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Bildung für nachhaltige Entwicklung und Qualitätssicherung im Kontext des Lebenslangen Lernens

©2005 Wissenschaftliche Studie 74 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit begann in einem Seminar zur Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung, an welchem wir, Alexandra Rieg und Grit Tautenhahn, als Studentinnen im Zusatzstudium, gemeinsam teilnahmen.
Zu dieser Zeit absolvierte Grit Tautenhahn ein Praktikum im Bereich des Qualitätsmanagements an einer Berliner Bildungseinrichtung, während Alexandra Rieg im Rahmen eines interdisziplinären Netzwerkes in eine Projektbewerbung zur ausgerufenen UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung involviert war.
Im Laufe des Seminars kam es zu zahlreichen Diskussionen, die von Aspekten zur Bildungspolitik und ethischen Prämissen geprägt waren. Auch außerhalb des Seminars wurden diese Diskussionen weitergeführt und festgestellt, dass immer wieder Begrifflichkeiten wie zukunftsfähige Bildung, lebenslanges Lernen, Qualität in Bildungsprozessen, nachhaltige Orientierung etc. auftauchten, die sowohl im bildungspolitischen Kontext als auch im Nachhaltigkeitsdiskurs verortet, jedoch scheinbar unterschiedlich konnotiert waren. Die Diskussionen machten Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen deutlich. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob und wie die Bereiche Nachhaltigkeit und Qualitätssicherung im Kontext moderner Erwachsenenbildung verortet und verknüpft werden können.
Die unterschiedlichen Diskussionsansätze zur Qualitätssicherung und zur Bildung für nachhaltige Entwicklung kreuzten sich in Aussagen zum Lebenslangen Lernen, weswegen dieses Konzept in dieser Arbeit als offensichtliche Schnittstelle und Zentrum erkannt und als solches behandelt wird.
Auf diese Weise entstanden die nachfolgenden Analysen zu den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Erwachsenenbildung und Qualitätssicherung an Volkshochschulen, welche über das Konzept des Lebenslangen Lernen verbunden werden.
Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themenbereichen stellte die Idee eines gemeinsamen Projekts im Sinne einer gemeinsamen Bearbeitung, welche nun in Form der vorliegenden Abschlussarbeit verwirklicht wurde, eine weitere Herausforderung dar. In einem Zusatzstudium wie Erwachsenenbildung, welches sich durch eine heterogene Teilnehmerstruktur auszeichnet und somit sowohl einem interdisziplinären als auch teamwork-orientierten Anspruch gerecht werden will, bot sich dieses Experiment geradezu an. Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung (Grit Tautenhahn/Alexandra Rieg)1
2.Nachhaltige […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alexandra Rieg / Grit Tautenhahn
Bildung für nachhaltige Entwicklung und Qualitätssicherung im Kontext des
Lebenslangen Lernens
ISBN: 978-3-8366-1029-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Abschlussarbeit, 2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhalt
1. Einleitung
(Grit Tautenhahn/Alexandra Rieg)
1
2. Nachhaltige Entwicklung
(Alexandra
Rieg)
2
2.1 Geschichtliche Entwicklung des Begriffs Nachhaltigkeit
2
2.2 Das Konzept ,,Nachhaltige Entwicklung"
4
2.3 Das Konzept der ,,Bildung für nachhaltige Entwicklung"
7
2.3.1 Die Genese des Konzepts ,,Bildung für nachhaltige Entwicklung"
8
2.3.2 Nachhaltige Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung
11
2.3.3 Bildung für nachhaltige Entwicklung: Inhalte, Themen, Konzepte
12
2.3.4 Möglichkeitsräume einer Bildung für nachhaltige Entwicklung
17
3. Lebenslanges Lernen im Diskurs
22
3.1 Historischer Abriss
(Grit Tautenhahn)
22
3.1.1 1971 - Das Konzept des Europarates - Permanent Education.
Fundamentals for an Integrated Educational Policy
22
3.1.2 1972 ­ Der Faure-Report oder ,,Wie wir leben lernen"
23
3.1.3 1973 ­ Recurrent Education ­
,,Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel"
25
3.1.4 1995 ­ Europäische Union ­ ,,Lehren und Lernen.
Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft"
26
3.1.5 1996 ­ Der Delors-Report und seine 4 Säulen der Bildung
27
3.1.6 1996 ­ Lifelong
Learning
for
All 27
3.1.7
2000
­
Das
Lissaboner
Memorandum
28
3.1.8
Zusammenfassung
29

3.2 Lebenslanges Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung
­ eine Annäherung
(Alexandra Rieg)
31
3.3 Lebenslanges Lernen im Spannungsgefüge von Individuum,
Gesellschaft und Wissenschaft
(Grit Tautenhahn / Alexandra Rieg)
34
3.4 Soziales Kapital und die wider benefits of learning
(Alexandra Rieg)
37
3.5 Qualitätssicherung auf dem Weg zu sozial verträglicher
Bildungsvermittlung
(Grit Tautenhahn)
40
4. Qualitätssicherung im Kontext moderner Erwachsenenbildung
(Grit Tautenhahn)
42
4.1 Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung
42
4.1.1
Entwicklung
der
Qualitätsdiskussion 42
4.1.2 Ein neues Leitbild für das Bildungssystem
45
4.2 Volkshochschulen in der Qualitätsdiskussion
45
4.2.1 Das Dilemma der Volkshochschulen
46
4.2.2 Volkshochschulen und Qualitätsanforderungen
48
4.3 Die Lernerorientierte Qualitätstestierung in der Weiterbildung (LQW)
49
4.3.1 Die Dimension gelungenen Lernens im LQW
51
4.3.2 Qualitätsbereiche und Testierungsprozess
51
4.4 Die Lernerorientierte Qualitätstestierung an der
Volkshochschule Berlin Mitte
52
4.5
Die
Arbeitsgruppe
Evaluation
54
4.5.1
Ergebnisse
der
Kursevaluation
55
4.5.2
Resultate
und
Ausblicke
56
5. Schluss
(Grit Tautenhahn / Alexandra Rieg)
59
6. Bibliographie
63

