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Marek Hlasko

Die Selbstdarstellung in der Autobiographie

©2007 Magisterarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Seine kontroverse Lebensweise und rebellische Einstellung führten dazu, dass er noch zu seinen Lebzeiten zum lebenden Mythos wurde. Hauptfigur verschiedener Geschichten und Anekdoten überschatten nicht nur sein literarisches Schaffen sondern auch seine Persönlichkeit. Aus der heutigen Sicht fällt es schwer zu unterscheiden, welche Berichte über ihn als Fakten und welche als Erfindungen einzuordnen sind. Es gibt nur wenige Informationen, die als tatsächlich gelten können.:Marek Hlasko. Urodzony 14 stycznia 1934 roku w Warszawie. Wzrost – 183 cm, wlosy blond, oczy niebieskie. Na prawym przedramieniu tatuaz.
Der einzige Sohn von Maciej und Maria (geb. Rosiak), gilt als einer der hervorragendsten polnischen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Nachdem er die Schule frühzeitig abbricht, versucht Hlasko, u.a. als Hilfsfahrer und Fabrikarbeiter sich sein Lebensunterhalt zu verdienen.
Im Alter von 16 Jahren (1952) schreibt Hlasko seine erste Kurzgeschichte „Sonata Marymoncka“. Zwei Jahre später wurde die Erzählung „Baza Sokolowska“ veröffentlicht, die auch in den Debütband „Pierwszy krok w chmurach“ (1956) den Einzug fand. Auf Grund der guten Aufnahme bei den Lesern bekam der Band zwischen 1956 und 1958 noch zwei weitere Auflagen. In der Zeit entstehen weitere Erzählungen („Amor nie przyszedl dzis wieczorem“, „Glód“, „Zbieg“, „Ósmy dzien tygodnia“), die in verschiedenen Literaturzeitschriften gedruckt werden. Zwischen 1955 und 1957 arbeitet Hlasko in der Redaktion der Zeitschrift „Po Prostu“. Währendessen werden auf der Grundlage seiner Erzählungen auch einige Filme gedreht.
In Januar 1958 bekommt Hlasko den Verlegerpreis, der zum ersten Mal nach dem Krieg wieder verliehen wurde, für sein Debütband „Pierwszy krok w chmurach“. In demselben Jahr (Februar) fliegt Hlasko auf die Einladung des Literaturinstituts nach Paris.
Schon im April 1958 erscheinen im Westen die Erzählungen „Cmentarze“ und „Nastepny do raju“, für die der Autor mit den Literaturpreisen der Pariser Zeitschrift „Kultura“, sowie der Londoner „Wiadomosci“ ausgezeichnet wurde.
In Polen wird Hlasko unterdessen von allen Seiten (Kritiker, Behörden) erst scharf angegriffen, bald jedoch auf Grund seiner Ausreise in den Westen zu »Unperson« erklärt. Die Situation zwischen den polnischen Behörden und Hlasko führt dazu, dass er sich noch 1958 entschließt in Berlin um Asyl zu bitten. Trotz seiner Bemühungen darf er nie wieder in Polen einreisen und sein Name sowie […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Blanka Braun
Marek Hlasko
Die Selbstdarstellung in der Autobiographie
ISBN: 978-3-8366-0623-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität zu Köln, Köln, Deutschland, Magisterarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
I.
EINLEITUNG 3
I.1
Die biographischen Eckdaten
3
I.2
Arbeitsvorgang 5
II.
DIE AUTOBIOGRAPHIE
7
II.1 Versuch einer Gattungseingrenzung
8
II.1.1
Die Eigenschaften der Autobiographie
9
II.2 Die Selbstdarstellung in der Autobiographie
12
II.3 Die Problematik der Wahrheit in der Autobiographie
14
II.4 Die Subjekt ­ Objekt ­ Frage
16
II.4.1
Der autobiographische Antrieb
16
II.5 Kurzer Überblick über die Geschichte der polnischen
Autobiographie 17
II.6 Die moderne Autobiographie
19
II.7 Formen moderner autobiographischer Literatur in Polen
23
III. MAREK HLASKOS ,,PIKNI DWUDZIESTOLETNI"
27
III.1
Die Legendenentstehung
28
III.1.1 Die
Mythostheorien
29
III.2
Polen 30
III.3
Durch die Volksschule habe ich mich gemogelt...
31
III.4
Das Debüt: So blöd kann ich das auch...
33
III.5
Kommunismus 35
III.5.1 Die Literatur
36
III.6
Die Publizistik und die Denunziation
38
III.7
Die Kritik des Frühwerks ­ Beitrag zum Verrätermythos
40
III.7.1
Die Kritik nach der Ausreise
42

