Lade Inhalt...

Die Zufriedenheit mit Second Best Solutions von Konsumgütern in Abhängigkeit eines Ortswechsels

©2006 Diplomarbeit 130 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Ich nehme das zweitbeste Steak und für meine Frau den zweitbesten Fisch.“ Das Zitat entstammt einem Werbespot der DWS Investment GmbH, bei dem ein älterer Herr, in einem offenbar edlen Restaurant sitzend, für seine Frau und sich eine Bestellung aufgibt. Der Szene folgt eine weitere, die wohl die Situation einer Belagerung darstellen soll, in der ein Polizist, den vermeintlichen Verbrecher auffordert: „Das ist die letzte Warnung! Gleich schicken wir unseren zweitbesten Mann“. In der letzen Szene bekundet eine Frau, während sie in den Armen eines Mannes liegt: „Das war die zweitbeste Nacht, die ich je hatte“. Warum aber nur das Zweitbeste, wird sich der Kunde während des Betrachtens des Spots fragen.
Die vorgestellten Szenen spielen sich in Situationen ab (in einem noblen Restaurant, bei einer Geiselnahme, nach einer aufregenden Nacht), in denen es für den Zuschauer höchst unplausibel erscheint, warum man sich mit dem Zweitbesten begnügen sollte. Es scheint normal, dass niemand das Zweitbeste wählen wird, dass niemand nur die Aufmerksamkeit des zweitbesten Polizisten haben möchte und dass niemand nur der Zweitbeste sein möchte. Unterstrichen wird dieser Umstand noch durch die im Fernsehspot vermittelte Botschaft: „Geben Sie sich nicht mit dem Zweitbesten zufrieden!“ Der Werbespot zeigt auf eine humorvolle Art und Weise, dass man sich in der Regel nicht wünschen wird, nur das Zweitbeste zu bekommen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der Konsument sich nicht vielleicht doch in besonderen Fällen mit einer Second Best Solution zufrieden gibt. Einen solch besonderen Fall könnte beispielsweise ein Ortswechsel darstellen.
Gerade in der heutigen Gesellschaft, die durch einen schnellen Wandel von Raum- und Zeitvorstellungen geprägt ist, wird von Menschen bzw. Arbeitnehmern eine erhöhte Mobilität gefordert. Die Bedeutung des Marksegments der Personen, die einen Ortswechsel vorgenommen haben, wird deutlich, wenn man in den Statistischen Datenreport des Jahres 2004 schaut:
Im Jahr 2003 haben 3,806 Mill. Personen ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands gewechselt. Bezieht man diese Zahl auf 1.000 Einwohner, erhält man die so genannte Mobilitätsziffer. Sie gibt Aufschluss über die Häufigkeit, mit der (die, Anm. d. Verf.) Einwohner eines Gebiets ihren Wohnsitz wechseln. 2003 betrug die Mobilitätsziffer rund 46, d. h. fast jeder 20. Einwohner ist in jenem Jahr innerhalb Deutschlands von einer Gemeinde in eine andere […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Roland Wendt
Die Zufriedenheit mit Second Best Solutions in Abhängigkeit eines Ortswechsels
ISBN: 978-3-8366-0211-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität des Saarlandes, Saarbrücken, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
Seite
1 Einleitung ... 7
2 Problemstellung und Arbeitsdefinitionen... 10
3 Der Ortswechsel als komplexe Situation: Wesen, Bedeutung und
Besonderheiten ... 12
3.1
Kriterien zur Einordnung eines Ortswechsels... 12
3.2
Der Ortswechsel als bedeutender Einschnitt in die
Lebensgewohnheiten des Individuums... 13
3.3
Einflussfaktoren auf den Einlebungsprozess ... 18
3.4
Besonderheiten des Ortswechsels: Die Schwierigkeit des Sich-
Zurecht-findens und Sich-Einlebens als Folge verschiedener
Restriktionen... 20
3.4.1
Orientierungsproblematik durch das Fehlen von kognitiven
Ankern... 21
3.4.2
Veränderung des sozialen Umfelds als Ursache für
Einlebungsschwierigkeiten ... 25
3.5
Assimilation bzw. Adaption an die neue Umgebung: Orientierung
als Zusammenspiel aus Erfahrungen und neuen Eindrücken ... 28
3.5.1
Festhalten an vorhandenen Verhaltensmustern: Orientierung
durch Wiedererkennung ... 29
3.5.2
Die Suche nach dem Unbekannten: Orientierung als
konstruktiver Prozess ... 32
4 Die Entscheidung des Konsumenten im Spannungsfeld des Ortswechsels ... 35
4.1
Der typische Entscheidungsprozess und seine Veränderung durch
den Ortswechsel... 36
4.1.1
Determinanten des Entscheidungsprozesses ... 36
4.1.2
Ablauf des Entscheidungsprozesses... 40
4.1.3
Einflussfaktoren auf den Entscheidungsprozess ... 46
4.2
Bewertung der Kaufentscheidung: Zufriedenheit trotz vorhandener
Restriktionen... 49
4.2.1
Zufriedenheit als Prozess ... 51
4.2.2
Kritik an den Zufriedenheitsprozessesmodellen unter
Berücksichtigung der Themenstellung... 55
4.3
Das Bedürfnis nach Zufriedenheit: Veränderung verschiedener
Variablen des Entscheidungsprozesses als Reaktion auf den Ortswechsel ... 57

2
4.3.1
Bewältigung des Informationsmangels: Zufriedenheit durch
Vereinfachung des Entscheidungsprozesses ... 59
4.3.2
Goal Setting und Goal Striving als Grundstein für Zufriedenheit ... 62
4.3.3
Kontextabhängige Präferenzen als Resultat des Ortswechsels ... 64
5 Second Best Solution als möglicher Schritt der Anpassung und Erlangung
von Zufriedenheit ... 65
5.1
Second Best Solution: Definition und wissenschaftliche Einordnung... 66
5.2
Umstände, die beim Konsumenten zur Entscheidung für eine Second
Best Solution führen ... 67
5.3
Der Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Second Best
Solution... 72
5.3.1
Akzeptanz des Ortswechsels: Zufriedenheit durch das Loslösen
von alten Verhaltensmuster... 73
5.3.2
Anpassung des Anspruchsniveaus ... 75
5.3.3
Zufriedenheit durch den Umgang mit dem erwartetem Bedauern... 78
5.3.4
Die Suche nach Rechtfertigung für die Entscheidung: Reduktion
und Vermeidung kognitiver Dissonanz... 80
5.3.5
Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit mit Second Best
Solutions... 81
6 Implikationen für das Marketing... 83
6.1
Nutzung der Eingewöhnungsphase durch Willkommenspakete... 83
6.2
Ladengestaltung als Orientierungshilfe... 84
6.3
Wege in die Ortsunabhängigkeit... 86
6.3.1
Kundenloyalität als Wettbewerbsvorteil ... 86
6.3.2 Multichannel
Strategie:
Vom Versandhandel zum Mobile
Commerce ... 88
6.3.3 Mobile
Produkte... 93
6.3.4
Garantie- und Service-Leistungen als Ende der
Ortsgebundenheit ... 94
6.3.5
Standardisierung und Differenzierung im Kontext des
Ortswechsels ... 95
7 Fazit und Ausblick... 97
Anhang ... 101
Literaturverzeichnis... 111

3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 - Aufbau der Arbeit ... 9
Abbildung 2 - Mögliche Dimensionen der Mobilität... 12
Abbildung 3 - Hauptcharakteristika der Komplexität eines Ortswechsels ... 15
Abbildung 4 - Dimensionen der Orientierung ... 29
Abbildung 5 - Einflussfaktoren der Informationsaufnahme ... 42
Abbildung 6 - Der Einfluss von Erfahrungen und Produktkenntnis auf die
Informationssuche ... 43
Abbildung 7 - Das Kaufverhalten von Konsumenten beeinflussende Faktoren ... 47
Abbildung 8 - Ursachen der kognitiven Dissonanz bei einem Ortswechsel... 50
Abbildung 9 - Bedauern im Entscheidungsprozess ... 56
Abbildung 10 - Wirkungskette der Kundenzufriedenheit... 88
Abbildung 11 - Die Zufriedenheit mit Second Best Solutions in
Abhängigkeit eines Ortswechsels ... 97
Abbildung 12 - Interviewleitfaden ... 101
Abbildung 13 - Elemente des Entscheidungsprozesses und ihre Verbindungen ... 102
Abbildung 14 - Schematische Darstellung der Hypothese über die Beziehung
zwischen Einstellung und Kaufwahrscheinlichkeit ... 103
Abbildung 15 - Modell des Lernen von Konsumenten durch Analogie ... 104
Abbildung 16 - Typen und Wichtigkeit der persönlichen Informationsquellen ... 105
Abbildung 17 - Typen und Wichtigkeit der unpersönlichen Informationsquellen .. 106
Abbildung 18 - Modell des Coping-Prozesses... 107
Abbildung 19 - Graphische Darstellung der Second Best Solution... 108
Abbildung 20 - Zukunft des Internets als Konkurrent zum stationären Handel ... 109

