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Lernberatung als Beitrag zur Förderung der Bereitschaft Lebenslangen Lernens

©2011 Diplomarbeit 202 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Lern(en) und Beratung: Zwei Themen, noch dazu mit einer Klappe zu schlagen - das war für mich Reiz und Motivation zugleich. Zwei Bereiche, die mich faszinieren und die ich als angehender Diplom-Pädagoge als zukünftiges Aufgabengebiet betrachte.
Nicht erst heute- sondern schon vor fast 40 Jahren hatte das Thema Lernberatung seinen Platz auf der Erwachsenenpädagogischen Agenda inne. So stammt folgende Definition aus dem Strukturplan Weiterbildung von 1975 und stellt bereits den Zusammenhang und die Bedeutung der Lernberatung für das Lebenslange Lernen dar.
‘Information und Beratung sind konstitutive Elemente lebenslangen Lernens (…) Lernberatung zeigt die Möglichkeiten des Lerners auf, beschränkt sich aber nicht auf die Vermittlung der Technik geistiger Arbeit, sondern ist auch lernpsychologische Beratung, indem sie dazu beitragen soll, spezifische Lernhemmungen und Lernschwierigkeiten zu überwinden’ (Schulenberg 1975, 62).
Während der Begriff damals zumindest einmal auf der Agenda stand, ist er heute der breiten Öffentlichkeit bekannt und deshalb aus der aktuellen Thematik nicht mehr wegzudenken. Wenn man den Begriff Lernberatung als Titel in die pädagogische Literaturdatenbank ‘Fis Bildung’ eingibt, erhält man bereits 111 Resultate. So besteht in den wissenschaftlichen, als auch in den bildungspolitischen Diskussionen weitgehend Konsens darüber, dass dem Thema Beratung im Allgemeinen und Lernberatung im Speziellen eine wichtige Rolle in der zukünftigen Erwachsenen- und Weiterbildung zukommt (vgl. BMBF 2008). Die Beratung und Begleitung von Lernprozessen der Lernenden durch die Erwachsenenbildner wird in Zukunft weiter zunehmen und eine zentrale Aufgabe darstellen.
Rohs und Käppling folgern daraus, Lernberatung sei ein ‘Omnibusbegriff auf Erfolgstour’. Sie attestieren ihr einerseits Erfolg, weil viele Konzepte und Akteure in ihr einen Platz finden und der Begriff durch seine Unschärfe starke Verbreitung findet. Der Terminus kann demnach als ‘andragogische Gesamtkonzeption’ aufgefasst werden, die einer ‘eingeschränkten Sicht auf Lernprozesse entgegenwirkt’. Andererseits drücken sie mit dem Term ‘Omnibusbegriff’ aus, dass er zu Verständigungsproblemen führen könnte, da kein universales Begriffsverständnis zu Grunde liegt (vgl. Rohs/Käppling 2004, 20f). Die Bezeichnung bleibt somit ein Sammelbegriff und wird je nach Autor und zugrunde liegender Theorie anders besetzt (vgl. Sauer-Schiffer 2004, 33). Rohs und Käppling […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Philipp Hermann
Lernberatung als Beitrag zur Förderung der Bereitschaft Lebenslangen Lernens
ISBN: 978-3-8428-3060-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland, Diplomarbeit,
2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

I
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ... IV
Teil I
Theoretischer Hintergrund
Einleitung ... 1
1. Lernberatung im Kontext ... 6
1.1 Geschichte der Lernberatung ... 6
1.1.1 Die Anfänge in den 1960er/1970er Jahren ... 6
1.1.2 Zielgruppenarbeit in den 1980er Jahren ... 7
1.1.3 Lernberatung als ganzheitliches Konzept seit den 1990ern ... 8
1.2 Begründung von Lernberatung anhand pädagogischer Diskurse ... 8
1.2.1 Lebenslanges Lernen ... 9
1.2.2 Selbstgesteuertes Lernen ... 11
1.2.3 Wandel der Lernkulturen... 13
1.3 Verortung des Lernberatungsbegriffs ... 15
1.3.1 Abgrenzung des Lernberatungsbegriffs ... 16
1.3.2 Definition Lernberatung ... 19
1.4 Zusammenfassung Kapitel 1 ... 22
2. Lernberatungskonzepte ... 23
2.1 Lernberatungskonzeption nach Kemper/Klein/Reutter ... 27
2.2 Handlungsleitende Prinzipien ... 28
2.2.1 Teilnehmerorientierung als Verantwortungsteilung ... 28
2.2.2 Biografieorientierung ... 29
2.2.3 Kompetenzorientierung und Anschlussfähigkeit ... 30
2.2.4 Reflexionsorientierung ... 31
2.2.5 Orientierung an Lerninteressen ... 32
2.2.6 Prozessorientierung ... 33
2.3 Kernelemente und deren Anwendungskontext ... 33
2.3.1 Lerntagebuch ... 34
2.3.2 Zieltraining ... 35
2.3.3 Lernkonferenz ... 36
2.3.4 Lernquellenpool ... 36

II
2.3.5 Fachreflexion und Feedback ... 37
2.3.6 Lernberatungsgespräch ... 37
2.3.7 Lebenslaufbezogene Instrumente ... 39
2.4 Inhalt von Lernberatung ... 40
2.4.1 Wissen - für eine zukunftsfähige Gesellschaft ... 41
2.4.2 Lebenswissen ... 43
2.5 Ziele von Lernberatung ... 44
2.5.1 Lernkompetenzen entwickeln und fördern ... 44
2.5.2 Förderung der Verantwortungsübernahme für Lernprozesse ... 44
2.5.3 Persönlichkeitsstärkung ... 45
2.6 Grenzen der Lernberatung ... 46
2.7 Zusammenfassung Kapitel 2 ... 48
3. Lebenslanges Lernen ... 49
3.1 Definition Lebenslangen Lernens ... 50
3.2 Perspektiven Lebenslangen Lernens ... 50
3.3 Kennzeichen Lebenslangen Lernens aus bildungspolitischer Sicht ... 53
3.4 (Bildungspolitische) Strategien zur Umsetzung Lebenslangen Lernens ... 56
3.5 Individuelle Sicht auf Chancen und Gefahren des Lebenslangen Lernens ... 59
3.6 Lernberatung als Antwort auf die Forderung des Lebenslangen Lernens ... 62
3.7 Zusammenfassung Kapitel 3 ... 66
Teil II
Empirische Analyse
4. Methodisches Vorgehen ... 68
4.1 Forschungsstand Lebenslanges Lernen und Lernberatung ... 68
4.2 Begründung für den qualitativen Zugang ... 71
4.3 Begründung für das leitfadengestützte Interview ... 72
4.4 Begründung für die Auswertung: Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ... 73
5. Analyse der Lernberatungskonzeption ... 74
5.1 Stufen der qualitativen Inhaltsanalyse ... 75
5.1.1 Festlegung des Materials & Analyse der Entstehungssituation ... 75
5.1.2 Formale Charakteristika des Materials ... 80
5.1.3 Richtung der Analyse ... 81
5.1.4 Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung... 81

III
5.1.5 Bestimmung der Analysetechnik ... 86
5.1.6 Definition der Analyseeinheit (Kodierleitfaden) ... 86
5.1.7 Ablaufmodell der Analyse... 90
6. Auswertung und Interpretation ... 93
6.1 Fallübergreifende Darstellung ­ anhand der Analysetechnik ,,Inhaltliche Strukturierung"
... 97
6.2 Gruppenunterschiede ­ anhand der Analysetechnik ,,Inhaltliche Strukturierung" ... 104
6.3 Unterschiede im Geschlecht ­ anhand der Analysetechnik ,,Explikation" ... 112
6.4 Bezug auf Forschungsfragen ... 116
6.5 Qualitätsprüfung der Daten ... 118
6.6 Kritische Betrachtungsweise der empirischen Untersuchung ... 122
6.7 Zusammenfassung Kapitel 4-6 ... 123
7. Fazit ... 125
Literaturverzeichnis ... 129
Abbildungsverzeichnis ... 143
Tabellenverzeichnis ... 144
Anhang ... 145
Leitfadeninterview ... 146
Erster Durchgang: Reduktion der einzelnen Fälle ... 148
Interview 1: ... 157
Interview 2: ... 168
Interview 3: ... 182
Interview 4: ... 188

IV
Abkürzungsverzeichnis
ABWF
Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung
BBB
Büro für Berufliche Bildung
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
DIE
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
EQR
Europäischer Qualifikationsrahmen
ESF
Europäischer Sozialfond
EU
Europäische Union
FAKOM
Förderung arbeitsplatzspezifischer kommunikativer Kompetenzen
bei Migrant/innen in der Altenhilfe
GIWA
Grundbindung in Wirtschaft und Arbeit
LLL
Lebenslanges Lernen
NVQ
National Vocational Qualification
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
OKRA
Organisations- und Kompetenzentwicklung in reflexiven
Anwendungsfeldern
PAS
Pädagogische Arbeitsstelle (des deutschen Volkhochschulverbandes)
ProLern
Innovative Beratungskonzepte für selbstorgansiertes Lernen
SOLE
Selbstorgansiertes Lernen Erwachsener

1
Einleitung
Lern(en) und Beratung: Zwei Themen, noch dazu mit einer Klappe zu schlagen - das war für
mich Reiz und Motivation zugleich. Zwei Bereiche, die mich faszinieren und die ich als
angehender Diplom-Pädagoge als zukünftiges Aufgabengebiet betrachte.
Nicht erst heute- sondern schon vor fast 40 Jahren hatte das Thema Lernberatung seinen Platz
auf der Erwachsenenpädagogischen Agenda inne. So stammt folgende Definition aus dem
Strukturplan Weiterbildung
1
von 1975 und stellt bereits den Zusammenhang und die
Bedeutung der Lernberatung für das Lebenslange Lernen dar.
,,Information und Beratung sind konstitutive Elemente lebenslangen Lernens (...)
Lernberatung zeigt die Möglichkeiten des Lerners auf, beschränkt sich aber nicht auf die
Vermittlung der Technik geistiger Arbeit, sondern ist auch lernpsychologische Beratung,
indem sie dazu beitragen soll, spezifische Lernhemmungen und Lernschwierigkeiten zu
überwinden" (Schulenberg 1975, 62).
Während der Begriff damals zumindest einmal auf der Agenda stand, ist er heute der breiten
Öffentlichkeit bekannt und deshalb aus der aktuellen Thematik nicht mehr wegzudenken.
Wenn man den Begriff Lernberatung als Titel in die pädagogische Literaturdatenbank ,,Fis
Bildung" eingibt, erhält man bereits 111 Resultate
2
. So besteht in den wissenschaftlichen, als
auch in den bildungspolitischen Diskussionen weitgehend Konsens darüber, dass dem Thema
Beratung im Allgemeinen und Lernberatung im Speziellen eine wichtige Rolle in der
zukünftigen Erwachsenen- und Weiterbildung zukommt (vgl. BMBF 2008).
Die Beratung
und Begleitung von Lernprozessen der Lernenden durch die Erwachsenenbildner wird in
Zukunft weiter zunehmen und eine zentrale Aufgabe darstellen.
Rohs und Käppling folgern daraus, Lernberatung sei ein ,,Omnibusbegriff auf Erfolgstour".
Sie attestieren ihr einerseits Erfolg, weil viele Konzepte und Akteure in ihr einen Platz finden
und der Begriff durch seine Unschärfe starke Verbreitung findet. Der Terminus kann demnach
als ,,andragogische Gesamtkonzeption" aufgefasst werden, die einer ,,eingeschränkten Sicht
auf Lernprozesse entgegenwirkt". Andererseits drücken sie mit dem Term ,,Omnibusbegriff"
aus, dass er zu Verständigungsproblemen führen könnte, da kein universales
Begriffsverständnis zu Grunde liegt (vgl. Rohs/Käppling 2004, 20f). Die Bezeichnung bleibt
1
Der Strukturplan Weiterbildung zeigte u.a. Defizite in der Versorgung der Bevölkerung mit
Weiterbildungsangeboten auf
2
Zwischen März und August 2011 stieg die Anzahl der Veröffentlichungen bereits von 105 auf 111.

2
somit ein Sammelbegriff und wird je nach Autor und zugrunde liegender Theorie anders
besetzt (vgl. Sauer-Schiffer 2004, 33).
Rohs und Käppling plädieren deshalb dafür, nicht von dem Lernberatungsbegriff, sondern von
Lernberatungskonzeptionen zu sprechen (vgl. 2004, 21).
Problemstellung
Das fehlende universale Begriffsverständnis und der daraus resultierende Sammelbegriff
zeigen sich auch in der Beratungspraxis. So gaben in einer qualitativen Befragung von
Schiersmann und Remmele im Jahre 2004 (115f) 92% der Leiter
3
von
Weiterbildungseinrichtungen
4
an, dass in ihrer Einrichtung irgendeine Form von
Lernberatung angeboten wird. Allerdings wurden z.B. auch der Einstufungstests oder das
Kurswahlberatungsgespräch zur Lernberatung gezählt. Pätzold führt die Heterogenität darauf
zurück, dass dem Lernberatungsbegriff kein einheitlicher Lernbegriff zu Grunde liegt (vgl.
Pätzold 2004, 34). Schon die Frage, auf welcher didaktischen Ebene man den Begriff verortet,
spaltet die Autoren. Während Kemper/Klein (1998), Volk von Bialy (1991) und Dietrich
(2000) unter Lernberatung ein Gesamtkonzept verstehen, in welches
erwachsenenpädagogisches Handeln mit einbezogen ist, stehen Vertreter wie Pätzold (2004),
Kossack (2006), Forneck (2005) und Fuchs-Brüninghoff (2000), die Lernberatung
ausschließlich als ein Lernberatungsgespräch, bzw. zumindest eine reine Beratungsform,
erfassen. Die konzeptionellen Unklarheiten tragen dazu bei, dass Lernberatung
bildungspraktisch kaum in der Praxis angewandt wird. Schlichte Umsetzungsdefizite werden
als ein Grund dafür angesehen (vgl. Kollewe/Seitter, 66ff).
Trotz dieser Mangelhaftigkeit wird Lernberatung u.a. auf bildungspolitischer Ebene als
Schwerpunkt zur Umsetzung des Lebenslangen Lernens angesehen (vgl. BLK 2004).
Allerdings fällt auf, dass kaum empirische Studien vorhanden sind, die diesen Zusammenhang
zwischen Lernberatung und Lebenslangen Lernen untersuchen. So sprechen sowohl Clausen
(2009, 194) als auch Mai (2007, 194) davon, dass empirische Untersuchungen zur
Lernberatung sehr rar sind.
3
So weit wie möglich habe ich das Geschlecht betreffend neutrale Formen wie ,,Lehrende" und Teilnehmende"
verwendet. Ansonsten habe ich aus Gründen der Einfachheit die männliche Form gebraucht, um wirre
Sprachkreationen zu vermeiden. Hier, wie auch an vergleichbaren anderen stellen sind natürlich immer "Leiter" und
,,Leiterinnen" gemeint.
4
Befragt wurden Leiter von eigenständigen WB-Beratungsstellen, sowie WB-Berater von Industrie- u.
Handelskammer und Handwerkskammern. N=1377.

