Lade Inhalt...

Selbstgesteuertes Lernen mit Web 2.0 gestützten Szenarien in der beruflichen Bildung

©2009 Examensarbeit 107 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Heute verdoppelt sich das Weltwissen alle fünf Jahre, die Suchmaschine Google durchforstet 30 Milliarden Webseiten im Internet, deutsche Buchverlage bringen jährlich über 70 000 neue Titel auf den Markt, und die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet mehr als 6300 verschiedene Berufe, viele davon hochspezialisiert’.
…und das war im Jahr 2006.
Weitestgehend unbestritten ist die Auffassung, dass wir in einer Wissensgesellschaft mit all ihren Konsequenzen leben: Orientierung hin zum Individuum, Unabwägbarkeiten, Risiken und Ambiguitäten. Umso wichtiger wird das Wissensmanagement: das Beschaffen von Wissen (Wissensgenerierung), das Bewahren (Wissensrepräsentation), das Verteilen (Wissenskommunikation) und das Umsetzen in Handlung und Entscheidung (Wissensnutzung).
Gleichzeitig verlangen globalisierte und dynamische Märkte eine rasche Reaktion auf Veränderungen. Gefragt sind flexible, umfassend verfügbare, hochmotivierte und breit qualifizierte Mitarbeiter. Der erlernte Beruf bietet dabei kaum mehr lebenslange Beschäftigungsgarantie. Es wird vermutet, dass sich die traditionelle Arbeit auf Grundlage der Vollbeschäftigung auflösen wird und sich verschiedene Formen der flexiblen Arbeit durchsetzen. Zunehmend gibt es eine Tendenz zu gering formalisierter, ständig wechselnder Aufgabenverteilung in zeitlich befristeten Projekten und selbstgesteuerten Teams. Dadurch kommt es zu einer Notwendigkeit die erworbenen Kenntnisse ständig an die geforderten Qualifikationen anzupassen. Lebenslanges Lernen wird in der globalisierten Welt notwendig.
Lebenslanges Lernen fordert das Individuum auf die Verantwortung für die eigene Qualifikation zu übernehmen. Von den Individuen wird verlangt, dass sie die eigenen Kompetenzen entwickeln und die eigene Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Es wird erforderlich ein eigenes Bildungsleben zu entwerfen und dieses dem Markt anpassen zu können.
Die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen wird vor diesem Hintergrund auch von den Bildungsbehörden als zentrale fächerübergreifende Kompetenz angesehen. Selbstgesteuertes Lernen heißt, dass der Einzelne die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wie und woraufhin er lernt, gezielt und weitreichend beeinflusst. Selbstgesteuertes Lernen gilt als neues Leitmotiv der methodisch-didaktischen Diskussion der Berufspädagogik. Doch selbstgesteuertes Lernen muss gelernt werden. Es sind dafür bestimmte Fähigkeiten und Einstellungen nötig. Diese müssen bereits in der Schule […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Juliane Götze
Selbstgesteuertes Lernen mit Web 2.0 gestützten Szenarien in der beruflichen Bildung
ISBN: 978-3-8366-4409-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland, Staatsexamensarbeit, 2009
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

I
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ...
- 1 -
1.1
Relevanz des Themas ... - 1 -
1.2
Problemstellung ... - 4 -
1.3
Ziele und Aufbau der Arbeit ... - 5 -
2
Vom lehrer- zum lernerzentrierten Lernen ...
- 8 -
2.1
Entwicklung der theoretischen Annahmen... - 8 -
2.1.1
Behaviorismus - 8 -
2.1.2
Kognitivismus - 10 -
2.1.3
Konstruktivismus - 11 -
2.2
Prinzipien lernerzentrierten Lernens ... - 13 -
2.2.1
Handlungsorientierung - 13 -
2.2.2
Problemorientierung - 14 -
2.2.3
Kooperation - 15 -
3
Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung- 18 -
3.1
Darstellung der beruflichen Bildung ... - 18 -
3.2
Begriffsdefinition Selbstgesteuertes Lernen... - 18 -
3.3
Begründung selbstgesteuerten Lernens ... - 21 -
3.4
Voraussetzungen der Lerner... - 22 -
3.5
Selbstgesteuertes Lernen entwickeln ... - 24 -
4
Web 2.0 ...
- 27 -
4.1
Potentiale für das Lernen ... - 27 -
4.2
Begriffsdefinition Web 2.0 ... - 28 -
4.3
Die Entwicklung des Internets ... - 29 -
4.4
Social Software... - 30 -
4.5
Ausgewählte Web 2.o Anwendungen... - 32 -
4.5.1
Weblogs - 32 -
4.5.1.1
Merkmale und Aufbau ... - 32 -
4.5.1.2
Arten von Weblogs ... - 34 -
4.5.2
Wikis - 36 -
4.5.2.1
Merkmale und Aufbau ... - 36 -
4.5.2.2
Arten von Wikis... - 37 -

II
5
Web 2.0 gestützte Lernszenarien in der beruflichen
Bildung ...
- 39 -
5.1
Darstellung der Suche nach Lernszenarien... - 39 -
5.2
Ergebnisse der Suche... - 41 -
5.3
Kriterien zur Beurteilung: Handlungsorientierung,
Problemorientierung, Kooperation... - 43 -
5.4
Podcast-Lernszenario Lagerhaltung ... - 44 -
5.4.1
Beschreibung - 44 -
5.4.2
Nutzen - 45 -
5.4.3
Grenzen - 47 -
5.4.4
Gefahren - 48 -
5.5
,,13 Dinge" Selbstlernkurs für das Bibliothekswesen... - 49 -
5.5.1
Beschreibung - 49 -
5.5.2
Nutzen - 51 -
5.5.3
Grenzen - 53 -
5.5.4
Gefahren - 54 -
5.6
Glaskompendium Wiki im Modellversuch KooL... - 55 -
5.6.1
Beschreibung - 55 -
5.6.2
Nutzen - 59 -
5.6.3
Grenzen - 62 -
5.6.4
Gefahren - 64 -
6
Zusammenfassende Betrachtung...
- 66 -
6.1
Fazit ... - 66 -
6.2
Ausblick ... - 67 -

