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Wie kann selbständiges Lernen in der Schule durch den Einsatz (Neuer) Medien bestärkt werden? Exemplarisch untersucht am Beispiel schulischer Innovationen in NRW

©2008 Examensarbeit 130 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Derzeit sich häufende Schlagworte wie ‘Wissensexplosion’ und ‘abnehmende Halbwertszeit von Wissensbeständen’ lassen die Frage aufkommen, wie die Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kompetenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft ‘als autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten’ zu können? Die Befähigung sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüsselqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen. Dies gilt insbesondere für die gymnasiale Oberstufe, welche die Schüler auf das Studium und somit auf selbständiges Arbeiten vorbereiten soll.
Die Tatsache, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache bereits im Jahre 1995 den Begriff Multimedia zum ‘Wort des Jahres’ gekürt hat, zeigt darüber hinaus deutlich, dass die Neuen Medien bereits seit über zehn Jahren in einer großen öffentlichen Diskussion stehen und somit sicherlich auch für den schulischen Bereich relevant sind. So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informationen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu können.
Oftmals wird propagiert, dass nur selbständig denkende und handelnde Menschen, die darüber hinaus medienkompetent im Umgang mit den Neuen Medien sind, gerüstet seien, um den Problemfeldern unserer heutigen Zeit begegnen und mit diesen umgehen zu können. Daraus resultierend ist dann auch im Schulgesetz des Landes NRW als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vermerkt, dass die Schüler lernen sollen ‘selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln...[und] mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen’. Hiermit verbunden ist demnach die Vorstellung, den Schüler bestmöglich auf sein Leben vorzubereiten, indem er in der Lage ist, selbständig zu lernen und Neue Medien gezielt und bewusst einsetzen kann. Des Weiteren verbirgt sich hinter den Bemühungen die Schüler zur Selbständigkeit anzuleiten sicherlich auch die Hoffnung, dass dadurch eine Entlastung der Lehrpersonen entstehen könnte.
In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Stephanie Reuter
Wie kann selbständiges Lernen in der Schule durch den Einsatz (Neuer) Medien
bestärkt werden? Exemplarisch untersucht am Beispiel schulischer Innovationen in
NRW
ISBN: 978-3-8428-1298-7
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland,
Staatsexamensarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

2
Inhalt
1. Einleitung
5
2. Der Lernbegriff und die drei klassischen lerntheore-
tischen Grundlagen: Behaviorismus, Kognitivismus
und Konstruktivismus
7
2.1
Begriffsklärung: Lernen
7
2.2
Die drei klassischen Lerntheorien
8
2.2.1 Behaviorismus - Lernen als Verhaltensänderung
8
2.2.2 Kognitivismus - Lernen durch Einsicht
10
2.2.3 Konstruktivismus - Lernen durch Interpretation
12
2.3
Auswirkungen dieser Theorien auf schulisches Lernen
15
3. Begriff und Konzeption des selbständigen Lernens
16
3.1 Begriffsklärung und Definitionen
16
3.2 Wegbereiter (reformpädagogische Ansätze)
19
3.3 Begründungen und Ziele
24
3.3.1 gesellschaftlich
24
3.3.2 bildungstheoretisch
26
3.3.3 lerntheoretisch
27
3.3.4 sozialerzieherisch
30
3.4 Methoden 30
3.4.1 Die Projektmethode
32
3.4.2 Freiarbeit
34
3.4.3 Wochenplanarbeit
35
3.4.4 Wahldifferenzierter Unterricht
36
3.5 Voraussetzungen
37
3.5.1 Motivation
38
3.5.2 Lernstrategien
40
3.5.3 Metakognition
41
3.5.4 Leistungsbeurteilung
43
3.5.5 Situative Aspekte
45

3
3.6. Die Rolle der Lernenden und Lehrenden
48
3.6.1 Die Gruppe der Lernenden
48
3.6.2 Die Lehrpersonen
51
4. Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
sowie die Rolle der Neuen Medien im Rahmen des
selbständigen Lernens
53
4.1 Begriffsklärung: Neue Medien
53
4.2 Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
(zur Unterstützung von Lernprozessen) 54
4.2.1 Begründungen für den Einsatz Neuer Medien im
schulischen Bereich 54
4.2.2 Vorteile beim Einsatz Neuer Medien im schulischen
Bereich 57
4.2.3 Nachteile und kritische Aspekte beim Einsatz Neuer
Medien im schulischen Bereich 65
4.3 Konsequenzen der Vor- und Nachteile Neuer Medien
im schulischen Bereich - besonders im Hinblick auf die
Rolle der Neuen Medien im Rahmen des selbständigen
Lernens 68
4.3.1 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz Neuer
Medien im schulischen Bereich 68
4.3.2 Medienkompetenz 71
4.3.3 Lernsoftware
77
5. Das Modellprojekt SelGO (Selbstständiges Lernen mit
digitalen Medien in der gymnasialen Oberstufe) des
Landes NRW 80
5.1 Das Rahmenkonzept von SelGO 80
5.2 Konzeption des selbständigen Lernens mit Neuen
Medien im SelGO-Projekt 82
5.2.1 Selbständiges Lernen 82
5.2.2 Der Einsatz Neuer (digitaler) Medien 85
5.3 Die SelGO-Materialien und Lernarrangements 86
5.3.1 Die SelGO-Lehr- und Lernplattform 86
5.3.2 Die SelGO-Fachmodule 89

4
5.4 Voraussetzungen für SelGO 92
5.5 Erste Evaluationen zu SelGO 96
5.5.1 Eine Schulleiter- und Lehrerberfragung zu SelGO von
2004 96
a.) Ausgewählte Ergebnisse der Schulleiterbefragung 96
b.) Ausgewählte Ergebnisse der Lehrerbefragung 99
5.5.2 Eine qualitative Studie zu den Erfahrungen mit SelGO
von 2006 105
5.5.3 Fazit dieser ersten Evaluationen zu SelGO 108
6. Schluss 109
7. Literaturverzeichnis 113
8. Appendix 120
8.1 Erläuterungen 120
8.2 Eine eigene Befragung 120
8.2.1 Teilnehmer, Vorgehensweise und Ziele dieser Befra-
gung 120
8.2.2 Der Fragebogen 122
8.2.3 Die Auswertung der Umfrageergebnisse 124

5
1. Einleitung
Derzeit sich häufende Schlagworte wie ,,Wissensexplosion" und ,,abnehmende
Halbwertszeit von Wissensbeständen" lassen die Frage aufkommen, wie die
Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kom-
petenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden
von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft ,,als
autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten"
1
zu können? Die
Befähigung sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich
der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen
Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüs-
selqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen. Dies gilt insbesondere für
die gymnasiale Oberstufe, welche die Schüler auf das Studium und somit auf
selbständiges Arbeiten vorbereiten soll.
Die Tatsache, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache bereits im Jahre 1995
den Begriff Multimedia zum ,,Wort des Jahres" gekürt hat
2
, zeigt darüber hinaus
deutlich, dass die Neuen Medien bereits seit über zehn Jahren in einer großen
öffentlichen Diskussion stehen und somit sicherlich auch für den schulischen
Bereich relevant sind. So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer
Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu
unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informatio-
nen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu
können.
Oftmals wird propagiert, dass nur selbständig denkende und handelnde Men-
schen, die darüber hinaus medienkompetent im Umgang mit den Neuen Medien
sind, gerüstet seien, um den Problemfeldern unserer heutigen Zeit begegnen und
mit diesen umgehen zu können. Daraus resultierend ist dann auch im Schulge-
1
Mandl. H./ Friedrich, H.: Lern- und Denkstrategien- ein Problemaufriß. In: Mandl, H./ Fried-
rich, H. (Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. Analyse und Intervention. Göttingen: Hogrefe
1992. S. 3.
2
Vgl. Gesellschaft für deutsche Sprache: Wörter des Jahres. URL: http://www.gfds.de/index.
php?id=11 (15.04.2007)