1
1. Einleitung
(Alexandra Rieg / Grit Tautenhahn)
Die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit begann in einem Seminar zur Qualitätssicherung in der
Erwachsenenbildung, an welchem wir, Alexandra Rieg und Grit Tautenhahn, als Studentinnen im
Zusatzstudium, gemeinsam teilnahmen.
Zu dieser Zeit absolvierte Grit Tautenhahn ein Praktikum im Bereich des Qualitätsmanagements
an einer Berliner Bildungseinrichtung, während Alexandra Rieg im Rahmen eines interdis-
ziplinären Netzwerkes in eine Projektbewerbung zur ausgerufenen UN-Dekade Bildung für nach-
haltige Entwicklung involviert war.
Im Laufe des Seminars kam es zu zahlreichen Diskussionen, die von Aspekten zur Bildungspoli-
tik und ethischen Prämissen geprägt waren. Auch außerhalb des Seminars wurden diese Diskus-
sionen weitergeführt und festgestellt, dass immer wieder Begrifflichkeiten wie zukunftsfähige Bil-
dung, lebenslanges Lernen, Qualität in Bildungsprozessen, nachhaltige Orientierung etc. auftauchten, die so-
wohl im bildungspolitischen Kontext als auch im Nachhaltigkeitsdiskurs verortet, jedoch schein-
bar unterschiedlich konnotiert waren. Die Diskussionen machten Gemeinsamkeiten und Über-
einstimmungen deutlich. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob und wie die Bereiche Nachhaltig-
keit und Qualitätssicherung im Kontext moderner Erwachsenenbildung verortet und verknüpft
werden können.
Die unterschiedlichen Diskussionsansätze zur Qualitätssicherung und zur Bildung für nachhaltige
Entwicklung kreuzten sich in Aussagen zum Lebenslangen Lernen, weswegen dieses Konzept in
dieser Arbeit als offensichtliche Schnittstelle und Zentrum erkannt und als solches behandelt
wird.
Auf diese Weise entstanden die nachfolgenden Analysen zu den Bereichen Bildung für nachhaltige
Entwicklung in der Erwachsenenbildung und Qualitätssicherung an Volkshochschulen, welche über das
Konzept des Lebenslangen Lernen verbunden werden.
Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themenbereichen
stellte die Idee eines gemeinsamen Projekts im Sinne einer gemeinsamen Bearbeitung, welche
nun in Form der vorliegenden Abschlussarbeit verwirklicht wurde, eine weitere Herausforderung
dar. In einem Zusatzstudium wie Erwachsenenbildung, welches sich durch eine heterogene Teil-
nehmerstruktur auszeichnet und somit sowohl einem interdisziplinären als auch teamwork-
orientierten Anspruch gerecht werden will, bot sich dieses Experiment geradezu an.

2
2. Nachhaltige Entwicklung
(Alexandra Rieg)
Andere säten für mich: Ich säe für Kommende.
(Orientalisches Sprichwort)
Im Fortschrittsbericht 2004: Perspektiven für Deutschland hält der von der Bundesregierung berufene
Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) fest, dass sich nachhaltiges Denken innerhalb der deut-
schen Gesellschaft bis jetzt nicht etablieren konnte. Trotz guter Ansätze in Wirtschaft und Zivil-
gesellschaft sei es bisher nicht gelungen, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ,,in die Mitte
der Gesellschaft zu holen" (ebd.: 19), da es an einem gemeinsamen Grundverständnis von Nachhaltig-
keit zu fehlen scheint. Dennoch hat sich der Begriff zu einer Art Modewort entwickelt, ohne dass
immer hinreichend deutlich wird, wovon genau die Rede ist. Im Folgenden wird die ursprüngli-
che Bedeutung dieses Begriffes und dessen Erweiterung bis hin zum Konzept der nachhaltigen Ent-
wicklung thematisiert. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, wie es zur Entstehung des Konzepts
der Bildung für nachhaltige Entwicklung kam und ein Ansatz für dessen Definition geliefert.
2.1 Geschichtliche Entwicklung des Begriffs Nachhaltigkeit
Der Begriff Nachhaltigkeit existiert seit langer Zeit und war von Anfang an mit der Frage nach den
natürlichen Grundlagen des Wirtschaftens verbunden. Nachhaltigkeit war in Deutschland bereits
im 18. Jahrhundert zeitgleich mit der Forstwirtschaft eingeführt und zum Leitprinzip der Nutzung
erhoben worden. Eine nachhaltige Forstwirtschaft beruht auf dem Grundsatz, nur so viel an
Holz zu schlagen, wie durch Neupflanzung von Bäumen in einem bestimmten Zeitraum nach-
wachsen kann. Das Nachhaltigkeitsprinzip hat nach diesem Verständnis eine systemerhaltende Funk-
tion und berücksichtigt den Faktor Zeit im Sinne einer Zeitdauer der Regeneration bzw. Gleich-
gewichtsherstellung.
In den 1960er Jahren verbreitete sich langsam die Erkenntnis einer weltweiten ökologischen Kri-
se, verbunden mit dem Wissen über die Begrenztheit der Ressourcen. Bis in die 1970er Jahre
sollte es dauern, bis diese Erkenntnisse zu einem bedeutsamen Thema von Konferenzen und
Studien gemacht wurden und Einzug in den politischen Diskurs hielten.
Einen ersten wichtigen Anstoß erhielt der Diskurs durch den Club of Rome und dem von diesem
1972 veröffentlichten Bericht ,,Die Grenzen des Wachstums". Darin wurde die Begrenzung der na-
türlichen Ressourcen deutlich gemacht und die Annahme geäußert, dass es bei anhaltendem in-
dustriellen Wachstum nach westlichem Vorbild bis spätestens 2030 zu einem Kollaps der Welt
kommen würde. Da sich die gesamte Weltbevölkerung auf ähnliche Probleme einzustellen habe,

