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Persönliche Assistenz

Entwicklung einer Handreichung zur Profilierung dieser Dienstleistung

©2009 Diplomarbeit 306 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die nachfolgende Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Konzept der Persönlichen Assistenz in Deutschland. Persönliche Assistenz wird im Kontext der vorliegenden Arbeit als Dienstleistung definiert, die Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion ermöglichen soll. Kern dieser Arbeit ist es eine Handreichung zu entwickeln, die diese Dienstleistung profilieren soll. Profilierung bedeutet in diesem Zusammenhang für die Autorin das Konzept der Persönlichen Assistenz exakt, markant und fundiert herauszustellen. Die methodische Herangehensweise ist geprägt durch eine intensive Auseinandersetzung mit einschlägiger Fachliteratur, themenspezifischen Internetseiten und einem anschließenden Abgleich der Arbeit mit ausgewählten Experten. Aus diesem Zusammenhang heraus kann die Handreichung als theoretisches Kompendium mit praktischem Bezug für die Praxis gesehen werden.
Die Autorin kann feststellen, dass Persönliche Assistenz bisher von der Literatur noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurde. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Dienstleistung leisten und eine Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Konzeptes der Persönlichen Assistenz erreichen.
Schlüsselbegriffe der vorliegenden Arbeit:
Persönliche Assistenz, Menschen mit Behinderung, Handreichung, Selbstbestimmung, Inklusion.
Mit der UN-Konvention zum Schutz der Rechte Behinderter (Behindertenrechtskonvention) wurde ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung, Inklusion, Teilhabe, Empowerment, Chancengleichheit und Barrierefreiheit für die Menschen mit Behinderung erreicht. Der Leitspruch ‘Nichts über uns – ohne uns!’ spiegelt sich in den Bestimmungen der UN-Konvention und der interdisziplinären Wissenschaftsform Disability Studies wieder. Menschen mit Behinderung sollen nicht weiter als Objekte betrachtet werden und unter der Fürsorge professioneller Helfer stehen. Schlagworte im Kontext des gesellschaftsorientierten Paradigmas (in Abgrenzung zum medizinischen und pädagogischen Paradigma) sind Inklusion, Subjekt- und Rechtsorientierung. Dieser Paradigmenwechsel im Bereich der Behindertenhilfe und -politik bildet den Ansatzpunkt für neue Versorgungsstrukturen und -konzepte. Die vorliegenden statistischen Daten veranschaulichen ebenfalls einen Bedarf an neuen Konzepten und Dienstleistungen. Ende 2007 waren 6,9 Mio. Menschen in Deutschland schwerbehindert. Diese Zahl verdeutlicht einen historischen Höchstpunkt, seit der ersten Erhebung des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Conny Müller
Persönliche Assistenz
Entwicklung einer Handreichung zur Profilierung dieser Dienstleistung
ISBN: 978-3-8366-4608-6
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Fachhochschule Erfurt, Erfurt, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Diplomarbeit
1. Buch
Abkürzungsverzeichnis
A
Abbildungsverzeichnis
B
Tabellenverzeichnis
C
Inhaltsverzeichnis
1.
EINLEITUNG
1.1
Abstract
1
1.2
Die Relevanz der Arbeit
2
1.3
Ziel- und Fragestellung der Arbeit
3
1.4
Methodik zur Erstellung der Arbeit
4
1.5
Aufbau der Arbeit
5
2.
RELEVANTE DEFINITIONEN DER PERSÖNLICHEN ASSISTENZ
2.1
Persönliche Assistenz
8
2.2
Selbstbestimmung und Teilhabe
10
2.3
Dienstleistung
12
3.
STATISTISCHE DATENAUSWERTUNG VON MENSCHEN MIT
BEHINDERUNG IN DEUTSCHLAND UND THÜRINGEN
3.1
Schwerbehinderte Menschen in Deutschland (1993 ­ 2007)
15
3.2
Der Zusammenhang zwischen Männer und Frauen (1993-2007)
18
3.3
Vergleich der schwerbehinderten Menschen in Deutschland und
Thüringen nach Altersgruppen (2007)
20
3.4
Vergleich der schwerbehinderten Menschen in Deutschland und in
Thüringen nach dem Grad der Behinderung (GdB) 2007
22
3.5
Vergleich der Behinderungsursachen in Deutschland und in
Thüringen (2007)
24
3.6
Vergleich Behinderungsarten in Deutschland und Thüringen (2007)
25
3.7
Inanspruchnahme von Persönlicher Assistenz in Deutschland
27
3.8
Zusammenfassung der statistischen Daten für Deutschland und
Thüringen
28
4.
Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze, die Benachteiligungen von
Menschen mit Behinderung verhindern oder beseitigen, Teilhabe
gewährleisten und eine selbstbestimmte Lebensführung
ermöglichen
29
4.1
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung
(Behindertenrechtskonvention BRK)
30
4.2
Die vier Richtlinien der Europäischen Union (EU-Richtlinien)
31
4.3
Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland
32
4.4
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
33
4.5
Das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) ­
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
35
4.6
Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen /
Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
36
4.7
Thüringer Gesetz zur Gleichstellung und Verbesserung der

Integration von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG)
38
5.
Persönliche Assistenz unter anderen Gesichtspunkten
5.1
Persönlichen Assistenz aus der ökonomischen Sicht
39
5.2
Persönliche Assistenz aus Sicht der Profession Soziale Arbeit zur
Förderung und Implementierung des Konzeptes der Persönlichen
Assistenz in Deutschland
41
6.
Methodik zur Erstellung der Handreichung
6.1 Darstellung des Arbeitsprozesses
44
6.2 Aufbau und thematische Aspekte der Handreichung
49
6.3 Ziel und angesprochener Personenkreis der Handreichung
49
7.
Kritische Auseinandersetzung und Überprüfung der
Praxisrelevanz mit Hilfe von Expertengesprächen
7.1
Ziel und Methodik der kritischen Auseinandersetzung
und Überprüfung
50
7.2
Interviewleitfaden zu den Gesprächen
53
8.
Die Handreichung
8.1
Einleitung
57
8.2
Definitionen im Kontext der Persönlichen Assistenz
58
8.2.1 Behinderung
58
8.2.2 Pflegebedürftigkeit
61
8.2.3 Teilhabe
66
8.2.4 Paradigmenwechsel
67
8.2.5 Inklusion statt Integration
68
8.2.6 Peer Counseling
69
8.2.7 Vom Betreuer zum Begleiter oder von Unterstützung zur
Assistenz
69
8.2.8
Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung
71
8.2.9
Empowerment
71
8.2.10 Disability Studies
72
8.3
Persönliche Assistenz
8.3.1 Geschichte und Entwicklung der Persönlichen Assistenz
in Deutschland
73
8.3.2 Definition der Persönlichen Assistenz
75
8.3.3 Kompetenzen der Persönlichen Assistenz
76
8.3.4 Personenkreis der Persönlichen Assistenz.
77
8.3.5 Qualitätssicherung der Persönlichen Assistenz
78
8.4
Organisationsformen der Persönlichen Assistenz
8.4.1 Übersicht über Organisationsformen
79
8.4.2
Grundverständnis zur Inanspruchnahme der verschiedenen
Organisationsformen
80
8.4.3
Das Arbeitgebermodell.
81
8.4.4
Die Assistenzgenossenschaft
85

8.4.5 Einschränkung der Ausübung der vier Kompetenzen des
Assistenznehmers
88
8.5
Rechte und Pflichten der Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
8.5.1
Grundverständnis zu den Rechten und Pflichten des
Assistenznehmers
91
8.5.2
Anmeldung des ,,Betriebs"
92
8.5.3
Der Arbeitsvertrag
92
8.5.4
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
95
8.5.5
Verwaltung des ,,Betriebes"
96
8.6
Leistungen der Persönlichen Assistenz
104
8.6.1
Assistenz im Bereich der Behandlungs- und Grundpflege
104
8.6.2
Arbeitsassistenz
105
8.6.3
Assistenz in der Ausbildung / Schule / Studium
107
8.6.4
Assistenz im Haushalt
108
8.6.5
Assistenz zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft /
Freizeitassistenz
108
8.6.6
Assistenz im Krankenhaus
108
8.6.7
Elternassistenz / Assistenz für behinderte Eltern
109
8.7
Finanzierungsmöglichkeiten der Persönlichen Assistenz
8.7.1 Grundverständnis zur Finanzierung der Persönlichen
Assistenz
110
8.7.2
Finanzierung der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung 112
8.7.3
Finanzierung der Behandlungspflege
118
8.7.4
Finanzierung der Arbeitsassistenz
119
8.7.5
Finanzierung der Assistenz in der Ausbildung / Schule / Studium
122
8.7.6
Assistenz zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft /
Freizeitassistenz
124
8.7.7
Assistenz im Krankenhaus
127
8.7.8
Elternassistenz / Assistenz für behinderte Eltern
127
8.7.9
Das (trägerübergreifende) Persönliches Budget
als neue Finanzierungsmöglichkeit für Persönliche Assistenz
131
8.8
Bundesweite Beratungsstellen und Ansprechpartner zur
Persönlichen Assistenz
137
9.
Diskussion und Ausblick (Fazit)
9.1
Stärken und Schwächen der Handreichung
144
9.2
Grenzen der Persönlichen Assistenz
145
9.3
Die Hinterfragung der verwendeten Quellen
146
9.4
Offene Forschungsfragen
147
9.5
Conclusio / Beantwortung der Forschungsfragen
147
Quellenverzeichnis
148
Eidesstattliche Erklärung
179
Anhang (I ­ V)
siehe Buch 2