6
setz des Landes NRW als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vermerkt,
dass die Schüler lernen sollen ,,selbstständig und eigenverantwortlich zu han-
deln...[und] mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen"
3
. Hier-
mit verbunden ist demnach die Vorstellung, den Schüler bestmöglichst auf sein
Leben vorzubereiten, indem er in der Lage ist, selbständig zu lernen und Neue
Medien gezielt und bewusst einsetzen kann. Des Weiteren verbirgt sich hinter
den Bemühungen die Schüler zur Selbständigkeit anzuleiten sicherlich auch die
Hoffnung, dass dadurch eine Entlastung der Lehrpersonen entstehen könnte.
In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet werden, was unter dem
Lernbegriff und vor allem unter dem Konzept des selbständigen Lernens genau
zu verstehen ist. Hierbei werden dann unter anderem die Ursprünge, Begründun-
gen und Methoden des selbständigen Lernens herausgestellt werden und vor al-
lem die Voraussetzungen, die notwendigerweise für eine erfolgreiche Durchfüh-
rung von selbständigen Arbeitsphasen in der Schule gegeben sein müssen, kons-
tatiert werden. Daran anschließend wird der Einsatz Neuer Medien im schuli-
schen Kontext im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung des selbständigen
Lernens thematisiert werden. Hierbei wird dann eine Auseinadersetzung mit den
Vor- und Nachteilen des Einsatzes Neuer Medien im schulischen Kontext, sowie
den dafür erforderlichen Voraussetzungen folgen. Hieran wird sich dann mit der
Vorstellung des Modellprojekts SelGO des Landes NRW ein Beispiel aus der
Schulpraxis anschließen, das die Zielsetzung verfolgt das selbständige Lernen
der Schüler in der gymnasialen Oberstufe durch den Einsatz Neuer Medien zu
stärken. Zusammenfassend sollen diese theoretischen und praktischen Aspekte
Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich möglich ist, das selbständige Lernen
der Schüler durch den Einsatz Neuer Medien zu bestärken und welche Bedin-
gungen und Voraussetzungen hieran geknüpft sind.
3
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Schulgesetz für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2006. In: Ministerium für Schule und Weiterbil-
dung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Neues Schulgesetz. Sonderausgabe zum Amts-
blatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung. Düsseldorf: 2006. §2 (5). S. 19.

7
2. Der Lernbegriff und die drei klassischen lerntheoretischen
Grundlagen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstrukti-
vismus
2.1 Begriffsklärung: Lernen
Oftmals wird der Begriff Lernen im alltäglichen Sprachgebrauch direkt mit der
Schule in Verbindung gebracht. In wissenschaftlichen Disziplinen wie Pädago-
gik und Psychologie fasst man den Lernbegriff jedoch viel weiter. Lernen kann
nämlich sehr viele verschiedene Zielsetzungen implizieren, so zum Beispiel Be-
halten und Repräsentieren, Problemlösen, den Aufbau einer Gesinnung, das Er-
lernen motorischer Fähigkeiten oder das Können und Festigen bestimmter Fer-
tigkeiten. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Lernzielen, dass Lernen einen
Prozess beschreibt, der manchmal bewusst und gezielt, oft aber auch beiläufig
abläuft und den jeder Mensch ständig durchlebt. Im Hinblick auf pädagogische
Unterrichtszwecke ist hierbei allerdings eher von funktionalem (beiläufigem)
und intentionalem (planmäßigem) Lernen die Rede
4
. Es geht hierbei um Verhal-
tensweisen, die nicht aufgrund von angeborenen Instinkten oder als Ergebnis der
menschlichen Reife zur Verfügung stehen, ,,sondern aufgrund eines spezifischen
Vorgangs zu Stande kommen"
5
, nämlich dem Vorgang des Lernens. Lernen
kann deshalb als der relativ dauerhafte Erwerb von neuen Fähig- oder Fertigkei-
ten begriffen werden. Somit ist Lernen eigentlich ein wertneutraler Begriff, da es
erst einmal nur um die Kennzeichnung von menschlichen Verhaltensänderungen,
und nicht um eine Bewertung dieser Veränderungen geht.
Darüber hinaus ist es sehr schwer eine feste, allgemeingültige Definition von
Lernen zu geben, da jeder Lernprozess bei jedem Individuum anders verläuft.
Für den Prozess des erfolgreichen Lernens als Veränderung unseres Wissens
sind nämlich die verschiedensten Faktoren von Bedeutung. Vor allem aber das
4
Vgl. Hoffmann, B.: Medienpädagogik. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Paderborn:
Schöningh 2003. S. 346.
5
Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. Grund- und Prüfungswissen. Berlin: Cornelsen
2001. S. 102.

8
Lebensalter und die bisherige ,,Lerngeschichte" haben hiefür eine große Rele-
vanz
6
, und auch die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt spielt beinahe
immer eine wesentliche Rolle, wenn es um Lernprozesse geht. Die Gewichtung
dieser beiden Faktoren kann allerdings sehr unterschiedlich ausfallen, entweder
kommt es zu einer starken Anpassung an die Umwelt oder zu einer aktiven Ges-
taltung der Umwelt. Durch diese Auseinandersetzung mit der Umwelt gelangt
der Mensch dann zu bestimmen Erfahrungen, die zukünftig seine weiteren Akti-
vitäten beeinflussen, und genau dieser Prozess macht dann das Hauptmerkmal
des Lernens aus
7
.
2.2 Die drei klassischen Lerntheorien
2.2.1 Behaviorismus - Lernen als Verhaltensänderung
Da das Lernen beziehungsweise der Lernprozess den Menschen dabei helfen
kann sich an spezifische Anforderungen des Lebens anzupassen, kann Lernen
einerseits als Verhaltensänderung verstanden werden. Seit Anfang des 19. Jahr-
hunderts haben die Vertreter des Behaviorismus lange Zeit den Schwerpunkt
ihrer Forschungen lediglich auf beobachtbare, das heißt direkt wahrnehmbare
Verhaltensweisen gelegt. Durch die Forschungsmethode des sogenannten Klassi-
schen Konditionierens konnte gezeigt werden, dass durch Reiz-Reaktions-
Verbindungen, die unter bestimmten Bedingungen erhalten bleiben und unter
anderen eben wieder gelöscht werden, neue Verhaltensweisen erlernt (und auch
wieder verlernt) werden können. Wichtig für diese Auffassung ist also, dass sich
Lernen durch bestimmte Reize von außen steuern lässt und der Mensch somit
unter die Kontrolle der Umwelt gestellt wird. Lernen wird hierbei sozusagen als
konditionierter Reflex angesehen, der nur durch Adaption erworben werden
kann
8
.
6
Vgl. Baumgart, F.: Vorbemerkungen. In: Baumgart, F. (Hrsg.): Entwicklungs- und Lerntheo-
rien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001. S. 11.
7
Vgl. Edelmann, W.: Lernen. In: Wenninger, G. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bd. F- L.
Heidelberg: Spektrum 2001. S. 451.
8
Vgl. Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. München: Studien 1999. S. 101.

9
Nach Meinung der Behavioristen ereignet sich Lernen aufgrund allgemeiner und
jederzeit gültiger Lerngesetze. Es wird bei dieser Lern- und Lehrstrategie davon
ausgegangen, dass die ,,Lehrenden wissen, was und wie die Lernenden zu lernen
haben"
9
. Die Schüler für das Erreichen von festegelegten Normen kompetent zu
machen, ist demzufolge die (Haupt-) Aufgabe der Schule
10
. Als Lernziel können
dann hierbei ,,richtige" Verhaltensweisen und Antworten bestimmt werden, die
der Schüler vom Lehrer als Autorität angelernt bekommt. Die im Gehirn ablau-
fenden Prozesse haben dabei keinerlei Bedeutung für die Behavioristen, da das
Gehirn als ,,black box" aufgefasst wird, das einen Input erhält und darauf deter-
ministisch reagiert.
Weiterhin haben die Behavioristen herausgefunden, dass ein ursprünglich unbe-
deutendes Spontanverhalten beispielsweise durch einen positiven Verstärker (z.
B. eine Belohnung) verstärkt werden kann und der Organismus zudem aktiv be-
teiligt ist, wenn es um die Ausbildung von bestimmten Verhaltensweisen geht.
Bei diesem operanten Konditionieren ist somit nicht mehr der Reiz das Ent-
scheidende, sondern die Verstärkung. Demnach reagiert die Umwelt positiv oder
negativ auf bestimmte Verhaltensweisen und beeinflusst somit den Organismus
in seinem zukünftigen Handeln. Lernen oder ein erfolgreicher Lernprozess sind
demnach dann erkennbar, wenn sich ein ganz bestimmtes Verhalten häufiger
einstellt als vorher.
Aufgrund moderner Forschungen kann heute zu den Forschungsansätzen und
Einstellungen der Behavioristen jedoch einiges kritisch angemerkt werden. So
zum Beispiel die Überbetonung des reaktiven und die Vernachlässigung des ak-
tiven Moments im menschlichen Verhalten, denn das Verhalten des Menschen
muss nicht zwingend durch einen äußeren Reiz ausgelöst worden sein. Selbst
9
Baumgartner, P. u.a.: Handlungsstrategien von LehrerInnen ­ ein heuristisches Modell. In:
Metzger, C. u.a. (Hrsg.): Impulse für die Wirtschaftspädagogik. Festschrift zum 65. Geburtstag
von Prof. Dr. Rolf Dubs. St. Gallen: Verlag des schweizerischen kaufmännischen Verbandes
2000. S. 247.
10
Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? Empirisch-experimentelle Forschungen
zum Lehren und Lernen im Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider 2005. S. 62.

