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Wahlprognosen im Internet

Innovative Ansätze in der Wahlforschung am Beispiel von Internet-Wahlwetten

©2004 Diplomarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Wahlforschung ein und beschreibt Modernisierungsprozesse, die zu einem grundlegenden Wandel des Wahlverhaltens in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben. Die ersten Jahrzehnte nach dem II.Weltkrieg waren geprägt von einer hohen politischen Stabilität, die auf feste Bindungen der großen Volksparteien an entsprechende sozialstrukturelle Formationen zurückzuführen sind. Das Wahlverhalten war weitgehend von milieuspezifischen Verhaltensmustern vorformuliert.
Beginnend mit dem sozialen Aufstieg breiter Schichten und der Bildungsexpansion der 50er und 60er Jahre hat ein umfassender Strukturwandel eingesetzt, der zu einer weitgehenden Erosion subkultureller Klassenidentitäten und einer Pluralisierung von Lebensentwürfen geführt hat. Entsprechend ist das individuelle Wahlverhalten heute nicht mehr vornehmlich sozialstrukturell geprägt und daher wechselhaft. Wahlergebnisse schwanken weit mehr als noch vor wenigen Jahrzehnten und erschweren es damit der klassischen Demoskopie, die politische Stimmung adäquat zu erfassen, wenn sie mit Klassen- und Schichtungsmodellen operiert, deren Gehalt „angesichts von Differenzierungs- und Pluralisierungstendenzen“ zunehmend in Frage gestellt werden kann.
Klassische Methoden der Wahlforschung stehen im zweiten Kapitel im Mittelpunkt der Betrachtung. Voran gestellt ist eine historische Betrachtung der Wahlgeographie, deren Ziel es war, das Wahlverhalten geodeterministisch interpretieren zu können. Die statistische Aggregatdatenanalyse schließt an die Erkenntnisse der Wahlgeographie an, entwickelt aber neue Messinstrumente, deren Grundlage sozialstrukturelle Merkmale sind, die auch heute noch weitgehend verwendet werden, um das Wahlverhalten aus dem sozialen Kontext heraus zu erklären. Die Ergebnisse von Aggregatdatenanalysen finden als Zeitreihenanalysen Verwendung, um längerfristigen politischen Wandel zu erklären und dienen als Gewichtungsinstrumente bei der Interpretation von modernen Wahlumfragen.
Die Öffentlichkeit nimmt heute die Wahlforschung weitgehend als Wissenschaft wahr, deren Arbeitsgebiet es ist, Wahlprognosen aus Umfragedaten zu erstellen. Für die akademische Wahlforschung spielt die Erstellung von Wahlprognosen eine eher untergeordnete Rolle, nicht aber für die kommerzielle Meinungsforschung, deren Methoden im Zentrum des dritten Kapitels stehen. Um umfragebasierte Wahlprognosen beurteilen zu können soll gezeigt […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Markus Tiesmeyer
Wahlprognosen im Internet
Innovative Ansätze in der Wahlforschung am Beispiel von Internet-Wahlwetten
ISBN: 978-3-8366-0441-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität Osnabrück, Osnabrück, Deutschland, Diplomarbeit, 2004
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis:
:
Einleituung
1
Kapitel I: Wahlen und Wahlverhalten in der modernen De-
mokratie
I.1. Moderne Gesellschaften im Prozess der Individualisierung
5
I.2. Wählen in der postmodernen Gesellschaft ,,Der flüchtige
Wahlbürger"
6
I.3. Individualisiertes Wahlverhalten heute
11
Kapitel II:
Wahlen und Wahlforschung
II.1. Einleitung
15
II.2. Historische Wahlforschung: Die Wahlgeographie
16
II.3. Die statistische Aggregatdatenanalyse
17
Kapitel III:
Moderne Wahlforschung mittels Umfragen
III.1. Einleitung
21
III.2. Geschichte der umfragebasierten Wahlforschung
21
III.3. Methoden: Erstellung von Prognosen aus Wahlumfragen
26
III.4. Auswahlverfahren: Zufallsstichprobe und Quotenstich-
probe
27
III.5. Statistische Grundlagen: Anwendung der induktiven Sta-
tistik bei einer beispielhaften Wahlumfrage
30
III.6. Die technische Durchführung von Wahlumfragen
37
III.7. Praktische Probleme: Zufällige und systematische Ausfäl-
le, sinkende Ausschöpfungsquoten, sozial erwünschtes
Antwortverhalten
39
III.8. Gewichtung: Von den Rohdaten zur Wahlprognose
43
III.9. Fazit: Wahlumfragen
46

Kapitel IV: Internet und Demokratie
IV.1. Geschichte des Internets
47
IV.2. Ausblick: Vom Internet zum Evernet?
50
IV.3. Das Internet aus soziologischer Sicht
53
IV.4. Das Internet und die Postmoderne
55
IV.5. Das polydirektionale Kommunikationsmedium Internet
57
IV.6. Non-Governmental-Organizations(NGOs): Protestbewe-
gungen im Internet
61
IV.7. Eine neue Zweiklassengesellschaft aus information-haves
und information-not-haves?
65
Kapitel V:
Alternative Wahlumfragemethoden: Wahlwetten im Inter-
net
V.1. Einleitung
68
V.2. Die Forschungsgruppe Internetwahlen und die Idee
der Wahlwette
69
V.3. Aufbau und Ablauf der Internet-Wahlwette
71
V.4. Ergebnisse der Wahlwette zur Bundestagswahl 2002
73
V.5. Wahlwetten als effiziente Aggregation asymmetrisch
verteilter Informationen
78
V.6. Wahlwetten und Wahlbörsen: Gemeinsamkeiten und
Unterschiede
81
V.7. Zur Rolle von Umfragewerten für Wahlwetten
84
V.8. Wer sind die Teilnehmer an Wahlwetten?
87
V.9. Ist die Wahlwette ein Delphi-Panel?
95
V.10. Wahlwetten versus Meinungsforschung?
104
V.11. Ausblick Wahlwetten: Verbesserungsvorschläge für
eine höhere Prognosequalität
108
VI:
Abschließende Bemerkungen
112
VII: Abbildungsverzeichnis und Tabellenverzeichnis
113
VIII: Literaturverzeichnis
115

1
"Computers are useless. They can only give you answers." (P. Picasso)
Einleitung
Zur Bundestagswahl 1998 wurde erstmals von der Forschungsgruppe Internet-
wahlen an der Universität Osnabrück der Versuch unternommen, mittels einer
Wette im Internet das Ergebnis einer Wahl vorherzusagen. Das Prinzip, eine
Prognose aus einer Wahlwette zu generieren ist denkbar einfach: Internetnutzer
nehmen an einem Gewinnspiel teil, indem sie versuchen, die Ergebnisse der ein-
zelnen Parteien bei einer Wahl zu schätzen. Der Mittelwert aller abgegebenen
Tipps stellt dann die Wahlprognose dar. Es gelang damit eine präzise Vorhersage
des Wahlergebnisses, die genauer war als die Prognosen der kommerziellen Mei-
nungsforschungsinstitute.
Die von der Forschungsgruppe zugleich durchgeführte virtuelle Bundestagswahl
stand jedoch im Zentrum des Interesses, so dass eine nähere Untersuchung von
Wahlwetten als mögliches Prognoseinstrument ausblieb. In den Folgejahren kon-
zentrierte sich die Forschungsarbeit auf die Entwicklung einer elektronischen
Wahlsoftware.
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um den Versuch, eine ganzheitlichere
Betrachtung der Wahlforschung vorzunehmen. Nur zu zeigen, ob Internet-
Wahlwetten geeignet für die Erstellung von Prognosen sein können oder nicht,
wäre zu kurz gegriffen, wenn die herkömmliche Meinungsforschung unproblema-
tisch wäre. Zu Beginn der Arbeit werden daher gesellschaftliche Veränderungs-
prozesse im Bezug auf das Wahlverhalten beschrieben, um dann die Geschichte,
Methoden und Probleme der Wahlforschung, insbesondere die der Demoskopie,
zu diskutieren. Es soll damit die Notwendigkeit veranschaulicht werden, über
neue Methoden zur Erstellung von Wahlprognosen zu reflektieren. Das polydirek-
tionale Kommunikationsmedium Internet legt eine Nutzung innovativer Instru-
mente für die Wahlforschung nahe.
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Wahlforschung ein und beschreibt
Modernisierungsprozesse, die zu einem grundlegenden Wandel des Wahlverhal-
tens in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben. Die ersten Jahrzehnte
nach dem II.Weltkrieg waren geprägt von einer hohen politischen Stabilität, die

