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Die sozialpolitische Konzeption der NPD in den neuen Bundesländern am Beispiel Sachsens

©2005 Examensarbeit 90 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In den 1990'er Jahren hat die NPD eine strukturelle Transformation erfahren, in Folge derer sie zunehmend mit rechtsextremen und gewaltbereiten Vereinigungen einschlägiger Neonazizirkel kooperierte. Die hieraus resultierende Radikalisierung und offenkundige Verfassungsopposition der „nationalen Demokraten“ galten als motivierendes und beweisbares Moment für den Verbotsantrag seitens der Bundesregierung. Der Rest blieb Prolog.
Die öffentliche Diskussion der NPD verlor nach dem Scheitern des Verfahrens an Aktualität und Reiz und die mediale Wahrnehmung beschränkte sich weitestgehend auf Unverständnis und artikulierte Ablehnung genehmigter Demonstrationen. Die Wahlergebnisse an Saar und Elbe haben den Focus neu justiert. War die NPD 1999 in Saarbrücken nicht zur Wahl angetreten, verfehlte sie 2004 knapp die Fünfprozenthürde. In Sachsen gelang ihr als viertgrößte Fraktion der Einzug in den Landtag. Der Wahlkampf der sächsischen NPD stand im Zeichen anstehender Reformen bundesdeutscher Sozialsicherungssysteme und kann als exemplarisch für die Neuentdeckung der sozialen Frage von rechts gesehen werden. So bietet sich auf der Suche nach Ursachen für den jüngsten Erfolg der NPD in Sachsen die Analyse eines markanten Politikfeldes an.
Problemstellung:
Die Arbeit beschäftigt sich mit der sozialpolitischen Konzeption der NPD in Ostdeutschland. Die jüngsten Zahlen der Landtagswahlen lassen eine exemplarische Fokussierung auf Sachsen sinnvoll erscheinen, hat die NPD doch dort auch ihren mitgliederstärksten Landesverband. Es soll die These aufgestellt werden, dass die NPD in Ostdeutschland eine Sozialpolitik propagiert, die sie von der raumspezifischen Situation Ostdeutschlands ableitet und die sich an der Sozialstruktur, den individuellen Lebensverhältnissen und Erwerbsbiographien orientiert.
Es soll hierbei der zentralen Frage nachgegangen werden, welche sozialpolitischen Inhalte die NPD in Sachsen vertritt. Worauf stützt sich ihre Argumentation und wer wird angesprochen? Lässt sich ein Paradigmenwechsel feststellen und wenn ja, ist dieser grundlegender Natur, d.h. hat eine inhaltliche Transformation stattgefunden oder dient die soziale Frage den Nationalisten im Osten lediglich als „Trojanisches Pferd“? Die Beantwortung dieser Fragen verlangt, sich mit der NPD nicht nur auf der theoretischen Ebene auseinander zu setzen. Vielmehr gilt es, durch die Lektüre der durch die Partei dargebrachten Publikation Einblicke und Einsichten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Dennis Räther
Die sozialpolitische Konzeption der NPD in den neuen Bundesländern am Beispiel
Sachsens
ISBN: 978-3-8366-0195-5
Druck Diplomica® GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 2005
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© Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

1
I. Einleitung
3
I.1. Zum Begriff des Rechtsextremismus
4
I.2. Zum Erfolg rechtsextremer Parteien
8
II. Die NPD
II.1. Aufstieg und Fall
11
II.2. Die Partei unter Voigt
12
II.3. Der Landesverband Sachsen
14
III. Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern
III.1. Demokratischer Vertrauensverlust
17
III.2. Wirtschaftliche Desintegration
21
III.3. Soziale Deklassierung
23
IV. Die Neujustierung der Programmatik
IV.1. Das ideologische Fundament
29
IV.1.1. Die Maske des Antikapitalismus
29
IV.1.2. Die Nationalsozialistische Avantgarde
33
IV.2. Die Wiederentdeckung der sozialen Frage
35
IV.2.1. Die ostdeutsche Option
35
III.2.2. Ein Leitbild Ost ?
37
V. Kampf um die Köpfe ­ Offerten von rechts
V.1. Die neuen Adressaten
41
V.2. Das besseres Deutschland
43
V.3. Der Fall Prof. Michael Nier
45
V.4. Patrioten aller Länder, vereinigt Euch ­
Die nationalen Sozialisten an der Elbe
48
VI. ,,Dem Gemeinwohl dienen" ­
Der Sozialpopulismus der sächsischen NPD
VI.1. Die nationale Opposition
53
VI.2. Die kompetenten Demagogen
55
VI.3. Soziale Mimikry ­ Das sozialpolitische Angebot der NPD
58
VI.3.1. Soziale Infrastruktur
58
VI.3.2. Die Familie als Kern des Volkes
59
VI.3.3. Hartz IV und der Kampf um die Straße
62
VI.4. Eine Rhetorik der Angst
63
VI.4.1. ,,Totenmesse des Solidarsystems"
63
VI.4.2. ,,Ein Volk geht zugrunde"
66
VI.5. Der Maßnahmenkatalog der NPD
70

2
VI.6. Die konstruierte Wirklichkeit
74
VI.6.1. Die Abwesenheit des Rationalen
74
VI.6.2. Die Kollektivierung von Bewusstsein
76
VII. Die gerechte Solidargemeinschaft als Angriff auf den
Rechtsstaat ­ Eine Schlussbetrachtung
79
VIII. Zusammenfassung
85
Literaturverzeichnis 87
Quellenverzeichnis 91