2
IV.
DER WESTEN
45
IV.1
Der Kriminelle und der Träumer
45
IV.2
Die Emigration
47
IV.3
Vom sozialistischen Realismus zur 'wahrhaftigen Erfindung'
50
IV.4
Hlaskos Leben als 'wahrhaftige Erfindung'
53
V.
EINE ART AUTOBIOGRAPHIE
55
VI. LITERATURLISTE
61

3
I.
Einleitung
I.1
Die biographischen Eckdaten
Seine kontroverse Lebensweise und rebellische Einstellung führten dazu, dass er
noch zu seinen Lebzeiten zum lebenden Mythos wurde. Hauptfigur verschiedener
Geschichten und Anekdoten überschatten nicht nur sein literarisches Schaffen
sondern auch seine Persönlichkeit. Aus der heutigen Sicht fällt es schwer zu un-
terscheiden, welche Berichte über ihn als Fakten und welche als Erfindungen
einzuordnen sind. Es gibt nur wenige Informationen, die als tatsächlich gelten
können.:
Marek Hlasko. Urodzony 14 stycznia 1934 roku w Warszawie. Wzrost
­ 183 cm, wlosy blond, oczy niebieskie. Na prawym przedramieniu
tatua.
1
Der einzige Sohn von Maciej und Maria (geb. Rosiak), gilt als einer der hervorra-
gendsten polnischen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Nachdem er die Schule
frühzeitig abbricht, versucht Hlasko, u.a. als Hilfsfahrer und Fabrikarbeiter sich
sein Lebensunterhalt zu verdienen.
Im Alter von 16 Jahren (1952) schreibt Hlasko seine erste Kurzgeschichte ,,Sonata
Marymoncka"
2
. Zwei Jahre später wurde die Erzählung ,,Baza Sokolowska" ver-
öffentlicht, die auch in den Debütband ,,Pierwszy krok w chmurach" (1956) den
Einzug fand. Auf Grund der guten Aufnahme bei den Lesern bekam der Band
zwischen 1956 und 1958 noch zwei weitere Auflagen. In der Zeit entstehen weite-
re Erzählungen (,,Amor nie przyszedl dzi wieczorem", ,,Glód", ,,Zbieg", ,,Ósmy
dzie tygodnia")
3
, die in verschiedenen Literaturzeitschriften gedruckt werden.
Zwischen 1955 und 1957 arbeitet Hlasko in der Redaktion der Zeitschrift ,,Po
Prostu". Währendessen werden auf der Grundlage seiner Erzählungen auch einige
Filme
4
gedreht.
1
Rudnicki: S. 7
2
Wurde erst 1982 veröffentlicht. Vgl. Galant: S. 111.
3
Galant: S. 111
4
,,Ptla" (W.J. Hass), ,,Ósmy dzie tygodnia" (A. Ford), ,,Baza ludzi umarlych" (Cz. Petelski).
Vgl. Klimaszewski: S. 132.

