Lade Inhalt...

Die Geschichte des Fußballs

Vom Strohball zur Bundesliga: Der Weg vom historischen Ballspiel bis in die Neuzeit

©2010 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Zahlreiche Menschen spielen Fußball. Dabei sind Geschlecht, Herkunft, politische Ansichten, soziale Stellung und Ansehen von keiner, Alter und Können von untergeordneter Bedeutung. Der Deutsche Fußball Bund, der größte Dachverband der Welt, verzeichnet gut sechseinhalb Millionen Aktive – etwa ein Sechstel davon weiblich – in knapp 26.000 Vereinen. In den letzten Jahren hat sich die Mitgliederzahl stetig erhöht und heute sind so viele wie noch nie offiziell registriert. Fußball ‚boomt’ offensichtlich in Deutschland und dies nicht erst seit dem Sommermärchen im Jahre 2006.
Die Frage nach der Jungen liebster Freizeitbeschäftigung wird in den meisten Fällen mit ‚Fußball’ beantwortet, selbst wenn gar nicht im Verein gekickt wird, oder, noch kurioser, wenig Geschick bzw. anderweitig ungünstige Voraussetzungen für dieses Spiel mitgebracht werden. Manch Jüngere kleben seit ihrem zweiten Lebensjahr am Ball, manch ältere können es mit 70 noch nicht lassen. In ein- und derselben Mannschaft spielen Rechtsanwälte neben Maurer, Lehrer neben Möbelpacker. Selbst Blindenfußball wird seit einigen Jahren in Deutschland praktiziert. Es scheint ein Spiel ohne Grenzen – und das in jeder Beziehung.
Zunächst gilt es zu klären, wie man Fußball spielt. Fußball ist ‚ein Mannschaftsspiel, bei welchem zwei Teams mit jeweils zehn Feldspielern und einem Torwart den Ball mit seinem vollen Umfang hinter die Linie des gegnerischen Tors zu befördern versuchen’. Dabei ist es auch gleichzeitig die Aufgabe der gesamten Mannschaft, sich zu bemühen, daß der Gegner nicht dasselbe schafft. Als wichtigste Regeln kommen hinzu: Der Ball darf mit allen Körperteilen außer mit den Armen gespielt werden und bei Körperkontakt muss der Ball im Mittelpunkt stehen, nie der Gegner.
Die Spielidee lässt sich demnach wie folgt formulieren: Tore erzielen, Tore verhindern, dies alles ohne Zuhilfenahme der Arme und dabei möglichst wenig Körperkontakt zum Gegner – wir wollen stets fair bleiben. Mit diesen Hinweisen können sogar talentierte Fünfjährige ein durchaus ansprechendes Spiel gestalten.
Einer der zweifelsohne interessantesten Aspekte des Fußballs stellt die nicht immer sofort aufkeimende Frage nach seinem Ursprung und seinem historischen Verlauf dar. Wer denkt schon bei Bundesliga und Champions League sogleich an mittelalterliche Fruchtbarkeitsspiele oder bei der unmittelbar bevorstehenden 19. Weltmeisterschaft in Südafrika an strohgefüllte Lederbälle?
Allgemein […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christopher Solmsdorf
Die Geschichte des Fußballs
Vom Strohball zur Bundesliga: Der Weg vom historischen Ballspiel bis in die Neuzeit
ISBN: 978-3-8428-2137-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2010
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

Montreux im Herbst
1886
E
s war ein seltsames Spiel. Ein Dutzend junger M¨
anner, manche fast
noch Knaben, angetan mit verschmutzten Kniebundhosen, leichten
Pullovern und runden M¨
utzen, rannten auf einem abgesteckten Gras-
platz wild durcheinander, dr¨
angten und fielen, feuerten sich an oder
riefen heisere Fl¨
uche. Niemand war da, der das Geschehen koordinierte. Niemand
gab Anweisungen, niemand befahl Bewegungsabl¨
aufe und K¨
orperhaltung, niemand
hatte Bahnen markiert, Figuren inszeniert oder Gruppen synchronisiert. Nur ein
Ball gab den Rhythmus vor, eine zusammengeflickte Lederkugel, die, von kr¨
aftigen
Fußtritten gestoßen, ¨
uber die holprige Wiese sprang. Der Ball war die Autorit¨
at
bei diesem Spiel, ein absoluter Herrscher, der ihnen Ziel und Richtung gab. Flog
er nach links, auf eines der mit Holzst¨
ocken markierten Ziele zu, so rannten sie
ihm hinterher ­ einige, die ihn vorw¨
arts zu stoßen trachteten, andere, die zu ver-
hindern suchten, daß er das Ziel erreichte. Waren die Verteidiger erfolgreich und
gelang es ihnen, die Richtung des Balles umzukehren, so ¨
anderten zw¨
olf Spie-
ler in einem augenblicklichen Einvernehmen die Orientierung, drehten sich um,
dr¨
angten und rangelten in vertauschten Rollen. Wer eben noch vorw¨
arts gest¨
urmt
war, wurde zum Verteidiger, wer vorher geblockt und gegr¨
atscht hatte, ging nun
schreiend und gestikulierend in die Offensive. Doch wo immer sie standen, lie-
fen oder lagen: Ihr Blick war auf den Ball gerichtet, als erwarteten sie in jeder
Sekunde von ihm einen neuen, geheimnisvollen Impuls. . .

Der Text auf der vorigen Seite wurde dem Buch
"
Der Mann, der den Fußball nach Deutschland
brachte - Das Leben des Walther Bensemann" von B.-M. Meyer entnommen.