3
I. Einleitung
In den 1990'er Jahren hat die NPD eine strukturelle Transformation erfahren, in
Folge derer sie zunehmend mit rechtsextremen und gewaltbereiten Vereinigun-
gen einschlägiger Neonazizirkel kooperierte. Die hieraus resultierende Radika-
lisierung und offenkundige Verfassungsopposition der ,,nationalen Demokraten"
galten als motivierendes und beweisbares Moment für den Verbotsantrag sei-
tens der Bundesregierung. Der Rest blieb Prolog.
Die öffentliche Diskussion der NPD verlor nach dem Scheitern des Verfahrens
an Aktualität und Reiz und die mediale Wahrnehmung beschränkte sich wei-
testgehend auf Unverständnis und artikulierte Ablehnung genehmigter De-
monstrationen. Die jüngsten Wahlergebnisse an Saar und Elbe haben den Fo-
cus neu justiert. War die NPD 1999 in Saarbrücken nicht zur Wahl angetreten,
verfehlte sie 2004 knapp die Fünfprozenthürde. In Sachsen gelang ihr als viert-
größte Fraktion der Einzug in den Landtag. Der Wahlkampf der sächsischen
NPD stand im Zeichen anstehender Reformen bundesdeutscher Sozialsiche-
rungssysteme und kann als exemplarisch für die Neuentdeckung der sozialen
Frage von rechts gesehen werden. So bietet sich auf der Suche nach Ursachen
für den jüngsten Erfolg der NPD in Sachsen die Analyse eines markanten Poli-
tikfeldes an.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der sozialpolitischen Konzeption der
NPD in Ostdeutschland. Die jüngsten Zahlen der Landtagswahlen lassen eine
exemplarische Fokussierung auf Sachsen sinnvoll erscheinen, hat die NPD
doch dort auch ihren mitgliederstärksten Landesverband. Es soll die These
aufgestellt werden, dass die NPD in Ostdeutschland eine Sozialpolitik propa-
giert, die sie von der raumspezifischen Situation Ostdeutschlands ableitet und
die sich an der Sozialstruktur, den individuellen Lebensverhältnissen und Er-
werbsbiographien orientiert. Es soll hierbei der zentralen Frage nachgegangen
werden, welche sozialpolitischen Inhalte die NPD in Sachsen vertritt. Worauf
stützt sich ihre Argumentation und wer wird angesprochen? Lässt sich ein Pa-
radigmenwechsel feststellen und wenn ja, ist dieser grundlegender Natur, d.h.
hat eine inhaltliche Transformation stattgefunden oder dient die soziale Frage

4
den Nationalisten im Osten lediglich als ,,Trojanisches Pferd"? Die Beantwor-
tung dieser Fragen verlangt, sich mit der NPD nicht nur auf der theoretischen
Ebene auseinander zu setzen. Vielmehr gilt es, durch die Lektüre der durch die
Partei dargebrachten Publikation Einblicke und Einsichten in Glaubwürdigkeit
und Wahrheitsgehalt der Argumentation der NPD zu gewinnen.
Die Art und Weise, wie rechtsextreme Parteien allgemein, und in diesem be-
sonderen Fall die NPD, auf soziale Konflikte, Reformprozesse und Verteilungs-
kämpfe reagieren, lässt Rückschlüsse über deren Gefahrenpotential für die
demokratische Grundordnung jenseits des braunen Terrors zu, kann doch da-
durch ein Zugang zu jenen Wählerstimmen unterstellt werden, die nicht genuin
rechtsextreme Einstellungsmuster aufzeigen. Zudem eröffnete dies Einblicke in
die Fähigkeit der ,,dienstältesten" deutschen rechtsextremen Partei, sich aktuel-
ler Diskurse zu bedienen. Es ist jedoch hierbei zu erwarten, dass es sich bei der
Thematisierung der sozialen Frage von rechts durch die NPD um ein rassisti-
sches Gesellschaftsmodell handelt, das mit einem linken Konzept des Sozia-
lismus nicht vergleichbar ist.
I.1. Zum Begriff des Rechtsextremismus
Eine adäquate Analyse und Bewertung des sozialpolitischen Angebots der NPD
in Sachsen macht einleitend eine Definition des dieser Arbeit zugrundeliegen-
den Begriffs von Rechtsextremismus notwendig. Wie sonst ließe sich die oben
angeführte These verifizieren, nach deren Kern die sozialpolitische Konzeption
der NPD in Sachsen eine entsprechend räumlicher Spezifika modifizierte, aber
dennoch rassistisch und in diesem Sinne eine rechtsextreme ist?
In der Literatur werden die Begriffe Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus
synonym verwendet,
1
worauf im Rahmen dieser Arbeit jedoch verzichtet
1
So definiert Michael Minkenberg Rechtsradikalismus als eine ,, [...] politische Ideologie, die im
Kern aus einem Mythos in Form eines populistischen und romantischen Ultranationalismus
besteht und die sich daher tendenziell gegen die liberale Demokratie und deren zugrunde lie-
gende Werte von Freiheit, Gleichheit sowie die Kategorien von Individualismus und Universa-
lismus richtet. Vgl. Minkenberg, Michael (1998): Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA,
Frankreich, Deutschland. S. 33.

5
wird.
2
Bei einer Definition des Rechtsextremismus vom Begriff des Extremismus
auszugehen, erscheint zunächst naheliegend.
3
Hierunter werden alle Anschau-
ungen subsumiert, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung ableh-
nen.
4
Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Herangehensweise jedoch
als wenig zielführend und wissenschaftlich nicht tragfähig, da sie lediglich auf
die Ebene der Handlung abzielt und die inhaltliche Komponente des Extremis-
mus vernachlässigt, weil sie eine passive Ablehnung mit dem Verweis auf die
im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit nicht vorsieht und demnach erst
eine Handlung Personen zu Extremisten macht.
5
Diese strafrechtliche Kompo-
nente des Extremismusbegriffes dient zur Tätigkeitslegitimation der jeweiligen
Verfassungsschutzämter, deren Arbeit vorrangig auf aktive Gruppierungen fo-
kussiert ist. Diese kategorische Festlegung des Extremismus auf eine der Ver-
fassung diametral gestellte Handlung ist jedoch unabhängig von seiner politi-
schen Ausrichtung und Motivation, weil er die Fundamentalopposition des de-
mokratischen Verfassungsstaates generalisiert, d.h. nicht zwischen links oder
rechts differenziert. Entscheidend ist allein, dass sie vorsätzlich praktiziert wird.
6
Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, von welchem Wert eine Annahme sein soll,
die genuin antikapitalistische Weltanschauung des Linksextremismus sei grund-
sätzlich zugleich antidemokratisch, außer um suggerieren zu wollen, dass es
2
Der hier verwendete Begriff des Rechtsradikalismus ist vom Rechtsextremismus insoweit zu
unterscheiden, als dass erster zwar ,, [...] weitreichende Vorstellungen über die Umgestaltung
der bestehenden Gesellschaft [hat], [...] sich bei der Wahl der Umgestaltungsmittel aber im
Rahmen der bestehenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung [...]" bewegt. Vgl. Brod-
korb, Mathias: Metamorphosen von rechts. Einführung in Strategie und Ideologie des neuen
Rrehtsextremismus, S.15; Stöss, Richard (1999): Rechtsextremismus im vereinten Deutsch-
land, S. 18 f.; Vgl. Birsl, Ursula (2002): Der Neoliberalismus in der politischen Mitte: ein ge-
zähmter Rechtspopulismus?, in: Demirovic [Hrsg.]: Konjunkturen des Rassismus, Münster, S.
22 f.
3
Nach diesem totalitarismustheoretischen Ansatz sind sowohl Links- als auch Rechtsextremis-
mus Formen eines zentralen Extremismus, der Merkmale beider enthält. Vgl. Pfahl-Taughber,
Armin (1999): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, S.12. Stöss hingegen
betrachtet beide Formen von Extremismus als unterschiedliche Phänomene, die im Vergleich
gebraucht lediglich den Nutzen der Stigmatisierung des politischen Gegners dienen und be-
gründet dies mit der Ermangelung einer allgemeingültigen Extremismustheorie. Vgl. Stöss,
Richard (1994): Forschungs- und Erklärungsansätze ­ ein Überblick, S.24. In: Kowalsky, W. /
Schroeder, W. (1994): Rechtsextremismus.; Vgl. Backes, Uwe / Jesse, Eckhard (1996): Politi-
scher Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 45. Am totalitarismustheoretischen
Ansatz kritisiert Hajo Funke dessen Beschränkung auf die deskriptive Klassifikation eines totali-
tären Habitus, der nicht dazu geeignet ist, die politischen, kulturellen und ideologischen Ursa-
chen zu benennen, derer sich der Rechtsextremismus bedient. Vgl. Funke, Hajo ((2002): Para-
noia und Politik. Rechtsextremismus in der Berliner Republik, Schriftreihe Politik und Kultur am
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der freien Universität Berlin, Schrift 4, S. 11.
4
Backes / Jesse, S. 33-50.
5
Brodkorb, S. 16.
6
Pfahl-Taughber, Armin (1999): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, S.13.