4
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 - Das IKEA Konzept ... 96
Tabelle 2 - Wanderungen über die Gemeinde-, Kreis- und Landesgrenzen ... 110
Tabelle 3 - Produktspezifische Bezugsgruppenabhängigkeit ... 110

5
Abkürzungsverzeichnis
Anm.
Anmerkung
Aufl.
Auflage
B2B
Business
to
Business
B2C
Business
to
Consumer
B2E
Business
to
Employee
C/D
Confirmation/Disconfirmation
d. des
e.g.
exempli gratia (zum Beispiel)
et al.
et alii (und andere)
f.
und folgende (Seite)
ff.
und folgende (Seiten)
hrsg.
herausgegeben
LAN
Local
Area
Network
Nr.
Nummer
o.V.
ohne
Verfasserangabe
PDA
Personal Digital Assistant
UMTS
Universal Mobile Telecommunication System
Verf.
Verfasser

7
1
Einleitung
,,Ich nehme das zweitbeste Steak und für meine Frau den zweitbesten Fisch."
1
Das Zitat entstammt einem Werbespot der DWS Investment GmbH, bei dem ein älte-
rer Herr, in einem offenbar edlen Restaurant sitzend, für seine Frau und sich eine
Bestellung aufgibt. Der Szene folgt eine weitere, die wohl die Situation einer Belage-
rung darstellen soll, in der ein Polizist, den vermeintlichen Verbrecher auffordert:
,,Das ist die letzte Warnung! Gleich schicken wir unseren zweitbesten Mann". In der
letzen Szene bekundet eine Frau, während sie in den Armen eines Mannes liegt:
,,Das war die zweitbeste Nacht, die ich je hatte".
Warum aber nur das Zweitbeste, wird sich der Kunde während des Betrachtens des
Spots fragen. Die vorgestellten Szenen spielen sich in Situationen ab (in einem nob-
len Restaurant, bei einer Geiselnahme, nach einer aufregenden Nacht), in denen es
für den Zuschauer höchst unplausibel erscheint, warum man sich mit dem Zweitbes-
ten begnügen sollte. Es scheint normal, dass niemand das Zweitbeste wählen wird,
dass niemand nur die Aufmerksamkeit des zweitbesten Polizisten haben möchte und
dass niemand nur der Zweitbeste sein möchte. Unterstrichen wird dieser Umstand
noch durch die im Fernsehspot vermittelte Botschaft: ,,Geben Sie sich nicht mit dem
Zweitbesten zufrieden!"
Der Werbespot zeigt auf eine humorvolle Art und Weise, dass man sich in der Regel
nicht wünschen wird, nur das Zweitbeste zu bekommen. Im Folgenden soll der Frage
nachgegangen werden, ob der Konsument sich nicht vielleicht doch in besonderen
Fällen mit einer Second Best Solution zufrieden gibt. Einen solch besonderen Fall
könnte beispielsweise ein Ortswechsel darstellen.
Gerade in der heutigen Gesellschaft, die durch einen schnellen Wandel von Raum-
und Zeitvorstellungen geprägt ist, wird von Menschen bzw. Arbeitnehmern eine er-
höhte Mobilität gefordert. Die Bedeutung des Marksegments der Personen, die einen
Ortswechsel vorgenommen haben, wird deutlich, wenn man in den Statistischen Da-
tenreport des Jahres 2004 schaut:
1
Zitiert aus einem Fernsehspot der DWS Investment GmbH (02.08.2006).

8
,,Im Jahr 2003 haben 3,806 Mill. Personen ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands
gewechselt. Bezieht man diese Zahl auf 1.000 Einwohner, erhält man die so genannte
Mobilitätsziffer. Sie gibt Aufschluss über die Häufigkeit, mit der (die, Anm. d. Verf.)
Einwohner eines Gebiets ihren Wohnsitz wechseln. 2003 betrug die Mobilitätsziffer
rund 46, d. h. fast jeder 20. Einwohner ist in jenem Jahr innerhalb Deutschlands von
einer Gemeinde in eine andere umgezogen" (Statistisches Bundesamt, 2005, S. 52,
vgl. Tabelle 2, im Anhang).
Damit wird klar, dass die Gruppe der Menschen, die sich in einer Umzugsituation
befinden, eine nicht zu vernachlässigende Zielgruppe für die Marketingstrategen
darstellt, und zwar nicht nur für diejenigen Unternehmen, deren Geschäftfeld direkt
mit dem Prozess des Umzuges verbunden ist (Umzugsunternehmen), sondern ebenso
für alle Unternehmen am neuen Wohnort der Umgezogenen (vgl. Bell, 1969a,
S. 14).
2
Im Folgenden wird daher untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Zu-
friedenheit mit Second Best Solutions von Konsumgütern in Abhängigkeit eines
Ortswechsels gibt.
Zunächst wird die Frage aufgeworfen, ob ein Ortswechsel für den Konsumenten eine
Situation bedeutet, die eine Änderung seines normalen Verhaltens nach sich zieht.
Daraufhin wird untersucht, wie sich die gewonnenen Erkenntnisse auf das Kaufver-
halten und dabei im speziellen auf das Entscheidungsverhalten des Konsumenten
auswirken. Dieser Teil der Untersuchung beschäftigt sich damit, wie der Konsument
durch Variationen seines Verhaltens bewusst oder unbewusst versucht, die Auswir-
kungen des Ortswechsels auf den Entscheidungsprozess auszugleichen, um seine
Bedürfnisse zufrieden stellend zu erfüllen.
Ein möglicher Schritt der Anpassung, auf den ein besonderes Augenmerk gelegt
wird, kann dabei die Entscheidung für eine Second Best Solution sein. Wie eine sol-
che zustande kommt und wie sie mit dem Bedürfnis nach Zufriedenheit in Einklang
zu bringen ist, wird im anschließenden Teil der Untersuchung dargestellt.
2
Verstärkte Bedeutung wird Personen, die ihren Wohnort wechseln von Bell (1970, S. 3. ff.) und
Carman (1974, S. 11 ff.) beigemessen, die davon ausgehen, dass Personen, die öfters umziehen,
durchschnittlich eher zu den besser Verdienenden gehören. Da die Mobilität in den letzen 30 Jahren
zugenommen hat und verstärkt von allen sozialen Schichten verlangt wird, ist diese Annahme jedoch
fragwürdig.

9
Die Untersuchung mündet in die Frage, welche Folgerungen aus den gewonnenen
Erkenntnissen für das Marketing gezogen werden können. Es werden Vorschläge
unterbreitet, wie man die Gruppe der Umgezogenen als Zielgruppe ansprechen kann
und wie es möglich ist, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.
1. Einleitung
2. Problemstellung und
Arbeitsdefinitionen
3. Der Ortswechsel als komplexe
Situation: Wesen, Bedeutung und
Besonderheiten
4. Die Entscheidung des
Konsumenten im
Spannungsfeld des
Ortswechsels
5. Second Best Solution als
möglicher Schritt der
Anpassung und Erlangung
von Zufriedenheit
6. Implikationen für das Marketing
7. Fazit und Ausblick
Inter
vi
ew
s
Abbildung 1 - Aufbau der Arbeit
(Quelle: Eigene Darstellung)
Zur Erhärtung der Ergebnisse der Untersuchung wurde im Zeitraum vom 17. Juli bis
zum 7. September 2006 eine begrenzte empirische Erhebung durchgeführt. Ort der
Erhebung war Saarbücken. Eine Gruppe von 25 Personen, unter denen 13 weiblich
und 12 männlich waren, wurde an Hand eines Interviewleitfadens (vgl. Abbildung
12, im Anhang) in Einzelinterviews zu ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Um-
ziehen und dem Konsumverhalten am neuen Wohnort befragt. Das Durchschnittalter
der Befragten beträgt 29,2 Jahre, und die Betreffenden sind durchschnittlich 5,56
Mal umgezogen. Die Befragungen wurden Face-to-Face oder telefonisch durchge-

