugang zum Handeln erhalten,
16
Anm. AKF: Hier ist die kognitive Seite enthalten, die Kompetenz, die Fähigkeit des Abwägens usw.

15
um realisiert zu werden. Wenn der Tutor geplant hat, wie er auf den Fehler des Studieren-
den reagieren möchte, initiiert er die Handlung, sprich er entscheidet sich, wie er handeln
möchte ­ z.B. rechnet er ihm schriftlich den richtigen Lösungsweg vor und erklärt kurz, wie
die einzelnen Teilschritte ablaufen.
,,Nach Abschluss oder erfolglosem Abbruch der Handlung kommt es dann zur Intentionsde-
aktivierung, die wieder einen Umbruch bewirkt, diesmal von volitionalen in eine motivatio-
nale Phase der Bewertung der zurückliegenden Handlung und der Ursachenerklärung [...] für
Handlungserfolg und v.a. für Misserfolg" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 7). Nur wenn
dieser Schritt geschieht, wird die Bereitschaft zur Reflexion ,initiiert`. In diesem Fall bewertet
der Tutor z.B. seine Hilfestellung und sein Handeln als nicht ausreichend (vielleicht, weil der
Student keine Fragen dazu gestellt hat) und beschließt, den Studierenden durch Fragen
selbst auf die Antwort zu führen.
Insbesondere in der letzten Phase findet eine Form der Reflexion statt, wenn auch eher eine
reflection-in-action, da diese ja im Zuge des Handlungsprozesses geschieht. Hier wird
allerdings auch deutlich, dass eine klare Trennung zwischen Reflexion-in-der-Handlung und
einer Reflexion-über-die-Handlung nicht möglich ist, da nicht ganz klar ist, ab wann eine
Handlung als abgeschlossen gilt. Wenn der Tutor beispielsweise erst nach einigen weiteren
Handlungsschritten (erklären, Fragen stellen, usw.) denkt, dass seine erste Erklärung doch
für den Studenten nachvollziehbar war, dann ist m. E. eine Mischform vorhanden. Zudem
wird bei Schöns Trennung zwischen den beiden Formen laut Müller nicht beachtet, dass es
Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Handlungssituationen gibt, die die Reflexion-
in-der-Handlung vermutlich in Bezug zu vorangegangenen Reflexionen-über-die-Handlung
setzt (vgl. Müller 2004, S. 37).
Der Auslöser für eine Reflexion und dem damit zusammenhängenden Lernprozess ist häufig
eine ,,Diskrepanzerfahrung zwischen Intentionalität und Kompetenz" (Faulstich 2006 zit. n.
Hilzensauer 2008, S. 3) bzw. ein ,,inneres Unbehagen [...] im Status des Zweifels" (Dewey
1933, zit. n. Hilzensauer 2008, S. 5). Ohne dieses Phänomen ist nicht von einer Reflexion
über Handlungsalternativen oder von einer kritischen (Selbst-)Reflexion auszugehen, d.h.
wenn der Tutor in der oben beschriebenen Beispielsituation seine Handlung als ausreichend
bewertet und bei ihm auch keine Zweifel an seinem Handeln auftreten, dann ist nicht davon

16
auszugehen, dass eine Reflexion initiiert wird. Bezüglich der Frage, ob von
Reflexionsfähigkeit (z.B. auch im ,Lehralltag`) gesprochen wird, wenn Reflexion durch
Interviews angestoßen wird ist folglich auch im Hinblick auf Reflexion-über-die-Handlung
nicht davon auszugehen, dass eine Reflexion initiiert wird, wenn keine Diskrepanzerfahrung
stattfindet.
17
Das bedeutet, dass eine Reflexion auch lange nach einer Handlung vermutlich
nur dann gegeben ist, wenn irgendeine Form einer Diskrepanzerfahrung (z.B. eine
anregende Frage des Interviewers, eine nicht erwartete Folge auf das eigene Verhalten o.a.)
auftritt, ähnlich der subjektiven Theorien (siehe Kapitel 5.3.). Allerdings ist zu vermuten, dass
nur für selbstkritische Reflexionsprozesse und die Suche nach Handlungsalternativen eine
Diskrepanzerfahrung notwendig ist. Für Reflexionsprozesse mit dem Ergebnis einer positiven
Bewertung des eigenen Handelns ist auch bzw. v.a. bei erwarteten Reaktionen, Folgen und
Ergebnissen auszugehen.