2
auf feste Bindungen der großen Volksparteien an entsprechende sozialstrukturel-
le Formationen zurückzuführen sind. Das Wahlverhalten war weitgehend von mi-
lieuspezifischen Verhaltensmustern vorformuliert.
Beginnend mit dem sozialen Aufstieg breiter Schichten und der Bildungsexpansi-
on der 50er und 60er Jahre hat ein umfassender Strukturwandel eingesetzt, der
zu einer weitgehenden Erosion subkultureller Klassenidentitäten und einer Plura-
lisierung von Lebensentwürfen geführt hat. Entsprechend ist das individuelle
Wahlverhalten heute nicht mehr vornehmlich sozialstrukturell geprägt und daher
wechselhaft. Wahlergebnisse schwanken weit mehr als noch vor wenigen Jahr-
zehnten und erschweren es damit der klassischen Demoskopie, die politische
Stimmung adäquat zu erfassen, wenn sie mit Klassen- und Schichtungsmodellen
operiert, deren Gehalt ,,angesichts von Differenzierungs- und Pluralisierungsten-
denzen"
1
zunehmend in Frage gestellt werden kann.
Klassische Methoden der Wahlforschung stehen im zweiten Kapitel im Mittelpunkt
der Betrachtung. Voran gestellt ist eine historische Betrachtung der Wahlge-
ographie, deren Ziel es war, das Wahlverhalten geodeterministisch interpretieren
zu können. Die statistische Aggregatdatenanalyse schließt an die Erkenntnisse
der Wahlgeographie an, entwickelt aber neue Messinstrumente, deren Grundlage
sozialstrukturelle Merkmale sind, die auch heute noch weitgehend verwendet
werden, um das Wahlverhalten aus dem sozialen Kontext heraus zu erklären. Die
Ergebnisse von Aggregatdatenanalysen finden als Zeitreihenanalysen Verwen-
dung, um längerfristigen politischen Wandel zu erklären und dienen als Gewich-
tungsinstrumente bei der Interpretation von modernen Wahlumfragen.
Die Öffentlichkeit nimmt heute die Wahlforschung weitgehend als Wissenschaft
wahr, deren Arbeitsgebiet es ist, Wahlprognosen aus Umfragedaten zu erstellen.
Für die akademische Wahlforschung spielt die Erstellung von Wahlprognosen eine
eher untergeordnete Rolle, nicht aber für die kommerzielle Meinungsforschung,
deren Methoden im Zentrum des dritten Kapitels stehen. Um umfragebasierte
Wahlprognosen beurteilen zu können soll gezeigt werden, wie Umfragen erstellt
werden und auf welchem statistischen Fundament Wahlumfragen beruhen. Dabei
wird deutlich, dass bei der praktischen Durchführung von Umfragen unvermeint-
liche Probleme auftreten, die zu ungenauen Wahlprognosen führen müssen. Die
1
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
1986, S.208.

3
im Bewusstsein dieser Problematik zum Ausgleich von den meisten Meinungsfor-
schungsinstituten angewandten Gewichtungsmodelle verletzten dabei die ma-
thematischen Grundlagen auf denen Umfragen beruhen. Der eigentliche Kritik-
punkt ist aber, dass die Ergebnisse von Wahlumfragen, transportiert über die
Massenmedien, eine Exaktheit suggerieren, die mit herkömmlichen Umfrageme-
thoden nicht leistbar ist.
Wahlbörsen und Wahlwetten im Internet verfolgen demgegenüber eine völlig an-
dere Strategie.
Eine historische Einführung zum ,,Netz der Netze" leitet den vierten Abschnitt der
Arbeit ein und deutet mögliche zukünftige Entwicklungen an, die die Vision des
Ubiquitous Computing, einer fortschreitenden Internetpenetration des gesell-
schaftlichen Alltags, beinhalten.
Es folgt der, angesichts ungebremster technologischer Fortschritte ungenügende
Versuch, das komplexe Phänomen Internet aus einer soziologischen Warte zu
beleuchten. Das polydirektionale Kommunikationsmedium Internet schafft ideale
Voraussetzungen für das Bedürfnis postmoderner Gesellschaften, die politische
und kulturelle Heterogenität zu artikulieren. Das Internet schafft eine potentiell
unbegrenzte Vielfalt von Öffentlichkeit, die bislang durch Selektionsmechanis-
men der radial operierenden Massenmedien wirksam verhindert werden konnte.
Im weiteren Verlauf werden Protestbewegungen exemplarisch für eine neue öf-
fentliche Pluralität diskutiert, die in ihrer heutigen Struktur ohne die Technologie
der Computerkommunikation kaum denkbar wären. Den Abschluss des Kapitels
bildet eine kurze Erörterung der Gefahren einer digitalen Spaltung der Gesell-
schaft in information-haves und information-not-haves.
Nach der Wahlwette 1998 konnte erst zur Bundestagswahl 2002 eine weitere
internetbasierte Wahlwette durchgeführt werden, welche im Zentrum des fünf-
ten und letzten Kapitels steht. Ziel war es im Jahr 2002, eine erste Datenbasis
für die sozialwissenschaftliche Erforschung von Wahlwetten zu schaffen und da-
mit Wahlwetten nicht mehr einfach als Spiel zu betreiben. Neben der systemati-
schen Erfassung soziodemographischer Merkmale aller Mitspieler wurde im An-
schluss der Bundestagswahl eine Online-Befragung durchgeführt. Das auf diese
Weise generierte Material dient daher als Basis für die Untersuchung von inter-
netbasierten Wahlwetten.

4
Die Begründungen, warum es offenbar immer wieder gelingt, präzise Wahlprog-
nosen auf der Grundlage einer einfachen und kostengünstigen Methode zu erstel-
len, sind vielfältig und partiell an Theorien aus der experimentellen Ökonomie
angelehnt. Danach sind Wahlwetten in der Lage, asymmetrisch verstreute Infor-
mationen effizient zu aggregieren.
Allgemein bekannt ist, dass es sich bei einem Großteil der Internetnutzer um die
so genannte Informationselite handelt. Daraus ergibt sich die Fragestellung, ob
die Internet-Wahlwette möglicherweise eine Methode ist, eine Expertenbefragung
zu generieren, deren Teilnehmer sich aber dabei selbst rekrutieren. Unter be-
stimmten Aspekten ist eine Wahlwette mit der Methodik einer Delphi-Befragung
vergleichbar, wenn auch bestimmte Merkmale, wie mehrere strukturierte Befra-
gungsrunden fehlen. Die Analyse der Wahlwetter, unterteilt nach verschiedenen
soziodemographischen Daten der Teilnehmer und den Ergebnissen der Befragung
nach der Bundestagswahl 2002 geht der Frage nach, inwieweit Wahlwetter als
Experten bezeichnet werden können.
Die vielfach unterstellte These, dass die Prognosen von Wahlwetten nichts weiter
seien als die Darstellung mittlerer Umfragewerte, wird im weiteren Verlauf erör-
tert. Dabei wird offenbar, dass Umfragewerte natürlich auch zur Einschätzung
der politischen Stimmung herangezogen werden, aber nur einer von vielen Fak-
toren zu sein scheint. An dieser Stelle geben auch Wahlbörsen Auskunft, die un-
terstellte Wechselwirkungen besser untersucht haben.
Die Arbeit schließt damit, Designvorschäge zu unterbreiten, die anhand der fest-
gestellten Befunde und bisher gesammelter praktischer Erfahrungen aussichts-
reich erscheinen, die Prognosequalität von Internet-Wahlwetten wesentlich zu
verbessern und dazu zu animieren, weiter Wahlwetten experimentell zu erfor-
schen. Das bisher vorliegende Datenmaterial reicht jedoch bei weitem nicht aus,
um das Phänomen der Prognoseerstellung aufgrund eines Wettspiels abschlie-
ßend wissenschaftlich beurteilen zu können, sondern sollte als erster Schritt be-
trachtet werden.
Zunehmend mobile Individuen machen die adäquate Durchführung einer klassi-
schen Befragung immer schwieriger und die Deutung sozialer Phänomene in