6
einen zwingenden Zusammenhang beider gibt. Gero Neugebauer formuliert es
wie folgt: ,,Während die Ziele des Rechtsextremismus generell antidemokratisch
sind, ist mit Blick auf den Linksextremismus in demokratischen Systemen um-
stritten, ob seine antikapitalistische Grundorientierung per se mit demokrati-
schen Strukturen unvereinbar ist."
7
Die beschriebene Problematik macht deut-
lich, dass der Ansatz eines Extremismusbegriffs für den weiteren Verlauf unzu-
reichend ist, da er nicht einer wissenschaftlichen, sondern politisch motivierten
juristischen Intention folgt.
8
Dieses einführende Kapitel hat sich jedoch zur Auf-
gabe gemacht, der vorliegenden Arbeit ein begriffliches Fundament zu geben
und macht deshalb die Integration der inhaltlichen Komponente unabdingbar.
Für die vorliegende Arbeit gilt es deshalb der Frage nachzugehen, wie sich
zwischen politisch links und rechts unterscheiden lässt. Armin Pfahl-Taughber
schlägt hierfür vor, den Begriff der Gleichheit als Kriterium heranzuziehen und
begründet dies mit der Einstellung gegenüber dem Ethos menschlicher Funda-
mentalgleichheit, der von der politisch Linken bejaht und von der Rechten zu-
gunsten antiegalitärer Differenzierung abgelehnt wird.
9
Er übersieht hierbei
jedoch, dass die politische Linke keineswegs zwingend einem egalitären
Gleichheitspostulat folgt. Es erscheint mehr als fragwürdig, die freie, gleichbe-
rechtigte Entfaltung der Individualität, die unzweifelhaft zu den größten Errun-
genschaft der modernen Welt zählt, als egalitäres Gleichheitsprinzip zu be-
zeichnen, was leicht im Verdacht stünde, dem Prädikat der ,,Gleichmacherei"
anheim zu fallen. Brodkorb schlägt deshalb vor, nicht den Begriff der Gleichheit
zur Verortung politisch Linker und Rechter heranzuziehen, sondern eine Unter-
scheidung anhand der soziologischen Termini Inklusion und Exklusion vorzu-
nehmen. Mit Inklusion ist hierbei die von der politisch Linken verfolgte Aufhe-
bung sozialer Diskriminierung gemeint, während Exklusion darauf abzielt, die
Interessen einer Bevölkerungsgruppe zu beschneiden und so eine gleichbe-
rechtigte und in diesem Sinne durchaus egalitäre Partizipation zu unterbinden.
7
Neugebauer, Gero (2000): Extremismus ­ Rechtsextremismus ­ Linksextremismus: Einige
Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergeb-
nissen. S.22. In: Schubarth, Wilfried / Stöss, Richard [Hrsg.]: Rechtsextremismus in der Bun-
desrepublik Deutschland. Eine Bilanz.; Butterwegge, Christoph (1993) : Der Funktionswandel
des Rassismus und die Erfolge des Rechtsextremismus, in. Butterwegge, Christoph / Jäger,
Siegfried [Hrsg.]: Rassismus in Europa, 2. Aufl. Köln.
8
Brodkorb, S.17.
9
Armin Pfahl-Taughber (1999): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, S.13 f.