17
Siehe hierzu auch die Untersuchung von Heckhausen/Heckhausen, die genau wie Stiensmeier-Pelster (2004)
zu dem Ergebnis kamen, dass ,,die Suche nach den Ursachen allein abhängig von der Erwartungswidrigkeit des
Ergebnisses" (Heckhausen/Heckhausen 2010, S. 398) ist.

17
5.
Einbettung der Phänomene ,Reflexionsfähigkeit und
Reflexionsbereitschaft` in die Theorie und
Forschungslandschaft
Die Phänomene Reflexionsfähigkeit (i. S. von Können/Kompetenz) und Reflexionsbereit-
schaft (i. S. von Volition und Wollen) des eigenen Feedbackverhaltens hängen eng mit vielen
Themen zusammen, wie z.B. den Subjektiven Theorien, der Professionalität von Lehrenden
im Allgemeinen, der Kognitionsforschung, der Attribuierung und der Selbstkonzeptfor-
schung
18
. Die theoretische Einordnung und der Bezug zur Forschungslandschaft soll daher
erfolgen, um thematische Abgrenzungen vornehmen zu können und deutlich zu machen,
welche Theorien und empirischen Befunde dabei berücksichtigt werden können und um das
Vorgehen zu rechtfertigen. Zudem wird hier deutlich, an welcher Stelle des Reflexionspro-
zesses diese Aspekte einfließen. Vorab kann schon einmal gesagt werden, dass sie auch zum
großen Teil auf der Ziel-/Orientierungsdimension von Reflexionsprozessen greifen.
5.1.
Einbettung der Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft in
(Kompetenz)modelle zur Professionalität von Lehrenden
Wieso ist Reflexion überhaupt ein Aspekt, der zu guter Lehre und Professionalität von Leh-
renden beitragen sollte? Zur Beantwortung der Relevanz (Frage 1) wird eine Einordnung in
Kompetenzmodelle und Modelle zur Professionalität von Lehrenden vorgenommen.
Nach Weinert (2001) sind Kompetenzen ,,die bei Individuen verfügbaren (Anm. AKF: i. S. von
Dispositionen) oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um be-
stimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und
sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen
19
in variablen Situationen
erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können" (Weinert 2001, S. 27 f.). Im Hinblick
auf das in Kapitel 4 vorgestellte Handlungsmodell wird deutlich, dass Weinert bei seiner rela-
18
Vgl. hierzu z.B. das Modell von Straßer zu Internen Beeinflussungs- und Regulierungsaspekten des
Lernverhaltens, Anlage 9.
19
Der Kompetenzbegriff bezieht sich mehr auf die Performanz und kann laut Lehmann-Grube auch nur im Feld
oder in Experimenten gemessen werden (vgl. Lehmann-Grube 2010, S. 53).

18
tiv weit gefassten Definition auch handlungsleitende Faktoren wie beispielsweise die Moti-
vation zu dem Kompetenzbegriff dazuzählt. Weinerts Definition der Handlungskompetenz in
der Lehrtätigkeit, enthält explizit auch die Qualifikationsfacette, nämlich ,,Anforderungen
und Aufgaben" (Weinert 1999 zit. n. Klieme 2006, S. 11) der Lehrtätigkeit. Sein Handlungs-
kompetenzbegriff ist also eher präskriptiv und normativ ausgelegt als deskriptiv. Als Me-
takompetenzen bezeichnet er Kompetenzen, ,,die Erwerb und Anwendung derselben in ver-
schiedenen Inhaltsbereichen erleichtern" (Weinert 1999 zit. n. Klieme 2006, S. 11)
20
­ also
auch steuernde Elemente, wie auch die reflection-in-action und im weiteren Sinne auch die
reflection-on-action.
Auch Lehmann-Grube misst im pädagogischen und schulischen Kontext der Reflexion beson-
dere Bedeutung bei und präzisiert unter Verwendung des Reflexionsprozesses, was sie dar-
unter versteht. ,,Im Hinblick auf pädagogische und schulische Ziele kann als notwendige
Kompetenz die kritische Bewusstheit der eigenen kognitiven Wahrnehmungs- und Bewer-
tungsmuster und die Kontrolle ihrer Wirkungen modelliert werden, das in zahlreiche Unter-
suchungen zur Reflexionsfähigkeit und (heterogenen) Reflexionsinhalten von Lehrkräften
nach wie vor Geltung beansprucht (so z.B. Herbsttagung der AEPF, 2007)" (Lehmann-Grube
2010, S. 56). Auch Wyss (2008) betont, dass die ,,wesentlichen Elemente von (Anm. AKF:
auch Lehr-) Professionalität Forschung, Kommunikation und Reflexion" (Wyss 2008, S. 3;
Hervorhebung durch Wyss) sind. Stahl (1995) weist als eine Facette von Selbstreflexionsfä-
higkeit zudem auf die Selbstevaluation als wichtiges Element der Qualitätssicherung hin (vgl.