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
7
2 Die Geschichte des Fußballs
9
2.1
Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kul-
turen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2.1.1
Die Anf¨
ange in der chinesischen Kultur . . . . . . . . . . .
10
2.1.2
Das Alte ¨
Agypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2.1.3
Die Kultspiele der Maya und Azteken . . . . . . . . . . . .
23
2.1.4
Das alte Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
2.1.5
Panem et circenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
2.1.6
Kemari ­ Football in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
2.1.7
La Soule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
2.1.8
Calcio fiorentino
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2.1.9
English Games . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
2.2
Die Entwicklung des modernen Fußballspiels . . . . . . . . . . . .
48
2.2.1
Public Schools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2.2.2
Vom Rugby zum Soccer . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
2.2.3
Britannia rules the Waves . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
2.3
Fußball in Deutschland bis
1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.3.1
Konrad Koch ­ Deutschlands erster Fußball-Lehrer . . . .
60
2.3.2
Walther Bensemann ­ Vordenker, Antreiber, Querkopf . .
64
2.4
Fußball in Deutschland ab
1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.4.1
1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.4.2
Die Bundesliga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
2.4.3
Fußball in Deutschland: Zusammenfassung . . . . . . . . .
76
3 Comprehensio
79
4 Conclusio
83
Chronik
87
Abbildungsverzeichnis
97
Literaturverzeichnis
98
5


1
Einleitung
Zahlreiche Menschen spielen
Fußball. Dabei sind Geschlecht, Herkunft,
politische Ansichten, soziale Stellung und Ansehen von keiner, Alter und K¨
onnen
von untergeordneter Bedeutung. Der Deutsche Fußball Bund , der gr¨
oßte Dachver-
band der Welt, verzeichnet gut sechseinhalb Millionen Aktive ­ etwa ein Sechstel
davon weiblich ­ in knapp
26.000 Vereinen. In den letzten Jahren hat sich die
Mitgliederzahl stetig erh¨
oht und heute sind so viele wie noch nie offiziell regi-
striert. Fußball
"
boomt" offensichtlich in Deutschland und dies nicht erst seit
dem Sommerm¨
archen im Jahre
2006.
Die Frage nach der Jungen liebster Freizeitbesch¨
aftigung wird in den meisten
allen mit
"
Fußball" beantwortet, selbst wenn gar nicht im Verein gekickt wird,
oder, noch kurioser, wenig Geschick bzw. anderweitig ung¨
unstige Voraussetzun-
gen f¨
ur dieses Spiel mitgebracht werden. Manch J¨
ungere kleben seit ihrem zwei-
ten Lebensjahr am Ball, manch ¨
Altere k¨
onnen es mit
70 noch nicht lassen. In
ein- und derselben Mannschaft spielen Rechtsanw¨
alte neben Maurer, Lehrer ne-
ben M¨
obelpacker. Selbst Blindenfußball wird seit einigen Jahren in Deutschland
praktiziert. Es scheint ein Spiel ohne Grenzen ­ und das in jeder Beziehung.
Zun¨
achst gilt es zu kl¨
aren, wie man Fußball spielt. Fußball ist
"
ein Mann-
schaftsspiel, bei welchem zwei Teams mit jeweils zehn Feldspielern und einem
Torwart den Ball mit seinem vollen Umfang hinter die Linie des gegnerischen
Tors zu bef¨
ordern versuchen".
1
Dabei ist es auch gleichzeitig die Aufgabe der ge-
samten Mannschaft, sich zu bem¨
uhen, daß der Gegner nicht dasselbe schafft. Als
1
Rosenstein, M. 1997:
"
Das Ballsport Lexikon ­ Die Ball- und Kugelspiele der Welt", Verlag
Weinmann, Berlin, S. 227.
7

1 Einleitung
wichtigste Regeln kommen hinzu: Der Ball darf mit allen K¨
orperteilen außer mit
den Armen gespielt werden und bei K¨
orperkontakt muss der Ball im Mittelpunkt
stehen, nie der Gegner.
Die Spielidee l¨
asst sich demnach wie folgt formulieren: Tore erzielen, Tore verhin-
dern, dies alles ohne Zuhilfenahme der Arme und dabei m¨
oglichst wenig K¨
orper-
kontakt zum Gegner ­ wir wollen stets fair bleiben. Mit diesen Hinweisen k¨
onnen
sogar talentierte F¨
unfj¨
ahrige ein durchaus ansprechendes Spiel gestalten.
Einer der zweifelsohne interessantesten Aspekte des Fußballs stellt die nicht
immer sofort aufkeimende Frage nach seinem Ursprung und seinem historischen
Verlauf dar. Wer denkt schon bei Bundesliga und Champions League sogleich an
mittelalterliche Fruchtbarkeitsspiele oder bei der unmittelbar bevorstehenden
19.
Weltmeisterschaft in S¨
udafrika an strohgef¨
ullte Lederb¨
alle?
Allgemein bekannt ist wohl nur, daß das moderne Fußballspiel
"
irgendwann" in
England angefangen hat und daß es dann von dort aus in der ganzen Welt ver-
breitet wurde und auch
"
irgendwie" nach Deutschland kam. Nur sporadisch wird
die Frage nach dem
"
davor" laut, noch seltener wird sich nach dem
"
wie" und
"
warum" erkundigt.
Bei genauerer Betrachtung dr¨
angen sich folgende Fragen auf: Ist das Fußball-
spiel nun eine neuzeitliche, englische Erfindung oder beginnt der geschichtliche
Feldzug schon viel fr¨
uher? Welche historischen Ballspielkulturen hatten daher
wieviel Einfluss auf den modernen mitteleurop¨
aischen Fußball? Im Kern geht es
um das Anliegen eines zu eruierenden roten Fadens der Fußballhistorie.
Die vorliegende theoriegeleitete Arbeit wird sich der Historie der wichtigsten
vergangenen Ballspielkulturen annehmen und ­ so vorhanden ­ deren technische
und soziokulturelle Entwicklung bis hin zu einem Fußballspiel aufzeigen; einer
Verbreitung ebendessen wird nachgegangen, m¨
ogliche Einfl¨
usse auf andere Kul-
turen dargestellt. Im Anschluss werden alle Kandidaten auf deren Berechtigung
zur Einflussnahme gepr¨
uft.
Eine Chronik der wichtigsten Ereignisse rund um den modernen Fußball stellt
den Abschluss dieser Arbeit dar.
8

