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Zivile Konfliktbearbeitung in Israel

Grenzen und Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure

©2009 Diplomarbeit 130 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Martin Bubers Leitgedanke eines Staates mit zwei Völkern beinhaltet bereits vor der Staatsgründung Israels die Idee einer multi-ethnischen Staatsraison. Die 1948 von Ben Gurion verlesene Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel schließt an diese Idee an. Er definiert einen Ort, an dem alle Bürger gleichgestellt sind und unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion leben dürfen. Trotz der verlesenen Prinzipien ist Israel seit der Staatsgründung von innerstaatlichen Konflikten zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen geprägt. Mit dem Aufkommen der Konflikte zwischen jüdischen und arabischen Bürgern, und insbesondere mit der ersten Intifada 1987 und den anschließenden Friedensverhandlungen in Oslo 1993, gründen sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure, die sich das Ziel setzen, zu einer Versöhnung beider Gruppen beizutragen. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 verhärten sich die Fronten zwischen den beiden Volksgruppen und die Friedensarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure gewinnt weiter an Relevanz.
Auch im internationalen System haben sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die Konfliktkonstellationen zwischen Staaten und ihren Gesellschaften einem starken Wandel unterzogen. An die Stelle von traditionellen Kriegen treten immer häufiger gewaltsam ausgetragene innerstaatliche Konflikte. Im Zuge dieser Veränderung war die politische Forschung und Praxis dazu aufgefordert, sich mit der neuen Art von Konflikten und möglichen Lösungsstrategien für diese auseinander zu setzen. Die Zivilgesellschaft wird zu dieser Zeit als Träger von Konflikten und Lösungsansätzen wieder- beziehungsweise neu entdeckt und ist heute eins der bedeutendsten Konzepte der Friedens- und Konfliktforschung. Vorwiegend staatlich geprägte Perspektiven auf Konflikte erweisen sich als zunehmend unzureichend in ihrer Erklärungskraft. Das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle und dem Beitrag nichtstaatlicher Akteure zur Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung ist erwacht. Heute wird die zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) und Friedensförderung zunehmend als gemeinschaftliche Aufgabe von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren betrachtet.
Wie sich die zivile Konfliktbearbeitung in Israel gestaltet und welchen Einfluss die beiden Akteure aufeinander ausüben wird in der vorliegenden Arbeit untersucht. Des Weiteren befinden sich zivilgesellschaftliche Akteure mit Förderorganisationen, von […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Forschungsstand
1.3 Fallauswahl und Methodik
1.4 Aufbau der Arbeit

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffe der Friedens- und Konfliktforschung
2.2 Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildungsansatz nach Lederach
2.3 Konzept der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure
2.3.1 Begriffsgeschichte
2.3.2 Definition und Funktionen
2.3.3 Kritische Anmerkungen
2.4 Zivilgesellschaft und Staat
2.5 Zivilgesellschaft und externe Förderung
2.6 Forschungsfragen und Hypothesen

3 Zivilgesellschaft in Israel
3.1 Entwicklungslinien
3.1.1 Historische Entwicklung
3.1.2 Jüdische ethnische Interessengruppen
3.1.3 Arabische Zivilgesellschaft in Israel
3.2 Gegenwärtige Situation des zivilgesellschaftlichen Sektors
3.2.1 Generelle Struktur
3.2.2 Tätigkeitsfelder und Zielgruppen
3.2.3 Funktionen
3.3 Zivilgesellschaft, Staat und externe Förderorganisationen in Israel
3.3.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
3.3.2 Interaktion zivilgesellschaftlicher Akteure mit dem Staat
3.3.3 Externe Förderorganisationen in Israel

4 Fallstudie - jüdisch-arabische NGOs in Israel
4.1 Überblick über die Organisationen
4.2 Organisationen und Staat
4.2.1 Wahrnehmung der staatlichen Rahmenbedingungen
4.2.2 Interaktion von Organisationen und Staat
4.3 Organisationen und externe Förderer
4.3.1 Stellenwert externer Unterstützung
4.3.2 Wechselspiel mit externen Förderorganisationen
4.4 Beurteilung

5 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Überblick über die Förderorganisationen
Anhang 2: Liste der Fragebögen und Interviews
Anhang 3: Fragebogen/ Interviewleitfaden I - Israelische Organisationen
Anhang 4: Fragebogen/Interviewleitfaden II - Förderorganisationen

Eidesstattliche Erklärung

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Die Führungsebenen der Konfliktparteien und Interventionsformen nach John Paul Lederach

Abbildung 2: Civil Society as intermediate sphere

Abbildung 3: Modell der zivilgesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Sphäre

Abbildung 4: Wachstum der Beschäftigung im Dritten Sektor, 1991 bis 2002

Abbildung 5: Finanzierung des Dritten Sektors in Israel, 1995 und 2002

Abbildung 6: Spenden und ehrenamtliche Tätigkeit

Abbildung 7: Spendenbeisteuerung und ehrenamtliches Engagement nach Religiosität

Abbildung 8: Registrierung neuer Organisationen, 1986 bis 2005

Abbildung 9: Tätigkeitsfelder der Organisationen, 2005

Abbildung 10: Prozentanteil von aktiven Organisationen nach Alter

Tabelle 1: Untersuchungsgruppe der israelischen zivilgesellschaftlichen Organisationen

Abbildung 11: Entstehungsjahr der israelischen Organisationen

Tabelle 2: Einteilung der Organisationen nach Funktionen _Toc237299252_Toc237299253Tabelle 3: Interaktionsstragien der untersuchten israelischen NGOs

Abbildung 13: Einnahmequellen der untersuchten Organisationen

Abbildung 14: Bedarf an Unterstützung in verschiedenen Bereichen 88_Toc

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Martin Bubers Leitgedanke eines Staates mit zwei Völkern beinhaltet bereits vor der Staatsgründung Israels die Idee einer multi-ethnischen Staatsraison. Die 1948 von Ben Gurion verlesene Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel schließt an diese Idee an (vgl. Gidron/ Katz 1998). Er definiert einen Ort, an dem alle Bürger gleichgestellt sind und unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion leben dürfen. Trotz der verlesenen Prinzipien ist Israel seit der Staatsgründung von innerstaatlichen Konflikten zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen geprägt. Mit dem Aufkommen der Konflikte zwischen jüdischen und arabischen Bürgern, und insbesondere mit der ersten Intifada 1987 und den anschließenden Friedensverhandlungen in Oslo 1993, gründen sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure, die sich das Ziel setzen, zu einer Versöhnung beider Gruppen beizutragen. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 verhärten sich die Fronten zwischen den beiden Volksgruppen und die Friedensarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure gewinnt weiter an Relevanz (vgl. Timm 2003b: 100).

Auch im internationalen System haben sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die Konfliktkonstellationen zwischen Staaten und ihren Gesellschaften einem starken Wandel unterzogen. An die Stelle von traditionellen Kriegen treten immer häufiger gewaltsam ausgetragene innerstaatliche Konflikte. Im Zuge dieser Veränderung war die politische Forschung und Praxis dazu aufgefordert, sich mit der neuen Art von Konflikten und möglichen Lösungsstrategien für diese auseinander zu setzen. Die Zivilgesellschaft wird zu dieser Zeit als Träger von Konflikten und Lösungsansätzen wieder- beziehungsweise neuentdeckt und ist heute eins der bedeutendsten Konzepte der Friedens- und Konfliktforschung (vgl. Dudouet 2008: 24). Vorwiegend staatlich geprägte Perspektiven auf Konflikte erweisen sich als zunehmend unzureichend in ihrer Erklärungskraft. Das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle und dem Beitrag nichtstaatlicher Akteure zur Konflikttransformation und Friedenskonsolidierung ist erwacht. Heute wird die zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) und Friedensförderung zunehmend als gemeinschaftliche Aufgabe von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren betrachtet (vgl. Dudouet 2008: 24).

Wie sich die zivile Konfliktbearbeitung in Israel gestaltet und welchen Einfluss die beiden Akteure aufeinander ausüben wird in der vorliegenden Arbeit untersucht. Des Weiteren befinden sich zivilgesellschaftliche Akteure mit Förderorganisationen, von denen sie unterstützt werden in einem Wechselspiel, welches ebenfalls analysiert wird.

Die Arbeit liefert einen Einblick in die Arbeit und einen Beitrag zum Verständnis der Handlungsmuster von zivilgesellschaftlichen Akteuren in Israel. Dabei gilt es, die Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Friedensförderung aufzuzeigen.

1.1 Fragestellung

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Frage nach dem Einfluss und der Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren in gesellschaftspolitischen Prozessen in Israel. Inwiefern werden zivilgesellschaftliche Akteure in Israel in ihren Aktivitäten eingeschränkt? Hierzu werden Faktoren untersucht, die den Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren[1] erweitern beziehungsweise einschränken. Nach Croissant/ Lauth et al. (2000: 11-14) übernehmen NGOs fünf zentrale Funktionen (Schutz-, Vermittlungs-, Sozialisierungs-, Intergrations- und Kommunikationsfunktion).[2] Zivilgesellschaftliche Organisationen sind stets Einflüssen von außen ausgesetzt und stehen im Wechselspiel mit Staat und Gesellschaft, weshalb ihre Funktionen nicht uneingeschränkt erfüllt werden können. Die Grenzen und Möglichkeiten der Handlungen zivilgesellschaftlicher Akteure werden anhand folgender Ebenen untersucht:

1. Untersuchungsebene: Beziehung zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Staat:
- Wie werden die staatlichen Rahmenbedingungen von den zivilgesellschaftlichen Akteuren wahrgenommen und wie gestaltet sich die Interaktion mit staatlichen Akteuren?
2. Untersuchungsebene: Beziehung zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und externen Geberorganisationen:
- Welchen Stellenwert hat die Förderung durch externe Geberorganisationen und wie sieht das Wechselspiel beider Akteure aufeinander aus?

Die Untersuchung der israelischen Zivilgesellschaft dient zur Bearbeitung dieser Fragen. In der vorliegenden Arbeit wird mit der Untersuchung zivilgesellschaftlicher Akteure, die jüdisch-arabische Verständigungsarbeit leisten, lediglich ein Teilbereich der Zivilgesellschaft in Israel betrachtet. Dieser Rückschluss innerhalb des empirischen Teils erlaubt es, auf Tendenzen, die für den gesamten Sektor gültig sein können, zu schließen.

Die Auswahl der Untersuchungsebenen basiert in diesem in diesem Zusammenhang einerseits auf theoretischen Erkenntnissen über die Kontextbedingungen von Zivilgesellschaften und ihren Rollen in der Friedensbildung (peacebuilding[3] ) (vgl. Croissant/ Laut et al. 2000: 21-32, Schneckener 2005: 19ff.), andererseits - für den Fall Israel - auf den Ergebnissen empirischer Studien zum zivilgesellschaftlichen Sektor. Anhand einer qualitativen Fallstudie sollen laufende Entwicklungen und Probleme aufgedeckt werden. Von besonderem Interesse dieser Arbeit ist die subjektive Wahrnehmung der Beziehung zu staatlichen Instanzen und externen Geberorganisationen seitens der zivilgesellschaftlichen Akteure. Folgende Hypothesen werden in dieser Arbeit überprüft:

Zur 1. Untersuchungsebene:
- Zivilgesellschaftliche Akteure werden in ihrem Handeln aufgrund mangelnder staatlicher Zuwendungen im Hinblick auf finanzielle und administrative Unterstützung eingeschränkt.
Finanzielle Bedarfslücken werden von externen Förderorganisationen geschlossen. Daraus folgt die zweite Hypothese.
Zur 2. Untersuchungsebene
- Zivilgesellschaftliche Akteure sind von externen Geberorganisationen abhängig, die aufgrund eigener Förderpräferenzen und Interessen eine einschränkende Wirkung auf die zivilgesellschaftlichen Akteure entfalten. Um Fördermittel zu erhalten, gleichen zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Ziele an die der Förderer an.

1.2 Forschungsstand

Das Feld der Forschung zur Situation der israelischen Zivilgesellschaft zeichnet sich nicht wie in anderen Ländern durch Studien aus, die von ausländischen Organisationen und Institutionen finanziert und methodisch unterstützt werden. Sie stammen hauptsächlich von unabhängigen israelischen oder US-amerikanischen Institutionen.