Stahl 1995 zit. n. Allenbach 2007, S. 147). Auch Helmkes Angebot-Nutzungs-Modell enthält
als einen zentralen Faktor die Lehrerpersönlichkeit (vgl. Helmke 2003, S. 42) unter die er
beispielsweise die Bereitschaft zur Selbstreflexion fasst. Er sieht die ,,Fähigkeit und Bereit-
schaft, den eigenen Unterricht in seiner Gesamtheit jederzeit selbstkritisch zu hinterfragen"
(Helmke 2005, S. 53), als ein ,,zentrales und für den Unterrichtserfolg unabdingbares Merk-
mal der Lehrperson" (Helmke 2005, S. 53). Er betont hier den Unterschied zwischen Bereit-
schaft und Fähigkeit zur Reflexion und den Aspekt der Selbstkritik. Zudem definiert er basie-
rend auf unterschiedlichen Metauntersuchungen als Faktoren für Unterrichtsqualität ver-
20
Metakogntives Wissen ist laut Anderson und Krathwohl ,,generelles Wissen über den Erkenntniszuwachs als
auch das Bewusstsein und Wissen über den persönlichen Erkenntniszuwachs" (http://www4.tu-
ilmenau.de/lps/hannover/lernziele_erlaeuterungen.pdf, abgerufen am 20.08.2011, S. 5).

19
schiedene Merkmale einer guten Lehrperson, so z.B. Engagement und Lehrmotivation
21
(vgl.
Helmke 2003, S. 50 f.) und geht auf die Relevanz von Subjektiven Theorien und epistomolo-
gischen Überzeugungen
22
von Lehrpersonen ein.
In Bezug auf Professionalität von Hochschullehrenden ist das Modell von Kröber/Szczyrba
(2011) zu nennen. Es enthält neben ,,Erklärungswissen (handlungsleitendes wissenschaftli-
ches Wissen, Theorien, empirischen Ergebnisse und Modellen aus der hochschuldidaktischen
Forschung und aus der Forschung von Referenzdisziplinen der Hochschuldidaktik
23
), Erfah-
rungswissen (Erfahrungen, die im hochschuldidaktischen Handlungsvollzug entstehen, deren
systematische Interpretation und Reflexion) [und] Orientierungswissen (zugrundeliegende
Werte und internalisierte Normen, epistemologische Überzeugungen, Lehr- und Lernkonzep-
tionen, motivationale Orientierungen, Selbstregulationsfähigkeit)" (Kröber/Szczyrba 2011, S.
74 f., angelehnt an Lehmann-Grube 2010 und Buer 2008). Die Autorinnen differenzieren hier
in hochschuldidaktische und pädagogische Wissensformen. Das jeweilige Fachwissen (z.B.
mathematisches Wissen für HM-Tutoren) wird hier ausgespart. Professionalität bedeutet
also auch die Verbindung zwischen diesen drei Wissensformen. Reflexionsfähigkeit und -
bereitschaft kann auch die Fähigkeit und Bereitschaft bedeuten, diese drei Formen, Erklä-
rung(swissen), Erfahrung(swissen) und Orientierung(swissen) in ,sinnvoller' Weise zu verbin-
den. Gestützt wird dies auch durch Gibbs, der betont, dass ohne Reflexion eine Erfahrung
vergessen wird und keine bewertenden
24
Schlüsse daraus gezogen werden können (vgl.
Gibbs 1988 zit. n. Hilzensauer 2008, S. 6) oder den Kolbschen Lernzirkel (vgl. z.B. Kolb 2005,
S. 3). Reflexion ist für Professionelles Handeln daher in der Lehre eine notwendige Bedin-
gung, nicht aber eine hinreichende. Nur weil ein Tutor reflektiert, ist er noch lange nicht pro-
fessionell, dies hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Reflektiert ein Tutor, so kann er die
Erfahrungen bewerten und daraus lernen.
Im Hinblick auf die in Kapitel 3 vorgestellten Dimensionen von Reflexion sind verschiedene
Qualitätskriterien ,guter Lehre' einerseits auf der Ziel-/Orientierungsebene (i. S. v. ,Was für
21
Welches Motiv hat die Lehrperson? Ein Leistungsmotiv (den Lehrpersonen fehlt i.d.R. die Rückmeldung über
die eigene Leistung), ein Machtmotiv oder ein Anschlussmotiv (vgl. Rheinberg zit. n. Helmke 2003, S. 50 f.)?