5
Großgruppen-Kategorien wird kontrovers diskutiert.
2
Es ist m.E. angebracht, ü-
ber neue Methoden zu reflektieren, selbst wenn sie, wie Wetten, zu simpel schei-
nen, um fundierte sozialwissenschaftliche Erkenntnisse generieren zu können.
Kapitel I: Wahlen und Wahlverhalten in der modernen Demokratie
I.1: Moderne Gesellschaften im Prozess der Individualisierung
Die Moderne unterscheidet sich nach allgemeiner Auffassung von der traditiona-
len Gesellschaft vor allem durch das Kriterium der stetigen Veränderung durch
Diskontinuitäten.
3
Die Sinn- und Ordnungsstruktur der christlichen Lehre des Mittelalters als Grund-
konsens und Legitimationsinstanz sozialen Denkens und Handelns wurde abge-
löst durch eine Philosophie der Autonomie der menschlichen Vernunft. Die Ge-
sellschaft wurde aus der Herrschaft christlicher Institutionen herausgelöst und
gestattete die Errichtung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation.
Historisch einzuordnen ist der Beginn der Moderne im 15. und 16. Jahrhundert
mit der italienischen Renaissance, der Reformation in Deutschland und der fran-
zösischen Aufklärung.
4
Der Prozess der Modernisierung ist jedoch nicht als linear-kontinuierlich zu be-
trachten, sondern war (und ist) begleitet von Rückschlägen und Gegenbewegun-
gen (die so genannte Gegenmoderne).
Strukturelle Kennzeichen der klassischen Moderne sind die Herausbildung eines
universalen Markt- und Geldsystems, eine bürokratisch, streng hierarchische Or-
ganisationsform, eine demokratisch legitimierte Legislative und ein allgemeinver-
bindliches Rechtssystem.
2
Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Kap 2.: Grundannahmen einfacher Modernisierungstheorie,
S. 40ff.
3
Anthony Giddens beschreibt den Prozess einer sich wandelnden posttraditionalen Welt als ,,eine
komplexe Menge von Veränderungen mit gemischten und häufig auch widersprüchlichen Ergebnis-
sen" Vgl. Giddens, Anthony: Jenseits von Links und Rechts. Die Zukunft radikaler Demokratie, 3.
Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 119.
4
Vgl. Feltes, Stefan: Universalität der ,,Bodenlosigkeit". Zur Parallelität `der Entwurzelung` von
Gesellschaft, Subjektivität und Denken ­Ein systemtheoretischer Erklärungsversuch, Dissertation,
Duisburg: Universität ­ Gesamthochschule Duisburg, Fachbereich: Philosophie, Religionswissen-
schaft, Gesellschaftswissenschaften 1999, S. 33.

6
Die Beziehungen unter den Menschen werden herausgelöst aus traditionalen Bin-
dungen und an deren Stelle tritt Versachlichung und funktionale Differenzierung.
In den Sozialwissenschaften liegt der Schwerpunkt der Beobachtung heute im
Prozess der Individualisierung in der Postmoderne, die sich nach Ulrich Beck an-
hand dreier Kennzeichen beschreiben lässt:
,,Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und ­bindungen im
Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (>>Freiset-
zungsdimension<<), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Hand-
lungswissen, Glaube an leitende Normen (>>Entzauberungsdimension<<) und
[...] ­eine neue Art der sozialen Einbindung (>>Kontroll- bzw. Reintegrationsdi-
mension<<).
5
I.2. Wählen in der postmodernen Gesellschaft: Der ,,flüchtige" Wahlbür-
ger
In der Bundesrepublik Deutschland, wie in anderen westlichen Industrienationen
auch, sind nach dem II. Weltkrieg gesellschaftliche Modernisierungsprozesse in
Gang gekommen, die zu einer weitgehenden Erosion ,,subkultureller Klasseniden-
titäten"
6
und einer damit einhergehenden Individualisierung von Lebensentwür-
fen und Lebensbiographien geführt haben.
Die Industriegesellschaft hat etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
sozialstrukturelle Formationen etabliert, die man als traditionelle Elemente der
klassisch-modernen Industriegesellschaft charakterisieren kann. Die bis vor we-
nigen Dekaden vorherrschende Lebensform war die Kleinfamilie mit einer ge-
schlechtsspezifischen Rollenverteilung von männlicher Erwerbsarbeit und der
Erziehungs- und Hausarbeit als typischem Tätigkeitsbereich von Frauen.
Das Alltagsleben war bestimmt durch die Eingebundenheit in die jeweils domi-
nanten schichtspezifischen Milieus. Vereine, Verbände und Organisationen sozial-
demokratisch-gewerkschaftlicher oder katholischer Prägung bildeten die essen-
tiellen Orientierungspunkte im öffentlichen Leben und in der politischen Präfe-
renz. Verglichen mit heute war das Bildungsniveau bis in die 60er Jahre des 20.
Jahrhunderts niedrig, der ausschließliche Besuch der Volksschule für breite
5
Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft, S. 206.
6
Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft, S.122.

7
Schichten obligatorisch. Die Chance für Kinder aus Familien der Arbeiterschaft zu
einem Hochschulstudium existierte nur marginal.
Das Wahlverhalten war entsprechend dem milieuspezifischen Umfeld vorformu-
liert, denn die ausschlaggebenden sozialstrukturellen Formationen waren eng an
parallele politische Parteien gekoppelt.
Die politische Stabilität der Bundesrepublik hing im Wesentlichen mit der festen
Bindung der beiden großen Volksparteien an entsprechende Milieus und Klassen
ab. Typischerweise votierte die gewerkschaftlich determinierte Arbeiterschaft für
die Sozialdemokraten, während sich die Christdemokraten der mehrheitlichen
Unterstützung des katholischen Lagers versichert sein konnten. Die entlang der
Cleavages orientierten sozialen Milieus waren hochgradig homogen.
7
Die nur minimalen Veränderungen bei den Ergebnissen der Bundestagswahlen
bis in die achtziger Jahre hinein
8
weisen auf ein hohes Maß an affektiver Partei-
orientierung der Wählerschaft hin. Entscheidend war weniger eine erfolgreiche
Werbung um unentschlossene Wähler als vielmehr die optimale Ausschöpfung
der eigenen Stammwählerschaft.
Die schon angedeuteten Wandlungsprozesse in der Gesellschaft, die das Wahl-
verhalten wesentlich verändert haben, finden ihre Ursachen in der Auflösung der
klassischen Hierarchie- und Rollenmodelle, deren Auswirkungen in der Bundesre-
publik ab den 50er Jahren intensiviert ihren Anfang nahmen.
Das einsetzende ,,Wirtschaftswunder" hat die durchschnittlichen Einkommen der
Arbeiterschicht erheblich verbessert. Unter weitgehend identisch bleibender sozi-
aler Ungleichheit ist ,,die Klassengesellschaft insgesamt eine Etage höher gefah-
ren.
9
"
Wurden noch in den 50er Jahren etwa 75% des verfügbaren Einkommens für die
fundamentalen Bedürfnisse Nahrung, Wohnen und Kleidung verwendet, so hat
sich der Anteil schon 1973 auf etwa 60% reduziert, aber auf einem völlig ande-
ren Niveau. Die Wohnfläche vergrößerte sich und eine ,,Demokratisierung sym-
7
Vgl. Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten. Eine Einführung, Opladen: Leske
+ Budrich 1998, S. 73ff.
8
Nach der Stabilisierung des Parteiensystems in der Bundesrepublik, ab der Bundestagswahl 1961
veränderten sich die Ergebnisse der beiden großen Volksparteien (Union/SPD) von Wahl zu Wahl
bis 1983 um maximal 4,7%. Die mehrfachen Regierungswechsel in den sechziger und siebziger
Jahren wurden verursacht durch kleinste Veränderungen in den Parteistärken. Vgl. http://www.net-
lexikon.de/Ergebnisse-der-Bundestagswahlen.html vom 14.01.2004.
9
Beck spricht in diesem Kontext von einem ,,Fahrstuhleffekt". Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft,
S. 122.

8
bolhafter Konsumgüter"
10
setzte ein. Fernseher, Automobile und Kühlschränke
gehören inzwischen zu den Alltagsgütern beinahe jeden Haushalts.
Einher ging die Wohlstands- mit der Bildungsexpansion ab den 60er Jahren. Die
Volksschulen verlieren stetig an Bedeutung während sich die Ausbildungszahlen
an weiterführenden Schulen vermehrfacht haben.
11
Vor allem Frauen haben von
der Bildungsexpansion profitiert und stellen inzwischen die Hälfte aller Studie-
renden.
Mädchen stellen die Majorität der Schüler an Gymnasien. Der Anteil studierender
Kinder aus Arbeiterfamilien hat sich von 1960-80 mehr als vervierfacht.
Die Verlängerung der schulischen Bildung führte dazu, dass traditionelle Bindun-
gen, Denk- und Orientierungsmuster zunehmend nicht mehr als ,,schicksalsgege-
ben" hingenommen wurden, sondern hinterfragt, angezweifelt, relativiert und
abgelehnt wurden.
Der Einfluss ehemals dominanter gesellschaftlicher Institutionen erodiert in teil-
weise drastischem Tempo.
12
Zwischen den Jahren 1970 und 2001 ist der Anteil
der Mitglieder in der katholischen oder evangelischen Kirche von 93,6% auf
64,3% an der Gesamtbevölkerung gesunken. Ein weitaus wichtigeres Indiz für
die Verbundenheit mit der Kirche aber ist der Anteil der regelmäßigen Kirchgän-
ger. Seit 1994 ist etwa der sonntäglichen Gottesdienstbesucher in der katholi-
schen Kirche um rund ein Viertel auf nur noch 15% aller Katholiken gesunken.
Weniger als 4% der evangelischen Kirchenmitglieder besuchen noch regelmäßig
den Gottesdienst.
13
10
ebd. S. 123.
11
Zwischen 1960 und 1987 stieg der Anteil der Realschüler von 11,1% auf 29,3%. Die Quote der
Gymnasiasten verdoppelte sich in diesem Zeitraum von 14% auf 28,7%. Vgl. Schäfers, Bernhard:
Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Ein Studienbuch zur Sozialstruktur und Sozialgeschichte
der Bundesrepublik, 5.Aufl., Stuttgart: Deutscher Taschenbuch Verlag 1990, S.292f.
12
Die abnehmde Prägekraft sozialstrukturell verankerter Cleavages bezeichnet man in der Wahl-
forschgung als Dealignment. Vgl. Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten, S.
82.
13
Natürlich muss bei der Betrachtung der Daten berücksichtigt werden, dass etwa 75% der ehe-
maligen DDR-Bevölkerung atheistisch war, die ab 1990 mit in die Statistik eingeflossen ist. Den-
noch wurde damit ein schon vorhandener Trend zum Kirchenaustritt nur beschleunigt.
Vgl. http://www.kirchensteuer.de/konfession.html vom 17.02.2004.