10
gesetzte Ziele oder Motive des Menschen können auch für bestimmte Verhal-
tensweisen verantwortlich sein. Daher erscheint es nahezu fatal den Sinn und
Willen ,,als handlungsbegründende Eigenschaften des Menschen"
11
zu bestreiten
oder zumindest nicht zu beachten. Hinzu kommt, dass es bei dieser Art von Ler-
nen fraglich ist, ob das Wissen hierbei tatsächlich verstanden oder nur einge-
paukt ist.
2.2.2 Kognitivismus - Lernen durch Einsicht
In den 60-er Jahren ist die Vorherrschaft der behavioristischen Theorien durch
die sogenannte Kognitive Wende zurückdrängen worden. Seit dieser Zeit richtet
sich nun das Augenmerk der Lernforschung auf die Innensteuerung, also die in-
ternalen und psychischen Prozesse des Lernens. Zur Erklärung von menschli-
chen Verhaltensweisen sind seitdem also nicht mehr (nur) die Umweltbedingun-
gen und äußeren Reize verantwortlich gemacht worden, sondern auch kognitive
Prozesse, wie beispielsweise wahrnehmen, denken, urteilen, erinnern und ver-
stehen. Kognitivisten schließen von direkt wahrnehmbarem Verhalten darauf,
welche internen Prozesse der Informationsverarbeitung im Gedächtnis eines
Menschen ablaufen. Das Gehirn wird nun jedoch nicht mehr als ,,black box"
verstanden, bei der In- und Output das Wesentliche sind, vielmehr sind die da-
zwischenliegenden geistigen Prozesse von Interesse.
Lernen meint in diesem Zusammenhang eine Strukturierung des Wissens durch
Vernunft und Einsicht, man spricht auch von einer aktiven Aneignung der Um-
welt
12
. Oftmals geht es hierbei gar nicht darum etwas Neues zu lernen, sondern
vielmehr ,,umzulernen". Demzufolge kann Lernen auch als Informationsverar-
beitung begriffen werden, wobei es um den Erwerb von Wissen über uns selber
und über die Welt geht. Die Enkodierung, also die Umwandlung von physikali-
schen Reizen in Bedeutungen für einen selber ist das Ziel dieses Lernprozesses.
Für diesen Informationsverarbeitungsprozess müssen dann erstens von uns Men-
schen Signale aus der Umwelt aufgenommen, uns transformiert werden und die-
11
Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. 2001. S. 114.
12
Vgl. Gudjons, H.: Pädagogisches Grundwissen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003. S. 214.

11
se dann zweitens mit bereits verfügbaren Informationen verknüpft werden. Im
dritten Schritt geht es dann noch um die ,,Organisation von Einzelinformationen
zu neuen komplexen Informationseinheiten"
13
.
Der Auffassung von Lernen als Wissenserwerb liegt die Annahme zugrunde,
dass Lernen ,,als Aufbau und fortlaufende Modifikation von Wissensrepräsenta-
tion definiert"
14
werden kann. Es geht sozusagen um das Konstruieren oder zu-
mindest um die Modifizierung von bereits vorhandenem Wissen; man setzt also
beim aktivierten Vorwissen an. Wichtig hierbei ist allerdings, dass es nicht um
die bloße Integration von neuen Informationen in bestehende Wissensstrukturen,
sondern um eine wirkliche ,,Modifikation dieser Strukturen aufgrund der Verar-
beitung der neuen Informationen"
15
geht. Auch hierbei wird von einer Adaption
an situative Gegebenheiten ausgegangen, da letztendlich alles, was gelernt wird,
im Hinblick auf seinen Gebrauch gelernt wird.
Lernen ist somit nach kognitivistischer Auffassung ein aktiver interner Verarbei-
tungsprozess, bei dem der Lernende äußere Reize selbständig verarbeitet. Dem
Lehrer kommt hierbei lediglich die Rolle eines Tutors zu, der die Lernenden un-
terstützt, in dem er diese beobachtet und ihnen hilft sich zweckmäßige Methoden
zur Antwortfindung anzueignen. Zudem ist kognitives Lernen ,,ein Merkmal
intelligenten Verhaltens"
16
, da es den Menschen dazu befähigt auf einer höheren
und bewussteren Stufe neuartige Aufgaben erfolgreich zu bearbeiten. Dies steht
dann wiederum in engem Zusammenhang mit der kumulativen Seite des Ler-
nens, da neues Wissen immer in das Vorwissen verankert wird. Aus dieser An-
sicht resultiert dann natürlich, dass auch unterschiedliche Verfahren zu optimalen
Ergebnissen führen können. Für die Kognitivisten kommt es demnach darauf an,
richtige Methoden zur Problemlösung zu erlernen, ,,deren Anwendung dann erst
die (eine oder mehrere) richtige Antworten ergeben"
17
. Als Zweck des Wissens-
13
Kaiser, A./ Kaiser, R.: Studienbuch Pädagogik. 2001. S. 131.
14
Steiner, G.: Lernen und Wissenserwerb. In: Krapp, A./ Weidenmann, B.: (Hrsg.): Pädagogi-
sche Psychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Beltz 2006. S. 163.
15
Ebd. S. 201.
16
Seel, N.: Psychologie des Lernens. München: Reinhardt 2003. S. 22.
17
Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. 1999. S. 105.

12
erwerbs kann folglich festgehalten werden das neu erworbene Wissen in alltägli-
chen Situationen wieder abrufen zu können; zum Beispiel zur Lösung theoreti-
scher oder praktischer Probleme.
Ähnlich wie beim Behaviorismus wird mittlerweile auch oft an den kognitivisti-
schen Ansätzen kritisiert, dass seine Vertreter von einer einzigen, objektiv wah-
ren und erkennbaren Realität ausgehen. Hinzu kommt, dass Probleme oftmals
eben nicht einfach objektivistisch vorliegen und ihrer Lösung harren, vielmehr
müssen Probleme häufig ,,erst einmal gesehen (konstruiert oder erfunden) wer-
den, damit sie gelöst werden können"
18
.
2.2.3 Konstruktivismus - Lernen durch Interpretation
Die Vertreter des Konstruktivismus sprechen im Hinblick auf den Wissensauf-
bau von einem individuellen Aufbauprozess. Zudem lehnen sie die Annahme
einer ,,objektiven" Beschreibung und Erklärung der Realität ab
19
, da sich ihrer
Meinung nach jedes Individuum seine Erkenntnisse und seine subjektive Wirk-
lichkeit aufgrund eigener Erfahrungen selber kreiert. Es geht folglich darum neue
Informationen in bereits vorhandene kognitive Strukturen einzuordnen, sie zu
strukturieren und letztendlich alles in einen kohärenten Zusammenhang zu brin-
gen
20
. Demzufolge gehören einerseits exakte Fakten, an die angeknüpft werden
kann, zu den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Lernprozess. Andererseits
sind aber auch entsprechende Denkfähigkeiten von großer Bedeutung.
Mittlerweile ist aufgrund neurobiologischer Forschungen mehrfach empirisch
bewiesen, dass das menschliche Gehirn Informationen nicht als separate ,,Abtei-
lungen" abspeichert, sondern diese zu komplexen Netzen ordnet und verbindet.
Lernen ist konstruktivistisch betrachtet nicht nur eine Anpassung an die Umwelt
oder das Ergebnis von Belehrungen und Instruktionen
21
. Vielmehr beinhaltet
18
Baumgartner, P. u.a.: Handlungsstrategien von LehrerInnen ­ ein heuristisches Modell. In:
Metzger, C. u.a. (Hrsg.): Impulse für die Wirtschaftspädagogik. 2000. S. 249.
19
Baumgartner, P./ Payr, S.: Lernen mit Software. 1999. S. 107.
20
Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? 2005. S. 65.
21
Vgl. Siebert, H.: Die Wirklichkeit als Konstruktion. Einführung in konstruktivistisches
Denken. Frankfurt: VAS 2005. S. 35.