3
Ziel der Arbeit
Der Grund dafür, dass Lernberatung dennoch als Schwerpunkt zur Umsetzung des
Lebenslangen Lernens angesehen wird, liegt darin, dass Lernberatung Individuen unterstützen
kann um politische, ökonomische und soziale Anforderungen zu meistern. Diese
Anforderungen entstehen aufgrund der Komplexitätssteigerung, die durch den
gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Lern- und Wissensgesellschaft hervorgerufen wird.
Um dennoch handlungsfähig zu bleiben, erfordert es ein Lebenslanges Lernen der Individuen,
dass durch Selbststeuerung der Lernprozesse gekennzeichnet ist (vgl. Kollewe 2009, 117). In
der Lernberatung steht der Teilnehmer mit seinen spezifischen Lernzielen und individuellen
berufsbiografischen Entwicklungen im Mittelpunkt. Der Lernberater ermöglicht dabei eine
lebensbegleitende, professionelle Unterstützung (vgl. Rohs/Käpplinger 2004, 13f).
So haben die Autoren Kemper/Klein 1998 eine Lernberatungskonzeption entwickelt, die sie
als einen ,,kleinen Versuch" ansahen, ,,eine exemplarische Antwort auf die
Herausforderungen des Lebenslangen Lernens aus der Sicht institutionalisierter, organisierter
beruflicher Weiterbildung [zu geben]"(Kemper/Klein 1998, 17).
Doch schon im Jahr 2002 wurde nicht mehr von einem ,,kleinen Versuch", sondern von der
,,derzeitigen Antwort der organisierten Erwachsenenbildung auf die Anforderungen des
lebenslangen/ selbstorganisierten/ selbstgesteuerten Lernens" gesprochen (Klein 2002, 241).
Meine empirische Untersuchung versucht nun, eine erste Antwort darauf zu geben, inwieweit
diese Lernberatungskonzeption zum Lebenslangen Lernen befähigt und die empirische Lücke
zwischen Lernberatungspraxis und Lebenslangen Lernen zu schließen. Im Anschluss sollen
potentielle Verbesserungsvorschläge der Lernberatungskonzeption im Hinblick auf das
Lebenslange Lernen dargestellt werden. Dies geschieht, indem Lernberatungsteilnehmer nach
ihren subjektiven Eindrücken gefragt werden. Daraus lassen sich abschließend Veränderungs-
und Weiterentwicklungsbedarfe der Lernberatungskonzeption ableiten.
Aufbau der Arbeit
Die Diplomarbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Im Kapitel
1 wird Lernberatung im Kontext ihrer Geschichte seit den 1960er Jahre bis heute und anhand
der pädagogischen Diskurse, die sich im Lebenslangen Lernen, dem Selbstgesteuerten Lernen
und dem Wandel der Lernkulturen widerspiegeln legitimiert. Darüber hinaus wird der Begriff
aufgrund des heterogenen Begriffsverständnisses eingegrenzt und verortet. Anschließend
werden im Kapitel 2 die verschiedenen Lernberatungskonzepte vorgestellt und die Auswahl
für die Konzeption von Kemper/Klein (1998) und deren Fortentwicklung (Klein/Reutter

4
2004) begründet. Diese Lernberatungskonzeption wurde in der Praxis erfolgreich angewandt.
Sie baut auf handlungsleitende Prinzipien, die die Struktur und den Rahmen für die
Lernberatungsinstrumente vorgeben und eine große Prozessoffenheit und Flexibilität
ermöglichen. Die handlungsleitenden Prinzipien als auch die Instrumente werden von mir
kritisch hinterfragt. Anschließend werden der Inhalt, die umfassenden Ziele, sowie die
Grenzen der Lernberatung dargestellt.
Da meine empirische Untersuchung die Lernberatung im Bezug auf das Lebenslange Lernen
untersucht, wird in Kapitel 3 das Lebenslange Lernen behandelt. Es existieren
unterschiedliche Perspektiven auf das Lebenslange Lernen. Zum einen gibt es öffentliche-
bildungspolitische Diskurse, auf die Organe wie z.B. die EU, OECD oder Institutionen wie
das BMBF Einfluss nehmen. Zum anderen besteht eine pädagogische Perspektive, die eher
die Möglichkeiten und Bedingungen des Lernprozesses betrachtet. Anhand dieser beiden
Perspektiven lassen sich Kennzeichen und Strategien zur Umsetzung des Lebenslangen
Lernens herausarbeiten. Um sie nicht reflexionslos a acta zu legen, werden im Anschluss
daran, die Chancen und Gefahren kritisch betrachtet, bevor ein erster Versuch unternommen
wird, anhand der Literatur eine erste Antwort darauf zu geben, inwieweit Lernberatung als
Antwort auf die Forderung des Lebenslangen Lernens gesehen werden kann.
In dem empirischen Teil wird zunächst das methodische Vorgehen in Kapitel 4 dargestellt.
Zunächst wird der Forschungsstand zum Lebenslangen Lernen und Lernberatung aufgezeigt,
bevor anschließend die Auswahl für den qualitativen Zugang, das leitfadengestützte Interview
sowie die Auswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring begründet wird.
Danach wird die Analyse der Lernberatungskonzeption in Kapitel 5 durchgeführt. Hier
werden die Stufen der qualitativen Inhaltsanalyse erläutert. So bilden zwei
Lernberatungsprojekte, die die praktische Umsetzung der Lernberatungskonzeption nach
Kemper/Klein/Reutter darstellen, meine Ausgangslage der Untersuchung. Im ersten Projekt
absolvieren Führungskräfte ein Lerncoaching. Im zweiten Projekt nehmen Pflegehelfer an
einem Sprachkurs teil. Teilnehmer dieser Projekte wurden von mir im Bezug auf die
entwickelten Fragestellungen mit Hilfe eines Leitfadeninterviews befragt. Im Anschluss an
die wörtliche Transkription wurde die Analysetechnik bestimmt und ein Kodierleitfaden
erstellt. Abschließend wurde das Ablaufmodell der Analyse aufgezeigt.
In Kapitel 6 wird die empirische Untersuchung ausgewertet und interpretiert. Zum einen wird
eine fallübergreifende Darstellung vorgenommen. Zum anderen werden die
Gruppenunterschiede zwischen den Projekten Lerncoaching und dem Sprachkurs dargestellt.
Diese beiden Auswertungen orientieren sich an der Analysetechnik-,,Inhaltliche

5
Strukturierung". Außerdem wird die ,,Explikation" angewandt, aufgrund derer sich die
Interpretation im Hinblick auf die Geschlechtsunterschiede ergibt. Der Bezug auf die
Forschungsfragen folgt, bevor die Qualität der Daten überprüft wird und eine kritische
Betrachtungsweise die Untersuchung abrundet.
Das Fazit gibt in Kapitel 7 einen Ausblick und stellt den Entwicklungs- bzw.
Veränderungsbedarf der Lernberatung im Bezug auf die Förderung des Lebenslangen Lernens
dar. Abschließend werden offene Fragen angesprochen, die innerhalb der explorativen Arbeit
nicht beantwortet werden konnten, oder erst entstanden.
Abgrenzung
Im Lernberatungsteil beziehe ich mich insbesondere bei Kemper/Klein (1998) auf Literatur,
die bereits vor 13 Jahren veröffentlicht wurde. Sie gilt jedoch auch heute noch als aktuelle
Grundlage für viele Autoren. Gegenwärtige Lernberatungsprojekte, wie z.B. die von
FAKOM
5
, beziehen sich theoriegeleitet ausschließlich auf die Literatur von Kemper/Klein
(1998) bzw. Klein/Reutter (2005). In meinem Forschungsteil werde ich demnach aktuelle
Projekte behandeln. Eine grundlegende Auseinandersetzung und Einordnung des Beratungs-
und Lernbegriff würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen, sodass ich mich
schwerpunktmäßig mit der Einordnung des Lernberatungsbegriffes befasse. Ferner würde
eine tiefere Auseinandersetzung keinen größeren Erkenntnisgewinn im Hinblick auf meine
Fragestellung hervorbringen. Eine ausführliche Darstellung und Einordnung findet sich u.a. in
Pätzold 2004 Kapitel 3 und 4. Die Sichtweise der Lehrenden wird in meiner empirischen
Untersuchung nicht berücksichtigt. Folglich behandle ich auch nicht das professionelle
pädagogische Handeln der Lernberater in der Literatur. Mein Augenmerk gilt ausschließlich
den Teilnehmern.
5
Förderung arbeitsplatzspezifischer kommunikativer Kompetenzen bei Migrant/innen in der Altenhilfe

6
1. Lernberatung im Kontext
Der Lernberatungsbegriff lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und
begründen. Kapitel 1.1 ordnet ihn in die verschiedenen zeitliche Epochen ein. So lag der
Lernberatung anfangs ein defizitäres Menschenbild zu Grunde. Im Laufe der Zeit bekam die
individuelle Förderung immer mehr Gewicht. Ein weiterer Zugang erfolgt mittels
pädagogischer Diskurse (Kapitel 1.2). Anhand der Schlagworte ,,Lebenslanges Lernen",
,,Selbstgesteuertes Lernen" und ,,Wandel der Lernkulturen" lässt sich die Lernberatung
begründen. Im dritten Zugang wird Lernberatung innerhalb der Beratung verortet und
definiert (Kapitel 1.3).
Da der Lernberatung keine einheitliche Beratungstheorie zu Grunde gelegt werden kann,
spare ich diese aus und fokussiere umso mehr auf die Entstehungsgeschichte der
Lernberatung und deren Legitimation anhand der pädagogischen Diskurse.
1.1 Geschichte der Lernberatung
1.1.1 Die Anfänge in den 1960er/1970er Jahren
Der Begriff Lernberatung existierte bereits in den 1960er Jahren (vgl. Klein/Reutter 2005,
17). Doch größere Diskussionen um Lernberatung fanden in der Erwachsenenbildung erst in
den 1970er Jahren statt. Der Grund hierfür waren die zunehmenden Arbeitsmarktprobleme.
Eine neue Zielgruppe, die arbeitslosen Teilnehmer, nahm rapide zu und stellte die berufliche
Erwachsenenbildung vor große Herausforderungen. Die lernungewohnte Zielgruppe der An-
und Ungelernten erschwerte das Lehren und richtete den Blick auf das Erkennen und die
Bewältigung von Lernproblemen. Lernberatung war somit in erster Linie eine
Problemberatung (vgl. Kemper/Klein 1998, 8).
Ein abgeschlossenes Konzept zur Lernberatung scheint m.E. allerdings in den 1970er Jahren
noch nicht zu bestehen. Ersetzt man den Begriff der Lernberatung durch Selbstlernzentren,
kann man jedoch bereits in den 1970ern fündig werden. So legte die Pädagogische
Arbeitsstelle des Deutschen Volkhochschulverbands 1997 den Begriff ,,Selbstlernzentrum"
zur Diskussion vor (Tietgens 1986, 81).
Betrachtet man das Selbstlernmodell nach Schäffter (Schäffter 1981, 49), kann man bereits
Elemente der Lernberatung feststellen. So spricht er auf Seiten des Lehrers von ,,Offenem
Lernarrangement", ,,Berater" oder auch ,,Organisation eines differenzierten Lernumfeldes",
auf Seite des Lerners von ,,Individuellem Lerner", ,,Selbstorganisation" und ,,Self-

7
Management". Diese Begrifflichkeiten beinhalten bereits erste Kennzeichen von
Lernberatung.
1.1.2 Zielgruppenarbeit in den 1980er Jahren
Fuchs-Brüninghoff (2000, 81ff) verortet den Begriff Lernberatung erst in den 1980er Jahren.
Sie bezieht sich dabei auf zwei Modellvorhaben, die für die Zielgruppenarbeit
Lernberatungskonzepte entwickelten. Zum einem geschah dies in der pädagogischen
Arbeitsstelle (PAS) des Deutschen Volkshochschulverbandes
6
. Dort wurden die Projekte
Alphabetisierung und Elementarbildung in Lernberatungskonzepten in den Jahren 1982-1988
umgesetzt. Zum anderen wurde im gleichen Zeitraum vom Berufsförderungswerk Hamburg
der Modellversuch ,,Lernberatung"
7
durchgeführt.
Beide Konzepte entstanden in der Zeit der ,,Reflexiven Wende", in der es um Reflexivität
sowohl auf Dozentenseite als auch Teilnehmerseite ging. Im PAS-Konzept wurde jedoch
schnell klar, dass die Reflexionskompetenz auf Seiten der Dozenten allein nicht ausreichend
war. Praktische Kursarbeit und gleichzeitige Weiterbildung der Dozenten verband das Lehren
und Beraten. Daraus wurden Arbeitsformen wie Anfangsberatung, Gespräche über Lernen
(vgl. Fuchs-Brünninghoff 1984,87ff) und Gespräche über Sprache (vgl. Fuchs-Brünninghoff
1983, 26ff) entwickelt.
Während sich aus dem ersten Konzept die Lernberatung allenfalls ableiten lässt, impliziert der
zweite Modellversuch gleich den Lernberatungsbegriff im Gesamtkonzept. In diesem
Modellversuch ging es um ein Fortbildungskonzept ,,Lernberatung" für Lehrpersonen in der
beruflichen Weiterbildung. Die Ergebnisse wurden 1991 in vier Bänden von Harke/ Volk-von
Bialy veröffentlicht.
Obwohl die vier umfassenden Bände erst nach Abschluss des Modellversuchs 1991
erschienen, wurden einschlägige Erwachsenenbildungseinrichtungen bereits 1985 über das
Projekt informiert und das Modell anhand von Seminaren für andere Bildungseinrichtungen
expandiert (vgl. Harke 1991, 29f).
6
Die Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkhochschulverbandes ­PAS ging später in das Deutsche Institut
für Erwachsenenbildung ­ DIE über.
7
Ein interessanter Aspekt dieses Modells ist, dass hierbei nicht von einer Defizitorientierung ausgegangen wurde,
sondern es sich um eine Lehrpersonalfortbildung handelte, bei der die Qualitätsverbesserung im Vordergrund stand
(vgl. Volk-von Bialy, 1991a,9). Andererseits wurde ein Grundverständnis von Beratung ­ die Freiwilligkeit ­ außer
Kraft gesetzt, indem das Einführungsseminar Lernberatung für neue Mitarbeiter verpflichtend wurde (vgl. Volk -
von Bialy 1991a,.47).