3
wurde in diesem Bericht zu einer gemeinschaftlichen Herangehensweise zur erfolgreichen Lö-
sung der Probleme aufgefordert.
In den kommenden Jahren entstanden eine Reihe entwicklungspolitischer Konzepte, die unter
dem Begriff ,,Eco-Development" gebündelt wurden und denen für das später zustande kommende
Leitbild der nachhaltigen Entwicklung eine Art Vorreiterrolle zugeschrieben wird (Eisermann
2003).
Ein Meilenstein in der Geschichte der Nachhaltigkeit wurde 1987 mit dem sogenannten Brundt-
land-Bericht (Our Common Future) der World Commission of Environment und Development (WCED) der
Vereinten Nationen gelegt. Im Rahmen dieses Berichts wurde ein Modell zur Lösung globaler
Probleme entwickelt, das mit dem Begriff ,,sustainable development" beschrieben wurde und bis heu-
te jeden weiteren Diskurs in der Nachhaltigkeitsdebatte weltweit prägt. Im deutschsprachigen
Raum setzte sich als gängige Übersetzung der Begriff der nachhaltigen Entwicklung durch. Unter
nachhaltiger Entwicklung wird in diesem Kontext eine wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung
verstanden, in welcher Ökonomie, Ökologie und soziale Ziele so in Einklang gebracht werden,
dass die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisbefrie-
digung künftiger Generationen zu gefährden. Dem Konzept liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass
eine unveränderte Fortsetzung der bisherigen industriegesellschaftlichen Lebens- und Wirt-
schaftsweise in Zukunft zu einer dramatischen Zunahme ökologischer Risiken, ökonomischer
Disparitäten und sozialer Ungerechtigkeit in dieser Welt führen wird. Das herkömmliche indust-
riegesellschaftliche Modell wird als nicht nachhaltig und somit als nicht mehr zukunftsfähig ange-
sehen (Deutsche UNESCO-Kommission 2005).
In den 1980er Jahren wurde, u.a. durch die Entdeckung des Ozonlochs und der weltweiten Kli-
maveränderungen, die Brisanz globaler Umweltprobleme immer deutlicher. Alle weiteren Studien
und Konferenzen sollten ihren vorläufigen Höhepunkt 1992 in der UN-Konferenz für Umwelt und
Entwicklung in Rio de Janeiro finden. Aus über 150 Ländern trafen sich Regierungschefs, Vertreter
der UNO, der Wirtschaft und der Wissenschaft, aber auch lokale Behörden und Nichtregie-
rungsorganisationen, um notwendige Maßnahmen zur Verbesserung des globalen Umwelt- und
Klimaschutzes zu planen und Fragen bezüglich der sozialen Gleichstellung aller Menschen sowie
einer nachhaltigen Entwicklung nachzugehen.
Die Ergebnisse mündeten in einem Strategiedokument bzw. Aktionsprogramm für das 21. Jahr-
hundert ­ der Agenda 21. In dieser Zusammenstellung wurden erstmals lebenswichtige Fragen
von Umwelt und Entwicklung verknüpft und gleichzeitig politische Konzepte und lokale Projek-
te angestoßen. Die Agenda 21 erhob die Nachhaltigkeit zum weltweiten Maßstab politischer Zu-
kunftsplanung und verlangte für deren Verwirklichung neben politischen Konzepten, Plänen und

4
Leitsätzen auf nationaler Ebene die Verpflichtung zu internationaler Zusammenarbeit
1
. Zur Imp-
lementierung der Agenda 21 wurde in diesem Kontext ebenfalls 1992 die United Commission for
Sustainable Development (CSD) eingesetzt.
Die Konferenz in Rio wurde zum Ausgangspunkt einer qualitativ neuartigen Zusammenarbeit in
der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik weltweit. Der Schutz der natürlichen Lebens-
grundlagen wurde zum unerlässlichen Bestandteil eines Entwicklungsprozesses erklärt, der so-
wohl den Bedürfnissen heutiger als auch künftiger Generationen gerecht werden müsse. Die Bi-
lanz, die bis heute gezogen werden kann, sieht trotz positiver Trends zugleich ernüchternd aus,
betrachtet man die Besorgnis erregenden Fakten zur Lage der Menschheit und des Ökosystems
Erde. Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) ging es deswegen neben
der Bekräftigung der in Rio eingegangenen Verpflichtungen u.a. auch darum, den Rio-Prozess
wiederzubeleben. Im Rahmen von Länderberichten wurde ersichtlich, wie die verschiedenen
Teilnehmerstaaten die Agenda 21 umgesetzt und die Konventionen von Rio ratifiziert und imp-
lementiert hatten. Einen weiteren wichtigen Stellenwert nahmen konkrete Maßnahmen zur Um-
setzung der Nachhaltigkeitspolitik sowie neue mögliche strategische Handlungsfelder ein.
Durch diese Konferenzen und Studien wurde ein internationaler und interdisziplinärer Diskurs
angeregt, der auf Verständigung, Austausch und Zusammenarbeit über Ländergrenzen, Fach-
und Wissenschaftsdisziplinen hinaus ausgerichtet ist. Was die Inhalte und Überlegungen dieses
Diskurses sind, was dem Konzept Nachhaltige Entwicklung immanent ist und wie eine Umsetzung
dessen aussehen könnte, wird im Folgenden skizziert.
2.2 Das Konzept ,,Nachhaltige Entwicklung"
,,Sustainable Development is a "metafix" that will unite everybody from the profit-minded industrialist
and risk-minimizing subsistence farmer to the equity-seeking social worker, the pollution-concerned or
wildlife-loving First Worlder, the growth-maximizing policy-maker, the goal-oriented bureaucrat, and
therefore, the vote-counting politician" (Lélé, 1991: 613).
Die in oben angeführtem Zitat hervortretende Vieldeutigkeit des Leitbildes der nachhaltigen
Entwicklung wird oft beklagt. Bis heute ist das Leitbild niemals verbindlich definiert worden. In
der Praxis resultieren daraus nicht geringe Probleme und Differenzen bei seiner konkreten Um-
setzung. Es ist keine Übertreibung, wenn festgestellt wird, dass sich der Nachhaltigkeitsbegriff
heutzutage wie ein ,,semantisches Chamäleon" (Stephan, 2002: 112) verhält, unter dem die beteiligten
Akteure je nach ihrem spezifischen Interesse willkürlich etwas anderes verstehen. Positiver for-
1
Thematische Schwerpunkte des Aktionsprogramms bilden die Soziale und wirtschaftliche Dimension, die Erhaltung
und Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung, Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen, und Möglichkeiten der Um-
setzung.

