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Die Gottesreden im Buch Hiob

©2009 Masterarbeit 127 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Warum muss der Gerechte leiden?
Die Erfahrung von Leid und die Frage nach der Ursache und dem Sinn des Leids gehören zu den Grunderfahrungen und -fragen der Menschheit. Große ‘Warum, Gott?’-Plakate werden in Nachrichten und Reportagen gern eingeblendet, wenn Unschuldige Leid oder gar den Tod erfahren müssen. Die Problematik ist freilich zeitlos, überindividuell und übernational. Sie kann von Menschen verschiedener Zeitalter und von Angehörigen unterschiedlicher Völker erlebt und miterlitten werden. Jeder hat sich sicher schon einmal die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts persönlicher oder universaler Missstände gestellt.
Der fromme, untadelige Hiob gerät ebenfalls ohne eigenes Verschulden in eine tiefe Krise, in ein großes Leid, so schreibt es der unbekannte, nachexilische Verfasser des Hiobbuches. Die Frage, ob Hiobs Frömmigkeit nur durch die Tatsache seines Wohlergehens vorhanden war und ob er auch im Unglück an Gott festhalten würde, bildete den Ausgangspunkt einer Art ‘Wette’ zwischen Gott und Satan, welche Hiobs Lebensgeschichte maßgeblich bestimmte.
Hiob klagt Gott auf sein Leid hin schwer an und fragt auch ‘Warum?’, aber er geht weit über die inkonkrete Frage hinaus und äußert explizit und ausführlich. Er kann diesen Zusammenhang seines Tuns mit dem eingetroffenen Leid nicht logisch verbinden. Seine Äußerungen führen durch Monologe, Gespräche mit seinen Freunden, bis hin zur direkten Anrede und Anklage an Gott.
Hiobs Leid ist jedoch kein normales. Es geht nicht um Leid im Krieg oder Leid aus Unterdrückung durch andere Menschen. Das Leid, anfänglich der Verlust seines Reichtums und seiner Kinder, anschließend durch eigene, schwere Krankheit, beschreibt letztendlich eher den Abstand zwischen Hiob und Gott, zwischen Geschöpf und Schöpfer, der jede Einsicht und Deutung verwehrt. Es geht nicht um das Erbeten und Zurückwünschen des vorherigen (besseren) Zustandes, sondern um Begründungen des (ungerechten) Leids.
Hiobs Mut war zu dieser Zeit außerordentlich, denn nach alttestamentlicher Grundanschauung war man davon überzeugt, dass Leid die Strafe für Sünde ist und sein sollte (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Doch Hiob zweifelte dies an und scheute sich nicht, dies auszusprechen. Die ‘Krise der Weisheit’ wurde damit im Hiobbuch zum Ausdruck gebracht und zur Diskussion gestellt.
Gottes Antwort auf Hiobs Problemfall ist in den letzten vier Kapiteln des Buches wiedergegeben. Die Gottesreden sind der Höhepunkt […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Susann Koch
Die Gottesreden im Buch Hiob
ISBN: 978-3-8366-4395-5
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland, MA-Thesis / Master, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

1
Inhaltsverzeichnis
Die Gottesreden im Buch Hiob ... 2
1. Die Hiob-Dichtung... 4
1.1 Verfasser und Datierung... 4
1.2 Weisheitsliteratur ... 7
2. Aufbau des Hiobbuches ... 10
3. Prolog ... 11
4. Dialog mit den Freunden (Hi 3-37)... 18
4.1 Erster Redezyklus... 18
4.2 Zweiter und dritter Redezyklus ... 21
4.3 Elihu-Reden... 23
4.4 Resümee: Situation bis zum 38. Kapitel ... 24
4.4.1 Die Freunde ... 25
4.4.2 Hiob... 27
5. Die Gottesreden... 32