22
Laut Helmke beziehen sich diese auf die Struktur des Wissens und der Wissenserzeugung (vgl. Helmke 2003,
S. 53).
23
Dazu zählen z.B. die Forschungen aus der Allgemeinpädagogik, der Berufspädagogik, den Fachdidaktiken
uvm.
24
Siehe im Handlungsmodell die letzte Phase, Abbildung 5.

20
Vorstellungen von guter Lehre hat der Tutor? Was ist sein Orientierungsrahmen? usw.) und
der Inhaltsdimension (i. S. v. entspricht sein eigenes Feedbackverhalten den Kriterien guter
Lehre?) bzw. der Verknüpfung dieser beiden Dimensionen anzusiedeln.
5.2.
Zusammenhang zu (Handlungs-)Wissen und Kognition
Wieso aber fehlt in Heckhausen/Heckhausen das Wissen und was wird darunter verstanden?
Sind Wissen und Reflexion Voraussetzung und/oder Folge von Handlung?
Mandl (1997) versteht Wissen als Gedächtnisrepräsentationen
25
, die sich ,,auf Pläne, Ziele,
Erwartungen, situationale Informationen und Bewertungen beziehen. All dies kann als
wissensbasierte Grundlage des Handelns verstanden werden" (Schwarz-Govaers 2005, S.
64). Er sieht die Motive, Ziele, usw. als repräsentiert im Wissen und der Wissensstruktur des
Individuums. Dabei wird Wissen als eine ,,Tatsache (Anm. AKF: im Sinne einer Struktur) des
Bewusstseins und des Gedächtnisses aufgefasst, das sowohl Voraussetzung als auch
mögliche Folge von Handlung ist und sich in Handlungen zeigt" (Mack 1995, in Reinmann-
Rothmeier/Mandl 1996, S. 11, zit. n. Schwarz-Govaers 2005, S. 65). Daher kann auch nicht in
eine Richtung gesagt werden, ,man handle nach bestem Wissen und Gewissen', sondern
eigentlich auch, ,man wisse nach bestem Handeln', sprich das Handeln bzw. die Erfahrung
wiederum beeinflusst, verändert, stabilisiert usw. das Wissen.
26
Auch implizites Wissen wird
laut Büssing et al. ,,durch konkrete und praktische Erfahrung erworben und
weiterentwickelt" (Büssing et al. 2000, S. 292, zit. n. Schwarz Govaers 2005, S. 91). Je nach
Reflexionsprozess wird eine Erfahrung bewusst oder unbewusst angepasst und bewertet
und in das eigene Wissen integriert. Auch Cranach sieht einen starken Handlungsbezug des
Wissens und betont den Einfluss des Wissens auf Handeln als auch von Handeln auf Wissen.
Er sagt, dass Wissen helfen kann, ,,situative Merkmale zu erkennen und zu klassifizieren,
Ziele und Pläne auszuwählen, zwischen Alternativen zu wählen, Entschlüsse zu fassen,
handlungsbezogene Emotionen und Willensprozesse zu aktivieren, Handlungen zu
kontrollieren und zu bewerten, und nachträglich handlungsbezogene Kognitionen und das
25
Diese sind Abbilder von Wirklichkeiten, die in einer bestimmten Form in Beziehung stehen (Wissensstruktur).
26
Insbesondere in der Phase der Bewertung bei Heckhausen/Heckhausen.

21
Handeln zu rechtfertigen" (von Cranach in Wahl 1991, S. 57, zit. n. Schwarz-Govaers 2005, S.
65).
Lehmann-Grube sieht im Hinblick auf den Kompetenzbegriff ähnliche Zusammenhänge,
Kompetenz sei ,,Voraussetzung für professionelles Handeln bzw. Expertenhandeln"
(Lehmann-Grube 2010, S. 54). Geht man davon aus, dass es Zusammenhänge zwischen
Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft und Kompetenz gibt, kann davon ausgegangen werden,
dass das Handeln nachfolgende Reflexionsprozesse beeinflusst und Reflexionsprozesse
nachfolgende Handlungen beeinflussen. Interessant ist hier aber auch die Frage, wieso es
Wissen gibt, dem keine bestimmte Handlung folgt ­ i. S. eines Handelns wider besseren
Wissens.