8
Fuchs-Brüninghoff (1987)
stellte Ende der 1980er Jahre ein Lernberatungskonzept mit drei
Funktionen vor: So ging es in der Lernberatung darum, biographisch bedingte Lern- und
Handlungsmuster zu erfassen, den aktuellen Lernprozess effektiv zu gestalten und die
Umsetzung in den Alltag zu begleiten.
Dieses Lernberatungskonzept wurde in vielen weiteren Erwachsenenbildungseinrichtungen
umgesetzt und Kursleiter der Alphabetisierung und Elementarbildung wurden in Lernberatung
qualifiziert.
1.1.3 Lernberatung als ganzheitliches Konzept seit den 1990ern
In den 90ern wurde Lernberatung in Verbindung mit dem selbstgesteuerten Lernen
,,entstigmatisiert". 1999 gewann die Umsetzung des Konzepts Lernberatung sogar den
Innovationspreis, der vom DIE verliehen wird (vgl. Klein/Reutter 2005, 1).
Weiterhin bleibt
der Lernberatungsbegriff oft defizitär behaftet, da er ,,von seiner Entstehung her eng mit
TeilnehmerInnen verbunden ist, die massive Lernprobleme hatten und mehrheitlich zu den
Lernungewohnten zählten" (Kemper/Klein 1998, 10).
Lernberatung als Teil ganzheitlichen Lernens zu betrachten, dass in erster Linie auf die
Selbststeuerung abzielt, ist leider in der Fachöffentlichkeit noch keine anerkannte Normalität
(vgl. Kemper/Klein 1998, 10). Gerade im Hinblick auf das selbstgesteuerte Lernen wäre es
nach Fuchs-Brünninghoff revolutionär, wenn es gelänge, ,,auf breiter Basis sowohl ein
Bewusstsein für den Bedarf von Lernberatung zu erzeugen als auch eine Finanzierung für die
Qualifizierung des Personals zu erwirken" (2000, 94).
1.2 Begründung von Lernberatung anhand pädagogischer
Diskurse
Drei der vier in Abbildung 1 dargestellten Stränge werden im folgenden Teil ausführlicher
beschrieben und die Legitimation für Lernberatung aus der jeweiligen Sicht (s.o.) abgeleitet.
Die vier Diskussionsstränge wurden ausgewählt, weil sie im erwachsenenpädagogischen
Diskurs eine zentrale Rolle spielen. Jeder von ihnen steht für eine bestimmte Ebene. Die
gewählten Beispiele müssen sich nicht zwangsweise ausschließlich auf der jeweiligen Ebene
befinden. So spielt das Lebenslange Lernen sicherlich auch auf der Ebene des Individuums
(Kapitel 3)
eine Rolle.
Im Bezug auf bildungspolitische/ pädagogische Diskurse spielen sich
die Diskussionen aber eher auf der makrodidaktischen Ebene ab.

9
Ebene
Definition
Gewähltes Beispiel
Makrosoziologische Ebene
Beziehung zwischen ökonomischen
und sozialen Wandel und
Erwachsenenbildung
Lebenslanges Lernen
Institutionsebene
Institutionelle Organisation der
Erwachsenenbildung durch öffentliche
und private Einrichtungen
Wandel der Lernkultur
Interaktionsebene
Interaktionssstrukturen in Situationen
der Erwachsenenbildung,
mikrodidaktische Perspektive
Selbstgesteuertes Lernen
Individualebene
Individuell-biografische, soziale und
anthropologische Anknüpfungspunkte
des Lernens Erwachsener
Konstruktivismus in
erkenntnistheoretischer
Sicht
Abbildung 1: Einordnung der Diskurse in die Ebene erwachsenenpädagogischer Theorie (Arnold 2001, 76f)
Während das Lebenslange Lernen bildungspolitisch motiviert ist und u.a. von OECD,
Europarat und UNESCO gefördert wird, bleibt die erziehungswissenschaftliche Resonanz in
Deutschland eher gering (vgl. Kraus 2001, 19ff). Der Lernkulturwandel wird vor allem auf
der Institutionsebene eingeordnet, da dieser ein langfristiger Prozess ist (vgl.
Bildungskommission NRW 1995, 82), wohingegen das selbstgesteuerte Lernen als Förderung
der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden entworfen wurde (vgl. Arnold, 2001 zit.
nach Knowles 1975, 59ff). Der Konstruktivismus nimmt als Erkenntnistheorie die
Aneignungsprozesse der Lernenden in den Blick (vgl. z.B. Siebert 2001, 119; vgl.
Arnold/Schüßler 1998, 76ff).
1.2.1 Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen bedeutet, dass
,,das Lernen nicht mit dem Abschluss des Schulbesuches,
einer Ausbildung o.ä. ein Ende finde, sondern während des gesamten Lebenslaufes immer
wieder gelernt werde." (Pätzold 2008, 12). Lebenslanges Lernen erstreckt sich über die
gesamte Lebensspanne, d.h. auch die Schulbildung gehört dazu. Lebenslanges Lernen
beschreibt Konzepte des Lebenslangen Lernens und nicht die ,,schlichte Tatsache, dass
Lernen stattfindet" (ebd.).

10
Abbildung 2: Zeitstrahl Lebenslangen Lernens (Erstellt durch den Autor in Anlehnung an Kraus 2001,58; Kollewe
2009, 119)
Die Anfänge des Lebenslangen Lernens reichen bis in die 1960er Jahre zurück, in denen
Konzepte zur ,,permanent education" vom Europarat erarbeitet wurden. Kollewe (2009, 119)
verortet die Lernberatung in den 1970ern auf institutioneller Ebene und in den 1990er Jahren
mit dem Schwerpunkt auf individuelles Lernen.
Kraus (2001, 58)
sieht die Diskussionen von internationalen Organisationen in den 1970ern
als zentral an. So zeigt er auf, dass Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts
wissenschaftliche Diskurse das Lebenslange Lernen verstärkt thematisierten und Mitte der
90er Jahre eine globale Weiterbildungskampagne
8
inszeniert wurde. So erklärte z.B. der Rat
der Europäischen Union
das Jahr 1996 zum ,,Jahr des lebenslangen Lernens" und die OECD
Länder vereinbarten im gleichen Jahr ihren Aktionsplan ,,from education to learning" unter
dem Motto ,,Lifelong Learning for All" (vgl. Dohmen 1997, 10ff, Knoll 1997, 27ff).
Vereinfacht kann zwischen einer ökonomisch orientierten Richtung (OECD, EU-Kommision)
und einer gesellschaftlichen, politischen Richtung (Europarat, UNESCO) differenziert werden
(vgl. Kraus 2001, 106ff). Aus der Gesamtsicht beider Richtungen lassen sich für
Lebenslanges Lernen mehrere Ziele identifizieren (vgl. ebd., 111): Entwicklung einer
demokratischen politischen Kultur, humanistische kulturelle Orientierung, Förderung einer
gemeinsamen europäischen Identität, sozialer Zusammenhalt, Wirtschaftswachstum,
Beschäftigungsfähigkeit, die Förderung von sozialer und ökonomischer Chancengleichheit
sowie die Persönlichkeitsentwicklung.
8
Die Bewertung fällt je nach Insidern oder Outsider unterschiedlich aus. Teilnehmer sprechen von globaler
politischer Aufwertung, während Außenstehende mit einer Problemverschiebung und dem Ausstieg öffentlicher
Verantwortung argumentieren (vgl. Siebert 2001, 19).
Schwerpunkte des Lebenslangen Lernens
1970er
1990er
Internationaler globale Weiterbildungs-
Kontext Kampagne (OECD, EU Rat)
Institutionelle Individuum & Lernen
Ebene

11
Die Umsetzung anhand der Lernberatung kann nun dadurch erfolgen, dass der Lernende in
dem Prozess des Lernens begleitet wird und ein Austausch auf einer Metaebene stattfindet,
um auf das Lebenslange Lernen vorbereitet zu werden (vgl. Pätzold 2008, 13). Siebert (vgl.
2001, 20) spricht im gleichen Kontext von einer ,,Ausweitung des Lernbegriffes" und einer
,,Akzentverschiebung von Lehre zu Lernberatung", propagiert durch die von der OECD
hervorgerufene Wende ,,from education to learning".
Die Lernberatung sollte auf den Lernenden innerhalb seines eigenen Lernfeldes eingehen und
mit ihm gemeinsam den Lernbedarf feststellen. Diese daraus resultierende
Bildungsbedarfsanalyse verdeutlicht Aspekte von Lernberatung im Hinblick auf Lebenslanges
Lernen (vgl. Pätzold 2008, 13). So können zum einen die Lernziele des Individuums nicht
antizipiert werden. Zum anderen ist die Antwort darauf die Bildungsbedarfsanalyse, die mit
einem Konzept der Lernberatung abgedeckt wird.
Darüber hinaus ist ein standardisierter
Bildungskanon, aus dem man bestimmte Bildungsangebote extrahiert, nicht mehr zeitgemäß,
da sich der Weiterbildungsbedarf ständig ändert (vgl. ebd. 14f).
Daraus ergibt sich eine gewisse Orientierungs- und Hilflosigkeit der Lernenden, der durch
(Lern)beratung abgeholfen werden kann. Außerdem fördert Lernberatung den Austausch über
den Prozess des Lernens und die damit verbundenen metakognitiven Kompetenzen, die auf
das lebensbegleitende Lernen vorbereiten (vgl. Kollewe 2009, 119).
1.2.2 Selbstgesteuertes Lernen
Im Paradigmenstreit in den 1970er Jahren ging es darum, ob Bildung als ,,extensive
Wissensvermittlung" in Form von ,,Instruktion" vermittelt oder als ,,intensive
Auseinandersetzung" in Form von ,,Konstruktion" angeeignet wird. Schlagwörter wie
,,Selbstbestimmung", ,,Selbstverwirklichung", ,,Selbsterfahrung" und ,,Selbstorganisation"
waren Leitbegriffe jener Zeit, die der Konstruktion zugeordnet werden können (vgl. Siebert
2001, 13f; Reischmann 1997, 125). Während die Thematik anfangs vor allem im englischen
Sprachraum diskutiert wurde (vgl. Knowles 1975),
wurden die Diskussionen wenige Jahre
später auch im deutschsprachigen Raum wahrgenommen (vgl. Neber 1978).
Seit den 1990ern wird der Begriff des selbstgesteuerten Lernens häufiger verwendet (vgl.
Siebert 2001, 25). Er gilt momentan als ,,angemessene Antwort der Weiterbildung auf [..]
gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungsprozesse
" (Kemper/Klein 1998, 5).
Schäffter zeigt vier Diskurse des selbstgesteuerten Lernens auf: Einen bildungspolitischen,
einen pädagogisch-programmatischen, einen alltagsgebundenen und einen paradigmatischen
Diskurs (vgl. 1997, 30f). Arnold/Schüßler vereinfachen diese Diskurse auf zwei kontroverse

12
Ansätze selbstgesteuerten Lernens (vgl. 1998, 85f): Zum einen ein humanistisch orientierten
Diskurs, der sich auf Autonomie und Individualität beruft, zum anderen einen
bildungsökonomisch orientierten Ausgangspunkt, der für zukünftige Weiterbildung das
selbstgesteuerte Lernen als ökonomische Bedingung der Modernisierung sieht. Lernberatung
fügt sich in beide Ansätze ein. So bleibt die Verantwortung des Lernprozesses in der
Lernberatung beim Lernenden selbst (humanistischer Ansatz), der quasi über ein ,,enormes
Wachstumspotential" verfügt (Brockett/ Hiemstra 1991, 26f). Für die Unternehmen
(bildungsökonomischer Ansatz) steht der proaktive Zugang im Vordergrund, da sie eine
"zeitnahe, reibungslose und kostengünstige Bereitstellung aktueller benötigter Qualifikationen
erwarten" (Geldermann 2000, 4).
Die Selbststeuerung
9
betrifft die Freiheitsgrade bezüglich der Entscheidung für Lernprojekte,
Prioritäten der Lernbedürfnisse, Begründung der Lernziele, Nutzung der Lernmedien und
Lernhilfen, Lernstilen und Lernstrategien und der Bewertung der Lernergebnisse (vgl. Gnahs
1998, 62).
Ähnlich argumentiert auch Pätzold, der die verschiedenen Freiheitsgrade
10
in
Beziehung zueinander setzt und eine Abfolge bestimmt (vgl. 2001; 146,
2008; 20f). Er stellt
in diesem Zusammenhang Lernberatung als ,,Vernetzungsberatung" in den Mittelpunkt, auf
dievon der Teilnehmerseite aus zurückgegriffen werden kann.
Lernbedarfe können identifiziert und Lernziele abgeleitet werden. Aus diesen Zielen lassen
sich wiederum Ressourcen ableiten. Innerhalb dieser Ressourcen lassen sich Lernstrategien
verorten. Im Anschluss an die Implementierungsphase kann durch Lernberatung ein Abgleich
zwischen Lernzielen und Lernergebnissen erzielt werden. Die daraus resultierende
Qualitätssicherung des Lernvorgangs fördert wiederum den Entwicklungs- und Transfererfolg
des Teilnehmers (vgl. Pätzold 2008, 20f).
Die oben beschriebenen, sehr teilnehmerspezifischen Freiheitsgrade sind in klassischen
Kursen nur sehr schwer umsetzbar. Dennoch weist Faulstich (1999, 32) darauf hin, dass
Kurse nicht zwangsläufig fremdbestimmt ablaufen müssen. Genauso wenig ist Lernen im
sozialen Kontext immer selbstgesteuert. Auch Arnold (1997, 140) erkennt in
selbstgesteuertem Lernen und Seminarteilnahme keine Gegensätze mehr. Dennoch sei es
wünschenswert ,,eine Akzentverlagerung von einer stofforientierten Vermittlungsdidaktik hin
zu einer lernerorientierten Ermöglichungsdidaktik zu erhalten."
Die Lernberatung bietet sich als Antwort auf die Frage nach der Umsetzung des
selbstgesteuerten Lernens sehr gut an. Siebert spricht in diesem Zusammenhang vom
9
Da sich Lernen nicht wie ein Pkw steuern lässt, ist Selbststeuerung als Metapher zu verstehen (vgl. Siebert 2001,
27).
10
Pätzold spricht in diesem Kontext schlicht von Beratungsbereichen.