5
muliert, kann die nachhaltige Entwicklung als eine Art offenes Suchkonzept begriffen werden, das
durch seine Unbestimmtheit und Offenheit einen möglichst breiten Konsens anstrebt.
Bei einer Annäherung an den Begriff fällt auf, dass sich der Diskurs auf verschiedenen Ebenen
abspielt, auf diverse Dimensionen rekurriert, dass ihm unterschiedliche Konzeptionen immanent
sind und die verschiedensten Wissenschaftsbereiche damit verbunden werden können.
In Anlehnung an eine Definition von Molitor (2003) werden Hauptaspekte einer nachhaltigen
Entwicklung aufgezeigt, die im Folgenden vertieft und erweitert werden:
,,Mit dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung wird ein Prozess weltweiter Entwicklung beschrieben,
der ökologische, ökonomische und soziale Aspekte miteinander zu vereinen sucht. Orientierungsrahmen bil-
den die Tragfähigkeit der natürlichen Systeme, die effektive Nutzung der natürlichen Ressourcen ohne diese
Grundlage für zukünftige Generationen zu gefährden und das ethische Prinzip der Gerechtigkeit zwischen
den jetzt lebenden (intragenerationeller Gerechtigkeitsgedanke) und den jetzt und zukünftig lebenden Gene-
rationen (intergenerationeller Gerechtigkeitsgedanke) (ebd.: 14).
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte etablierte sich das sogenannte 3-Säulen-Modell, welches
sich auf die drei verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit bezieht: die ökologische, die
ökonomische und die soziale Dimension. In den 1990er Jahren kam es mit der Hinzunahme der
kulturellen Dimension zu einer Erweiterung dieses Modells
2
. Diese 4 Säulen werden in ihrer Ge-
samtheit als innere Einheit betrachtet und sind untereinander vernetzt (Retinitätsprinzip).
Als Orientierungsrahmen für die ökologische Dimension gilt die Natur, der Umweltraum, bzw. die
natürliche Tragfähigkeit der Systeme. Weltweit besteht die Tendenz, dass sich Umweltver-
schmutzung und Umweltrisiken erhöhen werden, da die Regenerationsfähigkeit der natürlichen
Systeme überfordert wird. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
(WBGU) hat zur Analyse des globalen Wandels das Syndromkonzept entwickelt, welches globale
Schäden in Form typischer Schadensmuster beschreibt und global problematische Mensch-
Natur-Interaktionen mit hohem Risikopotential identifiziert. Formuliertes Ziel ist hier der Erhalt
der Systeme mit ihrer spezifischen biologischen Vielfalt.
Innerhalb der ökonomischen Dimension wird die Veränderung der Rahmenbedingungen hin zu einer
effektiveren Nutzung von Ressourcen, Energien und Flächen auf der Grundlage erweiterten Wis-
sens und verbesserter Technologien thematisiert. Dahinter steht das Prinzip der zirkulären Öko-
nomie oder Kreislaufwirtschaft, die Produktionsprozesse von Anfang an in natürliche Kreisläufe
einbindet. Unter globalem Gesichtspunkt gilt es das Augenmerk auf die internationalen wirt-
schaftlichen Vernetzungen und Abhängigkeiten zu richten: Es ist ein globaler Markt entstanden,
2
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass es auch im Diskurs um die verschiedenen Di-
mensionen der Nachhaltigkeit keine einheitlichen Richtlinien gibt. So nimmt z.B. die Helmholtz-Gesellschaft als
vierte Dimension die politisch-institutionelle hinzu, während man sich in anderen Kontexten auf die ursprünglichen drei
beschränkt. Die Hinzunahme der kulturellen Dimension erfolgte im Rahmen der Bund Länder Kommission. Da sich
auch die UNESCO und die von diesen koordinierte Bildung für nachhaltige Entwicklung an der Hinzunahme der kultu-
rellen Dimension orientiert, erschien die Übernahme eben dieser 4 Dimensionen sinnvoll.

6
an dem nicht nur die industrialisierte Welt, sondern alle Staaten (mehr oder weniger stark) betei-
ligt sind
3
.
Der dritten, der sozialen Dimension liegt das ethische Prinzip der Gerechtigkeit zu Grunde. Dieses
ethische Postulat wird breitgefächert ausgelegt und bezieht sich auf Gerechtigkeit zwischen den
Generationen, den Nationen, den Kulturen und Weltregionen. Verbunden mit dem Aspekt der
Gerechtigkeit ist die Aufforderung zur Übernahme von Verantwortung: der Mensch muss sein
Handeln sich selbst und anderen gegenüber verantworten können. Dies impliziert u.a. eine indi-
viduelle, kollektive und globale Verantwortung für umwelt- und entwicklungsbezogenes Handeln,
eine möglichst demokratische Umsetzungsweise neuer Produktions- und Konsumformen, stärke-
re Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit knappen Ressourcen und umweltgerechte Lebenssti-
le. Damit verbunden ist die Frage nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse und der Debatte,
was diese basic needs umfasst
4
.
Auswirkungen sowohl auf die soziale als auch kulturelle Dimension haben die im Zuge der Globali-
sierung entstehenden weltweiten Veränderungen des sozialen Zusammenlebens. Diese können auf län-
gere Sicht einen Wandel in der Gesellschaft als Ganzes nach sich ziehen. Wenn die Globalität
,,neue Formen sozialer Ordnung" hervorbringt, wird nach Albrow (1998: 427) das Soziale neu disku-
tiert, indem der soziale Zusammenhang wieder in den Vordergrund gerückt und die Frage nach
Identität gestellt wird. Neben der Reflexion über die eigene (kulturelle) Identität und der Anerken-
nung der kulturellen Vielfalt wird in der kulturellen Dimension das Augenmerk auf Werte, Wahr-
nehmungen und Traditionen der verschiedenen kulturellen Gruppen gelegt. Beachtung finden die
verschiedenen existierenden Weltbilder, deren immanente Religionen, Mythen, Naturwahrneh-
mungen, etc. Hinweise auf spezifische Sichtweisen und Perspektiven eröffnen können (vgl. BLK,
1998: 21 f.).
Anhand dieser 4 Säulen und verschiedenen Ebenen (global, regional und lokal) wird deutlich,
welch große Spannbreite das Konzept der nachhaltigen Entwicklung aufweist. Indem der Begriff
der Nachhaltigkeit nicht mehr primär auf einen ökologisch-ökonomischen Bereich bezogen wird,
sondern durch die soziale und kulturelle Dimension eine Erweiterung erfahren hat, eröffnet sich
ein enorm großes Feld verschiedener Themen und möglicher Gestaltungsbereiche. Allerdings
scheint es in diesem offenen Suchprozess kein detailliertes Handlungsrezept zu geben, wodurch eine
konkrete Umsetzung auf den ersten Blick schwierig erscheint. Einigkeit herrscht darüber, dass
eine Umsetzung des Leitbildes einen Wandlungsprozess von Staat und Gesellschaft erfordert. Gefragt
ist die Partizipation eines jeden Individuums. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines nachhaltigen
3
In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Partizipation an der Gestaltung des Welt-
marktes nicht allen Staaten in gleichem Maße gewährleistet ist und Disparitäten dadurch geschaffen, bzw. bereits
bestehende verstärkt werden.
4
Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass sich die basic needs in den ,,Ländern des Südens" gravierend von
denen des Nordens unterscheiden.