Die frühesten empirischen Studien stammen vom Israeli Center for Third Sector Research (ICTR), welches erst 1997 gegründet wurde und seitdem Studien über den Dritten Sektor und die Zivilgesellschaft in Israel veröffentlicht und eine Datenbank zu diesem Thema pflegt. Es gilt als die zuverlässigste Quelle zur Informationsbeschaffung über die israelische Zivilgesellschaft (vgl. auch Timm 2003b: 84). Des Weiteren sind auch die von den Organisationen angebotenen Materialien und die Durchführung von Interviews mit Aktivisten in den freiwilligen Vereinigungen essentiell für jede Analyse der israelischen Zivilgesellschaft (vgl. Timm 2003: 88). Die Kategorien zur Einordnung der Organisationen in verschiedene Tätigkeitsbereiche lehnen sich an die vom Center for Civil Society Studies des John Hopkins Institute for Policy Studies an, in dessen Rahmen Benjamin Gidron und Hagai Katz 1998 eine Studie zum Nonprofit Sector in Israel herausgaben. Mit ihren empirischen Forschungsarbeiten zeichnen sie die Entwicklung des Sektors von der Zeit vor der Staatsgründung 1948 bis zum Ende der 1990er Jahre nach (vgl. Gidron/ Katz 1998). Des Weiteren veröffentlichten die Autoren Ende 1990/ Anfang 2000 im Rahmen des Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations Studien zum Dritten Sektor und der Zivilgesellschaft in Israel.

In der deutschen Literatur zum Thema israelische Zivilgesellschaft gilt seit Anfang des 21. Jahrhunderts insbesondere Angelika Timm, ehemalige DAAD-Professorin am Department of Political Studies der Bar-Ilan University in Tel Aviv und heute Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, als Expertin.

Die Wechselbeziehungen zwischen israelischen zivilgesellschaftlichen (vor allem im Bereich peacebuilding) und staatlichen Akteuren sowie externen Förderorganisationen analysiert die vorhandene Literatur jedoch lediglich punktuell. Eine tiefer gehende Analyse dieses Beziehungsgeflechts und der gegenseitigen Wahrnehmung der Akteure ist daher erforderlich.

1.3 Fallauswahl und Methodik

Die Untersuchung der israelischen Zivilgesellschaft erfolgt anhand zehn ausgewählter Akteure, die sich mit ihrer Arbeit für die Verständigung zwischen jüdischen und arabischen Bürgern Israels einsetzen. Aufgrund von Kontakten zu mehreren NGOs in Israel und zu deutschen Geberorganisationen konnten notwendige Informationen im Rahmen einer Datenerhebung im Zeitraum von Februar 2009 bis Juli 2009 eingeholt und die Fallstudie durchgeführt werden. Die Auswahl des Untersuchungssamples erfolgt nach folgenden Maßgaben: Die Untersuchung ähnlicher Organisationen mit ähnlichen Zielsetzungen macht es möglich, Grenzen und Möglichkeiten von NGOs, die im Bereich der jüdisch-arabischen Verständigung und Koexistenz tätig sind, aufzuzeigen sowie Tendenzen in diesem Sektor festzustellen. Alle ausgewählten zivilgesellschaftlichen Akteure sind im Bereich der jüdisch-arabischen Verständigung tätig, haben überwiegend Jugendliche[4] als Zielgruppe und sind als NGO registriert. Das Merkmal des kollektiven Akteurs ist in dem Sinne erfasst, indem lose Zusammenschlüsse von Personen keine Beachtung finden. Mit der Registrierung als NGO ist eine grundsätzliche Verbindung zur staatlichen Sphäre geschaffen. Organisationen, die Verbindungen zu politischen Parteien oder Unternehmen vorweisen, wurden ausgeschlossen, da ihre Arbeit im Wesentlichen von diesen finanziert und gegebenenfalls gelenkt wird (vgl. Howard 2003: 36f.).[5] Die in der Arbeit untersuchten NGOs verfolgen ähnliche Ziele mit vergleichbaren Arbeitsansätzen und können als Grassroot -Organisationen bezeichnet werden.[6]

Die ausgewählten Geberorganisationen orientieren sich an der Untersuchungsgruppe der NGOs und umfassen nur einen kleinen Ausschnitt der Förderorganisationen. Die untersuchten Förderorganisationen fördern mindestens eine der ausgewählten NGOs. Zum einen sind deutsche parteinahe Stiftungen wesentliche finanzielle Unterstützer im Bereich der Konfliktbearbeitung. Sie fördern in der Regel kurzfristig und projektbezogen. Zum anderen sind sogenannte Freundeskreise für die NGOs wichtige Mittelbeschaffer. Sie haben häufig eine starke persönliche Bindung zu den Organisationen und fördern kontinuierlich und organisationsbezogen.

Die Methodik, die in dieser Arbeit verwendet wird, ist insofern deduktiv, als dass das Konzept der Zivilgesellschaft und der Friedensbildungsansatz nach Lederach als allgemeine theoretische Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit dienen. Anhand dieser Grundlage werden die Zivilgesellschaft in Israel und ihre Akteure analysiert, Einschränkungen und Möglichkeiten der Aktivitäten herausgearbeitet und mit den Ergebnissen der Fallstudie abgeglichen.

Die Arbeit basiert auf der Auswertung von Sekundär- und Primärliteratur (Sammelwerke, Aufsätze, Presse- und Medienerzeugnisse, Internetseiten und Berichte der Organisationen etc.), sowie der Analyse relevanter Dokumente (zum Beispiel des Israeli Center for Third Sector Research - Ben-Gurion University of the Negev, International Center for Not-for-Profit Law - ICNL, Center for Civil Society Studies - John Hopkins Institute for Policy Studies). Des Weiteren wurden qualitative Interviews anhand eines Leitfadens mit Experten aus dem NGO-Bereich geführt und eine qualitative Auswertung von Fragebögen mit offenen und geschlossene Fragen, die an israelische zivilgesellschaftliche Akteure und deutsche externe Förderorganisationen geschickt wurden, vorgenommen. Die Fragebögen und Interviews wurden protokolliert und können auf Anfrage vorgelegt werden. Im Anhang befinden sich eine Liste (Anhang 2: XXI) der Organisationen, die an den schriftlichen und mündlichen Interviews teilgenommen haben sowie der jeweiligen Leitfäden.

1.4 Aufbau der Arbeit

Für das Grundverständnis dieser Arbeit werden im zweiten Kapitel zunächst Begriffe der Konfliktbearbeitung und der Friedens- und Konfliktforschung definiert. Die Herausarbeitung des Friedensbildungsansatzes nach Lederach (1997) dient der Beschreibung der bedeutenden Rolle der Zivilgesellschaft im Friedensbildungsprozess.

Es erfolgt eine Bestimmung des Begriffes der Zivilgesellschaft und der in ihr agierenden Akteure, sowie eine Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Sphären und eine Erfassung der Funktionen, die zivilgesellschaftlichen Akteuren in Demokratien zugeschrieben werden. Außerdem wird das zumeist positiv gesehene Konzept der Zivilgesellschaft einer Kritik unterzogen. Dieser Abschnitt folgt der Absicht, den empirischen Zugriff auf die in dieser Arbeit genannten Fallbeispiele von zivilgesellschaftlichen Akteuren in Israel zu erleichtern.

Nach dieser theoretischen Einführung wird im dritten Teil der Arbeit die Entwicklung der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure in Israel vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts skizziert. Mit der Darstellung der Zusammenhänge von Zivilgesellschaft und Friedensförderung werden zwe[7] i wissenschaftliche Diskurse verbunden, die für die israelische Zivilgesellschaft unabdingbar sind, da es sich bei Israel um ein demokratisches politisches System handelt, was jedoch von inner- wie interstaatlichen Konflikten geprägt ist. Hier findet die Überleitung zu den Untersuchungsebenen statt, die für den empirischen Abschnitt der Arbeit maßgeblich sind. Zum einen wird die Interaktion von Staat und Zivilgesellschaft auf verschiedenen Ebenen dargestellt, zum anderen umfassen die Zusammenhänge von externer Förderung und der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen ein wichtiges Element zur Bearbeitung der Fragestellung. Nach der Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Situation in Israel erfolgt anhand der Fallbeispiele die Bearbeitung der anfangs aufgestellten Fragestellung nach den Handlungsspielräumen und -grenzen der israelischen zivilgesellschaftlichen Akteure. Die theoretischen Konzepte zu den Begrifflichkeiten werden in diesem Abschnitt auf ihre Anwendbarkeit bezüglich der Hypothesen überprüft.

Im Fazit dieser Arbeit findet ein Aufgreifen grundlegendender Erkenntnisse aus dem Theorieteil sowie eine Diskussion der Ergebnisse der quantitativen Studien zur israelischen Zivilgesellschaft mit den Ergebnissen der Feldforschung (im Vergleich) statt.

Außerdem werden im Schlussteil gewonnene Erkenntnisse zusammengefasst, auf weitere Forschungsfragen hingewiesen und Anregungen für weitere Forschungsarbeiten gegeben. Es findet eine abschließende Bewertung und Beantwortung der Frage nach der Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren und ihren Grenzen und Möglichkeiten statt.

2 Theoretische Grundlagen

Im folgenden Abschnitt werden zunächst für die Arbeit zentrale Begriffe bestimmt, da es in methodologischer Hinsicht sinnvoll scheint, ein adäquates Verständnis über die Begriffe und Konzepte, die für die Konfliktbearbeitung und die Friedens- und Konfliktforschung im Sinne des Untersuchungsgegenstandes relevant sind, zu entwickeln.

Anschließend findet eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Zivilgesellschaft statt. Die Begriffsgeschichte und Funktionen von Zivilgesellschaft werden dargestellt und das das Konzept dieser kritisch beleuchtet. Die letzten beiden Abschnitte setzen sich mit den Untersuchungsebenen Staat - Zivilgesellschaft und externe Förderorganisation - Zivilgesellschaft auseinander, wobei insbesondere auf die wechselseitigen Beziehungen der Akteure eingegangen wird.

2.1 Begriffe der Friedens- und Konfliktforschung

Die nötige Hinzunahme von Gegenbegriffen bei der thematischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Frieden zeigt unter anderem auch Galtungs Friedensdefinition, die er zu Zeiten des Kalten Krieges herausgebildet hat (vgl. Meyers 2000: 250): Frieden „[…] definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit struktureller Gewalt. Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen beziehungsweise positiven Frieden“ (vgl. Galtung 1971: 86). Die Weiterentwicklung des Begriffs des positiven Friedens nach Galtung als „[…] gewaltfreie Konfliktregulation zur möglichst umfassenden Verwirklichung von Sicherheit, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Selbstverwirklichung“ (Prechtl/ Burkard 1996: 171) konnte einen Ansatz entwickeln, der die Integration und Kooperation von Menschen als eine Form des Friedens aufzeigte.

Dieser Arbeit liegt die Auffassung zugrunde, dass es sich bei dem innerstaatlichen Konflikt in Israel um einen ethnopolitischen Konflikt handelt, bei dem die Folgen der Gewaltanwendung weit über materielle Schäden hinausreichen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Konfliktlandschaft erheblich verändert.[8] Innerstaatliche Konflikte wie Bürgerkriege haben im Gegensatz zu klassischen zwischenstaatlichen Kriegen in Anzahl und Intensität zugenommen. In diesen Konflikten sind Macht- und Gewaltmittel der Gegner meist ungleich verteilt, weshalb man auch von einem asymmetrischen Konflikt sprechen kann. Bezüglich der Konfliktdynamik ist der Faktor der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe oft ausschlaggebend: Die ethnische Identität ist der zentrale Streitpunkt zwischen den Konfliktparteien (vgl. Ropers 1997: 350). Die Bestimmung ethnopolitisch weist darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die auf einem Territorium beziehungsweise in einem Staat leben, nicht als einzige Ursache des Konfliktes verstanden werden darf: Die Politisierung der ethnischen Identitäten führt zu einer politischen Polarisierung, die in engem Zusammenhang mit einer gewalttätigen Eskalation steht (vgl. Ropers 1995: 7ff.).