A
Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
Abs.
Absatz
AOK
Allgemeine Ortskrankenkasse
Arbzg
Arbeitszeitschutzgesetz
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BAT
Bundes Angestellten Tarif
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BKV
Berufskrankheiten ­Verordnung
Burlg
Bundesurlaubsgesetzes
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
Dar.
Darstellung
e.V.
eingetragener Verein
Ebd.
(Ebenda) wie vorgenannt
engl.-amerik.
englisch-amerikanisch
et al
und andere (Personen)
etc.
(et cetera) und so weiter
evt.
eventuell
f.
folgende Seite
ff.
fortfolgende Seiten
Fr.
Frau
GdB
Grad der Behinderung
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
Hr.
Herr
Hrsg.
Herausgeber
IBRP
Individuelle Behandlungs- und Rehaplanung
ICF
International Classification of Functioning, Disability and Health;
Internationale (n) Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit
ISL
Institut für Selbstbestimmtes Leben
ITP
Individuelle Teilhabeplanung
lat.
lateinisch
max.
maximal
min
Minuten
mind.
mindestens
Mio.
Millionen

A
MuschG
Mutterschutzgesetz
Nr.
Nummer
PB
Persönliches Budget
Rdnr.
Randnummer
SchwbAV
Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabeverordnung
SchwV Schwerbehindertenverordnung
SGB
Sozialgesetzbuch
sic!
so
spätlat.
spätlateinisch
Tab.
Tabelle
TVÖD EG
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Entgeltgruppe
u.a.
unter anderem
UN
United Nations (Vereinte Nationen)
usw.
und so weiter
Vgl.
Vergleich
WHO
World Health Organization
Weltgesundheitsorganisation;
z.B.
zum Beispiel

B
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Rollenwechsel des Menschen mit Behinderung mit Hilfe Persönlicher
Assistenz
13
Abbildung 2: Rollenwechsel des (un)professionellen Helfers durch die Inanspruchnahme von
Persönlicher Assistenz
13
Abbildung 3: Vergleich der Entwicklung in Deutschland und Thüringen von 1993­2007
16
Abbildung 4: Das Bestimmtheitsmaß R² für Deutschland (1993-2007)
19
Abbildung 5: Das Bestimmtheitsmaß R² für Thüringen (1993-2007)
19
Abbildung 6: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach Altersgruppen (2007)
20
Abbildung 7: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach Altersgruppen (2007)
21
Abbildung 8: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach dem Grad der Behinderung
(GdB in Prozent) 2007
23
Abbildung 9: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach dem Grad der Behinderung
(GdB in Prozent) 2007
23
Abbildung 10: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach Art der Behinderung (2007)
25
Abbildung 11: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach Art der Behinderung (2007)
26
Abbildung 12: Die Phasen einer wissenschaftlichen Arbeit
46
Abbildung 13: Wissenschaftliche Quellen nach Bindung zum Thema
47
Abbildung 14: Wissenschaftliche Quellen nach Art der Veröffentlichung
47
Abbildung 15: Interviewleitfaden zu den Expertengesprächen
55
Abbildung 16: Übersicht über Organisationsformen der Persönlichen Assistenz
79
Abbildung 17: Dreiecksverhältnis der Persönlichen Assistenz bei einer
Assistenzgenossenschaft
86
Abbildung 18: Erfassung der Selbstständigkeit in den sechs Modulen zur Ermittlung des
Grades der Pflegebedürftigkeit
117

C
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Behinderungsursachen und absolute Zahlen für Deutschland/ Thüringen 2007
24
Tabelle 2: Legende Deutschland/Thüringen
26
Tabelle 3: Allgemeine Kriterien für ein Projekt / Kriterien in Bezug auf das Forschungsprojekt
45
Tabelle 4: Interviewpartner der Expertengesprächen
52
Tabelle 5: Übersicht über anerkannte Verrichtungen und deren Inhalt
62
Tabelle 6: Pflegestufen mit Häufigkeit des Hilfebedarfs und dessen Zeitaufwand
64
Tabelle 7: Zusammenfassung Pflegebedürftigkeit nach SGB XI
65
Tabelle 8: Medizinisches und Soziales Modell von Behinderung
72
Tabelle 9: Methoden der Einarbeitung der Persönlichen Assistenten
83
Tabelle 10: Stellung der Pflegeversicherung zu anderen Leistungsgesetzen
112
Tabelle 11: Leistungen der häuslichen Pflege
113
Tabelle 12: Zusätzliche Leistungen der häuslichen Pflege
115
Tabelle 13: Arbeitgeber- und selbstorganisierte Arbeitsassistenz
119
Tabelle 14: Leistungen des Integrationsamtes zur Arbeitsassistenz
120
Tabelle 15: Finanzierungsmöglichkeit zur Assistenz in Ausbildung/ Schule/ Studium
123
Tabelle 16: Ausführungsgesetze nach SGB IX und Finanzierungsmöglichkeit nach SGB XII
zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft /Freizeitassistenz
125
Tabelle 17: Finanzierungsmöglichkeit zur Assistenz im Krankenhaus
127
Tabelle 18: Finanzierungsmöglichkeit zur Elternassistenz
128
Tabelle 19: Das Persönliche Budget von A bis Z
132

Einleitung
Seite 1 von 180
1
Einleitung
1. 1
Abstract
Die nachfolgende Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Konzept der Persönlichen
Assistenz in Deutschland. Persönliche Assistenz wird im Kontext der vorliegenden
Arbeit als Dienstleistung definiert, die Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion
ermöglichen soll. Kern dieser Arbeit ist es eine Handreichung zu entwickeln, die
diese
Dienstleistung
profilieren
soll.
Profilierung
bedeutet
in
diesem
Zusammenhang für die Autorin das Konzept der Persönlichen Assistenz exakt,
markant und fundiert herauszustellen. Die methodische Herangehensweise ist
geprägt durch eine intensive Auseinandersetzung mit einschlägiger Fachliteratur,
themenspezifischen Internetseiten und einem anschließenden Abgleich der Arbeit
mit ausgewählten Experten. Aus diesem Zusammenhang heraus kann die
Handreichung als theoretisches Kompendium mit praktischem Bezug für die
Praxis gesehen werden.
Die Autorin kann feststellen, dass Persönliche Assistenz bisher von der Literatur
noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurde. Die vorliegende Arbeit möchte einen
Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Dienstleistung leisten und eine Erhöhung des
Bekanntheitsgrades des Konzeptes der Persönlichen Assistenz erreichen.
Schlüsselbegriffe der vorliegenden Arbeit:
Persönliche
Assistenz,
Menschen
mit
Behinderung,
Handreichung,
Selbstbestimmung, Inklusion.

Einleitung
Seite 2 von 180
1.2
Die Relevanz der Arbeit
Mit
der
UN-Konvention
zum
Schutz
der
Rechte
Behinderter
(Behindertenrechtskonvention)
wurde
ein
großer
Schritt
in
Richtung
Selbstbestimmung, Inklusion, Teilhabe, Empowerment, Chancengleichheit und
Barrierefreiheit
1
für die Menschen mit Behinderung erreicht. Der Leitspruch
,,Nichts über uns ­ ohne uns!"
2
spiegelt sich in den Bestimmungen der UN-
Konvention und der interdisziplinären Wissenschaftsform Disability Studies wieder.
Menschen mit Behinderung sollen nicht weiter als Objekte betrachtet werden und
unter der Fürsorge professioneller Helfer stehen. Schlagworte im Kontext des
gesellschaftsorientierten Paradigmas (in Abgrenzung zum medizinischen und
pädagogischen Paradigma) sind Inklusion, Subjekt- und Rechtsorientierung.
3
Dieser Paradigmenwechsel im Bereich der Behindertenhilfe und -politik bildet den
Ansatzpunkt für neue Versorgungsstrukturen und -konzepte. Die vorliegenden
statistischen Daten veranschaulichen ebenfalls einen Bedarf an neuen Konzepten
und Dienstleistungen. Ende 2007 waren 6,9 Mio. Menschen in Deutschland
schwerbehindert. Diese Zahl verdeutlicht einen historischen Höchstpunkt, seit der
ersten Erhebung des Bundesamts für Statistik im Jahr 1993. Die ansteigende Zahl
von Menschen mit Behinderung und die damit wachsenden Ausgaben der
öffentlichen Haushalte legen darüber hinaus einen Handlungsbedarf dar. Die
beträchtliche Zahl von Menschen mit Behinderung, der Paradigmenwechsel im
Bereich
der
Behindertenhilfe
und
-politik,
steigende
Ausgaben
der
Sozialleistungen, und die Forderung nach Selbstbestimmung, Teilhabe und
Inklusion bilden den Grundstein für neue Dienstleistungen. Persönliche Assistenz
ist eine Dienstleistung, die den Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes
Leben und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen kann. In erster
Linie soll Persönliche Assistenz ermöglichen ,,eigene Lebenswege zu gehen und
... Lebensräume selbstbestimmt gestalten zu können"
4
. Persönliche Assistenz
erhöht die Lebensqualität der Menschen mit Behinderung. Einen Anspruch auf
1
http://www.alleinklusive.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1369658/AI/Konvention/Wasistdi
UNKonvention__node.html?__nnn=true (13.05.2009).
2
http://www.alle-
inklusive.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1369658/AI/Konvention/WasistdieUNKonvention_
_node.html?__nnn=true (13.05.2009).
3
http://www.diakonie-sachsen.de/startseite/behindertentagungen/library/data/liedke-community-
care-2005-11-22__vollst_ndig_.pdf (13.05.2009).
4
Herringer 2007 in Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2007, 250.