2
Die Geschichte des Fußballs
Die komplette und
ausf¨
uhrliche Historie des Fußballspiels in allen Kultu-
ren bedarf sicherlich mehrerer B¨
ucher. In der vorliegenden Ausarbeitung soll es
zwar einen m¨
oglichst umfassenden ¨
Uberblick ¨
uber die Geschichte der Ballspiele
2
als auch ¨
uber die Entwicklung des modernen Fußballs geben, doch gerade bei
letzterem m¨
ussen Kompromisse hinsichtlich des Umfangs gemacht werden, soll
der Rahmen dieser Arbeit nicht v¨
ollig gesprengt werden. So besitzt der erste Teil
der geschichtlichen Ausarbeitung den Charakter einer Stippvisite, und je nach
Wichtigkeit des Patienten f¨
allt sie l¨
anger oder k¨
urzer aus. Der zweite Teil hinge-
gen beschr¨
ankt sich auf die Entwicklung des modernen Fußballs in Deutschland;
daf¨
ur wiederum ist eine Betrachtung der neueren mitteleurop¨
aischen Ballspielge-
schichte, insbesondere der englischen, unumg¨
anglich.
2.1
Die Entwicklung der Ballspiele in verschie-
denen historischen Kulturen
Aus vielen historischen Kulturkreisen sind Ballspiele ¨
uberliefert. Dabei ent-
wickelte jede Kultur nat¨
urlicherweise ihre eigenen Spiele, Regeln und Br¨
auche.
Untersucht werden hier die allgemein bekannten und auch weniger bekannten
Ballspielkulturen ­ selbstredend immer mit Augenmerk auf eine m¨
ogliche Ent-
2
In den meisten Kulturen wurde ­ wenn ¨
uberhaupt ­ nicht ad hoc Fußball gespielt. Demnach
erfolgt immer zuerst eine Recherche allgemeiner Ballspiele, und, so vorhanden, im Anschluss
daran eine Analyse der Entwicklung bis hin zum Fußballspiel.
9

2 Die Geschichte des Fußballs
wicklung von fußball¨
ahnlicher Bet¨
atigung ­ in chronologisch korrekter
3
Reihen-
folge: China, ¨
Agypten, Mesoamerika, Griechenland, Rom, Japan, Frankreich, Flo-
renz, England und schließlich Deutschland. Eine Zusammenfassung schließt diese
historische und geographische Rundreise ab.
2.1.1
Die Anf¨
ange in der chinesischen Kultur
Wer tats¨
achlich als erster auf die Idee kam ­ zum Zeitvertreib, zur Zerstreu-
ung oder auch zur K¨
orperert¨
uchtigung ­ mit F¨
ußen gegen einen Ball oder einen
ball¨
ahnlichen Gegenstand zu treten, kann heute niemand mehr mit hinreichen-
der Genauigkeit sagen. Jedoch gilt China unter vielen Sporthistorikern als das
Mutterland des vorchristlichen Fußballs; zumindest kommen die ¨
altesten bisher
gefundenen ¨
Uberlieferungen von dort: Vor
5000 Jahren ­ vielleicht auch noch
fr¨
uher ­, als in Mitteleuropa das Sp¨
atneolithikum langsam in das Endneolithi-
kum ¨
ubergeht und es gerade
2000 Jahre her ist, daß England, bedingt durch den
rapiden Anstieg des Meeresspiegels, sich vom Festland trennt, beginnen chinesi-
sche Soldaten damit, einen Ball mit dem Fuß zu spielen.
Den Ball am Fuß
Erste Hinweise f¨
ur diese T¨
atigkeit finden sich f¨
ur das alte China im Grab
eines noch unbekannten Mannes, welcher im Jahr
168 v. Chr. in der heutigen
Provinz Hunan verstarb. Der Markgraf und die Markgr¨
afin von Dai ­ heute als
Sensationsfund bekannt, da kaum verwest ­ wurden ein paar Jahre sp¨
ater ganz in
der N¨
ahe beigesetzt, so daß man davon ausgehen kann, daß es sich um einen nahen
Verwandten dieser beiden hochgestellten Pers¨
onlichkeiten handeln musste. Unter
vielen kostbaren und qualitativ hochwertigen Grabbeigaben, wie Armst¨
utzen,
Spielbrettern, aufwendig dekorierten Gef¨
aßen und Ger¨
aten, fand man im Fr¨
uhjahr
1974 mannigfaltige Texte ­ Manuskripte, Aufs¨atze, Kommentare ­ zu Klassikern
der chinesischen Philosophie, Geschichte und Literatur, ferner Landkarten und
Pl¨
ane.
4
Mit dabei die verloren geglaubten
"
Vier Klassiker des Gelben Kaisers", welche
aus dem Jahr
330 v. Chr. stammen und vermutlich Laozi, bzw. Lao-Tse, verfasst
3
'Chronologisch korrekt' im Sinne von: erste Erw¨
ahnung eines Ballspiels nach heutigem Wis-
sensstand.
4
Vgl. Brinker, H. 2006:
"
Laozi flankt, Konfuzius dribbelt: China scheinbar im Abseits ­ vom
Fußball und seiner heimlichen Wiege", Verlag Peter Lang, Bern, S. 43.
10

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
hat, so er denn je gelebt hat.
5
Der zweite Teil daraus, der
"
Zehn-Gr¨
oßen-Klassiker", beinhaltet Gespr¨
ache des
"
Gelben Kaisers", Huangdi sijin, mit seinen Ministern ¨
uber milit¨
arisch-strategi-
sche Themen. Huangdi wird zu der Gruppe der f¨
unf Kaiser gez¨
ahlt, welche das
Land im Zeitraum zwischen den Urkaisern ­ Tianhuang, Dihuang, Taihuang ­
und den Dynastien regiert haben sollen. Im f¨
unften Kapitel des
"
Zehn-Gr¨
oßen-
Klassiker" wird die
"
Unterdr¨
uckung der Rebellion", zhengluan, thematisiert, bei
welcher der aufst¨
andische Chiyou, der
"
Rote Lord", und seine monstr¨
osen achtzig
Br¨
uder in der ersten großen Schlacht des chinesischen Altertums in der heutigen
Provinz Hebei gefangengenommen und Teile seines K¨
orpers einer makaberen Ver-
wendung zugef¨
uhrt wurde:
[. . . ] Seinen Magen ließ er zu einem Ball ausstopfen und befahl seinen
Leuten, damit Fußball zu spielen. Diejenigen, die am besten kickten,
wurden belohnt.
6
[. . . ]
Daraus ist zu entnehmen, und wenn dieser Legende Glauben zu schenken ist,
daß es zu dieser Zeit ­ man schrieb das
27. Jhd. v. Chr. ­ schon verschieden
gute Spieler unter den Soldaten gegeben haben muss; das wiederum l¨
asst auf ein
wie auch immer geartetes Training der Soldaten schließen, welches wahrscheinlich
entweder zur Erholung oder als Vorbereitung f¨
ur den Kampf stattfand. Weitere
Details lassen sich f¨
ur die Zeit der Longshan-Kultur, ca.
3000 - 2000 v. Chr., und
den beiden darauffolgenden Zeitr¨
aumen, Xia-Dynastie, ca.
2070 - 1600 v. Chr.,
Shang-Dynastie, ca.
1700 - 1100 v. Chr., leider nicht finden. Man kann aber ver-
muten, daß, ¨
uber die Jahrhunderte hinweg, vor allem Soldaten vom Fußballspiel
angetan waren, wenngleich die Bet¨
atigung in der damaligen Form wohl eher ei-
ner Rauferei um einen ball¨
ahnlichen Gegenstand geglichen haben muss; Solda-
ten waren damals wie heute zuallererst Soldaten, und es w¨
urde doch sehr ver-
wundern, wenn sie, angesichts ihres Berufes, zu fairen Mitteln oder gar zum
ber¨
uhrungslosen Kr¨
aftemessen aufgerufen h¨
atten. Eine Vorstellung davon ver-
mitteln zeitgen¨
ossische Darstellungen. So zeigt eine im Jahr
1827 entstandene
Radierung von Robert Cruikshank ,
1789 - 1856 n. Chr., ein Dutzend Soldaten,
5
Sowohl anhand von philologischen Untersuchungen als auch der Exegese von ¨
uberlieferten
Fassungen als auch von weitgehend fehlenden Lebensdaten kann man herauslesen, daß Laozi
wohl nie existiert hat, er vielmehr zum fiktiven geistigen Vater einiger tradierter, m¨
undlicher
¨
Uberlieferungen und Begr¨
under des Daoismus gemacht wurde.
6
So zitiert in: Brinker, 2006, S. 45.
11