10
führt, mit Hilfe eines Diktiergerätes aufgenommen und sind der Untersuchung in
transkribierter Form in einem gesonderten Band beigelegt.
2
Problemstellung und Arbeitsdefinitionen
Der Untersuchung liegt die Vermutung zu Grunde, dass es einen Zusammenhang
zwischen Ortswechsel und der Wahl von Second Best Solutions sowie hiermit er-
langter Zufriedenheit gibt.
Zu Beginn werden diese drei Begriffe eingeführt und dann im späteren Verlauf der
Untersuchung in ihren Zusammenhängen beschrieben.
Zufriedenstellung der Bedürfnisse der Konsumenten ist ein zentraler Bestandteil je-
des Marketingkonzepts. Nach Hanan und Karp (1989) ist: ,,Customer satisfaction (..)
the ultimate objective of every business: not to supply, not to sell, not to service, but
to satisfy the needs that drive customers to business"
3
. Zufriedenheit ist dabei das
einzige Konstrukt im Marketing, das Vorkaufsverhalten mit dem Nachkaufverhalten
des Konsumenten verknüpft (vgl. Dubé und Schmitt, 1991, S. 52). So führt die Zu-
friedenheit mit einer Marke zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt
wieder gekauft wird, zu Markenloyalität, positiver Mundpropaganda und höherer
Ertragskraft des Unternehmens (vgl. Somasundaram, 1993, S. 215). Der Zufrieden-
heit gegenüber steht die Unzufriedenheit. Mögliche Reaktionen des Konsumenten
auf Unzufriedenheit sind beispielsweise (1) das Wechseln der Marke und Ablehnung
des Geschäftes, das das Produkt angeboten hat, (3) Beschwerden gegenüber dem
Verkäufer oder einer dritten Partei und (3) die Informationen über das nicht zufrie-
den stellende Produkt oder Geschäft an andere zu vermitteln (vgl. Richins, 1983, S.
68).
Anhand der Konsequenzen, die Zufriedenheit bzw. auch Unzufriedenheit hat, lässt
sich ihre Wichtigkeit für ein Unternehmen bereits erkennen. Im späteren Verlauf der
Arbeit werden zwei der wichtigsten Modelle der Zufriedenheitsforschung untersucht
und auf das Thema adaptiert.
Second Best Solutions werden im Zusammenhang dieser Untersuchung als Entschei-
dungen für die zweite Wahl oder zweitbeste Lösung verstanden. Zur genauen Ab-
grenzung dessen, was aber suboptimal, die zweitbeste Alternative oder eine zweite
3
Zitiert nach Patterson (1993, S. 449 f.).

11
Wahl ist, ist es zunächst notwendig zu klären, was das Optimum bzw. das Beste ist.
Einhorn und Hogarth (1981, S. 55) schlagen vor, ,,decisions or judgments that ma-
ximize or minimize some explicit and measurable criterion (e. g. profits, errors, time)
conditional on certain environmental assumptions and a specific time horizon" als
optimal anzusehen, und unterstreichen dadurch den konditionalen Charakter von
Optimalität.
Die Definition ist jedoch nur ausreichend, wenn ein einzelnes Ziel verfolgt wird.
Gerade in komplexen Situationen werden aber zumeist verschiedene Ziele verfolgt
(vgl. Bettman, Luce und Payne, 1998, S. 188). Die Verfolgung verschiedener Ziele
wird zu einem kognitiven Konflikt führen. Der Versuch, Optimalität unter Beschrän-
kung auf ein einzelnes Kriterium zu definieren, ist daher fragwürdig (vgl. Einhorn
und Hogarth, 1981, S. 56 f.).
Bedingt durch die Schwierigkeiten, eine ausreichende Definition für Optimalität zu
finden, fällt auch die Festlegung und Abgrenzung des Zweitbesten schwer. Verein-
facht kann man aber zumindest sagen, dass, wenn man sich unter suboptimalen Ge-
gebenheiten für ein Optimum entscheidet, sich dieses jedoch von der Alternative
unterscheidet, die man unter normalen Gegebenheiten treffen würde, es sich um eine
Second Best Solution handelt.
Unter einem Ortswechsel versteht man den räumlichen Wechsel von einem Standort
zu einem anderen. Der Begriff des Ortswechsels lässt sich dem Oberbegriff Mobilität
zuordnen. Mobilität, von dem lateinischen Wort ,,mobilitas" ­ frei als Beweglichkeit
oder auch Biegsamkeit übersetzt ­, beschreibt die Fähigkeit, sich in bestimmten
Handlungsräumen zu bewegen (vgl. Knie, 1997, S. 41). Man spricht im Kontext von
Mobilität von einer räumlichen, sozialen oder auch von gedanklicher Bewegung. Für
die vorliegende Untersuchung ist jedoch die geographische Mobilität in einer lang-
fristigen Dimension interessant (vgl. Abbildung 2). Durch einen Ortswechsel entsteht
für das Individuum ein Mobilitätsraum, in dem individuelle Handlungsstrategien
geplant und auf ihre Realisation geprüft werden (vgl. Knie, 1997, S. 41). In der fol-
genden Untersuchung wird daher, obwohl sie eigentlich nur auf geographische Mobi-
lität zielt, auch gezeigt werden, inwiefern räumliche Mobilität zugleich gedankliche
Beweglichkeit verlangt.

12
Mobilität
Geographische
Mobilität
Berufliche
Mobilität
Jobbedingte
Mobilität
Kurzfristige
Perspektive
Langfristige
Perspektive
Tagespend-
lermobilität
Umzugsmo-
bilität
Vertikale
Mobilität
Horizontale
Mobilität
Beruflicher
Aufstieg
Beruflicher
Abstieg
Berufs-
wechsel
Entrepre-
neurtum
Arbeitgeber-
wechsel
Wochenend-
pendlermobilität
Abbildung 2 - Mögliche Dimensionen der Mobilität
(Quelle: vgl. Otto, 2004, S. 11)
3
Der Ortswechsel als komplexe Situation: Wesen, Bedeutung und
Besonderheiten
3.1
Kriterien zur Einordnung eines Ortswechsels
Die Gründe, aus denen Individuen einen Ortswechsel vornehmen, sind ebenso zahl-
reich wie unterschiedlich. Umzüge können ausbildungs-, studiums- oder berufsbe-
dingt sein, daraus resultieren, dass dem Lebenspartner gefolgt wird, oder auch ein-
fach darauf beruhen, dass der Drang verspürt wird, etwas Neues kennen zu lernen
(vgl. Schweitzer, 1990, S. 33, Andreasen, 1966, S. 342; Dette und Dalbert, 2005, S.
1720). Die Auflistung der Gründe, aus denen sich Menschen für einen Ortswechsel
entscheiden, ist notwendigerweise unvollständig. Da jeder Mensch anders ist und
jede Lebenssituation durch jeweils eigene Gegebenheiten geprägt ist, sind auch die
Anlässe für einen Ortswechsel sehr verschiedenartig.
Die Untersuchung wird sich hauptsächlich mit den Problemen des Konsumenten in
der Einlebungsphase beschäftigen, weshalb zur Differenzierung von Ortswechseln

13
auch nur solche Kriterien herangezogen werden, die einen Einfluss auf diesen Pro-
zess haben.
Eine grobe Gliederung lässt sich beispielsweise bezüglich der Freiwilligkeit der Mo-
bilität machen. Zschocke (2005, S. 15) unterscheidet in Push-Motivation, die durch
Zwängen bestimmt wird, und Pull-Motivation, die einen freiwilligen Charakter auf-
weist. Die Freiwilligkeit der Motivation hat einen entscheidenden Einfluss auf den
Assimilationsprozess nach einem Ortswechsel. Dies wird unten näher darzulegen
sein.
Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Dauerhaftigkeit eines Ortswechsels.
Hat jemand geplant, den Ortswechsel nur als Zwischenstation anzusehen, und nicht
die Absicht, sesshaft zu werden, wird seine Motivation, sich in seiner Umgebung
einzuleben oder sich z.B. neuen Freizeitaktivitäten zu widmen, eher gering sein (vgl.
Schweitzer, 1990, S. 128).
Ebenfalls ist es für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung, über welche Dis-
tanz der Ortswechsel stattfindet (vgl. Darden und Perreault, 1976, S. 53). Der Umzug
in die Nachbarwohnung, was ja laut Definition auch schon einen Ortswechsel dar-
stellt, zieht offenkundig keine stärkeren Einschnitte und Veränderungen in den Ver-
haltensmustern des Konsumenten nach sich (vgl. Bell, 1969a, S. 2 f.).
Schließlich kann für die folgende Untersuchung von Bedeutung sein, ob der Umzie-
hende alleine den Wohnort wechselt oder ob er dies mit einer oder mehreren Be-
zugspersonen (Familienangehörigen, Studien- oder Arbeitskollegen) tut.
3.2
Der Ortswechsel als bedeutender Einschnitt in die Lebensgewohnheiten des
Individuums
,,Der Umzugstag setzt dieser milden Selbstverblendung ein gnadenloses Ende.
Schluß mit dem Routinebetrieb und seinen falschen Gewißheiten! Die ganz großen
Fragen kehren triumphierend auf die Tagesordnung zurück: Wer sind wir - ohne
unseren alten Eßtisch? Woher kommen wir - und woher diese scheußliche Vase?
Wohin gehen wir - und brauchen wir dort doch ein Büffet?" (Lau, 1998).
Der Autor dieses Zitates fängt die Dramatik eines Umzuges bereits ziemlich präzise
ein. Etwas allgemeiner formuliert kann man sagen, dass das Besondere an einem
Ortswechsel seine Plötzlichkeit, Akzentuiertheit, Deutlichkeit (vgl. Schweitzer, 1990,
S. 9), Unausweichlichkeit und Unübersichtlichkeit ist (vgl. Abbildung 3).