Einleitung
Seite 3 von 180
Lebensqualität und ,,gleichberechtigte Lebenschancen in allen Lebensbereichen
..."
5
hat jeder Mensch, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung.
Persönliche Assistenz ist eine Dienstleistung, die es Menschen mit Behinderung
ermöglicht ohne Bevormundung und Diskriminierung ihren Lebensort frei zu
wählen und zu gestalten. Ziel der gesetzlichen Verankerung, ambulant vor
stationär, sollte eine Bereitstellung von Versorgungsangeboten und -strukturen für
Menschen mit Behinderung fern von stationären Formen und klassischen
ambulanten Versorgungsmöglichkeiten sein.
1.3
Ziel- und Fragestellung der Arbeit
Anhand der vorangegangenen Ausgangsituation ergeben sich verschiedene
Forschungsfragen. Diese werden im Folgenden vorgestellt und im Rahmen dieser
Arbeit diskutiert.
Was unterscheidet die Persönliche Assistenz von anderen Dienstleistungen
für Menschen mit Behinderung?
Können Menschen mit Behinderung durch die Inanspruchnahme der
Persönlichen Assistenz selbstbestimmter Leben?
Welche Rolle spielt die Soziale Arbeit für die Persönliche Assistenz?
Aus einem Forschungsprojekt an der Fachhochschule Erfurt heraus entstand eine
Handreichung zum Konzept der Persönlichen Assistenz. Diese umfasst alle
Aspekte einer Dienstleistung, die den Menschen mit Behinderung eine
selbstbestimmte Teilhabe in allen Bereichen des Lebens ermöglichen soll. Ziel der
Diplomarbeit ist ferner die kritische Auseinandersetzung dieser Handreichung.
Mittels Expertengespräche wird die Handreichung auf ihre praktische Relevanz
geprüft.
5
Steiner 2001 in MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. Band A 2001, 29.

Einleitung
Seite 4 von 180
1.4
Methodik zur Erstellung der Arbeit
Diese Arbeit bezieht sich im Kern auf die Entwicklung einer Handreichung zum
Konzept der Persönlichen Assistenz. Die Handreichung wird anschließend durch
vier gewählte Experten aus der Praxis kritisch überprüft. Die Thematik der
Persönlichen Assistenz ist in Deutschland zwar nicht neu, wird aber von der
Fachliteratur seltener aufgegriffen. Aus diesem Grund wurde zur Erstellung der
vorliegenden Arbeit auf Artikel in Sammelbänden zurückgegriffen. Fachliche
Inhalte dieser Artikel stehen im Zusammenhang mit dem Konzept der
Persönlichen Assistenz. Als zweite wichtige Informationsquelle dient das Internet
mit ausgewählten Fachseiten. Insbesondere bezieht sich die Autorin der
vorliegenden Arbeit auf folgende einschlägige und empfehlenswerte Fachliteratur
und Internetseite zur Persönlichen Assistenz.
MOBILE
­
Selbstbestimmtes
Leben
Behinderter
e.V.
(2001).
Selbstbestimmt Leben mit Persönlicher Assistenz. Ein Schulungskonzept
für AssistenznehmerInnen. Band A. Dortmund.
MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.; Zentrum für
selbstbestimmtes Leben Köln (Hrsg.) (2001). Selbstbestimmt Leben mit
Persönlicher Assistenz. Ein Schulungskonzept für Persönliche
AssistentInnen. Band B. Dortmund; Köln.
ForseA. Bundesweites, verbandsübergreifendes Forum selbstbestimmter
Assistenz behinderter Menschen e.V.. Über Assistenz selbst bestimmen ­
Assistenz, Schlüssel zur Selbstbestimmung behinderter Menschen.
http://www.forsea.de.
Verwendete Gesetzestexte der vorliegenden Arbeit können mit dem aktuellsten
Stand vom Bundesministerium der Justiz nachgelesen werden.
http://www.gesetze-im-internet.de.
In der vorliegenden Arbeit wird von ,,Menschen mit Behinderung" gesprochen.
Diese sprachliche Bezeichnung wurde von der Autorin bewusst gewählt. Mit der
Verwendung dieser Begrifflichkeit wird verdeutlicht, dass der Mensch im

Einleitung
Seite 5 von 180
Vordergrund steht und nicht seine Behinderung. Im Statistikkapitel 3 wurde die
Bezeichnung ,,schwerbehinderte Menschen" vom Bundesamt für Statistik und
Landesamt für Statistik Thüringen verwendet. Diese Bezeichnung wurde in diesem
Kapitel von der Autorin übernommen, um den statistisch erhobenen Personenkreis
genau abzugrenzen. In den verwendeten statistischen Erhebungen wird nur die
Personengruppe einbezogen, der ein Grad der Behinderung (GdB) von mind. 50
bescheinigt wurde und damit als schwerbehindert zählt. Eine Differenzierung der
Geschlechter wird in der vorliegenden Arbeit nicht vorgenommen. Durch
Berechnung des Bestimmtheitsmaß R² wurde ermittelt, dass es zwischen den
männlichen und weiblichen Menschen mit Behinderung einen fast linearen
Zusammenhang gibt. Dieser rein statistische Fakt bildet die Grundlage zur
Verwendung der sprachlichen Form ,,Menschen mit Behinderung". Wird nicht von
der Gesamtheit gesprochen, sondern von Einzelpersonen, Geschlechts- oder
Berufsbezeichnungen, wird die männliche Form verwendet. Dies dient der
sprachlichen und stilistischen Einfachheit, schließt aber in jedem Fall die weibliche
Form mit ein.
1.5
Aufbau der Arbeit
Der Hauptteil dieser Arbeit umfasst die Kapitel zwei bis acht.
Kapitel 2 widmet sich zunächst den grundlegendsten Definitionen im Kontext der
vorliegenden Arbeit. Diese Definitionen bilden die Grundlage zum Verständnis der
Persönlichen Assistenz. Ferner wird betrachtet, warum Persönliche Assistenz als
Dienstleistung zur Ermöglichung der Teilhabe und Selbstbestimmung für
Menschen mit Behinderung gesehen werden kann.
Kapitel 3 legt statistischen Daten für Menschen mit Behinderung in Deutschland
und in Thüringen dar. Dabei wurde die Gesamtentwicklung von Menschen mit
Behinderung von 1993-2007 betrachtet. Bei ausgewählten Aspekten, ferner
Altersgruppen; GdB; Arten und Ursachen der Behinderung, wurden die aktuellsten
Zahlen von 2007 verwendet.

Einleitung
Seite 6 von 180
Kapitel 4 beschäftigt sich mit Verpflichtungen und Gesetzen, die im Kontext
folgende Schwerpunkte gemeinsam haben:
Diese Verpflichtungen und Gesetze sollen Benachteiligungen von Menschen mit
Behinderung verhindern oder beseitigen. Sie sollen Teilhabe gewährleisten und
eine
selbstbestimmte
Lebensführung
ermöglichen.
Dabei
wurde
die
Herangehensweise von der Nationalen-, über die Europäische-, zur Bundes-, und
Länderebene betrachtet. Die dargelegten Verpflichtungen und Gesetze bilden die
Säule für den Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe und ­politik und sind
Grundlage für das Konzept der Persönlichen Assistenz.
Persönliche Assistenz bedeutet in jedem Fall ein hohes Maß an Lebensqualität für
den Menschen mit Behinderung. Aber auch aus anderen Perspektiven heraus hat
diese Dienstleistung Effekte. Diese werden im Kapitel 5 umrissen. So wird das
Konzept der Persönlichen Assistenz aus ökonomischer Sicht aufgezeigt.
Schwerpunkt hierbei ist die Darlegung, welche Auswirkungen die Dienstleistung
Persönliche Assistenz auf den Wirtschaftskreislauf in Deutschland hat. In einem
weiteren Schritt betrachtet die Autorin die Aufgaben der Profession Sozialen Arbeit
zur Förderung und Implementierung des Konzeptes der Persönlichen Assistenz in
Deutschland.
Kapitel 6 umfasst die Darstellung des Arbeitsprozesses zur Erstellung der
Handreichung. Allgemeine Aspekte zur Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit
wurden in Bezug zur Entwicklung der Handreichung gesetzt. Neben der Theorie
zur Anfertigung der Handreichung werden in diesem Kapitel das Ziel und die
Personengruppe aufgezeigt, die durch die Handreichung angesprochen werden
sollen.
Die kritische Überprüfung der Handreichung, durch gewählte Experten aus
verschiedenen Bereichen der Praxis, wird im Kapitel 7 aufgezeigt. Mit dem
fachspezifischem Handlungs- und Erfahrungswissen der vier gewählten Experten
werden Funktion und Inhalt der Handreichung bewertet. Geplant sind
halbstandardisierte Interviews mittels eines Interviewleitfadens, der durch die
Autorin erarbeitet wird. Nach Abschluss der Expertengespräche werden die

Einleitung
Seite 7 von 180
kritischen Anmerkungen der Experten von der Autorin geprüft und in die
Handreichung eingearbeitet.
Aufbauend auf die beiden vorherigen Kapitel beinhaltet das Kapitel 8 die
Handreichung mit den eingearbeiteten Expertenhinweisen.