2 Die Geschichte des Fußballs
die um den Ball raufen (s. Abb. 1). Das Ausmaß an Chaos und Brutalit¨
at d¨
urfte
in der Longshan-Kultur des alten Chinas kaum niedriger ausgefallen sein.
Abb. 1:
Ballspielende Soldaten um
1827.
Der Bibliograph Liu Xiang,
77 v. Chr. - 6 n. Chr., verweist in seinen
"
Separaten
Berichten", bielu, auf kritische Kommentare, die den zeitlichen Ursprung des
Fußballs wohl eher gegen Ende der ¨
Ostlichen Zhou-Dynastie, in die
"
Zeit der
Streitenden Reiche",
476 - 221 v. Chr., verlegen.
7
In einem anderen Werk, den
"
ankespielen der Streitenden Reiche", zhanguo ce, einer Sammlung historischer
Episoden und fiktionalen Erz¨
ahlungen ¨
uber Pers¨
onlichkeiten und Ereignisse aus
der Zeit zwischen dem 4. und 3. vorchristlichen Jahrhundert,
8
wird ¨
uber den Mi-
nister Su Qin aus Zhao berichtet, daß er bei Staatsbesuchen des K¨
onigs Xuan
von Qi um
332 v. Chr. ihn zu einem B¨undnis gegen den Staat Qin zu ¨uberreden
versucht. Dabei preist der Minister den fortschrittlichen Staat Qi und dessen
Hauptstadt Linzi in der heutigen Provinz Shandong, mitsamt seiner vielf¨
altigen
Kultur und reichen Bev¨
olkerung, die u. a. auch Spaß am Fußball, taju,
9
habe.
10
Dar¨
uberhinaus erw¨
ahnt der kritische Historiker und gelehrte Enzyklop¨
adist Ma
Duanlin,
1254 - 1325 n. Chr., in einem seiner Werke ein Lied ¨uber Fußball mit
7
Vgl. Brinker, 2006, S. 49.
8
Vgl. ebd.
9
Das bisher ¨
alteste belegte Wort f¨
ur Ball ist ju; es erscheint erst in der ersten H¨
alfte des
2.
Jhd. v. Chr. Daraus entwickelt sich sp¨
ater das taju und das cuju, beide in ihrer Bedeutung
¨
ahnlich. Der moderne Ausdruck zuqiu ist wiederum entstanden aus cuju und qiu, letzteres
sinngebend f¨
ur Federn und Haare: Stoffe, mit denen die B¨
alle fr¨
uher oft gef¨
ullt waren.
10
Vgl. Brinker, 2006, S. 49.
12

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
dem Titel
"
Fußball im [alten Staat] Chu", Chu cuju. Dort war es Brauch, jedes
Jahr zur Zeit der drei großen Bankette mehrere Musikst¨
ucke aufzuf¨
uhren; als elf-
tes ­ sicherlich ein Zufall ­ wurde ebendieses Lied vorgetragen. Sein Inhalt deutet
darauf hin, daß Fußball im Staate Chu,
847 - 223 v. Chr., schon damals sehr po-
pul¨
ar war.
11
Auch der Historiograph Sima Qian,
145 - 86 v. Chr., erinnert sich an das Fuß-
ballfieber in Linzi mit seinen siebzigtausend Haushalten und etwa zweihundert-
zehntausend wehrdienstf¨
ahigen M¨
annern:
[. . . ] Es gibt nicht einen Einwohner, der nicht die Fl¨
ote spielte, die
Zither zupfte, [. . . ] und liubo
12
oder Fußball spielte. [. . . ]
13
Fußball scheint also schon weit vor unserer abendl¨
andischen Zeitrechnung all-
zu bekannt. Wenn aber in Linzi in der Zeit um Archimedes' Geburt schon von
einem Fußballfieber gesprochen wird, stellt sich an dieser Stelle die Frage nach
dem Ursprung dieses Fieber. Auff¨
allig dabei ist die erw¨
ahnte hohe Anzahl an
wehrdienstf¨
ahigen M¨
annern. M¨
oglicherweise waren die meisten von ihnen bereits
Soldaten, wahrscheinlich gab es aber zumindest regen Kontakt zu Gleichaltrigen
unter Waffen. Dies wiederum erh¨
artet die o. g. Vermutung, daß sich das Fußball-
spiel im Laufe von zwei Jahrtausenden von einem Fitness- bzw. Belustigungspro-
gramm f¨
ur Soldaten in der Longshan-Kultur ­ sicherlich dort noch in anderer
Form, s. o. ­ zu einem beliebten Volkssport gewandelt zu haben scheint, der ver-
mutlich umso energischer betrieben wird, je mehr junge, m¨
annliche Menschen sich
in einer Stadt befinden. Schließlich findet er auch Eingang ins Volksliedgut und
wird zu Festen besungen. Anhand der erfolgreichen Erhaltung bzw. Verbreitung
des Fußballspiels ¨
uber diesen großen Zeitraum hinweg, ist zu erahnen, welchen
soziokulturellen Stellenwert es im alten China stets besaß. Die genauen Regeln
wie auch Umst¨
ande, unter denen Fußball gespielt wurde ­ ob mit Zuhilfenahme
der H¨
ande, ob auch Frauen zum Spiel zugelassen wurden, wie groß ein Spielfeld
war und ob auf Zeit oder nach Toren gespielt wurde oder ob es ¨
uberhaupt Tore
gab ­ kann f¨
ur die ersten
2500 Jahre Fußballgeschichte, anders als man es in di-
versen anderen Quellen findet, bisher nicht abschließend gekl¨
art werden.
11
Ebd., S. 50.
12
Liubo ist das ¨
alteste Brettspiel Chinas und wird h¨
aufig in einem Atemzug mit dem Fußball,
cuju, genannt. Der ¨
alteste Fund eines liubo-Spielbretts stammt aus dem
5.-4. Jhd. v. Chr.
13
So zitiert in: Brinker, 2006, S. 50.
13