13
,,Komplementärbegriff". Selbstgesteuertes Lernen kann nicht gelehrt, sondern nur begleitet
und erleichtert werden (vgl. Siebert 2001, 98; vgl. Pätzold 2001, 146).
Durch Beobachtung
11
des Teilnehmers können Lerndiagnosen gestellt werden, die in das
Lernberatungsgespräch mit einfließen. Wie o. bei den Freiheitsgraden beschrieben, kann das
Ergebnis des Gesprächs beispielsweise die Begründung der eigenen Lernziele unterstützen
oder erleichtern (vgl. Siebert 2000, 91).
1.2.3 Wandel der Lernkulturen
Wie beim Lebenslangen Lernen handelt es sich auch beim Lernkulturwandel um einen
Diskurs und nicht um ein (ab)geschlossenes Konzept (vgl. Pätzold 2008, 15).
Die Lernkultur ist Teil der gesellschaftlichen Gesamtkultur. Und zu ihr gehören ,,die
Lernstile, Lernmotivationen, Lernthemen, Lernräume, Lernangebote, Lerneinrichtungen, die
lokale Lerninfrastruktur, die öffentliche Verantwortung und die Finanzierung des
Bildungsystems etc." (Siebert, 2001, 142) Diese Lernkulturen verändern sich in ,,
,sozioökonomischen und soziokulturellen Kontexten` und lassen sich ,nicht trennen von
,epochalen Schlüsselproblemen` " (Wolfgang Klafki, o.J., zit nach Siebert 2001b, 146).
Die Studie "Lernkultur Kompetenzentwicklung" des Forschungs- und Entwicklungs-
programms des BMBF (2001) verdeutlicht zudem, dass Lernkulturen stark generations-
abhängig sind und kulturübergreifende Ereignisse, wie Krieg (epochales Schlüsselproblem),
das Lernen sehr stark beeinflussen.
M. E. ist gerade der Aspekt interessant, dass die Lernkultur generell von außen, z. B. durch
epochale Schlüsselprobleme, zu einem Paradigmenwechsel geführt wird. Der momentane
Wandel der Lernkultur zeigt sich in einem Perspektivenwechsel von Lehrkultur hin zu
Lernkultur (vgl. Arnold, 1999, 33).
Das bedeutet, dass ich zwar auf den Umstand, dass es eine
neue Lernkultur gibt, nicht einwirken kann. Wie ich dann in dieser neuen Lernkultur handle
bzw. lerne, kann ich im Gegensatz zu der bisherigen Fokussierung auf das Lehren stark selbst
steuern. Doch wie kommt es überhaupt zu diesem Lernkulturwandel?
In Betrieben zeichnet sich der Trend ab, dass zwar Fachkenntnisse von Bedeutung sind, die
Detail- und Spezialkenntnisse hingegen von automatischen Steuerungselementen
übernommen werden (vgl. Arnold/Schüßler 1998, 1). Nicht mehr materiales Wissen, das
,,Was", das ,,Know-how", sondern reflexives Wissen, das ,,Wie", das ,,Know-how-to-know",
rücken ins Zentrum der Betrachtung (vgl. ebd. 61). Das enorm gestiegene weltweite Wissen,
sowie die damit einhergehende Halbwertszeit des Wissens, stellt eine Lernkultur, die allein
11
Siebert (2000, 91) spricht von ,,Beobachtung zweiter Ordnung".

14
am Inhalt orientiert ist, in Frage (vgl. ebd. 1). Die neue Lernkultur ist mitgeprägt von
außerfachlichen
,
methodischen und sozialen Kompetenzen. Es geht heute darum, die
Lernenden hin zu wandlungsfähigen Subjekten zu fördern (vgl. ebd. 2). Dazu kommen die
Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft, die vom Einzelnen Selbstständigkeit
erwarten (vgl. ebd. 16).
Nachdem wir der Frage nachgegangen sind, wie es zu dieser neuen Lernkultur kam, stellen
wir uns der Frage nach der praktischen Umsetzung.
Schüßler und Arnold (1998, 7f) gehen dieser Frage nach und stellen dabei drei Thesen für
institutionalisiertes Lernen auf:
1. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Weg prägen die Lernresultate
Die verwendeten Methoden prägen die Kompetenzen sehr viel stärker als die Bearbeitung von
inhaltlichen Details. Da die Kompetenzen ins Zentrum rücken, gewinnt das
Lernprozesssetting einen größeren Stellenwert.
2. Das implizite Lernen beeinflusst das Lehr-Lern-Geschehen
Werden Kommunikations- und Interaktionsverhalten im Unterricht thematisiert, wird das
implizite Lernen
12
offengelegt und gleichzeitig personale und soziale Kompetenzen gefördert.
Gerade das implizite Lernen ist für Lernhaltungen, Problemlösungsfähigkeit und
Verantwortungsübernahme zentral.
3. Der Wandel hin zu einer subjektiven Aneignungstheorie
Lernen ist kein linearer Prozess und somit kein Abbild des Lehrens. Deshalb muss Lernen
selbstorganisiert ablaufen, da es ein in sich geschlossener Prozess ist. Wohl gerade aufgrund
der Selbststeuerung betonen Arnold und Schüßler den Gestaltungsaspekt (1998, 3) und
Alltagsbezug (Arnold 1999, 31) innerhalb der Lernkulturen
13
und unterscheiden im Bezug auf
die Schule:
- ,,die Umgangs- und Verkehrsformen,
- die Verständigung über Bildungs- und Erziehungsziele,
- die in Lehr- Lernprozessen vermittelten Inhalte,
- die eingesetzten Lehr- und Erziehungsmethoden,
- die bereitgestellten Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten,
- der Kontakt der Umwelt zur Schule."
12
Implizites Lernen besteht aus der Übernahme von Haltungen, Gewohnheiten und Kompetenzen, die
unterschwellig vermittelt werden.
13
Weinberg (1999,83) verankert Lernkulturen ebenfalls nicht nur auf institutioneller Ebene, sondern auch in der
,,außenpädagogischen Lebenswelt"

15
Im Gegensatz zu Fachwissen in traditionellen Lernkulturen deuten Arnold und Schüßler
(1998, 105ff) hier eine dreifache Entgrenzung an.
1. Die Lerninhalte wandeln sich. Antizipation von notwendigen Lerninhalten wird sehr
schwer. ,,Identitätslernen" und ,,Strategisches Erschließungslernen" werden zunehmend
wichtiger (Geißler 2000, 51ff).
2. Die traditionellen Lernorte werden erweitert und auch dem informellen Lernen wird eine
größere Bedeutung zugestanden (Dohmen 2001).
3. Eine Entgrenzung der Lernsubjekte findet statt. Nicht nur Lernende, sondern ganze
Gruppen bis hin zu Gesellschaften, werden entgrenzt.
Auch hier stellt sich wieder die Frage, inwieweit die Lernberatung eine Antwort auf diese
Veränderung geben kann. Der Wandel der Lernkultur hat die Stärkung und Ermöglichung von
Reflexivität als Ziel. Beratung kann hierbei das Methodenwissen, Reflexionswissen und
Persönlichkeitswissen fördern. Auch das Lernen am Arbeitsplatz lässt sich mit der
Lernberatung vereinbaren, da die Lehrinteraktion abgebaut wird. Letztendlich kann auch auf
organisatorischer Ebene ein Zusammenhang zwischen Lernkulturwandel und
Organisationsentwicklung gesehen werden, an dem die Lernberatung ansetzen kann (vgl.
Pätzold 2008, 17f).
Die momentan stattfindende Entgrenzung der oben erwähnten Lernstile, Lernorte und
Lerninhalte macht Lernangebote aus Sicht der Lernenden nötig. Nicht die Anpassung,
sondern die Befähigung zur Selbstanpassung innerhalb des Wandels steht im Vordergrund
(vgl. Arnold/Schüßler 1998, 108). Lernberatung kann hierbei durch zeitliche Flexibilisierung,
Methodenvielfalt und bedürfnisorientierte Lernberatung(sgespräche) antworten.
1.3 Verortung des Lernberatungsbegriffs
Der Deutsche Bundestag weist der Beratung eine zentrale Rolle zu, indem er im
Entschließungsantrag von 2000 davon spricht, dass die Beratung verbessert und ein zentrales
Weiterbildungsberatungssystem ausgebaut werden soll (Schiersmann 2004, 14). Doch
inwieweit ist davon auch die Lernberatung betroffen und wie lässt sich diese von
Weiterbildungs-, Bildungs-, und allgemeiner Beratung sowie Therapie abgrenzen? Nachdem
ich zuerst Abgrenzungsversuch unternehmen werde, versuche ich anschließend, den Begriff
zu bestimmen.

16
1.3.1 Abgrenzung des Lernberatungsbegriffs
In einer Studie des BMBF wurden Einrichtungen der Bildungs-, Berufs- und
Beschäftigungsberatung befragt. Das Schaubild 3 verdeutlicht die Bedeutung und Aktualität
der Lernberatung: Lernberatung führt die ,,Hitliste" im Beratungsbereich knapp an. Fast jede
zweite Einrichtung ist mit Lernberatung in Kontakt. Allerdings zeigt das Schaubild auch die
große Heterogenität der Beratungslandschaft auf.
Was genau man unter Lernberatung versteht, beantwortet die Studie nicht, ein einheitliches
Begriffsverständnis lässt sich daraus nicht ableiten (vgl. BMBF 2007, 173).
Abbildung 3: Darstellung der Themenschwerpunkte (BMBF 2007, 173)
In einer weiteren Studie wurden Leiter von Weiterbildungseinrichtungen
14
befragt. 92%
gaben an, in ihrer Einrichtung irgendeine Form von Lernberatung anzubieten (vgl.
Schiersmann/Remmele 2004, 115f). Dabei muss allerdings beachtet werden, dass z.B. auch
Einstufungstests oder Kurswahlberatungsgespräche zu Lernberatung gezählt wurden und
nicht Beratungseinrichtungen, sondern Weiterbildungseinrichtungen befragt wurden. Somit
zeigen Schiersmann und Remmele zumindest auf, dass der Begriff Lernberatung oftmals mit
dem Begriff der WB-Beratung synonym verwendet wird.
Eine Onlinebefragung zu den Instrumenten der Bildungsberatung in 70 ,,Lernenden
Regionen" kam im Hinblick auf die Lernberatung zu einem etwas anderen, ernüchternden
14
Befragt wurden Leiter von eigenständigen WB-Beratungsstellen, sowie WB-Berater von Industrie-u.
Handelskammer. N=1377.

17
Ergebnis. Die Forschung ging der Frage nach, in welchem Verhältnis die einzelnen
Instrumente zueinander stehen. So wurden zu 43% Elemente der Orientierungsberatung, zu
51% der Kompetenzentwicklung/-erfassung, zu 3% der Karriereberatung und nur zu 3% der
Lernberatung verwendet. Zu den Instrumenten gehörten, u.a. Datenbanken gekoppelt mit
Lotsenfunktion, Fragebögen, Selbst-, Fremdeinschätzungsmaterial, Profilpass, etc. (vgl.
Zienert, 2009, 48ff).
Trotz der Aktualität von Lernberatung scheint diese noch nicht überall voll durchgedrungen
zu sein. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die meisten der ,,Lernenden
Regionen" bisher wenig oder keine Lernberatungskonzepte besitzen und vermutlich vor allem
das Lernberatungsgespräch kennen. Je nach Definition und Begriffsbestimmung von
Lernberatung kommen die Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Strukturierung der Weiterbildungsberatung
Doch Beratung nimmt nicht nur in der praktischen Umsetzung einen immer größeren
Stellenwert ein. Bereits 1970 wurde (Weiterbildungs)beratung im Strukturplan des Deutschen
Bildungsrates als Aufgabe des Bildungssystems benannt (vgl. Deutscher Bildungsrat 1970,
91ff). Dies zeigt die große Bedeutung, die der Weiterbildungsberatung schon vor 40 Jahren
zukam
15
.
Tippelt (vgl. 1997, 2) teilt die Weiterbildungsberatung in sechs unterschiedliche Beratungs-
felder ein. Er versteht Lernberatung als untergeordneter Punkt innerhalb der Weiterbildungs-
beratung neben Bildungslaufbahnberatung, motivierende Beratung, Teilnehmerberatung,
Fachberatung und Systemberatung. Pätzold unterteilt den Begriff auf der strukturellen Makro-
und Mikroebene. Im weiteren Sinne reicht nun die Weiterbildungsberatung vom individuellen
Teilnehmer bis hin zur gesamten Organisationsberatung (vgl. Pätzold 2004, 94). Im engeren
Sinne versteht man darunter ,,die Unterstützung bei der Auswahl geeigneter
Weiterbildungsangebote im Bezug auf einen konkreten Lernbedarf oder ein Lerninteresse"
(Prokop 1993, 15). Ähnlich argumentiert auch
Schiersmann (2005, 153ff). Sie unterteilt
Beratungsangebote (auf Grundlage der Bildungsberatung) in personenbezogene
Beratungsformen und organisationsbezogene Beratung. Ersterem ordnet sie sowohl die
Weiterbildungs- bzw. Kompetenzentwicklungsberatung als auch die Lernberatung unter, der
organisationsbezogenen Beratung ordnet sie die Organisationsentwicklungsberatung und die
Qualifizierungsberatung für Betriebe zu.
15
Nicht nur Lernberatung wird als Synonym für WB-Beratung angesehen, sondern generell wird Beratung im
Kontext der Erwachsenenbildung vorwiegend als Weiterbildungsberatung thematisiert (vgl. König/Bentler/Luchte
2005,123). Und auch dieser Begriff wird keineswegs eindeutig definiert.