Relevante Definitionen
Seite 8 von 180
2
Relevante Definitionen der Persönlichen Assistenz
2.1
Persönliche Assistenz
Das lateinische Herkunftswort ,,assistentia" bedeutet Assistenz, ,,Beistand und
Mithilfe".
6
Das Verb ,,assistieren" (lat. ,,assistere") bedeutet, dem Menschen mit
Behinderung(en) ,,nach dessen Anweisungen zur Hand [zu] gehen" oder
,,jemanden bei[zu]stehen".
7
Der Assistent (von lat. ,,assistens") ist ein ,,Beisteher,
Helfer".
8
Assistenz wird in vielen Alltagssituationen genutzt, die nicht ohne Hilfe
oder Unterstützung ausgeführt werden können. Aber was macht Assistenz in
diesem Kontext persönlich? Adolf Ratzka wurde 1943 in Deutschland geboren und
erkrankte mit 17 Jahren an Polio. Er gründete die erste europäische
Assistenzgenossenschaft in Schweden (Stockholmer Genossenschaft für
Independent Living, STIL)
9
und organisiert sein Leben durch die Persönliche
Assistenz.
Für
Adolf
Ratzka
bedeutet
Persönliche
Assistenz,
die
Arbeitsbedingungen mit seinen individuellen Bedürfnissen abzustimmen.
10
Für ihn
umfasst Persönliche Assistenz, ,,der Chef" zu sein und die eigene Entscheidung zu
treffen, ,,wen ich als Assistent einsetze, für welche Arbeiten, wann, wo und wie die
Arbeit auszuführen ist".
11
Diese eigenen Entscheidungen sind in den vier
Kompetenzen der Persönlichen Assistenz verankert. Die Herkunft und Bedeutung
des Wortes Kompetenz kann sich aus dem spätlat. Wort ,,competentia" als
,,Eignung", aus dem lat. ,,competentia" als das ,,Zusammentreffen" und aus dem
engl.-amerik. ,,competence" als ,,Vermögen, Fähigkeit, Zuständigkeit oder
6
Baumgart; Bücheler 1998 in Gesellschaft für Erwachsenenbildung und Behinderung e.V. 1998,
21f.
7
Duden. Das Große Fremdwörterbuch,1994, 149.
8
Duden. Das Große Fremdwörterbuch,1994, 149.
9
http://www.bizeps.or.at/person.php?wer=rtz (21.05.2009).
10
http://www.independentliving.org/docs5/PersAssistenzinSchweden.html (14.04.2009).
11
http://www.independentliving.org/docs5/PersAssistenzinSchweden.html (14.04.2009).

Relevante Definitionen
Seite 9 von 180
Befugnis" herleiten.
12
Kompetenzen sind das Vermögen und die Fähigkeit einer
Person, bestimmten Anforderungen zu begegnen und ihnen zu entsprechen.
13
Im
Kontext der Persönlichen Assistenz entspricht diese rechtliche Zuständigkeit und
das Anordnungsrecht für das eigene Leben
14
der Personalkompetenz (Auswahl
der Persönlichen Assistenten), der Anleitungskompetenz (diese Persönlichen
Assistenten selber anleiten und ausbilden), der Organisationskompetenz
(Einsatzorte, -zeiten und den Umfang der Dienstleistung selbst bestimmen) und
der Finanzkompetenz (bewilligte Finanzmittel werden eigenverantwortlich und
nach eigenem Ermessen an die Persönlichen Assistenten gezahlt).
15
Ferner wird
in der Literatur
16
die Raumkompetenz aufgegriffen. Diese bestimmt den Ort, an
dem
die
Assistenzleistung
ausgeführt
wird
(Wohnort,
Urlaubs-
oder
Geschäftsreisen). In den weiteren Ausführungen wird die Raumkompetenz
inhaltlich der Organisationskompetenz zugeordnet. Nimmt der Mensch mit
Behinderung diese vier Kompetenzen selber wahr und entscheidet somit über alle
Angelegenheiten, die ihn und seine Persönlichen Assistenten betreffen, wird vom
Arbeitgebermodell gesprochen. Das Arbeitgebermodell stellt die höchste Form der
Persönlichen Assistenz dar. Der Mensch mit Behinderung geht in die Rolle des
Arbeitgebers über und meldet den eigenen ,,Betrieb" in seinem Haushalt an. Wer
bei dieser Herausforderung Hilfe und Unterstützung benötigt, kann sich die
notwendigen organisatorischen Aufgaben von einer Assistenzgenossenschaft
abnehmen und ausführen lassen. Assistenzgenossenschaften als indirekte
Assistenz legen den Blick aber immer auf den Selbstbestimmungsgedanken. Ziel
12
Duden. Das Große Fremdwörterbuch 1994, 866.
13
Baumgart; Bücheler 1998 in Gesellschaft für Erwachsenenbildung und Behinderung e.V. 1998,
161.
14
Drolshagen; Rothenberg 2001 in MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.; Zentrum
für selbstbestimmtes Leben Köln Band B 2001, 292.
15
Ebd.
16
Florio 2005 in Jerg; Armbruster; Walther 2005, 145.

Relevante Definitionen
Seite 10 von 180
der Inanspruchnahme der Kompetenzen (im Arbeitgebermodell oder mit der
Unterstützung einer Assistenzgenossenschaft) ist es, dem Mensch mit
Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. ,,Kompetenz ist ein
Schlüssel von Selbstbestimmung und Assistenz."
17
2.2 Selbstbestimmung und Teilhabe
Selbstbestimmung, ausgehend von der Independent-Living-Bewegung in den
USA, ist ,,ein Leitbegriff der Bewegung behinderter Menschen für ihre Interessen
(...)."
18
Im § 1 SGB IX wird Selbstbestimmung als Ziel, Leitmotiv und umfassender
Ansatz für ,,alle Lebensumstände behinderter und von Behinderung bedrohter
Menschen"
19
aufgegriffen. ,,Das Primat der Selbstbestimmung zieht sich wie ein
roter Faden durch das SGB IX."
20
Im § 9 SGB IX werden das Wunsch- und das
Wahlrecht der Leistungsberechtigten angesprochen und dienen als ,,besondere
Instrumente der Stärkung der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung (...)."
21
§ 4 Abs. 1 Satz 4 SGB IX beschreibt, dass notwendige Sozialleistungen eine
selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen oder erleichtern sollen.
22
Mit dem
Rechtsanspruch zur Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets ab dem
01.01.2008 soll ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden (§ 17 Abs. 2 SGB
IX). Mit dem § 102 Abs. 4 SGB IX wurde ab dem 01.10.2000 eine einheitliche
Rechtsgrundlage für Menschen mit Assistenzbedarf im Arbeitsprozess geschaffen.
Über personale Unterstützungsleistung bei der Arbeit soll die Selbstbestimmung
des Menschen mit Behinderung bei seiner beruflichen Tätigkeit erreicht werden.
An diesen beispielhaften Ausführungen ist erkennbar, dass durch die Schaffung
des SGB IX den Belangen der Menschen mit (drohender) Behinderung besonders
Rechnung getragen wird und dabei der Selbstbestimmungsgedanke im Mittelpunkt
steht. Der Begriff der Selbstbestimmung ergänzt den Begriff der Teilhabe am
Leben in der Gemeinschaft. Der Mensch mit Behinderung soll die Form, in der die
17
Steiner 2001 in MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. Band A 2001, 46.
18
Kommentar: Lachwitz et al., 2. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 12.
19
Kommentar: Lachwitz et al., 2. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 33.
20
http://www.ash-berlin.eu/uploads/media/tagung_flyer/94/teilhabe.pdf (23.04.2009).
21
Kommentar: Neumann / Pahlen / Majerski-Pahlen, 10. Aufl. 2003, § 9 Rdnr. 2.
22
Kommentar: Neumann / Pahlen / Majerski-Pahlen, 10. Aufl. 2003, § 4 Rdnr. 1.

Relevante Definitionen
Seite 11 von 180
Teilhabe gebildet wird, möglichst selbstbestimmt gestalten.
23
Der Begriff der
Teilhabe findet sich im Titel des SGB IX ­ Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen. Teilhabe kann als Inklusion
24
in ,,gesellschaftliche Funktionssysteme"
25
gesehen werden. Das Sozialrecht unterscheidet zwischen der ,,Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft" als Grundbedürfnis des täglichen Lebens (§ 9 SGB I)
und dem Recht von Menschen mit Behinderung ,,auf gleichberechtigte Teilhabe
(§10 SGB I) zur Verwirklichung von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung
(Art. 3 GG)".
26
Eine Konkretisierung der Teilhabedefinition findet sich im SGB IX.
27
Das SGB IX soll eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
und die Selbstbestimmung fördern (§ 1 SGB IX). Aber was umfasst der Begriff der
Selbstbestimmung und wie kann dieser von Selbständigkeit abgegrenzt werden?
Selbständigkeit wird umgangssprachlich als ein Leben ohne fremde Hilfe
verstanden. Innerhalb der Rehabilitation bedeutet dieser Begriff ausschließlich
,,Selbermachen". Selbstbestimmung hingegen muss im Sinne von Autonomie und
dem Recht, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen, begriffen werden.
28
Selbständigkeit kann diesen Ausführungen folgend nicht für das Konzept der
Persönlichen Assistenz verwendet werden. Der Mensch mit Behinderung kann
seine Angelegenheiten für sich und sein Leben nicht ohne fremde Hilfe ausführen.
Er benötigt hierfür Hilfe ­ möchte dabei aber die Zuständigkeit und damit die
Selbstbestimmung für sein Leben behalten. Selbstbestimmt sein heißt, sich für
,,Möglichkeiten zu entscheiden und zwar in Abwesenheit institutionalisierter
Zwänge und bevormundender Fachlichkeit."
29
Durch die Persönliche Assistenz
findet ein Rollenwechsel für den Menschen mit Behinderung statt. Es wird ihm
ermöglicht, aus der Rolle und Stigmatisierung des ,,Behinderten" hinauszutreten
und in die Funktion des Arbeitgebers zu wechseln. Der Mensch mit Behinderung
kann dadurch seine eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen ausbauen, die ihm ein
selbstbestimmtes
Leben
ermöglichen.
Persönliche
Assistenz
ist
eine
Dienstleistung für Menschen mit Behinderung. Persönliche Assistenz als
Dienstleistung legt den Schwerpunkt auf die Selbstbestimmung der Menschen mit
23
Kommentar: Lachwitz et al., 2. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 12.
24
Vgl. Kapitel 8.2.5.
25
Krämer-Pöld 2007 in Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2007, 960ff.
26
Krämer-Pöld 2007 in Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2007, 961.
27
Vgl. Kapitel 8.2.3.
28
Steiner 2001 in MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. Band A 2001, 33.
29
Steiner 2001 in MOBILE ­ Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. Band A 2001, 48.