27
,,Dies führt zu erkenntnistheoretischen Grundsatzfragen, die das Menschenbild
aus verschiedenen Perspektiven berühren" (Schwarz-Govaers 2005, S. 64). Zum Einen mag
dies daran liegen, dass auch im Hinblick auf das Handlungsmodell nicht davon ausgegangen
werden kann, dass es aus Sicht der agierenden Person eine Handlungslösung gibt (passend
zu Motiven, Zielen usw.), sondern ein komplexes Gefüge von z.T. sich widersprechenden
Zielen, Motiven, Wissen, usw. mit vielen unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten.
28
Zudem verweisen Diskrepanzen zwischen Wissen und Handeln auf andere Faktoren im
Handlungsmodell, die nicht immer im Wissensbegriff inkludiert sind (wie beispielsweise
situationale Rahmenbedingungen). Die Diskrepanz zwischen bestimmten Wissensformen
und Handeln begründet auch Huber unter Bezug auf die Diskrepanz zwischen Forschung und
Praxis. Er geht davon aus, dass wissenschaftliche Theorien nicht direkt in
verhaltenssteuernde Wissensbestände umgeformt werden können (vgl. Huber 2000, S. 145
f.).
Anderson und Krathwohl unterscheiden Wissen (nicht in erster Linie Handlungswissen!) in
Faktenwissen, Begriffliches Wissen, verfahrensorientiertes Wissen und Metakognitives
Wissen
29
(http://www4.tu-ilmenau.de/lps/hannover/lernziele_erlaeuterungen.pdf,
27
,,Kluft zwischen Wissen und Handeln ist also durch interne, handlungssteuernde Prozesse und Strukturen, so
genannte ,,Subjektive Theorien", bestimmt" (Schwarz-Govaers 2005, S. 61). Schwarz-Govaers spricht hier im
Gegensatz zu Sabine Lehmann-Grube davon, dass subjektive Theorien nicht Wissen, sondern das
Steuerungselement dazwischen sind. Wahl (1991) untersucht bei den subjektiven Theorien vor allem jene
innerpsychischen Prozesse und gedanklichen Strukturen, von denen angenommen wird, dass sie das Handeln,
Tun oder Verhalten der Akteure ,,unter Druck" steuern (vgl. Schwarz-Govaers 2005, S. 137).
28
Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass mehrere Aussagen desselben Tutors sich widersprechen.
29
Siehe Fußnote 20, Kapitel 5.1.

22
abgerufen am 20.08.2011, S. 4). Letzteres kann eine ähnliche Funktion wie Subjektive
Theorien oder Repräsentationen von Zielen und Motiven haben. Es ist die Wissensart, die
eine steuernde Funktion hat. Im Hinblick auf die Reflexionsfähigkeit von
Feedbacksituationen wäre Faktenwissen beispielsweise, das Wissen darüber, was Feedback
ist, begriffliches Wissen das Wissen über Zusammenhänge von Feedback und z.B. ,Wie
hängen Fehler der Studierenden und die Reaktionen des Tutors darauf zusammen?',
verfahrensorientiertes Wissen, das handlungsbezogene Wissen darüber, wie man Feedback
zu geben hat und metakognitives Wissen bezeichnet z.B. das Wissen, das das Handeln in
Feedbacksituationen steuert.
Kognitionen sind im Gegensatz dazu laut Dalbert/Brunner ,,das Insgesamt unserer menschli-
chen Denk- und Erkenntnisprozesse" (Dalbert/Brunner 2000, S. VII). Nach dieser Definition
der Autoren handelt es sich dabei im Gegensatz zu Wissen nicht um Repräsentationen, son-
dern um Prozesse ­ folglich ist der Reflexionsprozess eher hier zu verorten, Reflexionsfähig-
keit und -bereitschaft als einzelne Phänomene eher in der Wissensebene bzw. der Kompe-
tenzebene. Der Begriff der Metakognition (bezogen auf Lehrhandeln) umfasst aber nur das
Denken über (wortwörtlich bedeutet ,meta` eigentlich ,hinter`) das Denken, weniger das
Denken über das Handeln (z.B. Feedbackgeben) ­ wenn auch es dieses indirekt umfasst, da
Denken ja immer auch die Basis weiteren Handelns ist. Handeln ist aber entgegen dem Den-
ken auch von anderen Faktoren (wie z.B. institutionellen Rahmenbedingungen) abhängig.