7
Die Genese dieser auf dem Exklusivitätsanspruch einer sozialen Schicht oder
Bevölkerungsgruppe abhebende Ideologie hat ihren Urspurung in der französi-
schen Revolution und ist schließlich die Reaktion auf einen gefürchteten Verlust
an Macht und Sozialprestige.
10
Die hierin mögliche Implikation einer rassisti-
schen Geisteshaltung leitet Butterwegge ab, wenn er diese definiert als eine
,,[...] pseudowissenschaftliche Theorie, die Menschen einer durch Herkunft,
Hautfarbe, Haarbeschaffenheit oder vergleichbaren phänotypischen Merkmalen
gekennzeichnete Gruppe bestimmte Charaktereigenschaften zuschreibt, um sie
herabzusetzen, zu benachteiligen und zu entrechten, dadurch eigene gesell-
schaftliche Privilegien, Machtpositionen und Besitzstände zu rechtfertigen bzw.
erringen zu können."
11
Um nicht missverstanden zu werden, sei hier angemerkt,
dass ein durch Willkürherrschaft pervertierter Linksextremismus, beispielsweise
in Form des Stalinismus, keine genuin linke Gesellschaftskonzeption darstellt.
Der unterschiedlichen Auffassung zum Trotz, lässt sich dennoch ein in den
Sozialwissenschaften herrschender Konsens darüber erkennen, ,,[...] dass es
sich bei Rechtsextremismus um eine gesellschaftsgestaltende Konzeption han-
delt, die sich gegen liberale, freiheitlich-rechtsstaatliche Traditionen richtet. In
ihrem Mittelpunkt steht ein völkisch fundierter, oft rassistisch zugespitzter ethno-
zentrischer Nationalismus als oberstes Wert- und Ordnungsprinzip, dem konse-
quenterweise alle anderen Werte und Ziele [...] untergeordnet sind. Die univer-
salen Menschenrechte [...] werden mißachtet [sic!]. [...] Der Rechtsextremismus
richtet sich gegen parlamentarisch-pluralistische Systeme, die auf der Volks-
souveränität und dem Mehrheitsprinzip beruhen".
12
Funke führt dazu weiter aus,
dass es ,,[...] hierbei um die Selbstaufwertung der vermeintlich schwachen durch
die Abwertung der vermeintlich starken Anderen [geht]".
13
Aus dieser Annahme
folgt die Konsequenz der oben beschriebenen Exklusion, des Ausschlusses der
,,Anderen", der Emigranten und Ausländer. Sie stellen den inneren Feind dar,
vor dem es sich zu schützen gilt.
14
Das hier Verwendung findende Modell der
sozialen Exklusion ist demnach ein durch und durch rechtes, in das sich durch
eine Überdehnung ins Extrem Antisemitismus, übersteigerter Patriotismus bis
10
Stöss, Richard (2000): Ideologie und Strategie des Rechtsextremismus, in: Schubarth, Wil-
fried / Stöss, Richard [Hrsg.]: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine
Bilanz, S.103 f.
11
Butterwegge, (1993). S.192.
12
Funke, S. 11 f.
13
Ebenda.

8
gerter Patriotismus bis hin zum Nationalismus, Elitismus, Ethnozentrismus und
die aus einem kollektiven Verfolgungswahn resultierende Beschwörung der soli-
darischen Volksgemeinschaft als alleinige Bezugsgröße einfügen. Individuelle
Interessen stehen hierbei hinter kollektiven zurück, was seine Begründung in
einer fiktiven Schutzargumentation der Gemeinschaft findet, und das dem
Rechtsextremismus eigene Führerprinzip nach sich zieht. Die damit verbunde-
ne Beschneidung universeller Freiheits- und Gleichheitsrechte wird zudem mit
einem fundamentalen Wahrheitsdogmatismus kombiniert, der die Unmöglichkeit
des Irrtums beinhaltet.
15
I.2. Zum Erfolg rechtsextremer Parteien
Der Erfolg des Rechtsextremismus, ob parteilich organisiert oder in Gestalt
informeller Gesellungsformen, wie beispielsweise Kameradschaften oder Skin-
headgruppierungen, unterliegt einer Konstellation von politischen, gesellschaft-
lichen und ökonomischen Faktoren.
16
Stöss unterscheidet diese zwischen inter-
nen und externen Faktoren, welche die Konjunktur rechtsextremer Parteien
maßgeblich beeinflussen.
Erstere umfassen die Angebotsseite. Zwar scheint der Verweis darauf banal,
doch ist die schiere Existenz einer wahlfähigen Partei, die eine entsprechende
politische Ausrichtung besitzt, in der Annahme ebenso notwendig wie keines-
wegs selbstverständlich.
17
So ist die Geschichte des parteilich organisierten
Rechtsextremismus ein Zeugnis für die Uneinigkeit innerhalb des rechten La-
gers und der damit einhergehenden Ressourcenverschwendung der Parteien.
Die jüngsten Absprachen der extremen Rechten für deren zukünftige Wahlteil-
nahmen dürfte die Freisetzung von Synergieeffekten und Kräftebündelung zum
Ergebnis haben. Weiterhin zählen zu den externen Faktoren die glaubwürdige
Vermittlung fachlicher Kompetenz und programmatischer Alternativen, ein ge-
schlossenes Auftreten, öffentlichkeitswirksame Persönlichkeiten und die Fähig-
keit, die propagierten Ziele und Inhalte glaubwürdig und medienwirksam zu
14
Ebenda.
15
Brodkorb, S. 28 f.
16
Funke, S. 15.

9
vermitteln.
18
Krisensituationen einer Gesellschaft nützen einer rechtsextremen
Partei nichts, wenn sie sich als unfähig erweist, diese zu erkennen bzw. in die
eigene Programmatik zu integrieren.
Die externen Faktoren umfassen die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedin-
gungen. ,,Dabei ist wiederum zwischen mehr oder weniger konstanten, länger-
fristig wirksamen und eher situativen Faktoren zu unterscheiden."
19
Neben dem
Nachwirken der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands sind im Zu-
sammenhang dieser Arbeit von besonderer Bedeutung ,,[...] die Folgen des
sozialen Wandels und der Modernisierungsprozesse in Industriegesellschaf-
ten."
20
Hierbei spielen ,,[...] konjunkturelle oder strukturelle Krisen, Veränderun-
gen in der politischen ,Großwetterlage', Machtwechsel oder Revision in wichti-
gen Bereichen der Innen- oder Außenpolitik [...]" eine Rolle.
21
Bezüglich der
angesprochenen sozio-ökonomischen Ebene fallen vorrangig ,,[...] Arbeitslosig-
keit, Armut, strukturelle Benachteiligung einzelner Wirtschaftssektoren, Regio-
nen oder sozialer Schichten, aber auch unbefriedigende Wohn- und Lebensbe-
dingungen, Infrastrukturen, Freizeitzangebote [...] ins Gewicht. Die politischen
Faktoren fassen im Wesentlichen mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten
politischer Akteure und die Funktionalität von Institutionen sowie politische
Skandale zusammen.
22
17
Pfahl-Taughber (1999) S. 104.
18
Ebenda.
19
Stöss, Richard (1999) S. 37.
20
Ebenda.
21
Ebenda.
22
Ebenda.

