Kompetenzorientierter Unterricht in wirtschaftsberuflichen Bildungsgängen
Überlegungen zum erfolgreichen Einsatz
©2010
Diplomarbeit
116 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Liste der Kompetenzbegriffe lässt sich verschiedenartig fortführen, da Kompetenzen derzeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen gefordert werden. Diese vielfältige und teilweise heterogene Verwendung erschwert eine Konkretisierung des Begriffes insbesondere für Schule und Unterricht.
Die untersuchungsleitenden Fragen dieser Diplomarbeit gehen von der Tatsache aus, dass gesellschaftliche und berufliche Veränderungsprozesse Umbrüche im Bildungsbereich verlangen. Denn unter den heutigen Gegebenheiten können Individuen sich nicht mehr auf die Kontinuität der bisherigen Lebensbedingungen in die Zukunft hinein verlassen. Kutschka stellt deshalb die Vermutung an, dass die Wissensgrundlage der individuellen Lebensführung [noch nie] so nachhaltig und explosionsartig infrage gestellt worden ist wie heutzutage. Einmal erworbenes, statisches Wissen genügt in der heutigen Gesellschaft kaum noch zum erfolgreichen Bestehen, da die Risiken des Verfalls von Wissen nicht abschätzbar sind.
In der Konsequenz entstand in jüngster Zeit die Forderung nach dynamischem Wissen und lebenslangem Lernen, damit jeder Einzelne mit den Komplexitäten und Unsicherheiten in seiner Lebenswelt kompetent und verantwortungsbewusst umgehen kann. Für die Wissenschaft bedeuten diese Erkenntnisse eine immer stärkere Fokussierung auf Kompetenzen, insbesondere im Bereich der schulischen Bildung. Speziell in der beruflichen Bildung ist Kompetenzorientierung erforderlich, da hier die Lernenden auf sich ständig neu verändernde Arbeitsbedingungen vorbereitet werden müssen.
Es stellt sich die Frage, ob der Kompetenzorientierung eine neue Betrachtungsweise zukommt oder ob die Aspekte der bestehenden Konzepte in der Berufsbildung nur anders gesetzt werden müssten. Dazu werden die derzeit in der Berufsbildung vorherrschende Handlungsorientierung und das Lernfeldkonzept mit der Forderung nach beruflicher Handlungskompetenz kritisch betrachtet. Es wird erörtert, ob Kompetenzorientierung eine Innovation für das Unterrichtsgeschehen darstellt. Ausgehend von diesen Feststellungen ergeben sich für diese Diplomarbeit die untersuchungsleitenden Fragestellungen:
Warum sind anscheinend die bisher konzipierten Konzepte nicht ausreichend, um den heute in der beruflichen Bildung geforderten Ansprüchen der Vermittlung von Kompetenzen gerecht zu werden? Und wie kann kompetenzorientierter Unterricht in die bestehenden Strukturen eingegliedert werden?
Letztlich ist es das Ziel […]
Die Liste der Kompetenzbegriffe lässt sich verschiedenartig fortführen, da Kompetenzen derzeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen gefordert werden. Diese vielfältige und teilweise heterogene Verwendung erschwert eine Konkretisierung des Begriffes insbesondere für Schule und Unterricht.
Die untersuchungsleitenden Fragen dieser Diplomarbeit gehen von der Tatsache aus, dass gesellschaftliche und berufliche Veränderungsprozesse Umbrüche im Bildungsbereich verlangen. Denn unter den heutigen Gegebenheiten können Individuen sich nicht mehr auf die Kontinuität der bisherigen Lebensbedingungen in die Zukunft hinein verlassen. Kutschka stellt deshalb die Vermutung an, dass die Wissensgrundlage der individuellen Lebensführung [noch nie] so nachhaltig und explosionsartig infrage gestellt worden ist wie heutzutage. Einmal erworbenes, statisches Wissen genügt in der heutigen Gesellschaft kaum noch zum erfolgreichen Bestehen, da die Risiken des Verfalls von Wissen nicht abschätzbar sind.
In der Konsequenz entstand in jüngster Zeit die Forderung nach dynamischem Wissen und lebenslangem Lernen, damit jeder Einzelne mit den Komplexitäten und Unsicherheiten in seiner Lebenswelt kompetent und verantwortungsbewusst umgehen kann. Für die Wissenschaft bedeuten diese Erkenntnisse eine immer stärkere Fokussierung auf Kompetenzen, insbesondere im Bereich der schulischen Bildung. Speziell in der beruflichen Bildung ist Kompetenzorientierung erforderlich, da hier die Lernenden auf sich ständig neu verändernde Arbeitsbedingungen vorbereitet werden müssen.
Es stellt sich die Frage, ob der Kompetenzorientierung eine neue Betrachtungsweise zukommt oder ob die Aspekte der bestehenden Konzepte in der Berufsbildung nur anders gesetzt werden müssten. Dazu werden die derzeit in der Berufsbildung vorherrschende Handlungsorientierung und das Lernfeldkonzept mit der Forderung nach beruflicher Handlungskompetenz kritisch betrachtet. Es wird erörtert, ob Kompetenzorientierung eine Innovation für das Unterrichtsgeschehen darstellt. Ausgehend von diesen Feststellungen ergeben sich für diese Diplomarbeit die untersuchungsleitenden Fragestellungen:
Warum sind anscheinend die bisher konzipierten Konzepte nicht ausreichend, um den heute in der beruflichen Bildung geforderten Ansprüchen der Vermittlung von Kompetenzen gerecht zu werden? Und wie kann kompetenzorientierter Unterricht in die bestehenden Strukturen eingegliedert werden?
Letztlich ist es das Ziel […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Stefanie Bittner
Kompetenzorientierter Unterricht in wirtschaftsberuflichen Bildungsgängen
Überlegungen zum erfolgreichen Einsatz
ISBN: 978-3-8428-2090-6
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2010
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011
Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS ...I
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ... IV
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... V
1 EINLEITUNG ...1
1.1 Problemstellung ... 1
1.2 Aufbau der Arbeit ... 2
2 BEGRÜNDUNGEN FÜR KOMPETENZORIENTIERUNG IN DER
SCHULISCHEN BILDUNG...5
2.1 Zur Begründung der Notwendigkeit einer Kompetenzorientierung im
Unterricht... 5
2.1.1 Gesellschaftliche Begründung ... 5
2.1.2 Lerntheoretische Begründung... 6
2.1.3 Bildungspolitische Begründung... 7
2.2 Bildungsstandards für allgemein bildende Schulen... 8
2.2.1 Aufbau von Bildungsstandards ... 9
2.2.2 Systemmonitoring ... 10
2.3 Der Europäische Qualifikationsrahmen... 11
3 ANGEBOTS- NUTZUNGS-MODELL NACH HELMKE...14
3.1 Wirkungszusammenhänge der Einflussfaktoren ... 14
3.2 Schulinterne Faktoren ... 17
4 STATUS QUO IN DER BERUFLICHEN BILDUNG -
HANDLUNGSORIENTIERUNG UND LERNFELDKONZEPT...19
4.1 Handlungsorientierung ... 20
4.1.1 Theoretische Argumente für Handlungsorientierung ... 21
4.1.2 Die vollständige Handlung ... 22
4.1.3 Merkmale handlungsorientierten Unterrichts ... 25
4.1.4 Kritische Überlegungen zur Handlungsorientierung ... 26
4.1.5 Handlungskompetenz ... 29
4.2 Das Lernfeldkonzept ... 31
4.2.1 Lernfelder versus Fächer ... 31
Inhaltsverzeichnis
II
4.2.2 Lernfelder als didaktisches Konzept... 33
4.2.3 Vorteile des Lernfeldkonzeptes ... 34