III
Abkürzungsverzeichnis
Ausg.
Ausgabe
Blog
Weblog
(siehe
Glossar)
bzw.
beziehungsweise
DSL
Digital
Suscriber
Line
ebd.
Ebenda
HTML
Hypertext
Markup
Language
http
Hypertext
Markup
Protocol
KMK
Sekretariat der ständigen Konferenz der Länder in der
Bunderepublik Deutschland
KooL
Kooperatives
Lernen
in webbasierten Lernumgebungen in
der beruflichen Erstausbildung (Modellversuch)
LuL
Lehrerinnen
und
Lehrer
o.A.
ohne
Angabe
PLE
Personal
Learning
Environment
S.
Seite
SELKO Selbstverantwortetes
individualisiertes Lernen mit
Kompetenzrastern und individueller Lernberatung
(Modellprojekt)
SKOLA
Selbst gesteuertes und kooperatives Lernen in der
beruflichen Erstausbildung (Modellversuchsprogramm)
SuS
Schülerinnen
und
Schüler
RSS
Real Simple Syndication (siehe Glossar)
usw.
und
so
weiter
vgl.
vergleiche
Web
World
Wide
Web
WWW
World
Wide
Web
z.B.
zum
Beispiel

IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Taxonomieansatz von Social Software ... - 31 -
Abbildung 2: Screenshot eines Lehrerblogs ... - 33 -
Abbildung 3: Startseite von ,,13 Dinge" ... - 50 -
Abbildung 4: Artikel "Glasmalfarben" aus dem Glaskompendium Wiki ... - 55 -
Abbildung 5: Qualitätssicherungssystem im Glaskompendium... - 58 -

V
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Selbststeuerung für das Beispiel ,,Podcast-Lernszenario
Lagerhaltung"... - 45 -
Tabelle 2: Selbststeuerung für das Beispiel ,,13 Dinge" ... - 51 -
Tabelle 3: Selbststeuerung für das Beispiel ,,Glaskompendium"... - 59 -

- 1 -
Einleitung
1 Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
,,Heute verdoppelt sich das Weltwissen alle fünf Jahre, die Suchmaschine Google
durchforstet 30 Milliarden Webseiten im Internet, deutsche Buchverlage bringen jährlich
über 70 000 neue Titel auf den Markt, und die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet mehr
als 6300 verschiedene Berufe, viele davon hochspezialisiert." (Paulsen, 2006, S. 128)...
...und das war im Jahr 2006.
Weitestgehend unbestritten ist die Auffassung, dass wir in einer
Wissensgesellschaft mit all ihren Konsequenzen leben: Orientierung hin zum
Individuum, Unabwägbarkeiten, Risiken und Ambiguitäten (vgl. Röll, 2003, S.
31-32). Umso wichtiger wird das Wissensmanagement: das Beschaffen von
Wissen (Wissensgenerierung), das Bewahren (Wissensrepräsentation), das
Verteilen (Wissenskommunikation) und das Umsetzen in Handlung und
Entscheidung (Wissensnutzung) (vgl. Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach, &
Neubauer, 2001, S. 21-32).
Gleichzeitig verlangen globalisierte und dynamische Märkte eine rasche
Reaktion auf Veränderungen. Gefragt sind flexible, umfassend verfügbare,
hochmotivierte und breit qualifizierte Mitarbeiter (vgl. Röll, 2003, S. 37). Der
erlernte Beruf bietet dabei kaum mehr lebenslange Beschäftigungsgarantie. Es
wird vermutet, dass sich die traditionelle Arbeit auf Grundlage der
Vollbeschäftigung auflösen wird und sich verschiedene Formen der flexiblen
Arbeit durchsetzen (ebd.). Zunehmend gibt es eine Tendenz zu gering
formalisierter, ständig wechselnder Aufgabenverteilung in zeitlich befristeten
Projekten und selbstgesteuerten Teams (ebd., S. 37-38). Dadurch kommt es zu
einer Notwendigkeit die erworbenen Kenntnisse ständig an die geforderten
Qualifikationen anzupassen.
1
Lebenslanges Lernen wird in der globalisierten
Welt notwendig.
Lebenslanges Lernen fordert das Individuum auf die Verantwortung für die
eigene Qualifikation zu übernehmen. Von den Individuen wird verlangt, dass sie
1
Für den europäischen Arbeitsmarkt wird seit 2001/02 regelmäßig die Broschüre ,,Future skill
needs" vom European Centre for the Development of Vocational Training (CEDEFOP)
veröffentlicht. Sie bietet Orientierung für zukünftigen Qualifikationsbedarf (s.a.
www.cedefop.europa.eu).

- 2 -
Einleitung
die eigenen Kompetenzen entwickeln und die eigene Wettbewerbsfähigkeit
erhalten (vgl. Jung, 2000, S. 298). Es wird erforderlich ein eigenes
Bildungsleben zu entwerfen und dieses dem Markt anpassen zu können (vgl.
Röll, 2003, S. 38).
Die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen wird vor diesem Hintergrund auch
von den Bildungsbehörden als zentrale fächerübergreifende Kompetenz
angesehen (vgl. Lang & Pätzold, 2006, S. 9). Selbstgesteuertes Lernen heißt,
dass der Einzelne die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wie und
woraufhin er lernt, gezielt und weitreichend beeinflusst (vgl. Weinert, 1984, S.
97). Selbstgesteuertes Lernen gilt als neues Leitmotiv der methodisch-
didaktischen Diskussion der Berufspädagogik (vgl. Arnold, Gömez Tutor, &
Kammerer, 2002, S. 1). Doch selbstgesteuertes Lernen muss gelernt werden.
Es sind dafür bestimmte Fähigkeiten und Einstellungen nötig. Diese müssen
bereits in der Schule angelegt und in der beruflichen Bildung weiterentwickelt
werden.
Viele Indizien sprechen dafür, dass neue Medien selbstgesteuertes Lernen
besonders gut unterstützen (vgl. Kohn & Peschke, 2008, Koop & Mandl, 2006,
Dreer, 2008 und Lang & Pätzold, 2006). Es kann theoretisch zeit- und
ortsunabhängig, eigenständig und autonom, in individuell gestalteten
Lernprozessen, mit eigener Lernerfolgskontrolle gelernt werden. Doch müssen
die Medien didaktisch sinnvoll eingesetzt und aufbereitet werden, um Lernende
an selbstgesteuertes Lernen heranzuführen und dieses zu fördern (ebd.). In
Web 2.0 Anwendungen, den Technologien des ,,neuen Internets", können
Menschen miteinander kommunizieren, zusammen arbeiten oder auf andere Art
interagieren. Bei den Anwendungen stehen Individuen oder Gruppen im
Mittelpunkt, die selbstorganisiert interagieren und kooperieren (vgl.
Baumgartner & Himpsl, 2008, S. 12-13).
Eine kontroverse Situation findet man in der derzeitigen Situation vorrangig in
der beruflichen Schule, die hier dargestellt werden soll als eine Generationskluft
zwischen Schülern und Lehrern und einen Kontrast zwischen langjährigen
Lehrern und Neueinsteigern in den Beruf.