Der Gewaltbegriff nach Kant „[…] definiert Gewalt komparativ und aktual als Macht, die widerstrebende Macht überwindet, wobei Macht als Vermögen, welches großen Hindernissen überlegen ist, erläutert wird“ (Prechtl/ Burkard 1996: 194). Hier offenbart sich die Ambivalenz des Begriffes: Gewalt kann legitimiert[9] oder nicht legitimiert sein; in jedem Fall aber wird physischer oder psychischer Zwang ausgeübt, offen oder (teilweise) verborgen (vgl. Schmidt 2004: 274). Die Unterscheidung in personelle (direkte), strukturelle (indirekte) und kulturelle Gewalt nach Galtung kann auf diesem Verständnis von Gewalt aufbauend vorgenommen werden. Kulturelle Gewalt bedeutet die Rechtfertigung der strukturellen Gewalt; strukturelle Gewalt bedeutet in diesem Zusammenhang eine akteurslose Gewalt (vgl. Schmidt 2004: 274f.). Strukturelle Gewalt ist in das System eingebaut und äußert sich „in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen“ und kann deshalb als „soziale Ungerechtigkeit“ bezeichnet werden (vgl. Galtung 1971: 62).

Der Begriff Krieg als rechtliche geregelte Form bewaffneter Konfliktaustragung zeigt eine Unterscheidung zum Frieden, die zum einen idealtypisch definiert werden kann, die aber auch nur als solche in der Auseinandersetzung zwischen beiden Begriffen verstanden werden kann (vgl. Meyers 2000: 243). Der Kalte Krieg und die als „neue Kriege“ bezeichneten Konflikte zeigen, dass es zwischen den beiden Begriffen viele Phänomene gibt, die nicht eindeutig definiert werden können. Hierzu gehören zum Beispiel innerstaatliche Kriege/ Konflikte, Bürgerkriege, Guerilla-Kriege und andere Konflikte. Es kann festgestellt werden „[…] dass der Krieg ein schwerer Konflikt zwischen Staaten oder großen soziale Gruppen ist, der unter systematischem Einsatz militärischer Gewalt ausgetragen wird und eine größere Zahl von Menschenleben fordert. […] andere Wissenschaftler [definieren, d. Verf.] Krieg als gewaltsamen Massenkonflikt, der Merkmale aufweist wie a) Beteiligung von zwei oder mehr bewaffneten Streitkräften […] b) ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegsführenden […] und c) kontinuierliche militärische Operationen“ (Schmidt 2004: 393).

Der Gegensatz der Begriffe Gewalt, Konflikt, Krieg zum Begriff Frieden zeigt sich unter Betrachtung der vorangegangenen Erläuterungen als solchen: Lediglich für den Frieden besteht die Frage des Erreichens. Im internationalen System haben sich Konzepte entwickelt, wie auf unterschiedlichen Wegen Frieden möglich werden kann:

Peacemaking (Friedensschaffung) bedeutet die Vermittlung zwischen den Führungen der Konfliktparteien. Ziel hierbei ist die Aushandlung eines Friedensvertrages, der die formale Regelung des Konfliktgegenstandes regelt (vgl. Ropers 1995b). Peacemaking setzt auf die Beendigung von Kampfhandlungen mit zivilen und militärischen Mitteln, wie zum Beispiel Vermittlung, Sanktionen und Militärintervention (vgl. Schneckener 2005: 19). Beim peacekeeping (Friedenswahrung) hingegen geht es um die Stationierung multinationaler Truppen zur Friedenssicherung. In erster Linie geht es hier um die Auseinanderhaltung der Konfliktparteien beziehungsweise die Überwachung der Einhaltung von Vereinbarungen. Je nach Lage kann dies mit mehr oder weniger robusten Operationen geschehen (vgl. Schneckener 2005: 19).

Mit dem Begriff peacebuilding (Friedensbildung) in Abrenzung zu peacemaking und peacekeeping gewann die Zivilgesellschaft als Träger für Lösungsansätze von Konflikten an Bedeutung. Peacebuilding bedeutet die Friedenskonsolidierung nach der Beendigung von Kampfhandlungen. Es ist auf die Entwicklung und Stärkung entsprechender Strukturen gerichtet, die einen Rückfall in die Gewalt verhindern sollen (vgl. Schneckener 2005: 19f.). Peacebuilding hat zum Ziel, die politischen, sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Konsequenzen von zum Beispiel von Bürgerkriegen zu bewältigen. Strukturelle Konfliktursachen sollen bearbeitet werden, wie zum Beispiel ethno-nationale Spannungen, sozio-ökonomische Ungleichheiten und Ressourcenknappheit. Beim peacebuilding handelt es sich demnach um ein Langzeitvorhaben bei dem lokale Kapazitäten gestärkt werden sollen. Die Aktivitäten einheimischer Akteure werden aufgrund ihrer fundierteren Kenntnisse über die Situation im Land und ihrer Nähe zur Bevölkerung als effektiver eingestuft als die anderer Akteure, wie zum Beispiel staatliche (vgl. Schneckener 2005: 19f.).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Begriffe peacekeeping und peacemaking für einen „negativen Frieden“, Aktivitäten des peacebuildings für einen „positiven Frieden“ (nach Galtung) stehen. Beim peacebuilding geht um die Gewährleistung und Schaffung von Grundlagen für eine friedensfähige Gesellschaft (vgl. Schneckener 2005: 20). In Israel, einem Staat in dem im Konflikt stehende Gruppen auf engstem Raum zusammenleben, ist es von besonderer Bedeutung diese Grundlagen zu schaffen. Dort setzen auch das Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung sowie der Friedensbildungsansatz nach Lederach an.

2.2 Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildungsansatz nach Lederach

Zivile Konfliktbearbeitung bedeutet, dass die Bearbeitung von Konflikten ohne Anwendung direkter Gewalt stattfindet. Im Zuge der Konfliktlösung oder –regelung sollen dabei die Interessen aller Konfliktparteien berücksichtigt werden. Obwohl innerhalb der ZKB bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden entwickelt wurde, ist der Ansatz und dessen systematischer Einsatz als Alternative zur gewaltförmigen Vorgehensweise in der Politik relativ neu und befindet sich noch am Anfang eines dynamischen Entwicklungsprozesses (vgl. Köhler 2005: 31).

Aufgabe der ZKB ist es, „Gewalt zu mindern oder möglichst zu verhindern; die Inhalte des Konfliktes zu bearbeiten; die dem Konflikt zugrundeliegenden Strukturen, Denk- und Verhaltensweisen so zu verändern, dass Frieden wieder möglich wird“ (Köhler 2005: 32). Diese Veränderungen können laut Köhler, Lederach und vieler anderer Autoren auf jeder gesellschaftlichen Ebene stattfinden (vgl. Köhler 2005; Lederach 1997). Hierbei werden Konflikte als grundsätzlich positiv angesehen, denn sie bringen notwendige Veränderungen voran und können, wenn sie konstruktiv ausgetragen werden, durchaus integrierend auf eine Gesellschaft wirken. Mögliche Akteure der ZKB sind staatliche Akteure, wie zum Beispiel individuelle Staaten oder internationale Organisationen wie die United Nations Organization (UNO), die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Europäische Union (EU). Auf nichtstaatlicher Ebene sind es NGOs, Bewegungen, Netzwerke, politische Parteien, Medien, religiöse Organisationen, die entweder aus dem Ausland oder den betroffenen Ländern selbst stammen, wo sie sich als interne Akteure oft mit externer Unterstützung engagieren (vgl. Köhler 2005: 33).

Die Zivilgesellschaft und ihre Akteure spielen demnach eine zentrale Rolle in der ZKB und werden im Hinblick auf Friedenskonsolidierung und Konflikttransformation mit Friedensförderung, Dialog und Leistungsaufbau von NGOs assoziiert (vgl. Dudouet 2008: 24). Lederach entwickelte den ersten Ansatz der Konflikttransformation von tief verwurzelten Konflikten, in die friedliche Austragung von Konflikten, der im Gegensatz zu anderen Ansätzen interne Akteure in den Fokus stellt (vgl. Lederach 1997; Paffenholz/ Spurk 2006: 24). Im Rahmen seines transformatorischen Konfliktverständnisses sieht er die Notwendigkeit in der Behebung des Dilemmas zwischen kurzfristigem Konfliktmanagement und langfristigem Beziehungsaufbau zwischen den Konfliktparteien und der Bearbeitung der Konfliktursachen. Der Ansatz von Lederach zielt darauf ab, das Versöhnungspotential einer Gesellschaft selbst zu unterstützten: Zerstörte Beziehungen müssen wieder aufgebaut werden, die Gesellschaft gestärkt werden. „Drittparteienintervention“ sollte sich nach seiner Meinung, auf die Unterstützung von einheimischen Akteuren konzentrieren, wobei eine „sensitivity to the local culture“ und ein langfristiger Bearbeitungszeitraum notwendig sind (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 22).

Lederach beschreibt in seinem analytisch konzeptionellen Rahmen, wie der Friedensprozess unter der Bedingung eines Konflikts umfassend gestaltet und erhalten werden kann. Für ihn beinhaltet peacebuilding „forging structures and processes that redefine violent relationships into constructive and cooperative patterns“ (Lederach 1997: 71). Sein Ansatz strebt den Aufbau einer langfristigen Infrastruktur an, in der alle gesellschaftlichen Ebenen, die am Konflikt beteiligt sind, eingebunden werden. Je mehr Akteure eingebunden werden, desto erfolgreicher gestaltet sich der Friedensprozess (vgl. Köhler 2005: 33). Friedensbildung beinhaltet hierbei fünf in Beziehung zueinander stehende Elemente: Beziehungen, Prozess, Infrastruktur, Ressourcen und deren Koordinierung (vgl. Lederach 1997). Im Zentrum des beschriebenen Ansatzes steht die Gestaltung menschlicher Beziehungen; Misstrauen, Ängste und negative Gefühle gegenüber „der anderen Seite“ sind kennzeichnend für Konflikte (vgl. Lederach 1997: 25). Versöhnung bedeutet die Bildung neuer Beziehungen zwischen gegnerischen Gruppen, die durch eine physische Begegnung entstehen sollen, in der die Vergangenheit des Konfliktes thematisiert und wechselseitig anerkannt wird. Gegenseitige Beziehungen sind eine Voraussetzung für eine Art der beiderseitigen Abhängigkeit (Interdependenz) sowie für eine gemeinsame Zukunft. Die vier in einem Spannungsverhältnis stehenden Komponenten, die Lederach für den Versöhnungsprozess nennt, sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Vergebung und Frieden (vgl. Lederach 1995b: 28ff.). Wahrheit ist eine Vorbedingung für Gerechtigkeit und bezieht sich auf die Vergangenheit; für den Aufbau neuer Beziehungen ist dabei vor allem Vergebung notwendig.

Lederach unterteilt in seinem analytischen Modell zur Charakterisierung der Infrastruktur für die Friedensbildung die Bevölkerung nach ihren jeweiligen Führern in drei Schichten: die oberste Führungs- (Track 1), die mittlere Führungs- (Track 2) und die Grassroot -Ebene[10] (Track 3). Nach Lederachs integrativem Verständnis werden alle Bevölkerungsschichten mit in die Struktur einbezogen. Die mittlere Führungsebene bezeichnet er als wichtigste Zielgruppe. Aufgrund ihrer Position kann sie eine Wirkung als Bindeglied zur obersten und Grassroot -Ebene entfalten. Im Gegensatz dazu stehen die Führer des Tracks Eins unter öffentlichem Druck; die Mitglieder des Grassroot -Levels hingegen werden am stärksten mit den Auswirkungen des Konflikts konfrontiert. Hier laufen die Konfliktlinien quer durch die gesamte Gemeinschaft; oft findet feindseliges Verhalten statt. Alle drei Zielgruppen verfügen über verschiedene komparative Vor- und Nachteile; somit sind unterschiedliche friedensbildende Ansätze charakteristisch (vgl. Lederach 1997: 32ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Führungsebenen der Konfliktparteien und Interventionsformen nach John Paul Lederach (Quelle: Remmert-Fontes 2007: 35, nach Lederach 1997: 39)

Der Friedensbildungsansatz der obersten Ebene ist durch einen top-down Ansatz („von oben nach unten“) gekennzeichnet, welcher die Aushandlung eines politischen Abkommens (zum Beispiel durch Mediation) erzielen will und auf der Annahme basiert, dass diese Übereinkunft dann in allen gesellschaftlichen Schichten implementiert werden kann (vgl. Lederach 1997: 45; Paffenholz/ Spurk 2006: 22).