4.2.4 Theoretische und praktische Probleme bei der Lernfeldumsetzung ... 35
4.3 Fazit - Rahmenbedingungen ... 36
5 KOMPETENZ DER VERSUCH EINER BEGRIFFSBESTIMMUNG...38
5.1 Wissenschaftliche Kriterien für die Analyse und Beurteilung von
Kompetenzkonzepten ... 39
5.2 Kompetenzbegriff... 40
5.3 Fachliche und überfachliche Kompetenz ... 43
5.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener
Kompetenzdefinitionen... 43
6 KOMPETENZORIENTIERTER UNTERRICHT ...45
6.1 KLU Ein Ansatz zur Förderung des kompetenz-orientierten Lernens im
Unterricht... 47
6.2 Wie werden Kompetenzen gelernt? Umsetzungen nach Metzger ... 50
6.2.1 Problemorientiert situationsorientiert unterrichten ... 50
6.2.2 Wie werden Kompetenzen gelehrt? ... 51
6.2.3 Selbständiges Lernen fördern ... 52
6.2.4 Kompetenzorientiert prüfen... 52
6.2.5 Lehrpläne kompetenzorientiert aufbauen ... 53
6.2.6 Auf der Schulebene in Gang setzten und halten ... 53
6.3 Ein Modell zum kompetenzorientierten Lernen nach Dubs... 54
6.4 Kritische Betrachtung der Umsetzung von kompetenzorientiertem
Unterricht... 56
6.5 Kompetenzorientierter Unterricht ein Fazit ... 57
7 SELBSTGESTEUERTES LERNEN ...58
7.1 Selbst- und Fremdsteuerung... 59
7.2 Zentrale Merkmale... 60
7.3 Persönliche Voraussetzungen für selbstgesteuertes Lernen ... 61
7.3.1 Motivation ... 61
7.3.2 Kognitive Lernstrategien ... 62
7.3.3 Metakognition ... 63
7.4 Situative Voraussetzungen für selbstgesteuertes Lernen ... 64
Inhaltsverzeichnis
III
8 ANFORDERUNGEN AN KOMPETENZORIENTIERTE LEHRPLÄNE UND
CURRICULA IN DER WIRTSCHAFTSBERUFLICHEN BILDUNG ...66
9 KOMPETENZORIENTIERTES CURRICULUM IM OSZ B&D...70
9.1 Projektbasis... 70
9.2 Inhaltliche Darstellung ... 74
9.2.1 Grobübersicht des Projektes... 75
9.2.2 Kompetenzdimensionen ... 76
9.2.3 Die Perspektive der Kompetenzdimension... 77
9.2.4 Integration der Kompetenzdimensionen in die Lernfelder
Kompetenzmatrix... 79
9.2.5 Curriculare Analyse und curriculare Planung am Beispiel
Lernfeld 2/ Lernsituation 2 ... 80
9.2.6 Zusammenfassung und Analyse ... 83
10 FAZIT UND AUSBLICK ...83
LITERATURVERZEICHNIS ...89
Online-Zeitschriften ... 96
Internetquellen ... 98
ANHANG ...100
Anhang 1: Subdimension Beruflichkeit... 100
Anhang 2: Lernfeld 2/ Lernsituation 2 ... 102
Abkürzungsverzeichnis
IV
Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
AO
Ausbildungsordnung
B&D
Bürowirtschaft und Dienstleistung
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BwP
Betriebswirtschaftliche Problemebene
DQR
Deutscher Qualifikationsrahmen
EQR
Europäischer Qualifizierungsrahmen
EvaNet-EH
Evaluation des Innovationsnetzwerks Einzelhandel
in
Hamburg
GwR
Gesamtwirtschaftlicher Rahmen
HE
Handlungsergebnis
HR
Handlungsraum
HP
Handlungsprozess
I
Inhalt
IBB
Identität, Berufsbildung, Berufsperspektive
IuK
Informations- und Kommunikationswirtschaft
KLU
kompetenz-orientiertes Lernen im Unterricht
KMK
Kultusministerkonferenz
LF
Lernfeld
NQR
Nationalen Qualifizierungsrahmen
OSZ
Oberstufenzentrum
PISA
Programme for International Student Assessment
PLA
Prozessübergreifende Lern- und Arbeitstechniken
ReN
Rechtliche Normierung
SIK
Soziale Interaktion und Kommunikation
SOL
Selbstorganisiertes Lernen
Syv
Systemverständnis
TIMSS
Third International Mathematics and Science Study
WCo
Wertschöpfung und Controlling
Abbildungsverzeichnis
V
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Einfaches Modell zur Funktionsweise von Bildungssystemen... 7
Abb. 2: Ein Angebots-Nutzungs-Modell der Wirkungsweise des Unterrichts ... 15
Abb. 3: Didaktisches Modell vollständige Handlung ... 23
Abb. 4: Reflexionsstufen zur didaktischen Analyse ... 33
Abb. 5: konzeptionelle Komponenten in der Berufsbildung ... 38
Abb. 6: Kompetenz ein situationsgerechtes Repertoire... 42
Abb. 7: Vier Module für kompetenzorientiertes Lernen ... 48
Abb. 8: Kompetenzgrad und Art der Integration von Kompetenzorientierung in den
Lehrplan ... 53
Abb. 9: Modell zum kompetenzorientierten Lernen ... 55
Abb. 10: Aspekte zur curricularen Bestimmung ... 67
Abb. 11: Reihungsprinzipien in kompetenzorientierten Lehrplänen... 69
Abb. 12: Verknüpfung des Situations- und Wissenschaftsbezugs ... 72
Abb. 13: Curriculum als wesentlicher Bestandteil von Schule ... 74
Abb. 14: Grobübersicht des Projekt kompetenzorientiertes Curriculum... 75
Abb. 15: Kompetenzdimension Wertschöpfung und Controlling... 78
Abb. 16: Kompetenzmatrix... 80
Abb. 17: Vom Handlungsfeld zur Lernsituation ... 81
1 Einleitung
1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
soziale Kompetenz, kommunikative Kompetenz, Handlungskompetenz, interkul-
turelle Kompetenz, Personalkompetenz, digitale Kompetenz, Netzwerkkompe-
tenz, Kompetenzentwicklung, Kernkompetenzen, Problemlösekompetenz,
KOMPETENZORIENTIERUNG
Die Liste der Kompetenzbegriffe lässt sich verschiedenartig fortführen, da Kompeten-
zen derzeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen gefordert werden. Diese vielfältige
und teilweise heterogene Verwendung erschwert eine Konkretisierung des Begriffes
insbesondere für Schule und Unterricht.
Die untersuchungsleitenden Fragen dieser Diplomarbeit gehen von der Tatsache aus,
dass gesellschaftliche und berufliche Veränderungsprozesse Umbrüche im Bildungs-
bereich verlangen. Denn unter den heutigen Gegebenheiten können Individuen sich
nicht mehr auf die Kontinuität der bisherigen Lebensbedingungen in die Zukunft hinein
verlassen (Kutschka, 2009, S. 59). Kutschka (2009, S. 59) stellt deshalb die Vermu-
tung an, dass ,,die Wissensgrundlage der individuellen Lebensführung
[noch nie] so
nachhaltig und explosionsartig infrage gestellt worden ist" wie heutzutage. Einmal er-
worbenes, statisches Wissen genügt in der heutigen Gesellschaft kaum noch zum er-
folgreichen Bestehen, da die Risiken des Verfalls von Wissen nicht abschätzbar sind.
In der Konsequenz entstand in jüngster Zeit die Forderung nach dynamischem Wissen
und lebenslangem Lernen
1
, damit jeder Einzelne mit den Komplexitäten und Unsicher-
heiten in seiner Lebenswelt kompetent und verantwortungsbewusst umgehen kann.
Für die Wissenschaft bedeuten diese Erkenntnisse eine immer stärkere Fokussierung
auf Kompetenzen, insbesondere im Bereich der schulischen Bildung. Speziell in der
1
Menschen sollen sich aufgrund technischer und sozialer Veränderungen an die neuen Situati-
onen anpassen können. Lebenslanges Lernen umfasst alle formalen, nicht-formalen und in-
formellen Wissensaneignungen im Laufe des Lebens, mit der Betonung auf die Selbststeue-
rung des Lernens (Hof, 2009, S. 23). Dabei bezieht sich lebenslanges Lernen nicht auf
einzelne Lebensphasen und ist auch nicht räumlich durch Institutionen eingegrenzt, dabei
werden eine Vielzahl von Lebensbereiche einbezogen (ebd., S. 31). Ziel ist es, Antworten
darauf zu geben, wie die dafür notwendigen Kompetenzen erworben werden können (ebd., S.