- 3 -
Einleitung
Die Mehrheit der Lehrkräfte gehört einer Generation an, die sich die neuen
Medien mühselig erarbeiten müssen und auch in der Lehrerfortbildung über
Jahre hinweg im Stich gelassen wurden (vgl. Prüher, 2007, S. 9-15). Die
Mehrheit der Schüler
2
in der Berufsschule hingegen gehören zur sogenannten
,,Net Generation"
3
, die digitale Medien instinktiv und mit Begeisterung nutzen.
Der Einfluss neuer Medien beeinflusst auch die Lernvoraussetzungen der Net
Generation. Ihnen wird nachgesagt, dass sie gegenüber der vorherigen
Generation über eine schnellere Informationsaufnahme und Reaktionszeit
verfügen, eher multitaskingfähig sind, hingegen ihre Aufmerksamkeitsspanne
niedriger sei und das zur Informationsaufnahme Bilder favorisiert werden.
4
MARC PRENSKY formuliert den Konflikt provokant: ,,Our students have
changed radically. Today's students are no longer the people our educational
system was designed to teach." (Prensky, 2001). Es drängt sich deshalb die
Frage auf, ob man diese Erfahrungskluft zwischen den Generationen nicht nur
überbrücken sondern auch die Lehr- Lernmethoden an diese neue Generation
anpassen sollte.
Während einige Lehrkräfte begeistert neue Medien nutzen, wenden andere die
Technologien sehr zögerlich oder gar nicht an. Dies konnte auch anhand einer
von der Autorin dieser Arbeit durchgeführten Befragung an kaufmännischen
Berufsschulen in Hamburg nachvollzogen werden.
5
Die Mehrheit berichtete,
dass derzeit keine Web 2.0 Anwendungen genutzt werden. Hindernisse für den
Einsatz gibt es zahlreiche: großer organisatorischer Aufwand, fehlende
mediendidaktische Qualifikation, Überfrachtung mit ,,Modekonzepten". In der
2
Zur besseren Lesbarkeit wird in der Arbeit nur die männliche Form genutzt. Gemeint sind
immer beide Geschlechter: Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer usw.
3
Es existieren zahlreiche Begriffe, um die Einwirkungen des Computers und des Internets auf
eine Generation zu bezeichnen: Net Generation, Net Kids, Internet-Generation, D Generation
(D steht für Digital) usw. Gemäß D. TAPSCOTT gehören zu dieser Generation alle nach 1978
Geborenen, für D.G. OBLINGER & J.L OBLINGER alle ab 1982 Geborenen. M. PRENSKY
vergleicht die Situation mit dem Sprachenlernen und unterscheidet ,,digital natives" und ,,digital
immigrants". Die ,,digital natives" bekommen den Umgang mit Computer und Internet quasi in
die Wiege gelegt, während die ,,digital immigrants" ihren Umgang zwar perfektionieren können,
ihren ,,Akzent" aber nie verlieren werden (Seufert & Brahm, 2007).
4
Die Lernvoraussetzungen der ,,Net Generation" wurden insbesondere von TAPSCOTT,
PRENSKY, OBLINGER & OBLINGER und C.J. TULLY untersucht und sind detailliert
nachzulesen bei Seufert & Brahm, 2007, S. 7-10.
5
Es wurden im April 2009 21 Hamburger Berufsschulen per Email angeschrieben mit der Frage
ob sie Web 2.0 Anwendungen an ihrer Schule nutzten. 13 Schulen verneinten dies. Die
restlichen angeschriebenen Schulen meldeten sich nicht auf die Email. Es gab keine positiven
Antworten.

- 4 -
Einleitung
Berufsschule ist der Einsatz neuer Medien deshalb häufig auf den Unterricht
einzelner technisch versierter Lehrkräfte beschränkt (vgl. Prüher, 2007, S. 15-
17). Unerfahrenheit und Unwissenheit in Bezug auf die Anwendung neuer
Medien scheinen jedoch zu überwiegen.
Die Entwicklung neuer Konzepte, Prinzipien, Methoden und die Präsenz neuer
Medien wird von den Lehrkräften unterschiedlich aufgenommen. Man benötigt
erhebliche Zeit und Arbeitskraft, um sich beispielsweise ein Unterrichtskonzept
anzueignen und im Unterricht umzusetzen (vgl. Jank & Meyer, 1991, S. 305-
306). Deshalb tendieren verständlicherweise Lehrkräfte mit langer
Berufserfahrung dazu, einmal angewandte Konzepte und Prinzipien auch weiter
zu verfolgen (ebd.). Wieder andere, insbesondere Referendare und
Studienanfänger, begegnen Neuerungen mit größerer Offenheit und
Faszination (ebd.). Beide Seiten sind für sich genommen verständlich, basieren
sie doch auf unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen. Jedoch bildet
sich hier eine kontroverse Situation bezüglich der Lehrmethoden ab.
1.2 Problemstellung
Neuere Lernkonzepte berücksichtigen, dass Wissen nicht direkt von einem
Menschen auf den anderen übertragen werden kann. Lernen ist aus heutiger
Sicht vielmehr eine aktive Verarbeitung von Informationen, die im Lerner selbst
stattfindet (vgl. Siebert, 2005, S. 31). Aus diesen Erkenntnissen entwickelte sich
eine Abkehr von der lehrerzentrierten Stoffvermittlung hin zum lernerzentrierten
Lernen. Einen Teilbereich der lernerzentrierten Wissensaneignung stellt das
selbstgesteuerte Lernen dar. Argumentiert man konsequent, so könnte man das
selbstgesteuerte Lernen als den ,,Königsweg des lernerzentrierten Lernens"
bezeichnen, da der Lernende hier aktiv und im Mittelpunkt des Lernens selbst
über sein Lernen entscheidet (vgl. Arnold et al., 2002, S. 2). Die praktische
Umsetzung dieses Konzepts ist jedoch keineswegs einfach. In der Praxis
geschätzte Prinzipien des lernerzentrierten Lernens sind die
Problemorientierung, die Handlungsorientierung und die Kooperation. Eine
Herausforderung ist es nun diese erfolgreichen Prinzipien auch beim
selbstgesteuerten Lernen umzusetzen. Gesellschaftliche Veränderungen und
die Verbreitung neuer Medien schaffen neue Rahmenbedingungen.