14
Probleme, mit denen sich der Konsument konfrontiert sieht, müssen nicht zwingend
Probleme sein, die für ihn neu sind oder die er nicht aus seinem gewohnten Alltag
kennt. Sie treten in der Situation des Umzugs schlagartig auf und verlangen eine
schnelle Lösung. Hinzu kommt, dass der Umzug als Multiplikator gesehen werden
kann, da Probleme zumeist massiv und akzentuiert auftreten. Zu beachten ist weiter,
dass im Zuge des Ortswechsels auch solche Probleme auftreten, deren sich das Indi-
viduum im alltäglichen Leben gar nicht bewusst ist. So fällt der Aufbau sozialer
Netzwerke vielleicht grundsätzlich schwer, das Individuum war sich dessen aber
nicht bewusst, da die Bildung des bestehenden Netzwerkes über Jahre hinweg gelau-
fen ist (vgl. Schweitzer, 1990, S. 9). Unter der Unausweichlichkeit wird verstanden,
dass der Zugezogene nicht die Möglichkeit hat, den Problemen aus dem Weg zu ge-
hen oder sie aufzuschieben
4
. Ein Umzug verlangt bestimmte Entscheidungen und
Problemlösungen. All die bereits genannten Faktoren führen zu einer Unübersicht-
lichkeit und damit dazu, dass der Umziehende das Ausmaß der gesamten Umzugsi-
tuation zumeist unterschätzt. Das Individuum ist geneigt zu vergessen oder zu ver-
drängen, ,,dass die Übersiedlung in eine andere Gegend notwendigerweise ein Über-
maß an Ärger und Unbequemlichkeit mit sich bringt. (...) Vielleicht ist die häufigste
Ursache für diese Unterschätzung der Kosten (psychische und finanzielle Kosten des
Umzugs, Anm. d. Verf.), dass (..) (die Individuen, Anm. d. Verf.) vorher und von
außen nur die dramatischen und spektakulären Aspekte der Handlungslinie wahr-
nehmen und versäumen, den großen Anteil kleiner Routineaufgaben zu sehen, die
der Kurs, ist er einmal eingeschlagen, in sich birgt" (McCall und Simmons, 1974, S.
251). Das Zusammenspiel dieser Faktoren macht das Gewicht eines Ortswechsels
aus.
4
Er kann z.B. nicht eine ,,No-Choice" Alternative wählen, was nach Dhar (1997, S. 215), mit Beru-
fung auf das Vernunftsprinzip, logisch konsequent wäre, wenn bei einer Auswahl keine der dargebo-
tenen Alternativen die gewünschte Attraktivität verspricht.

15
Abbildung 3 - Hauptcharakteristika der Komplexität eines Ortswechsels
(Quelle: Eigene Darstellung)
Es gibt weitere Gründe dafür, dass der Ortswechsel ein solch bedeutendes Ereignis
für den Menschen darstellt.
Ungeachtet der unterschiedlichsten Anlässe für einen Umzug ist mit dem Ortswech-
sel für das Individuum zumeist auch der Beginn eines neuen Lebensabschnitts ver-
bunden. Das Individuum erfährt dabei Veränderungen in jeglichem Umfeld (vgl.
Andreasen, 1966, S. 342). Zwar wird es sich in den meisten Fällen wieder genauso
wie vor dem Ortswechsel in Freizeitaktivitäten oder anderen Dingen des Alltags zu-
rechtfinden, dies wird aber, bis auf einige Ausnahmen, in einem anderen Rahmen
stattfinden (vgl. Schweitzer, 1990, S. 31). Andreasen (1984, S. 785) vermutet weiter,
dass je größer die Veränderung des Status quo ist, desto stärker auch die Verände-
rung des gesamten Lebensstils sein wird. Ein Ortswechsel kann vom Konsumenten
als Anstoß zur Überprüfung bestimmter Verhaltensweisen oder gar zur Umorganisa-
tion des Lebens genutzt werden. Dadurch, dass bestehende Verhaltensmuster in be-
stimmten Bereichen gebrochen werden, kann es zusätzlich zu einem Wandel in Be-
reichen kommen, die nicht direkt mit dem Umzug verbunden sind. Somit lässt sich
erklären, warum sich ein Haushalt nach einem Umzug ein neues Auto oder einen
Kühlschrank zulegt, obwohl es diese Dinge tatsächlich nicht neu braucht. Ebenso
kann es sein, dass das Individuum nach einem Umzug plötzlich sein Interesse für ein
bestimmtes Hobby entdeckt (vgl. Andreasen, 1984, S. 785).
Ortswechsel
Unausweichlich-
keit
Deutlichkeit
Plötzlichkeit
Akzentuiert-
heit
Unübersicht-
lichkeit

16
Eine räumliche Veränderung führt außerdem zu einer Veränderung der Persönlich-
keit bzw. der Persönlichkeitsmerkmale. Viele Rollen, die das Individuum in seinem
Alltag innehat, sind genauso wie Erfahrungen, auf denen die Persönlichkeit des Indi-
viduums beruht, an räumliche Gegebenheiten gebunden (vgl. Dürrschmidt, 2000, S.
45). Das Individuum neigt dazu, sich selbst durch Objekte in seiner Umgebung zu
definieren. Haustiere und Personen seiner Umgebung können beispielsweise Teile
seines erweiterten Selbst (extended self) werden (vgl. Belk, 1988, S. 151 ff.). ,,Beim
Umzug aber gerät die Ordnung dieser Dinge durcheinander, und das ist eine ziemlich
heikle Erfahrung. Man ist vielleicht übergangsweise gezwungen, mehrere Tage ohne
die vertrauten Dinge zuzubringen - und stellt fest, dass der ganze Mensch, für den
man sich hält, eine ziemlich wackelige Bastelarbeit ist, die nur den Anschein einer
gewissen Plausibilität angenommen hat" (Lau, 1998). Verlässt das Individuum also
seine vertraute Umgebung, wird es die ortsgebundenen Bestandteile seines Selbst
zurücklassen (vgl. Berger, 1971, S. 68)
5
. Erfahrungen, die ortsgebunden sind, werden
ihm vermutlich nur teilweise in seiner neuen Umgebung weiterhelfen.
Auch im sozialen Umfeld des Wegziehenden wird es zu Veränderungen kommen. Es
findet eine Art ,,Desozialisation" statt, bei der sich das Individuum aus seinem sozia-
len Umfeld löst. Dieser Vorgang läuft auf zwei Ebenen ab. Zum einen auf der Ebene
der primären sozialen Kontakte und zum anderen auf der Ebene der informellen
Kontakte. Unter erstere fallen die Kontakte zu Freunden, Bekannten, guten Nachbarn
usw. Das Individuum wird zwar, zumindest eine Zeit lang, noch Kontakt mit diesem
Personen pflegen, der Umgang wird aber schwächer. Die zweite Ebene betrifft die
informellen Kontakte. Das kann der Kontakt zur Verkäuferin in der Bäckerei, zum
Arzt oder zum Nachbarn am Ende der Straße sein, den man jeden Morgen freundlich
gegrüßt hat. Der Kontakt zu diesen Personen wird komplett abgebrochen (vgl.
Schweitzer, 1990, S. 53 ff.).
Zwei weitere Faktoren, die die Besonderheit eines Ortswechsels ausmachen, sind
zum einen der Umstand, dass ein Umzug zumeist als stressige
6
Situation empfunden
wird, und zum anderen der Umstand, dass er oft mit erhöhten finanziellen Aufwen-
dungen einhergeht.
5
Zitiert nach Schweitzer (1990, S. 66).
6
,,Stress kann allgemein als intensiver, unangenehmer Spannungszustand in einer stark aversiven
Situation verstanden werden, dessen Vermeidung als subjektiv wünschenswert erlebt wird" (Häcker
und Stapf, 2004, S. 917).