4
In Januar 1958 bekommt Hlasko den Verlegerpreis, der zum ersten Mal nach dem
Krieg wieder verliehen wurde, für sein Debütband ,,Pierwszy krok w chmurach".
In demselben Jahr (Februar) fliegt Hlasko auf die Einladung des Literaturinstituts
nach Paris.
Schon im April 1958 erscheinen im Westen die Erzählungen ,,Cmentarze" und
,,Nastpny do raju", für die der Autor mit den Literaturpreisen der Pariser Zeit-
schrift ,,Kultura", sowie der Londoner ,,Wiadomoci" ausgezeichnet wurde.
In Polen wird Hlasko unterdessen von allen Seiten (Kritiker, Behörden) erst scharf
angegriffen, bald jedoch auf Grund seiner Ausreise in den Westen zu »Unperson«
erklärt.
5
Die Situation zwischen den polnischen Behörden und Hlasko führt dazu,
dass er sich noch 1958 entschließt in Berlin um Asyl zu bitten. Trotz seiner Be-
mühungen darf er nie wieder in Polen einreisen und sein Name sowie seine Werke
verschwinden bis Mitte der 70-er Jahre aus der offiziellen polnischen Literaturge-
schichte. Obwohl Hlasko auch sehr schnell Bekanntheit im Ausland erlangt und
seine Erzählungen schon 1958 in verschiedenen Sprachen gedruckt werden, ver-
ebbt bereits nach 1959 auch im Westen der Rummel um ihn.
6
1959 reist Hlasko nach Israel, wo er sich als Hilfsarbeiter schlägt. 1961 kehrt er
nach Europa zurück und heiratet die Schauspielerin Sonia Ziemann, die er schon
in Polen, bei den Dreharbeiten zu ,,Ósmy dzie tygodnia" kennen gelernt hat. Die
Ehe hält jedoch nicht lange, 1965 erfolgt die Trennung und zwei Jahre später die
Scheidung.
In den Jahren der Emigration reist
7
Hlasko nicht nur viel, sondern verfasst auch
eine Reihe von Kurzgeschichten und Romanen. 1961 veröffentlicht die Pariser
,,Kultura" die Kurzgeschichte ,,Powiedz im, kim bylem". Im Jahre 1963 bringt das
Pariser »Instytut Literacki« Hlaskos Erzählungssammlung heraus, die den sog.
Israel-Zyklus eröffnet. Hierzu gehören die Romane ,,Brudne czyny" (1962) und
,,Wszyscy byli odwróceni" (1964), sowie die Erzählungen ,,Drugie zabicie psa"
(1965), ,,Nawrócony w Jaffie" (1966) und ,,Opowiem wam o Esther" (1966). Die
Pariser ,,Kultura" bringt 1966 auch seine Autobiographie ,,Pikni dwudziestolet-
5
Vgl. Ritz. S. 394
6
Vgl. Ebenda
7
Duo podróuje po Europie: przebywa w Monachium, Berlinie, Zurychu, Londynie, Wencji.
(...) W Jugoslawii spotyka si z matk. (...) ... odlatuje do USA... . Galant: S. 112

5
ni" und 1967 seine Briefe aus Amerika. 1968 beendet Hlasko seine letzte Erzäh-
lung ,,Palcie ry kadego dnia".
8
1969 am 14. Juni stirbt Hlasko in Wiesbaden.
I.2
Arbeitsvorgang
Über der Kluft zwischen dem, was ein Mensch ist, und dem, was er sein möchte,
bildet die Selbstdarstellung eine Art Brücke. Eine oft und gern genutzte Aus-
drucksform für die menschliche Selbstdarstellung ist die literarische Autobiogra-
phie.
Diese Arbeit hat es zum Ziel, die schriftstellerische Selbstdarstellung in der Lite-
raturgattung der Autobiographie zu untersuchen. Deswegen auch werde ich mich
zunächst, bevor ich auf die Selbstdarstellung Marek Hlaskos eingehe, mit der
Autobiographie als literarischen Gattung beschäftigen.
Die Autobiographie wird als eine der ältesten Formen der Selbstdarstellungs-
literatur angesehen und kann in vielen Abwandlungen zu Tage treten. Trotz vieler
Untersuchungen erscheint die Autobiographie immer noch eine unklare Position
einzunehmen, deshalb werde ich bei der Gattungsbestimmung, vor allem die
Merkmale, die eine Autobiographie kennzeichnen, untersuchen.
In der Autobiographie beschäftigt sich der Schreibende retrospektiv mit seinem
eigenem Leben, indem er versucht aus der Gegenwart heraus, dem vergangenem
Leben einen Sinn zu geben, bzw. diesen zu Erkennen. Dies scheint jedoch nicht
der Fall bei Marek Hlasko zu sein. ,,Pikni Dwudziestoletni" ist in jedem Fall ein
autobiographischer Text und dennoch wird diese literarische Form von dem Autor
eher als eine weitere Möglichkeit seines ständigen Selbstdarstellungsdranges und
der Legendenbildung, als zur rückblickenden Erforschung seines Lebens genutzt.
8
Wydano j dopiero w 1983 roku w Polsce. Galant: S. 113