13
Lernen die permanente Konstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeiten.
Durch die Kooperation mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt muss sich
der Lerner selber dazu befähigen, mit komplexen Situationen operieren zu kön-
nen. Wichtig hierfür ist, dass das Lernen strukturdeterminiert abläuft, da die bio-
grafisch gewachsenen sensorischen, emotionalen und kognitiven Strukturen den
Rahmen für den Lernprozess vorgeben beziehungsweise abstecken. Wie der
Mensch neue Informationen aufnimmt und verarbeitet, hängt demnach ,,weniger
von der Qualität der Mitteilung ab als von dem internen kognitiv-emotionalen
System"
22
und seiner derzeitigen Verfassung. Demnach spielen auch emotionale,
personale und motivationale Faktoren eine äußerst wichtige und ernst zu neh-
mende Rolle, da neben den Informationen auch deren Kontexte (unter welchen
Umständen die neuen Informationen aufgenommen worden sind) gespeichert
werden. Aus diesem Grunde ist es im Hinblick auf den Lernerfolg von Bedeu-
tung wo, wann und mit wem gelernt wird.
Bei den konstruktivistischen Konzepten stehen somit nicht mehr der Lehrer,
sondern der Lerner und seine eigenen persönlichen Erfahrungen ganz klar im
Mittelpunkt. Dem Lehrer kommt hierbei die Aufgabe zu mit den Schülern zu
kooperieren, deren Lernprozesse zu begleiten und sie zur Überprüfung des neu
erlernten Wissens zu ermutigen. Wichtig ist dann hierbei vor allem, dass der
Lerner aktiv ist und das Lerngeschehen selbständig steuert (soweit er dazu in der
Lage ist). Um dies zu ermöglichen, sind folgende Voraussetzungen erforderlich:
erstens muss die Lernsituation möglichst authentisch sein, damit der Lerner spä-
ter sein neu erlerntes Wissen auf die reale Welt übertragen kann. Schließlich
stehen beim Konstruktivismus nicht der Erwerb von Fachwissen, sondern der
Transfer und der Anwendungsbezug von Wissen im Vordergrund
23
. Zudem soll-
te die Lernumgebung anregend auf die Lerner wirken und des Weiteren so ges-
taltet sein, dass ein soziales Miteinander der Lerner möglich ist, und mit- und
voneinander gelernt werden kann. Des Weiteren sollten die zu bewältigenden
22
Siebert, H.: Pädagogischer Konstruktivismus. Lernen als Konstrukt von Wirklichkeit.
Neuwied: Luchterhand 2003. S. 16.
23
Vgl. Edelmann, W.: Lernpsychologie. Weinheim: Beltz 2000. S. 287.

14
Aufgaben den Interessen des Lernenden angepasst sein beziehungsweise relevant
für ihn sein, denn das menschliche Gehirn als selbstreferenzielles System lernt
zielgerichtet. Zweckmäßige Filter für diese Art von Lernen sind beispielsweise
Motivation und Interesse des Lerners. Hierbei ist zu bedenken, dass das bereitge-
stellte Lernmaterial möglichst unterschiedliche Lernkanäle ansprechen sollte.
Eine abstrakte oder symbolische Vermittlung von Wissen halten die Konstrukti-
visten für absolut unmöglich. Als Lernziel kann für die konstruktivistischen An-
sätze sicherlich die Differenzwahrnehmung konstatiert werden, da es für dieses
Lernverständnis maßgeblich ist, sich bewusst zu machen, ,,dass die eigene Per-
spektive nie die einzig Mögliche ist"
24
, auch wenn eine Handlungs- oder Denk-
weise unter ganz bestimmten Umständen sehr brauchbar ist.
Doch auch ein konstruktivistisches Lernverständnis stößt in einigen Bereichen an
gewisse Grenzen, so beispielsweise bei Lernprozessen, die auf ein größtenteils
automatisiertes Verhalten abzielen. Genau an dieser Stelle wird dann erneut
deutlich, dass es auch heute noch viele Lernstoffe und Fertigkeiten gibt, die eben
nicht von den Schülern selber entdeckt werden können, sondern lediglich durch
ein wiederholtes Einüben erworben werden können. Darüber hinaus kann eine zu
stark isolierte und individuelle Betrachtungsweise während des Lernprozesses
auch dazu führen, dass die sozialen Komponenten des Lernens zu wenig Be-
trachtung finden oder gar gänzlich wegfallen. Zudem benötigen gerade schwä-
chere Schüler oftmals umfassende Hilfestellungen in Sachen Strukturierung und
Vorgehensweise
25
.
Zusammenfassend kann aber festgehalten werden, dass sich die heutigen Lern-
forscher (gleichgültig auf welchen theoretischen Ansätzen ihre Forschungen ba-
sieren) einig darüber sind, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, der von einem
Subjekt realisiert wird, ,,das sich Ziele setzt, denen Bedürfnisse und Motive
24
Siebert, H.: Pädagogischer Konstruktivismus. 2003. S.85.
25
Vgl. Reiter, A.: Neue Medien- ein Garant für neues Lernen? In: Schwetz, H. (Hrsg.):
Konstruktives Lernen mit neuen Medien. München: Studien 2001. S. 27-28.

15
zugrunde liegen"
26
. Darüber hinaus beruht Lernen auf der Wechselbeziehung
zwischen Subjekten (z. B. Schüler und Lehrer) im Hinblick auf bestimmte Ob-
jekte (Lerngegenstände). Wenn vom Lernen gesprochen wird sind damit Verän-
derungen gemeint, die von Beobachtern als Lernergebnisse gedeutet werden.
2.3 Auswirkung dieser Theorien auf schulisches Lernen
Als Grundproblem der zuvor kurz dargestellten Lehr- und Lernansätze kann erst
einmal festgehalten werden, dass diese alle von einseitigen Annahmen ausgehen,
sozusagen von einem ,,Entweder-Oder-Prinzip". Gerade schulisches Lernen ist
jedoch zu komplex, um es durch einen Ansatz, der von ganz bestimmten Prinzi-
pien und Abläufen ausgeht, ausreichend erklären zu können
27
. Aufgrund der mo-
dernen Lehr-Lernforschungen kann jedoch sicher davon ausgegangen werden,
dass sowohl das Ergebnis, als auch der Verlauf von Lehr-Lernprozessen maß-
geblich von den kognitiven, volitiven und emotional-motivationalen Verarbei-
tungsprozessen der Lernenden abhängt. Denn erst durch diese Prozesse wird eine
tatsächliche Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der Welt ermöglicht
28
.
Die traditionellen Unterrichtsphilosophien sind allerdings teilweise auch noch
für das heutige schulische Lernen von Bedeutung, da es beispielsweise aus Zeit-
gründen sehr effektiv sein kann, wenn die Lernprozesse in der Schule strukturiert
und systematisch ablaufen. Um das ,,Endziel" des Unterrichts zu erreichen, näm-
lich die Schüler zu selbständigem und eigenverantwortlichem Lernen zu befähi-
gen, ist es zudem erst einmal notwendig, dass die Schüler sich Informationsver-
arbeitungsprozesse und auch Faktenwissen, an das später angeknüpft werden
kann, aneignen. Hierfür können dann Instruktionen des Lehrers sicherlich als
hilfreich betrachtet werden. Bei Lernverläufen, in denen es hauptsächlich um
Verhaltenstraining geht, werden auch heute noch sehr häufig Konzepte, die auf
behavioristischen Ansätzen basieren, eingesetzt. Dies kann sowohl im familiä-
26
Lompscher, J.: Lernstrategien- Relevanz, Zugänge, Ergebnisse. In: Schnaitmann, G. W.
(Hrsg.): Theorie und Praxis der Unterrichtsforschung. Methodologische und praktische
Ansät-
ze zur Erforschung von Lernprozessen. Donauwörth: Auer 1996. S. 111.
27
Vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen- aber wie? 2005. S. 75.
28
Vgl. Lompscher, J.: Lernstrategien- Relevanz, Zugänge, Ergebnisse. In: Schnaitmann, G. W.
(Hrsg.): Theorie und Praxis der Unterrichtsforschung. 1996. S. 112.