17
Munton (1990, S. 402 ff.) belegt in einer Studie über jobbedingte Wohnortwechsel,
dass ein Großteil der Befragten einen Umzug als stressig empfindet
7
. Nach seinen
Untersuchungen fanden 75 % der Befragten den Umzug stressiger als ,,nur minimal
stressig", und 40 % schätzten den Umzug von ,,ziemlich stressig" bis ,,sehr stressig"
ein.
Konsumenten empfinden Umzugsituationen deshalb als stressig, weil sich durch sie
eine Lebensveränderung erfahren, die zu Orientierungslosigkeit und physischer
Krankheit führen kann (vgl. Andreasen, 1984, S. 785). Auch Otto (2004, S. 14 f.)
geht davon aus, dass ein Umzug für das Individuum neben positiven auch negative
Konsequenzen hat. Nach ihrer Ansicht hat ein Umzug Auswirkungen auf mentale
Gesundheit, Stress und Wohlbefinden. Beispiele für Faktoren, die vom Individuum
als Auslöser für Stress empfunden werden, sind beispielsweise das Wegziehen von
der Familie, der Verlust sozialer Verknüpfungen, Veränderungen der Lebensstan-
dards oder solche Prozesse, die direkt mit dem Umzug in Verbindung stehen. Dazu
gehören die Auflösung der alten und die Suche nach einer neuen Wohnung oder auch
das Einarbeiten in einen neuen Job (vgl. Munton, 1990, S. 403).
Stress ist also eine Folge der bereits vorgestellten Charakteristika eines Ortswechsels.
Verstärkt wird der Stress durch einen empfundenen Zeitdruck. Stress ist ein Faktor,
der sich nicht nur auf den Umzug auswirkt, sondern auch auf weitere auf Prozesse im
alltäglichen Leben. Stress macht das Individuum zum Beispiel beeinflussbarer durch
Dritte. Das kann sowohl positive als auch negative Folgen für das Konsumverhalten
haben. So neigt ein Konsument unter Stress beispielsweise dazu, sich zu überhasteten
und unüberlegten Käufen verleiten zu lassen (vgl. Andreasen, 1984, S. 785).
Die Bedeutung eines Ortswechsels beruht zudem darauf, dass ein Umzug immer mit
zusätzlichen Kosten verbunden ist. Da bei den durchgeführten Interviews überdurch-
schnittlich viele junge Personen, die noch nicht im Berufleben stehen bzw. gerade
erst darin eingetreten sind, interviewt wurden, ist fehlendes Geld einer der am häu-
figsten genannten Faktoren, durch die das Konsumverhalten der Befragten in deren
neuer Umgebung geprägt wird. Die Befragung der Personen, die bereits im Berufle-
ben stehen, lässt jedoch vermuten, dass der monetäre Faktor auch bei berufstätigen
7
Auf die Frage ,,Wie stressig war der Umzug?", antworteten 4% mit ,,überhaupt nicht stressig", 21 %
mit ,,nur minimal stressig", 35 % mit ,,ein wenig stressig", 27 % mit ,,ziemlich stressig", und 13 %
fanden den Umzug sogar ,,sehr stressig" (vgl. Munton, 1990, S. 402 ff.).

18
Personen eine Rolle spielt, dieser hier jedoch weniger stark ins Gewicht fällt als bei-
spielsweise bei Studenten.
3.3
Einflussfaktoren auf den Einlebungsprozess
Am neuen Wohnort angekommen, beginnt für das Individuum der Adaptions- oder
Assimilationsprozess. Es wird versuchen, sich in seiner neuen Umwelt zurechtzufin-
den und mit den neuen Gegebenheiten umzugehen. Man kann beobachten, dass die-
ser Einlebungsprozess nicht bei allen Umgezogenen gleich abläuft (vgl. Schweitzer,
1990, S. 125). Diese Variation beruht auf verschiedenen Einflussfaktoren, deren Ge-
wicht von Person zu Person unterschiedlich ist
Zunächst kommt es darauf an, welche Einstellung das Individuum dem Ortswechsel
gegenüber hat (vgl. Darden und Perreault, 1976, S. 53). Ein junger Mensch, der den
Ortswechsel als Herausforderung annimmt und jegliche dazugehörigen Veränderun-
gen als positiv erachtet, wird wahrscheinlich schneller integriert sein als jemand, der
voll im Berufsleben steht und den Ortswechsel eher als Belastung empfindet (vgl.
Schweitzer, 1990, S. 33). Die Einstellung gegenüber dem Ortswechsel bzw. die Be-
reitschaft umzuziehen hängt dabei stark von den Risiken, die mit einem Umzug ver-
bunden sind, ab. Es ist zunächst unklar, ob man auch am neuen Wohnort wieder
Freunde finden wird oder ob das neue Haus und die neue Umgebung den Ansprü-
chen genügen. Der Wille, die Risiken in Kauf zu nehmen, ist die Grundlage für die
Einstellung und den Wunsch umzuziehen (vgl. Andreasen, 1966, S. 342). Neben den
Risiken gibt es noch weitere Faktoren, die die Bereitschaft beeinflussen, sich vom
alten Wohnort zu lösen. Es handelt sich dabei um persönliche Faktoren (z.B. Alter
und Familienstatus), berufliche Faktoren (Stand der persönlichen Karriere, Möglich-
keiten einer weiteren Karriere), Verwurzelung im sozialen Umfeld und die Ähnlich-
keit von neuem und altem Wohnort (vgl. Noe und Barber, 1993, S. 161 ff.).
Eng mit diesem Gedanken verknüpft ist der Umstand, dass auch die Motivation für
einen Umzug Einfluss auf den Einlebungsprozess hat. Personen mit Push-Motivation
zeigen größere Schwierigkeiten, sich in der neuen Umwelt zurechtzufinden, und füh-
len sich zumeist sogar vor dem Umzug unwohl (vgl. Kim, 1990; Mayada, 1983)
8
.
Leichter fällt hingegen Personen mit Pull-Motivation das Einleben.
8
Zitiert nach Zschoke, 2005, S. 15.

19
Bedeutsam dafür, ob man sich schneller oder langsamer in der neuen Umwelt ein-
lebt, ist nicht nur der Prozess der räumlichen Orientierung, sondern auch der Prozess
der stärker oder weniger stark wachsenden Teilhabe am sozialen Milieu
9
. Das Aus-
maß der Teilhabe am sozialen Milieu wirkt sich somit auf die Schnelligkeit des Ein-
lebungsprozess aus. Die Teilhabe am sozialen Milieu geschieht beispielsweise bei
Einkäufen, bei denen nicht nur ein Austausch von Waren erfolgt, sondern auch eine
Kommunikation zwischen dem Kunden und dem Verkäufer stattfindet, oder auch
durch das Besuchen eines Lokals, bei dem ein Aufbau sozialer Kontakte zwischen
Gast und Wirt entstehen kann. Auch der Austausch mit Arbeitskollegen gehört zur
Teilhabe am sozialen Milieu (vgl. Schweitzer, 1990, S.39 f.).
,, Also es ist gerade so, dass wir einen Kiosk bei uns in der Straße haben, wo
ich öfter mal Zeug kaufen gehe, auch nach Ladenschluss. Und dort gehe ich
eigentlich ganz gerne einkaufen. Wenn ich weiß, dass es da jetzt zehn Cent
teurer ist als im Supermarkt, gehe ich trotzdem da hin, weil ich die Leute so
nett finde und weil ich will, dass der Kiosk erhalten bleibt, da man da auch
bis abends elf, zwölf Uhr einkaufen kann."
,,Du gehst da also wesentlich wegen der sozialen Kontakte einkaufen?"
,,Ein bisschen schon. Wenn es natürlich deutlich teurer ist, wenn z.B. eine
Flasche Cola dort 1,80 kostet und im Supermarkt 1,20 , dann gehe ich na-
türlich in den Supermarkt." (Arno, 22, Student)
Die Stärke der Zunahme der Teilhabe am sozialen Milieu ist dabei abhängig von dem
Persönlichkeitstyp des Individuums. Ein stark extrovertierter Mensch wird sich in der
Regel eher in Austausch mit anderen begeben, da die Interaktion mit anderen zu sei-
ner Persönlichkeit gehört. Ein introvertierter Mensch, der sich eher in der Rolle eines
Einzelgängers befindet, wird wahrscheinlich einen schwächeren Drang verspüren,
ein soziales Umfeld aufzubauen.
,,Hast Du, abgesehen vom Personen-Kennenlernen, die Situation nach ei-
nem Ortswechsel schon als anstrengend erlebt?"
,,Nein, für mich war es o.k.. Ich fand es nicht anstrengend. Mich stört es aber
auch nicht, wenn ich so ein viertel Jahr lang nicht viel Anschluss hatte. Ich
hatte nicht viel Anschluss, ich bin recht viel nach Hause gefahren, so 14-
tägig, dreiwöchig. Aber ich fand es nicht schlimm, wenn ich mich da jetzt
Abende lang alleine beschäftigt habe oder auch am Wochenende, wenn ich
hier war. Fand ich nicht schlimm." (Simone, 30, berufstätig)
9
Unter sozialem Milieu oder auch Milieuumwelt verstehen Hitzler und Honer (1984, S. 62): ,,Die
Milieuumwelt ist das Insgesamt der Alltagssphären, in denen Menschen fraglos, undistanziert und
unreflektiert handeln, die sie unmittelbar und langfristig beleben."