7
II.
Die Autobiographie
Verfasst jemand seine eigene Biographie, d. h. stellt er sein eigenes Leben retro-
spektiv schriftlich dar, so spricht man von Selbstbiographie oder Autobiographie.
Als literarische Selbstdarstellung zählt sie zu den ältesten Arten von Literatur.:
Seit jeher haben prominente Personen nicht nur sich selbst bemüht,
über ihr Leben zugleich über ihre Ideen und Ziele, über Gründe für
ihr Verhalten usw. in schriftlichen Selbstzeugnissen zu berichten.
9
Obgleich es für den Laien auf den ersten Blick kein besonderes Problem darzu-
stellen scheint, 'Autobiographie' zu definieren, verwenden viele Literaturwissen-
schaftler doch große Mühe darauf, diese Gattung von anderen Arten von Literatur
abzugrenzen. Georg Misch erkannte:
Die Selbstbiographie ist keine Literaturgattung wie die anderen. Ihre
Grenzen sind fließender und lassen sich nicht von außen festhalten
und nach der Form bestimmen wie bei Lyrik, Epos oder Drama (...)
Und keine Form ist ihr fremd.
10
Demzufolge vermag eine autobiographische Selbstdarstellung so gut wie in jede
literarische Form zu schlüpfen.
Bezeichnend für die Autobiographie ist auch das gerade zu unbändige Bedürfnis
des Menschen, sich selbst darzustellen, von sich selbst zu erzählen, und dieses
starke Verlangen nach Äußerung erzeugt je nach den vorliegenden Gegebenheiten
die eine oder andere Form.
11
Dies führt wiederum zu Schwierigkeiten bei der
Definition von Autobiographie in Abgrenzung zu anderen literarischen, künstleri-
schen und wissenschaftlichen Produktionen, denn:
diese Literaturgattung entzieht sich einer Definition noch hartnäcki-
ger als die gebräuchlichsten Formen der Dichtung. Sie lässt sich
kaum näher bestimmen als durch Erläuterung dessen, was der Aus-
druck besagt: die Beschreibung (graphia) des Lebens (bios) eines
Einzelnen durch diesen selbst (auto).
12
9
Mummendey: S. 18
10
Misch: S. 6f
11
Vgl. Mummendey: S. 22
12
Misch: S. 7

8
Die intensive Beschäftigung mancher Literaturwissenschaftler mit dem autobio-
graphischen Schrifttum hat dazu geführt, dass vieles zur Autobiographie gezählt
wird, das diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient. So weist Kronsbein darauf
hin, dass beispielsweise auch ein Musikstück autobiographisch sein kann, bzw.
dass die Autobiographie durchaus auch eine musikalische Gattung sein kann.:
Smetanas Streichquartett e ­ moll Nr. 1 und Webers Septett E ­ Dur
tragen wie Goethes 'Dichtung und Wahrheit' den Untertitel 'Aus mei-
nem Leben'!
13
.
Für den musikalisch Sensiblen und entsprechend Gebildeten wird sich auch si-
cherlich aus solcherart Musik ­ am besten in Ergänzung und im Zusammenhang
mit weiteren biographischen Hinweisen über den Komponisten ­ einiges Auto-
biographisches wahrnehmen lassen.
II.1 Versuch einer Gattungseingrenzung
Vor allem Ende der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts kann man ein verstärktes
Aufkommen an autobiographischer Literatur in Polen beobachten.
14
Die Diskus-
sion, die daraufhin zu beobachten ist, bezieht sich vor allem auf die Position,
welche den autobiographischen Werken in der Literatur zugesprochen werden
soll. Der polnische Diskurs schließt an die internationalen Fragestellungen an und
hat mehr die Form von 'vorbereitenden Aufsätzen'
15
, als die einer kritischen Aus-
einandersetzung mit der Gattungsproblematik.
16
Darüber hinaus orientieren sich
die polnischen Literaturwissenschaftler an den französischen und englischen Gat-
tungsanalysen.
Georges Gusdorf äußert sich bei der Autobiographie in ihrer literarischen Variante
von einer Literaturgattung.:
L'autobiographie est un genre littéraire solidement établi, dont
l'histoire.
17
13
Kronsbein: S. 11
14
Vgl. Jarzbski: S. 412
15
Vgl. Ritz: S. 166
16
Ritz: S. 167
17
Gusdorf: S. 105