11
II. Die NPD
II.1. Aufstieg und Fall
,,Hat die NPD ein Programm? Sie ist für die Todesstrafe und gegen Gastarbeiter. Sie stellt
Ansprüche auf Gebiete, in denen, wie es heißt, das deutsche Volk seit Jahrhunderten gewach-
sen ist. Sie ist einfach schlicht gegen Entwicklungshilfe. Ist das ein Programm?"
Günther Grass
Die erstmals 1964 an Wahlen angetretene NPD konnte in den ersten Jahren
ihres Bestehens von der Annäherung der großen Volksparteien, die im Aus-
nahmefall in der Großen Koalition mündeten, und den ersten wirtschaftlichen
Grenzerfahrungen der jungen Republik profitieren. Ihr gelang der Einzug in
sieben Landtage.
23
Das Scheitern der Partei bei der als Meilenstein erachteten
Bundestagswahl 1969 sollte zeigen, wie fragil die anfänglichen Erfolge waren.
Für die NPD begann daraufhin ein jahrzehnte andauerndes Siechtum, dem
auch populistisch intentionierte Versuche der Parteiführung, dem entgegenzu-
wirken, so beispielsweise die mit Hilfe der ,,Bürgerinitiative Ausländerstopp"
24
thematisierte Ausländerproblematik, nichts entgegensetzen konnten.
Der Bundestagswahlkampf 1990 stand im Zeichen der sich abzeichnenden
Vereinigung beider deutscher Teilstaaten. Die NPD setzte inmitten der Ein-
heitseuphorie weiterhin auf die Asyl- und Ausländerfrage.
25
So wurden während
des Wahlkampfes u.a. Plakate der SPD in Pirna abgerissen, beschmiert und mit
NPD-Aufklebern ,,Ausländer nach Hause" überklebt.
26
Die Deutsche Stimme
bemühte sich, mit Schlagzeilen wie ,,Ausländerstopp ist das Gebot der Stun-
de"
27
, ,,Multikulturelle Gesellschaft gleich Chicago gleich Tod und Elend"
28
und
,,Gegen Überfremdung und Asylantenkatastrophe"
29
für die NPD Stimmung zu
23
Vgl. Backes / Jesse, S. 69 ff.; Kühnl, Rainer / Rilling, Rainer / Sager, Christine (1996): Die
NPD. Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei. S.14.; Stöß, Richard
(1989): Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung ­ Ursachen ­ Gegenmaßnah-
men. S. 138f.; Wetzel, Juliane (1994): Der parteipolitische Rechtsextremismus, in: Kowalsky,
Wolfgang / Schroeder, Wolfgang [Hrsg.]: Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbi-
lanz, S. 95f.; Müller, Leo, A.(1989): Republikaner, NPD, DVU, Liste-D... S.58.; Hoffmann, Uwe
(1999): Die NPD. Entwicklung, Ideologie, Struktur. S.74 ff.
24
Pfahl-Taughber (1999), S.34.
25
Hoffmann, S. 252.
26
Aktion Zivilcourage e.V. (ohne Datumsangabe): Situationsbeschreibung Rechtsextremismus
S. 2
27
Deutsche Stimme 10/1990, nach Hoffmann, S. 252.
28
Deutsche Stimme 12/1990, nach Hoffmann, S.252.
29
Deutsche Stimme 11/1990, nach Hoffmann, S. 252.

12
machen. Es ist zweifelhaft, dass die Bürger der ehemaligen DDR mit dem Beg-
riff der ,,Multikulturellen Gesellschaft" dieselben Überfremdungsängste verban-
den, welche die Funktionäre der NPD zu vermitteln suchten. Auch das darin
gezeichnete Bild Chicagos erscheint unglücklich gewählt und kann so kaum für
eine Bevölkerung, die zunächst unter finanziellem Vorbehalt ihre neuerworbene
Reisefreiheit zu nutzen wünschte, als nachvollziehbar angesehen werden. Die
Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze und ein Appell seitens der NPD an die
Heimatvertriebenen zeugt ebenso wenig von Verständnis für das Geschichts-
bewusstsein der DDR-Bürger wie von deren Erwartungen an die Zukunft. Es ist
dies vielmehr Ausdruck der revisionistischen Perspektive der NPD.
II.2. Die Partei unter Voigt
Nach dem Fall der Berliner Mauer war dem Versuch, die Themen des alten
Rechtsextremismus aus der Bundesrepublik in die neuen Bundesländer zu
exportieren und parteilich zu organisieren, kein Erfolg beschieden. Das pro-
grammatische Angebot der NPD bot bis in die Mitte der 1990'er Jahre durch die
starke Betonung von Geschichtsrevisionismus und rassistischer Ressentiments
keine elektorale Option für die ostdeutsche Bevölkerung und verhinderte damit
die ernsthafte Etablierung einer rechtsextremen Wahlpartei Ost. Weiterhin exis-
tierte mit der PDS bereits eine Partei, die durch die Betonung der sozialstaatli-
chen Errungenschaften der DDR einerseits die Ängste jener ostdeutschen Be-
völkerungsteile artikuliert, die infolge des Systemtransfers ihre Existenz als
bedroht ansahen, sich als Verlierer der Einheit betrachteten oder auf die so
empfundene Härte der westlichen Gesellschaft nicht vorbereitet waren und
andererseits den ehemaligen Eliten der DDR eine politische Heimat bot.
30
Voigt
übernahm den Vorsitz zu einer Zeit, in der sich die NPD auf dem politischen
Abstellgleis befand. In den alten Bundesländern machten die politische Isolation
und die Anhaftung des Nazistigmas zu schaffen. Trotz der Anbiederung an die
rechtsextreme Szene waren die Mitglieder zusehends überaltert und übten sich
30
Sturm, Eva (2000): Und der Zukunft zugewandt? Eine Untersuchung zur Politikfähigkeit der
PDS. S. 232; Moreau, Patrick (1998) Die Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Moreau,
Patrick / Lazar, Marc; Hirscher, Gerhard [Hrsg.]: Der Kommunismus in Westeuropa. Niedergang
oder Mutation? S. 293.