Relevante Definitionen
Seite 12 von 180
Behinderung und soll ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Dadurch
soll die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erreicht werden.
2.3 Dienstleistung
Persönliche Assistenz kann als Dienstleistung definiert werden, die den Menschen
mit
Behinderung
ein
selbstbestimmtes
Leben
ermöglicht.
Durch
die
Inanspruchnahme dieser Dienstleistung kann die Gestaltung des Lebens des
Menschen mit Behinderung und die Inanspruchnahme seiner Hilfen selbst
bestimmt werden. Dienstleistungen sind Leistungen, die man freiwillig oder
verpflichtend erbringt, und Leistungen, die nicht der Produktion von Gütern
dienen.
30
Nicht greifbare, nicht materielle Leistungen von Betrieben werden als
Dienstleistungen bezeichnet. Typisches Merkmal für die Persönliche Assistenz ist,
dass die Erbringung und Inanspruchnahme der Dienstleistung zur gleichen Zeit
und am gleichen Ort geschieht (,,Simultaneität der Erstellung und des Konsums
von
Dienstleistungen"
und
,,die
damit
verbundene
Notwendigkeit
der
Dienstleistung am Ort des Verbrauches")
31
. Demnach produziert der Persönliche
Assistent / der Assistenzgeber eine Dienstleistung, die der Assistenznehmer in
Anspruch nimmt. Soziale Dienstleistung gilt als ,,moderner Sammelbegriff für
betreuende, pflegende, behandelnde Tätigkeiten (...)."
32
Im § 11 SGB I werden die
Leistungsarten in Dienst-, Sach- und Geldleistungen eingeteilt. Zu den
Dienstleistungen zählen die persönlichen Hilfen. Die persönlichen Hilfen der
Persönlichen Assistenz können in allen Bereichen des Lebens des Menschen mit
Behinderung erbracht werden. Die übergeordnete Zielsetzung der zu
erbringenden Leistungen ist die ,,Befreiung aus Abhängigkeiten".
33
Dies kann auf
das Konzept der Persönlichen Assistenz übertragen werden. Dank dem
Rollenwechsel vom ,,Hilfebedürftigen" zum ,,Arbeitgeber" kann sich der Mensch mit
Behinderung institutionellen Strukturen und Zwängen entziehen und ohne
Fremdbestimmung sein Leben gestalten. Diese ,,Befreiung aus Abhängigkeiten"
und der ermöglichte Rollenwechsel beinhaltet allerdings nach wie vor die
30
Duden. Das Große Fremdwörterbuch 1994, 343.
31
Jung 2003 in Olk; Otto 2003, 395.
32
Metzler; Wacker 1998 in Metzler; Wacker 1998, 7.
33
Jung 2003 in Olk; Otto 2003, 395.

Relevante Definitionen
Seite 13 von 180
Tatsache, dass der Mensch mit Behinderung auf Hilfe angewiesen ist. Jedoch mit
dem Unterschied, dass er sich Form, Inhalt, Zeitpunkt und Ort der Dienstleistung
selbst wählen kann. Persönliche Assistenz erbringt einen Rollenwechsel auf zwei
Seiten. Die Inanspruchnahme und Verankerung der Dienstleistung im SGB hat ein
neues Rollenbild auf Seiten des Menschen mit Behinderung und auf Seiten der
helfenden Struktur hervorgebracht. Zentraler Punkt hierbei ist die veränderte
Stellung des Klienten. Er wandelt sich vom Objekt zum Subjekt und ändert sein
Leben von Fremdbestimmung zu Selbstbestimmung.
Abbildung 1: Rollenwechsel des Menschen mit Behinderung mit Hilfe
Persönlicher Assistenz
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 2: Rollenwechsel des (un)professionellen Helfers durch die
Inanspruchnahme von Persönlicher Assistenz
Quelle: Eigene Darstellung.
Objekt
Subjekt
Fremdbestimmung
Selbstbestimmung
Klient
Kunde
Hilfebedürftiger
Assistenznehmer/
Arbeitgeber
Leistungsanbieter
Persönlicher Assistent
Fürsorger
Assistenzgeber
Arbeitnehmer

Relevante Definitionen
Seite 14 von 180
Persönliche Assistenz ist eine Form der Dienstleistung, die Menschen mit
Behinderung in ihrem Alltag unterstützt. Persönliche Assistenz ist eine Form der
Dienstleistung, die Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag unterstütz und keine
Betreuung
ist.
Persönliche
Assistenz
ist
eine
personalisierte
und
höchstpersönliche Dienstleistungsbeziehung, zwischen Assistenznehmer und
Persönlichen Assistenten.

Statistische Datenauswertung
Seite 15 von 180
3
Datenauswertung von Menschen mit Behinderung in
Deutschland und Thüringen
3.1 Schwerbehinderte Menschen in Deutschland (1993­2007)
Dem § 2 SGB IX entsprechend gelten Menschen als behindert, wenn ,,ihre
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom lebensaltertypischen Zustand
abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt
ist." Als schwerbehindert gelten Personen, deren Grad der Behinderung (GdB)
mindestens 50 beträgt. Personen, deren GdB weniger als 50 ausmacht, werden
als leichter behindert definiert. Der GdB beschreibt die Auswirkungen auf die
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und wird in Zehnergraden von 20 bis 100
abgestuft festgestellt.
34
Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hat einen
subjektiven und individuellen Charakter und kann alle Bereiche des Lebens
umfassen.
35
Der Begriff der Teilhabe ist in der International Classification of
Functioning,
Disability
and
Health
(Internationale
Klassifikation
der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit ICF) der World Health
Organization (Weltgesundheitsorganisation WHO) dargelegt. Im Kontext der ICF
meint Teilhabe ,,die Gesamtheit der sozialen Umweltbeziehungen von
Menschen".
36
Aus der aktuellen ,,Statistik der schwerbehinderten Menschen" 2007
des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und der Statistik ,,Schwerbehinderte
Menschen in Thüringen 2007" des Thüringer Landesamtes für Statistik lassen sich
34
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Quer
schnittsveroeffentlichungen/WirtschaftStatistik/Sozialleistungen/Lebenslagenbehinderte05,property
=file.pdf (29.04.2009).
35
Kommentar: Lachwitz et al., 2. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 31.
36
Kommentar: Lachwitz et al., 2. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 11.