9
Louis Renza sieht dagegen in der Autobiographie ein schwer definierbares litera-
risches Werk und meidet eine klare Antwort auf diese Frage.:
Thus we might conceive of autobiographical writing as an endless
prelude: a beginning without middle (the realm of fiction), or without
end (the realm of history); a purely fragmentary, incomplete literary
project, unable to be more than an arbitrary document (...).
18
Für Paul de Man ist die Autobiographie keine literarische Gattung, denn eine
solche Aufwertung der Autobiographie, die sich kaum definieren lässt, würde ihr
eine höhere Stellung zugestehen, als sie verdient. Er sieht die Autobiographie als
eine Art Interpretationsfigur, welche auf die ganze Literatur anwendbar ist.:
Autobiografia to (...) pewna figura odczytywania lub rozumienia, z
jak mniej lub bardziej wyranie mamy do czynienie we wszystkich
tekstach.
19
Unter der Interpretationsfigur ist die Kongruenz zwischen dem Autor und seinem
Werk zu verstehen, was wiederum seine Meinung verständlich erscheinen lässt.
Dennoch birgt diese Auffassung bei näherer Betrachtung bestimmte Schwierigkei-
ten mit sich, denn, wie z. B. Ilse Aichinger behauptet, müsse man in einem sol-
chen Fall jedes Denkresultat, jedes philosophische System auch als Autobiogra-
phie bezeichnen.
20
Deshalb sollte man zunächst versuchen die Merkmale der
Autobiographie festzuhalten.
II.1.1 Die Eigenschaften der Autobiographie
Georges Gusdorf sieht die Autobiographie als eine Gattung an, die in Zeit und
Raum begrenzt ist, d.h. sie ist eine späte Erscheinung der westlichen Kultur und
scheint ausschließlich in dieser zu existieren. Als erstes großes autobiographisches
Werk sieht Gusdorf die Bekenntnisse Augustins an.:
18
Renza: S. 22
19
P. de Man: S. 309
20
Vgl. Aichinger: S. 13