Einer der Gründe, die dafür verantwortlich sind, dass eine Veränderung von Subjektiven
Theorien nicht direkt eine Veränderung im pädagogischen Handeln bedeutet. Laut Gerster-
maier/Mandl sind ,,zur Reflexion und Kontrolle des eigenen Lernhandelns metakognitive
Fertigkeiten wichtig" (Gerstermaier/Mandl 1995, S. 883, zit. n. Schwarz-Govaers 2005, S. 87),
damit ein neues Wissen auch angewendet werden kann.

23
5.3.
Einbettung in das Themengebiet ,,subjektive Theorien" und
epistemologische Überzeugungen
Die Reflexion des eigenen Lehrverhaltens und eigener Wissensstrukturen hängt eng mit den
subjektiven Theorien und der Forschung dazu zusammen.
30
Je nach Definition von Kompe-
tenz, Wissen und subjektiven Theorien, können subjektive Theorien im engeren Sinne als
Theorien speziell zu Lehr-Lernsituationen gesehen werden (ähnlich dem Wissen zu Lehre,
Lernen usw.). Die Begriffstrennung zwischen den drei Phänomenen wird hier nicht direkt
vorgenommen, da sie in der Literatur nicht einheitlich ist und z.B. subjektive Theorien wie
Wissen auch eine steuernde Funktion haben.
Unter subjektiven Theorien sind laut Helmke relativ stabile Überzeugungen
31
(er nennt als
Beispiele Einstellungen und Motive) zu verstehen, die ein Mensch hat, um seine Umwelt für
sich zu erklären. Sie fungieren als Erklärungs- und Wissenssystem (in ihrer Funktion sind sie
also ähnlich einer wissenschaftlichen Theorie) (vgl. Helmke 2003, S. 53; Groeben u.a. 1988, S.
19). Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien sind sie aber als subjektive Aussagen- und
Überzeugungssysteme zu sehen, die nicht durch empirische Studien systematisch belegt
werden, sondern durch Erfahrungen und damit einhergehend nicht immer durch Analysen
von logischen Beziehungen (weiter-)entwickelt werden. Sie können eher als eine naive, im-
plizite oder Alltagstheorie verstanden werden und umfassen auch die Einstellungen der Leh-
rer über angemessenes didaktisches Handeln. Eine subjektive Hypothese könnte beispiels-
weise sein ,,Wenn der Lehrer trotziges Verhalten duldet, dann greift dies auf andere Schüler
über"
32
(Groeben u.a. 1988, S. 63). Wie wissenschaftliche Theorien auch dienen sie der Er-
klärung (auch im Sinne einer zeitlich nachgeordneten Reflexion-über-die-Handlung) und
Vorhersage von Handeln, Situationen, Ergebnissen usw. Wie in dem Handlungsmodell abge-
bildet, sind diese Einstellungen und Wissensstrukturen handlungsleitend.
Subjektive Theorien haben bei der Bewertung von Handlungen (also der Reflexion über die-
se) eine zentrale Bedeutung. Die agierende Person denkt über ihre Umwelt nach, versucht,
30
Schwarz-Govaers stellt in Ihrer Arbeit ,,Subjektive Theorien als Basis von Wissen und Handeln" einen Bezug
zwischen den Handlungsphasen nach Wahl und den Begriffen in Handlungsmodellen, wie auch von
Heckhausen/Heckhausen, her (vgl. Schwarz-Govaers 2005, S. 137).
31
Helmke betont, das Routinen subjektiv und sehr stabil sind und macht dies am Beispiel fest, dass Lehrende,
die sich das Gedächtnis wie einen Vorratsspeicher vorstellen auch stabile Routinen entwickeln, wie sie diesen
möglichst effektiv nutzen können (vgl. Helmke 2003, S. 196 ff.).
32
Auf der Ebene des Herstellungswissens nach Laucken (in diesem Kapitel).

24
diese zu erklären, das Erklärungs- und Wissenssystem funktionstüchtig zu halten und stellt
dabei immer wieder den Bezug zu sich selbst und ihren Erfahrungen her (vgl. Kaltenbach
1996 zit. n. Warneke 2006, S. 10). ,,Im Erkennen eigener Werthaltungen, Pläne, Absichten
und Strategien kommt es entweder zum Einfügen der Erkenntnisse in bisherige Erklärungs-
und Handlungsmuster (Assimilation), oder es kommt zur Ausformung neuer Handlungsmu-
ster bzw. neuer kognitiver Schemata, wenn das Erkannte Widersprüche und Handlungsbar-
rieren mit Blick auf den Auftrag, die Zielgruppe, die institutionellen Vorgaben hervorruft (Ak-
komodation)" (Szczyrba 2009, S. 165). Subjektive Theorien sind durch häufige Assimilationen
sehr stabil und relativ mental überdauernd ­ im Gegensatz zu Einzelkognitionen (vgl. Dann
1983 zit. n. Groeben u.a. 1988, S. 18). Dies gilt insbesondere im Lehrkontext, da Lehrende
selten eine Rückmeldung zu ihrem Lehrverhalten erhalten und ein Anlass zur Akkomodation
in der Lehre selten gegeben ist.