Die unterste Führungsebene ist durch den bottom-up Ansatz („von unten nach oben“) gekennzeichnet. Dieser Ansatz besagt, dass von der Basis ausgehende Veränderungen die gesamte Gemeinschaft erreichen (vgl. Lederach 1997: 52).

Die mittlere Führungsebene verfügt, wie bereits erwähnt, über Beziehungen zur oberen und unteren Ebene, die oft über Konfliktlinien hinweg existieren, was einen erheblichen Vorteil für die Konfliktbearbeitung darstellt. Bezüglich dieser Ebene ergänzt Lederach den middle-out Ansatz. Die Kontakte, die über Konfliktlinien hinweg in die oberste wie auch in die untere Ebene reichen, haben zum Vorteil, dass ein großes Spektrum an wichtigen Akteuren erreicht werden kann (vgl. Lederach 1997: 51).[11] Die peacebuilding- Arbeit auf dieser Ebene zielt auf die Vernetzung und Qualifizierung der mittleren Führer und strebt die Aktivierung dieser Gruppen an, damit diese dann nutzbar für die Nachhaltigkeit des Friedensprozesses sind.

Grundannahme des vorgestellten Modells ist, dass gesellschaftliche Aktivitäten bezüglich der Formen der Konfliktbearbeitung komplementär zu staatlichen sind. Peacebuilding verhindert innergesellschaftliche Konflikte, da die gesamte Bevölkerungsschicht mit in den Prozess einbezogen wird. Diese Arbeit konzentriert sich auf die unterste Ebene, die Grassroot -Ebene, des Friedensbildungsansatzes von Lederach. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die mittlere Führungsebene die von Lederach als essentiell erachtete Mittlerposition bisher unzureichend wahrnimmt, wie der empirische Teil der vorliegenden Arbeit zeigen wird.

2.3 Konzept der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure

Zivilgesellschaft ist ein sehr komplexer, definitorisch schwer zu fassender Begriff und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung äußerst vielseitig behandelt worden. Obwohl der Begriff eine lange Entwicklung vorzuweisen hat, ist in der Literatur keine klare Definition zu finden. Die kontroverse Diskussion reicht bis ins 18. Jahrhundert und ist nach wie vor umstritten (vgl. Carothers 1999-2000; von Beyme 2000).

Im Folgenden finden eine begriffsgeschichtliche Einordnung (normativ) und eine Begriffsbestimmung, angelehnt an ein deskriptives Verständnis des Begriffes Zivilgesellschaft und seinen Akteuren, statt. Für die Beschäftigung mit dem Konzept der Zivilgesellschaft ist eine geschichtliche Einordnung des Begriffes deshalb notwendig, um diesen im weiteren Verlauf als ein analytisches Instrument verwenden zu können.

Es soll die Frage beantwortet werden, welche Akteure die zivilgesellschaftliche Sphäre ausmachen und ob, über die normative Ebene hinaus, die Zivilgesellschaft grundsätzlich immer „gut“ ist. Diese dient als Analyseinstrument und um ein breiteres Verständnis für die nachfolgende Arbeit und die Fallbeispiele zu schaffen.

Trotz der vielen unterschiedlichen Ansätze ist allen die Beschäftigung mit der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Zivilgesellschaft und Staat gemein. Sie geben einen umfassenden Überblick über den empirischen Zugriff auf ein nur schwer fassbares Phänomen.

2.3.1 Begriffsgeschichte

Der Begriff Zivilgesellschaft oder bürgerliche Gesellschaft, ein klassischer Begriff der europäischen politischen Philosophie, geht zurück auf den von Aristoteles geprägten Begriff politike koinonia (lateinisch societas civilis). Im Gegensatz zu späteren Definitionen grenzt der Begriff die Bürger von dem Staat, in dem sie leben, nicht ab (vgl. Adloff 2005: 17). Die Begriffe der zivilen Gesellschaft und der Bürgergesellschaft sowie der Begriff Staat wurden hier synonym verwendet (vgl. Colas: 18; Adloff 2005: 16; Carothers 1999-2000: 18). Auch in den darauf folgenden Jahrhunderten hatte der Zivilgesellschaftsbegriff stets einen Staatsbezug. Dies änderte sich erst im Zeichen der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert.

Der kanadische Sozialphilosoph Charles Taylor spricht im Jahr 1991 von zwei politischen Gedankensträngen in der Geschichte des Zivilgesellschaftskonzept: zum einen den auf John Locke, zum anderen den auf Montesquieu zurückgehenden (vgl. Adloff 2005: 28). Nach Locke emanzipiert sich die ökonomisch definierte Gesellschaft, die auf Selbstorganisation beruht, ihre eigenen Gesetze besitzt und zur Aufgabe hat, dass Individuum vor Eingriffen des Staates und der Politik zu schützen (vgl. Lauth/ Merkel 1997: 15; Adloff 2005: 28; Taylor 1991: 68). Für Montesquieu ist die Zivilgesellschaft jedoch mit dem politischen System verknüpft (durch corps intermédiaires = unabhängige Körperschaften); Zivilgesellschaft ist demnach definiert durch politische Organisation und Träger einer unabhängigen Macht (vgl. Lauth/ Merkel 1997: 15; Adloff 2005: 29).

G. W. F. Hegel (1821) grenzt Familie, bürgerliche Gesellschaft (als vermittelnde Kategorie zwischen Familie und Staat stehend) und den Staat voneinander ab und verknüpft somit die vorangegangenen Denkrichtungen (vgl. Adloff 2005: 31; Colas 2004: 22; Klein 2001: 301). Parallel dazu spricht er jedoch auch die beidseitige Abhängigkeit aller Sphären voneinander an. Zivilgesellschaft bildet die Basis für eine Erweiterung des Machtbegriffes in einem politischen System (vgl. Taylor 1991: 77, Adloff 2005: 31).

Wie für Montesquieu ist auch für Tocqueville Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedeutung intermediärer Institutionen groß, allerdings nur unter demokratischen Bedingungen (vgl. Adloff 2005: 37). Die Zivilgesellschaft, die einhergeht mit freien Zusammenschlüssen - Assoziationen und Vereinen - ist die Grundlage für demokratische Strukturen (vgl. Adloff 2005: 39) und muss einem notwendigen Schutz gegen staatlichen Despotismus und Tyrannei unterliegen (vgl. Taylor 1991: 79; Fein/ Matzke 1997: 16).

Im frühen 20. Jahrhundert ordnet Antonio Gramsci der Zivilgesellschaft im Gegensatz zu Hegel die Familie, Korporationen, Kultur beziehungsweise Ideologie zu. Die Wirtschaft ist bei Gramsci kein Teil der Zivilgesellschaft; ihr gehören somit keine materiellen Bedingungen an, sondern ideologische und kulturelle Verhältnisse, die wiederum geeignetes Mittel zur Bekämpfung der kapitalistischen Gesellschaft sind, die die Individuen bedroht (vgl. Adloff 2005: 43; Fein/ Matzke 1997: 18).

Im Zuge des Zerfalls der realsozialistischen Systeme wurde das an Popularität gewinnende Konzept zum zentralen Begriff der „linken Selbstverständigungsdebatte“ (vgl. Fein/ Matzke 1997: 19). Die Hegelrezeption von Arato und Cohen (ebenfalls Vertreter der kritischen Demokratietheorien) setzt an der Stelle der politisch-integrativen Rolle der bürgerlichen Gesellschaft an (vgl. Klein 2001: 301). Sie lokalisieren Zivilgesellschaft außerhalb des Staates, so dass sich ein Modell aus drei Sphären (Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft) ergibt (Arato/ Cohen 1992: 142). Arato und Cohen sehen den Begriff Zivilgesellschaft als ein neues Konzept, welches in der neuen kritischen Theorie der zeitgenössischen Industriegesellschaft Elemente des Sozialismus und der radikalen Demokratie bewahrt (vgl. Fein/ Matzke 1997: 19).

Hannah Arendt knüpft mit ihrem Verständnis über die bedeutende Rolle von freien Bürgern und politischer Partizipation an die aristotelische Tradition des politischen Denkens an (vgl. Klein 2001: 279 u. 339). Arendts Begriff der positiven Freiheit („Freiheit für“, im Gegensatz zur negativen Freiheit = „Freiheit von“) ist zur Begründung eines Modells demokratischen Selbstregierens geworden, indem die politische Gesellschaft mit Zivilgesellschaft gleichgesetzt wird (vgl. Klein 2001: 340).

Rödel, Frankenberg und Dubiel haben mit ihrem Konzept der libertären Demokratie beziehungsweise der Zivilgesellschaft als Träger demokratischer Selbstregierung an Hannah Arendts Überlegungen angeknüpft (vgl. Adloff 2005: 61; Klein 2001: 340 und 351). Die drei Autoren plädieren für eine Erweiterung des Begriffes der Zivilgesellschaft, konstituiert durch das wechselseitige Versprechen der Bürger, sich als politisch gleich anzuerkennen, für die Akzeptanz der Integration aller, für die Vermeidung von Gewalt und für die Einhaltung der Prinzipien einer demokratischen Streitkultur (vgl. Adloff 2005: 61).[12]

Bezüglich des Verständnisses über die Rolle der Zivilgesellschaft der drei oben genannten Autoren sieht Jürgen Habermas diese pessimistisch und warnt vor einer Überhebung der Möglichkeiten und Mittel zivilgesellschaftlicher Akteure (vgl. Habermas 1992: 451). Damit die Zivilgesellschaft Druck auf das politische System ausüben kann, müssen soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen, Assoziationen und politische Vereinigungen geschaffen werden (vgl. Reese-Schäfer 2007: 16).

Ralf Dahrendorfs Verständnis (Anfang der 1990er Jahre) von einer Bürgergesellschaft (er zieht diesen Begriff der dem der Zivilgesellschaft vor) beruht auf der zentrale Rolle der Bürgerrechte. Dabei wehrt er sich gegen das Konzept der gesellschaftlichen Selbstregierung. Der Bürgerstatus (Staatsbürgerrechte), bestehend aus bürgerlichen Freiheitsrechten, politischen und soziale Rechten, ist die Bedingung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung; damit dieser auch für die Zivilgesellschaft hinreichend ist, müssen staatliche Institutionen und Rechte mit gesellschaftlichen zusammen gehen (vgl. Adloff 2005: 78). „Ihm geht es um den liberalen Schutz der Gesellschaft vor dem Staat, um die Konstitution einer Sphäre, die sich freiheitlich vom staatlichen Handeln absetzt - damit kann er nach Taylors Unterteilung als Repräsentant des Lockeschen Theoriestranges gelten“ (Adloff 2005: 78). Als Merkmale der Zivilgesellschaft nennt Dahrendorf die Vielfalt der Organisationen, die die Interessen der Mitglieder der Gesellschaft realisieren können und die in diesem Zusammenhang unabhängig von einem Machtzentrum sind sowie die Entwicklung eines Bürgersinns, der durch Toleranz und Gewaltlosigkeit geprägt ist; das Vorhandensein dieser Kennzeichen bietet Schutz vor totalitärer und autoritärer Herrschaft (vgl. Adloff 200: 78f.).

Der Begriff Zivilgesellschaft wird Ende des 20. Jahrhunderts mit Konzepten wie zum Beispiel Demokratie in Verbindung gebracht und ihre Rolle innerhalb des Staates beleuchtet (siehe Kapitel 2.4). Für die Verwendung des Begriffes der Zivilgesellschaft in dieser Arbeit bedarf es einer genaueren Definition, da sich wie oben dargestellt, die Diskussion um den Begriff aus verschiedenen Perspektiven betrachten lässt.