26). Bohlinger (2006, S. 75) sieht lebenslanges Lernen als eine Chance die Persönlichkeit zu
entwickeln, um somit eine dauerhafte Beschäftigungsfähigkeit zu erweitern und zu verbes-
sern.
1 Einleitung
2
beruflichen Bildung ist Kompetenzorientierung erforderlich, da hier die Lernenden auf
sich ständig neu verändernde Arbeitsbedingungen vorbereitet werden müssen.
Es stellt sich die Frage, ob der Kompetenzorientierung eine neue Betrachtungsweise
zukommt oder ob die Aspekte der bestehenden Konzepte in der Berufsbildung nur an-
ders gesetzt werden müssten. Dazu werden die derzeit in der Berufsbildung vorherr-
schende Handlungsorientierung und das Lernfeldkonzept mit der Forderung nach be-
ruflicher Handlungskompetenz kritisch betrachtet. Es wird erörtert, ob
Kompetenzorientierung eine Innovation
2
für das Unterrichtsgeschehen darstellt. Aus-
gehend von diesen Feststellungen ergeben sich für diese Diplomarbeit die untersu-
chungsleitenden Fragestellungen:
Warum sind anscheinend die bisher konzipierten Konzepte nicht ausreichend, um den
heute in der beruflichen Bildung geforderten Ansprüchen der Vermittlung von Kompe-
tenzen gerecht zu werden
und
wie kann kompetenzorientierter Unterricht in die bestehenden Strukturen eingegliedert
werden?
Letztlich ist es das Ziel dieser Arbeit auf diesen theoretischen Aspekten aufbauend
Festlegungen für kompetenzorientierten Unterricht zu entwickeln. Dabei wird unter-
sucht, ob es sich bei kompetenzorientiertem Unterricht um ein didaktisch-
methodisches Konzept handelt oder ob die Reichweite darüber hinausgeht. Den Rah-
men für diese Arbeit bildet dabei das Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke. Mit Hilfe
dieses empirisch begründeten Modells werden schulinterne und schulexterne Einfluss-
faktoren auf die Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklungen von Schülern betrachtet.
1.2 Aufbau der Arbeit
Inhalt der vorliegenden Arbeit ist der Versuch, der beruflichen Bildung einen
Kompetenzbegriff zuzuordnen und darauf aufbauend Festlegungen für
kompetenzorientierten Unterricht zu treffen. Die thematischen Ausführungen werden
mit Hilfe eines praktischen Beispiels unterlegt. Damit ergibt sich für den Aufbau der
vorliegenden Diplomarbeit eine Gliederung in 10 Kapitel.
2
Nach Altrichter/Wiesinger (2005) wird unter einer Innovation eine soziale Aktivität verstanden,
die Veränderungen in den Dimensionen: Praktiken, und diesen Praktiken unterstelltes Wissen
und Einstellungen; die materiellen Aspekte; die sozialen und organisationalen Strukturen, in
die die Praktiken eingebetet sind, zur Folge haben.
1 Einleitung
3
Nach der kurzen Einleitung ins Thema werden in Kapitel 2 verschiedene Gründe für
Kompetenzorientierung aufgeführt. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wa-
rum die derzeitige Arbeits- und Lebenswelt den Fokus auf Kompetenzentwicklung legt.
In Kapitel 2.1 werden gesellschaftliche, lerntheoretische und bildungspolitische Motive
für Kompetenzorientierung genannt. Weiterhin werden in Kapitel 2.2 die in der Allge-
meinbildung eingeführten Bildungsstandards und in Kapitel 2.3 der gegenwärtige
Stand des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) näher beschrieben, um die dar-
in geforderten Kompetenzorientierungen und die Einflüsse auf die berufliche Bildung
zu untersuchen.
Da Kompetenzorientierung im Bereich der Bildung in einem engen Zusammenhang mit
Lernen steht, wird als theoretische Grundlage für die Betrachtung von schulinternen
und schulexternen Einflussfaktoren auf den Lernoutput von Schülern
3
in Kapitel 3 das
Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke vorgestellt. Helmke veranschaulicht in seinem
Modell den Unterricht als ,,Angebot" und die Lernaktivitäten der Schüler als ,,Nutzung".
Die dabei entstehenden Wirkungszusammenhänge geben wichtige Hinweise auf die
Rahmenvariablen, deren Effekte die Kompetenzentwicklung beeinflussen können. In
Kapitel 3.2 wird dann genauer auf schulinterne Faktoren eingegangen, die als direkt
beeinflussbar angesehen werden und somit Hinweise auf mögliche Veränderungen in
Schule und Unterricht geben können.
In Kapitel 4 erfolgt ein Blick auf die vorherrschenden Strukturen in den beruflichen Bil-
dungsgängen. Im Gegensatz zu allgemein bildenden Schulen, ist die Berufsbildung
durch das Leitkonzept der Handlungsorientierung und dem des Lernfeldansatz ge-
prägt. In Kapitel 4.1 wird die Handlungsorientierung näher betrachtet. Jener geht die
Idee der vollständigen Handlung voraus, welche in Kapitel 4.1.2 dargestellt wird, um
auf dieser Grundlage die Merkmale von handlungsorientiertem Unterricht festzulegen,
welche in Kapitel 4.1.3 genannt werden. In Kapitel 4.1.4 wird dieses Konzept kritisch
betrachtet und analysiert. Da das Ziel der Handlungsorientierung der Aufbau der Hand-
lungskompetenz ist, wird in Kapitel 4.1.5 untersucht was unter Handlungskompetenz
zu verstehen ist und welchem Kompetenzverständnis dieses Konzept unterliegt. Paral-
lel mit der Forderung zur Förderung der Handlungskompetenz wurde von der Kultus-
ministerkonferenz im Jahre 1996 das Lernfeldkonzept eingeführt. Dieses didaktische
Konzept wird in Kapitel 4.2 dargestellt und ebenso einer Pro- und Kontra Diskussion
unterzogen.
3
Begriffe wie ,,Schüler, Lehrer" und alle weiteren Personenbezeichnungen werden in der vorlie-
genden Arbeit, auf Grund der besseren Lesbarkeit in einer männlichen Form verwendet. Un-
abhängig davon sind jedoch Personen beiderlei Geschlechts gemeint.
1 Einleitung
4
Mit Hilfe der Betrachtungsweisen über Kompetenz aus den vorherigen Kapiteln und
den gewonnenen Erkenntnissen aus den kritischen Betrachtungen der bisherigen Kon-
zepte wird in Kapitel 5 eine Festlegung für den Begriff Kompetenz im Bereich der be-
ruflichen Bildung vorgenommen. Dabei werden in Kapitel 5.4 die zuvor genannten
Kompetenzverständnisse miteinander verglichen und in Verbindung gebracht. Für die
Kriterien zur Analyse und Beurteilung von Kompetenzkonzepten wird auf Bodensohn
(2003) Bezug genommen, welche vorher in Kapitel 5.1 genannt werden.
Anschließend werden aufbauend auf das festgelegte Kompetenzverständnis in Kapitel
6 Merkmale von kompetenzorientiertem Unterricht angeführt. In einem weiteren Schritt
wird der Ansatz zur Förderung von kompetenzorientiertem Lernen im Unterricht (KLU)
dargestellt. Dieser Ansatz betrachtet jedoch nur einen Teil der Einflussfaktoren, die
nach Helmke für den Aufbau von Kompetenzen bei Schülern wichtig sind. Deshalb
werden in Kapitel 6.2 die Umsetzungen für kompetenzorientiertes Lernen von Metzger
und in Kapitel 6.3 das ,,Modell zum selbständigen, lebenslangen Lernen" von Dubs
näher betrachtet. Die Umsetzungen nach Metzger betrachten dabei die weitläufigen
Rahmenbedingungen für kompetenzorientierten Unterricht, wogegen sich das Modell
von Dubs auf den Aufbau von Kompetenzen konzentriert. Diese werden unter Akkumu-
lierung von Teilkompetenzen ausgebildet und berücksichtigen dabei die verschiedenen
Rollen der Lehrperson.