13
unflexibel in einer Geisteshaltung der Opferrolle, die keine Anknüpfungspunkte
zur Gegenwart bot.
31
Die Wahlergebnisse blieben meist unter einem Prozent,
32
der gesamtgesellschaftliche Einfluss der NPD war durch die verheerende Au-
ßenwirkung irreparabel geschädigt und innerhalb des rechtsextremen Spekt-
rums waren zudem mit der Deutschen Volksunion (DVU) und den Republika-
nern (REP) zwei meist erfolgreichere Konkurrenten aufgetreten.
33
Weiterhin
verschärfte die Unfähigkeit der Partei Wahlen zu gewinnen, der Einzug in den
Frankfurter Römer 1989 bildete die Ausnahme, die desaströse Finanzlage der
Partei zusehends. Und schließlich war durch den Beitritt der DDR zum Gel-
tungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik der Rechtsextremismus
und damit auch die NPD eines zentralen Themas beraubt. Wie also reagierte
die Partei angesichts dieser Ausgangslage?
Voigt widmete sich zunächst des für die Partei elementaren Problems der Mit-
gliedergewinnung. Hatte die Partei zum Beginn seiner Amtszeit bundesweit ca.
3.500 Mitglieder,
34
sollten es im Jahr 2002 6.100 sein.
35
Die unter Deckert be-
gonnene Radikalisierung trug unter Voigt Früchte, wobei sich besonders die
Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten (JN) hervortat, in
der sich die Umworbenen sammelten und deren Einfluss bis an die Führungs-
spitze der Partei reichte.
36
Sich diese nutzbar machend, legte der Bundesvor-
stand 1997 sein ,,Drei-Säulen-Konzept" vor, das vergleichbar einer road map
der NPD die Umorientierung von der kurzfristigen Konzentration auf Wahlen bis
hin zu einer langfristig angelegten gesellschaftlichen Integration, geleitet von
der Vision einer Nationalen Außerparlamentarischen Opposition (NAPO), er-
möglichen sollte.
37
Seinem Inhalt nach beschreibt es eine Strategie, welche die
NPD selbst unter der Formel dem ,,Kampf und die Köpfe", ,,Kampf um die Stra-
31
Erb, Rainer (2002): Die kommunalpolitische Strategie der NPD Ende der neunziger Jahre, in:
Lynen von Berg, Heinz / Tschiche, Hans-Jochen [Hrsg.]: NPD ­ Herausforderung für die Demo-
kratie? S. 46f.
32
Brodkorb, S. 37.
33
Vgl. Pfahl-Taughber, Armin (2002): Die ideologische, strategische und organisatorische Ent-
wicklung der NPD in der zweiten Hälfte der neunziger Jahr, in: Lynen von Berg, Heinz / Tschi-
che, Hans-Joachim [Hrsg.]: NPD ­ Herausforderung für die Demokratie? S. 14.
34
Pfahl-Taughber (2002), S. 25 f.
35
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfVS) (2003): Verfassungsschutzbericht 2003, S.66.
36
Neugebauer, Gero (2001): Extremismus - Rechtsextremismus-Linksextremismus, in: Schu-
barth, Wilfried / Stöss, Richard [Hrsg.]: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland,
S. 16; Hoffmann, S. 272 f. ; Pfahl-Taughber, Armin (2002) S. 34 f.
37
Butterwegge (2002): Rechtsextremismus und der Bundesrepublik Deutschland., S. 52.

14
ße" und ,,Kampf um die Parlamente" zusammenfasst und das dem Anspruch
der wählbaren Alternative gerecht werden soll.
38
II.3. Der Landesverband Sachsen
Das Augenmerk beim Aufbau einer funktionsfähigen Parteistruktur galt insbe-
sondere den neuen Ländern. Die Konzentration der NPD auf Sachsen als
Sprungbrett für eine bundesdeutsche Rennaissense ist u.a. auf die sich bereits
kurz nach der Wende gebildeten und sich rasch verfestigenden, wenngleich
parteilich unorganisierten, rechtsextremen Strukturen im Freistaat zurückzufüh-
ren.
39
Der Landesverband Sachsen gilt als Hochburg der NPD. Erste vorsichtige Kon-
takte mit den neuen Bundesländern fanden auf den Montagsdemonstrationen in
Leipzig statt. Doch die zunächst zuversichtliche Unterstützung der ostdeutschen
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) wurde nach deren Orien-
tierung in Richtung der FDP wieder aufgegeben.
40
Am 24. März 1990 fand die
Gründung der Mitteldeutschen Nationaldemokraten (MND) statt, der am 2. Sep-
tember 1990 in Leipzig die des Sächsischen Landesverbandes der NPD unter
dem Vorsitz des heutigen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jürgen Schön
folgte. Auf dem Vereinigungsparteitag in Erfurt am 7. Oktober 1990 kam es
schließlich zum Zusammenschluss der sich in den neuen Ländern gebildeten
Parteistrukturen mit denen der alten Länder. Im Schatten des bundesdeutschen
Radikalisierungsprozesses gelang es der NPD-Sachsen durch die Kooperation
mit Neonazis und Skinheads, ab 1995 den Organisationsgrad und die Verflech-
tung mit extremen Gruppen erheblich zu steigern.
41
Nach einem ab 2001 ein-
setzenden Rückgang hat sich die Mitgliederzahl bei aktuell bei ca. 800 stabili-
siert.
42
Welche Bedeutung Sachsen durch die NPD eingeräumt wird, zeigt sich
38
Brodkorb, S. 57.
39
Aktion Zivilcourage, ebenda.; BfVS (1999): Entwicklung im Rechtsextremismus in den neuen
Ländern, S.27.
40
Hoffmann, S. 251 f.
41
Stöss, (1999): S. 78 f.
42
Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen(LfV Sachsen) (2003): Verfassungsschutzbericht,
S. 42.