- 5 -
Einleitung
Web 2.0 bezeichnet die neue Nutzung und Wahrnehmung des Internets.
Während das Web 1.0 von einigen wenigen Experten erstellt und von den
meisten nur konsumiert wurde, steht beim Web 2.0 die Aktivität und die
Initiative der Nutzer im Vordergrund. Die Anwendungen ermöglichen es durch
relativ einfache Bedienung selbst technisch weniger versierten Nutzern, aktiv zu
werden. Im Web 2.0 können Inhalte selbst erstellt und laufend korrigiert,
verbessert und wieder entfernt werden.
,,We are no longer limited to being independent readers or consumers of information (...) we
can be collaborators in the creation of large storehouse of information. In the process, we
learn much about ourselves and our world. In almost every area of life, the Read/Write Web
is changing our relationship to technology and rewriting the age old paradigms of how
things work." (Richardson, 2006, S. 2-3)
Gerade diese aktiven und kooperativen Möglichkeiten machen das Web 2.0 für
selbstgesteuertes Lernen interessant. In der Praxis und in Kooperation von
Praxis und Wissenschaft wird inzwischen getestet einige dieser neuen
Instrumente anzuwenden. Es werden derzeit insbesondere Weblogs und Wikis
eingesetzt. Eine optimale Lösung zur Integration dieser neuen Medien und
erfolgreichen Lernprinzipien ist jedoch noch nicht gefunden.
1.3 Ziele und Aufbau der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es selbstgesteuerte Lernszenarien vorzustellen, die Web
2.0 Anwendungen integrieren. Die Kernfrage dabei lautet, ob die Anwendungen
selbstgesteuertes Lernen auch unter den Prämissen moderner Lernprinzipien
ermöglichen und unterstützen. Es wird weiter ausgeführt, was sie besonders
gut fördern und was gegebenenfalls nicht mit unterstützt wird.
Kapitel 2 stellt die Entwicklung der Annahmen des Lernens dar. Während sich
aus behavioristischer Vorstellung eher ein lehrerzentrierter Ansatz ableitete,
bestimmen heute moderne Ansichten des Kognitivismus und des
Konstruktivismus die Vorstellungen von Lernen. Neuere Lerntheorien sehen
Lernen als einen aktiven, individuellen Prozess
.
Aus dieser Ansicht entwickelte
sich eine lernerzentrierte Sicht, dem auch selbstgesteuertes Lernen zuzuordnen
ist. Die didaktischen Prinzipien lernerzentrierten Lernens sind zahlreich. In
dieser Arbeit sollen Handlungsorientierung, Problemorientierung und
Kooperation als zentrale Prinzipien dargestellt werden. Da in Kapitel 2

- 6 -
Einleitung
allgemeine Konzepte und Prinzipien erläutert werden, wird hier auch auf
Sekundärliteratur zurückgegriffen, die einen guten Überblick bieten.
In Kapitel 3 steht das selbstgesteuerte Lernen im Fokus. Der Begriff
selbstgesteuertes Lernen wird derzeit etwas inflationär genutzt und teilweise
unzureichend abgegrenzt. Für die folgende Arbeit werden verschiedene
Definitionen vorgestellt und die für die berufliche Bildung praktikabelste
herausgearbeitet.
Danach erfolgt die Darstellung, warum in der beruflichen
Bildung selbstgesteuert gelernt werden soll. Nicht nur mit den bereits in der
Einleitung angeführten gesellschaftlichen, wirtschaftspolitischen und
arbeitsorganisatorischen Gründen gewinnt selbstgesteuertes Lernen an
Bedeutung. Auch bildungstheoretisch und lerntheoretisch lässt sich
selbstgesteuertes Lernen begründen.
Danach wird auf Fähigkeiten der
Lernenden eingegangen über die diese verfügen müssen, um selbstgesteuert
zu lernen. Abschließend wird erläutert, wie selbstgesteuertes Lernen erlernt und
wie es vermittelt werden kann.
In Kapitel 4 steht das Medium Web 2.0 im Mittelpunkt der Betrachtung. Zuerst
wird ein kurzer Einblick gegeben, welche Potenziale die Internetanwendungen
für das Lernen bieten. Web 2.0 gilt als grundlegende Veränderung des
Internets. Die Anwendungen ermöglichen das aktive Mitmachen. Sie sind unter
dem Begriff Social Software zusammengefasst. Der Begriff betont die neuartige
Ausrichtung an sozialen Prinzipien. Anschließend werden zwei signifikante
Social Software Anwendungen vorgestellt: Weblogs und Wikis. Weblogs sind
digitale Tagebücher, die potentiell individuelle Wissenskonstruktion ermöglichen
und daneben die Möglichkeit bieten mit anderen in Kontakt zu treten. Als eine
Art von Blog konnte auch die auditive Variante mittels Podcasts identifiziert
werden, welche ebenfalls ähnliche Potentiale aufweist. Wikis sind kollaborativ
erstellte Webseiten, für die verschiedene Einsatzszenarien denkbar sind.
In Kapitel 5 erfolgt die Analyse von drei Beispielen für Lernszenarien mit Blogs
und Wikis. Zunächst werden die Recherche und deren Ergebnisse dargestellt.
Die Recherche soll so für Interessierte nachvollziehbar gemacht werden. Zur
Analyse wurde ein bemerkenswertes Lernszenario, in dem problemorientiert

- 7 -
Einleitung
Podcasts zum Themenfeld Lagerhaltung erstellt werden ausgewählt. Weiter
wird ein Beispiel eines Selbstlernkurses untersucht, bei dem ein Blog das
Grundgerüst bietet, um aktiv Web 2.0 Anwendungen kennen zu lernen. Zuletzt
erfolgt die Analyse eines aufwändig gestalteten Lernszenarios, dass sich mit
Hilfe einer Wikitechnologie das Ziel gesetzt hat, kooperativ ein
Glaskompendium zu erstellen. Es werden Nutzen, Grenzen und Gefahren aus
den jeweiligen Beispielen abgeleitet.
Um sich Web 2.0 bezogene Fachtermini schnell erschließen zu können, ist im
Anhang ein Glossar beigefügt.
Es kann sich aufgrund der Vielfalt der Angebote nicht mit jeder Web 2.0
Anwendung umfassend beschäftigt werden. Web 2.0 Anwendungen reichen
von Google, Skype, XING, StudiVZ, MySpace, Twitter bis hin zu Wikis und
Blogs. Es scheint sich bisher noch keine eindeutige Tendenz in der Anwendung
der Web 2.0 Tools in der Bildung abzuzeichnen. Zum einen für Wikis und zum
anderen für Weblogs existieren derzeit jedoch deutlich mehr
Unterrichtsanregungen als für andere Web 2.0 Anwendungen (vgl. Peschke,
Rüddigkeit, & Wagner, 2007, Dietrich & Koerber, 2008). Deshalb wurden in
dieser Arbeit diese beiden Anwendungen für die Untersuchung der
Praxistauglichkeit ausgewählt, in der Hoffnung hier aussagekräftige und
bewährte Beispiele zu finden. Die Arbeit kann damit einen Beitrag zum
aktuellen Stand selbstgesteuerten Lernens mit Web 2.0 Anwendungen in der
beruflichen Bildung liefern.