9
Die Gewerkschaften verloren seit 1991 über vier Millionen Mitglieder.
14
In weni-
gen Jahren hat der DGB damit mehr als ein Drittel seiner Gewerkschafter verlo-
ren.
Mit dem Schwinden des Rückhaltes in der Bevölkerung fallen Kirchen und Ge-
werkschaften für immer breitere Bevölkerungsteile als Orientierungs- und Sinn-
gebungsinstanzen aus.
Das Ideal der bürgerlich-industriellen Kleinfamilie hat durch die Angleichung der
weiblichen Bildungschancen und des daraus folgenden größeren Erwerbsenga-
gements die Bedingungen des familialen Zusammenlebens grundlegend verän-
dert. ,,Familie wird zu einem dauernden Jonglieren mit auseinanderstrebenden
Mehrfachambitionen zwischen Berufserfordernissen, Bildungszwängen, Kinder-
verpflichtungen und dem hausarbeitlichen Einerlei. Es entsteht der Typus der
,,Verhandlungsfamilie auf Zeit",...
15
"
Eine höhere Berufstätigkeit von Frauen, derzeit sind 47% der Frauen mit Kindern
in Deutschland berufstätig
16
, gesteigerte Ambitionen an die Freizeitgestaltung,
die Wahrnehmung verschiedenster außerhäuslicher Bindungen, räumliche Dis-
tanzen zum Betrieb, die Suche nach Betreuungsmöglichkeiten der Kinder und ein
höherer Aufwand innerpartnerschaftlicher Kommunikation für Auseinanderset-
zungen und Konsenssuche: All diese Faktoren formen daher die Organisation des
Alltags in den Familien.
Die Bildungs- und Erwerbsexpansion von Frauen hat insgesamt zu mehr geistiger
und ökonomischer Autonomie geführt und neue Möglichkeiten weiblicher Lebens-
gestaltung geschaffen, wobei aber oft Berufs- und Familienorientierung mitein-
ander in Konflikt geraten. Gegenseitige emotionale Qualitätsanforderungen an
die eheliche Partnerschaft bergen, unter dem Aspekt des weitgehenden Wegfalls
ökonomischer Interdependenzen, ein erhöhtes Risiko des Scheiterns.
So ist zwischen den Jahren 1960 und 1995 die Zahl der Ehescheidungen um
mehr als das vierfache gestiegen.
17
14
1991 belief sich die Anzahl der Mitglieder im Deutschen Gewerkschaftsbund noch auf 11.800.412
Mitglieder. Im Jahr 2002 noch 7.699.903 Mitglieder (was einem Rückgang von 35% in elf Jahren
entspricht).
Vgl.
http://www.dgb.de/dgb/mitgliederzahlen/popit?dok=gesamt2002.htm&append=auswahlformular
vom 17.02.2004 und http://www.dgb.de/dgb/mitgliederzahlen/gesamt1950_1993.htm vom
17.02.2004.
15
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft, S.118.
16
Vgl. Bruggmann, Nicole: Gesellschaftlicher Wandel und Familialer Wandel, Zürich: Universität
Zürich 2004, S.15. Im Internet: http://mypage.bluewin.ch/hoepf/fhtop/Familialer-Wandel.pdf vom
23.01.2004.
17
Entwicklung der Scheidungsquoten: 1960: 8,5%, 1995: 39,5%. Vgl. Gabriel, Karl

10
Mit der Zurückdrängung der Verbindlichkeit von Normen geistig-moralischer In-
stitutionen werden alternative Lebensformen zur traditionellen Kleinfamilie nicht
mehr gesellschaftlich stigmatisiert. Noch wachsen zur Zeit etwa 80% aller Kinder
innerhalb einer ehelichen Familie bei ihren leiblichen Eltern auf, aber daneben
haben sich andere Lebensformen etabliert und verbreiten sich. Zwischen 1970
und 2000 hat sich die Zahl der allein erziehenden Eltern verdoppelt und die der
nichtehelichen Partnerschaften mit Kindern sogar verzehnfacht.
Mehr als die Hälfte aller Ehen besteht aus so genannten Commuter-Ehen, wo
beide Ehepartner voll erwerbstätig sind und nur ein Kind vorhanden ist. Von den
6,5 Millionen kinderlosen Ehen, verzichtet ein Großteil zugunsten von Beruf und
Karriere ganz auf Nachwuchs (so genannte Dinks (Double income no kids)).
Die traditionelle Familie als dominante Lebensform wird bedrängt durch pluralis-
tische Lebensstile. Längere Ausbildungszeiten, prekäre Beschäftigungsverhältnis-
se und hohe Mobilitätsanforderungen belasten gerade jüngere Menschen in der
Familienplanungsphase, so dass die Wahrscheinlichkeit zur Wahl der herkömmli-
chen Kleinfamilie als Lebensform abnimmt. Damit korrespondiert, dass etwa der
Anteil der Einpersonenhaushalte in den großen Innenstädten auf inzwischen 70%
aller Haushalte angestiegen ist.
18
Der Individualisierungsprozess brachte damit auf der einen Seite neue und grö-
ßere Gestaltungs- und Freiheitsgrade, aber auf der anderen Seite auch, Orientie-
rungslosigkeit und Verunsicherung durch die Erosion der Bedeutung geistig-
moralischer Instanzen.
Das Individuum wird so zwangsläufig zum Gestalter des eigenen Schicksals. An-
stelle gesellschaftlich dominanter Normen und Werte ist ,,Selbstverwirklichung
[...] zur Norm gelingenden Lebensentwurfes erhoben worden."
19
Anthony Giddens stellt in diesem Zusammenhang fest: "In posttraditionalen Kon-
texten haben wir keine andere Wahl, als zu wählen, wer wir sein und wie wir
handeln wollen."
20
Wandel von Ehe und Familie und die Möglichkeiten einer christlichen Lebensweise in einer verän-
derten Gesellschaft, Münster, Universität Münster 2001, S. 3ff. Internet: www.uni-
muenster.de/ChristSozialwiss/ txt/Ehe_und_Familie.pdf vom 24.01.2004.
18
Vgl. Gabriel, Karl: Wandel von Ehe und Familie und die Möglichkeiten einer christlichen Lebens-
weise in einer veränderten Gesellschaft, S. 3.
19
Kaufmann, F.-X. in: Bruggmann, Nicole: Gesellschaftlicher Wandel und Familialer Wandel, S.10.
20
Vgl. Beck, Ulrich/Giddens, Anthony/Lash, Scott: Reflexive Modernisierung ­ Eine Kontroverse,
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 142.