7
Lebensstils kann nach Zahrnt (2004) jedoch nur erreicht werden, wenn die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen und ökonomischen Strukturen die richtigen Anreize geben. Nicht selten
entstehen durch umweltfreundliches, ressourcenschonendes Verhalten finanzielle Nachteile,
meist haftet der Diskussion um Nachhaltigkeit ein moralischer Appell an, viele setzen Nachhal-
tigkeit mit Verzicht und Entsagung gleich, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass die
Inhalte des Diskurses nachhaltige Entwicklung in der gesellschaftlichen Diskussion zu wenig
thematisiert werden. Wenn eine nachhaltige Entwicklung als der ,,allgemein anerkannte Weg zur Ver-
besserung der individuellen Zukunftschancen, zu gesellschaftlicher Prosperität, wirtschaftlichem Wachstum und
ökologischer Verträglichkeit" (Deutsche UNESCO-Kommission, 2005: 1) verstanden werden soll, muss
das Wissen um Nachhaltigkeit in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens einfließen. Die deutsche
Bundesregierung setzt bei dem Versuch der Umsetzung des Leitbildes auf die Lern- und Innova-
tionsbereitschaft der Menschen und Institutionen. Diesem gesamtgesellschaftlichen Lernprozess sind
sowohl das Lernen als auch Verlernen von Verhaltens-, Denk- und Kommunikationsmustern
immanent. Wie auf bildungspolitischer Ebene auf diesen Appell reagiert wird, wie die Menschen
dazu befähigt werden sollen, mit dieser schwer übersehbaren Fülle an neuen Herausforderungen
und Aufgaben im Bereich der Umwelt-, Sozial- und Entwicklungspolitik umzugehen und wie es
zur Entwicklung des Konzepts der Bildung für nachhaltige Entwicklung kam, wird im Weiteren auf-
gezeigt.
2.3 Das Konzept der ,,Bildung für nachhaltige Entwicklung"
Sowohl die formale als auch die nichtformale Bildung sind unabdingbare Voraussetzungen für die Her-
beiführung eines Bewußtseinswandels bei den Menschen, damit sie in der Lage sind, ihre Anliegen in Be-
zug auf eine nachhaltige Entwicklung abzuschätzen und anzugehen. Sie sind auch von entscheidender
Bedeutung für die Schaffung eines ökologischen und eines ethischen Bewußtseins sowie von Werten und
Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar
sind, sowie für eine wirksame Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung (Agenda 21,
Kapitel 36.3).
Die zitierte Passage aus der Agenda 21 hebt die Bedeutung hervor, welche der Bildung bei der
Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung und bei der Erreichung eines gesell-
schaftlichen Bewusstseinswandels beigemessen wird. Bevor mögliche Themen und Inhalte einer
Bildung für nachhaltige Entwicklung thematisiert werden bzw. aufgezeigt wird, um welche zu
vermittelnden Kompetenzen es sich handeln kann, wird ein geschichtlicher Rückblick vorge-
nommen, um aufzuzeigen, wie es zur Entstehung dieses bildungspolitischen Konzepts kam.

8
2.3.1 Die Genese des Konzepts ,,Bildung für nachhaltige Entwicklung"
Nachdem die Agenda 21 verabschiedet und in ihr die Bedeutung von Bildung für die Umsetzung
der Nachhaltigkeitsstrategie hervorgehoben wurde, begann eine Phase bildungspolitischer Aktivi-
täten, die programmatischer Art waren und Innovationen in den pädagogischen Handlungsfel-
dern einklagten. Unterschiedliche Gremien nahmen bezüglich der Bedeutung von Bildung im
Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie Stellung
5
. Als geeigneter Ansatzpunkt bzw. als eine geeigne-
te Grundlage für die notwendige Entwicklung einer Bildung im Zeichen des Nachhaltigkeit-
Leitbildes wurde die Umweltbildung gesehen. Mithilfe dieser seit den 1970er Jahren innerhalb der
Sozialwissenschaften etablierterten Forschungstradition wurden Umweltthemen in die Lehrpläne
integriert und das Umweltbewusstsein und dessen Komponenten thematisiert
6
. Ziel einer erfolg-
reichen Umweltbildung sollte vor allem die Ermöglichung von ,,Lernen aus den unmittelbaren und
vermittelten Erfahrungen in alltäglichen Lebenszusammenhängen (Situationsorientierung) im Zusammenhang mit
dem eigenen Handeln (Handlungsorientierung) sowie die Einbindung der zu vermittelnden Inhalte in den gesell-
schaftlich-politischen Kontext (Problemorientierung)" sein (BLK Orientierungsrahmen, 1998: 27)
7
.
1996 beschloss die in Rio eingesetzte United Commission for Sustainable Development (CSD)
die Weiterentwicklung des Begriffs der Umweltbildung hin zum Konzept der Bildung für nachhaltige
Entwicklung (BfnE). Die neu geprägte Bezeichnung dieses pädagogischen Handlungskonzepts sollte
dafür Sorge tragen, dass neben Umweltgesichtspunkten auch Fragen zum Entwicklungsverständ-
nis, zu Gerechtigkeitsvorstellungen, zu Partizipation und anderen globalen Themen in die formel-
le und nicht-formelle Bildung integriert werden. In diesem Sinne galt es, die bisherigen Bildungs-
ziele und ­inhalte der traditionellen Umweltbildung einer kritischen Reflexion zu unterziehen und
im Sinne der 4 Dimensionen (ökologisch, ökonomisch, sozial und kulturell) zu erweitern, sowie
Lehr- und Lernarrangements didaktisch und organisatorisch umzugestalten. Bildung im Sinne des
Konzepts der nachhaltigen Entwicklung kann somit als eine Art Gesamtrahmen betrachtet werden,
in welchem bisherige Ansätze der umwelt- und entwicklungsorientierten Bildung (ökologische
und interkulturelle Bildung), aber auch der Friedenserziehung, der Gesundheitserziehung, der
politischen Bildung, des globalen Lernens, etc. verbunden werden und mit einer gemeinsamen
Perspektive, nämlich der der nachhaltigen Entwicklung, weiterentwickelt werden können. For-
muliertes Ziel ist die Förderung einer breitangelegten öffentlichen Bewusstseinsbildung als wesentlicher
Bestandteil einer weltweiten Bildungsinitiative, im Rahmen derer Einstellungen, Wertvorstellun-
5
Vgl. dazu BLK, Heft 72 (1999).
6
Umweltbildung fand zu einem großen Teil jedoch auch außerhalb von staatlich organisierten Bildungseinrichtungen
statt.
7
Zur Geschichte und Umsetzung der Umweltbildung siehe u.a. Umweltbildung als Innovation ­ Bilanzierung und Empfeh-
lungen zu Modellversuchen und Forschungsvorhaben. De Haan und andere (1997); Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ­
Orientierungsrahmen. BLK, Heft 69 (1998).