16
ren, als auch im schulischen Bereich sein, wenn es zum Beispiel darum geht
,,gewünschtes Verhalten zu stärken, unerwünschtes zu eliminieren, aber auch um
die Lernmotivation zu beeinflussen"
29
. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass
diesen Konzepten ein Menschenbild zugrunde liegt, in denen der Individualität
und Selbständigkeit des Menschen keinerlei Bedeutung beigemessen wird.
Dagegen bieten die kognitiven und konstruktivistischen Lerntheorien im Hin-
blick auf selbständiges Lernen im heutigen Schulalltag viel mehr Anknüpfungs-
punkte, als noch die behavioristischen Ansätze. Denn wie bereits zuvor ausge-
führt, wird Lernen hierbei nun als ein Prozess aufgefasst, bei dem der Lerner
selber aktiv beteiligt ist. Die dabei gebildeten kognitiven Strukturen befähigen
den Lerner dann dazu sein künftiges Verhalten bewusst und durch Einsicht aus-
zuführen.
3. Begriff und Konzeption des selbständigen Lernens
3.1 Begriffsklärung und Definitionen
Bevor eine Annäherung an den Begriff des Selbständigen Lernens erfolgt, muss
jedoch deutlich darauf hingewiesen werden, dass nahezu alle Arten des Lernens
sowohl Elemente der Fremdsteuerung, als auch der Selbststeuerung beinhalten.
Beinahe niemand ist absolut frei bei der Ausübung und Steuerung eines Lernpro-
zesses. Das heißt jeder Mensch braucht einerseits eine gewisse kognitive Fähig-
keit, um den Lernprozess zu kontrollieren (z.B. zum Zuhören oder Ausführen
von Anweisungen) und andererseits sind wir Menschen beim Lernen auch fast
immer auf den Rückgriff auf andere Instanzen (z. B. Personen, Lehrtexte) ange-
wiesen. Hinzu kommt, dass gerade beim schulischen Lernen oftmals die Eigen-
aktivität für einen erfolgreichen Lernprozess alleine nicht ausreicht, da viele
Lerner häufig zu wenige Kenntnisse über die geeigneten Strategien und Wege,
die zum Ziel führen, wissen
30
. Somit kann Unterricht immer nur Hilfe und Anlei-
29
Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. Hohengehren: Schneider
2002. S. 32.
30
Simons, J.: Lernen, selbständig zu lernen- ein Rahmenmodell. In: Mandl, H./ Friedrich, H.
(Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. Analyse und Intervention. Göttingen: Hogrefe 1992. S.
252.

17
tung zum Lernen sein. Allerdings darf es keinesfalls zu dem fatalen Denkfehler
kommen das Lehren des Lehrers automatisch mit dem Lernen des Schülers
gleichzusetzen
31
. Eine strikte Trennung zwischen Lernen und selbständigem Ler-
nen erscheint daher auch nicht als sinnvoll, vielmehr gelten die bereits zuvor in
Kapitel 2.1 ausgeführten Annäherungen bezüglich des allgemeinen Lernbegriffs
auch für das selbständige Lernen, sie erfahren hier nun lediglich noch eine Er-
weiterung.
Der US-amerikanische Erwachsenenpädagoge Malcolm Knowles hat als einer
der ersten den Begriff des self-directed learning verwendet und versteht darunter
einen Lernprozess, bei dem die Individuen selber eine Lerninitiative ergreifen,
dabei ihre Lernziele formulieren, ihre Lernfortschritte diagnostizieren und sich
dazu der passenden Strategien und Methoden bedienen können
32
. Heutzutage ist
es beinahe unmöglich eine allgemeingültige Definition von selbständigem Ler-
nen zu geben, da sich aufgrund der unterschiedlichen Blickwinkel der verschie-
denen Forschungslager in der heutigen Forschungsliteratur eine Fülle von Beg-
riffen, die teilweise sehr ähnliches darstellen, sich oftmals aber auch in Teilas-
pekten unterscheiden, finden lassen. Exemplarisch zu nennen wären Selbststeue-
rung, Selbstorganisation oder auch Selbsttätigkeit. Darüber hinaus gestalten sich
die Formen des selbständigen Lernens situationsspezifisch und sind somit nur
schwer zu standardisieren
33
(vgl. Kapitel 3.4). Zusammenfassend kann selbstän-
diges Lernen im schulischen Bereich aber grob als ein Lernprozess angesehen
werden, in dem Schüler durch eigene Initiativen tätig werden und dabei ihren
Lern- und Arbeitsprozess eigenständig vorbereiten, gliedern, sich entsprechender
Lernstrategien bedienen und schlussendlich ihr Lernziel überprüfen. Meistens
werden die globalen Lernziele durch Rahmenrichtlinien oder ähnliches vorgege-
ben, im Idealfall sollten Schüler jedoch in der Lage sein, sich selber Ziele zu
31
Vgl. Gudjons, H.: Frontalunterricht- neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen.
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003. S. 27.
32
Vgl. Knowles, M. S.: Self-directed learning. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall Regents
1975. S. 18.
33
Vgl. Terhart, E.: Lehr-Lern-Methoden. Eine Einführung in Probleme der methodischen
Organisation von Lehren und Lernen. München: Juventa 2005. S. 130.

18
setzen und dann auch Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Ziel des
Unterrichts ist es hierbei also, dass die Schüler wirklich selbständig arbeiten und
ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie sie aufgrund der Reflexion über verschie-
dene Lernmethoden und einem größeren Problembewusstsein ihren eigenen
Lernprozess vorantreiben können. Dass die Schüler ihre methodischen Kompe-
tenzen, die eigene Ich-Stärke (d. h. das Erkennen der eigenen Möglichkeiten und
Grenzen) und das kritische Denken ausbauen
34
, ist somit unbedingt notwendig.
Gerade deswegen ist es für selbständiges Lernen absolut erforderlich den Schü-
lern die notwendigen Freiräume für selbständiges und selbstverantwortliches
Lernen und Handeln zu geben, ,,sie aber nicht sich selbst zu überlassen"
35
.
Dem selbständigen Lernen können somit folgende Merkmale zugeschrieben
werden. Die Lernenden sollten den Lernprozess selber aktiv beeinflussen, sei es
in kognitiver, verhaltensbezogener oder motivationaler Hinsicht. Auf das schuli-
sche Lernen bezogen bedeutet dies, dass die Schüler weitgehend selbständig,
ohne eine direkte Anleitung des Lehrers lernen. Um dies praktikabel zu machen,
ist es allerdings notwenig, dass die Schüler aus mehreren Lernangeboten aus-
wählen können und sich daraufhin bewusst für einen Lernbereich entscheiden
können. Folglich sollten die Lernaufgaben interessen- und leistungsdifferenziert
sein. Daraus resultierend sieht selbständiges Lernen oftmals so aus, dass die
Schüler in einer Klasse oder einem Kurs gleichzeitig an unterschiedlichen Auf-
gaben arbeiten. Darüber hinaus kommt den Lernern auch die Aufgabe zu, ihren
Lernprozess selbständig zu überwachen und ihre weiteren Lernaktivitäten auf-
grund dieser Selbstevaluationen auszurichten. In welchem Ausmaß, das heißt in
welcher Intensität eine Person selbständig agiert, hängt auch sehr stark mit der
Motivation des Lernenden zusammen. Da ein selbständiger Lerner natürlich auch
selber für die eigene Motivation (mit)verantwortlich ist, sollte deswegen auch die
Entscheidung, ob lieber und effektiver alleine, in Partnerarbeit oder in Klein-
gruppen gearbeitet werden soll, den Schülern selber überlassen werden. Am En-
34
Vgl. Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. S. 38-40.
35
Jürgens, E.: Die `neue´ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht. Theorie,
Praxis und Forschungslage. St. Augustin: Academia 2004. S. 50.