18
Eine weitere Differenzierung der Weiterbildungsberatung nehmen Arnold und Mai (2009)
vor. Auch diese ist letztendlich nicht weit von der erstgenannten Strukturierung entfernt.
Anstelle von sechs Beratungsfeldern (Tippelt) stellen sie vier Bereiche vor. Lernberatung und
(Bildungs)laufbahnberatung sind identisch. Fachberatung wird bei Mai und Arnold durch
Informationsberatung und Teilnehmer-, System- und motivierende Beratung durch
Kompetenzberatung ersetzt. Die vier Bereiche sind über die Orientierungsberatung
miteinander verknüpft. Im Vergleich zu den bisherigen Beschreibungen wird Lernberatung in
dieser Strukturierung nicht nur als personenbezogene Beratungsform dargestellt, sondern auch
auf Weiterbildungseinrichtungen übertragen (Arnold/Mai 2009, 220).
Abgrenzung zur Therapie
Schwieriger wird die Abgrenzung zur Lebensberatung und Therapie, da Lernschwierigkeiten
und Lernängste oft eng mit der Identität zusammenhängen und Beraten evtl. dem Berater
implizit einen Therapieauftrag geben (vgl. Hohenstein, 2007, 151). In der Therapie liegt das
Hauptaugenmerk auf Heilung von außen, wohingegen in der Beratung der Fokus auf ,,Hilfe
zur Selbsthilfe" liegt. Letztendlich bleibt es unmöglich, Beratung zu 100% von Therapie
abzugrenzen, da alle Beratungstheorien aus verschiedenen Therapieformen entwickelt werden
(vgl. Kossack 2005, 54). Die Übergänge von psychologischen Beratungskonzepten zu
therapeutischen Ansätzen sind demnach fließend. So reichen psychologische Beratungen von
tiefenpsychologisch-psychoanalytischen Ansätzen über humanistische verhaltens-
modifikatorische und systemische bis zu neurolinguistischen Ansätzen. Die Entwürfe der
Lernberatung orientieren sich an Konzepten der pädagogischen Beratung, welche sich an
psychologischen Beratungskonzepten ausrichten.
Abgrenzung der Lernbegriffe
Auch die zugrunde gelegten Lernbegriffe sind verschieden. Pätzold (2004) und Siebert (2001)
greifen auf einen systemisch- konstruktivistischen Lernbegriff zurück. Kemper & Klein
(1998) orientieren sich an humanistischen Vorstellungen, verbunden mit dem von Klaus
Holzkamp (1993) entwickelten subjektwissenschaftlichen Lernbegriff. Der Lernbegriff ist für
die Lernberatungskonzeption zentral, da er festlegt, was unter Lernen und damit auch unter
Lernberatung verstanden wird. Davon wiederum hängen auch die Diagnose und die
Handlungsformen der Lernprozesse ab (vgl. Kossack 2005, 54).
Darüber hinaus lässt sich der Lernberatungsbegriff auf einer anderen, inhaltlichen Ebene
diskutieren. So macht Pätzold (2008, 136) darauf aufmerksam, dass Kemper und Klein (1998,
59) den Begriff einerseits als ,angereicherten Lehrbegriff` verstehen, der um die ,Funktion

19
des Beratens` erweitert ist und den ,gesamten Lernprozess begleitet`. Andererseits deklarieren
sie den Begriff als Beratungsgespräch im Sinne eines ,argumentativen Austausch[s] um das
Lernen`.
Schließlich ist der Lernberatungsbegriff ein Sammelbegriff und je nach Autor und zugrunde
liegender Theorie anders besetzt (Sauer-Schiffer 2004, 33). Rohs und Käppling (2004)
sprechen demnach folgerichtig von einem ,,Omnibusbegriff". Aufgrund des damit
verbundenen uneinheitlichen Verständnisses spricht Kollewe von einer ,,programmatische
Seifenblase, die geringe Auswirkungen auf [...] theoretische Fundierung und praktische
Umsetzung hat" (Kollewe 2007, 114 zit. nach Klein/Reutter 2009, 101). Pätzold führt diese
Heterogenität darauf zurück, dass dem Lernberatungsbegriff kein einheitlicher Lernbegriff zu
Grunde liegt, was zu verschiedenen Verständnissen von Lernberatung führt (vgl. Pätzold
2004, 34).
1.3.2 Definition Lernberatung
Die Abgrenzungsversuche lassen bereits erahnen, dass sich auch eine einheitliche Definition
von Lernberatung als schwierig erweisen wird. In einer relativ alten Definition des
Strukturplans Weiterbildung von 1975 zeigt Lernberatung ,,die Möglichkeit des Lernens auf,
beschränkt sich aber nicht nur auf die Vermittlung der Technik geistiger Arbeit, sondern ist
auch lernpsychologische Beratung, indem sie dazu beitragen soll, spezifische
Lernhemmungen und Lernschwierigkeiten zu überwinden. [...] Lernberatung bezieht sich auf
die Arbeit mit Unterrichtsmedien und führt in die Nutzungsmöglichkeiten der
Unterrichtstechnologie ein"
(Rohs/Käpplinger 2004, 15 zit. nach Schulenberg 1975, 62f).
Da Pätzold den Grund für die Heterogenität des Lernberatungsbegriffs im fehlenden
einheitlichen Verständnis des Lernbegriffs sieht, entwirft er eine Definition von Lernberatung
auf der Grundlage eines erwachsenpädagogischen Lern- und Beratungsbegriffs:
,,Lernberatung ist die zeitliche befristet Interaktion zwischen einem Berater und einem
Ratsuchenden mit dem Ziel, in einem bestimmten Problem- oder Handlungsbereich des
Lernens Lösungen und Strategien zu entwickeln, die dann ­ möglicherweise unter Beteiligung
des Beraters und/oder Lehrenden ­ vom Ratsuchenden implementiert werden können. Dieser
Prozess ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verantwortung für das Resultat beim
Ratsuchenden verbleibt, er verantwortet also selbst, wie er mit dem Rat umgeht. Ebenso
kommt dem Beratenden keine Entscheidungskompetenz zu" (Pätzold 2008, 175).

20
Vergleicht man die Definition des ,,Strukturplan Weiterbildung" aus dem Jahr 1975 mit der
33 Jahre jüngeren Definition von Pätzold, fällt auf, dass eine relativ große inhaltliche
Übereinstimmung herrscht. So zielt Lernberatung bei beiden Autoren darauf ab,
Schwierigkeiten und Problembereiche des Lernens durch Beratung und entsprechender
Strategienentwicklung zu beheben. Allerdings kann daraus nicht die Schlussfolgerung
gezogen werden, dass mit neuen Lernberatungskonzepten alte Inhalte nur neu verpackt und
präsentiert werden, da eine große Akzentverschiebung vorherrscht: Lernberatung ist heute
kein Konzept mehr, dass sich nur an Lernbenachteiligte richtet, sondern an alle Menschen, die
ihr Leben ,,professionalisieren" wollen (vgl. Rohs/Käppling 2004, 18).
Pätzold (2010) erörtert darüber hinaus zwei verschiedene Begriffsdefinitionen:
In der ersten Fassung bezieht er sich auf Klein/Reuter (2005) und versteht unter Lernberatung
,,eine bestimmte, gewissermaßen lernkulturelle Grundorientierung ( Lernkultur), bei der L.
als spezifische ,erwachsenenpädagogische Konzeption der Weiterbildung` bzw. als
,Lernprozessbegleitung` (ebd.) aufgefasst wird." Hier versteht Pätzold unter Lernberatung ein
geschlossenes Weiterbildungskonzept, bei dem der individuelle Lernprozess von
Dozentenseite begleitet wird. Die Lernberatung soll dabei ,,Antworten auf die Anforderungen
des lebenslangen selbstgesteuerten Lernens" aus institutioneller Sicht geben (Kemper/Klein
1998, 5).
Die zweite Fassung ,,betrachet (sic)
L. als eine spezifische Art didaktischen Handelns, bei der
Beratung mit Bezug auf einen Lernprozess stattfindet
". Sie zielt mehr darauf ab,
Lernberatung als kleinen Teil eines Ganzen zu sehen. Das Lernberatungsgespräch als
zentrales Element nimmt hier eine herausragende Stellung ein.
Die Problematik bei der Definition von Lernberatung liegt darin, dass mit Lernberatung
verschiedene Ebenen angesprochen werden. Im Gegensatz zu Pätzold, der in seiner eigenen
Definition eher auf die direkte Interaktion in Form eines Lernberatungsgesprächs eingeht,
verstehen Kemper/ Klein (1998), Volk von Bialy (1991) und Dietrich (2000) darunter ein
Gesamtkonzept, in das erwachsenenpädagogisches Handeln mit einbezogen ist.
Demgegenüber stehen neben Pätzold Vertreter wie Kossack (2006), Forneck (2005) und
Fuchs-Brüninghoff (2000), die unter Lernberatung ein Lernberatungsgespräch bzw.
zumindest eine reine Beratungsform verstehen.
Betrachtet man Lernberatung im Bezug auf die Entwicklungslinien Lebenslanges Lernen,
selbstgesteuertes Lernen und Wandel der Lernkulturen kann für mich als Antwort darauf nicht
ein Lernberatungsgespräch, sondern nur ein ganzheitliches Lernberatungskonzept stehen.

21
Auch die Funktion von Lernberatung spielt eine Rolle. So ist der defizitäre Gedanke in der
Lernberatung bei einigen Autoren
(Weinberg 2000, 103, Gieseke 2000, 11) immer noch
gegeben. ,,Unter Lernberatung wird die Beratung verstanden, die als Teil des
Lehr/Lerngeschehens der Behebung von Lernschwierigkeiten und der individuellen
Förderung dient" (Weinberg 2000, 103).
Kemper/Klein 1998, 5 beziehen Lernberatung nicht auf die Behebung von Lernproblemen,
sondern auf die Aktivierung der ,,Steuerung und Organisation ihres Lernprozesses".
,,Lernberatung[...] folgt dem Ziel, die Lernmanagement-Kompetenz der Lernenden [...] zu
fördern und zu fordern" (Klein/Reutter 2003a, 52).
Dabei soll die Wissensvermittlung durch die Förderung des aktiven Erwerbs von Wissen
abgelöst werden (vgl. Klein/Reutter 2003a, 52). Unterstützt wird der Erwerb durch Reflexion
und Weiterentwicklung von eigenem Lernverhalten, -strategien, -motivlagen und
Lebensperspektiven (vgl. Klein/Reutter 2003b, 2ff). In aktuelleren Veröffentlichungen wird
der Begriff Lernberatung durch Lernprozessbegleitung ersetzt.
Neben der Funktion und dem Grundverständnis von Lernberatung/ vom
Lernberatungsgespräch spielt auch der Ort eine Rolle: Gehe ich von einer impliziten
Lernberatung aus, die in das Lerngeschehen integriert ist, oder wird die Lernberatung zeitlich
und personell unterschieden (Kollewe, 2009, 128).
Zusammenfassend wirken die Faktoren ,,Verortung", ,,Funktion", ,,Beratungsbegriffs-,
Lernbegriffsverständnis", ,,der Zeitgeist" und auch die ,,Rahmenbedingungen" auf das
Begriffsverständnis und die Definition von Lernberatung ein. Trotz der gravierend
unterschiedlichen Verständnisse von Lernberatung gibt es grundsätzliche Gemeinsamkeiten
der Merkmale von Lernberatung im Bezug auf Erwachsenenpädagogik. So stellt sie die
,,Akteure in den Mittelpunkt des Prozesses", fasst das Lernen als ,,subjektgebundene
Vorgänge auf" und etabliert den Beratungsvorgang ,,als Bestandteil des Lernprozesses"
(Pätzold 2010).
Ich orientiere mich in meiner weiteren Arbeit an den Definitionen von Kemper/Klein/Reutter
und definiere Lernberatung als eine Lernprozessbegleitung innerhalb eines
erwachsenenpädagogischen, geschlossenen Weiterbildungskonzeptes, in dem der individuelle
Lernprozess vom Dozenten begleitet wird mit dem Ziel, die Lernkompetenzen zu fördern und
zu fordern. Lernberatung richtet sich m. E. nicht nur an benachteiligte Gruppen. Eine
Definition, welche ausschließlich benachteiligte Gruppen im Fokus hat, könnte m. E. keine
Basis für die Frage darstellen, ob Lernberatung eine Antwort auf das Lebenslange Lernen sein
kann. Denn Lebenslanges Lernen hat immer den Anspruch eines umfassenden- und damit
nicht selektiven ­ lebensbegleitenden Lernens.

22
1.4 Zusammenfassung Kapitel 1
Der Begriff Lernberatung wurde erstmals in den 1970ern breiter diskutiert. Denn
Arbeitsmarktprobleme, wie ungelernte Arbeiter stellten die berufliche Erwachsenenbildung
vor große Herausforderungen und erschwerten das Lehren. Lernberatung bezeichnete in erster
Linie eine Problemberatung. In den 80er Jahren war die Lernberatung geprägt von
Alphabetisierung und Elementarbildung. Seit den 1990ern wird die Lernberatung
ressourcenstützender betrachtet. Dennoch ist es ein Trugschluss zu glauben, dass sich die
Lernberatung innerhalb der drei Jahrzehnte von einer defizitären hin zu einer ganzheitlichen,
ressourcenorientierten Beratung gewandelt hat. Aufgrund des heterogenen
Begriffsverständnisses wird je nach Autor immer noch von einer defizitorientierten
Grundhaltung ausgegangen. Neben den zeitlichen Epochen lässt sich die Lernberatung auch
in pädagogischen Diskursen verorten und begründen. Doch der Begriff Diskurs verdeutlicht
bereits, dass es sich nicht um ein geschlossenes und einheitliches Konzept handelt, sondern
wie bei dem Begriff der Lernberatung, um ein heterogenes Begriffsverständnis. Somit wird
ein uneinheitlich verwendeter Begriff (Lernberatung) anhand gleichfalls uneinheitlicher
Diskursbegriffe legitimiert was m. E. die Begründung verwässert. In kritischer Distanz muss
auch die Ambivalenz des Begriffes aufgezeigt werden. Denn Lernberatung wird dabei zu
einem Instrument, das auf der einen Seite Freiheit für das Individuum ermöglicht, andererseits
zur Erfüllung gesellschaftlicher Zwecke eingesetzt wird. So besteht der Diskurs um das
,,Selbstgesteuerte Lernen" aus einem humanistisch orientierten Diskurs, der sich auf
Autonomie und Individualität beruft und einem bildungsökonomisch orientierten
Ausgangspunkt, der das selbstgesteuerte Lernen als ökonomische Bedingung der
Modernisierung für zukunftsfähige Weiterbildung sieht. Die Lernberatung fügt sich die
Lernberatung z.B. durch die Verantwortungsübernahme auf Teilnehmerseite als
Komplementärbegriff in beide Ansätze ein.
Innerhalb des Diskurses ,,Lebenslangen Lernens"
kann die Lernberatung den Austausch über den Lernprozess und deren metakognitiven
Kompetenzen fördern, sowie gemeinsam mit dem Lernenden den Lern-bzw. Bildungsbedarf
analysieren, da ein normativer Bildungskanon unzeitgemäß ist. Der ,,Lernkulturwandel" zeigt
sich in einem Perspektivenwechsel von einer Lehrkultur hin zu einer Lernkultur. Der Grund
hierfür ist u.a. die enorm kurze Halbwertzeit des Wissens. Nicht mehr das ,,Know-how",
sondern das reflexive Wissen "Know-how-to-know" rücken ins Zentrum der Betrachtung. Die
Lernberatung kann hierbei den Lernenden durch zeitliches Methoden-, Reflexions- und
Persönlichkeitswissen fördern.