,,Ohne Feedback seitens der Schülerinnen und Schüler, in einer noch immer vorherrschen-
den individualistischen Berufskultur von Lehrkräften, ohne Verständigung über Unterricht
und Unterrichtsprobleme, von gemeinsamer Unterrichtsvorbereitung und -durchführung
ganz zu schweigen, wird sich hieran auch wenig ändern" (Wahl 1991, zit. n. Helmke 2003, S.
197). Zudem sei es schwierig in der Lehre ,,mangels deutlich umrissener Ziele und rascher,
klarer und interpretationsfreier Rückmeldungen" (Neuweg 2007, S. 3) aus Handlungen und
den Folgen daraus zu lehren (vgl. Neuweg 2007, S. 3). Dies ist aber insbesondere im Hinblick
auf Erfahrungslernen wichtig (vgl. Neuweg 2007, S. 3). Auch deshalb erscheint es aussichts-
reich, bereits während der Lehrerausbildung subjektive Theorien zu thematisieren, sie im
Rahmen von Lehrveranstaltungen und Lehr-Proben zu rekonstruieren (Helmke 2003, S. 197).
Ein Arbeiten mit subjektiven Theorien ist vor allem auch dann wichtig, wenn Unterricht oder
Lehre verändert werden soll, da beispielsweise Unterrichtsentwicklungsprogramme sonst
nur oberflächliche Effekte haben. Lehrkräfte ändern dann nur ihren Unterricht oberflächlich
und nicht effizient (vgl. Helmke 2003, S. 197), wenn die Entwicklung nicht auch parallel mit
einer Entwicklung der subjektiven Theorien einhergeht. Diese ,Starre' ist naheliegend und
nachvollziehbar, wenn man die Struktur von subjektiven Theorien als Wissensstruktur sieht,
die über mehrere Ebenen vernetzt sind und häufig sich selbst bestätigen.

25
Laucken differenziert Aussagen zu Subjektiven Theorien bzw. dieses ,,umgangspsychologi-
sche Handlungswissen"
33
(Laucken 1982, S. 95) und versucht, in einem Schema unterschied-
liche Formen auszumachen und zu ordnen. Er differenziert zwischen Fallwissen, Herstel-
lungswissen, Regelwissen, Funktionswissen und Grundwissen (vgl. Laucken 1982, S. 95 f.).
,,Vom Fallwissen bis zum Grundwissen werden die ,Wissensbestände' immer allgemeiner"
(Klewin 2006, S. 45).
Unter Fallwissen versteht er ein ,,Wissen über ein bestimmtes Tun und Lassen im hier und
jetzt". Dieses Wissen ist also völlig losgelöst von Regeln und Wissen über ähnliche
Situationen.
Unter Herstellungswissen
34
fasst Laucken fallübergreifende Aussagen, wie ,,Wenn du in
einer so und so gearteten Lage das tust und lässt, dann erzeugst oder bewahrst du dadurch
jene so oder so geartete Lage" (Laucken 1982, S. 95). Im Hinblick auf die Tutorentätigkeit
könnte das sein, ,Wenn ein Student immer mit seinem Nachbarn redet, wenn ich etwas für
alle erkläre, dann muss ich ihn um Ruhe bitten, damit er aufhört.' Laut Lehmann-Grube
beinhaltet dieses Wissen situationsabhängige, aber fallübergreifende Entscheidungskriterien
und Handlungsalternativen
35
(vgl. Lehmann-Grube 2000, S. 63). Dieses Herstellungswissen
hilft Lehrenden in ihrer Tätigkeit eine Gewisse Routine zu bekommen, es ist auf das
,Machen' bzw. Handeln bezogen (vgl. Laucken 1982, S. 95).
Zur Erfassung von Herstellungswissen könnte der Tutor beispielsweise gefragt werden, was
er macht, wenn ein Student zu spät kommt. Hier fließen die Annahmen des Tutors zu den
Folgen seines Handelns mit hinein.