10
En premier lieu, il faut relever le fait que le genre de l'autobiographie
apparaît limité dans le temps et dans l'espace: il n'a pas toujours
existé, il n'existe pas partout. Si les Confessions d'Augustin fournis-
sent le point de repère initiel d'une première réussite éclatante, on
aperçoit aussitôit qu'il s'agit là d'un phénomène tardif dans la culture
occidentale, au moment ou l'apport chretién vient se greffer sur les
traditions classiques. D'autre part, il ne semble pas que
l'autobiographie se soit jamais manifestée en dehors de notre aire
culturelle;
21
Für ihn geht die Entwicklung der Autobiographie mit dem Aufkommen des Indi-
vidualismus einher, denn die Entdeckung der Einmaligkeit des menschlichen
Daseins und des eigenen Wertes veranlassen dazu, das eigene Leben festzuhalten
und somit Zeugnis über das eigene Leben abzulegen.:
En racontant ma vie, je m'attéste par delà ma mort, afin que se
conserve ce capital précieux qui ne doit pas disparaître. L'auteur de
l'autobiographie donne à l'environnement, une existence indépen-
dante ; il se regarde être et se plaît à être regardé, il se prend à té-
moin de lui-même ; il prend les autres à témoin de se que sa présence
a d'irremplaçable.
22
Auf den Arbeiten von G. Gusdorf oder G. Misch aufbauend
23
, grenzt Ingrid Ai-
chinger die für eine Autobiographie grundlegenden Merkmale ein: Der Stoff der
Autobiographie kann nicht frei ausgesucht werden, er ist bereits vorgegeben, denn
es handelt sich um das Leben eines Menschen. Dieses wird aber nicht von einem
anderen, sondern von ihm selbst berichtet.
24
Soll eine Autobiographie in die Kategorie der literarischen Werke eingestuft wer-
den, so sollte man auf weitere Besonderheiten achten.:
Die Intention der Autobiographie geht, wenn auch in je verschiedener
Weise, immer darauf aus, primär die Persönlichkeit des Verfassers
und ihr Gewordensein darzustellen; dies ist ­ im strengen Sinn ­ we-
der bei der Bekenntnis ­ noch bei der Erlebnisdichtung der Fall. Da-
her sollte der Begriff ,,Autobiographie" nicht derart ausgeweitet wer-
den, sondern der Bezeichnung für eine ganz bestimmte literarische
Gattung vorbehalten bleiben.
25
21
Gusdorf: S. 105
22
Gusdorf: S. 106
23
Aichinger: S. 10
24
Vgl. Aichinger: S. 13
25
Aichinger: S. 4

11
Es entsteht die Notwendigkeit, die eigentliche Autobiographie von dem restlichen
autobiographischen Schrifttum
26
zu unterscheiden.
'Das spezifische Wesen'
27
der eigentlichen Autobiographie lässt sich trotz der
Mannigfaltigkeit dieser Formen und deren möglicher Überschneidungen wie folgt
festhalten: Bei der Autobiographie geht es um die Geschichte des Autors, bzw.
das 'Gewordensein seines Ich'
28
. Demnach hat man in der Autobiographie mit dem
Ich des Autors als der zentralen Figur des Werkes zu tun.:
Die Entwicklung eines Menschenlebens vollzieht sich in ständiger
Wechselwirkung mit der Umgebung; dieses Ineinandergreifen von
Außen- und Innenwelt wird in jeder der großen Autobiographien un-
mittelbar evident. Der Moment der rückschauenden Wertung ­ der
ständigen Integration von Erlebnissen, Ereignissen, Begegnungen ­
ist ebenfalls ein wichtiges Konstituens der Autobiographie. Ferner:
Darstellung eines Lebens impliziert Fülle und Ausdruckskraft der
Sprache; die eindringliche Wirkung erwächst aus der Fähigkeit des
Autors, entscheidende Ereignisse in ihrer prägenden Bedeutsamkeit zu
gestalten, die verschiedenen Möglichkeiten und Verwirklichungen sei-
ner Persönlichkeit zu zeigen.
29
Um als Literatur existieren zu können, muss sich die Autobiographie wie jede
andere Gattung bestimmten Bedingungen der literarischen Aussage unterordnen.:
(...) the autobiographical narrative, in selecting, ordering, and inte-
grating the writer's lived experiences according to its own teleologi-
cal demands, is beholden to certain imperatives of imaginative dis-
course. Autobiography, in short, transforms empirical facts into arti-
facts.
30
Dies bedeutet, dass der Akt des Schreibens die Vorstellungskraft beinhaltet und
dass daraus die Elemente und Techniken der Fiktion resultieren.
31
26
Hierzu zählt Aichinger Memoiren bzw. Erinnerungen, den autobiographischen Roman, das
Tagebuch, den Brief, das literarische Selbstporträt, die philosophische Reflexion über das Ich,
Reisebeschreibungen, Apologien und auch Chroniken. Vgl. Aichinger: S. 15
27
Vgl. Aichinger: S. 15
28
Gugulski: S. 31
29
Aichinger: S. 16
30
Renza: S. 1
31
Vgl. Renza: S. 2