9
gen und Handlungsweisen gestärkt werden, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar
sind.
1997 wurde das Mandat der CSD verlängert und die UNESCO als die für Umweltbildung feder-
führende UN Organisation aufgefordert, der CSD ein ausformuliertes und innerhalb der UN
Organisationen abgestimmtes Programm zur Umsetzung von Kapitel 36 der Agenda 21 vorzule-
gen. In diesem Kontext verabschiedete die Bund-Länder-Kommission (BLK) im Juni 1998 den Orien-
tierungsrahmen ,,Bildung für eine nachhaltige Entwicklung", welcher den damaligen Stand der öffentli-
chen Diskussion um das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung für das deutsche Bildungswesen
darlegte. Dort wurden u.a. ausführlich die Aufgaben beschrieben, die sich in den verschiedenen
Bildungsbereichen zur Umsetzung des Leitbildes ergaben.
Als primäres Lernziel einer Bildung für nachhaltige Entwicklung halten de Haan und Harenberg
im später veröffentlichten Gutachten zum ,,Förderprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung" die
Gestaltungskompetenz fest. ,,Mit Gestaltungskompetenz wird das nach vorne weisende Vermögen bezeichnet, in
aktiver Teilhabe die Zukunft von Sozietäten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung modifizieren und modellie-
ren zu können" (1999: 10). Diese Kompetenz umfasst gemäß den Autoren antizipatorisches Den-
ken sowie komplexes, interdisziplinäres Wissen, welchem Mut zu Phantasie und Kreativität im-
manent ist. Auch wird darunter ein Konzept eigenständiger Urteilsbildung verstanden, welche die
Fähigkeit zu innovativem Handeln im Feld nachhaltiger Entwicklung zum Ziel hat. Der Begriff
der ,,Gestaltungskompetenz" wurde dezidiert im Kontext der BfnE neu eingeführt, um zu signa-
lisieren, dass es sich dabei um ein Modernisierungskonzept handelt, ,,das Veränderungen will, die im
Sinne einer vorsorgenden Politik eben nicht mehr bloß als Reaktion auf vorher schon erzeugte Problemlagen entste-
hen" (BLK Heft 88, 2001: 20 f.).
Aus dem 2001 von der BLK erschienenen Bericht zur Umsetzung des Orientierungsrahmens geht her-
vor, dass es, bezogen auf die institutionelle Ebene, in den Ländern zur Förderung einer Reihe
von Maßnahmen der BfnE gekommen war. In Bezug auf den schulischen Kontext konnte fest-
gestellt werden, dass es zu einer Berücksichtigung der in der Agenda 21 genannten Themen in
den Lehrplänen kam
8
. Im Bereich der beruflichen Bildung und der Weiterbildung kam es zu einer
Reihe innovativer Vorhaben und Modellversuche, um eine Berufsbildung für nachhaltige Ent-
wicklung zu konzipieren und zu initiieren
9
. Im Hochschulbereich und der wissenschaftlichen
Weiterbildung konnte beobachtet werden, dass die Auseinandersetzung mit Grundsätzen einer
nachhaltigen Entwicklung zum einen immer mehr Bestandteil der Lehre wird, zum anderen je-
doch auch immer zahlreichere neue Forschungsschwerpunkte im Rahmen interdisziplinärer Zu-
sammenarbeit entstehen. Prinzipiell kann, bezogen auf alle Bildungseinrichtungen, eine verstärkte
Öffnung nach außen, im Sinne von Projektzusammenarbeit mit Wirtschaft und Kommunen,
8
Vgl. diesbezüglich www.blk21.de
9
Vgl. dazu u.a. www.bibb.de

10
sowie fachlichem Austausch und Beratung, etc., festgestellt werden. Auch können Bemühungen
von Seiten der Bildungseinrichtungen erkannt werden, selbst zu lernenden Organisationen zu werden.
Trotz beginnender Umsetzung des Konzepts ging aus Diskussionen zu Beginn des neuen Jahr-
tausends hervor, dass sich eine gewisse Unsicherheit, zum Teil sogar ein Verdruss bezüglich der
BfnE in Fachkreisen hervortat. Es wurde deutlich, wie schwer die klare Formulierung und konsi-
stente Begründung von Zielen fiel und wie problematisch eine Umsetzung dieser nicht klaren
Ziele in die Praxis empfunden wurde. Bildungsinstitutionen sahen sich durch die in der Agenda
21 formulierten Ansprüche mit Fragen und Herausforderungen konfrontiert, auf die bis zum
damaligen Zeitpunkt keine zufriedenstellenden Antworten gefunden zu sein schienen (Strobl,
2001: 15). Wenn vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (2002) als Aufgabe der
BfnE die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen genannt wird, welche zur Partizipation und
aktiven Gestaltung eines nachhaltigen, zukunftsfähigen Lebens und Wirtschaftens befähigen, mit
dem Ziel, Dispositionen für selbstbestimmtes und autonomes Handeln zu fördern, dann scheint
eine inhaltliche Richtung gegeben zu sein und gleichzeitig tut sich ein unüberschaubares Feld an
möglichen Themen, Disziplinen, Aufgabenfeldern, etc. auf.
Beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) ernannte die Vollversammlung
der Vereinten Nationen die Jahre 2005 bis 2014 zur Weltdekade ,,Bildung für nachhaltige Entwicklung".
Die Koordination wurde der UNESCO übertragen. Mit dem Ausrufen dieser Dekade wird die
große Bedeutung von Bildung für eine umfassende Nachhaltigkeitspolitik hervorgehoben und
gleichzeitig eine globale Vision geäußert: "The Decade of Education for Sustainable Development pursues
a global vision: The vision of education for sustainable development is a world where everyone has the opportunity to
benefit from quality education and learn the values, behaviour and lifestyles required for a sustainable future and
for positive societal transformation" (UNESCO IIS, 2004: 23).
In Deutschland griff die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) den Beschluss der Vereinten
Nationen auf und unternahm erste Schritte zu dessen Umsetzung. Die im Sommer 2003 verab-
schiedete ,,Hamburger Erklärung" gilt als wichtiges Referenzdokument, das zentrale Ziele der an-
stehenden Dekade formuliert. In diesem wurden alle Verantwortlichen in Bund, Ländern und
Gemeinden sowie interessierte Institutionen der Wirtschaft, Einrichtungen von Forschung und
Lehre und der Zivilgesellschaft dazu aufgefordert, sich zu einer ,,Allianz Nachhaltigkeit lernen" zu-
sammenzufinden. Ziel war die Entwicklung eines gemeinsamen Aktionsplans für die Dekade
sowie die Schaffung von Programmen und Koordinationsmechanismen für dessen Umsetzung.
Als konkrete Maßnahmen wurden u.a. genannt: Die Überarbeitung von Lehrbüchern, Curricula
und Prüfungskriterien im Licht der Agenda 21-Ziele; Förderung der Zusammenarbeit von Bil-
dungsinstitutionen und der Wirtschaft; Entwicklung der außerschulischen Jugend- und Erwach-
senenbildung nach dem Beispiel der ,,Lernenden Regionen" in Zusammenarbeit mit lokalen Ini-
tiativen, Vereinen, kulturellen Einrichtungen, etc. Im Rahmen der deutschen Bildungsmesse didac-