11
Die Reihe von Belegen für die stattfindenden Prozesse der ,,fortgeschrittenen"
Modernisierung oder Postmoderne ließen sich unendlich weiterführen, es soll a-
ber an dieser Stelle dabei belassen werden. Festzuhalten bleibt, dass als Folge
der Modernisierungsprozesse ein umfassender Strukturwandel stattgefunden hat,
der zur weitgehenden Auflösung von klassen- und milieuspezifischen Verhal-
tensmustern geführt hat. Die Institutionen der klassischen modernen Industrie-
gesellschaft wie Kleinfamilie, fester Berufs- und Geschlechterrollen sind einer
immer freieren individuellen Wahlmöglichkeit gewichen. Die Gesellschaft setzt
sich heute aus einer Vielzahl nebeneinander geordneter Lebensstilgruppen zu-
sammen, die faktisch nicht mehr sozialstrukturell determiniert sind. Individuen
können im Laufe ihrer Biographie völlig unterschiedlichen Milieus angehören.
Gruppenspezifischen Mustern ist eine ,,Loseblattsammlung von Individuen" gewi-
chen.
21
Die soziale Welt ist gekennzeichnet durch eine Vervielfältigung der Optionen und
betrifft ökonomische wie kulturelle Bereiche gleichermaßen. Bei der ständigen
Suche nach Identitäten der Lebensführung, Glaubensfragen und Weltbilder sehen
sich die Akteure multiplen Optionen gegenüber: Nicht nur wird die Quantität des
Entscheidbaren immer unübersichtlicher, sondern sie erfolgt auch in immer ra-
santerer Abfolge. In der ,,Multioptionsgesellschaft"
22
, ,,Wo alles verfügbar wird,
gibt es keine Heimaten, keine Gewissheiten, keine Maßstäbe mehr."
23
Die Herauslösung des Individuums aus den klassischen sozialstrukturellen Milieus
und die Atomisierung der Lebensläufe spiegeln sich unmittelbar im Wahlverhalten
wieder. Die Parteien haben es heute mit ,,dem schwierigen Bürger" zu tun, der
bereit ist, ständig seine Parteipräferenz zu verändern
und erst überzeugt werden
will, wenn er denn überhaupt noch am demokratischen Prozess teilnimmt.
I.3. Individualisiertes Wahlverhalten heute
Noch bis etwa Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren starke
Koppelungen von sozialstrukturellen Milieus und politischen Parteien zu beobach-
21
Beck, Ulrich in: Vogt, Ludgera: Wählen in der Multioptionsgesellschaft. In: Dörner, Andre-
as/Vogt, Ludgera: Wahl-Kämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual, Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 2002, S. 120.
22
Der Begriff Multioptionsgesellschaft geht zurück auf Peter Gross. Siehe: Gross, Peter: Die Multi-
optionsgesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994.
23
Vgl. Vogt, Ludgera: Wählen in der Multioptionsgesellschaft, S.124.

12
ten. Die Wahlentscheidung war mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem sozialen
Kontext heraus vorhersagbar. Offensichtlich gelang es bis dahin den milieuspezi-
fischen Organisationen , die traditionellen Parteibindungen des Industriezeitalters
immer wieder aufs Neue zu festigen und eine stabile Stammwählerschaft zu rek-
rutieren. Seither jedoch ist eine weitgehende Erosion dieser Bindungen zu beo-
bachten.
Die im vorherigen Abschnitt aufgezeigten sozialwissenschaftlichen Beobachtun-
gen der so genannten Postmoderne lassen keinen Zweifel mehr daran, dass es
sich beim Stammwähler um eine aussterbende Spezies handelt.
Parallel zum nachlassenden gesellschaftlichen Einfluss von Großorganisationen,
vor allem von Gewerkschaften und katholischer Kirche, schmelzen die Prozentan-
teile der beiden großen Parteien ab. Seit den sechziger Jahren bis 1983 konnten
SPD und Union regelmäßig mehr als 80% bis über 90% aller abgegebenen
Stimmen bei Bundestagswahlen auf sich vereinigen. Bei der letzten Wahl 2002
waren dies nur noch 77%. Erstmals seit 1949 konnte keine der Volksparteien
mehr als 40% der Wählerstimmen für sich erringen, und dass bei einer geringe-
ren Wahlbeteiligung. Nicht nur die Stimmanteile, sondern auch die gegenüber
früheren Jahrzehnten höheren Summen der prozentualen Gewinne und Verluste
der beiden Parteien können belegen, dass die Bindungen lockerer werden: 1998
betrug der Swing
24
10,6% gegenüber 5,3% im Jahr 1994.
Noch immer wählen die in traditionellen Milieus verhafteten Bevölkerungsgrup-
pen überwiegend ihre Klientelpartei, 2/3 aller gewerkschaftlich organisierten Ar-
beiter wählen nach wie vor sozialdemokratisch und 75% aller regelmäßigen
Kirchgänger unter den Katholiken wählen die Union. Der Anteil der Stammwäh-
lerschaft an den Gesamtstimmanteilen der beiden Volksparteien nimmt jedoch
ab. So hat sich beispielsweise der Arbeiteranteil unter den SPD-Wählern inner-
halb der letzten 26 Jahre mehr als halbiert.
25
Dies führt dazu, dass beide Parteien
in einem verschärften Wettbewerb um die ,,neue Mittelschicht" aus Angestellten
und Beamten treten müssen.
Die Individualisierungsprozesse, die zunehmenden globalen ökonomischen Ver-
flechtungen und die Pluralisierung der Lebensstile führen zum einen zu einem
24
Der Swing bezeichnet in den Politikwissenschaften die Summe der prozentualen Gewinne und
Verluste der Parteien. Vgl. Arzheimer, Kai/Falter Jürgen W.: Ist der Osten wirklich rot? Das Wahl-
verhalten bei der Bundestagswahl 2002 in Ost-West-Perspektive. In: Aus Politik und Zeitgeschichte
49-50/2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S.40f.
25
Der Anteil der gewerkschaftlich orientierten Arbeiterschaft an den SPD-Wähler bei Bundestags-
wahlen sank zwischen 1976 und 2002 von 25% auf 10%. Vgl. ebd. S.17.

13
starken Wandel der Wählerstruktur und zum anderen zu weitgehenden inhaltli-
chen Annäherung der politischen Lager. Damit einher geht, dass die objektiv ver-
ringerten Gestaltungsspielräume der nationalstaatlichen Regierungen angesichts
internationaler politischer und wirtschaftlicher Verflechtungen
26
, auch vom Wahl-
bürger registriert werden, so dass vielfach das Gefühl entsteht, dass es eigentlich
keinen Unterschied mehr macht, welche Partei gerade regiert.
Inhaltlich unscharfe Profilabgrenzungen und die subjektiv empfundene und ob-
jektiv vorhandene Ohnmacht der politischen Akteure, die Entwicklungen ent-
scheidend beeinflussen zu können, spiegeln sich in einem Vertrauensverlust des
Bürgers gegenüber den politischen Institutionen wider. Im Jahr 1983 gaben noch
76% an, der Institution Bundestag zu vertrauen. 1993 gaben dies nur noch 47%.
Das ohnehin schon recht geringe Vertrauen in die Parteien hat sich im selben
Zeitraum von 50% auf 26% nahezu halbiert.
27
Nicht stetig, aber auf lange Sicht lässt sich ein allgemeiner Rückgang der Wahl-
beteiligung feststellen: Bei Bundestagswahlen werden kaum noch 80% Wahlbe-
teiligungen erreicht, gegenüber regelmäßig mehr als 90% bis in die 70er Jahre.
Die Wahlbeteiligungen bei Landtagswahlen mit durchschnittlich gerade noch 60%
und Europawahlen mit höchstens 50% liegen noch weit darunter.
28
In Ermangelung grundsätzlicher Alternativen innerhalb der derzeitigen Parteien-
landschaft in der Bundesrepublik werden heute Wahlen durch eine breiter wer-
dende Masse von Wählern entschieden, die leichter und häufiger die Parteipräfe-
renz wechseln. Die Wahlbürger werden zum ,,flüchtigen Wesen, die man mit viel
Mühe von den Vorzügen der jeweils eigenen Position überzeugen muss."
29
Nicht mehr langfristige Grundüberzeugungen, sondern kurzfristige Präferenzen,
die häufig erst in der heißen Wahlkampfphase herausgebildet werden, entschei-
den heute Wahlen.
26
Man denke hier an die beschleunigten Globalisierungsprozesse vor allem nach dem Zusammen-
bruch des sozialistischen Blocks 1989 oder an die zunehmende Kompetenzverlagerung der nationa-
len Regierungen an die Europäische Union. In einer Welt globaler wirtschaftlicher Verflechtungen
wird Regierungshandeln unter den Zwängen des internationalen Wettbewerbs mehr und mehr zu
einer ,,Standortfrage" degradiert.
27
Vgl. Hartenstein, Wolfgang: Fünf Jahrzehnte Wahlen in der Bundesrepublik: Stabilität und Wan-
del. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B21/2002, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
2002.
28
Die höchste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl wurde1972 mit 91,1% erzielt. 2002 be-
trug die Wahlbeteiligung 79,1% Vgl. http://www.wahlrecht.de/ergebnisse/bundestag.htm am
13.12.2004.
29
Vgl. Vogt, Ludgera: Wählen in der Multioptionsgesellschaft, S.125.