2 Die Geschichte des Fußballs
Manche Historiker vermuten sogar, daß sich das Fußballspiel aus einer ganz
anderen Richtung, n¨
amlich aus dem rituellen Tanz, wu, verkn¨
upft mit der Bitte
um Regen, yu, entwickelt haben k¨
onnte. Belegt werden soll dies durch aus dem
13.-12. Jhd. v. Chr. stammenden Schriftzeichen aus Texten, welche in Orakel-
knochen eingeritzt wurden.
14
Dies w¨
urde bedeuten, daß sich aus dem Regentanz
allm¨
ahlich ein gemeinsamer Tanz mit einer zu tretenden Kugel entwickelte. Dazu
passen auch Bronzeinschriften aus dieser Zeit: Ein emblematisches Piktogramm,
bei dem vier F¨
uße im Uhrzeigersinn um ein Oval schreiten (s. Abb. 2), ist auch
heute noch Grundlage f¨
ur das moderne Schriftzeichen wei , was
"
Leder" bzw.
"
ge-
gerbte Haut" bedeutet. Rund eintausend Jahre sp¨
ater taucht es in leicht abgewan-
delter Form als sinngebender Bestandteil im ¨
altesten ¨
uberlieferten Schriftzeichen
ur
"
Fußball" auf.
15
Abb. 2:
Li: Bronzeinschriften der Shang-Dynastie aus
dem
13. - 12. Jhd. v. Chr., re: altes chin. Schriftzeichen
ur
"
Leder", wei.
oglicherweise hat sich das Spiel mit dem Ball am Fuß tats¨
achlich aus einem
ballbegleitenden Regentanz ­ oder aus anderweitiger k¨
unstlerischer Darbietung,
die als Hauptmerkmal ein oder mehrere B¨
alle verwendete ­ heraus entwickelt.
Einen weiteren vagen Hinweis auf diese Theorie gibt ein Relief eines in der Provinz
Henan entdeckten Grabes (s. Abb. 3).
Auf schraffiertem Grund demonstriert hier ein Spieler seine Ballkunst ­ mit zwei
allen am Fuß und einem auf dem Kopf. Dazu schwingt er die langen ¨
Armel
seines Gewandes in t¨
anzerischer Pose. Daf¨
ur, daß Wandgem¨
alde oder Reliefdar-
14
Vgl. Brinker, 2006, S. 24.
15
Vgl. ebd., S. 27.
14

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
Abb. 3:
Dribbelnder Ballartist, Detail ei-
nes Reliefs aus der
¨
Ostlichen Han-
Dynastie.
stellungen, in denen der Ball tats¨
achlich mit dem Fuß gespielt wird, nur sehr
sporadisch ¨
uberliefert sind,
16
sind doch auff¨
allig oft t¨
anzerisch anmutende oder
zumindest artistische Motive verewigt.
Die Annahme, einen der Urspr¨
unge des Fußballspiels im rituellen Tanz zu suchen,
kann also ebensowenig zur¨
uckgewiesen werden, wie die Vermutung, daß Soldaten
das Spiel um das runde Leder erfunden h¨
atten.
Daß beide Theorien sich nicht gegenseitig ausschließen liegt auf der Hand: W¨
ah-
rend die Soldaten im alten China ¨
uber Jahrhunderte hinweg mit B¨
allen spielerisch
ihre Kr¨
afte messen, bitten die Frauen beim Tanz um Regen. Beide Entwicklungs-
str¨
ange verlaufen so lange parallel, bis sie schließlich gegen Mitte der ¨
Ostlichen
Zhou-Dynastie zum festen Bestandteil im Liedgut und bei Feiern werden.
Das alles wiederum l¨
asst den Schluss zu, daß es bis in diese Zeit weit weniger
Regeln und klare Richtlinien zu geben scheint, als gerne vermutet wird. Wenn im
alten China zur Zeit der ¨
Ostlichen Zhou-Dynastie von Fußballern die Rede war,
so waren damit wom¨
oglich nur besonders begabte Ballartisten gemeint, die ihr
onnen zu gegebenen Anl¨
assen zeigten; ein Fußballspiel war vielleicht nur eine
Rauferei der kr¨
aftigsten M¨
anner um den Ball nach dem modernen Parteiball-
16
Vgl. ebd., S. 31.
15