5.1 Die erste Gottesrede ... 34
5.1.1 Einleitung ... 36
5.1.2 Schöpfung und unbelebter Kosmos... 37
5.1.3 Tierwelt ... 43
5.1.4 JHWHs Herausforderung ... 51
5.1.5 Hiobs Antwort ... 51
5.2 Die zweite Gottesrede ... 52
5.2.1 Gott ­ ein Frevler?... 52
5.2.2 Behemoth ... 54
5.2.3 Leviathan... 56
5.2.4 Hiobs Antwort ... 61
6. Epilog ... 65
6.1 Hiobs Rechtfertigung ... 65
6.2 Hiobs Wiederherstellung... 67
7. Stilmittel ... 70
8. ,,Gerechtigkeit" in den Gottesreden ... 75
9. Schöpfung in den Gottesreden ... 77
9.1 Schöpfungsperspektiven des AT... 79
9.1.1 Hiob 38ff. ... 80
9.1.2 Genesis 1 ... 87
9.1.3 Genesis 2f... 90
9.1.4 Psalm 104 ... 92
9.1.5 Deutero-Jesaja, Jesaja 51... 94
9.1.6 Resümee ... 96
9.2 Schöpfung und Volk Israel... 100
9.2.1 Neuansätze neben der Priesterschrift ... 104
9.2.2 Priesterlicher Schöpfungstext... 105
9.3 Hiob und Volk Israel ... 109
9.3.1 Parallelen... 110
9.3.2 Vergleichbarkeit ... 113
9.3.3 Folgerung ... 114
10. Fazit... 116
Literaturverzeichnis... 119

2
Die Gottesreden im Buch Hiob
Warum muss der Gerechte leiden?
Die Erfahrung von Leid und die Frage nach der Ursache und dem Sinn des Leids gehören zu
den Grunderfahrungen und -fragen der Menschheit. Große ,,Warum, Gott?"-Plakate werden in
Nachrichten und Reportagen gern eingeblendet, wenn Unschuldige Leid oder gar den Tod
erfahren müssen. Die Problematik ist freilich zeitlos, überindividuell und übernational. Sie
kann von Menschen verschiedener Zeitalter und von Angehörigen unterschiedlicher Völker
erlebt und miterlitten werden. Jeder hat sich sicher schon einmal die Frage nach der
Gerechtigkeit Gottes angesichts persönlicher oder universaler Missstände gestellt.
Der fromme, untadelige Hiob gerät ebenfalls ohne eigenes Verschulden in eine tiefe Krise, in
ein großes Leid, so schreibt es der unbekannte, nachexilische Verfasser des Hiobbuches. Die
Frage, ob Hiobs Frömmigkeit nur durch die Tatsache seines Wohlergehens vorhanden war
und ob er auch im Unglück an Gott festhalten würde, bildete den Ausgangspunkt einer Art
,,Wette" zwischen Gott und Satan, welche Hiobs Lebensgeschichte maßgeblich bestimmte.
Hiob klagt Gott auf sein Leid hin schwer an und fragt auch ,,Warum?", aber er geht weit über
die inkonkrete Frage hinaus und äußert explizit und ausführlich. Er kann diesen
Zusammenhang seines Tuns mit dem eingetroffenen Leid nicht logisch verbinden. Seine
Äußerungen führen durch Monologe, Gespräche mit seinen Freunden, bis hin zur direkten
Anrede und Anklage an Gott.
Hiobs Leid ist jedoch kein normales. Es geht nicht um Leid im Krieg oder Leid aus
Unterdrückung durch andere Menschen. Das Leid, anfänglich der Verlust seines Reichtums
und seiner Kinder, anschließend durch eigene, schwere Krankheit, beschreibt letztendlich eher
den Abstand zwischen Hiob und Gott, zwischen Geschöpf und Schöpfer, der jede Einsicht
und Deutung verwehrt. Es geht nicht um das Erbeten und Zurückwünschen des vorherigen
(besseren) Zustandes, sondern um Begründungen des (ungerechten) Leids.
Hiobs Mut war zu dieser Zeit außerordentlich, denn nach alttestamentlicher Grundanschauung
war man davon überzeugt, dass Leid die Strafe für Sünde ist und sein sollte (Tun-Ergehen-
Zusammenhang). Doch Hiob zweifelte dies an und scheute sich nicht, dies auszusprechen.
Die ,,Krise der Weisheit" wurde damit im Hiobbuch zum Ausdruck gebracht und zur
Diskussion gestellt.