2.3.2 Definition und Funktionen

Der Begriff der Zivilgesellschaft gehörte in den letzten Jahrzehnten zu den politischen Begriffen, die durch eine inflationäre Verwendung Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft erfahren haben. Der vorherige Abschnitt hat verdeutlicht, dass der Begriff der Zivilgesellschaft von einer analytischen Unschärfe geprägt. „Eine ausformulierte sozialwissenschaftliche Theorie der Zivilgesellschaft“ (Kocka 20 ist00: 21) ist laut Kocka nicht vorhanden. Andererseits führt diese terminologische Unklarheit zum Gebrauch des Konzepts zugunsten der verschiedensten theoretischen Ausrichtungen und Ziele (vgl. Kocka 2000: 13). Um das Risiko der Beliebigkeit, Unklarheit und Unschärfe nicht einzugehen und den Begriff Zivilgesellschaft als Analyseinstrument und Grundlage für die vorliegende Arbeit nutzen zu können, wird in diesem Abschnitt eine definitorische Einordnung vorgenommen.

Einerseits lässt sich Zivilgesellschaft, wie schon im vorherigen Kapitel dargelegt, mit dem Streben nach politischen Handlungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in Verbindung bringen. In der Diskussion geht es andererseits um den Rückzug des Staates zugunsten gesellschaftlicher und marktwirtschaftlicher Selbstregulierung (Dritter-Sektor-Ansatz[13] ). Bis zur heutigen Zeit findet eine Debatte um den Begriff der Zivilgesellschaft zwischen diesen beiden Strömungen statt, die ursprünglich aus den ideengeschichtlichen traditionellen Linien des Liberalismus und des Republikanismus stammt. In der vorliegenden Arbeit verwende ich eine Definition, die hauptsächlich auf den Aussagen/ Arbeiten von den Autoren Lauth/ Merkel (1997), Croissant/ Lauth et al. (2000), Howard (2003), White (2004), Fischer (2006) und Paffenholz/ Spurk (2006) basiert.

Mit dem Begriff Zivilgesellschaft wird eine spezielle Sphäre des gemeinsamen Handelns, der sozialen Interaktion und des öffentlichen Diskurses bezeichnet (vgl. Dodouet 2007: 7). Diese befindet sich zwischen dem Staat beziehungsweise der politischen Sphäre, dem Privatbereich (zu dem auch die Familie gehört) und dem Markt (wirtschaftliche Sphäre) (vgl. Arato/ Cohen 1992: 21). Dieses Modell dominiert mit einigen Abweichungen die wissenschaftlichen Diskurse zum Thema Zivilgesellschaft (siehe Abbildung 2).[14]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Civil Society as intermediate sphere (Quelle: Dodouet 2007: 9, nach Paffenholz/ Spurk 2006: 3)

Wichtig hierbei ist, dass die Zivilgesellschaft von Staat und politischer Gesellschaft independent ist. Croissant/ Lauth et al. stellen fest, dass die Zivilgesellschaft jedoch nicht komplett unabhängig ist: „Zivilgesellschaftliche Akteure handeln also durchaus politisch, indem sie außerhalb, aber meist mit Blick auf die staatlichen Institutionen handeln“ (Croissant/ Lauth et al. 2000: 16). Eine Vielzahl und Vielfältigkeit unterschiedlicher Vereinigungen, die ihre jeweiligen Interessen weitestgehend autonom organisieren und artikulieren, sind unter anderem die Eigenschaften einer Zivilgesellschaft. Eine doppelte Selbstbeschränkung ist kennzeichnend für die Akteure einer Zivilgesellschaft. Sie streben einerseits nicht nach politischer Macht (wie politische Parteien etwa), sondern wollen hauptsächlich über die Öffentlichkeit auf das staatliche Handeln Einfluss nehmen. Andererseits sind Gruppen, die private Ziele verfolgen (Familien, Firmen, Privatunternehmen etc.), staatliche Verwaltungen, politische Parteien und Parlamente durch diese strukturellen Bedingungen von diesem Konzept ausgeschlossen. Die Zivilgesellschaft stützt sich somit auf gesellschaftliche Selbstorganisation und hat aufgrund ihrer intermediären Ausrichtung besonders den Bereich zwischen Individuum und Staat im Blick. Entsprechend dieser Interpretation der von der Zivilgesellschaft artikulierten Ziele und Absichten betreffen diese immer die res publica, was bedeutet, dass sie auch immer das Gemeinwohl verfolgen und vertreten, mit Berücksichtigung der Interessen der Mitglieder (vgl. Fischer 2006: 23; Lauth/ Merkel 1997: 16f.). Des Weiteren ist Zivilgesellschaft „a heterogenous actor, a melting pot of different actors who share one normative common denominator based on: 1) respect and tolerance towards ,the other’; 2) fairness; and 3) the exclusion of violence“ (Fischer 2006: 23).

In dem Modell von Howard (2003: 36f.) überschneiden sich die zivilgesellschaftliche, die politische und wirtschaftliche Sphäre (siehe Abbildung 3).[15] Es wird verdeutlicht, dass Akteure in mehreren Bereichen gleichzeitig aktiv sein können, beispielsweise politische und wirtschaftliche Interessengruppen, NGOs, Verbände und Gewerkschaften (vgl. Howard 2003: 35-38; Lauth/ Merkel 1997: 17).

White bezeichnet Zivilgesellschaft als ein idealtypisches Konzept. In der Realität seien seiner Ansicht nach die Grenzen zwischen Staat und Zivilgesellschaft oft verschwommen: „states may play an important role in shaping civil society as well as vice-versa; the two organisational spheres may overlap to varying degrees“ (White 2004: 11).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Modell der zivilgesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Sphäre (Quelle: Howard 2003: 36)

Howard sowie viele andere Autoren[16] teilen die Ansicht, dass kollektive Akteure ein elementarer Bestandteil der Zivilgesellschaft sind (vgl. Carothers 1999 - 2000: 19f.). Diese Sichtweise zeigt auch das Modell von Howard: hauptsächlich freiwillig gegründete, selbstorganisierte Vereinigungen, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen und deren Interessen vertreten und artikulieren, gehören zum zivilgesellschaftlichen Bereich.

Indes gibt es auch Autoren, die Zivilgesellschaft als Verhaltensweise oder Prozess verstehen beziehungsweise ihnen auch andere Bereiche zuordnen. Paffenholz schreibt zum Beispiel dazu: „[…] some authors argue that family is not a separate sector but belongs to civil society, while others consider business as part of civil society rather than being a sector on its own. Some researchers use a different and more sophisticated segmentation, distinguishing, for example, between the political (state apparatus, political parties, and parliamentarians), economic (companies and markets), and private spheres, and define a space where these spheres overlap” (Paffenholz 2009: 62) (siehe auch Howards Modell, Abbildung 3).

Um den Begriff Zivilgesellschaft als empirisch-analytisches Instrument für diese Arbeit nutzen zu können, wird die oben genannte Definition (in Abgrenzung zur Sichtweise, Zivilgesellschaft als Verhaltensweise oder Prozess zu verstehen) verwendet, welche sich auf die Infrastruktur von Zivilgesellschaft bezieht.

Wie im Modell von Howard und der Aussage von Fischer (2006: 22) umfasst die Zivilgesellschaft eine „heterogene Gruppe“, die aus kollektiven Akteuren besteht. Dies reicht allerdings laut Fischer sowie Lauth/ Merkel (1997: 17) allerdings noch nicht aus, um eine Organisation als einen Teil der Zivilgesellschaft zu verstehen: Es muss ein normativer gemeinsamer Nenner vorhanden sein, den die Akteure teilen. Dieser besteht aus Toleranz, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit (vgl. Fischer 2006: 22).

Folgende Merkmale von zivilgesellschaftlichen Akteuren können abschließend festgehalten werden:

a) Der Bereich der Zivilgesellschaft ist getrennt vom öffentlichen beziehungsweise politischen und wirtschaftlichen Sektor zu betrachten (wobei es aber auch, wie oben erwähnt, Akteure gibt, die in allen Bereichen tätig sind). Akteure der Zivilgesellschaft handeln zum Beispiel nicht gewinnorientiert und übernehmen keine politischen Ämter.
b) Sie sind kollektive Akteure, die für jeden zugänglich sind.
c) Sie sind am Gemeinwohl orientiert und Vertreten kollektive Interessen.
d) Sie vertreten einen gemeinsamen Nenner, basierend auf Toleranz, Fairness/ Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit.

In diesem Abschnitt wurden eine Definition des Begriffes der Zivilgesellschaft sowie die Merkmale von zivilgesellschaftlichen Akteuren herausgearbeitet. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit den Funktionen, die zivilgesellschaftliche Akteure innerhalb eines politischen Systems übernehmen.

Anmerkend soll festgehalten werden, dass im Folgenden die Begriffe zivilgesellschaftlicher Akteur, Vereinigung, Organisation, Nichtregierungsorganisation/ nongovernmental organization (NGO), nonprofit organisation (NPO), civil society organization (CSO) sowie der Dritte Sektor[17] (mit seinen Akteuren) synonym verwendet werden, da sie alle die oben genannten Merkmale aufweisen, sowie die unten genannten Funktionen erfüllen sollen. Für diese Arbeit spielt eine genaueste Unterscheidung keine bedeutende Rolle.

Autoren wie Lauth/ Merkel (1997: 20f.) und Anheier/ Priller/ Zimmer (2000: 73) weisen ebenfalls daraufhin, dass Zivilgesellschaften wichtige Eigenschaften zur Förderung und Stabilisierung von demokratischen Strukturen vorweisen. Croissant/ Lauth et al. machen die Erfüllung der Funktionen zu einer Voraussetzung zur Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft: „Die Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft bestimmt sich zunächst also über funktionale Leistungen: Nur solche Organisationen, Gruppen und Akteure können als Teil der Zivilgesellschaft betrachtet werden, die eine oder mehrere der dargestellten Funktionen wahrnehmen“ (Croissant/ Lauth et al. 2000: 17). Anmerkend weisen sie allerdings darauf hin, dass „dies […] zunächst nur ein notwendiges und noch kein hinreichendes Kriterium“ (Croissant/ Lauth et al. 2000: 42) darstellt.

Angelehnt an eine lange Theoriegeschichte des Begriffes der Zivilgesellschaft lassen sich fünf Funktionen einer idealtypischen Zivilgesellschaft ableiten. Croissant/ Lauth et al. (2000: 11-14) haben diese in ihrem Beitrag „Zivilgesellschaft aus funktionalistischer Perspektive“ gebündelt. Dieses Modell geht nicht von der Zivilgesellschaft als eine historische Form aus, sondern als eine analytische Kategorie (vgl. Pfaffenholz/ Spurk 2006: 7).

Die erste Funktion, die Croissant/ Lauth et al. (2000: 11f.) anführen ist der Schutz (1) der Bürgerinnen und Bürgern vor Übergriffen seitens staatlicher Institutionen. Zivilgesellschaft ist die soziale Sphäre jenseits des Staates, in welcher die Bürger, ausgestattet mit ihren Bürgerrechten, frei sind, ihr Leben im Rahmen dieser Rechte ohne staatliche Eingriffe zu organisieren. Der Staat muss den Schutz der privaten Sphäre gewährleisten. Die Zivilgesellschaft und ihre Akteure haben zur Aufgabe, den Staat an diese Gewährleistung zu erinnern und wenn nötig, ihn zu zwingen dies zu tun (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 8). Der „[…] Schutz der Autonomie des Individuums, die Entwicklung und Wahrung individueller Rechte und […] der Schutz des Besitzes des Einzelnen […]“ (Croissant/ Lauth et al. 2000: 11) sind nach John Locke eine zentrale Funktion von Zivilgesellschaft.