2 Die Geschichte des Fußballs
Prinzip oder ­ in anderen Gegenden Chinas ­ ein gemeinsamer Tanz von jungen
Frauen, bei welchem die Teilnehmer in pr¨
achtigen Kost¨
umen und synchronisierter
Choreographie den Ball in den Mittelpunkt stellten.
Erst gegen Ende der ¨
Ostlichen Zhou-Dynastie, im
4. - 3. Jhd. v. Chr., nimmt diese
Bet¨
atigung Volkssportcharakter an. Fast zwangsweise folgt damit bald darauf die
Errichtung spezieller Pl¨
atze und die Aufstellung bestimmter Regeln, welche im
Milit¨
ar dazu dienen, die korrekte Ausf¨
uhrung milit¨
arischer Befehle zu exerzieren.
Das Fußballspiel vor zweitausend Jahren
ur die Zeit der Han-Dynastie,
206 v. Chr. - 220 n. Chr., bezeugt eine Viel-
zahl literarischer Texte die Popularit¨
at des Fußballs. Der Staat erkennt die Vor-
teile und den Nutzen von fußballspielenden M¨
annern endg¨
ultig und erl¨
asst ausge-
feilte Anweisungen von Trainingseinheiten und
"
Bildanleitungen zur Fitness".
17
So gleicht Fußball in dieser Zeit einem mannschaftlichen Kampfsport mit rau-
hem K¨
orpereinsatz, was wiederum gute Gesundheit und Kondition voraussetzte.
Schon in der fr¨
uhen Han-Zeit ist es ¨
ublich, begrenzte Fußballarenen, juyu, unter
Erdniveau auszuheben, um Soldaten einen allzeit bereiten k¨
orperlichen und men-
talen Ausgleich zu bieten. Anderenorts werden niedrige Mauern errichtet, die,
modernen Banden gleich, das Spielfeld zu einer
"
Ballarena", jucheng, umgestal-
ten (s. Abb. 4).
Abb. 4:
Rekonstruktion einer Han-Arena.
Es stehen
12 Spieler auf dem Feld, sechs auf jeder Seite, an beiden schmalen Seiten
befinden sich je sechs Tore bzw. Torr¨
aume, so daß jeder Spieler einen
"
Ballraum",
jushi, zu verteidigen hat. Es gibt alsbald ein so ausgekl¨
ugeltes Regelwerk, daß es
im Palastareal der Han-Herrscher einen
"
Ballraum der Regelpflege", hanzhang
17
Ebd., S. 53.
16

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
jushi, gibt, und der Dichter He Yan es mit juristischen Verwaltungsordnungen
verglich.
18
Die Kaiser dieser Zeit sind fast ausnahmslos begeistert und w¨
urden
am liebsten mitkicken. Gao, Regent von
206 - 195 v. Chr., ließ sogar einen Fuß-
ballplatz seines Dorfes unweit des Palastbezirks nachbauen; seinem Vater zuliebe,
der damit Zeit seines Lebens ein Fußballfan bleiben konnte.
19
ur das Ende der
Han-Zeit sind erste Idole und wahre K¨
onner ¨
uberliefert: Xin Lingjun, Du Qi
und Kong Gui , um nur einige zu nennen. Letzterer soll ein auffallend sch¨
oner
und ballgewandter Star gewesen sein. Zumindest die Ballgewandtheit d¨
urfte ­
neben einigem angeborenen Talent ­ einen betr¨
achtlichen Trainingsumfang in
der Jugend verlangt haben. Ohne Zweifel treten das Fußballspiel und die dama-
ligen Br¨
auche und Normen der Gesellschaft schon zu dieser Zeit in eine positive
Wechselwirkung. So meisselt der Schriftsteller Li You,
55 - 135 n. Chr., eine kur-
ze, erschreckend moderne Zusammenfassung von dem, was auf einem Fußballfeld
passieren sollte, in eine Ballwand:
Der Ball ist rund, die Arena viereckig, ein symbolisches Abbild yin
und yang. Mit den zw¨
olf Monden als Richtschnur st¨
urmen sie aufein-
ander los. Denn mit je sechs sind [sie] ausgeglichen.
Ein Haupt[schiedsrichter] wird eingesetzt und ein Assistent aufge-
stellt. Ihre Regelauslegung muss Konstanz haben. Unparteiisch nahe-
stehenden oder entfernten. Keine Anbiederung und Selbstherrlichkeit
darf es geben. Mit aufrichtigem Herzen und ausgewogenen Gedanken
hat niemand etwas auszusetzen bei Fehlentscheidungen. [Wenn] die
Reglementierung des Fußballs schon derart korrekt ist, um wieviel
mehr muss dies f¨
ur die Kontrolle des Lebenswandels gelten?
20
Fußball auf dem H¨
ohepunkt
Ein paar Jahrhunderte sp¨
ater, in der Tang-Dynastie,
618 - 907 n. Chr., erreicht
die Begeisterung f¨
ur das Fußballspiel ihren H¨
ohepunkt. Nicht nur das Spiel selbst
war sehr beliebt, vielmehr durchzog es alle Bereiche der Gesellschaft: die Schrift-
kunst und Malerei, das Schauspiel, Theater, Gesellschafts- und Gl¨
ucksspiel; die
neu zu beobachtende Lust am Wettkampf, Spiel und Spektakel, an Dichtung,
18
Vgl. ebd., S. 67.
19
Vgl. ebd., S. 72.
20
So zitiert in: Brinker, 2006, S. 59.
17

2 Die Geschichte des Fußballs
Musik, Tanz er¨
offnet neue Perspektiven im Umgang mit alten Ritualen und Zere-
monien.
21
Es scheint, als wirke das Fußballspiel wie ein Katalysator auf das gesell-
schaftliche Zusammenleben und die individuelle Kreativit¨
at, durch alle Schichten
hindurch, besonders aber am Hofe.
In der Mitte des
7. Jhd. n. Chr. wird der mit einer Schweinsblase luftgef¨ullte Le-
derball erfunden. Der Gelehrte Xu Jian,
659 - 727 n. Chr., beschreibt den Aufbau
in den
"
Aufzeichnungen ¨
uber die Anfangsgr¨
unde des Lernens" und stellt ihn so
dem alten Ball gegen¨
uber.
22
Der endg¨
ultige Siegeszug des neuen Balls dauert zwar
noch anderthalb Jahrhunderte, doch am Anfang des
9. Jhd. n. Chr. m¨ochte ihn
keiner mehr missen. Der Ball ist nun runder, leichter, federnder und er¨
offnet v¨
ollig
neue technische und taktische Dimensionen. Anstelle des alten Begriffs cuju tritt
nun allm¨
ahlich im Hinblick auf den leichteren Ball ein neuer, cuqiu.
23
Auch wer-
den die Regeln weiterentwickelt: Es gibt nun nicht mehr zw¨
olf Tore pro Spielfeld,
sondern nur noch zwei große, cujumen, und diese k¨
onnen im Hinblick auf Maße
und Plazierung schon als Vorl¨
aufer der modernen Fußballtore gelten (s. Abb. 5).
Abb. 5:
Fußballspielfeld aus der Tang-Dynastie,
618 - 907 n.
Chr.
Mit Hilfe des luftgef¨
ullten Lederballs waren nun Dribblings, Steilp¨
asse, Flanken
und ein fl¨
ussiges Kombinationsspiel m¨
oglich. In Verbindung mit den ver¨
anderten
Toren ist zu vermuten, daß nun erstmals ­ in der Mitte des
9. Jhd. n. Chr. ­
ann¨
ahernd ein Fußballspiel nach heutigem Standard m¨
oglich ist.
Mit der Ver¨
anderung des Balls wird auch eine leichte Abwandlung des Spiels,
baida, popul¨
ar. Man stand beisammen und versuchte, den Ball so lange wie
21
Vgl. ebd., S. 82.
22
Vgl. ebd., S. 83.
23
Vgl. ebd.
18