Gottes Antwort auf Hiobs Problemfall ist in den letzten vier Kapiteln des Buches
wiedergegeben. Die Gottesreden sind der Höhepunkt des Werkes, worin die theologische
Distanz Gottes zu diskutieren ist. Durch die Form der Theophanie gibt er keine konkreten,
direkten Lösungen auf Hiobs Fragen. Stattdessen präsentiert Gott seine Schöpfung auf
faszinierende Weise, wodurch der Leidende letztendlich sein Ja zur Geschöpflichkeit findet.

3
Statt von Hiobs Geschick zu reden, wird eine außer- und gegenmenschliche Welt vorgestellt,
die nicht auf den Menschen und seine Bedürfnisse ausgerichtet ist. Gott stellt sich nicht als
Harmoniegarant vor, sondern beschreibt die chaotischen Elemente der Welt, die er aber
immer wieder bekämpft und begrenzt. So ist die Widersprüchlichkeit zwischen Hiobs Tun
und seinem Ergehen in der Analogie zur Widersprüchlichkeit der Welt im Ganzen aufgezeigt.
Die Analogie indes ist nicht die Begründung für das Leiden Hiobs. Sie zeigt weder den
Zweck noch die Notwendigkeit des Leids. Doch sie erzählt vom Ende dieses und bezeichnet
damit partiell und utopisch, dass jedes Leiden ein Ende haben kann.
1
Die Gottesreden des Hiobbuches werden in dieser Arbeit näher untersucht. Nach einer
Hinführung zu diesen wird eine Exegese der knapp vier Kapitel erfolgen. Die daraus
gewonnenen ,,Erkenntnisse" werden als Basis für die weiteren Kapitel dieser Arbeit dienen.
Zum einen wird daraufhin der Kontext der Hiobdichtung um die leidende Person Hiob
betrachtet und der Nutzen für diesen im Leid geklärt. Zum anderen soll eine
Gegenüberstellung zum Volk Israel stattfinden. Jenes bekam ebenfalls in seinen schwersten
Zeiten im Babylonischen Exil eine Schöpfungs-Geschichte überliefert. Zwischen den beiden
Geschichten spielen sich interessante Parallelen auf universaler und ganz persönlicher Ebene
ab, die doch auf ein und dasselbe Ziel gerichtet sind. Die Schöpfung in ihrem Zweck und ihrer
Intention der Verwendung näher zu verdeutlichen, ist ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit.
Letztendlich geht es um den Schöpfungsglauben, der Krisen überwinden lässt.
1
Vgl. Ebach, Ursprung und Ziel, 64-69.

4
1. Die Hiob-Dichtung
Das Buch Hiob (hebräisch Iyyov, in der Septuaginta und in der Vulgata Job/Iob)
2
gehört zu
einem der bedeutendsten Werke der Weltliteratur. Innerhalb des Alten Testaments (AT) wird
es ebenso wie die Bücher der Psalmen und Sprüche zu den poetischen Schriften gezählt. Die
Besonderheit des Hiobbuches besteht darin, dass es eines der wenigen des AT ist, welches
allgemein menschliche, jede Generation neu aufgegebene Fragestellungen aufwirft.
Das AT ist heute eine über mehrere Jahrhunderte gewachsene Büchersammlung, deren
Umfang sowie Gestalt (Kanon) erst nach Christi Geburt verbindlich festgelegt wurde. Hier
lassen sich verschiedene Richtungen aufweisen: die Traditionsliteratur und die
Autorenliteratur. Erstere hatte häufig bestimmte Stoffe und Themen vorgegeben, die variiert
werden und gelegentlich auch durch ihre Umkehrung zur gegenteiligen Aussage gebracht
werden konnten
3
. Das Hiobbuch ist eher in den Bereich der Autorenliteratur einzuordnen und
zeichnet sich durch seine besondere und einzigartige Form aus: der Verfasser verbindet hier
eine in Prosa gehaltene Rahmenerzählung mit einem poetischen Dialogteil.
4
,,Hiob" hat nicht nur seinen Status als theologisches Buch, sondern wird als Buch der
Dichtung auch Gegenstand der Literaturwissenschaft. Das, was Hiob als Buch zur Dichtung
macht, erzeugt den Rang und die Eigentümlichkeit seiner Theologie, die erst erfasst werden
kann, wenn man das Buch als Dichtung wahrnimmt. Umgekehrt kann es als Dichtung
ebenfalls nur angemessen in den Blick kommen, wenn seine theologischen Dimensionen
aufgeschlossen werden.