- 8 -
Einleitung
2 Vom lehrer- zum lernerzentrierten Lernen
2.1 Entwicklung der theoretischen Annahmen
Lerntheorien sind Hypothesen, die versuchen den Lernvorgang zu erklären.
Unterschiedliche Annahmen über menschliches Lernen führen zu
unterschiedlichen Lernkonzepten (vgl. Röll, 2003, S. 109). Jede Lerntheorie
besitzt eigene Stärken und Schwächen. Neuere Theorien entstanden meist
aufgrund von Schwächen bestehender Theorien. Es können drei zeitlich
aufeinander folgende Hauptströmungen unterschieden werden: Behaviorismus,
Kognitivismus und Konstruktivismus.
2.1.1 Behaviorismus
In unserem Bildungssystem kommt dem instruktionistischen
Vermittlungskonzept nach behavioristischer Vorstellung immer noch eine
zentrale Bedeutung zu (ebd., S. 110). Bis heute beeinflusst dieser Ansatz auch
das mediengestützte Lernen (ebd.). Instruktionistische Konzepte orientieren
sich an den Handlungen und Anweisungen des Lehrers und werden deshalb in
dieser Arbeit als lehrerzentriertes Lernen bezeichnet, wobei dabei
selbstverständlich nicht primär der Lehrer sondern der Lerner lernt. Doch
welche Auffassung von Lernen entstammen lehrerzentrierter Konzepte?
Die drei wichtigsten Schulen der behavioristischen Lerntheorie sind die
,,klassische Konditionierung", die ,,Verbindungslehre" und die ,,operante
Konditionierung". Anhand der bekannten Versuche mit Hunden zeigte IWAN P.
PAWLOW, dass es möglich sei eine gewünschte Reaktion auf einen
bestimmten Reiz anzutrainieren.
6
Ausgehend von diesen Ergebnissen
entwickelte sich die Annahme, dass Lernen durch Konditionierung und
Verstärkung (=klassische Konditionierung) z.B. in Form von positivem
Feedback und Belohnung erfolgt (vgl. Altenburger, 2005, S. 32).
6
Die Tierversuche konnten beweisen, dass eine Reaktion konditioniert bzw. antrainiert werden
kann. Im ersten Schritt stellte Pawlow fest, dass die Futtergabe beim Hund Speichelfluss
auslöst. Im Versuch wurde daraufhin immer zur Futtergabe mit einer Glocke geläutet, also ein
Reiz hinzugefügt. Danach wurde nur noch die Glocke geläutet, jedoch kein Futter gegeben. Das
Ergebnis zeigte, dass der Glockenton nun allein ausreichte um bei den Hunden Speichelfluss
auszulösen. Die Hunde wurden dementsprechend konditioniert (Seyd, 2006, S. 212).

- 9 -
Einleitung
EDWARD F. THORNDIKE als Vertreter der Verbindungslehre beschreibt die
Lernsituation als eine Problemsituation in der der Lernende verschiedene
Handlungsalternativen zur Auswahl hat. Gelernt wird seiner Ansicht nach durch
Versuch und Irrtum. Die Theorie besagt, dass sich beim Lernen eine
Verbindung von Sinneseindrücken und Handlungsimpulsen bildet
(=Verbindungslehre). Dies konnte auch in den Tierversuchen festgestellt
werden.
7
Nach seiner Vorstellung wird ein Verhalten dann abgespeichert, wenn
es eine Belohnung bringt. Folglich verändert sich Verhalten aufgrund der
Konsequenzen. Diese Regel wird als ,,Law of Effects" bezeichnet.
BURRHUS F. SKINNER baut seine Theorien auf denen von PAWLOW und
THORNDIKE auf. Er unterstützt die Theorie, dass Verhalten sich durch positive
Bestätigung lenken und sich somit lernen lässt.
8
Er unterscheidet darüber
hinaus erstmals Reaktionen, die auf einen bestimmten Reiz hin ausgelöst
werden und Reaktionen, die nicht auf einen Reiz hin ausgelöst werden (vgl.
Altenburger, 2005, S. 31f). Er überträgt seine Erkenntnisse auf den Menschen
und entwickelte Unterrichtseinheiten nach dem pädagogischen Konzept der
programmierten Unterweisung. Grundprinzip ist die Präsentation von
Informationen, deren Abfrage und eine darauf folgende Rückmeldung. Lernziel
ist meist der Erwerb von Faktenwissen (vgl. Kammerl, 2000, S. 13).
Nach behavioristischer Vorstellung ist Lernen eine Reaktion auf einen externen
Reiz. Soziale Bedingungen des Lernens werden dabei vollständig
ausgeblendet. Es wird kritisiert, dass weder das Lernumfeld noch die
Voraussetzungen und Interessen des Lernenden berücksichtigt werden (vgl.
Seyd, 2006, S. 213). Nachteil dieses Ansatzes ist insbesondere die
Nichtbeachtung von Selbstlernpotenzialen Der Lernende ist passiv. Ihm wird
möglichst gut didaktisch aufbereitetes Material angeboten. Er hat dabei keinen
7
In den Tierversuchen wurden Katzen in eine sogenannte ,,Puzzle Box" gesperrt. Um aus
dieser zu entkommen, mussten die Katzen eine relativ schwierige Hebeleinrichtung betätigen,
um danach an Futter zu kommen. THORNDIKE stellte fest, dass der Erfolg sich zufällig durch
Versuch und Irrtum einstellte. Weiter wurde festgestellt, dass je geübter die Katzen waren, sie
sich schneller aus der Box befreien konnten.
8
SKINNER demonstriert diese Theorie anhand einer Taube. In einem Käfig legt er kreisförmig
Futterkörner aus. Die Taube beginnt daraufhin im Käfig zu picken bis sie sich schließlich im
Kreis pickend um die eigene Achse drehte. Sie hatte gelernt auf die kreisförmige Anordnung mit
der Drehbewegung zu reagieren (vgl. Seyd, Berufsbildung - handelnd lernen, lernend handeln,
2006, S. 213).