Statistische Datenauswertung
Seite 16 von 180
die folgenden Graphiken ermitteln.
37
Beide Berichte werden in einer zweijährigen
Erscheinungsfolge nach § 53 Schwerbehindertengesetz veröffentlicht. Die Daten
beider Statistiken erfassen ausschließlich Menschen, denen vom Versorgungsamt
ein GdB von mindestens 50 zuerkannt wurde. In den Statistiken ist der
Fachausdruck für diese Personengruppe ,,schwerbehinderte Menschen" und wird
von der Autorin der vorliegenden Arbeit in diesem Kontext beibehalten. Die
Grundlagen der ermittelten Daten werden kurz im Anhang II zur Verfügung
gestellt.
Abbildung 3: Vergleich der Entwicklung in Deutschland und Thüringen von
1993­2007
Quelle: Eigene graphische Darstellung auf Grundlage vom Statischen Bundesamt (Destatis) 2009,
6. Thüringer Landesamt für Statistik 2003, 2005, 2007.
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(29.04.2009). Eigene prozentuale Berechnung.
37
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Quali
taetsberichte/Sozialleistungen/Schwerbehinderte,property=file.pdf (29.04.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 17 von 180
Aus der Abbildung 3 ist erkennbar, dass zum Jahresende 2007 in Deutschland
rund 7,5 % der Gesamtbevölkerung schwerbehindertert waren. Dies entspricht 6,9
Millionen Menschen in Deutschland. Das waren im Vergleich zum Jahresende
2005 2,3 % bzw. 153.000 Menschen mehr. Daraus ergibt sich, dass jeder zwölfte
Einwohner (8,4 %) in Bezug auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland
schwerbehindert war.
38
In Thüringen waren zum 31.12.2007 181.980 Menschen
schwerbehindert. Das waren 7.333 schwerbehinderte Menschen weniger als im
Jahre 2005. Diese sinkende Zahl spiegelt nicht den Trend der letzten Jahre wider.
Vergleicht man 1993 mit dem Jahr 2003, so ist ein Zuwachs von 3,2 % zu
verzeichnen. Es ist ein deutlicher Sprung um 1,17 % zwischen 1993 und 1995 in
Thüringen erkennbar. Das Inkrafttreten der sozialen Pflegeversicherung 1995
kann keine Erklärung für den Anstieg sein. Die Einführung bzw. Erweiterung des
Personenkreises nach § 14 Abs. 2 SGB XI, der Personen als pflegebedürftig
definiert, würde sich auf die Gesamtzahlen in Deutschland und nicht nur auf die
Zahlen im Bundesland Thüringen niederschlagen. Das Thüringer Landesamt für
Statistik kommentiert diesen Anstieg um 27.939 schwerbehinderte Menschen in
Thüringen nicht. Die Ursache für den Anstieg der absoluten Zahlen lässt sich nicht
eindeutig zuordnen. Als eine Begründung kann die Neu- bzw. Wiederbewilligung
der
Schwerbehindertenausweise
in
den
ersten
Jahren
nach
der
Wiedervereinigung sein. 1992 wurden 79.703 und 1993 wurden 87.659 Anträge
auf
Erst- oder Neuausstellung des Schwerbehindertenausweises dokumentiert.
39
Diese Höhe der erledigten Verfahren findet in den folgenden Jahren keinen
annähernd hohen Vergleich. Gleichermaßen kann die Anerkennung von
Behinderung als Bedingung für die Gewährung von sozialen Leistungen genannt
werden. Diese beiden Faktoren schlagen sich in den absoluten Zahlen nieder. Die
gestiegene Zahl schwerbehinderter Menschen in Deutschland ist fast
ausschließlich auf den Anstieg in den neuen Bundesländern zurückzuführen.
40
38
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2008/07/PD08__
258__227,templateId=renderPrint.psml (29.04.2009).
39
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(08.05.2009).
40
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(08.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 18 von 180
3.2
Der Zusammenhang zwischen Männern und Frauen in den Jahren
1993­2007
In der Abbildung 4 und 5 sind die Werte der Männer und Frauen erkennbar,
geordnet nach den Jahren 1993­2007. R² ist das Bestimmtheitsmaß, das den
Zusammenhang zwischen zwei Variablen (Frauen [%]; Männer [%]) angibt. Wenn
R² dem Wert eins entspricht, besteht ein perfekter linearer Zusammenhang. Je
mehr der Wert des ermittelten R² der Zahl eins entgegen geht, desto höher ist die
Wahrscheinlichkeit eines linearen Zusammenhanges. Geht der Wert von R² in
Richtung Null, wird von keinem linearen Zusammenhang gesprochen. Ein linearer
Zusammenhang besteht, wenn zwei Variablen (zum Beispiel Männer und Frauen)
sich in gleichem Maß zu einer anderen Größe (zum Beispiel Zeit) ändern. Wenn
ein linearer Zusammenhang zwischen zwei Variablen besteht, wird von einer
Korrelation gesprochen.
41
Vergleicht man den prozentualen Anteil der männlichen
behinderten Menschen und der weiblichen behinderten Menschen in Deutschland
und in Thüringen (von 1993 bis 2007), so erkennt man, dass R² in beiden
Darstellungen fast dem Wert eins entspricht. Mit einem steigenden Anteil der
Männer steigt also parallel der Anteil der Frauen. Es kann von einem linearen
Zusammenhang zwischen dem männlichen und weiblichen Anteil der Menschen
mit Behinderung gesprochen werden. Das Geschlechterverhältnis ist in
Deutschland und in Thüringen fast gleich und es kann von der Gesamtheit an
,,Menschen mit Behinderungen" gesprochen werden. Für die Aussagekraft der
Berechnungen müssten umfassende statistische Erhebungen erbracht werden.
Die Betrachtung der Daten unterliegt einer relativen Genauigkeit. Es wurde keine
Differenzierung des Personenkreises vorgenommen. Das heißt, in den Daten wird
nicht wiedergegeben, ob Personen rehabilitierten, verstarben oder die
Schwerstbehinderung neu- oder wiederfestgestellt wurde.
41
http://www.ipds.uni-kiel.de/Dokumente/ModulG/Teil_1/170108_modul_g.pdf (08.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 19 von 180
Abbildung 4: Das Bestimmtheitsmaß R² für Deutschland (1993-2007)
Quelle: Eigene graphische Darstellung auf Grundlage vom Statischen Bundesamt (Destatis) 2009,
6. Eigene Berechnung von R².
Abbildung 5: Das Bestimmtheitsmaß R² für Thüringen (1993-2007)
Quelle: Eigene graphische Darstellung auf Grundlage des Thüringer Landesamtes für Statistik
2003, 2005, 2007.
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(29.04.2009). Eigene Berechnung von R².

Statistische Datenauswertung
Seite 20 von 180
3.3
Vergleich der schwerbehinderten Menschen in Deutschland und
Thüringen nach Altersgruppen (2007)
Die demographische Entwicklung in Deutschland wird entscheidend dadurch
beeinflusst, dass die Lebenserwartung der Menschen steigt. Diskutiert wird in
diesem Zusammenhang die Medikalisierungsthese (mit Anstieg der alten
Menschen in der Gesellschaft steigt der Anteil der kranken und behinderten
Menschen) und die Kompressionsthese (Krankheit und Behinderung werden in die
höheren Lebensjahre verlagert). Auf beiden Ausgangsthesen aufbauend, wird die
Bi-Modalitätsthese genannt. Diese besagt, dass es in Zukunft einen großen Teil
von älteren Männern und Frauen geben wird, die ihr Leben mit Hilfsangeboten und
gesundheitlichen Einschränkungen gestalten müssen. Darüber hinaus steigt mit
zunehmendem Alter das Erkrankungsrisiko und die Wahrscheinlichkeit einer
Behinderung.
42
Abbildung 6: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach
Altersgruppen (2007)
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Statistischen Bundesamtes 2009, 8.
42
http://www.bmfsfj.de/Publikationen/genderreport/9-Behinderung/9-6-behinderte-frauen-und
maenner-im-alter.html (11.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 21 von 180
Abbildung 7: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach Altersgruppen
(2007)
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Thüringer Landesamtes für Statistik 2007, 4.
Die Daten für Deutschland (Abbildung 6) und Thüringen (Abbildung 7) spiegeln die
Tatsache wider, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, behindert zu
sein, deutlich steigt. Des Weiteren ist die größte Anzahl der Menschen mit
Behinderung in der Altersgruppe ab 65 Jahre zu finden. Dieser Veränderung in der
Altersstruktur und der Anzahl der Menschen mit Behinderung gehen folgende
Aspekte voraus:
Erstmals erreichen lebenslang behinderte Männer und Frauen das
Rentenalter
(infolge
des
Euthanasieprogramms
in
der
Nationalsozialismus (NS-Zeit) von 1943­1945 wurden Menschen mit
Behinderung systematisch ermordet)
43
In der NS-Zeit wurden Menschen mit Behinderung zwangssterilisiert,
was dazu führte, dass überlebende Menschen mit Behinderung ohne
eigene Nachkommen blieben
44
Die allgemeine Lebenserwartung ist gestiegen und damit die Zunahme
von Menschen mit Behinderung im höheren Seniorenalter
45
43
http://www.bmfsfj.de/Publikationen/genderreport/9-Behinderung/9-6-behinderte-frauen-und
maenner-im-alter.html (11.05.2009).
44
http://www.bmfsfj.de/Publikationen/genderreport/9-Behinderung/9-6-behinderte-frauen-und
maenner-im-alter.html (11.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 22 von 180
Menschen mit Behinderung werden dank dem medizinischen Fortschritt
älter und die Sterbequote innerhalb der ersten Lebensjahre ist geringer
Auf Grund des allgemeinen Geburtenrückgangs (vor allem in den neuen
Bundesländern)
46
und den medizinischen Vorsorgeuntersuchungen
werden weniger Kinder mit Behinderung geboren
3.4 Vergleich der schwerbehinderten Menschen in Deutschland und in
Thüringen nach dem Grad der Behinderung (GdB) 2007
Der GdB gibt den Schweregrad der Behinderung an und wird in Zehnerschritten
zwischen 20 und 100 abgestuft. Ab einem Anerkennungsgrad von 50 wird von
schwerbehinderten Menschen gesprochen. Mit dieser Anerkennung kann ein
entsprechender Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden. In diesem werden
entsprechend der Behinderung Merkzeichen vergeben, die die Inanspruchnahme
von zusätzlichen Leistungen ermöglichen (zum Beispiel Parkerleichterungen oder
unentgeltliche Beförderungen im Nah- und Fernverkehr). Merkzeichen sind ,,G"
(gehbehindert), ,,aG" (außergewöhnlich gehbehindert), ,,B" (Begleitperson
erforderlich), ,,Bl" (blind), ,,Gl" (gehörlos) oder ,,H" (hilflos).
47
Die Zuerkennung des
Grades der Behinderung und der Merkzeichen bilden die Grundlage zur
Inanspruchnahme von Leistungen des Nachteilsausgleichs.
48
45
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(08.05.2009).
46
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(08.05.2009).
47
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/aktuell/behindertenbericht/studie_s1_30.pdf
(08.05.2009).
48
http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Publikationen/genderreport/9-Behinderung/9-5-Frauen
und-maenner-mit-behinderung-in-der-amtlichen-statistik/9-5-1-anerkennung-des-status
schwerbehindert-und-schwerbehindertenstatistik.html (11.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 23 von 180
Abbildung 8: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach dem Grad
der Behinderung (GdB in Prozent) 2007.
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 2009, 14.
Abbildung 9: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach dem Grad der
Behinderung (GdB in Prozent) 2007
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Thüringer Landesamtes für Statistik 2007, 29.
Für Deutschland (Abbildung 8) und Thüringen (Abbildung 9) ist erkennbar, dass
der GdB 50 und der GdB 100 insgesamt über 50 % einnehmen (Deutschland:
55,18 %; Thüringen: 54,59 %). Damit stellen diese beiden Gruppen den größten
Anteil unter den Behinderungsgraden. Rund 30 % der Menschen mit Behinderung
in Deutschland und in Thüringen haben einen GdB von 50. Bei knapp ¼ der
schwerbehinderten Menschen wurde vom Versorgungsamt ein GdB von 100
festgestellt.