12
II.2 Die Selbstdarstellung in der Autobiographie
Die Selbstdarstellung stellt eine Art Verbindung zwischen dem dar, was ein
Mensch ist, und dem, was er sein möchte. Denn:
Was jemand (vielleicht) "ist", was er sein möchte, wie er von anderen
Menschen gesehen, aufgefasst, beurteilt werden möchte, kurz: wie
sich ein Mensch anderen gegenüber darstellt, das lässt sich auf vieler-
lei Art und Weise ausdrücken.
32
Vor allem in der Kunst und Literatur.
Die Autobiographie gehört zur Selbstdarstellungsliteratur, und das nicht nur im
weitesten Sinne des Wortes, wonach die gesamte künstlerische, literarische Akti-
vität das Werkzeug künstlerischer Selbstdarstellung ist. Es handelt sich ohne
Zweifel um eine besonders prädestinierte Gattung. Die Selbstdarstellung des
Schriftstellers im Sinne des Sich-selbst-Schaffens
33
stellt andere Anforderungen
als das Schaffen fiktiver Figuren.:
,,Stworzy siebie" to zadanie nie tak latwe, jak stworzy posta
fikcyjn, ,,ja" bowiem rzdzi si prawami nie do koca rozpoznanymi
i niechtnie poddaje si zamyslom twórcy, a czasem wprost staje dba
i zaprzecza wykreowanemu autoportretowi. Dlatego autokreacja
nigdy nie jest ,,zamknita", kolejne wizerunki wlasne odrywaj si w
postaci ,,bohaterów" i rozpoczynaj ywot autonomiczny, wystawiane
na prób w przestrzeni dialogu z odbiorcami.
34
Menschliche Interaktionen, und damit zusammenhängend die Selbstdarstellung,
wurden bereits nicht nur von Soziologen,
35
sondern auch von Psychologen
36
er-
forscht.
In der Autobiographie geht es um den Autor, wobei das genannte 'Gewordensein
des Ich' im Vordergrund steht und seine eigene Geschichte, bzw. Vergangenheit
erzählen will. Es wird deutlich, dass eine Autobiographie nur dann möglich ist,
wenn der Wille sich selbst zu betrachten, vorhanden ist. Dabei werden die einzel-
nen Fragmente aus der Vergangenheit herangezogen, um ihnen aus der Gegen-
32
Mummendey: S. 15
33
Vgl. Jarzbski: S. 427
34
Jarzbski: S. 427
35
Erving Goffman, z.B. verglich in seiner Arbeit: ,,Wir alle spielen Theater" (München 1996)
die menschlichen Interaktionen im Alltagsleben mit Schauspielern auf der Bühne.
H. D. Mummendey bezeichnet den Versuch eines Individuums eine oder mehrere Personen
zu beeinflussen als: Impression ­ Management ­ Theorie oder Eindruckssteuerung. S. 127