- 10 -
Einleitung
Einfluss auf die Qualität des Lernstoffes und soll sich den Absichten des
Lehrenden weitestgehend unterwerfen (vgl. Seyd, 2006, S. 213). Ebenso wird
von vielen Wissenschaftlern als Mangel wahrgenommen, dass alle kognitiven
Vorgänge, wie Emotionen, Wahrnehmungen, Ideen, Ängste, Wünsche und
Erwartungen des Lernenden ignoriert werden (vgl. Altenburger, 2005, S. 32).
2.1.2 Kognitivismus
Seit der sogenannten kognitivistischen Wende gehen Lerntheoretiker davon
aus, dass Lernen durch den Auf- und Ausbau von kognitiven Strukturen erfolgt
(vgl. Röll, 2003, S. 114). Der Lernprozess wird als mentaler Prozess bei dem
Informationen aus der Außenwelt in die Innenwelt der Person übertragen
werden angesehen. Der Lerner baut dabei neue Informationen in seine
persönliche, bereits bestehende Wissensstruktur ein. In Abhängigkeit von der
bestehenden Struktur kann die Information leicht oder nur schwer eingeordnet
werden. Lernen findet statt, wenn es schwierig ist, die vorhandenen
Informationen in die bestehende Struktur einzuordnen (vgl. Lang & Pätzold,
2006, S. 14). Es entsteht eine Irritation. Eine Umorganisation der bestehenden
Struktur wird notwendig, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Lernen wird
also ausgelöst durch Erfahren von Hindernissen und wird verarbeitet durch
aktives Wahrnehmen, Erfahren und Erleben (vgl. Altenburger, 2005, S. 32). Der
Lernende lernt nach kognitivistischer Sicht aktiv und selbstgesteuert (vgl.
Thißen & Steuber, 2001, S. 316). Die didaktische Konsequenz aus dieser
Theorie ist, dass der Lerner im Mittelpunkt des Lernprozesses stehen sollte,
was in dieser Arbeit als lernerzentriertes Lernen bezeichnet werden soll.
Daraufhin wurde versucht, dies auch in didaktischen Konzepten umzusetzen.
Uneinigkeit bestand unter Vertretern des Kognitivismus bereits Anfang der 70er
Jahre über die Frage der Umsetzung. Es wurde darüber diskutiert wie
strukturiert der Lernprozess angeleitet werden sollte. DAVID P. AUSHUBEL
schlägt in seinen Ausführungen vor, Lerninhalte möglichst strukturiert
auszuarbeiten und die Lernenden eher schrittweise zur Einsicht zu führen
(vgl.
Straka & Macke, 2002, S. 99-102) ). JEROME S. BRUNER hingegen fordert
Aufgaben, die die Schüler ermutigen sich die neuen Informationen selbst zu
suchen und in die Lage zu versetzen, Lösungsstrategien selbst zu entwickeln,

- 11 -
Einleitung
was als entdeckendes Lernen bekannt wurde (ebd., S. 115-118). Neu bei
diesem Ansatz ist, dass die Lernenden den Zugang zum Wissen selbst steuern.
Weiter wird in diesem Ansatz Lernen als ein sozialer Prozess gesehen. Dies
entspricht ebenso dem konstruktivistischem Ansatz, weshalb es teils auch dem
Konstruktivismus zugeordnet wird (vgl. Röll, 2003, S. 119).
2.1.3 Konstruktivismus
Die Sicht des Konstruktivismus auf das Lernen erweitert das lernerzentrierte
Lernen. Dem Konstruktivismus entsprechend bildet der Mensch als Beobachter
der Welt diese nicht einfach ab, sondern ,,konstruiert und erschafft das, was er
zu erkennen glaubt im Akt der Beobachtung selbst" (Arnold & Siebert, 2006).
Demnach ist Lernen ein individueller Prozess bei dem die Wirklichkeit vom
Lerner konstruiert wird.
9
Lernen benötigt zwar Informationen von außen, aber
diese äußere Realität wird nicht im Kopf abgebildet und widergespiegelt,
sondern sie wird aktiv ausgewählt und konstruiert (vgl. Siebert, 2005, S. 31).
Die individuelle Konstruktion von Wissen basiert auf der aktiven Verarbeitung
von Informationen. Diese werden ähnlich den Ansichten des Kognitivismus vom
Lernenden individuell gespeichert. Im Gegensatz zur kognitivistischen Theorie
gehen allerdings Vertreter des Konstruktivismus davon aus, dass Wissen
dynamisch und selbstgesteuert in jeder Situation neu konstruiert wird (vgl.
Issing, 1997, S. 195-220). Zusätzlich wird Lernen auch als ein sozialer Prozess
gesehen (vgl. Röll, 2003, S. 119). Konstruktivistische Theorien betonen, dass
Lernen immer in Auseinandersetzung mit der Lernumgebung und Lernpartnern
stattfindet, d.h. also dem gegenständlichen und vor allem dem sozialen Kontext
(vgl. Theis, Aprea, Lauck, & Ebner, 2008, S. 2).
Dies hebt insbesondere GEORGE SIEMENS hervor, der einen neuen Ansatz
des Lernens für das digitale Zeitalter entwickelte. SIEMENS betont, dass
modernes Lernen zunehmend ein Netzwerkbildungsprozess ist (vgl. Bernhardt
& Kirchner, 2007, S. 38). Er erklärt, dass Lernen immer in sozialen Netzen
stattfindet. Lernen ist ihm zufolge weiter ein Wissensbildungsprozess und
bedeutet nicht, nur Wissen zu konsumieren, sondern Informationsquellen und
9
In dieser Arbeit wird nicht zwischen gemäßigtem und radikalem Konstruktivismus
unterschieden. Es geht hier um die von allen konstruktivistischen Positionen getragene
Überzeugung, dass Lernen ein aktiver Konstruktionsprozess des Lernenden ist.