Eine weitere Funktion ist die Vermittlungsfunktion (2). „[…] der Aspekt der Vermittlung zwischen unpolitischer und politischer Sphäre [ist, d. Verf.] eines der zentralen Themen von Montesquieus berühmter Schrift […]“ (Croissant/ Lauth et al. 2000: 12). „Civil society has to ensure a balance between central authority and social networks” (Paffenholz/ Spurk 2006: 8), welche eine Voraussetzung für die Sicherstellung von Rechtsstaatlichkeit darstellt. Diese Funktion konzentriert sich auf den permanenten Austausch von selbstorganisierten Vereinigungen mit dem Staat und hat zum Ziel, die staatlichen Aktivitäten zu kontrollieren, zu begrenzen und zu beeinflussen (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 8) und kann somit auch als Interessenvermittlungsfunktion bezeichnet werden.

An dritter Stelle steht die Sozialisierungsfunktion (3). Anlehnend an Tocqueville erwecken zivilgesellschaftliche Akteure über die Verankerung von Werten wie Toleranz, Kompromissbereitschaft und Vertrauen bei den Bürgern ein politisch-partizipatorisches Potenzial. Diese demokratische Sozialisierung der Bürger immunisiert sie vor freiheitsbedrohenden Angriffen (vgl. Croissant/ Lauth et al. 2000: 12). Zusätzlich unterstützt dies die Dezentralisierung von Macht sowie die Solidarität unter den Bürgern, welche auch als Verteidigungsmechanismus gegen mögliche Beschränkungen der Freiheit agiert (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 8).

Viertens ist die Integrations- beziehungsweise Gemeinschaftsfunktion (4) anzuführen. Hier wird Zivilgesellschaft als ein „catalyst of civil virtues or as an antidote to individualism and a retreat to family and statism” (Paffenholz/ Spurk 2006: 8) gesehen. Das Engagement in sozialen Vereinigungen kann auf eine Überwindung gesellschaftlicher Konfliktlinien hinwirken und Tugenden wecken, welche das gemeinsame Zusammenleben zivilisieren. Dieses wiederum schafft die Basis dafür, dass „zentrale demokratische Entscheidungsprozeduren konsequent zur Anwendung gelangen können“ (Croissant/ Lauth et al. 2006: 13). Es gibt jedoch eine entscheidende Bedingung für die Gründung beziehungsweise Organisation eines zivilgesellschaftlichen Akteurs: Er darf sich nicht unter ausschließenden ethnischen, religiösen oder rassischen Prämissen organisieren; aufgrund dieses ethnisch-exklusiven Verständnisses würde ein „unziviles Potential“ erzeugt (vgl. Croissant/ Lauth et al. 2000: 13; Paffenholz/ Spurk 2006: 8).

Als fünfte Funktion ist die Kommunikationsfunktion (5) zu nennen, die vor allem auch von dem deliberativen und diskurstheoretisch orientierten Demokratietheoretiker Habermas betont wird. Die öffentliche Sphäre, getrennt von Staat und Wirtschaft, bietet Raum für Debatten, partizipatorische und demokratische Willensbildung und nimmt neben Parlamenten und Parteien eine Schlüsselfunktion in der Etablierung einer demokratischen Öffentlichkeit ein. Organisationen und Vereinigungen sind in der Lage, Probleme und Anliegen im Interesse ihrer Mitglieder zu artikulieren und auf Probleme aufmerksam zu machen, welche dann von der privaten Sphäre in die politische Agenda transferiert werden (vgl. Croissant/ Lauth et al. 2000: 14; Paffenholz/ Spurk 2006: 8).

„Civil society and its actors have gained widely in importance in development cooperation […]” (Paffenholz/ Spurk 2006: 11), was ihnen noch eine weitere Funktion zuspricht, nämlich eine Dienstleistungsfunktion. Normalerweise hat der Staat oder die Wirtschaft diese Aufgabe zu übernehmen; wenn diese jedoch zu schwach sind, fällt die Bereitstellung öffentlicher Güter den CSOs zu (vgl. Dudouet 2007: 16).

Die Synthese dieser Modelle bietet ein höheres Potential für eine bessere Analyse, Planung und Bewertung existierender Gesellschaften oder Programme.

Folgende Funktionen der Zivilgesellschaft und ihren Akteuren können festgehalten werden:

- Schutzfunktion
- Vermittlungsfunktion
- Sozialisierungsfunktion
- Integrations-/ Gemeinschaftsfunktion
- Kommunikationsfunktion
- Dienstleistungsfunktion

Man kann die Funktionen, die zivilgesellschaftliche Akteure zu erfüllen haben, auch auf die Prozesse der Politikgestaltung, der politischen Entscheidungsfindung und Legitimität eines demokratischen Systems übertragen. Scharpf setzt hier mit einer systemischen Betrachtung der Funktionen an, indem er sie der in- und output-orientierten Legitimität eines demokratischen Systems zuordnet (vgl. Scharpf 1998: 88f.). Die Vermittlungsfunktion im Sinne von Habermas gibt einen Input für das demokratische System (Beitrag zur input-orientierte Legitimität), wie auch die Sozialisierungs- und Gemeinschaftsfunktion, da sie die Teilhabe der Bürger am politischen Prozess fördern (vgl. Pollack 2003: 33; Scharpf 1998: 85). „[…] wenn und weil sie auf die Zustimmung des ‚Demos‘ zurückgeführt werden können“ (Scharpf 1998: 85) sind politische Entscheidungen laut Scharpf legitimiert.

Leistungsstarke Verbände und Vereinigungen sowie Dienstleistungsorganisationen tragen zu Politikimplementation bei und übernehmen output-orientierte Funktionen des politischen Systems (Beitrag zur output-orientierte Legitmität), da sie das politische System entlasten und zu seiner Effektivität beitragen (vgl. Pollack 2003: 33; Scharpf 1998: 85). Vor allem in der Forschung zum Dritten Sektor wird dieser Beitrag debattiert.[18]

Dieser anspruchsvolle und umfassende Funktionskatalog stellt einen Idealtypus dar. Die Funktionen und Aufgaben sind nicht widerspruchsfrei und werden in unterschiedlichen Kontexten wahrgenommen und erfüllt (vgl. Croissant/ Lauth et al. 2000:16). Im Zusammenspiel mit den anderen genannten Faktoren und Merkmalen vermag der Funktionskatalog aber eine adäquate Definition beziehungsweise Vorstellung des Phänomens Zivilgesellschaft geben.

2.3.3 Kritische Anmerkungen

In diesem Abschnitt wird die Frage gestellt, ob eine Zivilgesellschaft immer förderlich für die Entwicklung und Stabilität einer Demokratie ist. „Ein großer Irrtum hinsichtlich der CSOs und ihres Beitrages zur Friedenskonsolidierung beruht auf der normativen Annahme, dass eine starke Zivilgesellschaft automatisch demokratiefördernd wirkt oder zu besseren zwischen-ethnischen Beziehungen führt“ (Dudouet 2008: 25). Auch andere Autoren zweifeln die Annahme an, dass ein rein positiver Zusammenhang zwischen der puren Existenz von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Demokratie besteht (vgl. Lauth/ Merkel 1997; Carothers 1999 – 2000; Roth 2003).

„Demokratieförderliche beziehungsweise demokratieverträgliche Wirkungen können erst dann angemessen erfasst werden, wenn auch die gegenläufigen anti-demokratischen und unzivilen Tendenzen innerhalb ‚realer Zivilgesellschaften‘ ernsthaft berücksichtigt werden“ (Roth 2003: 61), wie zum Beispiel CSOs, die unzivile destruktive Verhaltensweisen entwickeln, die sich in gewaltsamem und zerstörendem Agieren äußern (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 13). Sie können also auch ein desintegratives Potential besitzen und die Gemeinschaftsfunktion unberücksichtigt lassen.

Die Beziehung zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat ist geprägt (siehe ebenfalls Locke) durch Skepsis, mangelndem Vertrauen und Kritik am Staat seitens der Zivilgesellschaft, welche sich in der Schutzfunktion widerspiegelt; diese kann sich jedoch durchaus auch zu einem Misstrauen dem Staat gegenüber entwickeln (vgl. Lauth/ Merkel 1997: 21). Allerdings soll parallel wie oben beschrieben, eine Vermittlungsrolle der Zivilgesellschaft übernommen werden, mit der sie die Beziehung Staat - Gesellschaft stärken, positiv beeinflussen und die gemeinschaftlichen Interessen vertreten soll (siehe auch Sozialisierungsfunktion) (vgl. Croissant/ Lauth et al. 2000: 11f.).

Paffenholz/ Spurk weisen auf die Reichweite der Zivilgesellschaftsfunktionen hin: Konstruktive Funktionen werden zum Beispiel nicht nur von der Zivilgesellschaft erfüllt, sondern auch vom Staat. Die Schutzfunktion beispielsweise sollte hauptsächlich von ihm beziehungsweise von der Judikative und den Strafverfolgungsbehörden übernommen werden. Des Weiteren weisen sie darauf hin, dass demokratische Werte und Verhaltensweisen nicht nur in freiwilligen Vereinigungen erlernt und gelehrt werden, sondern auch in den Schulklassen, Familien und Gemeinschaften (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 14). Hier setzt auch Roth in seiner Kritik an, indem auch er darauf hinweist, dass Sozialkapital auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, wie Familie, Wirtschaft, Arbeitsstelle, entwickelt wird und dort sogar möglicherweise stärker ausgeprägt werden kann als in der Zivilgesellschaft (vgl. Roth 2003: 65f.).

Überdies erwähnen Paffenholz/ Spurk in ihrer Kritik an den Zivilgesellschaftsfunktionen die Rolle des Staates und andere Faktoren. Zivilgesellschaft sollte nicht den Anspruch haben, den Staat zu ersetzen, sondern lediglich das Zusammenspiel von beiden Seiten verbessern. In einem instabilen oder autoritären Staat kann eine externe Unterstützung von außen bedeutend sein, um die Umgebung für die Zivilgesellschaft zu verbessern beziehungsweise ermöglichen, staatliche Strukturen aufzubauen oder die Durchsetzung des Rechtsstaats zu gewährleisten (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 14).

Paffenholz/ Spurk (2006: 14) gehen ebenfalls davon aus, dass eine geringere Anzahl an „verbindenden Brücken“ (bridging ties) zwischen den verschiedenen Gruppen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Einfluss von zivilgesellschaftlichen Akteuren schädlich sein kann. Die Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft (cleavages) können durch polarisierte Akteure verstärkt werden, indem sich diese zivilgesellschaftlichen Organisationen entlang der Konfliktstrukturen entwickeln. Sie „können damit Trennlinien und Differenzen verstärken, was durchaus zu wachsender Ignoranz und Fremdheit gegenüber der jeweils anderen Gruppe führen kann“ (Lauth/ Merkel 1997: 20; vgl. dazu Roth 2003: 62).

Der Dienstleistungsfunktion schreiben Paffenholz/ Spurk (2006: 14) ebenfalls eine begrenzte Rolle zu: Diese bezieht sich im Gegensatz zu den anderen Funktionen nicht auf politische Aspekte, sondern auf ökonomische. „Thus, service delivery as a function is questioned and mainly considered as an entry point for political civil society functions, but the latter should be based on a careful assessment of whether the specific service is indeed a good entry point for the wider functions and objectives of civil society” (Paffenholz/ Spurk 2006: 14).

Wie dargestellt wurde hat das Konzept der Zivilgesellschaft auch etliche Kritikpunkte aufzuweisen. Wenn Zivilgesellschaft immer in den Zusammenhang mit Demokratieförderung gebracht wird, besteht das Risiko, dass die Argumentationen zirkulär werden könnte. „[…] weil ihr [der Zivilgesellschaft, d. Verf.] eben nur demokratieförderliche Akteure und Charakteristika zugerechnet werden“ (Lauth/ Merkel 1997: 21), betonen vor allem Lauth/ Merkel.

„The obvious conclusion is that contrary to the belief of most international agencies, a strong civil society does not automatically support peacebuilding and democratization” (Paffenholz/ Spurk 2006: 34). Zukünftig wird es also notwendig sein, die Bedingungen, unter denen zivilgesellschaftliche Organisationen positiv oder negativ agieren, zu untersuchen. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass diese auch ein Potential für schädliche Effekte bergen.