14
,,Wahlsituationen sind [...] zu tatsächlichen Wahlsituationen geworden."
30
Wähler treten gegenüber dem Staat und den Parteien mit ähnlich hohen Erwar-
tungshaltungen gegenüber wie privaten Dienstleistern.
Als Reaktion darauf entwickeln sich Wahlkämpfe angesichts unscharfer inhaltli-
cher Abgrenzbarkeit zu einem personalisierten Kampf um die knappe Ressource
Aufmerksamkeit. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den politischen Pro-
grammen der Parteien verliert an Bedeutung und die mediengerechte Inszenie-
rung als pseudo-sportlicher Wettkampf tritt in den Vordergrund. Das Setzen der
Top-Themen zum richtigen Zeitpunkt, gelungene Auftritte auf der politischen
Bühne und Tagesform, etwa bei TV-Duellen, entscheiden über den Erfolg oder
Misserfolg.
Wahlveranstaltungen werden mediengerecht gestaltet und zum politischen ,,E-
vent" hochstilisiert. Die ,,Leipziger Krönungsmesse" 1998, inhaltlich eigentlich nur
eine Parteiversammlung zur Ernennung des Kanzlerkandidaten der SPD, war
ausschließlich als mediengerechte Inszenierung nach amerikanischem Stil für das
Massenpublikum gedacht und hat offensichtlich ihre gewünschte Wirkung nicht
verfehlt.
Ein nicht so erfolgreicher Versuch war der Spaßwahlkampf der FDP zur Bundes-
tagswahl 2002 mit dem ,,Guidomobil".
Politik dringt in Unterhaltungsformate ein und instrumentalisiert diese. Regelmä-
ßig treten Politiker vor Wahlen gehäuft in Gameshows oder Daily Soaps auf, um
die Aufmerksamkeit auch der großen Anzahl politisch Desinteressierter zu erlan-
gen.
31
Die klassische demoskopische Sonntagsfrage, die im Mittelpunkt des vierten Ka-
pitels steht, unterliegt ebenfalls heftigeren und häufigeren Schwankungen als
noch vor wenigen Jahren. Immer wieder werden ,,historisch" noch nie gemessene
Werte für die einzelnen Parteien vermeldet.
32
Dies hat unmittelbar zur Folge,
30
Vgl. ebd, S.125.
31
Berühmtes Beispiel: FDP-Chef Westerwelle ließ sich für mehrere Stunden im ,,Big Brother"-
Container einsperren. Kanzlerkandidat Schröder trat vor der Wahl 1998 bei der 1500sten Folge bei
,,Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" als Gastschauspieler auf. Unter den Gästen der ,,Harald-Schmidt-
Show" befanden sich vor der letzten Bundestagswahl viele Politiker, nach der Wahl monatelang
kein einziger.
32
Ein aktuelles Beispiel aus dem Politbarometers März I 2004 der Forschungsgruppe Wahlen: ,,Vom
Sieg der CDU in Hamburg profitiert jetzt auch die CDU/CSU bundesweit in der aktuellen politischen
Stimmung deutlich. Gleichzeitig fallen die Ergebnisse für die SPD so niedrig aus wie noch nie in der
Geschichte des Politbarometers.[...] ...die CDU/CSU käme zum ersten Mal im Politbarometer (seit
1977) auf 49 Prozent (+1),.." Vgl. http://www.fgw-online.de/Aktuelles/PB_Meldung/ am
13.03.2004.

15
dass aus der Sonntagsfrage abgeleitete Prognosen, wenn sie sich auf ein tat-
sächliches Ereignis beziehen, eine immer geringere Aussagekraft besitzen.
Der Ansatz aus der politischen Ökonomie, der die Wahlentscheidung, analog zum
Marktverhalten des homo oeconomicus, als rationale Nutzenmaximierung inter-
pretierte, scheint indes wenig schlüssig, denn das hieße, dass der Wähler auf-
grund sorgfältiger Analysen der Partei- oder Wahlprogramme seine persönlich-
optimale Entscheidung im Sinne zu erwartender materieller Vorteile fällen würde.
Tatsächlich beschäftigt sich aber nur ein geringerer Teil der Wähler intensiv mit
den Programmen der politischen Akteure.
Vielmehr sind es eine Vielzahl von Faktoren, die die Wahlentscheidung beeinflus-
sen. Die Politik versucht heute eher kurzfristige Stimmungen mit professionellen
Inszenierungen und Medienkampagnen zu erzeugen.
Ludgera Vogt sieht Politik heutiger Prägung überwiegend marktförmig organi-
siert. ,,Politische Anbieter konkurrieren um Nachfrager, die mit ihrer Wählerstim-
me und, zwischen den Wahlterminen, mit ihrer demoskopisch erfassbaren Zu-
stimmung ,,bezahlen"."
33
Politik wird zu einer Art Dauerwerbesendung, denn keine Partei kann es sich heu-
te mehr leisten, auf professionelle Imageberater und Public-Relations-Strategen
zu verzichten. Im grellen Schein des Polit-Entertainments werden die program-
matisch immer weniger unterscheidbaren politischen Positionen im Kampf um die
,,Mitte" verdeckt, um die Suggestion einer ,,echten" Alternative aufrechtzuerhal-
ten.
Kapitel II: Wahlen und Wahlforschung
II.1. Einleitung
In der Öffentlichkeit wird die Wahlforschung stets als Wissenschaft wahrgenom-
men, deren Arbeitsgebiet die Erstellung von Wahlprognosen für jeweils aktuell
stattfindende Wahlen ist. In der akademischen Wahlforschung spielt die Erstel-
lung einer Wahlprognose eine eher untergeordnete Rolle. Für die kommerziell
33
Vgl. Vogt, Ludgera: Wählen in der Multioptionsgesellschaft, S.127.

16
tätigen Demoskopen jedoch, die meist beratend für Parteien und politische Orga-
nisationen tätig sind, sind diese von nicht zu unterschätzender ökonomischer Be-
deutung.
Wahlprognosen werden gern und häufig von den Massenmedien publiziert und
verhelfen damit den Instituten zu enormer Popularität. Reale Wahlergebnisse
stellen eine der wenigen Gelegenheiten dar, umfragebasierte Forschungsergeb-
nisse an einem fassbaren Ereignis zu validieren und damit die Qualität der Mei-
nungsforschung unter Beweis zu stellen.
In diesem Kapitel wird vorab eine Übersicht zur historischen Entwicklung von Me-
thoden der Wahlforschung gegeben, um anschließend in Kapitel IV ausführlich
auf die gegenwärtig dominante Methode, die Umfrageforschung, einzugehen und
diese zu problematisieren.
Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Behandlung der Methoden von umfrageba-
sierten Wahlprognosen. Die Wirkungen von Wahlprognosen auf das Wahlverhal-
ten muss hierbei außen vor bleiben, um den Umfang des Kapitels in Grenzen zu
halten. Außer Wahlen lassen nur wenige ökonomische Indizes, wie das Bruttoin-
landsprodukt oder Arbeitslosenzahlen, Rückschlüsse auf die Validität der Umfra-
geforschung zu.
Ziel ist es, zu zeigen, dass die umfragebasierte Wahlforschung in der Praxis nicht
in der Lage ist und auch gar nicht sein kann, Wahlprognosen in der Präzision zu
erstellen, wie dies in den Medien in der Regel suggeriert wird.
II.2. Geschichte und Methoden der Wahlforschung: Die Wahlgeographie
Die Wahlgeographie ist die älteste Form der wissenschaftlichen Beschäftigung
mit Wahlen. Begründet wurde sie vom französischen Wahlforscher Andre Sieg-
fried, der 1913 das Standardwerk der Wahlgeographie ,,Tableau Politique de la
France Ouest Sous la Ille Republique" verfasste.
Die Theorie der Wahlgeographie geht davon aus, dass die Entstehung und Her-
ausbildung der politischen Grundhaltungen eines Individuums stark von den re-
gionalen und sozialen Bedingungen beeinflusst ist, in dem es lebt. Zu den regio-

17
nalen Bedingungen zählen die Wirtschaftsstruktur ebenso wie die geographischen
Gegebenheiten.
In der wahlgeographischen Theorie werden vier Bestimmungsgründe für das
Wahlverhalten genannt:
a) die historisch entwickelte, politisch und soziale Prägung einer Region
b) die gegenwärtige Sozialstruktur
c) der Einfluss der Religion und
d) der Widerstandsgrad eines jeweiligen sozialen Milieus gegenüber externen
Einflüssen.
34
Das Verfahren der Wahlgeographie war äußerst aufwändig. Für jede Region, bzw.
jeden Wahlkreis wurde eine Karte mit den Stimmanteilen der Parteien hergestellt
und mit einer ganzen Anzahl geographischer Daten, wie Bodenqualität, Höhenla-
gen oder klimatischen Faktoren, per Augenschein verglichen. Die Vorgehenswei-
se, die Karten nur per Augenschein miteinander zu vergleichen, hatte natürlich
das entscheidende Manko, dass Unterschiede nicht exakt quantifizierbar waren.
Obwohl in der Analyse der Karten ebenfalls sozialstrukturelle Faktoren mit einbe-
zogen wurden, interpretierte Siegfried das Wahlverhalten immer wieder geode-
terministisch, was soweit ging, dass er das Wahlverhalten in bestimmten Lan-
desteilen vom dortigen Vorkommen der Esskastanie abhängig machte oder Be-
wohnern unterschiedlicher Höhenniveaus eine ebenso differente politische Präfe-
renz zuschrieb.
Nicht nur wegen dieser diskutablen Resultate zur Determination des Wahlverhal-
tens wird die Wahlgeographie heutzutage nicht mehr angewandt. Das Verfahren
wäre auch unter Zuhilfenahme der Computertechnik noch außerordentlich auf-
wändig
und bliebe durch die pure Analyse per Augenschein gleichwohl wenig prä-
zise.
II.3. Die statistische Aggregatdatenanalyse
In der statistischen Aggregatdatenanalyse geht man davon aus, dass es möglich
ist, die parteipolitische Präferenz eines Individuums aus der ihm umgebenden
Umwelt heraus prognostizieren zu können. Insofern stellt die Aggregatdatenana-
34
Vgl.: Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten, S. 26.