Statistische Datenauswertung
Seite 24 von 180
3.5 Vergleich der Behinderungsursachen in Deutschland und in
Thüringen (2007)
Tabelle 1: Behinderungsursachen und absolute Zahlen für Deutschland/
Thüringen 2007
Art der Behinderungsursache
Absolute Zahlen
Deutschland (2007)
Absolute Zahlen
Thüringen (2007)
Allgemeine Krankheit
49
5.696.509
145.726
Angeborene Behinderung
306.641
11.237
Arbeitsunfall
50
74.965
2.292
Verkehrsunfall
40.873
925
Häuslicher Unfall
8.007
393
Sonstige Unfälle
51
27.626
882
Anerkannte Kriegs-, Wehr- oder
Zivildienstbeschädigung
76.989
1.892
Sonstige
52
686.562
18.633
Insgesamt
6.918.172
181.980
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 2009,
14.Thüringer Landesamt für Statistik 2007, 40.
82 % der schwerbehinderten Menschen in Deutschland sind aufgrund von
Krankheiten behindert. Ein ähnlich hoher Wert findet sich mit 80 % in Thüringen.
Hingegen sind nur 4 % in Deutschland und 6 % in Thüringen von Geburt an
behindert oder die Behinderung trat im ersten Lebensjahr auf. Mit nicht einmal
mehr 2 % stellen Arbeits-, Verkehrs- oder häusliche Unfälle die Ursache von
Behinderung in Deutschland und Thüringen.
49
Einschließlich Impfschaden.
50
Einschließlich Wege- und Betriebswegeunfall, Berufskrankheit.
51
Sonstiger oder nicht näher bezeichneter Unfall.
52
Sonstige, mehrere oder ungenügend bezeichnete Ursachen.

Statistische Datenauswertung
Seite 25 von 180
3.6
Vergleich der Behinderungsarten in Deutschland und Thüringen (2007)
In
der
Schwerbehindertenstatistik
wird
bei
einer
vorliegenden
Mehrfachbehinderung nur die schwerste Behinderung ausgewiesen. Die Art der
Behinderung wird von insgesamt 55 Kategorien erfasst. Diese Einteilung richtet
sich nach der Erscheinungsform der Behinderung und der dadurch auftretenden
Funktionseinschränkung. Es findet keine Orientierung an der ursächlichen
Krankheitsdiagnose statt.
53
Beispiel: Die Krankheitsdiagnose ist Morbus
Parkinson; für die Schwerbehindertenstatistik werden nur die krankheitsbedingten
Funktionseinschränkungen (Funktionseinschränkung der Gliedmaßen) beachtet.
Abbildung 10: Schwerbehinderte Menschen in Deutschland nach Art der
Behinderung (2007)
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 2009, 8.
53
http://www.gbe-
bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gastg&p_aid=&p_knoten=FID&p_sprache
D&p_suchstring=8292::Ursache%20der%20Behinderung (12.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 26 von 180
Tabelle 2: Legende Deutschland/Thüringen
54
Legendenzahl Art der Behinderung
1 Verlust oder Teilverlust von Gliedmaßen
2 Funktionseinschränkung von Gliedmaßen
3 Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Rumpfes,
Deformierung des Brustkorbes
4 Blindheit und Sehbehinderung
5 Sprach- ,oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit,
Gleichgewichtsstörungen
6 Verlust einer Brust oder beider Brüste, Entstellungen u. a.
7 Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw.
Organsystemen
8 Querschnittlähmung, zerebrale Störungen, geistig-seelische
Behinderungen, Suchtkrankheiten
9 Sonstige und ungenügend bezeichnete Behinderungen
55
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Grundlage des Statistischen Bundesamtes
(Destatis) 2009, 14. Thüringer Landesamtes für Statistik 2008, 16.
Abbildung 11: Schwerbehinderte Menschen in Thüringen nach Art der
Behinderung (2007)
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Thüringer Landesamtes für Statistik 2008, 16.
54
Statisches Bundesamt Destatis 2009, 8.
Thüringer Landesamt für Statistik 2007, 16.
55
Behinderungen mit GdB 25, anderweitig nicht einzuordnende oder ungenügend bezeichnete
Behinderungen.

Statistische Datenauswertung
Seite 27 von 180
Als schwerwiegendste Art der Behinderung sind Beeinträchtigungen der Funktion
von inneren Organen bzw. Organsystemen mit 1.748.483 Menschen (rund 25 %)
für Deutschland und 51.329 Menschen (rund 28 %) für Thüringen (Säule sieben
der Abbildung 10 und 11) diagnostiziert. Eine geistig-seelische Behinderung oder
eine Suchterkrankung wurde bei 1.305.481 Menschen (rund 19 %) in Deutschland
und 36.130 Menschen (rund 20 %) in Thüringen diagnostiziert (Säule acht). Eine
Funktionseinschränkung von Gliedmaßen war in Thüringen im Vergleich zu
Deutschland mit 31.911 Menschen (rund 18 %) zu verzeichnen (Säule zwei).
Dieser Wert lag 2007 in Deutschland bei rund 14 % (953.675 Menschen).
3.7 Inanspruchnahme von Persönlicher Assistenz in Deutschland
Wie viele Menschen mit Behinderung nutzen in Deutschland Persönliche
Assistenz? Diese Frage konnte der Autorin der vorliegenden Arbeit das
Statistische Bundesamt (Destatis) und das Thüringer Landesamtes für Statistik
nicht beantworten. Beiden Ämtern liegen keine Zahlen zur Inanspruchnahme
dieser Dienstleistung vor. Der Kontakt mit Gerhard Bartz (Vorsitzender von ForseA
e. V.) ermöglichte es der Autorin, dieses Zitat von ihm zu nutzen:
,,Die Beantwortung dieser Frage scheitert bereits beim Begriff ,Persönliche
Assistenz`. Was ist darunter zu verstehen? Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung
sieht die Auslegung dieses Begriffes naturgemäß wesentlich enger als manche
Betreiber von ,Heimen` oder ambulanter Dienste. Es gibt keine belastbaren Zahlen
z. B. über die Nutzer des Arbeitgebermodells."
In einem der geführten Expertengespräche wurde berichtetet, dass es in
Deutschland 13 ambulante Dienste gibt, die Persönliche Assistenz anbieten.
In der Literatur wird dargelegt, dass 1.500 körperlich behinderte Menschen das
Arbeitgebermodell in Deutschland für eine selbstbestimmte Lebensweise
praktizieren.
56
56
http://www.selbstbestimmt.de/asistenz.html (16.05.2009).

Statistische Datenauswertung
Seite 28 von 180
3.8 Zusammenfassung der statistischen Daten für Deutschland und
Thüringen
Zum Jahresende 2007 waren in Deutschland 6,9 Millionen Menschen, also jeder
zwölfte Einwohner, schwerbehindert. In Thüringen waren zum 31.12.2007 181.980
Menschen schwerbehindert. Vergleicht man den Prozentsatz der männlichen
behinderten Menschen und der weiblichen behinderten Menschen in Deutschland
und in Thüringen (von 1993 bis 2007), so erkennt man, dass für diese
Personengruppe das Geschlechterverhältnis in Deutschland und in Thüringen fast
gleich ist. Die dargestellten Daten für Deutschland und Thüringen spiegeln die
Tatsache wider, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, behindert zu
sein, deutlicht steigt. Die größte Zahl an Menschen mit Behinderung ist in der
Altersgruppe ab 65 Jahre zu finden. Rund 30 % der Menschen mit Behinderung in
Deutschland und in Thüringen haben einen GdB von 50. Bei knapp ¼ der
schwerbehinderten Menschen in Deutschland und Thüringen wurde vom
Versorgungsamt ein GdB von 100 festgestellt. 82 % der schwerbehinderten
Menschen in Deutschland und 80 % in Thüringen sind aufgrund von Krankheiten
behindert. Hingegen sind nur 4 % in Deutschland und 6 % in Thüringen von
Geburt an behindert oder die Behinderung trat im ersten Lebensjahr auf. Mit rund
25 % (1.748.483 Menschen) in Deutschland und rund 28 % (51.329 Menschen) in
Thüringen liegen Beeinträchtigungen der Funktion von inneren Organen bzw.
Organsystemen als schwerwiegendste Art der Behinderung vor. Eine geistig-
seelische Behinderung oder eine Suchterkrankung wurde bei 1.305.481
Menschen (rund 19 %) in Deutschland und 36.130 Menschen (rund 20 %) in
Thüringen diagnostiziert.

Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze
Seite 29 von 180
4
Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze, die Benachteiligungen von
Menschen mit Behinderung verhindern oder beseitigen, Teilhabe
gewährleisten und eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen
Die Zahlen des vorhergehenden Kapitels zeigen, dass 2007 rund sieben Millionen
Menschen mit Behinderung in Deutschland schwerbehindert, ab einem Gdb von
50, sind. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung war 2007 jeder 12. Einwohner in
Deutschland schwerbehindert. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Behinderung kein
,,Randphänomen" oder Menschen mit Behinderung eine ,,Randgruppe" in unserer
Gesellschaft sind. Diese steigenden Zahlen und das Engagement der
organisierten Behindertenhilfe (unter anderem die Selbstbestimmt-Leben-
Bewegung) führten dazu, dass in den letzen Jahren ein Paradigmenwechsel zu
beobachten war. Die folgenden Ausführungen sollen den Paradigmenwechsel der
,,hilfebedürftigen Objekte" zu ,,selbstbestimmten Subjekten" aus der gesetzlichen
Perspektive darlegen. Schon in den frühen Jahrhunderten gab es den
Behindertenschutz. Dieser entstammte der Kriegsopferversorgung. Eine große
Wandlung erfuhr der Behindertenschutz mit dem Schwerbeschädigtengesetz des
Jahres 1920 und der Entwicklung nach dem Zeiten Weltkrieg.
57
Hauptsächliche
Gesetzesänderungen der Nachkriegszeit waren:
58
- Bundesversorgungsgesetz vom 20.12.1950
- Schwerbeschädigtengesetz vom 16.06.1953
- Schwerbehindertengesetz vom 29.04.1974 (war bis 2001 Grundlage für den
Behindertenschutz)
Der Behindertenbegriff wurde am 24.07.1986 erstmalig gesetzlich bestimmt.
59
Im
Folgenden werden die aktuellsten gesetzlichen Veränderungen dargelegt, die auf
der
einen
Seite
Veränderungen
in
der
Struktur
des
Sozial-
und
Gesundheitswesens bringen
sollen.
Auf
der anderen
Seite
soll ein
Bewusstseinswandel erreicht werden und die Benachteiligung und Ausgrenzung
von Menschen mit Behinderung verhindert, Teilhabe gewährleistet und eine
selbstbestimmte Lebensweise ermöglicht werden.
57
Wagner; Kaiser 2004, 17.
58
Wagner; Kaiser 2004, 17.
59
Bethmann et al., 4. Aufl. 1993, § 3 Rdnr. 1.

Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze
Seite 30 von 180
4.1 UN-Konvention zum Schutz der Rechte Behinderter
(Behindertenrechtskonvention BRK)
Die UN-Generalversammlung hat am 13.12.2006 die Konvention zum Schutz der
Rechte von Menschen mit Behinderung beschlossen.
60
Nach der Ratifizierung
(,,als gesetzgebende Körperschaft einen völkerrechtlichen Vertrag in Kraft
setzen")
61
trat am 26.03.2009 die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland
in Kraft.
62
Die deutsche Übersetzung liegt nach Abstimmung zwischen
Deutschland, Lichtenstein, Schweiz und Österreich vor.
63
Diese Übersetzung
erfolgte fast ohne die Beteiligung von Menschen mit Behinderung und steht damit
in der Kritik. Der Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e. V.
beanstandet, dass Begriffe wie ,,Unabhängigkeit" statt ,,Selbstbestimmung",
,,Integration" statt ,,Inklusion" oder ,,Zugänglichkeit" statt ,,Barrierefreiheit" übersetzt
wurden. Der Verein stellt daher eine ,,Schattenübersetzung" zur Verfügung. Diese
,,Schattenübersetzung"
enthält
Streichungen
oder
farbig
unterlegte
Verbesserungsvorschläge.
64
Trotz Kritik und der Forderung nach Überarbeitung
stellt
die
UN-Behindertenrechtskonvention
einen
,,Meilenstein
in
der
Behindertenpolitik dar (...)".
65
Sie führt den Menschenrechtsansatz an, das Recht
auf Selbstbestimmung und Teilhabe, formuliert den Diskriminierungsschutz für
Menschen mit Behinderung und fordert eine inklusive und barrierefreie
Gesellschaft.
66
Die UN-Konvention zum Schutz der Rechte Behinderter greift in
vollem Maße den Empowermentansatz auf. Die Konvention soll die Menschen mit
Behinderung
unterstützen,
ihre
Selbstbestimmung
zu
erhalten
oder
zurückzuerlangen, und ihnen uneingeschränkte Teilhabe in allen Bereichen des
Lebens ermöglichen. Schlüsselbegriffe der Behindertenrechtskonvention sind
,,Würde,
Inklusion,
Teilhabe,
Selbstbestimmung,
Empowerment,
Chancengleichheit und Barrierefreiheit".
67
Diese Schlüsselbegriffe sind parallel
dazu im Konzept der Persönlichen Assistenz verankert. Die Vertragsstaaten der
60
http://files.institut-fuer-menschenrechte.de/437/Behindertenrechtskonvention.pdf (13.05.2009).
61
Duden. Das Große Fremdwörterbuch 1994,1216.
62
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/webcom/show_page.php?wc_c=556&wc_id=9
(13.05.2009).
63
http://www.netzwerk-artikel-3.de/ (13.05.2009).
64
http://www.netzwerk-artikel-3.de/dokum/schattenuebersetzung-endgs.pdf (13.05.2009).
65
http://files.institut-fuer-menschenrechte.de/437/Behindertenrechtskonvention.pdf (13.05.2009).
66
http://files.institut-fuer-menschenrechte.de/437/Behindertenrechtskonvention.pdf (13.05.2009).
67
http://www.alle
inklusive.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1369658/AI/Konvention/WasistdieUNKonvention
_node.html?__nnn=true (13.05.2009).

Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze
Seite 31 von 180
Konvention haben sich verpflichtet, durch gemeindenahe Dienste ,,oder auch
persönlichen Assistenzen [sic!]" den Menschen mit Behinderung ,,einen
angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz (...) zu sichern".
68
Die UN-
Konvention ist in 50 Artikel gegliedert und dient dem Zweck, ,,die volle und
gleichberechtigte Ausübung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle
Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und
die Achtung ihrer angeborenen Würde zu fördern."
69
Damit wird Behinderung als
Menschenrechtsthema anerkannt und steht nicht mehr primär unter dem
medizinischen oder sozialen Aspekt. Menschen mit Behinderung sind Träger
unabdingbarer Menschenrechte.
70
4.2
Vier Richtlinien der Europäischen Union (EU-Richtlinien)
Mehr als 50 Millionen Menschen mit Behinderung leben in der EU und stellen
damit mehr als 10 % der EU-Bevölkerung dar.
71
Es wurden vier Richtlinien
verabschiedet, um auf europäischer Ebene gegen Diskriminierung vorzugehen.
Die erste Richtlinie (Richtlinie 2000/43/EG; 2000) regelt die Anwendung des
Gleichberechtigungsgrundsatzes zwischen Menschen auf Grund ihrer Rasse oder
ethnischen Herkunft. Richtlinie 2000/78/EG (2000) dient der Festlegung eines
allgemeinen Rahmens zur Gleichbehandlung in Beruf und Beschäftigung. Zur
Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von Männern und Frauen
hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, Berufsbildung, beruflichen Aufstieg,
sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen wurde die Richtlinie 2002/73/EG
(2002) erlassen. Richtlinie 2004/113/EG (2004) dient der Verwirklichung der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang und der Versorgung mit
Gütern und Dienstleistungen.
72
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
setzt die vier Richtlinien der Europäischen Union in Bundesrecht um.
68
http://www.alle
inklusive.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1430096/SharedDocs/Pressemitteilungen__AI/A
PM15__selbstbetimmt__LebenKiel____we.html?__nnn=true (13.05.2009).
69
http://files.institut-fuer-menschenrechte.de/437/Behindertenrechtskonvention.pdf (13.05.2009).
70
http://www.alle
inklusive.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1430096/SharedDocs/Pressemitteilungen__AI/A
PM15__selbstbetimmt__LebenKiel____we.html?__nnn=true (13.05.2009).
71
http://www.deutscherbehindertenrat.de/ID58074 (14.06.2009)
72
http://www.behindertenbeauftragte.de/cln_091/nn_1082548/DE/Gleichstellung/AllgemeinesGleich
behandlungsgesetz/AllgemeinesGleichbehandlungsgesetz__Fr.html#doc1085950bodyText1
(13.05.2009).

Verpflichtungen, Richtlinien und Gesetze
Seite 32 von 180
4.3
Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland
,,Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
73
Artikel 3 GG ­ Gleichheit vor dem Gesetz ­ beschreibt mit Absatz 1, dass alle
Menschen vor dem Gesetz gleich sind, und stellt damit ein Grundrecht dar
(Grundrechte sind in Art. 1­19 GG verankert; Inkrafttreten des GG am
24.05.1949
74
). Dieser allgemeine Gleichheitsgrundsatz wird in Absatz 2 und 3
konkretisiert. Am 15.11.1994 wurde das Benachteiligungsverbot für Menschen mit
Behinderung in das Grundgesetz aufgenommen. Artikel 3 begründet kein
Gleichstellungsgebot, sondern ein Benachteiligungsverbot.
75
Es bietet Schutz
gegen Diskriminierung durch die öffentliche Gewalt. Das Grundgesetz steht im
System über allen anderen deutschen Rechtsnormen.
76
Die Vergleichsgruppe zur
Feststellung, ob eine Benachteiligung vorliegt, ist die Gruppe der Nicht-
Behinderten. Ziel der Hinzufügung des Absatzes 3 Satz 2 war die Verhinderung
der gesellschaftlichen und rechtlichen Ausgrenzung von Menschen mit
Behinderung. Begründung des eigenständig eingefügten Satzes 2 des Artikels 3
GG ist die grundsätzlich schwierigere Lebensführung von Menschen mit
Behinderung. Außerdem zählt die Tatsache, dass sich durch Benachteiligung die
Situation des Menschen mit Behinderung verschlechtert. Betrachtet wurde auch
der Ausschluss von offenstehenden Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten
,,durch die öffentliche Gewalt".
77
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 verdeutlicht ,,eine besondere
Verantwortung des Staates für Behinderte".
78
Die Verfassungswerte, die sich in
Artikel 3 des GG niedergeschlagen haben, finden sich im Allgemeinen
Gleichstellungsgesetz wieder.
79
Im Unterschied dazu bezieht sich das AGG auf
den privaten Rechtsverkehr und nicht übergreifend auf das Verfassungsrecht.
73
Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
74
Kommentar: Hömig, 8.Aufl. 2007, Einführung Rdnr. 1.
75
http://www.aktion-grundgesetz.de/glossar/index.html#behindertengleichstellungsgesetz
(15.05.2009).
76
http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/Grundgesetz/gg_01.html (15.05.2009).
77
Kommentar: Hömig, 8.Aufl. 2007, Art. 3 Rdnr. 25.
78
Ebd.
79
http://www.aktion-grundgesetz.de/glossar/index.html#behindertengleichstellungsgesetz
(15.05.2009).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836646086
DOI
10.3239/9783836646086
Dateigröße
16.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Erfurt – Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit und Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2010 (Mai)
Note
1,0
Schlagworte
behinderung selbstbestimmung inklusion sozialgesetzbuch soziale arbeit
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