19
de einer Unterrichtsreihe, in der selbständig gearbeitet worden ist, sollten die
verschiedenen Ergebnisse präsentiert und gemeinsam kommentiert und gegebe-
nenfalls verbessert werden.
Selbständiges Lernen steht zudem auch sehr eng mit der allgemeinen Lernfähig-
keit eines Menschen zusammen, die sich auf unterschiedliche Weise darstellen
kann. Bei einem effektiven Unterrichtsangebot beispielsweise zeigt sich eine
gute Lernfähigkeit der Lernenden dadurch, dass diese aktiv und zielorientiert
mitarbeiten. In einer weniger gut gestalteten Unterrichtsstunde dagegen muss der
Lernende aufgrund seiner Lernfähigkeit in der Lage sein, diese Defizite durch
eigene Aktivität zu kompensieren.
36
Selbständigkeit ist demnach nur durch
Selbsttätigkeit der Lernenden zu erreichen. Zusammenfassend kann also fest-
gehalten werden, dass selbständiges Lernen sowohl ein Ziel von Unterricht, ,,als
auch den Weg zu diesem Ziel"
37
darstellen kann.
3.2 Wegbereiter (reformpädagogische Ansätze)
Selbständiges Lernen stellt keineswegs eine neue Entwicklung, Methode oder
dergleichen der pädagogischen Theorie und Praxis dar. So schreibt beispielswei-
se bereits Comenius auf dem Titelblatt seiner noch heute recht populären ,,Didac-
tica magna":
,,ERSTES UND LETZTES ZIEL UNSERER DIDAKTIK SOLL ES SEIN,
die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer
weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen..."
38
.
Und auch Kants berühmte Aussage:
,,Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes
ohne Leitung eines anderen zu bedienen"
39
,
36
Simons, J.: Lernen, selbständig zu lernen- ein Rahmenmodell. In: Mandl, H./ Friedrich, H.
(Hrsg.): Lern- und Denkstrategien. 1992. S. 253.
37
Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. München: Schulbuch
1999. S. 50.
38
Comenius, J. A.: Grosse Didaktik. München: Küpper 1954. S. 9.
39
Kant, I.: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Biester, J. E./ Gedike, F. (Hrsg.):
Berlinische Monatsschrift. Bd 4. 1784. S. 481.

20
lässt zudem daran erinnern, dass natürlich bereits zur Zeit der Aufklärung die
Selbständigkeit
40
schon im Zentrum des Interesses gestanden hat. Die Entste-
hungsgeschichte des selbständigen Lernens findet ihren wirklichen Anfang je-
doch in etwa zur Zeit des ,,Richtungsstreits" der Weimarer Volksbildung. Bei der
,,alten Richtung" ist Bildung noch als extensive Wissensvermittlung, wobei es
um die Verbreitung und Popularisierung der Kenntnisse und des wissenschaftli-
chen und kulturellen Wissens durch Instruktion geht, verstanden worden. Die
Vertreter der ,,neuen Richtung" dagegen haben Bildung als Selbstbildung defi-
niert, wobei die intensive Auseinandersetzung mit der Welt und somit die An-
eignung von Wissen durch eigene Konstruktionen im Vordergrund steht
41
.
Vor allem jedoch in der Reformpädagogik der 20er und 30er Jahre, die den Blick
für die ,,Mängel einer stofforientierten »Paukschule«"
42
geschärft hat, finden sich
unzählige lerntheoretische Ansätze, deren Inhalte sehr viele Gemeinsamkeiten
mit dem heutigen Verständnis von selbständigem Lernen aufweisen. Gemeinsam
ist diesen unterschiedlichen Ansätzen, dass sie alle große Kritik an der über-
kommenen Bildung üben und demgegenüber eine Pädagogik vom Kinde aus und
somit auch die Förderung der kindlichen Aktivität, Spontanität und individuellen
Freiheit fordern
43
. Bedeutend sind hierbei vor allem die Arbeiten von Montesso-
ri, Petersen und Freinet, denen allen in besonders großem Maße die Leitidee
einer Pädagogik vom Kinde aus zugrunde liegt, und die von Gaudig, bei denen
bereits der Persönlichkeitsentwicklung eine sehr große Relevanz zugekommen
ist.
Vor allem Maria Montessori ist der Ansicht gewesen, dass die Reife eines Kin-
des nach inneren Gesetzmäßigkeiten abläuft, und daher hat diese Reformpädago-
gin auch bereits zur damaligen Zeit schon entwicklungsfördernde Umgebungen
40
Zur Zeit der Aufklärung ist es allerdings noch zu der traditionsreichen Verwendung des Begrif-
fes Mündigkeit gekommen, da der Terminus Selbständigkeit damals noch nicht sehr geläufig
gewesen ist.
41
Vgl. Siebert, H.: Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. Neue Lernkulturen in Zeiten der
Postmoderne. Neuwied: Luchterhand 2001. S. 10-13.
42
Ebd. S. 10.
43
Vgl. Aschersleben: Frontalunterricht- klassisch und modern. Neuwied: Luchterhand 1999. S.
54.

21
sowie entsprechende Bildungsangebote für jedes einzelne Kind postuliert. Das
heißt den Kindern muss die Möglichkeit geboten werden ihre Sinne in einer spe-
ziell für sie vorbereiteten und auf sie abgestimmten Lernumgebung frei entfalten
zu können
44
. Für diese Auffassung von Lernen ist es bedeutsam das Kind und
seine ganz persönliche Individualität in den Mittelpunkt zu stellen, sodass das
Kind im Idealfall seinen Entwicklungsimpulsen folgen kann und die dafür nötige
,,geistige Nahrung" in der Umgebung vorfinden kann
45
. Denn nur auf diese Art
und Weise kann man laut Montessori den Kindern wirklich gerecht werden und
sie zu selbständigen Menschen erziehen beziehungsweise sich entwickeln lassen.
In der Freinet-Pädagogik wird Lernen als aktiver und ganzheitlicher Prozess
aufgefasst, wobei als Ziele insbesondere die Erziehung zur Kritikfähigkeit, Ko-
operation und Mitverantwortung, die Beachtung der Bedürfnisse und Rechte der
Kinder sowie die Beachtung deren Eigenarten und Individualität festgehalten
werden können
46
. Hierbei wird Erziehung auch schon ganz klar ,,als Emanzipati-
on und als Einübung in ein selbstbestimmtes Leben"
47
verstanden. Zur Ausbil-
dung und Umsetzung dieser Aspekte wird hierbei besonders viel Wert darauf
gelegt, dass die Lerninhalte einen eindeutigen Bezug zum Leben erkennen lassen
und darüber hinaus Lernumgebungen geschaffen werden, die motivierend auf die
Schüler wirken sollen. Denkbar wären hierfür beispielsweise Arbeitsecken in
den Klassenräumen mit unterschiedlichen Ausstattungen und Materialien zu ver-
schiedenen Lernbereichen
48
, sodass den Schülern aufgrund ihres eigenen Interes-
ses eine gewisse Wahlfreiheit bei der Bearbeitung spezieller Unterrichtsinhalte
gegeben werden kann. Hierzu gehören auch sogenannte Ateliers, die sich inner-
oder auch außerhalb des Klassenraumes befinden können und für verschiedene
44
Vgl. Schulz-Benesch, G.: Maria Montessori. In: Hellmich, A./ Teigeler, P. (Hrsg.): Montesso-
ri-, Freinet-, Waldorfpädagogik. Weinheim: Beltz 1999. S. 35.
45
Vgl. Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. Eine kritische Einführung.
München: Oldenbourg 2003. S. 232.
46
Vgl. Jörg, H.: Meine Begegnung mit Freinet und der Freinet-Pädagogik. In: Hellmich, A./
Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-; Waldorfpädagogik. Weinheim: Beltz 1999. S.
98-101.
47
Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. 2003. S. 311.
48
Vgl. Jörg, H.: Meine Begegnung mit Freinet und der Freinet-Pädagogik. In: Hellmich, A./
Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-; Waldorfpädagogik. 1999. S. 102.