Als Voraussetzung dafür, dass die Zivilgesellschaft und mit ihr ihre Akteure ihren Funktionen nachgehen können, müssen die NGOs mit den Ambivalenzen - zum Beispiel bezüglich ihrer Finanzierung, ihres Verhältnisses zu anderen NGOs, zum Staat, ihrer Öffentlichkeitsarbeit - die ihre Praxis bestimmen, umgehen können (vgl. Gebauer 2001: 118).

2.4 Zivilgesellschaft und Staat

Wie Gebauer feststellt, wird das Verhältnis zwischen Staaten und NGOs einer Neudefinierung unterzogen; ehemals klare Trennlinien zwischen den beiden Sphären verschwimmen (vgl. Gebauer 2001: 115). Die Sphäre Zivilgesellschaft kann also nicht komplett unabhängig von der Sphäre Staat betrachtet werden, da die Zivilgesellschaft in einen gesellschaftlichen und gleichzeitig in einen staatlichen Kontext eingebunden ist. Sie befindet sich zwar jenseits des Staates, aber nicht jenseits des Politischen, insofern das Politische das Öffentliche bezeichnet (vgl. Carothers 1999-2000: 26f.; Pollack 2004: 27). „Nothing cripples civil society development like a weak, lethargic state” (Carothers 1999-2000: 26); ein stabiler, funktionsfähiger Staat wird somit von der Zivilgesellschaft gebraucht. „Auch wenn die Zivilgesellschaft nicht grundsätzlich progressiv und gewaltlos sein mag, so können doch nicht-staatliche Akteure eine nützliche Rolle bei der Konfliktlösung und dem Demokratieaufbau spielen und, umgekehrt, bedarf eine starke und pulsierende Zivilgesellschaft eines funktionierenden, friedlichen und demokratischen Staates“ (Dudouet 2008: 25).

Der Staat stellt eine Sozialbeziehung dar, die durch eine geregelte und rechtmäßig anerkannte Möglichkeit der Einflussnahme der Herrschenden auf die Beherrschten gekennzeichnet ist; demgegenüber üben zivilgesellschaftliche Akteure keine politische Macht aus (vgl. Pollack 2004: 27). Da die Gestalt der Zivilgesellschaft jedoch auch von den Strukturen der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise (wie Privateigentum an Produktionsmitteln, Markt, Lohnarbeit usw.) geprägt ist, ist sie somit kein herrschaftsfreier Raum, sondern wird durchzogen von politischen wie ökonomischen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen (vgl. Hirsch 2001: 19).

Des Weiteren ist die Herstellung von kollektiv verbindlichen Entscheidungen und ihre gesellschaftliche Durchsetzung eine Grundfunktion des politischen Systems; zivilgesellschaftliche Organisationen, Gemeinschaften und Gruppen versuchen hingegen weder für die gesamte Gesellschaft verbindliche Entscheidungen zu treffen, noch ihre Implementation zu erzwingen und sind somit frei von staatlicher Macht (vgl. Pollack 2004: 27). Obwohl sie keine politische Macht ausüben können, können sie Einfluss nehmen, welchen sie aber nur innerhalb des Staates geltend machen können; trotz Unterscheidungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft sind die Übergänge fließend (vgl. Pollack 2004: 27). „In den öffentlichen Diskussions- und Auseinandersetzungsprozessen wird staatliche Herrschaft legitimiert und Hegemonie erzeugt (‚Konsens‘) und zugleich sind diese immer auch Gegenstand staatlicher Eingriffe (‚Zwang‘)“ (Hirsch 2001: 19). Während die Zivilgesellschaft also ihre Kommunikationsfunktion wahrnimmt und als „politisch-ideologischer Kampfplatz“ zu verstehen ist, bilden „Staat und Gesellschaft […] somit einen ebenso komplexen wie widersprüchlichen Herrschaftszusammenhang, einen auf Zwang und Konsens gestützten ‚hegemonialen Block‘“, welches die Annahme zulässt, dass „Zivilgesellschaft als ein Teil des ‚erweiterten Staates‘ betrachtet werden“ (Hirsch 2001: 19f.) kann.

Will man das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft und die Qualität und Beschaffenheit dieser Beziehung analysieren[19], ist es nötig, Aspekte zu berücksichtigen, die sich damit beschäftigen, inwiefern zivilgesellschaftliche Akteure unter der Kontrolle und Aufsicht des Staates liegen und von ihm Unterstützung erhalten und wie sich diese Beziehung gestaltet. Die Art der Beziehung kann sich in etwa durch einen Dialog und eine Kooperation auszeichnen; es muss untersucht werden, wie diese ausgestaltet und verbreitet sind, ob sie positiv oder negativ ausgeprägt sind (vgl. Reimer 2006: 70). Das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft ist kein Nullsummenspiel, zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen können von ihm und seinen Strukturen profitieren, sich an diese anlagern und finanziell unterstützt werden (vgl. Pollack 2004: 34f.).

Die Rahmenbedingungen für NGOs nennt Zimmer regulatory environment und meint damit die spezifische Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteure in wirtschaftliche und vor allem staatliche Strukturen. Des Weiteren zählt sie steuerlich-rechtliche Anreizpunkte, Restriktionen, sowie Rechts- und Organisationsformen dazu. Die Einbindung in staatliche Strukturen basiert hauptsächlich auf im Laufe der Geschichte entstandene gesellschaftspolitische Aufgabenfeldbestimmung der zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die durch Leitmotive ausgedrückt werden (vgl. Zimmer 2003: 77).

Laut Hirsch gilt prinzipiell, dass NGOs in demokratischen Prozessen eine umso größere Rolle spielen können, „je mehr sie ihre materielle und politische Autonomie gegenüber Staaten, internationalen Organisationen und Unternehmen bewahren“ (Hirsch 2001: 39). Dies sei keineswegs einfach, da es voraussetzt, dass die NGOs von staatlicher Unterstützung unabhängig bleiben und gleichzeitig aber „bei der Beschaffung privater (Spenden-) Mittel ihre Abhängigkeit von der Medienindustrie zumindest beschränken“ (Hirsch 2001: 39) müssen.

Wenn zivilgesellschaftliche Akteure durch die öffentliche Hand finanziert werden, kann dies zu Schwierigkeiten führen. Wenn die Finanzierung stark verrechtlicht ist, kann das einen negativen Aspekt bezüglich der Beziehung Zivilgesellschaftlicher Akteur - Staat haben, da es zu einer Verringerung der Flexibilität, festgefahrenen Strukturen, starrer Bürokratie, zu Autonomieverlust und Einschränkung der Handlungsfähigkeit kommen kann. Inwieweit eine finanzielle Unterstützung durch den Staat besteht, lässt sich an der Bandbreite von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die öffentliche Förderungen beziehen und an den Anteilen der staatlichen Förderung an den Gesamteinnahmen der jeweiligen Organisationen, bestimmen (vgl. Reimer 2006: 72).

In Deutschland beispielsweise genießen zivilgesellschaftliche Organisationen eine große staatliche finanzielle Unterstützung: „Die Finanzierung der Organisationen des so genannten Dritten Sektors erfolgt in Deutschland zu knapp zwei Dritteln aus dem Staatshaushalt“ (Deutscher Bundestag 2002: 31, zitiert durch Pollack 2004: 35). „Ohne die staatliche Unterstützung würde die in den Verbänden und Vereinen geleistete Arbeit zusammen brechen“ (Pollack 2004: 35). Der Dritte Sektor in Israel erhält bei weitem keine so große staatliche Unterstützung[20], obwohl die zivilgesellschaftlichen Akteure gerade dort, in einer gespaltenen, von Konflikten überschatteten Gesellschaft, diese nötig hätten, um ihre Arbeit in der Stärkung der Zivilgesellschaft möglicherweise effektiver leisten zu können.

Als Voraussetzung, dass die Zivilgesellschaft und mit ihr ihre Akteure ihren Funktionen nachgehen können, müssen die NGOs mit den Ambivalenzen - zum Beispiel bezüglich ihrer Finanzierung, ihres Verhältnisses zu anderen NGOs, ihrer Öffentlichkeitsarbeit - die ihre Praxis bestimmen, umgehen können (vgl. Gebauer 2001: 118).

2.5 Zivilgesellschaft und externe Förderung

Die Interaktion der israelischen Zivilgesellschaft mit externen Förderorganisationen ist eine weitere Untersuchungsebene; in diesem Abschnitt wird zunächst allgemein darauf eingegangen. Sie wurde gewählt, da die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Israel mit ausländischen Geberorganisationen kooperieren und hauptsächlich auf deren finanzielle Unterstützung angewiesen sind (vgl. Gidron et al. 1999: 284). Dies deutet auf ein weiteres Problemfeld hin, was eine genauere Untersuchung der Beziehung Zivilgesellschaft und externe Geberorganisation rechtfertigt.

Einige Ziele externer Demokratieförderung sind beispielsweise eine steigende politische Partizipation, die Nutzung politischer Freiheit, Beachtung der Menschenrechte und ein politischer Wettbewerb, der als gerecht bezeichnet werden kann. Externe Demokratieförderer verfolgen ihre Ziele unterschiedlich stark, sie sind abhängig von politischen Überzeugungen, Präferenzen sowie dem spezifischen Mandat der Träger (vgl. Mair 1997: 33f.).

Bei einer externen Unterstützung sollten bereits existierende Möglichkeiten ausgebaut und gestärkt werden, da sich eine Entwicklung und Veränderung nicht nur „von oben“, also von der Regierungsebene aus, verordnen lässt. Die Partizipation der Bürger und die Stärkung der Zivilgesellschaft spielen eine entscheidende Rolle in der Stabilisierung und Durchsetzung demokratischer Strukturen und Werte.

Nachdem Ende des Kalten Krieges und der steigenden Anzahl von NGOs, die meistens die Adressaten externer Unterstützung sind, ist auch ein Anstieg externer Förderorganisationen erkennbar (vgl. Edwards/ Hulme 1996: 961). „NGOs are viewed by many official agencies and members of the public as more efficient and cost-effective service providers than governments, giving better value-for-money, especially in reaching poor people” (Edwards/ Hulme 1996: 961). NGOs wird neben der Erfüllung der Dienstleistungsfunktion außerdem eine große Rolle in der Stärkung der Zivilgesellschaft, im Prozess der Demokratieförderung und der Stabilisierung von Demokratie zugewiesen. „They are seen as an integral component of a thriving civil society and an essential counterweight to state power, opening up channels of communication and participation, providing training grounds for activists, and promoting pluralism” (Edwards/ Hulme 1996: 962). Wie im Kapitel 2.3.3 bereits erwähnt, dürfen die Fähigkeiten und Aufgaben des Staates durch die Übernahme vieler Funktionen durch die zivilgesellschaftlichen Akteure jedoch nicht untergraben werden.

Die Landschaft der Träger internationaler und externer Demokratieförderung ist sehr heterogen: von staatlichen Institutionen[21] über multilaterale staatliche Träger[22] bis zu Mischformen[23] von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen auf nationaler wie internationaler Ebene[24] sowie rein nichtstaatliche Träger[25] (vgl. Mair 1997: 30-32).

Mair (1997: 33) weist darauf hin, dass die Trägerpluralität einerseits Vorteile mit sich bringt, andererseits jedoch erkennen lässt, dass zum Beispiel staatliche Träger eher beim Aufbau demokratischer Institutionen helfen und nichtstaatliche zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen. Staatliche Institutionen weisen gegenüber nichtstaatlichen Vorzüge auf, wie zum Beispiel die Verfügung über größere finanzielle Mittel, das Zurückgreifen auf eigene Erfahrung bei der Führung staatlicher Institutionen, dem Ausüben von Druck auf andere Regierungen. Nachteile sind unter anderem, dass sie in den Verdacht der Eimischung in innere Angelegenheiten des Ziellandes geraten (vor allem bei der Unterstützung regierungskritischer Gruppen). Im Gegenzug dazu weisen hier nichtstaatliche Träger den folgenden Vorteil auf: Sie sind dazu geeignet, zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen und sie können flexibler auf veränderte politische Entwicklungen reagieren. Allerdings fehlt ihnen oft das notwendige politische und finanzielle Potential, um staatliche Institutionen zu reformieren (vgl. Mair 1997: 33).