11
ta 2005 in Stuttgart wurde am 1.März diesen Jahres die offizielle Eröffnung der UN-Dekade Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung begangen. Im Anschluss an eine Podiumsdiskussion kam es
zur Auszeichnung von 82 Projekten, die dem Aufruf der Hamburger Erklärung gefolgt waren
und auf der didacta ihre Projekte vorstellten. Projekte, die alle im Rahmen des Konzepts der BfnE
verortet werden können und ein breites Spektrum an Ideen und Themen umfassen
10
.
Bevor nun das Augenmerk auf mögliche Inhalte, Konzepte und Methoden der Bildung für nach-
haltige Entwicklung gerichtet wird, erscheint es mir wichtig, auf die Unterscheidung von nachhal-
tiger Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung einzugehen.
2.3.2 Nachhaltige Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung
Meines Erachtens muss es zu einer Unterscheidung von nachhaltiger Bildung und Bildung für nachhal-
tige Entwicklung kommen. Während es sich beim Konzept der BfnE um ein bildungspolitisches
Konzept mit ethischem Postulat handelt, rekurriert die nachhaltige Bildung weniger auf die nor-
mative Ebene als vielmehr auf die Ebene des Subjekts. Ich schließe mich Arnold (2001) an, der
davon ausgeht, dass die Nachhaltigkeit von Erwachsenenlernen folgende Beurteilungskriterien
umfasst: individuelle Nachhaltigkeit im Sinne einer geringen Vergessensquote und Transfernachhaltig-
keit im Sinne der tatsächlichen Handlungs-, Orientierungs- und Umsetzungsrelevanz des Gelern-
ten (ebd.: 106). Arnold entwickelte in diesem Zusammenhang Leitfragen, die im Zuge des Lern-
kulturwandels zu einer neuen Erwachsenendidaktik und dadurch zu einer Nachhaltigkeit des Erwach-
senenlernens führen sollen. Diese Leitfragen werden 4 verschiedenen Kategorien zugeordnet:
Aufhebung der Trennung von Lehren und Lernen
Reduzierung des Lernens im Gleichschritt (Synchronizität des Lernens)
Überwindung des einseitigen Methodenbesitzes im Lehr-/Lernprozess
Milderung des Vorranges von Lerngegenständen bzw. ­inhalten (ebd.: 103)
11
Die Beschäftigung mit diesen Leitfragen kann zu einer Lernkultur nachhaltigen Lernens führen, in
welcher Lernen gelernt und zum Transfer des Gelernten befähigt wird, in welcher der Situierung
von Lernen Rechnung getragen und eine möglichst hohe Behaltensquote angestrebt wird. Im
10
Die Bandbreite reicht von Schulpartnerschaften mit Einrichtungen außereuropäischer Länder, über die Entwick-
lung von Spielen zur Förderung der regionalen Kommunikation über nachhaltige Entwicklung, bis hin zu Pro-
jekten der ,,Friedenssicherung und Nachhaltigkeit" durchgeführt von Bundeswehr und Landeszentrale für Umweltauf-
klärung (zur Kurzbeschreibung der ersten offiziellen Dekade-Projekte siehe www.dekade.org ).
11
Einige solcher Leitfragen sind nach Arnold (2001: 103): Wie können Lehrende sich zu Lernberatern entwickeln?
Welche Sozialphasen sind für den Lernprozess sinnvoll? Wie können Selbstlernkompetenzen der Lernenden
systematisch gefördert werden? Wie lassen sich Lehrinhalte erschließungsorientiert und aktivitätsfördernd aufbe-
reiten?