Als eine wichtige Zielkomponente von kompetenzorientiertem Unterricht wird das
selbstgesteuerte Lernen in Kapitel 7 erläutert. Dabei wird in Kapitel 7.3 auf zentrale
Merkmale und in
Kapitel 7.4 auf die speziellen personellen und situativen Vorausset-
zungen eingegangen.
Die Ausführungen verdeutlichen, dass im Kontext von kompetenzorientiertem Unter-
richt die Neuordnung von Lehrplänen und Curricula an Bedeutung gewinnt. In Kapitel 8
werden daher Anforderungen, die an Lehrpläne und Curricula in diesem Zusammen-
hang gestellt werden, genauer betrachtet.
Abschließend wird in Kapitel 9 ein Praxisbeispiel für die Entwicklung eines
kompetenzorientierten Curriculum skizziert, um dann einen Vergleich mit den
theoretischen Befunden vorzunehmen.
Das Fazit und ein Ausblick der vorliegenden Thematik erfolgen in Kapitel 10.
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
5
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der
schulischen Bildung
EXKURS: Ebenen im Bildungssystem
Die Vorgänge und Veränderungen, denen unser Bildungssystem unterliegt,
werden durch verschiedene Faktoren und Akteure bedingt. Daher soll in ei-
nem kurzen Exkurs auf die mehrstufige Konstruktion und Regulation im Bil-
dungswesen eingegangen werden, da auf diese im Rahmen dieser Arbeit
mehrmals zurückgegriffen wird.
Die Makroebene beinhaltet die politischen und institutionellen Rahmenbe-
dingungen für die Bildung. Damit ist sie eng mit der Leitidee der Bildungs-
politik und der zugrunde liegenden Bildungsphilosophie verbunden (Riedl,
2010, S. 11).
Im Fokus der Mesoebene steht die Organisationseinheit Schule. Als wich-
tigste Einflussbereiche in diesem Wirkungsgefüge sind die Schulautono-
mie, die Qualitätsentwicklung sowie die Evaluation, die Lernortkooperation,
die Teamentwicklung oder die Umsetzung der Lehrplanrichtlinien zu nen-
nen (ebd., S. 111). Dabei steht hier besonders die Schulleitung mit den je-
weiligen Projektleitern im Zentrum von wichtigen Entscheidungen (ebd., S.
111).
Der eigentliche Haupttätigkeitsbereich findet auf der Mikroebene, also im
Unterricht statt, in dessen Mittelpunkt die Schüler und die jeweilige Lehr-
kraft stehen (ebd., S. 112).
2.1 Zur Begründung der Notwendigkeit einer
Kompetenzorientierung im Unterricht
2.1.1 Gesellschaftliche Begründung
Die heutige Gesellschaft unterliegt einem schnellen und stetigen Wandel. Dazu zählt
eine veränderte Lebensweise, welche durch Individualisierungs- und Pluralisierungs-
prozesse bedingt ist. Insbesondere der Wandel des familiären Gefüges (Schüpbach,
2010, S. 160f) kann dabei zu Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit führen.
Weiterhin beeinflusst die zunehmende Bedeutung der Medien in einem hohen Maße
die Wertebildung und bestimmt einen gewichtigen Teil des Freizeitverhaltens (Kon-
rad/Traub, 1999, S. 18f). Ferner haben neue Informationssysteme Auswirkungen auf
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
6
die beruflichen Strukturen. Immer schneller voranschreitende technische Entwicklun-
gen verändern die Anforderungen an das konkrete berufliche Wissen und Können
(ebd., S. 18f). Sowohl das Wissen zum Aneignen von neuem Wissen, als auch ständi-
ges Lernen wird in vielen Lebensbereichen immer stärker gefordert. Somit nehmen die
Erfordernisse zu, diesen Lern- und Entwicklungsprozess zielgerichtet und selbstge-
steuert zu bewältigen.
2.1.2 Lerntheoretische Begründung
,,Das Lernen zu lernen" steht im Vordergrund des kognitiv-konstruktivistischen
4
Ansatzes (Metzger, 2006, S. 156), welchem eine wichtige Rolle innerhalb der
lerntheoretischen Begründung der Kompetenzorientierung zukommt. Demnach
müssen die Lernenden die Möglichkeit erhalten, ihren Lerntyp, ihre Lernstrategien,
sowie Lern- und Arbeitstechniken zu bestimmen, um ihr Lernen selbst verantworten zu
können (ebd., S. 156). Weiterhin werden zunehmend Maßnahmen zur Individualisie-
rung und Differenzierung gefordert, um den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht
zu werden (Konrad/Traub, 1999, S. 25).
Im ,,traditionell
5
" durchgeführtem Unterricht wird davon ausgegangen, dass die Lern-
prozesse bei den einzelnen Schülern synchron initiiert zu einem Ergebnis führen. Da-
bei besteht das Problem, dass das Lerntempo an einem angenommenen Durch-
schnittsschüler ausgerichtet ist und somit individuelle Lernprozesse außer acht
bleiben. Werning (1998, S. 41) stellt die ,,schulische Normierung, die auf eine Homo-
genisierung des Lernens abzielt" in Frage, weil Lernen heterogenen Prozessen unter-
liegt und individuell verschieden verläuft. Für die Stimulation des subjektiven Wissens
tragen z.B. die Konfrontation mit authentischen Herausforderungen der Lebensumwelt
und vielfältige soziale Interaktionen bei (ebd., S. 42f).
4
Lernen bedeutet immer eine Veränderung menschlichen Verhaltens, durch die Verarbeitung
von Erfahrungen. Dabei können (vereinfacht) drei Lerntheorien identifiziert werden, die sich
hinsichtlich der Wissensaneignung unterscheiden: den Behaviorismus, den Kognitivismus und
den Konstruktivismus. Der Behaviorismus konzentriert sich auf tatsächlich beobachtbares
Wissen und geht davon aus, dass sich Verhalten durch Reize und Verstärkung steuern lässt
und bei allen Menschen den gleichen Gesetzlichkeiten folgt (Raithel/Dollinger/Hörmann, 2009,
S. 69). Die kognitivistische Lerntheorie begreift den Lernenden schon als Individuum, wel-
ches Reize aktiv und selbständig verarbeitet und somit eine Steuerung von außen weniger
möglich ist (ebd., S. 71). Der Kognitivismus orientiert sich also an Denkprozessen die notwen-
dig sind, um neues Wissen zu verstehen und zu erlernen, dabei sollen Lernende diese Denk-
prozesse selber steuern können (Dubs, 2009, S. 27). Der Konstruktivistische Ansatz misst
der aktiven Verarbeitung noch größere Bedeutung zu, und die Konstruktion von Wissen erfolgt
auf subjektiven Erfahrensstrukturen (Raithel/Dollinger/Hörmann, 2009, S. 72). Im Unterschied
zum Kognitivismus, wird hier jedweder Objektivismus, d.h. die Wissensübertragung von einer
Person auf die andere, abgelehnt (Dubs, 2009, S. 29).
5
Nach Bonz (2009, S. 65) werden unter traditionellem Unterricht die Sozialformen verstanden,
die in den 70er Jahren methodischer Grundbestandteil des Unterrichts waren. Darunter zäh-
len nach Riedl (2004, S. 116) der Frontalunterricht, das Unterrichtsgespräch und die Alleinar-
beit.
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
7
Im nachstehenden Unterpunkt wird auf die Veränderungen in der deutschen Bildungs-
politik eingegangen, welche sich derzeit von einer Input- hin zu einer Outputsteuerung
ändert. Als Output werden dabei die Lernergebnisse der Schüler und somit ihre Kom-
petenzentwicklung verstanden.
2.1.3 Bildungspolitische Begründung
Abb. 1: Einfaches Modell zur Funktionsweise von Bildungssystemen
(in
Anlehnung
an:
Oelkers/Reusser, 2008, S. 19)
Legt man Unterricht einem ökonomischen Verständnis (Abbildung 1) zugrunde, beste-
hend aus einer Input-, Prozess- und Outputphase, so kann für Deutschland festgestellt
werden, dass lange davon ausgegangen wurde, dass die Qualität schulischer Lernpro-
zesse automatisch durch eine Inputsteuerung (in Form von Lehrplänen, Rahmen- und
Prüfungsrichtlinien) gesichert sein würde (Oelkers/Reusser, 2008, S. 19). Eine explizite
Überprüfung des Lern-/Bildungserfolgs fand dabei nicht statt.