5
Das alttestamentliche Buch ist nach seiner Hauptgestalt Hiob benannt. Der Name trägt die
ursprüngliche Bedeutung ,,Wo ist mein Vater?" und lässt sich im Alten Orient zwischen dem
20. und 14.Jh.v.Chr. so zahlreich wiederfinden, dass eine eindeutige Lokalisierung der
Namensherkunft kaum möglich ist. Ob der nichtisraelische ,,Held" dieses Buches überhaupt
eine konkrete historische Person war, ist umstritten. Vielmehr wird von ihm als ein seit Alters
im Vorderen Orient bekannter Typos eines Weisen, Gerechten oder Frommen der Vorzeit
gesprochen sowie als ein Vorbild der gottergebenen Geduld im Leiden.
6
1.1 Verfasser und Datierung
Die Auffassungen und Meinungen über den Verfasser des 42 Kapitel umfassenden Buches
sind weit gestreut. Es wird nicht davon ausgegangen, dass der Buchname ,,Hiob" für den
2
Vgl. F.A. Brockhaus, Hiob, 95.
3
Vgl. u.a. Ex 14: Die Rettung der Israeliten am Schilfmeer als kontingentes Ereignis, aber auch stark mythisch
tangiertes Geschehen, das zeitlose Gültigkeit für sich beantwortet. (Vgl. Kaiser, Dichtung als Theologie, 123f.)
4
Vgl. Kaiser, Dichtung als Theologie, 123f.
5
Vgl. ebd., 5.
6
Vgl. Mende, Ijob, 414.

5
Namen des Autors steht. Im Talmud, neben der Tora das bedeutendste Schriftwerk des
Judentums, wurde beispielsweise Mose als möglicher Verfasser angenommen. Das
schwierige Hebräisch und die vorwiegend dichterische Sprache deuten in jedem Fall darauf
hin, dass es sich bei dem Schreiber um einen gebildeten Israeliten handelte.
7
Um die Datierung richtig und sinnvoll zuordnen zu können, ist ein Einblick in die historisch-
politische, sozialgeschichtliche Situation notwendig. Obwohl im Hiobbuch keine historischen
Anspielungen zu finden sind, gehen Frank Crüsemann und Rainer Albertz davon aus, dass
durch die sozialgeschichtlichen Angaben die Endgestalt für das 5.Jh.v.Chr. in Palästina
herzuleiten ist.
8
Zur Situation: Wir befinden uns zunächst in der Perserzeit (538-333v.Chr.) relativ kurz nach
dem zerfallenen babylonischen Großreich und dem Untergang Judas - einer schwierigen Krise
für das Volk Israel. Nach der babylonischen Fremdherrschaft (586-538v.Chr.), dem
babylonischen Exil, folgte nun die persische Herrschaft, die später auch die Rückkehr der
Juden in ihre Heimat ermöglichte. Der Jerusalemer Tempel wurde wieder aufgebaut und
ermöglichte schließlich eine von Priestern und Ältesten getragene Selbstverwaltung der
Provinz Juda auf der Grundlage der mosaischen Gesetze. So wurden die Tora und ihre
Durchsetzung verpflichtend und Israel existierte als Theokratie.
9
Als Quelle des zu Beginn
der zweiten Hälfte des 5.Jh.v.Chr. anfangenden sozialen Konfliktes im nachexilischen Juda
steht die Nehemia-Denkschrift, die von den damaligen Ereignissen, sogar durch einen
Augenzeugen, berichtet. In dieser Schrift zeigt sich die schwierige Seite der persischen
Herrschaft: Fronarbeit als öffentliche Verpflichtung beim Bau der Stadtmauer von Jerusalem,
hohe Steuern und steigende Kosten sowie eine dürrebedingte Hungersnot.