15
darin, dass sowohl das Parteiorgan Deutsche Stimme als auch die Bundesge-
schäftsstelle der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Pirna ansässig sind,
43
wenngleich kein eigenständiger Landesverband der JN in Sachsen existiert. Zu
den heute aktivsten Zentren der Partei in Sachsen zählen die Räume Görlitz,
Leipzig, Meißen und die Sächsische Schweiz.
Die Erfolge des Landesverbandes sind im Kontext mit dem qualitativ und quan-
titativ hohen Vernetzungsgrad sowohl zwischen einzelnen rechtsextremen
Gruppen selbst, wie auch zwischen der NPD und diesen Gruppen zu sehen. Zu
ihnen zählte bis zu ihrem Verbot die Wiking Jugend (WJ), die 1991 den Gau-
Sachsen gründete, die Nationale Offensive
44
(NO), Nationale Front (NF)
45
, Ka-
meradschaft Pirna sowie die Kameradschaft Sächsische Schweiz. Deren Vor-
sitzender war das ehemalige Mitglied der WJ Michael Wiegand. Wiegand selbst
ist heute nach Leichsenring zweiter Mann in der NPD-Fraktion des Königsteiner
Stadtrates. Unter Federführung des ehemalige NPD-Kreisvorsitzende Stefan
Giemsa fanden Treffen mit Größen der Neonaziszene in von ihm geführten Lo-
kalitäten statt, zu denen u.a. auch bekannte Namen wie Christian Worch, Mi-
chael Swierczeck, Thomas Wulff, Frank Schwerdt, Meinolf Schönborn und Ar-
nulf-Winfried Priem erschienen. Der Kreisverband in der Sächsische Schweiz,
Pirna/Sebnitz, zählt zu den mitgliederstärksten und umtriebigsten der NPD. Die
Gründung erfolgte am 8. November 1991 durch 30 Mitglieder. Der Kreisverband
umfasst nach eigenen Angaben ca. 170 Mitlieder, mehr als SPD oder Bünd-
nis90/Die Grünen,
46
und unterhält zudem enge Verbindungen zu den Skinheads
Sächsische Schweiz (SSS).
43
Ebenda S.43.
44
Wurde 1992 verboten.
45
Bis dahin existierten kaum eindeutige Belege über Aktivitäten der NF in Sachsen. Dennoch
wurde bei einer Durchsuchung der Polizei im September 1993 in Königstein umfangreiches
Propagandamaterial beschlagnahmt. Die NF wurde 1994 verboten.
46
Aktion Zivilcourage, S. 15.

17
III. Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern
,,Nach der Einheit waren wir wieder Lehrlinge. Viele fühlten sich fremd im eigenen Land. Sicher
erklärt sich ihre Bitterkeit auch aus neu erfahrener Hilflosigkeit und Enttäuschung. Sie hatten
vom Paradies geträumt und wachten auf in Nordrhein-Westfalen."
Joachim Gauck
Die NPD konnte, wie auch andere rechtsextreme Parteien, in der ersten Hälfte
der 1990'er Jahre keine Wahlsiege verbuchen. Im Vergleich zu Republikanern
(REP) und DVU sanken ihre Mitgliederzahlen sogar bundesweit drastisch.
47
Erste Erfolge für rechtsextreme Parteien stellten sich erst in der zweiten Hälfte
der Dekade ein. Die These der Arbeit geht von einer Modifikation des parteilich
organisierten Rechtsextremismus, beispielhaft der NDP in Sachsen, entspre-
chend räumlicher Spezifika aus. Vor diesem Kontext stellt sich die im folgenden
Kapitel zu beantwortende Frage, wie die Überwindung der Zweistaatlichkeit in
den neuen Ländern empfunden wurde. Einen aussagekräftigen Indikator über
die individuelle Reflexion der Lebensverhältnisse stellt der Sozialreport des
Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin Brandenburg e.V. dar.
III.1. Demokratischer Vertrauensverlust
,,Mit den Ereignissen im Herbst 1989 begann eine Zeit, in der in den heutigen
neuen Bundesländern in einem bis dahin nicht bekannten und später auch nicht
wiederkehrenden Maße zahlreiche Bürger unterschiedlicher sozialer Gruppen
ihre Interessen artikulierten und auf demokratische Art und Weise in gesell-
schaftspolitische Debatten und Entscheidungsprozesse einbrachten [...]"
48
Es
können und sollen hier nicht die Leistungen des Transformationsprozesses in
den nun fünfzehn Jahren deutscher Einheit in Frage gestellt werden. Dies wäre
unseriös. Doch ist für die vorliegende Arbeit grundlegend von Interesse, welche
Perspektive die Bürger der neuen Bundesländer auf den Einigungsprozess
einnehmen und wie sich das begründet.
47
Brodkorb, S. 38.
48
Winkler, Gunnar (2004) Leben in den neuen Bundesländern, in: Winkler, Gunnar (Sozialwis-
senschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V.) [Hrsg.] Sozialreport 2004: Daten
und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, S. 20.

18
Ein eindeutiger Ausdruck der Unzufriedenheit war die Bundestagswahl 1998.
Es ist bezeichnend, dass die Bürger dabei gerade jene Parteien abstraften, ,,[...]
die 1990 von den Ostdeutschen wegen ihres Beitrags zur deutschen Einheit
belohnt wurden."
49
So büßten CDU/CSU und FDP in der Zeitspanne von acht
Jahren fünfundzwanzig Prozentpunkte an Zweitstimmen ein. Stöss schreibt
dazu, dass ihnen die von den Ostdeutschen empfundene Gerechtigkeitslücke
zum Verhängnis wurde, die sie missachteten. Der Nutznießer dieser Wahl wa-
ren SPD, PDS und rechtsextreme Parteien.
50
Die an die rot-grüne Regierung gestellten Erwartungen wurden im Zuge des
sozialstaatlichen Umbaus nicht erfüllt. Entsprechend kam es zu ersten messba-
ren Einbrüchen in den Kategorien Lebenszufriedenheit, individuelle wirtschaftli-
che Situation und Zukunftsperspektive im Zeitraum ab 1998, der sich ab dem
Jahr 2002 zusehends verschärfte.
51
Gleichwohl, als von den als unpopulär
empfundenen Maßnahmen neue wie alte Bundesländer betroffenen waren und
sind, dienten sie nicht der erhofften Angleichung der Lebensverhältnisse, son-
dern stabilisierten die bestehenden Unterschiede vielmehr bzw. bauten diese
noch aus. Winkler verweist in diesem Zusammenhang auf ein häufig und fälsch-
licherweise geäußertes Vorurteil. ,,Trotz der Fülle von ,Ostalgie'-Veranstaltun-
gen des öffentlichen und privaten Fernsehens, trotz zunehmender Akzeptanz
individueller Entwicklungen in der DDR kann und darf das nicht dazu verleiten
anzunehmen, dass die Bürger der neuen Bundesländer ihre Bewertung zu ihren
Lebensverhältnissen vorrangig aus ihrer Vergangenheit und dem ständigen
DDR-Vergleich heraus vornehmen würden."
52
Das deckt sich mit den Erhebun-
gen des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin Brandenburg
e.V. Die Autoren kommen hierbei zu dem Ergebnis, ,,[...] dass die in den neuen
Bundesländern seit 1990 erreichten und anerkannten Veränderungen in den
Lebensverhältnissen zugleich damit verbunden sind, dass sich die beiden Teil-
gesellschaften in Deutschland weiter verfestigen. [...] Sich unterscheidende
Parallelstrukturen [...] haben zu einer eigenständigen Ost-Identität geführt, die
ihre Wurzeln nicht vorrangig in der gemeinsamen Vergangenheit, sondern der
49
Stöss, (1999) S. 67f.
50
Ebenda.
51
Winkler, Gunnar (2004), S. 27.
52
Winkler, Gunnar (2004), S. 22 f .