Als Weiterentwicklung der Inputsteuerung wird bei der Prozesssteuerung die Unter-
richtsqualität nun nicht mehr nur hinsichtlich des Angebotes, sondern auch bezüglich
der Qualität der Vermittlung betrachtet (Schwippert, 2005, S. 5). Dies stellt jedoch wei-
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
8
terhin ein Angebotsmodell
6
dar und erst die Ausrichtung hin zur Outputsteuerung be-
antwortet die Frage, was die Schüler letztendlich lernen (ebd., S. 5). Schwippert (2005,
S. 11) betont in diesem Zusammenhang, dass die Outputsteuerung erst dann zu Erfolg
führen kann, wenn die durch eine systematische Evaluation erhobenen Daten für die
Verbesserung des Bildungsprozesses genutzt werden. Die Qualität des deutschen
Bildungssystems wird zukünftig durch die Definition von Zielen und einer Überprüfung
des Zielerreichungsgrades gesichert werden (Klieme et al., 2003, S. 12).
Die Forderung nach einer Kompetenzorientierung wird besonders in der aktuellen bil-
dungspolitischen Debatte um übergreifende Bildungsstandards deutlich. Diese Stan-
dards wurden bislang jedoch nur für die allgemein bildenden Schulen entwickelt, wo
bereits an ihrer Realisierung gearbeitet wird. Somit stellt sich im Hinblick auf das Be-
rufsbildungssystem die Frage, welche Konsequenzen sich aus der entstandenen Kon-
zeption kompetenzorientierter Standards für die berufliche Erstausbildung ergeben.
Gerade im Hinblick auf die Wertigkeit allgemein bildender Zertifikate
7
wird auch im be-
rufsbildenden Bereich die Forderung nach Reformen immer stärker auch um eine
mögliche Abkoppelung des berufsbildenden Subsystems zu verhindern (Sloane/Dilger,
2005, S. 11). Im folgenden Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit
dieser Forderung bislang nachgekommen wird.
2.2 Bildungsstandards für allgemein bildende Schulen
Bereits am 12. Mai 1995 veröffentlichte die Kultusministerkonferenz (KMK) Standards
für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache für den Mittleren
Schulabschluss. Es führten jedoch erst die schlechten Ergebnisse verschiedener inter-
nationalen Vergleichsstudien
8
zu einer weiteren Auseinandersetzung mit nationalen
Standards (Ziener, 2006, S. 14). Der endgültige Beschluss der KMK über die Einfüh-
rung der nationalen Bildungsstandards erfolgte am 4.Dezember 2003 (KMK, 2004).
Sloane (2007, S. 33) nennt folgende Merkmale, welche die Bildungsstandards prägen:
6
Der Lernende trägt die volle Verantwortung für sein Lernergebnis, da keine systematisch em-
pirische Untersuchung hinsichtlich des Lernerfolges vorgenommen wird (Schwippert, 2005, S.
5).
7
Abschlusszeugnisse der Berufsschulen schließen bei der beruflichen Erstausbildung die Be-
rechtigung von Hauptschulabschluss und einem möglichen Mittleren Bildungsschluss ein
(Pahl, 2007, S. 180). Ebenso kann, verbunden mit zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben der
KMK, die Fachholschulreife erworben werden (ebd., S. 181).
8
Die internationalen Vergleichsstudien wie PISA (Programme for International Student As-
sessment) und TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) zeigten, dass in
Deutschland die ,,gesellschaftliche Funktion der Qualifikation des Nachwuchses" nicht hinrei-
chend erfüllt wird (Becker, 2008, S. 26), was in der deutschen Bildungslandschaft
Handlungsbedarf auslöste. Deutsche Schüler schnitten in den Ländervergleichsstudien nicht
gut ab und erreichten in allen erfassten Kompetenzbereichen nur das untere Mittelfeld (ebd.,
S. 26).
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
9
1. Kompetenz-
und
Outcome
Orientierung
2. Skalierung und Kumulativität
3. Fach-
respektive
Domänenbezug
4. Verständlichkeit
und
Realisierbarkeit
Auf den Aufbau von Bildungsstandards und dem dazugehörigen Kompetenzverständ-
nis wird im folgenden Unterpunkt eingegangen.
2.2.1 Aufbau von Bildungsstandards
Gemäß der Klieme-Expertise
9
benennen Bildungsstandards (Kompetenzanforderun-
gen) ,,Ziele für die pädagogische Arbeit, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse
der Schülerinnen und Schüler. Damit konkretisieren Standards den Bildungsauftrag,
den allgemein bildende Schulen zu erfüllen haben" (Klieme et al., 2003, S. 19). Bil-
dungsstandards folgen allgemeinen Bildungszielen, die, in Form von zu vermittelnden
Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensinhalten sowie zu fördernden Interessen, Einstel-
lungen und Werthaltungen, den ,,gesellschaftlichen Anspruch von Schule" (ebd., S. 20)
widerspiegeln.
Bildungsstandards legen fest, über welche Kompetenzen, bezogen auf eine bestimmte
Domäne
10
, ein Fach oder einen Lernbereich ein Schüler bis zu einer bestimmten Jahr-
gangsstufe verfügen soll. Diese Anforderungen werden in Kompetenzmodellen syste-
matisch strukturiert. Innerhalb einer Domäne werden dabei Kompetenzdimensionen
unterschieden, auf denen wiederum unterschiedlich anspruchsvolle Niveaustufen diffe-
renziert werden. Jede dieser Stufen ist ,,durch kognitive Prozesse und Handlungen von
bestimmter Qualität spezifiziert, die Schüler auf dieser Stufe bewältigen können müs-
sen, nicht aber Schüler auf einer niedrigeren Stufe" (ebd., S. 22).
Für die Klärung des Kompetenzbegriffes greift die Expertise auf den Psychologen
Franz E. Weinert zurück. Mit der von Weinert
11
(2001b) vertretenen Auffassung, der
Kompetenzerwerb beginne ,,beim systematischen Aufbau von intelligentem Wissen in
9
Im Zuge der Forderung nach nationalen Bildungsstandards wurde 2003 eine Expertise von
Klieme et al. ,,Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards" ausgearbeitet (weiterführend:
Klieme et al. 2003). Diese Expertise sollte dann Grundlage für die von der KMK herausgege-
benen Standards werden.
10
Der Begriff Domäne ist nicht eindeutig definiert und kann allgemein als ein Wissensgebiet
oder spezifische (Handlungs-)Fertigkeiten verstanden werden, in denen nach Fischer/Bank
(2006, S. 5) ,,gleiche Problemlösestrategien, Wissensbestände, Erfahrungen und auch norma-
tive Orientierungsmuster genutzt werden". In der Wissenspsychologie definieren ,,Domänen"
dass was Schüler am Ende eines bestimmten Lernabschnittes wissen bzw. können müssen
(Jung, 2005, S.8).
11
Weinerts Kompetenzbegriff (weiterführend: Kapitel 5.2) bezieht sich auf kognitionstheoreti-
sche Modelle, bei dem neben den kognitiven Leistungsvoraussetzungen auch motivationale,
volitionale und soziale Vorraussetzungen betrachtet werden (Sloane, 2007, S. 34).
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
10
einer Domäne", grenzt sich die Expertengruppe um Klieme explizit ,,von den aus der
Berufspädagogik stammenden, und in der Öffentlichkeit viel gebrauchten Konzepten
12
der Sach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz" (Klieme et al., 2003, S. 22) ab.
Grund dafür ist nach Sloane (2007, S. 93), dass es in dem berufspädagogischen Mo-
dell keine Bindung mehr an Domänen
13
gibt (weiterführend: Kapitel 4.2).
Die KMK-Standards orientieren sich in ihrer Konzeption weitestgehend an den Emp-
fehlungen des Klieme-Gutachtens. Statt Mindeststandards wurden jedoch zunächst
Regelstandards entwickelt, die sich auf das im Durchschnitt erwartete Leistungsniveau
der Schüler beziehen. Die KMK begründet ihr Vorgehen damit, dass Mindeststandards
erst nach einem längeren Erprobungs- und Erfahrungsprozess im Umgang mit den
Standards festgelegt werden könnten (KMK, 1999, S. 138f.).