- 12 -
Einleitung
Netzwerke zu pflegen. Wissen wird seines Erachtens nicht ständig neu
konstruiert, sondern permanent neu verbunden. Deshalb bezeichnet er diese
Theorie als Konnektivismus (engl. Connection: Verbindung). Die Fähigkeit
Verbindungen zwischen Bereichen, Ideen und Konzepten zu erkennen wird von
SIEMENS als Kernkompetenz gesehen (vgl. Siemens, 2004).
Aus der zunehmenden ,,Wissensflut" und der verkürzten Halbwertszeit von
Wissen schlussfolgert SIEMENS, dass es heutzutage wichtiger sei, die Quellen
zum Wissen zu kennen, als das Wissen selbst. Eine Kernaussage der Theorie
lautet deshalb ,,The pipe is more important than the content within the pipe"
(Siemens, 2006, S. 32). Die Konsequenz ist, dass Wissen nicht länger im
Voraus gelernt werden sollte, sondern dass vielmehr Techniken vermittelt
werden sollten, um an Wissen zu gelangen. Obwohl dies einleuchtend
erscheint, kann diese Herangehensweise auch als Akt der Kapitulation in der
Debatte von Bildungsinhalten kritisiert werden (vgl. Paulsen, 2006, S. 139).
SIEMENS bezeichnet seine Theorie als neue Lerntheorie. Kritiker dieser
Theorie merken an, dass SIEMENS eher eine didaktische Frage erläutert
nämlich ,,was" und ,,warum" gelernt wird, denn eine neue Antwort auf das ,,wie"
bietet (vgl. Verhagen, 2006). Die Theorie soll auch in dieser Arbeit als
didaktische Umsetzung des Konstruktivismus gewertet werden.
Die vorgestellten Lerntheorien Behaviorismus, Kognitivismus und
Konstruktivismus zeigen die Entwicklung der Annahmen über das Lernen. Aus
dem Verständnis Lernen als Reaktion auf einen externen Reiz anzusehen
resultierten instruktionistische Überlegungen. Konsequenterweise stand hier der
Lehrer im Fokus. Durch die Annahme, dass Lernen ein aktiver
Verarbeitungsprozess im Lerner sein, machen diese Überlegungen zunehmend
lernerorientierten bzw. lernerzentrierten Prinzipien Platz. Eine Auswahl steht im
Fokus der Betrachtungen des folgenden Kapitels.

- 13 -
Einleitung
2.2 Prinzipien lernerzentrierten Lernens
Es gibt in den Teilbereichen der beruflichen Bildung unterschiedlich
angewandte Prinzipien. Die hier Vorzustellenden sind eine Auswahl der
inzwischen recht üblichen Prinzipien lernerzentrierten Lernens: der
Handlungsorientierung, der Problemorientierung und der Kooperation. Es gibt
jedoch zu jedem Prinzip ein unterschiedliches Verständnis. Deshalb soll
formuliert werden, wie jedes hier verstanden wird. Weiter wird ein Bezug zu den
theoretischen Annahmen hergestellt und auch auf die konkrete Umsetzung
eingegangen.
2.2.1 Handlungsorientierung
,,Sage es mir und ich werde es vergessen.
Zeige es mir und ich werde mich daran erinnern.
Beteilige mich und ich werde es verstehen." (La Se zit. nach Röll, 2003, S. 51)
Im Sinne dieses Zitats stellt auch der Schweizer Lernpsychologe HANS AEBLI
fest, dass Lernen am besten in Auseinandersetzung mit Aufgaben geschieht,
die wir an uns selbst erproben und mit denen wir uns identifizieren (vgl. Seyd,
2006, S. 201). AEBLI versteht, wie auch sein Lehrer JEAN PIAGET Denken als
,,Ordnen des Tuns". Die Forderung nach Handlungsorientierung soll hier
deshalb verstanden werden als Forderung Lernprozesse so zu gestalten, dass
sie den Lernenden möglichst aktiv handeln lassen. Ziel dabei sollte es sein,
dass nicht der Lehrende, sondern die Lernenden gezielt selbst tätig werden und
die Handlung ausführen.
10
Die handlungsorientierte Gestaltung ist ein
methodisch-didaktisches Konzept, dass sich im Wesentlichen aus der
Lerntheorie des Konstruktivismus ableitet. Handlungsorientiertes Lernen
orientiert sich deshalb an den Interessen der Lernenden und dem Lernprozess.
Ziel ist das Schaffen von konkreten materiellen und/oder sprachlichen
Produkten (vgl. Jank & Meyer, 1991, S. 315). Diese Produkte sollen in einem
Handlungsprozess erstellt werden.
Handlung ist im Gegensatz zum bloßen Tun ein umfassender Prozess, der von
einer gewissen Systematik geprägt ist (vgl. Seyd & Brand, Ganzheitliche
10
Deshalb ist Handlungsorientierung auch eng verbunden mit Selbststeuerung der Lernenden,
in der die Lernenden den Lernprozess weitestgehend selbst ausführen ( 3.2 Begriffsdefinition
Selbstgesteuertes Lernen).

- 14 -
Einleitung
Rehabilitation in Berufsförderungswerken, 2002, S. 31). Bereits in den 70er
Jahren formulierten WINFRIED HACKER und WALTER VOLPERT ein Modell
der vollständigen Handlung in welchem sechs Phasen dargestellt werden. Nach
diesem inzwischen gebräuchlichen Modell sind die Handlungsphasen (vgl.
Seyd & Brand, Ganzheitliche Rehabilitation in Berufsförderungswerken, 2002,
S. 31):
- Informieren
- Planen
- Entscheiden
- Ausführen
- Kontrollieren
- Bewerten.
Der Lernende setzt sich in der Informationsphase mit dem Ziel seines
Lernprozesses auseinander. Er beginnt die Planungsphase mit einer groben
Skizze des möglichen Vorgehens. In der Entscheidungsphase teilt er die
Aufgaben ein. Es kann hier auch die Aufteilung der Arbeiten in einer Gruppe
erfolgen. Anschließend werden die Arbeiten in der Ausführungsphase
umgesetzt. In der Kontrollphase, die hier prozessbegleitend und
prozessabschließend geschehen kann, wird das Arbeitsergebnis mit dem
Lernauftrag verglichen. In der abschließenden Bewertungsphase wird der
zurückgelegte Arbeitsprozess bzw. Lernprozess bewertet (vgl. Seyd, 2006, S.
202-203).
2.2.2 Problemorientierung
Als ebenfalls bedeutungsvoll hat sich in den letzten Jahren der praktischen
Umsetzung neuerer Lerntheorien der problemorientierte Ansatz herausgestellt.
GABI REINMANN-ROTHMEIER und HEINZ MANDL bezeichnen ihn als
Balanceakt zwischen Instruktion und Konstruktion (Vgl. Mandl & Reinmann-
Rothmeier, 1998). Die Problemorientierung leitet sich demnach aus den
Theorien des Konstruktivismus ab, versucht aber die Anleitung für den
Konstruktionsprozess des Lernenden zu integrieren.
Bei der didaktischen Umsetzung bietet NORBERT LANDWEHRS Theorie des
erkenntnisorientierten Lernens praktische Handlungsempfehlungen. Auch