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
oglich oben zu halten, d.h., daß der Ball bei gegenseitigem Zuspiel m¨
oglichst
nicht den Boden ber¨
uhren durfte. Hier waren nun alle K¨
orperteile erlaubt und
vor allem Frauen und Kinder hatten ihre Freude an dieser Spielart; in den
1970er
Jahren wird in den USA eine spezielle Variante davon wiederentdeckt,
"
footbag"
tritt seinen Siegeszug an. Gespielt wird mit einem kleinen, meist sand- oder reis-
gef¨
ullten Stoffb¨
allchen. Ziel ist es, diesen Ball nur mit den F¨
ußen in der Luft zu
halten. Nicht n¨
otig zu erw¨
ahnen, daß es dabei m¨
oglichst spektakul¨
ar auszusehen
hat.
Von Ligen und Vereinen
In der anschließenden Song-Dynastie,
960 - 1279 n. Chr., wandelt sich die Be-
olkerung von Konsumenten in Aktive. Es etablieren sich in der Gesellschaft
zahlreiche Klubs, vornehmlich literarische; von Dichtern und Denkern organi-
siert, finden in ihnen Lesungen und Lyrikwettbewerbe statt.
24
Sportlich enga-
gierte gr¨
unden u. a.
"
Fitnessklubs" und
"
Bogensch¨
utzenvereine". Nat¨
urlich wird
der Fußball auch von dieser Welle erfasst: Es entstehen Vereine und Ligen, und an
deren Spitze stand die
"
Bundes-Wolken-Liga", qiyunshe, in der die besten Spieler
zum Einsatz kamen.
Vielerorts wird dokumentiert ­ Fußballspieler oder fußballspielende Gruppen al-
ler Couleur wurden auf Spiegelr¨
uckseiten, F¨
achern, Kopfst¨
utzen, Seident¨
uchern,
Gew¨
andern und Bechern vor allem zwischen dem
12. und 16. Jhd. n. Chr. kunst-
voll in Szene gesetzt ­, daß es zwischen den Geschlechtern und den verschiedenen
sozialen Schichten keine Ber¨
uhrungs¨
angste gab.
25
Man darf also davon ausgehen,
daß das Fußballspiel gleich von Beginn an sehr zur Verst¨
andigung und Kontakt-
pflege innerhalb der gesamten Gesellschaftsstruktur beitrug und st¨
andische Gren-
zen aufzuheben vermochte. Dies belegt auch die Geschichte des selbsternannten
"
Fußballgotts", Gao Qiu aus der Hauptstadt Bianling im Jahre
1099. Dieser
zweifellos ¨
außerst talentierte Fußballer durfte bei einer zuf¨
alligen Begegnung mit
Prinz Duan auf dem Fußballfeld sein K¨
onnen demonstrieren. Gao ¨
uberzeugte in
seiner Vorstellung so sehr, daß der gelernte M¨
ußigg¨
anger aus einer verarmten Fa-
milie vom Fleck weg in die Palastmannschaft aufgenommen wurde. Fortan durfte
sich Prinz Duan, aus dem sp¨
ater Kaiser Huizong wurde, an seiner Entdeckung
erfreuen.
26
24
Vgl. ebd., S. 103.
25
Vgl. ebd., S. 109.
19

2 Die Geschichte des Fußballs
Ausklang
Die Gr¨
unde f¨
ur den Untergang des Fußballspiels im alten China sind viel-
altig. Das Spiel besaß schon im
12. Jhd. n. Chr. nicht nur Bef¨urworter. Kritische
Gelehrte zweifelten am Sinn und Nutzen des Fußballspiels, vor allem f¨
ur die Ju-
gend. Zudem darf man davon ausgehen, daß auch der am Anfang des
9. Jhd.
standardm¨
aßig eingesetzte luftgef¨
ullte Lederball einer schrittweisen Verbesserung
zugef¨
uhrt wurde, so daß er noch leichter und spielbarer wurde; eine Folge davon
urfte gewesen sein, daß es immer beliebter wurde,
"
nur" in 3er- oder 4er-Gruppen
zusammenzustehen und sich den Ball zuzuspielen, als tats¨
achlich k¨
orperlich an-
spruchsvolle und kraftraubende Matches auf einem großen Feld auszutragen.
Weiterhin untersagte Rebellenf¨
uhrer Zhu Yuanzhang, der Begr¨
under der Ming-
Dynastie,
1368 - 1644 n. Chr., seinen Soldaten dieses Freizeitvergn¨ugen, und sp¨a-
testens am Anfang der darauffolgenden Qing-Dynastie,
1644 - 1912 n. Chr., geriet
der Fußball vollends in Abseitsstellung. Die mandschurische Fremdherrschaft ver-
bot der Bev¨
olkerung k¨
orperliches und milit¨
arisches Training. An seiner Stelle trat
ein breites Spektrum von passiven Unterhaltungsangeboten; Gastst¨
atten und Ver-
gn¨
ugungsviertel taten ihr ¨
ubriges.
27
Am Ende des
19. Jhd. wurde Fußball in China wieder eingef¨uhrt; und nun, rund
einhundert Jahre sp¨
ater, versucht die ¨
alteste Fußballnation der Welt Anschluss
an internationales Niveau zu finden, was ihr momentan nur leidlich gelingt: Platz
84 in der FIFA-Weltrangliste.
2.1.2
Das Alte ¨
Agypten
Die ¨
altesten schriftlichen und bildlichen Darstellungen ¨
uber den Sport kom-
men aus ¨
Agypten. Das Alter der ¨
Uberlieferungen betr¨
agt fast f¨
unftausend Jah-
re.
28
Allerdings werden B¨
alle bzw. deren Spiele erst in der
11. Dynastie um
2000 v. Chr. erw¨ahnt, so daß ¨Agypten China zeitlich etwas hinterherhinkt.
Die Bedeutung des Sports in vorchristlicher Zeit
Das Alte ¨
Agypten besitzt zweifelsohne eine der l¨
angsten Geschichten des
Sports und Spiels; wenn auch der Begriff
"
Sport" nat¨
urlich damals nicht gegeben
26
Vgl. ebd., S. 138.
27
Vgl. ebd., S. 145.
28
Vgl. Decker, W. 1987:
"
Sport und Spiel im Alten ¨
Agypten", Verlag C. H. Beck, M¨
unchen,
S. 12.
20