13
wartsperspektive einen Sinn, der vielleicht früher nicht vorhanden war, zu geben.
Dabei stellt sich jedoch die Frage, in wie Fern der gegenwärtige Sinn dem dama-
ligen entspricht?
Hierbei kommt die Problematik der autobiographischen Wahrheit auf, denn der
Autobiograph geht von der Einheitlichkeit seines Lebens in der Zeit aus, weshalb
für ihn die Abgrenzung zwischen der vergangenen und aus der Vergangenheit
resultierenden gegenwärtigen Lage verschmilzt.:
A more cogent way to ,,prove" the imaginative quality of autobiogra-
phy is to keep in mind, as does Georges Gusdorf, that the autobio-
graphical act spontaneously generates epistemological ambivalence.
The autobiographer of necessity knows as well as writes about his
past from the limiting perspective of his present self-image.
37
Demnach versucht der autobiographische Autor sein Ich aus der gegenwärtigen
Perspektive darzustellen, wobei seine Vergangenheit ständig von der Gegenwart
beeinflusst wird.
Betrachtet man die Autobiographie als eine Art Kommunikation, dann zieht sie
auch bestimmte Interaktionen mit dem Autor nach sich. Der Autobiograph beo-
bachtet sich selbst und versucht sein jetziges Ich begreiflich zu machen. Man
könnte sagen, dass die Autobiographie 'eine Art Spiegel'
38
ist,:
in dem sich der Autobiograph selbst betrachtet. Dieser Spiegel zeigt
aber das jetzige Antlitz des Autors, so als würde er auf die Frage ant-
worten: Wer bin ich jetzt? Wer bin ich geworden?
39
Der Autor erklärt Vergangenes, indem er einzelnen Lebenssituationen einen Sinn
verleiht. Diese dienen wiederum dazu, die gegenwärtige Situation zu deuten und
ihr ebenso einen Sinn zu geben.:
Die Autobiographie dient nicht nur dazu, Vergangenes objektiv darzu-
stellen und zu erklären, um ihm einen entsprechenden Sinn zu verlei-
hen, sondern es geht vielmehr darum, die jetzige Situation des Autors
klarzumachen.
40
Angenommen, dies ist das Ziel der Autobiographie, so stoßen wir unweigerlich
auf weitere Fragen: Stimmt die, aus der heutigen Sicht betrachtete Vergangenheit
37
Renza: S. 2
38
Vgl. Gugulski: S. 34
39
Gugulski: S. 34
40
Gugulski: S. 34

14
mit der Vergangenheit wirklich überein? Basiert das eigene Bild auf Tatsachen
oder handelt es sich dabei eher um eine Art 'Selbsterschaffung'?:
Toute autobiographie est une oeuvre d'art, et ensamble une oeuvre
d'édification; elle ne nous présente pas le personnage, vu du dehors,
dans ses comportements apparents, mais la personne en son intimité,
non point telle qu'elle fut, telle qu'elle est, mais telle qu'elle croit et
veut être et avoir été. Il s'agit d'une sorte de recomposition en valeur
de la destinée personelle; l'auteur, qui est en même temps le héros de
l'histoire, veut élucider son passé afin de dégager la structure de son
être dans le temps.
41
II.3 Die Problematik der Wahrheit in der Autobiographie
Auf diese Weise stößt man wieder auf die zuvor angeschnittene Problematik der
Wahrheit, denn wenn man die Vergangenheit aus der derzeitigen Sicht beschreibt,
so wird bestimmten Ereignissen ein Sinn zugesprochen, den es vielleicht zum
Zeitpunkt des Erscheinens gar nicht gab. Der Autobiograph sucht sich, wie es in
den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurde, Ereignisse aus, um das ge-
wordene Ich zu erklären.:
L'autobiographie est un moment de la vie qu'elle raconte; elle
s'efforce de dégager le sens de cette vie, seulement elle est elle-même
un sens dans cette vie. Une partie de l'ensemble prétend refléter
l'ensemble, mais elle ajoute quelque chose à cet ensemble dont elle
constitue un moment.
42
Der Sinn eines solchen derzeitig beschriebenen Ereignisses entsteht demnach
nicht in der Vergangenheit sondern in der Gegenwart, d. h. im Akt des Sich- Aus-
einandersetzens mit diesem. Gusdorfs Aussage zufolge ist der Sinn der Autobio-
graphie nicht an die Begriffe wie Wahrheit oder Fiktion geknüpft. Die literarische
und künstlerische Funktion der Autobiographie werden bei Gusdorf höher einge-
stuft als die objektive oder geschichtliche. Mit der Autobiographie schafft der
Autor, der mit einem Maler oder Komponisten vergleichbar ist, ein Werk, durch
das er seine Innenwelt nach außen zu tragen versucht.
43
41
Gusdorf: S. 120
42
Gusdorf: S. 118
43
Vgl. Gusdorf: S. 119

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2007
ISBN (eBook)
9783836606233
DOI
10.3239/9783836606233
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Philosophische Fakultät, Slavisches Institut
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
1,7
Schlagworte
hlasko marek piekni selbstdarstellung motiv polnische literatur zeitgenössische mythos emigration
Produktsicherheit
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Titel: Marek Hlasko
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