20
Zwei weitere Einflussfaktoren sind die voraussichtliche Dauer des Aufenthaltes und
die Häufigkeit des Umzugs. Eine Person, die nur für einen begrenzten Zeitraum, z.B.
für die Dauer eines Auslandssemesters, einen Ortswechsel vornimmt, wird eine an-
dere Motivation haben, sich an den neuen Ort anzupassen, als der, der die Dauer sei-
nes Aufenthaltes nicht vorhersehen kann und davon ausgeht, dass der Ortswechsel
für ihn längerfristig sein wird. Ist eine Person schon des öfteren umgezogen, wird der
Assimilationsprozess einfacher ablaufen, da für dieses Szenario bereits auf Erfahrun-
gen und Verhaltensmuster zurückgegriffen werden kann.
3.4
Besonderheiten des Ortswechsels: Die Schwierigkeit des Sich-Zurecht-
findens und Sich-Einlebens als Folge verschiedener Restriktionen
Die große Bedeutung der ersten Tage nach dem Umzug und damit auch die Relevanz
eines Ortswechsels für das Verhalten des Individuums formuliert Carman (1974, S.
22) wie folgt: ,,The first weeks after a move are the ones in which many important
purchase decisions are made, when learning is most rapid, when time pressures are
great, and personal sources of information few", und fasst damit schon entscheidende
Probleme und Schwierigkeiten eines Ortswechsels zusammen.
Das Individuum wird durch den Verlust seiner vertrauten Umwelt seiner Gewohnhei-
ten beraubt, ein Stück seiner Normalität verlieren und als Folge von verschiedenen
Restriktionen in seinem Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt sein (vgl.
Schweitzer, 1990, S. 33). Informations- und Zeitmangel
10
sowie eine fehlendes so-
ziales Umfeld sind wohl die wichtigsten restriktiven Gegebenheiten, auf die das In-
dividuum am neuen Ort trifft.
,,Man weiß nicht, wo man irgendetwas einkaufen und besorgen kann. Man
kennt keine Geschäfte, keine Ärzte und kein nichts." (Hildegard, 54, Haus-
frau)
,,Das Auskennen war schwer, also z.B. so Fragen wie: ,,Welches ist die beste
Anzeigenzeitung? Mit welchen öffentlichen Verkehrsmitteln komme ich am
besten wo hin? Wo sind welche Ämter, und wann haben sie geöffnet? Wo ist
die nächste Einkaufsmöglichkeit?" So etwas weiß man ja am Anfang nicht."
(Jürgen, 36, berufstätig)
10
Schweitzer (1990, S. 7) bezieht diesem Informationsmangel nicht nur auf die Situation nach dem
Ortswechsel, sondern auf die komplette Umzugssituation, die bereits bei der Entscheidung, umziehen
zu wollen, beginnt.

21
,,Es gab jedesmal Probleme, irgendwelche organisatorischen Probleme. Es
gab Probleme, sich erstmal zurechtzufinden. Wo ist der nächste Supermarkt,
also einfach Dinge, die man zum täglichen Leben braucht - so was wie Su-
permärkte, Lebensmittelhändler generell: alles, was zum Beispiel das Essen
betrifft, ist jedes Mal ein Problem, wenn man umzieht." (Ole, 26, berufstätig)
3.4.1
Orientierungsproblematik durch das Fehlen von kognitiven Ankern
Bei einem Ortswechsel strömt auf den gerade Umgezogenen eine Vielzahl von ver-
schiedenen und neuartigen Reizen ein. Um verstehen zu können, warum dies das
Individuum vor größere Probleme stellt, muss man wissen, wie er in seiner vertrau-
ten Umgebung mit unterschiedlichen Reizen umgeht und wie er sie kognitiv verar-
beitet
11
. Bei den kognitiven Vorgängen kommt dem im Gedächtnis gespeicherten
Wissen eine erhebliche Bedeutung zu. ,,Dieses Wissen ist dafür verantwortlich, wie
die aus der Umwelt stammenden Reize (Informationen) aufgenommen, verarbeitet
und gespeichert werden" (Kroeber-Riel und Weinberg, 2003, S. 229). Zumeist ist
fehlendes Vorwissen
12
die Ursache für die Orientierungsproblematik in einer verän-
derten Umwelt, die dadurch geprägt ist, dass sie kaum Bezugspunkte für das Indivi-
duum bietet. Das fehlende Vorwissen wird relevant bei der räumlichen Orientierung,
der Orientierung durch Schemata und Skripts sowie bei dem Versuch, Vorgänge,
Gegenstände oder Personen mit Hilfe vorhandener Einstellungen und Präferenzen zu
beurteilen.
Räumliche Orientierung: Grundsätzlich haben Individuen ,,hervorragende Fähigkei-
ten, räumliche Umwelten wahrzunehmen und zu erinnern" (Kroeber-Riel und Wein-
berg, 2003, S. 425), und haben daher kaum Schwierigkeiten, in ihrer gewohnten
Umgebung zu entscheiden, wohin sie gehen müssen, um ein gewünschtes Produkt zu
erhalten. Im günstigsten Fall wissen sie sogar, wo es das billigste und beste Produkt
zu kaufen gibt, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Das kann so weit gehen, dass sie
nicht nur wissen, in welchem Laden sie das gewünschte Produkt findet, sondern sich
sogar den genauen Standort im Regal ins Gedächtnis rufen können (vgl. Sommer und
Aitkens, 1982, S. 211 ff.). In der Umweltpsychologie werden innere Bilder, in denen
Umweltinformation gespeichert werden, als ,,Cognitive Maps" oder auch gedankli-
che Lagepläne bezeichnet (vgl. Tolman, 1948, S. 189 ff.; Sholl, 1987, S. 615 ff.; Gol-
11
Vgl. hierzu auch McFadden (1999, S. 73 ff.) sowie Abbildung 13 im Anhang.
12
Man unterscheidet bei dem gespeicherten Wissen deklatorisches Wissen, unter dem man das Wis-
sen über Gegenstände und Beziehungen zwischen diesen versteht, und prozedurales Wissen, unter
dem man das Wissen über gedankliche Vorgänge bei der Bildung, Verknüpfung und Anwendung des
Wissens versteht (vgl. Kroeber-Riel und Weinberg, 2003, S. 430).

22
ledge, 1999, S. 6; Kroeber-Riel und Weinberg, 2003, S. 426). Die Bildung von ge-
danklichen Lageplänen ist ein dynamischer Prozess, in dem der momentane Informa-
tionsstand nachgeprüft, bestätigt oder erneuert wird. Die Speicherung des Wissens
beruht dabei auf Wiederholungen und Erfahrungen (vgl. Golledge, 1999, S. 7). Diese
gedanklichen Lagepläne repräsentieren jedoch nicht lediglich räumliche Beziehun-
gen, sondern haben auch einen subjektiven Charakter. Dieser Auffassung folgen
auch Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 426), nach denen ,,Gedankliche Lageplä-
ne (..) subjektive vereinfachte innere Bilder einer räumlichen Ordnung" sind. Die
Subjektivität zeigt sich beispielsweise bei der Einschätzung von Entfernungen. So
schätzt das Individuum die Entfernung von A nach B vielleicht kürzer, als sie tat-
sächlich ist
13
(vgl. Golledge, 1999, S. 8).
Durch den Umzug in eine neue Wohngegend verliert das Individuum seine gedankli-
chen Lagepläne, die ihm als Grundlage für seine Orientierung dienen. Es wird daher
zunächst Probleme haben, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
,,Man muss sich erstmal orientieren, wo ist was. Man muss erstmal gucken,
wo kann ich einkaufen, wo kann ich nicht einkaufen. So dass man sich etwas
raussucht. In Köln hat man seine Stammgeschäfte, hier nicht. Man muss erst
mal schauen, was man so macht, wo man hingehen kann." (Jaqueline, 28, be-
rufstätig)
Natürlich wird das Individuum zunächst versuchen, bereits erlerntes Wissen auch in
der neuen Umwelt anzuwenden. Diese übertragbaren Erkenntnisse, z.B. über die
räumliche Struktur einer Stadt, können allerdings nur rudimentäre Kenntnisse sein.
Das Individuum wird vielleicht aus Erfahrung wissen, dass die Fußgängerzone zu-
meist in der Stadtmitte liegt und dass es dort auch Geschäfte findet. Dieses Wissen
wird ihm allerdings kaum bei der der gezielten Suche und Orientierung helfen (vgl.
Schweitzer, 1990, S. 51).
Schemata oder Skripts: Ähnlich wie die gedanklichen Lagepläne sind auch Schemata
oder Skripts Organisationsformen des gespeicherten Wissens, auf die das Individuum
in der Orientierungsphase zurückgreift (vgl. Kroeber-Riel und Weinberg, 2003, S.
233 f.). Schemata ,,geben die wichtigsten Merkmale eines Gegenstandsbereiches
wieder, sind mehr oder weniger abstrakt (konkret) und hierarchisch organisiert"
(Kroeber-Riel und Weinberg, 2003, S. 233). Bei Schemata sind Wissensstrukturen,
13
Auf Grund der Subjektivität der gedanklichen Lagepläne wird auch von ,,subjektiven Stadtplänen"
gesprochen (vgl. Schweitzer, 1990, S. 39 f.).