23
Die Abgrenzung des Lernberatungsbegriffes ist aufgrund der Heterogenität der
Beratungslandschaft nicht leicht. Lernberatung bleibt ein Sammelbegriff, der je nach Autor
zugrunde liegender Theorie anders besetzt ist und folgerichtig auch als ,,Omnibusbegriff"
bezeichnet wird. Dennoch wird der Lernberatungsbegriff zumeist der Weiterbildungsberatung
untergeordnet. Dabei kommen diverse Autoren (Arnold/Mai; Schiersmann; Tippelt) zu
ähnlichen Klassifikationen der Beratungsfelder. Größtenteils wird dabei die Lernberatung als
personenbezogene Beratung konzipiert und ist somit eng an den Lernprozess gekoppelt.
In Anlehnung an vorgestellte Definitionen wird Lernberatung anschließend von mir definiert,
als eine Lernprozessbegleitung innerhalb eines geschlossenen Weiterbildungskonzeptes, in
dem der individuelle Lernprozess vom Dozenten begleitet wird. Die Lernberatung soll dabei
Antworten auf die Anforderungen des lebenslangen, selbstgesteuerten Lernens aus
institutioneller Sicht geben und ist kein Konzept, dass sich ausschließlich an Benachteiligte
richtet.
2. Lernberatungskonzepte
Gemeinsamkeiten der Lernberatungskonzeptionen
Die verschiedenen Lernberatungskonzepte
16
stellen keine völlig neuen Tatsachen dar. Ganz
im Gegenteil zeigen sie eine ganze Reihe von Übereinstimmungen. Gemeinsamkeiten von
Lernberatung sind zum einen ein Lernprozessbezug, d.h. die Lernberatung muss mit dem
Lernprozess unmittelbar zusammenhängen. Die Lernberatung geht dabei immer auf die mit
dem Lernprozess zusammenhängende Aspekte ein. Außerdem beinhalten alle
Lernberatungskonzepten eine Subjektorientierung, in der das Lernen des Teilnehmers zentral
ist. Schließlich ist noch die Professionalisierung des eigenen Lernens zu nennen. Dabei wird
durch Beratung der Lernprozess offen gelegt und dem Lernenden für zukünftige Lernprojekte
reflexiv zugänglich gemacht (vgl. Kollewe 2009, 131). Es würde den Rahmen der
Diplomarbeit sprengen, ausführlich die einzelnen Lernberatungskonzepte vorzustellen, die
mittlerweile wie Pilze aus der Erde schießen, um anschließend meine Auswahl für eines der
Konzepte zu begründen, dass ich im Bezug auf das Lebenslange Lernen empirisch analysieren
möchte. Trotzdem skizziere ich kurz gängige Lernberatungskonzepte (neben dem von
Kemper/Klein/Reutter) und erläutere meine Entscheidung für die Lernberatungskonzeption
von Kemper/Klein/Reutter.
16
Zumindest die gängigen Konzepte nach Kemper/Klein/Reutter (1998/2005), Volk von Bialy/Harke (1991),
Forneck (2005), Siebert (2006), Pätzold (2004).

24
Lernberatungskonzeption von Bialy/ Harke (1991)
In einem der ersten Lernberatungskonzepte überhaupt, dem ,,Modellversuch Lernberatung",
versuchen die beiden Autoren die Lehr-Lernsituation in der beruflichen Weiterbildung durch
Lehrpersonalfortbildungen zu verbessern. Die Lernberatung des Lehrpersonals soll
,,Früherkennung", ,,Vorbeugen" und ,,Verringern" von Lernproblemen der Teilnehmer
fördern und damit Lehr-Lernprobleme reduzieren. Erfahrungen, Ergebnisse und Anregungen
sind von dem Berufs-Fortbildungswerk Hamburg (BFW) sowie dem BIBB eingeflossen. Die
Arbeiten des Modellversuchs sind in vier Bänden 1991 erschienen. Band 1 beschäftigt sich
mit den Rahmenentscheidungen und Strategien für Lehrpersonalfortbildung. Im zweiten Band
wird eine Textkartei vorgestellt, die Grundlagenwissen im Wahrnehmen, Lernfördern und
Beraten beinhaltet. Im nächsten Band werden die Erfahrungen mit dem Konzept im BFW
Hamburg repräsentiert, bevor im abschließenden Band 4 über die Transferaktivitäten und
Verbreitung des Modellversuchs informiert wird. Die Autoren verstehen unter Lernberatung
ein Gesamtkonzept.
Lernberatungskonzeption Pätzold (2004)
Pätzold beschäftigt sich mit der Theorie der Lernberatung und gibt anschließend eine
Anregung zur Umsetzung von Lernberatung und Qualifizierung der Lernberater. Demnach
fehlt insbesondere lernungewohnten und bildungsfernen Personen die Kompetenz zum
selbstgesteuerten Lernen, sodass diese Unterstützung in Form von Lernberatung bedürfen.
Sein Verständnis von Lernberatung ist charakteristisch durch die konkrete Beratungssituation
zwischen Ratsuchendem und Berater, in der eine kooperative Bestandsaufnahme erstellt wird.
Anschließend folgt die Feststellung des Beratungsgegenstandes und des zeitlichen und
organisatorischen Rahmens. Schließlich werden die Ergebnisse verfestigt und der Transfer
hergestellt. Pätzold geht, im Gegensatz zu Kemper/Klein, expliziet auf wesentliche Prinzipien
von Beratung, wie Freiwilligkeit, Sprache und Verantwortung, ein.
Lernberatungskonzeption Forneck (2005)
Auch für Forneck ist das Selbstgesteuerte Lernen zentraler Ausgangspunkt. Für die
Umsetzung ist die Lernberatung das konstitutive Element, da zwar einerseits von Lernenden
gefordet wird, dass sie Selbstgesteuert Lernen, andererseits die damit einhergehenden
methodisch-didaktischen Konsequenzen unzureichend reflektiert werden.
Er gibt eine Antwort darauf, wie Lehr- und Lernumgebungen gestaltet werden sollten, um
Selbstgesteuertes Lernen zu ermöglichen: Er unterscheidet zwischen einer formalen und einer
materiellen Lernberatung. Ausschließlich die formale Lernberatung, die er ,,Lernentwick-

25
lungsberatung" nennt, beinhaltet die Förderung der Selbstlernkompetenzen. Die materiale
Lernberatung in Form der inhaltlichen Lernbegleitung findet in den Selbstlernarchitekturen
statt. Im Gegensatz zu Pätzold wird kein konkreter Ablauf der Lernberatung erwähnt.
Lernberatungskonzeption Siebert (2006)
Siebert betrachtet den Begriff der Lernberatung als Komplementärbegriff zum
Selbstgesteuerten Lernen. Er beleuchtet den Begriff aus konstruktivistischer Perspektive und
leitet ihn aus dieser Erkenntnistheorie ab. Damit verbunden ist seine Begründung für die
Nachhaltigkeit des Lernens. Im Mittelpunkt der Lernberatung stehen für Siebert die
Definition des Problems sowie die Analyse des Lernproblems jeweils aus Sicht des
Ratsuchenden, als auch die Durchführungs- und Erprobungsphase. Für Siebert ist
Lernberatung eine mitlaufende Methode im Lehr-Lernprozess in Form eines Gespräches.
Entscheidung für die Lernberatungskonzeption von Kemper/Klein/Reutter
Ich befasse mich in meiner Diplomarbeit insbesondere mit der Lernberatungskonzeption nach
Kemper/Klein (1998) und der Fortentwicklung von Klein/Reutter (2005), deren Verständnis
nach ,,große Teile erwachsenenpädagogischen Handelns" mit einfließen (Kollewe 2009, 131).
Die Autoren verstehen demnach unter Lernberatung ein pädagogisch-didaktisches
Gesamtkonzept (weites Verständnis), das z.B. eine methodische Vielfalt bietet, Materialien
und Medien bereitstellt, eine flexible Zeitgestaltung zulässt und somit subjektorientiert
vorgeht.
(Lern)beratung, allein als Lernberatungsgespräch verstanden (enges Verständnis) kann den
Erfolg des Lernens nicht garantierten. Neben dem Gespräch muss auch eine
Lernunterstützung im Unterricht gegeben sein (vgl. Weiss 2007, 194f). So betrachten z.B.
Pätzold (2004) und Forneck (2005) ausschließlich das Lernberatungsgespräch. M. E. müsste
stärker ein reflexiver Lernprozesses wie bei Klein/Kemper/Reuter angestrebt werden, der
durch vielfältige Anregungen stattfinden kann und nicht allein auf gesprochener
Kommunikation basieren muss. Diese Anregungen sind bei letzteren Autoren z.B. durch
Kernelemente wie das Lerntagebuch (Kapitel 2.3)
gegeben, welches
nicht zwangsläufig als
direkte soziale Kommunikationsplattform zwischen zwei Personen fungieren muss.
Des Weiteren wird das Konzept in der Praxis
17
im Gegensatz zu den Konzepten von Pätzold
(2004), Knoll (2008) und Siebert (2006) erfolgreich angewandt. So spricht Reutter (2005, 52)
17
Dazu zählen Projekte, die vom oder in Kooperation mit dem Büro für berufliche Bildung durchgeführt wurden,
z.B. das Projekt EUROOPOOL und Projektverbünde wie ProLern, TransferLernen oder SOLE.

26
davon, dass ,,die handlungsleitenden Prinzipien der Lernberatungskonzeption von
Kemper/Klein (1998) für viele Umsetzungskonzepte als orientierend gelten". Die
Lernberatungskonzeption von Klein/Kemper ist die am weitesten ausgebaute und
dokumentierte Lernberatungskonzeption im deutschsprachigen Raum. So beziehe ich mich in
meiner Untersuchung, in der ich Lernberatungsteilnehmer befragen werde (Kapitel 4), auf
eine Praxis-Umsetzung dieser Lernberatungskonzeption. Beispielsweise wäre eine Befragung
von Teilnehmern des Konzeptes nach Pätzold (2004) unmöglich, da schlichtweg keine Praxis-
Umsetzung vorhanden ist. Die Umsetzungsorientierung an Kemper/Klein zeigt sich auch in
den Literaturverzeichnissen der einzelnen Lernberatungsentwürfe. Ein Beispiel hierfür wäre
der Sammelband von Rohrs/Käpplinger zum Thema Lernberatung (vgl. Mai 2007, 61).
Ein weiterer interessanter Aspekt ist der, dass Kemper/Klein bereits 1998 im Titel von einer
Lernberatungskonzeption gesprochen haben, wohingegen andere Autoren das Wort
,,Konzeption" noch scheuen und man daher eher von Entwürfen sprechen kann. Auch wurde
,,die Lernberatungskonzeption" 1999 mit dem Innovationspreis für Erwachsenenbildung des
Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ausgezeichnet. Nicht vergessen werden dürfen
das humanistische Menschenbild und die klassische Bildungstheorie, die dem Konzept
zugrunde gelegt werden. Das humanistische und damit mit einer positiven Grundhaltung
behaftete Menschenbild ermöglicht es, von dem defizitären Charakter der Lernberatung, wie
er in den Anfängen der 70er Jahren vorherrschte, wegzukommen und ein kompetenz- und
ressourcenorientiertes Vorgehen zu präferieren. Dieses angesprochene Menschenbild stellt
den Menschen als ganzheitliches (vgl. ebd. 54), lernfähiges (ebd.77) und individuelles Wesen
(ebd. 63) dar. Das klassische Bildungsideal zeigt sich durch die Auseinandersetzung mit sich,
der Umwelt und Welt (vgl. ebd. 11).
Letztendlich ist eine Lernberatungskonzeption für meine Arbeit ideal, die das Lebenslange
Lernen als Ausgangspunkt ihrer Argumentation beinhaltet, denn es gilt, zu untersuchen,
inwieweit die Praxis der Lernberatung das Lebenslange Lernen fördert. So führen die Autoren
ihre Begründung der Lernberatungskonzeption neben dem Selbstgesteuerten Lernen,
veränderten Kompetenzanforderungen und Individualisierung auch auf das Lebenslange
Lernen zurück (vgl. Kemper/Klein 1998, 11ff). Sie sehen diese Konzeption als ,,Antwort auf
die Herausforderungen des Lebenslangen Lernens" (ebd. 17). Im Gegensatz dazu begründet
sich Lernberatung in den oben skizzierten Konzepten ausschließlich im Selbstgesteuerten
Lernen. M.E. kann nur ein ,,weites Verständnis" von Lernberatung als Antwort auf das
Lebenslange Lernen dienen.