22
künstlerische, geistige oder manuelle Aktivitäten (z. B. Schreinerei) ausgestattet
sind.
Peter Petersen gilt nun als Begründer des sogenannten Jena-Plans. Bei diesem
Schulentwicklungskonzept ist ganz besonders selbständigem Arbeiten und Han-
deln, einer großen Mitverantwortung der Schüler und Eltern sowie fächerüber-
greifenden Projekten eine große Relevanz zugekommen, da hierbei der Gemein-
schaftsgedanke ganz deutlich im Vordergrund steht. Ein wichtiges Ziel dieses
reformpädagogischen Ansatzes ist es nämlich die Persönlichkeit der Kinder als
gemeinschaftsfähige Individualität aufzufassen. In Anlehnung an Montessori
sollen auch bei diesem Konzept die ,,Grundkräfte" der Kinder, nämlich der Be-
wegungs- und Tätigkeitsdrang sowie der Gesellungs- und Lerntrieb berücksich-
tigt und in den Unterricht mit eingebaut werden.
49
Darüber hinaus haben auch
der Gruppenunterricht und die Wochenplanarbeit durch Petersen wichtige Im-
pulse erhalten
50
.
Um die für Gaudig als so wichtig erachtete Persönlichkeitsentwicklung der Kin-
der voranzutreiben, empfiehlt er nach dem Leitmotiv ,,Erregung der Eigentätig-
keit des Schülers"
51
vor allem arbeitsteilige Lernphasen, in denen die Schüler
aufgrund ihres eigenen Interesses unterschiedliche thematische Schwerpunkte
eines gemeinsamen Arbeitsvorgangs bearbeiten. Die Aussage:
,,[w]enn die Schule ihre Aufgabe als Mitarbeit an der werdenden Persönlich-
keit bestimmt, [...] muß sie eben bei dieser Zielsetzung ihr Zöglinge und da
mit sich selbst im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kulturleben den-
ken"
52
,
verdeutlicht zudem sehr anschaulich, für wie wichtig bereits Gaudig einen er-
kennbaren Zusammenhang der Arbeitsaufgaben zu den Lebensumständen der
49
Vgl. Skiera, E.: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. 2003. S. 297.
50
Vgl. Aschersleben: Frontalunterricht- klassisch und modern. 1999. S. 60.
51
Scheibner, O.: Zwanzig Jahre Arbeitsschule in Idee und Gestaltung. Leipzig: Quelle &
Meyer 1930. S. 237.
52
Gaudig, H.: Die Schule im Dienste der werdenden Persönlichkeit. Leipzig: Quelle & Meyer
1922. S. 230.

23
Schüler empfunden hat. Darüber hinaus ist hierbei vor allem auch die Förderung
der Selbsttätigkeit im Sinne der freien geistigen Arbeit, also das Handeln ,,aus
eigenem Antrieb, mit eigenen Kräften, auf selbstgewählten Bahnen, zu freige-
wählten Zielen"
53
ein ganz zentrales Ziel für Gaudigs Verständnis von Bildung.
Weiterhin konstatiert Gaudig auch schon damals, dass der Mensch ein selbsttäti-
ges und somit aktives Wesen ist, das zudem über eine einmalige und somit indi-
viduelle Persönlichkeit verfügt und ein handelndes Subjekt ist, wenn es darum
geht, das eigene Leben zu gestalten. Aus diesem letzten Punkt resultiert dann
auch, dass das Individuum selber die Verantwortung für sein Handeln überneh-
men muss
54
. Seit den 70er Jahren, etwa zur Zeit der Studentenbewegung, wird
das Konzept des selbständigen Lernens auch im schulischen Bereich verstärkt
diskutiert, und der Selbständigkeitsbegriff ist vor allem seit den 90er Jahren
durch ,,konstruktivistisch integrierte Theorieansätze"
55
erneut aufgegriffen wor-
den. Den Vertretern dieser Ansätze ist es hauptsächlich darum gegangen, dass
Lernen eben immer von dem jeweiligen Standpunkt des Subjektes aus betrachten
werden muss.
Somit existieren also bereits seit geraumer Zeit diverse Konzepte und Werke,
welche die Thematik der Selbständigkeit diskutieren und behandeln und daher
gibt es auch die verschiedensten Intentionen des selbständigen Lernens. Zusam-
menfassend kann aber festgestellt werden, dass in den humanistischen Ansätzen
beispielsweise sehr viel Wert auf die Förderung der persönlichen Autonomie, die
Herausbildung der Kritikfähigkeit, Mündigkeit und Selbständigkeit sowie die
Schaffung der Voraussetzung für lebenslanges Lernen gelegt worden ist. Den
Vertretern der bildungsökonomischen Ansätze dagegen ging es vor dem Hinter-
grund der neuen Qualifikationsanforderungen vor allem um die Selbstlernfähig-
53
Gaudig, H.: Das Grundprinzip der freien geistigen Arbeit (1922). In: Hansen-Schaberg, I.
(Hrsg.): Die Praxis der Reformpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005. S. 36.
54
Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe-
stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. Praxisbei-
spiele aus unterschiedlichen Schulformen. Neuwied: Westermann 2006. S. 17.
55
Arnold, R./ Schüssler, I.: Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges
Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. S. 84.

24
keit, kostengünstige Weiterbildungsformen und um die kompetente Vorbereitung
für komplexe Arbeitsanforderungen
56
. Diese unterschiedlichen Ansätze un-
terstreichen damit nur noch einmal zusätzlich, dass die aktuellen Diskussionen
um den ,,Selbständigkeitsbegriff" lediglich ein Thema neu aufgreifen, das bereits
seit mittlerweile mehreren Jahrhunderten existent ist.
3.3 Begründungen und Ziele
3.3.1 gesellschaftlich
Unsere Gesellschaft ist derzeit in einem stetigen Wandel, was sich unter anderem
in einem starken Wertewandel, Halbwertzeiten von Wissen und nicht zuletzt in
Wandlungen des familiären Gefüges deutlich zeigt. Sehr viele Menschen (gerade
auch Jugendliche) verfügen heute über eine Unmenge von Informationen, die
allerdings kaum Relevanz für sie haben und beklagen demgegenüber einen Man-
gel an Informationen, die für ihre persönliche Lebensgestaltung sehr hilfreich
sein könnten
57
. Durch die sich immer häufiger wandelnden und wegfallenden
klassischen Rollenverhältnisse von Mann, Frau und Familie fallen gleichzeitig
für die Heranwachsenden Stütz- und Leitlinien weg, wodurch eine Orientierung
schwerer fällt. Des weiteren trägt die verringerte Geburtenrate in den letzten Jah-
ren dazu bei, dass immer mehr Kinder ohne oder nur mit einem Geschwisterkind
aufwachsen. Dies führt jedoch auch dazu, dass viele Schüler heutzutage eine
recht große Ich-Bezogenheit sowie einen Mangel an den nötigen Sozialkompe-
tenzen aufweisen und zudem wird den Heranwachsenden ein viel größerer Indi-
vidualismus, als beispielsweise noch vor 30 Jahren zugeschrieben
58
. Jürgens
spricht in diesem Zusammenhang von einer ,,asoziale[n] Individualisierung"
59
.
Hinzu kommen ein verändertes Freizeitverhalten und eine zunehmende Kon-
sumorientierung der Jugendlichen. Da die Schüler von diesen Aspekten in unter-
schiedlichem Maße betroffen sind, führt dies dann auch zu unterschiedlichen
56
Vgl. Arnold, R./ Schüssler, I.: Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendi-
ges Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. S. 87.
57
Vgl. Lattinger, H.: Neues Lernen für die Informationsgesellschaft. In: Schwetz, H. (Hrsg.):
Konstruktives Lernen mit neuen Medien. München: Studien 2001. S. 20.
58
Vgl. Edel, N.: Offener Unterricht. In: Bovet, G./ Huwendiek, V. (Hrsg.): Leitfaden Schulpra-
xis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. Berlin: Cornelsen 2004. S. 105.
59
Jürgens, E.: Die `neue´ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht. 2004. S. 28.