18
lyse eine Weiterentwicklung der Wahlgeographie dar. Der Schwerpunkt liegt je-
doch auf dem Vergleich von Wahlverhalten und gegebenen sozialstrukturellen
Merkmalen einer Region. Geographische Konstellationen spielen praktisch keine
Rolle mehr, aber man schließt an Erkenntnissen aus der Wahlgeographie an, die
etwa zur Erklärung des Wahlverhaltens eines Arbeiters festgestellt hat, dass es
von seinem sozialstrukturellen Kontext abhängt. Lebt ein Arbeiter in einem in-
dustriellen Ballungszentrum, dann ist es wahrscheinlicher, dass er von gewerk-
schaftlichen, schichtspezifischen Organisationsstrukturen geprägt wird, als lebte
er in einer Minderheitenposition im ländlich-traditionellen Raum.
Methodisch orientiert sich die Aggregatdatenanalyse an quantitativ-statistischen
Modellen
35
.
Im ersten Schritt werden die Mittelwerte und Standardabweichungen der zu un-
tersuchenden Merkmale einer Region bestimmt.
Die Stärke der Korrelation zweier Variablen lässt sich nun anhand der Berech-
nung der Kovarianzen exakt beziffern. Sollen Zusammenhänge von mehr als zwei
Variablen untersucht werden, ermittelt man den Korrelationskoeffizienten. Bei
diesem Verfahren spricht man von der multiplen Regression.
Als Ergebnis einer einfachen Regressionsanalyse könnte dann beispielsweise fol-
gende Wenn-Dann-Beziehung formuliert werden: Hat man etwa festgestellt, dass
die SPD in einem Wahlkreis mit einem Arbeiteranteil von x% bei einer Wahl ei-
nen Stimmanteil von y% erreicht hat, dann könnte auf diese Weise auch der
wahrscheinliche Stimmanteil für die SPD in einem anderen Wahlkreis anhand des
Arbeiteranteils geschätzt werden.
36
Realistischerweise wurden jedoch eine Anzahl weiterer Merkmale einer Region,
wie Urbanisierungsgrad, Anteil der protestantischen Bevölkerung, usw. berück-
sichtigt.
An Popularität gewann die Aggregatdatenanalyse vor allem durch die Studie
,,Landbevölkerung und Nationalsozialismus" von Rudolph Heberle, in der die sozi-
alökonomischen Bedingungen der Machtergreifung in der schleswig-
holsteinischen Landbevölkerung erforscht wurden. Heberle korreliert die gewon-
nenen sozioökonomischen Daten mit den Stimmanteilen der Nationalsozialisten
in den jeweiligen Regionen. Es konnte festgestellt werden, dass bestimmte, die
35
Die statistische Aggregatdatenanalyse wird daher auch als quantitative Ökologie bezeichnet
36
Vgl.: Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten, S. 29.

19
ökonomische Entwicklung prägende Faktoren, wie Industriealisierungsgrad, An-
teil der Lohnarbeiter in der Landwirtschaft, Marktzugangschancen und die damit
verknüpfte Verkehrsinfrastruktur, einen maßgeblichen Einfluss auf die Klassen-
struktur und damit auf das Wahlverhalten hatten.
Der Aufstieg der NSDAP wurde laut Studie begünstigt, wenn ökonomische Struk-
turen vorherrschten, die generell als zukunftspessimistisch umschrieben werden
könnten.
37
Seine Theorie über den Einfluss von Umweltfaktoren auf das Wahlverhalten pub-
lizierte Heberle 1961 in seinem Band ,,Social Movements", dass vor allem in den
USA rezipiert wurde und dort eine Reihe von Folgestudien anregte.
Gegenwärtig wird die Aggregatdatenanalyse vor allem dann verwendet, wenn
langfristige Veränderungen des politischen Verhaltens an dynamischen Modellen
in Zeitreihenanalysen erklärt werden sollen. Typische Kennziffern sind etwa die
Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes, Arbeitslosenzahlen oder die Inflations-
rate, die in langfristigen Zeitreihen mit Wahlergebnissen oder Beliebtheitswerten
von Regierungen korreliert werden. Diese Vergleiche führen dann zu Aussagen,
dass beispielsweise ein Anstieg der Arbeitslosenrate mit einer gewissen Verzöge-
rung kausal zu einem Absinken der Beliebtheitswerte einer Regierung führt. Al-
lerdings sind Aussagen solcherart umstritten, denn andere Studien können zu
dem Schluss kommen, dass überhaupt kein solcher Zusammenhang besteht
38
.
Widersprüchliche Resultate können dann vorliegen, wenn bei verschiedenen Un-
tersuchungen unterschiedliche Operationalisierungen vorliegen, etwa wenn
wechselnde Definition von abhängigen Variablen (hier als Beispiel ,,Beliebtheits-
werte einer Regierung") mit unabhängigen Variablen (z.B. ,,Arbeitslosigkeit") in
Zusammenhang gebracht werden. Die Wahlmöglichkeiten von ökonomischen
Kennziffern sind mannigfaltig und führen dann je nach Studiendesign zu unver-
einbaren Ergebnissen.
37
Beispiele: Verschuldungsgrad der Bevölkerung, hoher Lohnarbeiteranteil in landwirtschaftlichen
Betrieben, Arbeitslosigkeit.
38
Norporth und Yantek etwa kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass nicht der reale Anstieg
der Arbeitslosenzahlen mit dem Beliebtheitsgrad der Regierung zusammenhängt, sondern ob es
einer Regierung gelingt ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit glaubwürdig gegen-
über dem Wähler darzustellen. Auf diese Weise kann die Beliebtheit einer Regierung sogar bei ei-
nem Anwachsen der Arbeitslosigkeit steigen. Vgl.: Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und
Wahlverhalten, S. 33.

20
Oft gebrauchte unabhängige Variablen sind z.B. Inflationsrate, Arbeitslosenquo-
te, Wachstumsraten, eigene und allgemeine Einschätzungen der ökonomischen
Situation. Bedingt durch die unterschiedliche Verwendung von Messdaten sind
vergleichende Studien verschiedener Analysen nicht möglich.
Ein Problem der Aggregatdatenanalyse ist die Tendenz, Kausalbeziehungen von
der Aggregat- auf die Individualebene zu attestieren, die so nicht existieren. Man
spricht in diesen Fällen von einem ökologischen Fehlschluss.
Wird zum Beispiel als Resultat einer Studie diagnostiziert, dass bei steigendem
Arbeiteranteil der Anteil der SPD-Wähler in einem Wahlkreis ebenfalls höher ist,
liegt der Befund nahe, dass Arbeiter besonders häufig die SPD wählen. Obwohl
der Schluss auf den ersten Blick plausibel erscheint, muss dies nicht der Fall sein,
denn eventuell kommen die SPD-Stimmen in Wahlkreisen mit hohem Arbeiteran-
teil primär von den Angestellten und Beamten
39
.
Fehlschlüsse können auch dann entstehen, wenn nicht das korrekte Aggregati-
onsniveau für eine Studie gewählt wurde.
Eine Studie in den Nachkriegsjahren hat etwa einen nahezu perfekten statisti-
schen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Unterstützung für die Nationalso-
zialisten herstellen können. Die Aussage, dass Arbeitslose besonders häufig die
NSDAP gewählt hätten, wurde in einer späteren Studie von J. Falter widerlegt.
Der Grund für den Fehlschluss war, dass das höchste Aggregationsniveau ge-
wählt wurde. Die später vorgelegte Studie, die die Merkmale auf Wahlkreisebene
aggregiert hat, konnte dokumentieren, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Arbeitslose haben demnach tendenziell seltener die Nationalsozialisten gewählt.
40
Es bedarf beim Studiendesign somit immer einer theoretischen Vorüberlegung,
auf welchem Aggregationsniveau Einflüsse von Merkmalen erwartet werden, was
39
Ein weiteres, besonders augenfälliges Beispiel: Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus
wurde festgestellt, dass die Grünen in jenen Stadtbezirken mit hohem Ausländeranteil besonders
gute Wahlergebnisse erzielt haben. An diesem Beispiel ist es offensichtlich, dass daraus der Schluss
auf die Individualebene, dass Ausländer überproportional Grüne wählen, falsch ist. Ausländer besit-
zen kein Wahlrecht, sodass als Ursache eher in Frage kommt, dass in Bezirken mit hohem Auslän-
deranteil die Wohnungsmieten günstig sind, was zur Folge hat, dass dort besonders viele Studen-
ten wohnen, die erfahrungsgemäß überdurchschnittlich häufig die Grünen wählen. Vgl.: Bürklin,
Wilhelm/Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten, S.35.
40
Vgl. Falter, Jürgen: Hat Arbeitslosigkeit den Aufstieg des Nationalsozialismus bewirkt? In:
Andres, Hans-Jürgen: Sozialwissenschaftliche Datenanalyse. Fallbeispiele aus sozialwissenschaftli-
chen Fachzeitschriften, Bielefeld: Universität Bielefeld 2001, S. 25ff. Internet:
http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/hjawww/forsch/mme/fallbeis.pdf
am 24.02.2004.