2.1 Die Entwicklung der Ballspiele in verschiedenen historischen Kulturen
war und man eine k¨
orperliche, weitgehend zweckungebundene T¨
atigkeit zu Phara-
os Zeiten am besten mit s h
m h
-»ib,
"
sich vergn¨
ugen", w¨
ortlich
"
das Herz vergessen
machen", ausdr¨
uckte.
29
Fast durchweg alle K¨
onige dieser alten Kultur waren ­
wie sollte es anders sein ­ sportbegeistert, konnten Spiel und Sport doch einer-
seits zur Selbstdarstellung ausgeschlachtet, andererseits die F¨
ursorgef¨
ahigkeit des
Herrschers gegen¨
uber seinen Untertanen ­ z. B. in Form des erfolgreichen J¨
agers
­ demonstriert werden. Die physische Qualifikation Pharaos musste dieser dreißig
Jahre nach Machtergreifung mit einem Jubil¨
aumslauf, h
b-sd , beweisen, welcher
im Rahmen des wichtigsten k¨
oniglichen Ereignisses, des Jubil¨
aumsfestes ­ auch
Sedfest genannt ­ abgehalten wurde; ein Beleg f¨
ur den Sport als zentraler Be-
standteil in der ¨
agyptischen Geschichte.
30
Bei einer symbolischen Distanz von max.
150 Metern war aber nicht zu erwarten,
daß der amtierende K¨
onig aufgrund eines missgl¨
uckten Versuches abdanken mus-
ste; so schreibt man diesem Ritual, das als das Pendant zu dem bei der Kr¨
onung
galt, heute wohl eher magische Wirkung auf die Kraft und das Amt des Pha-
raos zu.
31
Die Anf¨
ange dieses Laufs reichen bis in die vordynastische Epoche,
3300 - 3000 v. Chr., und verstummen erst mit dem Ende der alt¨agyptischen Kul-
tur um
332 v. Chr., dem Jahr des Einmarschs von Alexander dem Großen in
¨
Agypten. Spiel und Sport im Alten ¨
Agypten belegen also einen Zeitraum von
knapp
3000 Jahren ­ daneben verblassen sogar etwas die antiken olympischen
Spiele mit ihrer etwa
1200-j¨ahrigen Geschichte.
Ballspiele
Neben den sehr gut belegten k¨
oniglichen Sportarten Kultlauf, Bogenschie-
ßen, Wagenfahren und Jagen, gab es auch in der Bev¨
olkerung beliebte sportli-
che T¨
atigkeiten: diverse Lauf- und Sprungdisziplinen, Kampf- und Wassersport ­
und eben Ballspiele. Aufgrund der Funde von Originalb¨
allen und Zeichnungen in
Gr¨
abern kann man sich heute ein recht genaues Bild von den damaligen Spielen
und deren Regeln machen. Die B¨
alle sind durchweg Vollb¨
alle: ein mit Streifen
von Leder umwickelter Kern aus Stroh, Schilf, Haaren, Garn oder Spreu, im
Durchmesser zwischen drei und neun Zentimetern und deshalb im Aussehen des
heutigen Schlagballs nicht un¨
ahnlich.
32
Kenntnisse ¨
uber den luftgef¨
ullten Leder-
29
Ebd., S. 10.
30
Vgl. ebd., S. 13.
31
Vgl. ebd., S. 41.
21

2 Die Geschichte des Fußballs
ball waren nur sp¨
arlich vorhanden und dienten wahrscheinlich nur als Grabbeiga-
ben. Die spielerischen T¨
atigkeiten beschr¨
ankten sich daher auf Werf-, Fang- und
Schlagspiele, sowie Jonglage. W¨
ahrend ¨
uber
13 Dynastien hinweg ausschließlich
Pharaonen beim Schlagballspiel gezeigt werden, welche damit die Vernichtung
des G¨
otterfeindes andeuteten und es deshalb eher symbolischen Charakter be-
saß, wurden Jonglage und Werf- und Fangspiele nur von Frauen ausge¨
ubt. Das
Jonglierspiel, damals jmd
¯
, bestand im Groben daraus, m¨
oglichst viele B¨
alle zu
kontrollieren und auch mit ¨
uberkreuzten Armen zu fangen; in der anderen Kate-
gorie muss man zwischen einem rhythmischen Zuwerfen, rwjt, bei welchem zwei
Dreiergruppen sich gegen¨
uberstanden und die jeweils in der Mitte stehenden sich
besagte B¨
alle zuwarfen w¨
ahrend die ¨
Außeren dazu klatschten, und dem Reit-
ballspiel (s. Abb. 6), gr. ephedrism´
os, unterscheiden, dessen einzige Regel darin
bestand, daß die Positionen innerhalb einer Partei dann getauscht wurden, sobald
einer der B¨
alle herunterfiel.
33
Abb. 6:
Reitballspiel aus Grab des Cheti, 11. Dynastie,
2077 - 1939 v. Chr..
Von etwaig ¨
uberlieferten Zeichnungen oder Inschriften, die auf eine T¨
atigkeit mit
dem Ball am Fuß schließen lassen, ist nichts bekannt und w¨
are mit den damaligen
tennisballgroßen, massiven Spielger¨
aten auf Dauer auch schwer vorstellbar. Es
asst sich konstatieren, daß Sport und Spiel im Alten ¨
Agypten von den einfachen
Leuten bis hin zum Pharao zwar eine herausragende Bedeutung hatten, das Spiel
mit dem Ball am Fuß ­ bis zum Antritt eines Gegenbeweises ­ nicht oder kaum
32
Vgl. ebd., S. 120.
33
Vgl. ebd., S. 123.
22

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842821378
Dateigröße
7.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Philosophische Fakultät IV, Sportwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,7
Schlagworte
fußball geschichte bundesliga entwicklung
Zurück

Titel: Die Geschichte des Fußballs
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
101 Seiten
Cookie-Einstellungen