25
Voraussetzungen bei den Schülern und daraus resultierend zu einer stetig wach-
senden Heterogenität in vielen heutigen Schulklassen. Selbständiges Lernen
kann an dieser Stelle als sinnvolle Möglichkeit erachtet werden, den Schulkin-
dern von heute besser gerecht zu werden und ihnen Möglichkeiten zum selbstän-
digen Wissenserwerb zu eröffnen. Zugleich ist damit aber auch jedes Individuum
gefordert seine Lebensplanung stärker selbst in die Hand zu nehmen und eigene
Lebensentwürfe zu kreieren und konstruieren.
Durch die immer schneller voranschreitenden Technologisierungen kommt es zu
einer Beschleunigung der ,,Verfallszeit des konkreten beruflichen Wissens und
Könnens"
60
. Folglich wird heute dem Wissen über Strategien zur Aneignung
neuen Wissens viel mehr Bedeutung beigemessen, als reinem Faktenwissen. Die
starke Zunahme der Bedeutung der Medien, sowohl im privaten, als auch im
öffentlichen Bereich, gehört sicherlich ebenfalls zu dieser Technologisierung
dazu. Dies hat dann wiederum zur Folge, dass viele Menschen (vor allem Ju-
gendliche) große Teile ihres Wissens und ihrer Erfahrungen lediglich aus zweiter
Hand erfahren. Sinnliche Erfahrungen, die den Lernprozess aus lernpsychologi-
scher Sicht eindeutig begünstigen, treten somit ganz klar in den Hintergrund.
Diese gesellschaftlichen Aspekte verstärken die Forderungen nach mehr Phasen
des selbständigen Lernens in der Schule.
Vor allem auf dem heutigen Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft werden in zu-
nehmendem Maße sogenannte Schlüsselqualifikationen gefordert. Bei diesen
Kompetenzen geht es beispielsweise darum, dass die Heranwachsenden in der
Lage sein sollen selbständig kompetente Fragen zu stellen anstatt nur Fragen zu
beantworten, erfolgreich mit Anderen zu kooperieren und sich eben nicht nur als
Einzelkämpfer durchsetzen zu wollen oder auch den Mut haben sich mit neuen
und fremden Bereichen auseinanderzusetzen und dabei ruhig auch einmal Fehler
60
Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 23.

26
zu machen
61
. Selbständige Lernphasen in der Schule bieten eine sehr gute Mög-
lichkeit gerade diese Schlüsselqualifikationen auszubilden und einzuüben.
3.3.2
bildungstheoretisch
Bereits Wilhelm von Humboldt weist in seiner Bildungstheorie darauf hin, ,,dass
der Mensch in einer Mannigfaltigkeit kultureller und sozialer Beziehungen
lebt"
62
und demnach immer wieder Situationen ausgesetzt ist, in denen er sich
entscheiden muss. Laut Humboldt besitzt der Mensch nämlich eine innewohnen-
de Kraft, die sich in der Auseinandersetzung mit der Welt entwickelt und ihn
somit befähigt bewusst und reflektiert Entscheidungen treffen zu können
63
. So-
mit ist hierbei die Dialektik zwischen dem Individuum und der Welt von großer
Relevanz, um tatsächlich selbständig handeln zu können. Damit diese Wechsel-
beziehung zwischen Mensch und Welt allerdings letztendlich bildsam sein kann,
bedarf es eines recht hohen Maßes an Freiheit und Vielfalt. Denn erst auf diese
Art und Weise kann der Mensch seine eigene Individualität entwickeln, die als
Grundvoraussetzung für ,,eine selbst verantwortete Mitwirkung an der menschli-
chen Gesamtpraxis"
64
angesehen wird.
Die Bildungstheorie Humboldts hat dann im 20. Jahrhundert mit dem Konzept
einer allgemeinen Bildung von Wolfgang Klafki ihre Fortführung gefunden.
Klafki prägt hierbei den Begriff der ,,kategorialen Bildung", der eine grundle-
gende Bildung impliziert, wobei sich Formen des Verstehens und Erkennens
herausbilden. Daraufhin bildet der Mensch dann wiederum Kategorien, die es
ihm ermöglichen sich selbst, die Welt und deren gegenseitiges Verhältnis zu in-
terpretieren und somit dann auch begründet handeln zu können. Für schulisches
Lernen lässt sich hieraus ableiten, dass die kategoriale Bildung Arbeitsformen,
61
Vgl. Unruh, T./ Petersen, S.: Guter Unterricht. http://www.guterunterricht.de/Seiten/Unterricht/
selbststaendiglernen.htm (
14. 02. 2007)
62
Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 25.
63
Vgl. Benner, D.: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie
zum Begründungszusammenhang neuzeitlicher Bildungsreform. Weinheim: Juventa 2003. S.
51-52.
64
Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 26.

27
wie beispielsweise die eigene Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Inhal-
ten und auch die Aneignung von ganz bestimmten Methoden und Fähigkeiten
beinhaltet. Diese Aspekte behandeln also die Zielsetzungen, die auch in selb-
ständigen Lernphasen angestrebt werden, um die Schüler zu befähigen ,,sich in
der Welt zurechtzufinden und verantwortlich darin handeln zu können und eige-
ne Entscheidungen zu treffen"
65
.
Solange die Schule als Bildungsinstitution aufgefasst wird, muss es auch weiter-
hin das Ziel von Schule sein Lernprozesse zu initiieren, die es den Schülern er-
möglichen ,,ein aufgeklärtes und handlungsorientiertes Verhältnis zu gewinnen
und gleichzeitig sich die Welt in ihren wichtigsten Aspekten und Problemen auf-
zuschließen"
66
. Eine demokratische Gesellschaft verlangt geradezu nach selb-
ständigen Menschen, die sich ,,an das im demokratischen Prozess als richtig Er-
kannte"
67
anpassen können und zudem zum kritischen Denken in der Lage sind.
Daher müssen die Schüler lernen sich selber (weiter)bilden zu können, denn erst
die Bildung ermöglicht es ihnen sich die Welt bewusst zu machen und sich auch
darin zurechtzufinden. In selbständigen Lernphasen wird es den Lernenden er-
möglicht sich selber bewusst begründete Ziele und auch vernünftige Normen zu
setzen. Daher sollte die Schule den Schülern genügend Gelegenheiten bieten und
bereitstellen, in denen die lernenden Individuen eigene Interessen entwickeln und
diesen nachgehen können, um somit das Lernen (zumindest teilweise) selbst in
die Hand zu nehmen.
3.3.3 lerntheoretisch
Oftmals wird beklagt, dass Lernende in der Vergangenheit in der Institution
Schule zu einseitig und als passive Individuen behandelt worden sind und eine
zu starke Ausrichtung auf die Lehrperson sogar die Ausbildung sozialer Kompe-
tenzen und Teamfähigkeit verhindert hat. Die Absicht, sich ,,von den als negativ
65
Konrad, K./ Traub, S.: Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis. 1999. S. 27.
66
Bönsch, M.: Begründung und Konzipierung einer Didaktik selbstverantworteten und selbstbe-
stimmten Lernens. In: Bönsch, M. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der Schule. 2006. S. 7.
67
Bräu, K.: Selbstständiges Lernen in der gymnasialen Oberstufe. 2002. S. 111.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783842812987
DOI
10.3239/9783842812987
Dateigröße
662 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster – Erziehungswissenschaft, Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2011 (April)
Note
1,5
Schlagworte
selbständiges lernen neue medien selgo schulische innovation
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Titel: Wie kann selbständiges Lernen in der Schule durch den Einsatz (Neuer) Medien bestärkt werden? Exemplarisch untersucht am Beispiel schulischer Innovationen in NRW
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