21
aber immer dann nicht möglich ist, wenn kein hinreichendes Datenmaterial vor-
liegt oder die Erhebung von Daten auf optimalem Aggregationsniveau mit einem
nicht vertretbaren Aufwand möglich ist.
Dynamische Modelle, bzw. Langzeitanalysen unterliegen der Schwierigkeit, dass
selbst bei amtlichen Statistiken Veränderungen vorgenommen werden. Gebiets-
einheiten, Berufsgruppen oder Klassen- und Schichtmodelle werden den gesell-
schaftlichen Veränderungen angepasst und erschweren damit Zeitreihenanaly-
sen, die auf die Verwendung identischer Definitionen und Größen angewiesen
sind.
Festzuhalten bleibt, dass die statistische Aggregatdatenanalyse Einflüsse von
Umweltkriterien auf das Wahlverhalten analysieren kann, dabei aber immer die
Gefahr des ökologischen Fehlschlusses existiert. Nicht durchführbar sind aber
Analysen, die auf individuelle politische Präferenzen schließen lassen. Schwer-
punktmäßig finden Aggregatdatenanalysen heute in Zeitreihenanalysen Verwen-
dung, um längerfristigen politischen Wandel zu beobachten und zu deuten oder
dienen der Demoskopie als Gewichtungsmodelle bei der Erstellung einer Wahl-
prognose aus Umfrageergebnissen.
Die Einschätzung der kurzfristigen politischen Wahlverhaltens ist eine Domäne
der umfragebasierten Meinungsforschung, auf die im nächsten Abschnitt ausführ-
lich eingegangen werden soll.
Kapitel III: Moderne Wahlforschung mittels Umfragen
III.1. Einleitung
Generell beruht die Umfrageforschung auf der Annahme, dass es möglich ist,
mittels Auswahl und Befragung einer relativ kleinen Anzahl von Individuen, einer
Stichprobe, ein verkleinertes Abbild der gesamten interessierenden Population,
der Grundgesamtheit, zu erhalten.

22
Die mathematische Begründung hierfür liefert die Wahrscheinlichkeitsrechnung
aus der Statistik. Die Erhebungen aus einer Stichprobe lassen danach mit einer
mathematisch bezifferbaren Wahrscheinlichkeit Rückschlüsse auf das Verhalten
der Grundgesamtheit zu. Die Stichprobe ist folglich repräsentativ für die Grund-
gesamtheit, man spricht bei diesem Verfahren deshalb vom Repräsentations-
schluss.
Zu Beginn soll in kurzen Stichpunkten auf die historische Entwicklung der umfra-
gebasierten Wahlforschung eingegangen werden, um anschließend die verwen-
deten Methoden vorzustellen und zu problematisieren.
III.2. Geschichte der umfragebasierten Wahlforschung
Populär wurde die Wahlprognose, die auf einer relativ kleinen Stichprobe beruht,
bei den Präsidentschaftswahlen 1936 in den USA. Die Zeitschrift ,,Literary Digest"
hatte, wie schon bei mehreren Wahlen zuvor, eine Wahlumfrage (poll) im großen
Stil organisiert: Zehn Millionen Probe-Stimmzettel wurden an Amerikaner ver-
sendet, die im Verzeichnis ,,Telefon und Auto" eingetragen waren. Ausgefüllt und
zurückgeschickt wurden 2,4 Millionen Stimmzettel, die anschließend mit einem
denkbar großen Aufwand ausgezählt wurden, um aus diesem Resultat eine Prog-
nose auf den Wahlausgang zu publizieren. Im Ergebnis wurde ein klarer Sieg des
republikanischen Herausforderers Landon vor dem Amtsinhaber Roosevelt vor-
ausgesagt.
41
Zugleich führte George Gallup eine relativ kleine Befragung von etwa 6000 Ame-
rikanern durch, die er nach dem damals schon bekannten Quotenverfahren aus-
wählte, und prognostizierte eine Wiederwahl Roosevelts. Tatsächlich hatte Gallup
Recht und Roosevelt wurde wieder gewählt, was zum Aufstieg des heute interna-
tional bekannten Gallup-Institutes führte.
42
41
Vgl.: Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen,
3.Aufl., Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt 1997, S.326.
42
Vgl. Kaase, Max: Wahlforschung und Demokratie. Eine Bilanz am Ende des Jahrhunderts. In:
ZUMA-Nachrichten Nr.44, 23.Jg., Mannheim: Zentrum für Methoden, Umfragen und Analysen,
S.66.

23
Der ,,Literary Digest" dagegen lag mit einer Abweichung von 19% vom tatsächli-
chen Wahlergebnis trotz des immensen Aufwandes vollkommen daneben, was
letztlich auch zum Untergang der Zeitschrift führte.
Wie aber ist es erklärbar, dass der ,,Literary Digest" trotz einer vielfach umfang-
reicheren Stichprobe eine solche Fehlprognose ablieferte? Im Generellen liefert
eine große Stichprobe statistisch gesehen unter sonst gleichen Bedingungen zu-
verlässigere, d.h. präzisere Ergebnisse als eine kleine Stichprobe, es sei denn,
sie ist verzerrt. Genau hier ist der Fehler beim Stichprobenauswahlverfahren der
Zeitschrift passiert. Die aus dem Verzeichnis der Telefon- und Automobilbesitzer
angeschriebenen Bürger waren keineswegs repräsentativ für die gesamte Wahl-
bevölkerung, sondern kamen mehrheitlich aus der gehobenen Mittelschicht, denn
in den dreißiger Jahren war der Besitz eines Autos und eines Telefonanschlusses
auch in den USA keine erschwinglichen Güter für die breiten Massen, sondern
Luxusgüter.
Traditionell ist der gut situierte Mittelstand eher den Republikanern zugeneigt,
ganz davon abgesehen, dass der Demokrat Roosevelt mit seinen Sozialreformen
des ,,New Deal"
43
vor allem die unterprivilegierten Schichten ansprach.
Die Methode von Umfragen aus einer relativ kleinen Quotenstichprobe war nicht
mehr aufzuhalten, obwohl die Institute bei der Präsidentschaftswahl 1948 einen
schweren Fehlschlag hinzunehmen hatten.
Im Vorfeld der Wahlen lag der Amtsinhaber Truman in sämtlichen Umfragen
deutlich hinter seinem Herausforderer Dewey, weshalb viele Pressemedien, in
der sicheren Annahme der Korrektheit der Prognose, nicht mehr die offizielle Be-
kanntgabe des Wahlergebnisses am nächsten Tag abwarteten, sondern den Sieg
Deweys verkündeten
44
.
Die Überraschung und peinliche Blamage war dann umso größer als Truman mit
5% Vorsprung in seinem Amt bestätigt wurde.
43
Der ,,New Deal" bestand aus einer bis dahin beispiellosen staatlichen Interventionspolitik, die
u.a. die Wochenarbeitszeiten der Arbeiter auf 40 Stunden begrenzte, Mindestlöhne festlegte und
ihnen das Recht auf überbetriebliche Organisation zusicherte. Vgl. Junker, Detlef: Weltwirtschafts-
krise, New Deal, Zweiter Weltkrieg, 1929-1945, in: Adams, Willi Paul/Czempiel, Ernst-
Otto/Ostendorf, Berndt/Shell, Kurt L./Spahn, P. Bernd/Zöller, Michael (Hrsg.): Länderbericht USA.
Geographie, Geschichte, Politische Kultur, Politisches System, Wirtschaft, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung 1992, S.164ff.
44
Unter anderem die weltbekannte ,,New York Times".

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783836604413
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück – Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
internet wahl wette wahlprognose validität demoskopie demokratie wahlbörse postmoderne
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Titel: Wahlprognosen im Internet
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