27
2.1 Lernberatungskonzeption nach Kemper/Klein/Reutter
Die erste Fassung der Lernberatungskonzeption von Marita Kemper und Rosemarie Klein
entstand 1998 in einer Zeit, als die berufliche Verwertbarkeit des Lebenslangen und
selbstorganisierten Lernens zentral war. Dieses eingeschränkte Bildungsverständnis entsprach
nicht mehr den pädagogischen Überzeugen und Erfahrungen der Autoren, da durch die
Orientierung an informellem und selbstgesteuertem Lernen eine Abschaffung von
institutionellen Bildungseinrichtungen suggeriert wurde. Daraufhin entstand die damalige
Publikation (vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006, 2).
Außerdem sollte das Lernberatungskonzept die Diskrepanz zwischen Forderung und
fehlender Umsetzung des Lebenslangen und selbstorganisierten Lernens überbrücken. Die
Fähigkeit zum selbstorganisierten Lernen kann nicht als Kompetenz vorausgesetzt werden,
sondern bedarf lernprozessbegleitender Angebote und professionelle Unterstützung. Daraus
leitet sich die Notwendigkeit von Beratung ab. Beratung basiert auf einem Subjektverständnis,
bei dem Lernen nicht, wie oben beschrieben, auf eine funktionelle Verwertbarkeit aus ist,
sondern der Lernende individuell ausgestattet wird, um zukünftige Lebenssituationen zu
meistern (vgl. Klein/Alke 2009, 244).Entwickelt wurde das Konzept letztendlich im
Qualifizierungsprojekt EUROPOOL, welches sich an Berufsrückkehrer nach der Elternzeit
richtete (vgl. Kemper/Klein 1998,5).
Rosemarie Klein und Marita Kemper begründeten ihr Lernberatungskonzept innerhalb der
Entwicklungslinien ,,Lebenslanges Lernen", ,,Selbstgesteuertes Lernen" und ,,Wandel der
Lernkulturen", die bereits zu Beginn dieser Arbeit erläutert wurden. Weitere Einordnungen
fanden u.a. innerhalb des Problems der Heterogenität, des Schlüsselqualifikationsansatzes
nach Mertens als auch der themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn statt. Insbesondere
die themenzentrierte Interaktion lässt die humanistische Grundhaltung erkennen.
Das Ziel der Lernberatungskonzeption war eine Konzeption zu erstellen, die Individuen zum
Lernen ermutigt und ihnen Gestaltungsräume zu geben, um ihre Lernpotenziale bestmöglich
zu entfalten (vgl. Klein/Reuter/Wenzig 2006, 2).
Die empirische Basis der Weiterentwicklung des Konzeptionsverständnisses beruhte
maßgeblich auf folgenden Projekten: Zum einen der Projektverbund ProLern ,Innovative
Beratungskonzepte für selbstorganisiertes Lernen` (2002-2003), in dem kompetenzbasierte
neue Lehr-/Lernkulturen entwickelt wurden. Zum anderen das österreichische Projekt SOLE
(Selbstorgansiertes Lernen Erwachsener), dass sich zwischen 2003/2004 an
Weiterbildungspersonal richtete und dessen Prozesse und Ergebnisse mit einbezogen wurden
(vgl. Klein/Reuter/Wenzig 2006,3; Klein/Reutter 2005,2f).

28
2.2 Handlungsleitende Prinzipien
Wie bereits unter der Definition von Lernberatung beschrieben, verstehen die Autoren
Lernberatung ,,als eine prozessbegleitende Konzeption, weshalb wir [die Autoren] auch öfter
anstelle von Lernberatungskonzeption von prozessbegleitender Lernberatung sprechen"
(Klein/Reutter/Wenzig 2006, 3). Die Lernberatung gibt die Struktur und den Rahmen vor, in
der handlungsleitende pädagogische Prinzipien Anwendungen finden. Dieser Rahmen
ermöglicht auf der einen Seite große Prozessoffenheit und Flexibilität. Auf der anderen Seite
stehen unterstützende Elemente, um die Lernprozesse zu strukturieren und Verantwortungen
zu klären. Dieser Rahmen ermöglicht ein Entdecken und Entfalten von Selbstorganisation im
Lernen und dient darüber hinaus dazu, lebenslang zu lernen (vgl. ebd.). Für die Autoren
implizieren die Prinzipien eine wertkonservative Haltung. Sie gehen zwar nicht mehr von der
in den 1970er Jahren propagierten gesellschaftsverändernden Kraft von Bildung aus. Dennoch
sehen sie die Prinzipien als Chance, ,,Individuen in Organisationen durch Lernen und
Kompetenzentwicklung die Mitgestaltung gesellschaftlicher Realität zu ermöglichen" (Klein
2006b, 18). Diese Prinzipien werden im folgenden Teil kritisch betrachtet.
2.2.1 Teilnehmerorientierung als Verantwortungsteilung
Eines der handlungsleitenden Prinzipien ist die Teilnehmerorientierung. Um eine
Teilnehmerorientierung im Sinne einer Verantwortungsteilung herzustellen, wird dem
erwachsenen Lerner zuallererst die Mündigkeit zugesprochen. Nur aus diesem Verständnis
heraus kann legitimiert werden, dass der Lernende an der Stoffauswahl und
Curriculumserstellung partizipiert. Individuelle Lernziele werden mit den vorgegebenen
fachlichen verbunden. Gleichzeitig übernimmt der Lernende Verantwortung für den eigenen
Prozess des Lernens. Teilnehmerorientierung bedeutet Verantwortungsteilung zwischen
Lernenden und Lehrenden. Dabei wird die Bereitstellung von Expertise und reflexiven
Beratungsangeboten ausbalanciert. Auch die Lernenden sind gleichzeitig Expertiseträger, die
über Beratungskompetenzen verfügen, die den Mitlernenden bereit gestellt werden können
(vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006; Kemper/Klein 1998, 39f).
Eine zu starke Verantwortungsübernahme gleich zu Beginn der Lernberatung kann jedoch
dazu führen, dass die Verantwortungsübergabe für den Lernprozess als Belastung
aufgenommen wird. Die vermeintlich größere Freiheit könnte sich ins Gegenteil wenden,
indem der Lernende sich eingeengt fühlt und einem zu großen Druck ausgesetzt sieht. Der

29
Lernprozess würde dadurch stark behindert werden. Insbesondere bei niedrig-
selbstgesteuerten Lernern könnte dieser Effekt auftreten.
Kritisch wird die Verantwortungsübernahme auch dann, wenn dadurch zukünftig eine
weitgehende Verlagerung der Verantwortung für Weiterbildungsentscheidungen und -
organisation auf die Individuen bzw. Arbeitnehmer stattfindet. Dadurch würde die Qualität
und Sicherheit der Lernergebnisse gemindert, da der Druck mit der Forderung nach
Selbstorganisation der notwendigen Lernprozesse zum einen ein schlechter Ratgeber bei der
Auswahl und zum anderen ein schlechter Motivator für immer neue Lernprozesse ist (vgl.
Drexel 2009, 108). (Mehr dazu im Kapitel 2.2.3).
2.2.2 Biografieorientierung
Neben der Verantwortungsteilung stellt die Biografieorientierung eine weitere
Handlungsform dar. Denn jeder Lernprozess hat eine Geschichte und ist daher abhängig von
der eigenen Biografie. Diese Biografieerfahrungen sind uns meist nicht bewusst. Eine
lebendige Auseinandersetzung kann Lernerfahrungen und Barrieren aufzeigen und ist
gleichzeitig Voraussetzung für aktives Lernen. So bestimmen Lernerfahrungen der Kindheit
aktuelle Lerninteressen (vgl. Kemper/Klein 1998, 40). Darüber hinaus können durch die
Reflexion der eigenen Biografie ungenutzte Ressourcen entdeckt werden.
Biografieorientierung zielt darauf ab, dass man Subjekt und nicht Objekt seiner selbst bleibt
(vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006, 4). Ein Wegdriften aus der eigenen Lebensmitte trotz
,,Diskontinuitäten und Identitätsumbrüchen" kann dadurch verhindert werden. Die Person
bleibt steuerungs- und handlungsfähig. Lern- und Berufserfahrungen, verbunden mit
gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen, werden zum Ausgangspunkt des eigenen
Lernens.
Die Biografieorientierung birgt immer die Gefahr des Abdriftens in therapeutische Bereiche.
In der Lernberatung soll allerdings ein Abhängigkeitsverhältnis vermieden werden. Von
Seiten des Lehrenden ist deshalb Fingerspitzengefühl gefragt, um einen zu starken
therapeutischen Bezug zu vermeiden. (Mehr dazu unter Kapitel 2.3.2)

30
2.2.3 Kompetenzorientierung und Anschlussfähigkeit
Die Fähigkeiten des Lernenden und nicht die Defizite
18
sind zentraler Ausgangspunkt der
Lernberatung. Motivation und Lernerfolg stellen sich eher bei der Offenlegung der Stärken
und Kompetenzen ein. Durch die Kompetenzorientierung sollen eigene Fähigkeiten erkannt
werden, die als Voraussetzung zur Verantwortung des eigenen Lernprozesses dienen.
Altes Wissen wird mit neuem verknüpft. Die Lernziele werden mit Lernbereitschaft und
Lerninteresse in Kontakt gebracht. Gerade in Zeiten mit ständig wechselnden Anforderungen
an Wissen und Können ermöglicht das Bewusstmachen der biografischen Kontinuitätslinien,
sich auf Neues einzulassen (vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006, 5; vgl. Kemper/Klein 1998,
42f). Auch aus didaktischer Sicht ist die Kompetenzorientierung wichtig, denn ,,nur wer die
Kompetenzen der Lernenden sehen und wertschätzen kann, kann sie zu Mitverantwortlichen
für die Gestaltung ihrer Lernprozesse machen und ihnen eigenverantwortliches und selbst
gesteuerten Lernen zutrauen" (vgl. Klein 2005a, 33). Kompetenzorientierung darf auch nicht
als Tabuisierung von Problemlagen oder Defiziten verstanden werden. Das Prinzip,
Teilnehmende ernst zu nehmen, bedeutet gleichzeitig auch Schwächen zu betrachten. Doch
die Grundhaltung gegenüber dem Teilnehmer ist eine positive (vgl. ebd.). Eng verbunden mit
der Kompetenzorientierung ist das Prinzip der Sicherung von lern- und lebensbiografischer
Kontinuität. Gerade in Zeiten von Diskontinuität ist das Offenlegen von Kontinuitätslinien der
Biografie eine zentrale Voraussetzung, neues Wissen an altes Wissen anschlussfähig zu
machen (vgl. ebd. 33f). Erst wenn Individuen sich über die eigene Kontinuität bewusst sind,
können Lerninteressen in den Zusammenhang von zukünftiger Handlungskompetenz gestellt
werden um daraus Lernziele abzuleiten. Ein immer größerer Veränderungsdruck in Zeiten
neuer Diskontinuitäten sowie Erfahrungen der Entwertung beruflichen Wissens setzt das
Bewusstwerden von Kontinuitätslinien der eigenen Biographie voraus, um sich auch
zukünftig Veränderungen stellen zu können (vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006, 5).
Kompetenzorientierung und Anschlussfähigkeit lassen sich nicht ohne jegliche Kritik ad acta
legen. Zweifelsohne sind diese Prinzipien in der Lernberatung sehr sinnvoll. Doch auf was
zielen diese Kompetenzen ab? Bedeuten Selbst-Kompetenzen wirklich Freiheit für das
Individuum? Ist das Individuum dabei nicht größeren Risiken ausgesetzt? Steht die
Anschlussfähigkeit wirklich im Bezug zum eigenen Wissen und Erfahrungen oder geht es
mehr darum, sich an bestimmte Strukturen anzupassen, um den Anschluss nicht zu verpassen?
18
Auch Defizite und Schwierigkeiten werden in dem Konzept behandelt. Sie stellen aber keinen Ausgangspunkt
dar, da Erwachsene nicht mit einem defizitären Charakter behaftet werden.

31
Der Kultursoziologe Sennett beschreibt in seinem soziologischen Werk ,,Der flexible Mensch
­ die Kultur des neuen Kapitalismus" (2006, 159ff) den Begriff ,,Scheitern". Am Beispiel
ehemaliger IBM-Mitarbeiter (hochqualifizierte Ingenieure) zeigt er auf, wie diese versuchen,
Verantwortliche für die eigene Arbeitslosigkeit zu finden. Nachdem Vorgesetzte und
Billiglohnländer als Verantwortliche ausgeschlossen werden, kommen sie zu dem Schluss,
dass sie aufgrund des persönlichen Willen und der Wahlmöglichkeiten selbst für das
Scheitern verantwortlich sind. Um der Entlassung vorzubeugen, hätten sie ihr eigenes Leben
in die Hand nehmen müssen.
Die Problematik der Verantwortungszuweisung und Übernahme kann aus Individuensicht als
Bedrohung und Risiko wahrgenommen werden, da die scheinbare Aufwertung der
Selbstkompetenzen mit der Verflechtung von Erwerbsarbeit und Privatheit verbunden ist. Die
,,Vertrieblichung" der Lebensführung führt dann zu dem, von Sennett beschriebenen
Anschein, dass das (Privat)Leben einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen sei. Diese
Furcht, das Leben nicht mehr selbst in der Hand zu haben, erscheint nicht ganz unbegründet,
wenn durch Jahresarbeitszeitkonten oder ,,Arbeiten-on-demand" das Verfügen über die eigene
Zeit genommen wird und der gesellschaftliche Wert über die Integration in Erwerbsarbeit
definiert wird (vgl. Reutter 2005, 57).
Somit ist heutzutage jeder für sein eigenes Lebensglück zuständig. Strukturelle Ursachen
eines Unglücks, die außerhalb des Einflusses der Person stehen, werden nicht mehr
thematisiert, da jeder selbst für sein Glück in die Hand nehmen muss. Verstärkt wird dieser
Prozess durch die Koppelung von Beruf und Privatleben.
Die Kompetenzbilanzierung kann außerdem dazu führen, dass sich durch Bewusstmachen
verdrängter Berufswünsche/-interessen Widerstand bis hin zur Ablehnung des Verfahrens
breit macht (vgl. Käppling, 2005, 108). Auch die Frage, welches professionelle Wissen auf
Beraterseite notwendig ist, um keinen Schaden anzurichten ist noch nicht geklärt.
Nichtsdestotrotz können Kompetenzbilanzen die Aufgeschlossenheit der Teilnehmer erhöhen
und Impulse für Reflexionen liefern, was die Grundlage für ein erfolgreiches
Lernberatungssetting ist. (vgl. ebd., 110). (Weitere Kritik zur Kompetenzorientierung unter
dem Instrument Profilpass im Kapitel 2.3.7)
2.2.4 Reflexionsorientierung
Wie bereits bei Biografie- und Kompetenzorientierung erwähnt, spielt die Reflexion der
eigenen Lernprozesse eine große Rolle. Doch nicht nur eine Erweiterung von Wissen und
Kompetenzen ist wichtig, sondern auch eine Veränderung von Einstellungen und