- 15 -
Einleitung
LANDWEHR versteht Lernen als einen aktiven und kreativen
Auseinandersetzungsprozess. Deshalb soll der Wissensinhalt von den
Lernenden in einem Prozess der Wissensgenese selbst nachvollzogen werden
(vgl. Landwehr, 2001, S. 2-9). Die Wissensvermittlung soll konsequenterweise,
wie auch im Sinne der Handlungsorientierung, prozessorientiert und
subjektorientiert sein (vgl. ebd., S. 16-21). Der Lernprozess sollte dann
problemorientiert gestaltet werden. Für LANDWEHR bedeutet dies, dass als
Auslöser für Lernen ein Problem dargestellt wird. Dadurch wird ihm zufolge
ermöglicht, dass die Lernenden von Anfang an den Nutzen des zu erwerbenden
Wissens kennen und zu erwerbende Kenntnisse nicht zu reinem Memorierstoff
degradieren (vgl. ebd., S. 65). Die Lernenden sollen im Lernprozess diese
Schwierigkeit bzw. dieses Problem zunächst selbst erfahren können. Es soll
ihnen dabei die Chance gegeben werden, eine eigene Lösung zu finden, bevor
eine Expertenlösung vermittelt wird (vgl. ebd., S. 71-73). Der Lehrende soll
dazu besser Schwierigkeiten herausgreifen, statt Vollständigkeit anzustreben
(vgl. ebd., S. 64-68). Der Lehrer soll den Lernprozess dabei moderieren, anstatt
nur Informationen vorzutragen (vgl. ebd., S. 69-70). Ihm kommt die Aufgabe
eines Moderators bzw. Lernbegleiters zu. Für den Lehrer ergibt sich die
Aufgabe, die Lerner so anzuleiten, dass sie ,,kluge und nützliche Gedanken
selbst hervorbringen können" (Röll, 2003, S. 70).
11
Lernen soll LANDWEHR
zufolge nicht auf die Aneignung möglichst vieler Kenntnisse ausgerichtet sein
sondern auf die Ausbildung von Wahrnehmungs-, Denk- und
Handlungsschemen, die auf verschiedene Situationen übertragbar sind
(=Erkenntnisorientierung).
2.2.3 Kooperation
Kooperation ist meist auch ein zusätzlich geforderter Grundsatz der
Handlungsorientierung und der Problemorientierung, wird jedoch eher als
implizite Gestaltungsaufgabe dargestellt (vgl. Jank & Meyer, 1991, S. 327).
Grundsätzlich ist Lernen nach den Prinzipien der Handlungsorientierung und
Problemorientierung nach dem bisherigen Verständnis aber auch nicht
11
Diese Lehrerrolle wird von den meisten Vertretern moderner Lernkonzepte vertreten (vgl.
Seifried, 2008, Konrad & Traub, 1999, S. 44). Durch kognitivistische und auch
konstruktivistische Auffassungen verschieben sich die Aufgaben des Lehrers immer mehr in
Richtung Lernberater, -begleiter, Unterstützer und Förderer.

- 16 -
Einleitung
kooperativ möglich. Die Gefahr besteht, dass aufgrund der lerntheoretischen
Annahmen der Betonung des Individuums lernerzentriertes Lernen leicht als
isoliertes Lernen, also dem Lernen allein, missverstanden wird. Beispiele dafür
gibt es einige, insbesondere im Bereich des individualisierten,
selbstverantworteten und selbstgesteuerten Lernens (obwohl diese Konzepte
keineswegs kooperatives Lernen ausschließen).
12
Lernen wird gemäß neuer
Lerntheorien nicht nur als individueller Vorgang betrachtet, sondern beinhaltet
immer auch den sozialen Aspekt. Lernen sollte deshalb in soziale Kontexte
bzw. Gemeinschaften eingebettet werden. Deshalb soll hier das Prinzip der
Kooperation als drittes zentrales Prinzip hervorgehoben werden.
Kooperation (lat. Cooperatio: Zusammenarbeit, Mitwirkung) bedeutet, dass zwei
oder mehrere Beteiligte zusammenwirken. Kooperatives Lernen wird darüber
hinaus als gleichberechtigte Beteiligung der Lernenden verstanden. Auch
SILKE KONRAD versteht kooperatives Lernen als Lernen bei dem die
beteiligten Personen gemeinsam und in wechselseitigem Austausch Kenntnisse
und Fähigkeiten erwerben (vgl. Traub, 2004, S. 32). Für sie sind im Idealfall alle
Gruppenmitglieder am Lerngeschehen gleichberechtigt beteiligt und tragen
gemeinsam Verantwortung (vgl. ebd.).
Kooperatives Lernen wird dabei vielfach durch Lernen in Gruppen umgesetzt
(vgl. Kremer, 2007, S. 32). Es kann dabei in koordinatives Lernen und
kollaboratives Lernen unterschieden werden. Bei einer kollaborativen
Lernaufgabe erfolgt eine gemeinsame Aufgabenbearbeitung. Bei einer
koordinativen Aufgabe hingegen wird eine verteilte Aufgabenbearbeitung
verlangt. Entscheidend ist also, ob die Lernsituation eher Koordination oder
Kollaboration erfordert (vgl. ebd., S. 32-34).
REINMANN ROTHMEIER und MANDL sehen mehrere Vorteile kooperativen
Lernens (vgl. Straka & Macke, 2002, S. 154). Kooperatives Lernen zwingt dazu,
sich mit unterschiedlichen Sichtweisen auseinanderzusetzen, um ein tieferes
12
Beispiele hierfür sind der Europäische Computer-Führerschein (ECDL) und auch die
Umsetzung des Projektes Selbstverantwortetes individualisiertes Lernen mit Kompetenzrastern
und individueller Lernberatung (SELKO) an einigen Hamburger Berufsschulen. Häufig findet
hier das Lernen weitestgehend isoliert statt.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836644099
DOI
10.3239/9783836644099
Dateigröße
3.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Erziehungswissenschaften, Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Erscheinungsdatum
2010 (März)
Note
1,0
Schlagworte
selbstgesteuertes lernen selbstbestimmtes wiki blog
Zurück

Titel: Selbstgesteuertes Lernen mit Web 2.0 gestützten Szenarien in der beruflichen Bildung
Cookie-Einstellungen