Es stellt sich die Frage, ob Bildungsstandards auch der individuelle Entwicklung von
Schülern gerecht werden, oder ob sie lediglich als Referenzpunkte an bestimmten Sta-
tionen (z.B. Mittlerer Schulabschluss) im schulischen System dienen. Im Folgenden
wird daher auf die Monitoringfunktion der Bildungsstandards eingegangen.
2.2.2 Systemmonitoring
Nachdem im Anschluss an die PISA-Studie die Ergänzungsstudie PISA-E anhand ei-
nes Vergleichs der 16 Bundesländer aufzeigte, dass sowohl zwischen den Ländern als
auch innerhalb der Länder die Benotungsmaßstäbe und Leistungsniveaus erheblich
schwanken (Klieme, 2004, S. 627), stieg die Forderung nach national einheitlichen
Standards an. Standards dienen demnach weniger der individuellen Diagnostik, son-
dern übernehmen eher eine Monitoring-Funktion (Sloane, 2007, S. 39). Um die tat-
sächlichen Lernergebnisse und damit das Erreichen der Standards empirisch überprü-
fen zu können, werden, ausgehend von den Kompetenzbeschreibungen,
entsprechende Aufgabenstellungen bzw. Testverfahren entwickelt (Klieme et al., 2003,
S. 23).
12
Weiterführend wird in Kapitel 4.1.5 auf das Konzept der Handlungskompetenz mit der Unter-
gliederung in Personal-, Sozial- und Fachkompetenz näher eingegangen und ein Vergleich
zwischen den Kompetenzdefinitionen gezogen.
13
Nach Gruber/Mandl (1996, S. 589) können Domänen in ,,wohldefinierte" und ,,schlecht defi-
nierte" Domänen unterschieden werden. Wohldefinierte Domänen sind durch eine klare Prob-
lemstellung sowie eindeutige Lösungswege charakterisierbar. Schlecht definierte zeichnen
sich durch Komplexität, Uneindeutigkeit und widersprüchliche Lösungswege aus (ebd., S.
589). Fischer/Bank (2006, S. 6) charakterisieren daher Fächer mit wirtschaftlichen Inhalten
eher als schlecht definierte Domänen. In Kapitel 4.2 wird das derzeitige Lernfeldkonzept in der
beruflichen Bildung dargestellt, welches eine Auflösung der Domänen erfordert.
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
11
Während Bildungsstandards derzeit nur für den Bereich der allgemein bildenden Schu-
len prägend sind, wird die berufliche Bildung durch den Europäischen Qualifikations-
rahmen (EQR) beeinflusst, welcher als Grundlage für einen nationalen Rahmen dient.
Im Hinblick auf eine darin geforderte Kompetenzorientierung, wird folgend dokumen-
tiert welchem Kompetenzbegriff der EQR folgt.
2.3 Der Europäische Qualifikationsrahmen
Bildungspolitische Entwicklungen auf europäischer Ebene sind in den Mittelpunkt der
Berufsbildung gerückt, um Vergleichbarkeit und Transparenz von Bildungsabschlüssen
und Berechtigungen zu herzustellen. Zwar legt jedes einzelne EU-Land seine Bil-
dungspolitik selber fest, jedoch setzen sich die Mitgliedsstaaten gemeinschaftliche Zie-
le. Eine gemeinsame und umfassende Zusammenarbeit
14
in der Bildungspolitik wurde
in verschiedenen Verträgen und Erklärungen begründet.
Der EQR nimmt primär die Funktion eines ,,Meta-Rahmens" ein und dient somit als
Übersetzungshilfe für nationale berufliche Bildungssysteme (Sloane, 2007, S. 55). Da-
bei steht der EQR in einem engen Verhältnis mit dem in Kapitel 2.1.3 näher untersuch-
ten ordnungspolitischen Paradigmawechsel, da auch dieser sich an einer Outcome-
bzw. Wirkungssteuerung orientiert (Sloane, 2008, S. 11). Es werden formal anerkannte
Qualifikationen (als Kompetenzen erfasste und erwartete Lernergebnisse) zu einander
in Beziehung gesetzt (Hanf, 2005, S. 2). Ebenso können informell erworbene Lerner-
gebnisse qualifikations- und bereichsübergreifend angerechnet werden (Hanf/Reinisch,
2006, S. 3).
Die Grundstruktur des EQR ist wie folgt aufgebaut: Das Kernstück des EQR bilden
acht hierarchisch aufeinander aufbauenden Referenzniveaus (vertikal), welche sich auf
drei Arten von Lernergebnissen (horizontal) beziehen; Kenntnisse, Fertigkeiten sowie
persönliche und fachliche Kompetenzen (Sellin, 2005, S. 4f.). Nach Sloane (2008, S.
27) können Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen in diesem Zusammenhang wie
folgt charakterisiert werden:
14
Der erste Ansatz erfolgte im Jahre 1999 mit der Idee eines ,,gemeinsamen Europäischen
Hochschulraums", der so genannten Bologna-Erklärung (Sloane, 2008, S. 19). Im Jahr 2000,
mit dem, vom Europäischen Rat formulierten, Lissabonner Ziel ,,die Union zum wettbewerbs-
fähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen"
(Kommission der Europäischen Gemeinschaft, 2001, S. 4), wurde der Grundstein für eine,
2001 in Brügge offiziell beschlossene, verstärkte europäische Zusammenarbeit in der Berufs-
bildung gelegt. Die Strategien und Prioritäten wurden 2002 in den Beschlüssen von Barcelona
und Kopenhagen festgelegt, im Kommuniqué von Maastricht 2004 weiter ausgebaut und prä-
zisiert und die dann im Dezember 2006 in Helsinki erstmals bewertet und überprüft wurden
(Kommuniqué von Helsinki, 2006, S. 5).
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
12
· Kenntnisse: umfassen Details zu Theorie- und/oder Fachwissen und werden
durch Begriffe wie Allgemeinwissen, grundlegendes Fachwissen oder Spezi-
alwissen näher definiert.
· Fertigkeiten: beinhalten als kognitive Fertigkeiten den Einsatz von logischem,
intuitivem und kreativem Denken und als praktische Fertigkeiten die Geschick-
lichkeit und Verwendung von Methoden, Materialien, Werkzeugen und Instru-
menten.
· Kompetenzen: beziehen sich auf den Bereich der Übernahme von Verantwor-
tung und auf Selbständigkeit.
Da die Qualifikationsniveaus des EQR durch die, mit den jeweiligen Tätigkeitsanforde-
rungen in Verbindung stehenden Kompetenzprofilen beschrieben werden, handelt es
sich nach Hanf (2005, S. 2) weniger um einen ,,Qualifikationsrahmen", sondern eigent-
lich um einen ,Kompetenzrahmen'"
15
. Darauf wird nachfolgend noch einmal eingegan-
gen, um zu prüfen, ob diese Aussage auch für einen in Deutschland vorherrschenden
Kompetenzbegriff haltbar ist.
Im Oktober 2006 haben sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) und die KMK darauf verständigt, gemeinsam einen Deutschen Qualifikations-
rahmen (DQR) für lebenslanges Lernen zu entwickeln. Da eine europäische Zertifizie-
rung nicht erfolgen soll, liegt diese bei den einzelnen Ländern und der EQR legt ledig-
lich die Orientierungspunkte dafür fest (Sloane, 2008, S. 28). Um die Ziele des
lebenslangen Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit zu erreichen, sollen die Qualifi-
kationen, die im DQR beschrieben sind, kompetenzorientiert sein, und der Zugang zum
Qualifikationserwerb offen gestalten werden (Sloane, 2008, S. 3).