Die Instrumente zur Demokratieförderung variieren je nach unterstütztem Adressaten und Bereich. Zum einen kann auf struktureller Ebene durch den Aufbau von staatlichen Strukturen und rechtsstaatlichen Institutionen externe Unterstützung stattfinden. Diese tragen wiederum zur Sicherung des Entfaltungsraumes für zivilgesellschaftliche Akteure bei. Zum anderen stellen die Träger akteurszentrierte Strategien zur Verfügung, die aus Beratung und Unterstützung von Gewerkschaften und anderen Vereinigungen bestehen (vgl. Dauderstädt/ Lerch 2005: 10).

Allerdings gibt es auch kritische Anmerkungen in Bezug auf externe Demokratieförderung. Die Vielzahl staatlicher und meist öffentlich geförderter nichtstaatlicher Träger wird oft kritisiert und zum Anlass genommen, mehr Koordination der Strategien zu verlangen. Dem ist entgegenzusetzen, dass hierbei aber auch ein Vorteil entsteht: Die Konkurrenz verschiedener Konzepte und ein vielseitiges Angebot mindern das Risiko einer Übertragung uniformer Modelle per Demokratisierungshilfe (vgl. Mair 1997: 32f.). Es stellt sich die Frage, wie die Demokratieförderung ausgerichtet sein sollte: angebots- oder nachfrageorientiert? Die Geber besitzen meist eine hohe Kenntnis über die Situation sowie die Bedürfnisse in dem Land, wo sich die Empfängerorganisation befindet und gestalten dementsprechend ihre Programme und Anforderungen. Aber auch die Mittelempfänger passen sich Situationen an, indem sie ihre Anträge an die Förderpräferenzen angleichen und auch aktuelle Themenschwerpunkte in der internationalen Debatte zu berücksichtigen versuchen, um so die Chancen für die Bewilligung zu erhöhen (vgl. Edwards/ Hulme 1996: 966; Mair 1997: 35). Edwards/ Hulme (1996: 964) erwähnen ebenfalls die hohen Anforderungen, die die Förderorganisationen stellen. Diese können unter Umständen zu einer erhöhten Bürokratie führen und die Empfängerorganisationen in ihrer Flexibilität und Innovationsfähigkeit einschränken. Des Weiteren ist es möglich, dass die NGOs ihren Status von Partnern zu Auftragnehmern (from partners to contractors) wechseln und die Agenda der Förderorganisation in der Gemeinschaft durchzusetzen versuchen (vgl. Edwards/ Hulme 1996: 966f.).

Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass in Konfliktzeiten CSOs oft von großzügigerer ausländischer Hilfe profitieren und die ausländischen Geber ihre Förderpolitik in Nachkriegssituationen ändern und beginnen, direkt mit den demokratischen Regierungen zusammen zu arbeiten oder sie sich sogar von dem Schauplatz zurückziehen und ihr Augenmerk auf andere Konfliktzonen lenken (vgl. Dudouet 2008: 27). Daraus folgt dann wiederum, dass die Finanzierungskapazitäten geringer werden und der Staat eingreifen muss, was dann aber zu einer Instrumentalisierung oder Kooptation der NGOs durch das politische Establishment führen kann. Diejenigen, die auch weiterhin auf ausländische Förderung angewiesen sind, verpflichten sich zu einer Anpassung an strengere Auflagen und neue Prioritäten der Geber, indem sie kurzfristige Projekte durchführen, um schneller messbare Ergebnisse zu liefern; diese auferlegten Agenden werden ausgeübt auf Kosten der lokalen Bedürfnisse und Prioritäten (vgl. Dudouet 2008: 27). Friedenswissenschaftler kritisieren diesen entmachtenden Effekt internationaler Einmischung, der die lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen betrifft und zu einem Verlust der Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit sowie zu einer Verlagerung des zivilen Engagements an der Basis hin zu einer „Kommerzialisierung der Friedensarbeit“ (Paffenholz/ Spurk 2006; vgl. auch Fischer 2006) führt. In der heutigen Zeit ist die wichtigste Herausforderung für die CSOs, die sich in eine zunehmende Abhängigkeit von ausländischer Hilfe begeben, im Folgenden zu erkennen: Die Mitarbeit an der Konsolidierung demokratischer, effizienter staatlicher Strukturen und parallel dazu die starke Bindung an die Basis und die unbeugsame Haltung gegenüber privater und staatlicher Sphäre muss gewahrt bleiben (vgl. Dudouet 2008: 27).

Es müssen also auch kritische Anmerkungen zur externen (Demokratie-)förderung berücksichtigt werden. Für viele Organisationen bietet sie erst die Möglichkeit zur Aufnahme und Erweiterung der Aktivitäten, die Gefahren für die NGOs sowie daraus folgend für den Staat, sollten aber nicht vergessen werden.

[...]


[1] Zur Defintion Abschnitt 2.3.2.

[2] Vgl. dazu Abschnitt 2.3.3.

[3] Zur Abgrenzung der Begriffe, Friedensbildung (peacebuilding), Friedenswahrung (peacekeeping) und Friedensschaffung (peacemaking) siehe Abschnitt 2.1.

[4] Es wurden NGOs ausgewählt, deren Hauptzielgruppe Jugendliche darstellen, da die Autorin der vorliegenden Arbeit diese für die peacebuilding Arbeit als sehr wichtig erachtet. „Around the world young people are victims of cultural, direct, and structural violence and become carriers oft hat violence or perpetration. […] many youth are peaceful and peace-builders.[…] they decide to act constructively towards building a culture of peace. Youth are underestimated as positive agents of change and key actors in peace-building […] their unique power and potential to affect social change […].” (Del Felice/ Wisler 2007: 2).

[5] Im Zuge der Internetrecherchen wurden einige Organisationen entdeckt, die starke Verbindungen zu Parteien vorwiesen.

[6] Vgl. dazu Kapitel 2.2 Modell der Friedensbildung nach Lederach (1997).

[7] Israel besitzt eine parlamentarische Demokratie. Besonderheit ist, dass Israel keine Verfassung und kein Verfassungsgericht sondern eine Kammer besitzt. In der Unabhängigkeitserklärung von 1948 wurde Israel als ein jüdischer Staat ausgerufen, in der die Gleichberechtigung für alle ethnischen Gruppen eine integrale Komponente darstellte und seitdem in den Grundrechten verankert ist. In der Gesellschaft, aber vor allem nach dem Ausbruch der zweiten Intifada fand dieses Prinzip keine Anerkennung und wurde unterbewertet. Der fortbestehende Ausschluss von Minderheiten aus der nationalen Gesellschaft entsprach und entspricht demnach nicht dem Gründungsgedanken der israelischen Demokratie (vgl. Timm 2003b: 101).

[8] Einen guten Überblick über die weltweite Entwicklung von Konflikten Anfang der 90er Jahre geben auch Wallensteen, Peter; Axell, Karin (1993).

[9] Es herrscht (weitestgehend) Einigkeit darüber, dass eine Monopolisierung der Gewalt zu den Grundsteinen einer legitimierten staatlichen Ordnung gehört.

[10] Grassroot-Ebene (Basisebene/ Graswurzel-Führerschaft) bezeichnet die Mitglieder der lokalen Ebene.

[11] Drei Kategorien kennzeichnen den Track zwei: problem-solving workshops, conflict resolution training und die Entwicklung von peace commissions. Problem-solving workshops haben zum Ziel, das Konfliktverständnis der Beteiligten zu erweitern und die gegenseitige Wahrnehmung zu vergleichen. Diese Treffen werden meist von einer „dritten Partei“ organisiert. Das conflict resolution training soll Techniken und Konzepte zur konstruktiven Konfliktbearbeitung vermitteln; Kenntnisse über Konflikte und ihre Dynamik sollen erlernt werden. Peace commissions, deren Mitglieder oft aus Vertretern der Konfliktparteien bestehen, haben zur Aufgabe, Vereinbarungen, die auf der obersten Ebene getroffen wurden, zu überwachen (vgl. Lederach 1997: 51; Paffenholz/ Spurk 2006: 22). Diese Ansätze können neben Dialog-, Versöhnungsprojekten, sowie Traumaheilung, auch auf die Grassroot-Ebene angewandt werden (vgl. Paffenholz/ Spurk 2006: 22).

[12] Auch in Anlehnung an die Gesellschaftsvertragstheorien Rousseaus und Kants.

[13] Priller/ Zimmer (2000) differenzieren die Termini Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft und Dritter Sektor. Sie weisen auf Schnittmengen hin und stellen fest, dass der Dritte Sektor das Potential hat, als zivilgesellschaftliche Infrastruktur zu dienen. Die Analysen von Anheiher/ Priller setzen hier an und erklären die Verbindung beider Ansätze als erforderlich: „Während der Dritte-Sektor-Ansatz prädestiniert ist, das Empiriedefizit der zivilgesellschaftlichen Debatte auszugleichen, kann der zivilgesellschaftliche Diskurs dazu beitragen, die Dritte-Sektor-Forschung stärker als bisher in den Mainstream der sozialwissenschaftlichen Debatte zu integrieren.“ (Anheier/ Priller et al. 2000: 77). In dieser Arbeit wird nicht zwischen den verschiedenen Ansätzen unterschieden. Die Organisationen des Dritten Sektors werden als Teil der Zivilgesellschaft und somit als zivilgesellschaftliche Akteure behandelt.

[14] Vgl. dazu Croissant/ Lauth et al. (2000: 16); Lauth/ Merkel (1997: 16); White (2004: 11); Paffenholz/ Spurk (2006: 2).

[15] Kritische Anmerkung: Die familiäre Sphäre, wie sie bei dem Modell von Paffenholz/ Spurk (Abbildung 2) zu sehen ist, bleibt bei Howard unberücksichtigt.

[16] Vgl. dazu Dahrendorf (1991: 262); Taylor (1991: 52); Habermas (1992: 443f.); Croissant/ Lauth et al. (2000: 16f.); Pollack (2003: 27).

[17] In dieser Arbeit wird lediglich ein Teil der Dritten Sektors abgebildet. Zur generellen Problematik, ob der Dritte Sektor und Zivilgesellschaft gleich gesetzt werden kann, muss eine eigenständige Untersuchung erfolgen.

[18] Anheiher/ Priller sehen die strikte Trennung zwischen Zivilgesellschaft und Drittem Sektor kritisch und sehen die Verbindung beider Ansätze als erforderlich: „Während der Dritte-Sektor-Ansatz prädestiniert ist, das Empiriedefizit der zivilgesellschaftlichen Debatte auszugleichen, kann der zivilgesellschaftliche Diskurs dazu beitragen, die Dritte-Sektor-Forschung stärker als bisher in den Mainstream der sozialwissenschaftlichen Debatte zu integrieren.“ (Anheier/ Priller et al. 2000: 77). In der vorliegenden Arbeit wird nicht zwischen den verschiedenen Ansätzen unterschieden. Die Organisationen des Dritten Sektors werden als Teil der Zivilgesellschaft und demnach als zivilgesellschaftliche Akteure behandelt.

[19] Vgl. dazu Kapitel 4.2.

[20] Vgl. dazu Kapitel 3.2.

[21] Bsp. Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), United States - Agency for International Development (USAID) (vgl. Mair 1997: 30).

[22] Bsp. Europäische Union (EU), United Nation Development Programme (UNDP) (vgl. Mair 1997: 30).

[23] Stiftungen beispielsweise sind unabhängig von Einflussnahmen durch die jeweilige Regierung, jedoch auch ziemlich abhängig von den Parteien, denen sie im Einzelnen nahe stehen. Diese Abhängigkeit ermöglicht es den Parteien, ihre Stiftungen als Instrumente eigener außenpolitischer Interessen zu nutzen (vgl. Mair 2000: 130ff.).

[24] Bsp. Parteinahe Stiftungen - deutsche politische Stiftungen, US-amerikanische Eurasia Foundation, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) (vgl. Mair 1997: 31f.).

[25] Bsp. Amnesty International, Human Rights Watch (vgl. Mair 1997:32).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836649346
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Politikwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,7
Schlagworte
staat geberorganisation zivilgesellschaft
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Titel: Zivile Konfliktbearbeitung in Israel
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