Regelwissen hat laut Laucken schon eine erklärende Funktion und bietet Erklärungen erster
Ordnung. Zu diesem gelangt man laut Laucken häufig, wenn man nach dem Grund für das
Herstellungswissen fragt, z.B. sagt der Tutor ,Wenn die Studenten nicht motiviert sind, sage
ich, dass es sehr wichtig für die Klausur ist.' (Herstellungswissen). Wenn der Tutor gefragt
33
Er fasst darunter ,,Wissensbestände, die ihren Besitzer in die Lage versetzen, seine Lebensumwelt zu ordnen
und im Blick auf die Erlangung oder Bewahrung erstrebter Zustände zu beeinflussen. Handlungswissen ist
planungstaugliches Wissen." (Laucken 1982, S. 95)
34
,,Die formale Grundstruktur des Herstellungswissens enthält vier Konzepte: Situationsbedingungen der
Handlung, die Handlungen selbst, Handlungsziele und erwartete Handlungsfolgen, die wieder zu
Situationsbedingungen werden können" (Dann 1994 zit. n. Müller 2004, S. 29).
35
,Wenn niemand mit seinem Nachbar redet, muss ich auch niemanden um Ruhe bitten.'

26
wird, wieso dies gilt, dann sagt er z.B. ,Studenten arbeiten nur richtig mit, wenn Sie unter
Druck stehen'. Auch könnte der Tutor gefragt werden, wieso er eine bestimmte
Handlungsalternative einer anderen bevorzugt. Hier geht es also nicht direkt um die vom
Tutor erwarteten Folgen in der Situation, sondern um die Annahmen, die der Tutor über
Lernen usw. hat.
Funktionswissen bezeichnet demgegenüber ,,auf einer abstrakteren Ebene allgemeine
Funktionsweisen und Gesetze in eher kontextfreien Aussagen" (Lehmann-Grube 200, S. 63),
wie z.B. die Aussage ,Studenten lesen sich die Korrekturen der Hausübungen nie durch.`
Das Grundwissen ist die abstrakteste Form und intuitiv (vgl. Klewin 2006, S. 45).
Es ist anzunehmen, dass Reflexion und ein Aufstellen der Vor- und Nachteile von Verhal-
tensweisen in bestimmten Feedbacksituationen ähnlich wie subjektive Theorien selbst so
vorgenommen werden, dass sie zu den eigenen subjektiven Theorien passen, um letztere
funktionstüchtig zu halten (i.S. einer Assimilation) (vgl. Szczyrba 2009, S. 165). Die kogniti-
ven, motivationalen und volitionalen Bedingungen und Ergebnisse von Reflexionsprozessen
hängen also mit dem Konstrukt der subjektiven Theorien über einen bestimmten Bereich
zusammen. Zugleich können Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft etwas darüber aussagen,
inwiefern der Handelnde bereit ist, seine subjektiven Theorien zu verändern (i.S. einer Ak-
komodation), sofern sie nicht stimmig sind.
36
Subjektive Theorien sind die Erklärungs- und
Wissenssysteme, in denen reflektiert wird und nach denen reflektiert wird (im Sinne einer
Ziel-Orientierungsdimension). Findet ein Reflektieren auf höherer Ebene statt, so könnte z.B.
gesagt werden, dass nicht unbedingt ,bessere`, logischere und stimmigere usw. Erklärungs-
und Wissenssysteme zur Erklärung verwendet, sie aber aus der Metaperspektive betrachtet
und kritisch beleuchtet werden und in Frage gestellt werden.
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Ähnlich kann man auch fragen: Ist Reflexion subjektiv (wie subjektive Theorien) oder ist Reflexion die
Auseinandersetzung der subjektiven Weltsicht (subjektiven Theorien) mit einer objektiven (oder
intrasubjektiven) Weltsicht? An einem konkreten Beispiel: Ist ein Tutor reflektierter, wenn er nach dem Lesen
der offiziellen Lernziele feststellt, dass seine Vorstellungen darüber davon abweichen und sein
Feedbackverhalten nicht dazu passt/nicht stimmig ist?

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842831391
DOI
10.3239/9783842831391
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Stuttgart – Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Institut für Erziehungswissenschaft und Psychologie, Abteilung Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik (BWT)
Erscheinungsdatum
2012 (Mai)
Note
1
Schlagworte
reflexion reflexionsfähigkeit feedbacksituationen tutor
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Titel: Entwicklung eines Modells zur Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft von Lehrenden im Hinblick auf Feedbacksituationen am Beispiel von TutorInnen der Höheren Mathematik (HM)
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