Die Aufgabe des DQR, als ein Instrument das bundesweit eine Zuordnung von Bil-
dungsangeboten und Abschlüssen vornehmen wird (
4. Arbeitskreises ,,Deutscher Qua-
lifikationsrahmen", 2008, S. 1) besteht darin, diese Abschlüsse innerhalb Deutschlands
in eine Rangordnung zu bringen, um sie mit den europäischen Vorgaben entsprechend
zu realisieren (
ebd., S. 1f). Berufliche Qualifikationen müssen also zukünftig kompe-
tenzorientiert abgebildet, geprüft und zertifiziert werden. Es besteht ein weitgehendes
Einvernehmen bei den Akteuren der beruflichen Bildung über die kompetenzorientierte
Beschreibung von Qualifikationen (Anderka, 2006, S. 2).
15
Im internationalen Kontext werden die Begriffe Qualifikation und Kompetenz zum einen syn-
onym, zum anderen als entgegengesetzte begriffshierarchische Zuordnungen verwendet (Ar-
nold, 1998, S. 501). Dies ist besonders im Rahmen einer gemeinschaftlichen, transparenten
und vergleichbaren Bildung in Europa zu betrachten, da es zu einer unterschiedlichen Kompe-
tenzdiskussion führen kann (ebd., S. 501). In Deutschland unterscheiden sich die Definitionen
von Qualifikation und Kompetenz. Dabei ist eine Qualifikation (objektbezogen) auf die Effi-
zienz und Verwertbarkeit des Lernerfolges gerichtet, eine Kompetenz (subjektbezogen) da-
gegen blickt auf die personalen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Hinblick auf die Person als
Lernenden (Raithel/Dollinger/Hörmann, 2009, S. 39).
2 Begründungen für Kompetenzorientierung in der schulischen Bildung
13
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich im Kontext der Diskussion um
die Europäisierung der Berufsbildung auch für den berufsbildenden Bereich des deut-
schen Bildungswesens die Frage nach Kompetenzorientierung eröffnet, wenn nicht so
gar als zwingend darstellt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Interpretation
des Kompetenzbegriffes im Sinne des EQR an den Begriff competency anlehnt, wel-
cher einen Teilbereich von competence (die Fähigkeit eine bestimmte Leistung zu
erbringen) abbildet.
Nach Bolder (2010, S. 825) liegt die Ausrichtung der europäischen
Kompetenzdiskussion auf der Schaffung eines Instrumentes zur ,,Förderung von Mobi-
lität und Transparenz" und beschreibt Anforderungen an Arbeitsplätze oder Positionen.
Competencies sind nach Mardsen (in: Bolder, 2010, S. 825) also ,,Arbeitsmarktqualifi-
kationen", die breiter gestaltet sind als einzelberufliches Anwendungswissen. Bohlinger
(2006, S. 77) nennt diese Kompetenzausrichtung einen ,,systemischen Ansatz"
16
, wel-
cher alle Lernarten, alle Betroffenen und die gesamte Lebenspanne umfasst.
Der EQR resp. der DQR werden langfristig für die berufliche Bildung als Rahmenvari-
ablen von Bedeutung sein. Es wurde daher auf den derzeitigen Stand Bezug genom-
men und das Kompetenzverständnis näher untersucht. In Kapitel 5 wird diese Betrach-
tungsweise von Kompetenz mit dem in dieser Arbeit fokussierten Kompetenzbegriff
verglichen.
Nach dem in Kapitel 2 die Notwendigkeit der Kompetenzorientierung auf verschiedene
Weise dargelegt wurde, wird im nächsten Abschnitt die theoretische Grundlage für die
Betrachtung von Rahmenvariablen zur Bildung fachlicher und fachübergreifender
Kompetenzen herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang bestimmt und erläutert das
,,Angebots-Nutzungs-Modell" von Helmke (2009) Wirkungszusammenhänge von Ein-
flussfaktoren auf den Output von Schülern und gibt somit Hinweise auf zu untersu-
chende Faktoren, die für die Kompetenzentwicklung wichtig sein können.
16
Weiterhin differenziert Bohlinger (2006, S. 77f) in ,,lernerzentrierte Ansätze", ,,Ansätze, in de-
nen die Lernmotivation in den Vordergrund rückt", und ,,Ansätze, die multiple Ziele der Bil-
dungspolitik umfassen".
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
14
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
Das Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke (2009) ist ein empirisch begründetes Mo-
dell für die Betrachtung von schulinternen und schulexternen Einflussfaktoren auf die
kognitive Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung von Schülern. Die Basis des Mo-
dells ist psychologisch bestimmt und grenzt sich durch die Betrachtung von Korrelatio-
nen von didaktischen Modellen ab. Allgemeine und Fach-Didaktik ist darauf ausgerich-
tet, das Lehren und Lernen zu reflektieren und anzuleiten, sowie durch unterrichtliches
Handeln zu analysieren und zu modellieren.
Da Unterricht ein von zahlreichen unvorhersehbaren Einflussfaktoren geprägter Pro-
zess ist, besteht die Aufgabe der Lehrer darin, diese ihren Erwartungen an die Schüler
einzubeziehen und wenn möglich zu reduzieren. Dazu müssen aber di Faktoren,
die auf den Unterricht, wie auch auf den Lernprozess der Schüler wirken, bekannt sein.
Dabei dient das Modell primär der Verdeutlichung von Wirkungsmechanismen und
richtungen. Im Folgenden wird das Modell vorgestellt, um später Bezug auf die Variab-
len zu nehmen, die von der Lehrkraft und von der Schule beeinflussbar sind.
3.1 Wirkungszusammenhänge der Einflussfaktoren
Helmke
17
betrachtet in seinem Modell zwei Perspektiven: ,,Das Angebot" (den Unter-
richt) und ,,Die Nutzung" (Lernaktivitäten), um die Faktoren, die auf die Unterrichtsqua-
lität einwirken, in einen Wirkungszusammenhang zu bringen. Die betrachteten Aspekte
sind dabei: Merkmale der Lehrperson, der Kontext, der Unterricht, die Familie, das in-
dividuelle Lernpotential, die Mediationsprozesse und die Lernaktivitäten auf der Schü-
lerseite (Abbildung 2).
17
Die weiteren Ausführungen beziehen sich bis auf anderweitig gekennzeichnete Abschnitte auf
Helmke (2009, S. 73ff). Welche einzelnen Einflüsse die Variablen auf den Lernerfolg der
Schüler haben, kann aufgrund des Umfangs in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden
(weiterführend: Helmke, 2009).
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
15
Abb. 2: Ein Angebots-Nutzungs-Modell der Wirkungsweise des Unterrichts
(Vgl. Helmke, 2009, S. 73)
Die Gesamtheit des Angebots wird durch den, von der Lehrperson durchgeführten,
Unterricht dargestellt, wobei es nicht zu einer direkten Wirkung bei den Lernenden
kommen muss. Helmke betont damit das konstruktivistische Element des Lehr-Lern-
Prozesses und stellt in dem Zusammenhang zwei Fragen bezüglich der Einflussfakto-
ren auf den Lernoutput (die Wirkung):
1. Ob und wie nehmen Schüler die Erwartungen des Lehrers wahr und
interpretieren diese?
2. Ob und zu welchen motivationalen, volitionalen
18
und emotionalen Prozessen
führt dies auf der Seite der Schüler? Der Ausgang dieser Prozesse ist aus-
schlaggebend für die Lernaktivitäten der Schüler.
Unterricht stellt somit lediglich ein Angebot dar, wobei die Nutzung von weiteren Ein-
wirkungen abhängt, da die oben genannten Aspekte wiederum von einer Vielzahl da-
zwischen liegender Faktoren beeinflusst werden.
18
Volition bezieht sich auf den Prozess der Bildung und Aufrechterhaltung von Vorhaben.
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
16
·· Die Lehrperson ist geprägt von ihren unterrichtsrelevanten Attributen, die zwar
relativ stabil und überdauernd sind, was aber eine Veränderung durch Trai-
ning und Fortbildung nicht ausschließt. Als wichtigste Merkmale nennt Helmke
das
Professionswissen,
fachliche, didaktische, diagnostische und Klassenführungs-
Kompetenz,
die
pädagogische
Orientierung,
Erwartungen
und
Ziele,
und
Engagement,
Geduld
und
Humor
und bezieht sich dabei auf empirische Befunde zu den einzelnen Persönlich-
keitsmerkmalen.