23
die sich auf Personen
14
, Ereignisse
15
und Sachverhalte beziehen können. Die Bedeu-
tung der Schemata und Skripts liegt darin, dass sie dem Individuum helfen, Informa-
tionen in komplexen Situationen besser verarbeiten zu können und sein Verhalten in
erheblichem Ausmaß steuern. Man kann davon ausgehen, dass der Umgezogene
nach seinem Ortswechsel einige wichtige Schemata verliert bzw. für neu auftretende
Situationen noch gar keine Schemata gebildet hat und daher nur im begrenzten Um-
fang die Möglichkeit hat, durch Rückgriff auf Schemata seine Informationsverarbei-
tung zu erleichtern.
Einstellungen und Präferenzen: Das Individuum, das umgezogen ist, wird in seiner
neuen Umgebung verstärkt vor die Situation gestellt werden, schnell Entscheidungen
treffen zu müssen. Man stelle sich beispielsweise vor, dass jemand entscheiden muss,
welche Farbe seine neue Wohnung haben soll, welchen Bäcker er wählt oder in wel-
chen Sportverein er gehen soll. In vertrauter Umgebung scheinen diese Fragen banal
und sind wahrscheinlich schnell entschieden. Das hängt damit zusammen, dass das
Individuum für fast alle Situationen Einstellungen
16
oder sogar Präferenzen hat, auf
die es zurückgreifen kann. Einstellungen sind die positiven bzw. negativen Bewer-
tungen von Einstellungsobjekten und unterscheiden sich nach Richtung (,,positiv" ­
,,negativ") sowie gradueller Ausprägung (z.B. ,,sehr positiv, ,,schwach negativ") (vgl.
Stroebe, S. 659). Ähnlich sprechen Nieschlag, Dichtl und Hörschgen (2002, S. 594)
davon, dass Einstellungen sich dadurch auszeichnen, ,,dass sie auf ein Objekt bezo-
gen sind, erfahrungsbedingt erworben wurden, in eine Richtung wirken und unter-
schiedlich bedeutsam sind". Eine Präferenz kann als die Bevorzugung einer Alterna-
tive gegenüber einer anderen gesehen werden (Eisenführer und Weber 1994, S. 30)
17
.
Einstellungen und Präferenzen sind zumeist das Ergebnis eines vorherigen kogniti-
ven Auswahl- bzw. Bewertungsprozesses und haben zudem Einfluss auf das Verhal-
ten, so auch auf das Kaufverhalten (vgl. McFadden, 1999, S. 74; Kroeber-Riel und
Weinberg, 2003, S. 168)
18
.
14
Eine interessante Untersuchung zur Auswirkung von Verkaufspersonal auf die Erwartungsbildung
findet sich etwa bei Sujan, Bettman und Sujan (1986, S. 346 ff.).
15
,,Schemata, die sich auf Ereignisse beziehen, werden meist als Skripts bezeichnet" (Kroeber-Riel
und Weinberg, 2003, S. 234).
16
Der Untersuchung liegt der Drei-Komponenten-Ansatz zugrunde, wonach Einstellungen aus einer
kognitiven, emotionalen und konativen Komponente bestehen (vgl. Nieschlag, Dichtl und Hörschgen,
2002, S. 596). Daher kann ein Verlust von Einstellungen als Verlust eines ,,kognitiven Ankers" gese-
hen werden.
17
Zitiert nach Höser (1998, S. 26).
18
Zum Einfluss von Einstellungen auf die Kaufwahrscheinlichkeit siehe Abbildung 14 im Anhang.

24
Gerade in einer neuen Umgebung wird der Umstand, dass Menschen Schwierigkei-
ten haben, den genauen Nutzen einer Alternative zu definieren, und daher unsicher
über ihre Präferenzen sind (vgl. Simonson, 1989, S. 170), verstärkt. Fehlen dem
Konsumenten nun auf Grund des Ortswechsels die Einstellungen und gar Präferen-
zen, ist er gezwungen, sich mit einem stärkeren kognitiven Aufwand mit den Prob-
lemen auseinanderzusetzen, und läuft sogar Gefahr, sich bei der Auswahl zwischen
verschiedenen Alternativen in kognitive Konflikte zu begeben (vgl. Wiswede, 1995,
S. 308 f.), die er in seiner vorherigen Umgebung bereits gelöst hatte. Ihm bleibt al-
lenfalls die Möglichkeit, vorhandene Präferenzen auf ähnliche Produkte zu übertra-
gen.
Das Vorhandensein oder Fehlen von Wissensstrukturen beeinflusst die Art und Wei-
se der Informationsverarbeitung und die Verwendung von Verarbeitungsmustern. So
verwenden Konsumenten ohne Erfahrungen mehr Zeit darauf, Eigenschaften einzu-
schätzen und geeignete Auswahlkriterien zu finden, als es Konsumenten mit vorhan-
denen Erfahrungen und schon gebildeten Vergleichsstandards tun. Auch der Zeit-
punkt des Einsatzes solcher Vergleichsstandards unterscheidet sich bei Konsumenten
mit Produktwissen. Diese können die Vergleichsstandards, da sie nicht mehr gebildet
werde müssen, bereits in einer früheren Phase des Entscheidungsprozesses nutzen
(vgl. Bettman und Park, 1980, S. 234).
Für den Konsumenten gehen durch einen Ortswechsel Normalität und Gewohnheit
verloren, die er sich in einem mühseligen Prozess an seinem alten Wohnort gebildet
hat.
Konsumgewohnheiten oder Habitualisierung entstehen durch dauerhafte Verstär-
kung. Das Individuum ist immer weniger in die Aktivität involviert, und es kommt
bei ihm letztendlich zu einer kognitiven Entlastung. Verstärkereignisse können z.B.
positive Produkterfahrungen, die positive Bewertung eines Geschäftes oder auch das
positive Feedback einer Bezugsperson sein (vgl. Wiswede, 1995, S. 304). Es wird die
Auffassung vertreten, dass Habitualisierung zumeist die Folge eines Prozesses ist,
bei dem aus einem extensiven ein vereinfachtes und schließlich ein habitualisiertes
Entscheidungsverhalten wird (vgl. Howard, 1977)
19
. Ein Neuzugezogener wird nur
teilweise auf habitualisierte Prozesse zurückgreifen können, wie z.B. durch das Fest-
halten an bestimmten Produkten, Marken oder Geschäften, was jedoch nur bei natio-
19
Zitiert nach Wiswede (1995, S. 304).