19
aktuellen Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern
hat."
53
Die ,,[...] nicht erfolgte Angleichung der Lebensverhältnisse [führt] zu dem
Gefühl der kollektiven Abwertung erbrachter Lebensarbeitsleistung und nicht
gerechtfertigter Ungleichbehandlung [...], verbunden mit der nicht erkennbaren
wirtschaftlichen Trendwende sowie spezifischen [sic!] Wirkungen des Sozialab-
baus Ost, verfestigt sich die Annahme, in einer ,Sonderregion' zu leben [...]".
54
,,Die subjektiven Befindlichkeiten [...] sind charakterisiert durch eine zunehmend
hohe Zukunftsverunsicherung und sich deutlich verschlechternde Bewertungen
der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage sowie der allgemeinen Lebenszufrie-
denheit."
55
Seinen Niederschlag findet dies in Zukunftsunsicherheit, welche ,,die
soziale Stabilität langfristig gefährden kann."
56
Auch wird die deutsche Einheit
in Anbetracht der Langwierigkeit des Angleichungsprozesses von Jahr zu Jahr
verhaltener bilanziert, so dieser als überhaupt noch als Zielstellung angesehen
wird.
57
Die innerhalb der ersten Jahre zunehmende Unzufriedenheit schlug sich, wie
oben erwähnt, in dem zuversichtlichen Votum für die rot-grüne Regierung nie-
der. Die jedoch daraufhin de facto gebildete Große Koalition bei der Verab-
schiedung von Sozial- und Steuerreform hat zu einer fortschreitenden Unschär-
fe in Zielen und Inhalten der Parteien geführt. Infolge sehen sich die Bürger in
den neuen Ländern zunehmend mit der Erosion ihres politischen Gestaltungs-
spielraums konfrontiert. Das daraus erwachsene Demokratiedefizit spiegelt sich
in folgenden Zahlen wider: Auf die Frage nach der Wichtigkeit, in einer Demo-
kratie zu leben, gaben 22 % als sehr wichtig und 44 % als wichtig an. Lediglich
6 % sind mit ihren politischen Einflussmöglichkeiten zufrieden, 9 % mit der de-
mokratischen Entwicklung, wobei auch für die Zukunft das Gros eine Ver-
schlechterung erwartet.
58
53
Ebenda, S. 13.
54
Ebenda.
55
Ebenda.
56
Ebenda, S. 14.
57
Ebenda.
58
Piller, Eckhard / Winkler, Gunnar (2004) Demokratie und gesellschaftliche Mitwirkung, in
Winkler, Gunnar / Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. [Hrsg.]
Sozialreport 2004: Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, S. 20; S.
301 ff.

20
Zwar wird der hierbei sichtbare Vertrauensverlust durch Engagement in Verei-
nen, Verbänden und Initiativen kompensiert und stellt die Basis für eine Interes-
sensartikulation jenseits der etablierten politischen Bühne und die notwendige
Basis einer funktionierenden Zivilgesellschaft dar,
59
dennoch zeugt die Tatsa-
che, dass 43 % der Bürger in den neuen Bundesländern die Ansicht vertreten,
keine Interessenvertretung zu besitzen, von einer zumindest latenten Diskrimi-
nierungserfahrung.
60
Die Ursachen sind in den Enttäuschungen über den
Transformationsprozess zu suchen. Aufschlussreich ist weiterhin die geäußerte
Auffassung, ,,dass die jetzt vorliegenden Reformansätze mehrheitlich nicht den
sozial Bedürftigen dienen, sondern eine Umverteilung finanzieller Mittel zuguns-
ten von Wirtschaft, Versicherungen und Unternehmen darstellen. Der Umbau
des Sozialstaates wird von den Bürgern als direkter Angriff auf einen ohnehin
als unsicher betrachteten Lebensstandard wahrgenommen.
61
Es fehlt hier der
Glaube, dass seitens der Parteien und Verbände eine [...] Sozialreform im Inte-
resse der Bürger realisiert wird."
62
Die Meinung der Mehrheit sieht darin viel-
mehr die Durchsetzung von Minderheiteninteressen.
Die als zunehmend empfundene Diffusität in der Abgrenzung der politischen
Parteien und deren programmatischer Aussagen hat in der Wahrnehmung der
Bevölkerung den anfänglichen ostdeutschen Akt der Selbstbefreiung zu einem
Prozess der institutionalisierten Fremdbestimmung werden lassen.
63
Der Ver-
trauensverlust in die politischen Institutionen und Interessenvertretungen findet
seinen Ausschlag darin, dass selbst die großen Volksparteien, mit Ausnahme
der PDS, einen Mangel an Kandidaten für die Kommunalvertretung verzeich-
nen. Helmut Wiesenthal bescheinigt dem System der Interessenrepräsentation
in Ostdeutschland eine strukturelle Asymmetrie, die sich in der ,,[...] Schlagseite
zugunsten westdeutschen Personals und westdeutscher Politikpräferenzen [...]
ausdrückt."
64
Aus Sicht der Bürger der neuen Bundesländer ist nach der ersten
Phase Einheitseuphorie und der anschließenden im Bewusstsein sich verfesti-
59
Ebenda.
60
Winkler, Gunnar (2004), S. 15.
61
Ebenda, S. 53.
62
Ebenda S. 15.
63
Schmidt, Werner (1999): Die Orientierungsprozesse ostdeutscher Arbeitnehmer und Arbeit-
nehmerinnen, in WSI Mitteilungen 10/1999, S. 673.
64
Wiesenthal, Helmut (1999): Die Transformation der DDR. Verfahren und Resultate. S.31.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836601955
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Politik- und Sozialwissenschaften, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
sachsen nationaldemokratische partei deutschlands deutschland sozialpolitik rechtsextremismus angstrhetorik
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Titel: Die sozialpolitische Konzeption der NPD in den neuen Bundesländern am Beispiel Sachsens
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