12
Vordergrund von Lehr-Lern-Arrangements muss die fachdidaktische Frage nach der ,,strukturbil-
denden Relevanz" der Informationen zum Aufbau von Erschließungs-, Orientierungs- und Bewälti-
gungskompetenzen stehen. Wissen muss dabei an die Lebenswelt der Individuen anknüpfen.
Arnold spricht in diesem Zusammenhang von ,,erwachsenendidaktischem Empowerment", welches es
den Lernenden ermöglichen soll, didaktische Entscheidungskompetenzen für die Gestaltung ih-
rer eigenen Lernprozesse zu erlangen. Dafür ist jedoch eine Nach- bzw. Umsozialisierung der
Lernenden notwendig: ,,lernkulturelle Traditionen und Gewohnheiten" müssen überwunden und die
Ermächtigung zum selbstgesteuerten Lernen erlangt werden (ebd.: 106). Arnold plädiert für eine
Überwindung von Lernkulturen, in denen noch zu sehr an ,,effektlosem Lernen" festgehalten wird
und Lernen und Bildung ,,letztlich zu einem Ritual verkommen lassen, dessen Biographierelevanz darin liegt,
teilgenommen zu haben, auch wenn dabei wenig gelernt oder vieles vergessen worden ist" (ebd.: 106 f.).
Meines Erachtens impliziert Bildung für nachhaltige Entwicklung nachhaltiges Lernen, wie es
von Arnold beschrieben ist. Ein nachhaltiges Lernen, das auf eine ökologische, vor allem aber
ethische Bewusstseinsbildung ausgerichtet ist. In der fachlichen Diskussion wird davon ausge-
gangen, dass nachhaltige Entwicklung Lösungsansätze benötigt, die von den ethisch-kulturellen
Grundfragen der individuellen und gesellschaftlichen Lebensgestaltung ausgehen. Vogt (2001:
118) geht sogar so weit, von einer ,,ethischen Wende" als Schlüssel zu einer BfnE zu sprechen. Ethi-
sche Wende wird dabei nicht als ein Mehr an moralischen Impulsen verstanden, vielmehr als kri-
tische ethisch-pädagogische Reflexion über die Bedingungen, Chancen und Grenzen einer päda-
gogischen Vermittlung von Verantwortungskompetenzen.
Wenn im weiteren Verlauf dieser Arbeit von Bildung für nachhaltige Entwicklung bzw. von
nachhaltiger Bildung die Rede sein wird, gilt es diese Unterscheidung in Erinnerung zu behalten.
2.3.3 Bildung für nachhaltige Entwicklung: Inhalte, Themen, Konzepte
,,Nachhaltige Bildung ist moderne Elementarbildung von Kopf, Herz und Hand, des ganzen Menschen
mitsamt seinen Gefühlen und seiner Kommunikation und Interaktion" (Heitkämper, 1998: 100).
Bei der folgenden Darstellung möglicher Inhalte und Themen, anwendbarer Konzepte und Me-
thoden, etc. beziehe ich mich primär auf de Haan, der seit Jahren federführend in der Diskussion
um eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ist und den Vorsitz der Deutschen UNESCO
Kommission für die Bildungsdekade inne hat
12
. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich de Haan's
Ausführungen nicht explizit auf den Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung beziehen,
sondern eher auf den schulischen Bereich rekurrieren. In diesem Zusammenhang wird es von
12
Prof. Dr. Gerhard de Haan, Freie Universität Berlin

13
Interesse sein, zu sehen, wie die von de Haan genannten Ansätze bezogen auf eine Umsetzung
des Konzepts der BfnE im Bereich der Erwachsenenbildung einzuordnen und einzuschätzen
sind.
De Haan geht beim Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung von einem offenen Kon-
zept aus, das nicht nur einer einzigen einschlägigen Definition folgen kann. Stattdessen plädiert er
für einen Begriffs-Pluralismus, sogar für eine Bevorzugung der Instabilität des Begriffes und für eine
permanente begriffliche Innovation. Er begründet dies mit der Tatsache, dass der Bezugsgegens-
tand ein kultureller ist und sich somit in permanentem Wandel befindet. Dementsprechend geht
er davon aus, dass der BfnE selbst schnelle Wandlungsprozesse immanent sind (2002: 2).
Die Zielsetzung des Konzepts der BfnE ist nach Harenberg und de Haan, den Lernenden die
Möglichkeit zu offerieren, Gestaltungskompetenz zu erwerben
13
. Gestaltungskompetenz wird dabei als
kreative Handlungskompetenz verstanden, die ein ,,aktives Modellieren an den Variationen des Mögli-
chen" (ebd., 1999: 10) im Sinne einer aktiven Partizipation an und Gestaltung von gesellschaftli-
chen Entwicklungen ermöglichen soll. Um die Breite und Tiefe der angestrebten Gestaltungs-
kompetenz deutlich zu machen, aber auch um zu differenzieren, zeigt de Haan die der Gestal-
tungskompetenz immanenten Teilkompetenzen und sich darauf beziehende Vorschläge für das
Lehr-Lern-Arrangement auf (2002: 8 ff.).
Bei der Kompetenz, vorausschauend zu denken geht es um die Fähigkeit, mit Unsicherheit und Zu-
kunftserwartungen und ­entwürfen umgehen zu können, sowie mögliche Entwicklungen für die
Zukunft entwerfen zu können. Wichtige Elemente dieser Kompetenz sind Kreativität, Phantasie
und Imaginationsvermögen. Bezogen auf das Lehr-Lern-Arrangement bzw. auf die Strukturierung
von Lehr- und Moderationsprozessen müsste u.a. folgenden Leitfragen Rechnung getragen wer-
den: Werden persönliche Entwicklungen für die Zukunft vorgestellt oder entworfen? Werden
Risiken von aktuellen und künftigen, auch unerwarteten Entwicklungen thematisiert?
Um Phänomene in ihrem weltweiten Bindungs- und Wirkungszusammenhang erfassen und loka-
lisieren zu können wird nach de Haan die Kompetenz zur weltoffenen Wahrnehmung, transkultureller
Verständigung und Kooperation benötigt. Als Grundlage hierfür sollte jedoch eine gewisse Grundhal-
tung vorhanden sein, nämlich die Neugier und das Interesse an den Erfahrungen und Anliegen
der Menschen in anderen Weltregionen und die Bereitschaft voneinander zu lernen. Als mögliche
Leitfragen für das Lehr-Lern-Arrangement werden hier u.a. folgende genannt: Wird sichtbar ge-
macht, welche Folgen eigene Entscheidungen über den unmittelbaren Gesichtskreis hinaus in
Zeit und Raum haben? Werden die unterschiedlichen Interessenslagen und Probleme aus der
13
In Anlehnung an ein konstruktivistisches Bildungsverständins wird hier nur von Möglichkeit gesprochen, da den
Lernenden immer nur eine Offerte unterbreitet werden kann. Ob sie das Angebot wahrnehmen und was sie aus
diesem Angebot machen, lässt sich nicht diktieren.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836610292
DOI
10.3239/9783836610292
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Erziehungswissenschaften, Erwachsenenpädagogik
Erscheinungsdatum
2008 (März)
Note
1,3
Schlagworte
lebenslanges lernen qualitätssicherung nachhaltige entwicklung erwachsenenbildung soziales kapital
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Titel: Bildung für nachhaltige Entwicklung und Qualitätssicherung im Kontext des Lebenslangen Lernens
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