32
Erwartungen. Anstöße kommen von außen, doch die Steuerung muss von dem Lernenden
selbst ausgehen. Im Gegensatz zu Handlungswissen können Einstellungen zum Lernfortschritt
von außen schwer überprüft werden. Gerade deshalb ist die Selbstreflexion wichtig, da diese
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf Wechselwirkung hin überprüft. Doch nicht nur
die eigene, auch die kollektive Reflexion ist von großer Bedeutung. Durch diese Verzahnung
individueller und gemeinschaftlicher Lernreflexion entsteht eine Dynamik des Lernens als
interaktiver Prozess. Gleichzeitig werden soziale Kompetenzen gefördert (vgl.
Klein/Reutter/Wenzig 2006, 5; vgl. Klein 2005a, 34f). Die nachfolgende Abbildung zeigt die
Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ebenen auf.
Abbildung 4: Ebenen der Reflexion (Kemper/Klein 1998,46)
2.2.5 Orientierung an Lerninteressen
Ausdauer, Konzentration und Energie sind für das Lernen erforderlich. Sie werden dann
bereitgestellt, wenn die Lerninteressen beachtet werden. Karl-Heinz Arnold (2008, 293) zeigt
auf, dass zwischen Lernergebnis und Lerninteresse ein Zusammenhang von r =.30 herrscht.
Demnach wirken sich die Lerninteressen relativ stark auf das Ergebnis aus.
Lerninteressen sind mehr als kurzfristig von außen herangetragene extrinsische Motivationen,
wie Belohnung und Bestrafung. Demnach soll anstelle der Frage nach Motivation die Frage
nach den Lerninteressen der Teilnehmer nachgegangen werden. Diese Lerninteressen können

33
u.U. auch gegenläufig sein, dafür wird aber die Selbstverantwortung für den Lernprozess
übernommen.
Um den Lernerfolg zu gewährleisten, müssen und werden die Lerninteressen offen gelegt und
in didaktische Entscheidungen mit einbezogen. Lernziele werden formuliert, anschließend
Lerninhalte und Lernwege gestaltet (vgl. Klein/Reutter/ Wenzig 2006, 6; Klein 2005a, 35f).
Probleme treten bei der Anwendung dieses Prinzips auf, wenn die Lerninteressen von
Teilnehmern tatsächlich gegenläufig sind. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass einige
Instrumente (u.a. Lernkonferenz, Gruppendiskussion) in der Lernberatung eingesetzt werden,
die auf einen kollektiven Austausch unter den Lernenden basieren, können sie den
gemeinsamen Lernprozess behindern. Auch gemeinsam gefasste Lernziele bedürfen m. E.
wohl zeitintensive Konsensdiskussionen, insbesondere wenn vorher individuelle Zieltrainings
durchgeführt wurden.
Darüber hinaus kann Partizipation durch Transparenz und Interaktion verstärkt werden.
Transparenz des Lernprozesses und Lerngeschehens kann erreicht werden, indem Didaktik
und Methodik erläutert werden. Fragen, die u. a. erläutert werden können, sind: Sind die Ziele
des Lernprozesses, die Personen, der Inhalt, die Zeitregulierung fest oder offen? Durch
Interaktion kann dann das Lern- Lehr- Setting auf individueller und kollektiver Ebene
ausgehandelt werden (vgl. Klein/Reutter/ Wenzig 2006, 6f; Kemper/Klein 1998, 47f).
2.2.6 Prozessorientierung
Lernberatung gestaltet sich, wie bereits beschrieben, als interaktiver Prozess. Dieser ist nie
abgeschlossen. Die Prozessorientierung bietet gegenüber geschlossenen Curricula besondere
Chancen, da in sozialen Lernsituationen entstandene Lernfelder aufgegriffen werden können.
Das birgt allerdings auch die Gefahr der Überforderung, da Sicherheiten wegzubrechen
scheinen (vgl. Klein/Reutter/ Wenzig 2006, 7). Doch die Prozessorientierung arbeitet genau
mit diesem Phänomen. Es soll gelernt werden, Unsicherheiten und Verunsicherungen
auszuhalten und mit ihnen zu leben (vgl. Klein 2005a, 38).
2.3 Kernelemente und deren Anwendungskontext
Im Folgenden werden Hilfsmittel vorgestellt, die Lernvorgänge offenlegen sollen. Der
Darstellung ist eine kritische Betrachtung angeschlossen. Die Instrumente, die ich von
Kemper/Klein (1998), Klein/Reutter (2005) und Klein/Reutter/Wenzig (2006) vorstelle,

34
entstammen der Lernberatungskonzeption der Autoren (vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2006, 7).
Sie teilen dabei die Instrumente und Verfahren in verschiedene Anwendungsmöglichkeiten
auf. So fallen für sie unter die Instrumente für biografiebezogene Reflexion und
Zielentwicklung u.a. das Lerntagebuch, das Zieltraining und die Kompetenzbilanzierung.
Weitere Umsetzung findet durch ,,Medien und Materialien für selbstorganisiertes Lernen"
statt. Darunter fallen z. B. der Lernquellenpool, die Lernendenbibliothek sowie Zugänge für
die Lernenden zur ,,Lehrerbibliothek" (ebd.). Daneben stehen ,,Instrumente und Verfahren für
kollektive Reflexion zur Planung individueller und kollektiver Lernschritte", unten denen sich
Lernkonferenz, Planungskonferenz und Praxisbesuche befinden (ebd.). Darüber hinaus gibt es
Instrumente zur ,,Bilanzierung von Lernergebnissen", worunter sich Fachreflexion, Feedback
und Selbstevaluation einordnen lässt (ebd.).
2.3.1 Lerntagebuch
Das Lerntagebuch ist eines der zentralen Instrumente der Lernberatung. Es dient der
Unterstützung von Beratungsgesprächen und langfristig angelegter Lernberatung. In diesem
Tagebuch bzw. Logbuch werden persönliche Erwartungen, Eindrücke sowie Lernziele und
deren Realisierung beschrieben. Es ermöglicht eine persönliche Dokumentation, Sicherung
von Lernergebnissen und trägt zur Reflexion des Lernens bei. Außerdem fördert es die
Selbstbeobachtung und die Verantwortungsübernahme für den Lernprozess (vgl. Knoll 2008,
104; vgl. Kemper/Klein 1998, 82). Typische Inhalte des Tagebuches sind Informationen über
den Kurs, lernbiografische Methoden, Lernziele und Lerninteressen, diverse Reflexionen,
Selbst- und Fremdeinschätzung sowie eine Lernübersicht. Diese Inhalte des Lerntagebuches
entstehen im Prozess des Lernens und werden nicht als fertige Kladde angeboten. Das
Lerntagebuch bringt dann den erhofften Erfolg, wenn im Kurs Lernzeit für das Tagebuch zu
Verfügung gestellt wird und das Element von allen Seiten mitgetragen wird (vgl.
Klein/Reutter/Wenzig 2001a, 2f). Eine interne Erhebung des Stephanuswerk Isny, in der die
medizinische Rehabilitation als Arbeitsschwerpunkt gilt, ergab, dass 1/3 der lernschwachen
Teilnehmer das Lerntagebuch regelmäßig nutzten. Dies wurde als Erfolg bewertet. Dennoch
müssten für die anderen 2/3 anschlussfähige Alternativen angeboten werden, um die (Schrift-)
Sprache weniger zu betonen (vgl. Behlke 2005, 173). Das Lerntagebuch ist dann kritisch zu
betrachten, wenn es, wie in Schulen häufig vorkommend, als Noten- bzw. Machtinstrument
zweckentfremdet wird. Es wird dann eben nicht, wie von den Autoren beschrieben, als
persönliches Instrument gebraucht, sondern vom Lehrer eingefordert und durchgelesen.
Inwieweit das Tagebuch dann noch als persönliche Reflexion gelten kann und nicht soziale
Erwünschtheit hervorruft, ist mehr als fraglich. Allein schon die Bezeichnung

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,,(Lern)Tagebuch" verbietet eine unfreiwillige Einsicht von außen. Auch als alleiniges
Methodenelement ist es nicht geeignet - da es ,,subjektiven argumentativen Vorbereitungen
für kollektive Reflexionen in der Lerngruppe dient" sollte eine gemeinsame Reflexion
stattfinden (Klein 2005, 41).
2.3.2 Zieltraining
Das Lerntagebuch wird ergänzt durch das Zieltraining, das speziell die Lernzielentwicklung
im Fokus hat. Da Teilnehmer selten mit attraktiven Zielen, sondern oft aus anderen
Beweggründen in eine Veranstaltung gehen, setzt das Zieltraining Impulse, um die
Zielentwicklung zu fördern. Lernen braucht Ziele. Erst durch die Auseinandersetzung mit
subjektiven Lernzielen kann eine Verantwortungsübernahme im Lernen vollzogen werden.
Darüber hinaus verbinden persönliche Ziele Motivation und Persönlichkeit (Grube 2005,
132ff). Gerade für Lernschwache ist das Zieltraining interessant. Denn ihnen fällt es deutlich
schwerer, erreichbare Ziele zu formulieren als lernstärkeren Personen (vgl. Behlke/Grube
2005, 43). Kritisch wird das Zieltraining meiner Meinung nach dann, wenn in der Praxis aus
dem Zieltraining eine Zielvereinbarung hervorgeht. Diese Zielvereinbarung käme dann einer
Leistungskontrolle gleich, die allenfalls ins Innere einer Person verlagert wird. Im
betrieblichen Kontext würde das schlussfolgernd bedeuten, dass die Ziele des Arbeitgebers in
den Zielen des Arbeitnehmers münden: ,,Die Beschäftigten sollen das, was sie (tun) sollen,
vorher wollen" (Epping 2005, 66).
Doch nicht nur beim Lerntagebuch und Zieltraining können Gefahren für den Teilnehmer
entstehen: Generell bergen Lernberatungselemente, die mit Biografieorientierung arbeiten,
Risiken. So kann zum einen durch das Aufbrechen verdrängter Probleme eine therapeutische
Intervention notwendig sein, die in einem Bildungssetting nicht geleistet werden kann.
Pädagogen sind keine Therapeuten (vgl. Siebert 1991, 10).
Eine weitere Gefahr besteht in Gruppen mit instabilem Gruppengefüge, weil es durch das
Erzählen unliebsamer Biografien zu Ausgrenzung von Teilnehmern kommen kann. Die
biografische Offenheit scheitert dann, wenn nicht von Dozentenseite eingelenkt wird (vgl.
Holtschmidt 2005, 86). Darüber hinaus läuft der biografische Ansatz Gefahr, in
individualisierten Anekdoten stecken zu bleiben, sowie Erinnerungen unverbunden
nebeneinander stehen zu lassen. Biografieorientierung alleine genügt nicht. Ein gezieltes
Reflexionsangebot muss gegeben sein (ebd.). Letztendlich bleibt noch die ethische Frage, wie
viel Offenheit bezüglich Privatheit und Intimität gefordert werden darf (ebd. 90).

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2.3.3 Lernkonferenz
Unter Lernkonferenz wird ein Beteiligungsmodell verstanden, unter dem alle Beteiligten eine
gemeinsame Beratung durchführen. Die Konferenz hat die Aufgabe, individuelles und
kooperatives Lernen zu verbinden, die Teilhabe am Inhalt und der Organisation zu vergrößern
und ein Übungsfeld für Lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Dieses wird im Hinblick auf
das ausgerichtet, was wichtig ist, wohin man sich selbst entwickelt, was störend und
förderlich ist. Darüber hinaus werden soziale und methodische Kompetenzen durch
Kommunikationsformen wie Gruppenmoderationen, Diskussionen und Feedbackrunden
erweitert. Umgesetzt wird das Modell Lernkonferenz durch eine persönliche Reflexion,
gefolgt von einer Blitzlichtrunde mit anschließender Interaktion und Gruppenreflexion und
schließlich beendet durch eine Feedbackrunde an die Moderatoren (vgl. Klein/Reutter/Wenzig
2001b, 2; vgl. Kemper/Klein 1998, 97ff).
2.3.4 Lernquellenpool
Unter dem Begriff Lernquellenpool verstehen die Autoren ein offenes Selbstlernzentrum, das
dem selbstgesteuerten, individuellen Erarbeiten von Wissen und Informationen sowie deren
Vertiefung dient. Das Material des Lernquellenpools kann aus aktueller Fachliteratur,
Skripten und selbsterstellten Ordnern und Arbeitsaufgaben bestehen. Außerdem können
computerbasierende Materialien wie ein Internetzugang zur eigenen Recherche,
Lernprogramme sowie eine entsprechende Linksammlung, die zu geeigneten Datenbanken
führt, verwendet werden. Der Lernquellenpool ist kein statisches Angebot, sondern erweitert
sich mit den Interessen der Teilnehmer. Laut den Autoren werden hierbei von den
Teilnehmern oft ,,weiche Fächer" wie z.B. ,,Lernen lernen" oder Rhetorik gewünscht und der
Pool dementsprechend erweitert. Ähnlich wie beim Lerntagebuch führt der Lernquellenpool
dann zum erhofften Erfolg, wenn das Kernelement integraler Bestandteil ist und dafür
Seminarzeit zu Verfügung gestellt wird (vgl. Klein/Reutter/Wenzig 2001d, 2). Forneck gibt
zu bedenken, dass das selbstgesteuerte Lernen nicht das ,,Reich der Freiheit" sei, indem
Lernquellenpools eingesetzt werden - bei den Lernquellenpools würden personale Medien
durch apersonale, fremdproduzierte Lernmaterialen als Steuerung ersetzt (2002, 250ff).
Von den Autoren nicht angesprochen, doch durchaus sinnvoll wäre auch das Portfolio zu
nennen. In ihm könnten die aus dem Lernquellenpool für den eigenen Lernprozess
entnommenen Materialien gesammelt werden. Es zeigt den individuellen Lernstand und
Lernfortschritt auf und reflektiert die eigene Kompetenzentwicklung. Im (Selbst-)Studium
wird das Portfolio oft als (alleiniges) individualisiertes Instrument zur Steuerung und

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842830608
DOI
10.3239/9783842830608
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg – Fakultät I: Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften, Erwachsenenbildung
Erscheinungsdatum
2012 (April)
Note
1,7
Schlagworte
lernberatung lebenslanges lernen qualitative inhaltsanalyse analyse beratung
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Titel: Lernberatung als Beitrag zur Förderung der Bereitschaft Lebenslangen Lernens
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