25
nal bzw. international vertretenen Handelsketten möglich ist.
20
Aus vielen eigentlich
schon gewohnten Prozessen werden wieder extensive Kaufentscheidungen. Die
Summe der Einkäufe, die der Konsument mit einem hohen Involvement meistern
muss, steigt, weshalb eine kognitive Entlastung wieder zum Ziel des Entscheidungs-
prozesses wird. Das Involvement im Prozess des Ortswechsels wird am besten als ein
Zusammenspiel aus habitualisierten Verhaltensmustern und neuen Gegebenheiten
verstanden
21
.
3.4.2
Veränderung des sozialen Umfelds als Ursache für Einlebungsschwierig-
keiten
Auch hinsichtlich seines sozialen Umfelds wird das Individuum auf Restriktionen
treffen. Wie bereits aufgezeigt wurde, gibt das Individuum durch einen Umzug eine
Vielzahl von sozialen Verknüpfungen auf. Zwar wird zumeist der Kontakt zu der
Familie und engen Freunden weiterhin bestehen, sich aber je nach Situation auf einen
,,indirekten" Kontakt (Telefon, Internet etc.) beschränken. Betrachtet man eine Per-
son, die alleine in eine neue Stadt zieht, kann man davon ausgehen, dass sie gerade
am Anfang wenige soziale Kontakte hat. Verschärft wird diese Situation häufig da-
durch, dass viele Menschen, sei es wegen der Vielzahl der Aufgaben, die mit dem
Umzug zusammenhängen, sei es wegen des Umstands, dass sie sich am neuen Ar-
beitsplatz erst einmal eingewöhnen müssen, wenig Zeit haben, neue Kontakte zu
knüpfen. Gerade soziale Kontakte sind aber für das Individuum sehr wichtig. Freun-
de, Bekannte, Kollegen oder Nachbarn haben gewöhnlich ähnliche Erwartungen und
Bedürfnisse und dienen dem Individuum bzw. Konsumenten als Bezugsgruppe (vgl.
Katona, 1960, S. 157). Auch in den Interviews hat sich gezeigt, dass die Befragten
sehr dankbar darüber waren, wenn sie nicht alleine umgezogen sind.
,,Hat es Dir irgendwie geholfen, dass Du nicht alleine umgezogen bist?"
,,Ja, das auf jeden Fall. Ich und mein Freund sind ja zusammen nach Aachen
gezogen, und das war eigentlich schon praktisch, weil man dann alles schnel-
ler findet. Der eine weiß dann oft schon, wo was ist." (Arno, 22, Student)
20
An dieser Stelle sei aber nochmals darauf verwiesen, dass Habitualisierung auch durch die Wieder-
holung der Umzugsituation zustande kommt. Hat das Individuum eine Umzugsvergangenheit, wird
durch die Wiederholung dieses Vorgangs auch Habitualisierung entstehen und das Individuum wird
sich auch an die Einlebungsprozesse gewöhnen.
21
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, eine Unterscheidung in ,,convenience goods", ,,shopping
goods" und ,,speciality goods" vorzunehmen, da gerade bei den erstgenannten auf ein bestehendes
Präferenzsystem zurückgegriffen wird, und sie daher besonders von fehlender Habitualisierung betrof-
fen sind. Kaufentscheidungen von Gütern, die den anderen beiden Kategorien zuzuordnen sind, wer-
den sich durch einen Ortswechsel weniger ändern (vgl. Nieschlag et al., 2002, S. 581 f.).

26
,,Aber ich bin ja auch nicht allein umgezogen. Das hat die Sache vereinfacht.
Gewisse Gewohnheiten bleiben dann einfach gleich, wenn man zu zweit ist.
Wenn man allein ist, muss man sich da, glaube ich, stärker anpassen." (Tine,
26, Studentin)
,,Viel geholfen hat mir dabei, dass ich in einer Wohngemeinschaft gewohnt
habe und alle Mitbewohner in einer ähnlichen Situation waren. Da hat man
sich ausgetauscht, um zu erfahren, wo ein guter Bäcker war oder man ein In-
ternetcafé findet." (Alexander, 25, Student)
Mangelt es dem frisch Zugezogenen auf Grund der fehlenden kognitiven Anker an
Informationen, die er benötigt, um sich in der neuen Umgebung orientieren zu kön-
nen, wäre es nahe liegend, dass er sich mit seinen Mitmenschen austauscht, um an
die fehlenden Informationen zu gelangen. In der Orientierungsphase nimmt die Be-
deutung sozialer Kontakte als Informationsquelle zu, was sich auch in den Interviews
gezeigt hat.
,,Worin lagen aus Ihren Erfahrungen die größten Schwierigkeiten sich zu-
rechtzufinden?"
,,Probleme? Ja, also hier ist so gewesen, dass man überhaupt niemanden
kannte. Bei meinen früheren Umzügen war es so, dass ich nicht so weit weg
von meinem Heimatort war und dass man immer noch hin- und herfahren
konnte, um alte Freunde und so zu treffen. Das geht jetzt hier nicht mehr.
Man muss sich im Prinzip einen neuen Freundeskreis aufbauen. (...) Also al-
les, was mit Personen, Vertrauen, Bekannten zu tun hat, das empfinde ich,
glaube ich, schon als größtes Problem." (Claudia, 28, beruftätig)
,,Haben Sie sich mit anderen Leuten ausgetauscht, um sich zu orientie-
ren?"
,,Am neuen Ort? Ja, so ein wenig, mit den Leuten, also Nachbarn und so, die
man dann fragen kann. Oder man hat Kollegen gefragt, oder so, ja doch. Da
haben wir in Trier z.B. viele Hilfen gekriegt, hier ein bisschen weniger, aber
auch." (Hildegard, 54, Hausfrau)
,,Auf jeden Fall. Das mache ich immer wieder. Wenn ich z.B. etwas Elektro-
nisches kaufen will, weiß ich, dass ich da einen Fachmann habe, der sich
auch gerne für mich im Internet über das Gerät informiert. Dann frage ich
ihn, da er auch ähnliche Interessen wie ich hat. Er hat sich z.B. ein Handy
gekauft, das ich eventuell auch haben will, und testet das jetzt mehr oder we-
niger für mich. Ich frage ihn dann einfach, was er davon hält, und er kann
dann eigentlich immer ziemlich detailreich schildern, was daran gut ist und
was nicht. Ich orientiere mich sehr an Freunden und Studienkollegen. Natür-
lich lasse ich mich auch nicht zu sehr beeinflussen, aber höre auch auf ande-
re Meinungen. Auch im Internet gibt es Bewertungsportale, wo ich immer
einmal nachschaue." (Arno, 22, Student)

27
Die Einschätzung von Produkten durch Dritte kann die eigene Einstellung des Kon-
sumenten so weit beeinflussen, dass er ein Produkt kauft oder zurückweist (vgl. Ri-
chins, 1983, S. 68). Fehlt dem Individuum, wie im Falle eines Umzugs, der soziale
Austausch, versiegt für ihn auch diese entscheidende Informationsquelle, obwohl der
Mund-Propaganda gerade dann, wenn nicht genügend Informationen vorhanden sind
und keine früheren Erfahrungen bestehen, eine besondere Bedeutung zukäme (Herr,
Kardes und Kim, 1991, S. 459; Sheth, Mittal und Newman, 1999, S. 23). Ein passen-
des Beispiel dafür, wie wichtig der Austausch mit anderen für den Kaufprozess ist,
zeigt das Beispiel eines Internetkaufes. Der Kaufvorgang und die Informationssuche
zeichnen sich, wie in der Situation der Orientierung in einer fremden Umgebung,
durch eine erhöhtes wahrgenommen Risiko aus. Die Verkaufsportale wie Ama-
zon.de, Shopping.com usw. sind sich der Wichtigkeit der Unterstützung der Ent-
scheidung durch andere bewusst und bieten aus diesem Grund Kundenrezensionen
an. Somit kann der Kunde auf Unterstützung anderer, wenn auch anonymer, Perso-
nen zurückgreifen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.
Weitere wichtige Informationen gewinnt das Individuum durch den Vergleich mit
seinen Mitmenschen. In der Literatur wird vielfach herausgestellt, dass das Indivi-
duum auf soziale Interaktion und zwischenmenschlichen Austausch angewiesen ist.
Festinger (1954, S. 117 ff.) geht davon aus, dass der Mensch das Bedürfnis hat, seine
eigenen Fähigkeiten und Meinungen zu bewerten. Fehlen dem Individuum objektive
Vergleichsmaßstäbe zur Bewertung, werden die Meinungen und Fähigkeiten anderer
zum Vergleich herangezogen. Individuelles Verhalten hängt in vielen Situationen
allgemein mehr vom Einfluss von Bezugsgruppen als von den individuellen Prä-
dispositionen ab, vor allem dann, wenn die Prädispositionen schwach ausgeprägt
sind.
22
Im Falle eines Umzugs wird das Fehlen von Vergleichmaßstäben zu einem
besonderen Problem. Sie können nur erschwert mittels sozialer Kontakte gewonnen
werden.
Natürlich wird man am neuen Wohnort wieder soziale Kontakte, z.B. zu Arbeitskol-
legen, Nachbarn oder dem Zeitungshändler um die Ecke, knüpfen. Bis diese jedoch
22
Unterstützt werden die entsprechenden Erkenntnisse Festingers (1954, S. 117 ff.)durch das Phäno-
men des demonstrativen Konsums. Wie stark der Einfluss von Bezugsgruppen ist hängt stark vom
Typ des Produktes ab, wie Bearden und Etzel (1982, S. 183 ff.) aufzeigen (siehe Tabelle 3, im An-
hang).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836602112
DOI
10.3239/9783836602112
Dateigröße
671 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität des Saarlandes – Rechts- und Wirtschaftswissenschaft, Konsum- und Verhaltensforschung, Universität des Saarlandes
Erscheinungsdatum
2007 (März)
Note
1,7
Schlagworte
wohnungswechsel verbraucherverhalten second best solutions ortswechsel mobilität goal setting kundenzufriedenheit
Zurück

Titel: Die Zufriedenheit mit Second Best Solutions von Konsumgütern in Abhängigkeit eines Ortswechsels
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
130 Seiten
Cookie-Einstellungen