· Der Unterricht hängt neben der Unterrichtsqualität auch von der Unterrichts-
quantität ab, d.h., es muss die aktiv von den Schülern zum Lernen genutzte
Zeit betrachtet werden, welche häufig nur ein Bruchteil der angebotenen no-
minalen Unterrichtszeit
19
ist.
Die Unterrichtsqualität wird stark durch die folgenden Faktoren geprägt:
Klassenführung
Klarheit
und
Strukturiertheit
Konsolidierung
und
Sicherung
Aktivierung
Motivierung
lernförderliches
Klima
Schülerorientierung
Kompetenzorientierung
Umgang
mit
Heterogenität
Angebotsvielfalt
· Die Familie und das Lernpotenzial der Schüler haben einen entscheidenden
Einfluss auf die Lernvoraussetzungen der Schüler. Die kognitiven, motivatio-
nalen und volitionalen Voraussetzungen (wie z.B.: Intelligenz, Lernstrategien,
Lernmotivation, Vorkenntnisniveau, etc.) bestimmen auf der einen Seite ob
ein Schüler lernt und auf der anderen Seite den Erfolg und die Dauer dieses
Lernens. Das Elternhaus trägt aufgrund von verhaltensgenetischen und sozia-
lisationstheoretischen Gegebenheiten zum jeweiligen Schulerfolg bei.
19
Die nominale Unterrichtszeit kennzeichnet die formal zur Verfügung stehende Zeit in einem
bestimmten Zeitraum. Es fallen von dieser, in Lehrplänen festgelegten, Zeit weitere Stunden
weg, u.a. durch Lehrerkrankheit und fortbildung, sowie durch Schul- und Sportfeste. Weitere
Zeit geht durch Disziplinprobleme und Handlungsregulationen im Unterricht verloren. Die akti-
ve Lernzeit hängt letztlich noch von der Sozialform im Unterricht ab. Die aktive Lernzeit kann
gerade bei lehrerzentriertem Unterricht auf ein sehr niedriges Maß sinken.
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
17
·· Der Kontext ist für die Unterrichtsgestaltung und deren Erfolg von wesentlicher
Bedeutung. Schulart, Bildungsgang, Einzugsgebiet sowie die Klassenzusam-
mensetzung wirken auf die Lehrperson und den Unterricht ebenso ein wie auf
die Lernaktivitäten und den Lernerfolg der Schüler.
Der Klassenkontext wird im Wesentlichen von dem Fähigkeits- und Vorkennt-
nisstand der Klasse, der Schichtzusammensetzung, der sprachlichen Zusam-
mensetzung der Klasse, der Klassengröße und dem Klassenklima bestimmt.
Helmke betont dabei die Spezifität von Bildungsgang, Unterrichtsfach und in
diesem Zusammenhang auch die Altersstruktur der Klasse, welche die cha-
rakteristischen Aspekte der Unterrichtsqualität insbesondere in Sonder- und
Berufsschulen ausmachen.
Helmke führt an, dass es in der Forschung kein ,,Rezept" oder direkte Handlungsan-
weisungen für guten oder erfolgreichen Unterricht gebe. Es müssten dazu immer die
Einflüsse auf das Unterrichtsgeschehen betrachtet und in die Planung einbezogen
werden. Welche Wirkungen jedoch die einzelnen Variablen haben, kann nach Helmke
kaum berechnet werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich
positive Einzelvariablen blockieren und somit nicht in ihrem Wirkungsergebnis addiert
werden können.
Im Bezug auf das Thema dieser Arbeit stellt sich die Frage, auf welche der genannten
Einflussfaktoren die Lehrperson bzw. die Schule einwirken können. Dieser Frage wird
im folgenden Unterpunkt nachgegangen.
3.2 Schulinterne Faktoren
Helmke (2009, S. 74f) benennt folgende Faktoren, die für die Einflussnahme von Leh-
rern auf den Lernerfolg aus dem Modell bedeutsam sind:
· die
Qualifikation
der
Lehrer,
· die
Qualität
der
Lehr-
und
Lernprozesse,
· die Qualität der eingesetzten Arbeitsmittel und Medien,
· die zur Verfügung gestellte Lernzeit.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Professionalität der Lehrer eine der wichtigsten
Einflussfaktoren auf Unterricht darstellt. Einerseits ist dabei das Fachwissen entschei-
dend und andererseits sind auch (empirisch belegte) Persönlichkeitsmerkmale von
großer Bedeutung. Auf die einzelnen Merkmale soll hier jedoch nicht weiter eingegan-
gen werden (weiterführend: Helmke, 2009).
3 Angebots- Nutzungs-Modell nach Helmke
18
Vielmehr untersuchen die Ausführungen den Einfluss des Lehrers auf die Qualität und
die Quantität des Unterrichts. Dies geschieht über das Lehr- Lernangebot und die darin
dargebotenen Arbeitsmittel und Medien. Außerdem nennt Helmke die folgenden fach-
übergreifenden Qualitätsbereiche: Klassenführung, Klarheit und Strukturiertheit, Kon-
solidierung und Sicherung, Aktivierung, Motivierung, lernförderliches Klima, Schülerori-
entierung, Kompetenzorientierung, Umgang mit Heterogenität und die Angebotsvielfalt.
So bestätigt auch Nickolaus (2004, S. 3), dass Klarheit, Adaptivität und Interaktions-
qualität empirisch nachgewiesen einen Einfluss auf den Lernerfolg von Schülern
haben. Einen wesentlichen Teil der Unterrichtsqualität machen die fachspezifischen
Aspekte aus, die sich auf die oben genannte fachliche Professionalität der Lehrkräfte
beziehen.
Nicht zuletzt hat die Lehrkraft einen großen Einfluss auf die aktiv genutzte Lernzeit von
Schülern. Er ist zwar durch ein vorgegebenes Zeitkontingent eingeschränkt, aber wie
viel von dieser Zeit letztendlich genutzt bzw. als zu nutzende Zeit für Schüler bereit-
stellt wird, hängt in einem hohen Maße von seiner persönlichen Entscheidung ab. Leh-
rer sollten Zeiten für organisatorische Regelungen in einem so geringen Umfang zur
Verfügung stellen, in dem es gelingt alles Notwendige zu besprechen. Weiterhin muss
der Wegfall an aktiver Unterrichtszeit, wie sie z.B. durch Disziplinprobleme hervorgeru-
fen werden, möglichst gering gehalten werden. Hierbei spielt also unter anderem die
Klassenführungskompetenz der Lehrkraft eine entscheidende Rolle.
Die jeweilige Schule kann unter anderem im Schulprogramm festlegen, welcher päda-
gogischen und didaktischen Ausrichtung sie folgt. Ebenso obliegt es zum Teil der
Schulleitung und dem Lehrpersonal welches Schulklima respektive Klassenklima vor-
herrscht. Nicht zu letzt kann die Schule über Klassenzusammensetzungen auf die Wir-
kung von Unterricht Einfluss nehmen.
Bei den genannten Kriterien ist jedoch nicht zu vergessen, dass weitere Kontextvariab-
len Einfluss auf die Lehrperson selber, den Unterricht und letztendlich auch auf die
Lernaktivitäten und den Lernoutput der Schüler haben. Diese Variablen sind von Leh-
rern wie auch von Schülern kaum beeinflussbar (z.B. kulturelle Rahmenbedingungen,
Schulform und Bildungsgang). Im Folgenden werden die institutionellen Rahmenbe-
dingungen für den Unterricht in der beruflichen Bildung genannt und ihre Wirkung er-
läutert. In Kapitel 4 wird folglich der Status Quo für die berufliche Bildung und sich dar-
aus ergebende Probleme und auch Anknüpfungspunkte für kompetenzorientierten
Unterricht dargestellt.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (eBook)
- 9783842820906
- DOI
- 10.3239/9783842820906
- Dateigröße
- 5.8 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Humboldt-Universität zu Berlin – Philosophische Fakultät IV, Wirtschaftspädagogik
- Erscheinungsdatum
- 2011 (September)
- Note
- 1,0
- Schlagworte
- unterrichtsmethoden kompetenzorientierung berufliche bildung lernen selbststeuerung
- Produktsicherheit
- Diplom.de