10
Das nachexilische
Juda war eindeutig geprägt von dem Exil und dem Zusammenbruch der alten Ordnung, vom
mühseligen Wiederanfang, der Fremdherrschaft mit vielen negativen Folgeerscheinungen wie
hohen und unkontrollierten Tributen und Abgaben sowie der Entpolitisierung und
Entmilitarisierung der früher führenden Schichten. Die Perserzeit bot eine höchst armselige
materielle Kultur und ist als Hintergrund für die vielen Texte der nachexilischen Zeit (wie
Hiob und Kohelet), in denen die Veränderungen der traditionellen Lebens- und
Glaubensformen zum Ausdruck kommen, zu beachten.
11
Durch den Siegeszug Alexanders 330v.Chr. wurde das Perserreich von den hellenistischen
Herrschern abgelöst und war zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden umstritten.
12
7
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur,103.
8
Vgl. ebd., 102f.
9
Vgl. Ohler, dtv-Atlas, 15, 233.
10
Vgl. Schottroff, Gerechtigkeit lernen, 52-66.
11
Vgl. Crüsemann, Hiob und Kohelet, 390f.
12
Vgl. Johannsen: Alttestamentliches Arbeitsbuch, 279.

6
Bereits unter den Ptolemäern (ab 250v.Chr.) war es für die Juden schwer erträglich, ihr Land,
welches ihnen von Gott verliehen wurde, nun von der neuen Herrschaft teuer abzukaufen.
Die große Menge an Steuern wurde oft mit Hilfe des Militärs, teils gewaltvoll eingetrieben.
Die Situation wurde im Vergleich zur Perserzeit nicht besser. Auch die Seleukiden (ab ca.
198v.Chr.) griffen stark in religiöse Ordnungen ein. Diese zweite wesentliche politische
Veränderung, die zu Unruhen im Land durch kriegerische Übergriffe führte, prägte das Buch
nachhaltig in seinen Überarbeitungen.
13
Die erste Überarbeitung des Buches wurde vermutlich durch schriftgelehrte Weisen im
3.Jh.v.Chr. durchgeführt. Die Elihureden (Kapitel 32-37), zusätzliche Aspekte der
Hiobsklagen (Kapitel 21-27) und Aspekte der Erziehung des Menschen durch das Leiden
(Kapitel 32-37) werden als Ergänzung angenommen. Eine weitere Überarbeitung erfuhr das
Hiobbuch im 3.-2. Jh.v.Chr., als sich der Konflikt zwischen Frevlern und Frommen im
Gottesvolk unter dem Einfluss des seleukidischen Herrschers zuspitzte. Es wird also davon
ausgegangen, dass das Hiobbuch nicht nur aus einer Hand stammt, welches ebenso an
inhaltlichen und literarischen Spannungen zu erkennen ist.
14
Der Verfasser des um 190 v. Chr. entstandenen Buches Sirach scheint die Buchrolle um die
Hauptfigur Hiob bereits gekannt zu haben, da sowohl sprachliche als auch inhaltliche
Parallelen in seinem Werk zu finden sind. Deshalb kann man davon ausgehen, dass das Buch
in seiner jetzigen Gestalt spätestens um das Jahr 200v.Chr. abgeschlossen wurde.
15
Das Buch Hiob wendet sich an ein Publikum, das gelehrte Anspielungen versteht, denn es
werden sowohl Themen als auch Sprachformen außerbiblischer Texte verwendet, die sich auf
zeitgenössische wirtschaftliche und soziale Verhältnisse und nicht zuletzt auf die
Glaubenserfahrungen Israels beziehen. Da kaum exakt greifbare historische Bezüge im
Hiobbuch aufzuweisen sind, bleiben Inhalt, Thema und Bewältigung dessen notwendig
zeitlos, wodurch sich die große Wirkungsgeschichte letztendlich entfalten konnte.
16
Durch die Zeit der sozialen Umbruchsstimmung sollte das Buch Hiob an alle Jahwetreuen,
aristokratischen und besitzenden Kreise gerichtet sein, die als Unschuldige in das Gericht
über die Schuldigen einbezogen waren und keinen Anteil an den Segensgütern des
verheißenen Landes, wie auch dem Tempel und der politischen Autonomie, hatten.
17
Aufgrund Hiobs hohen sozialen Standes als Patriarch lässt sich die schwierige Frage stellen,
ob diese Erfahrungen nun auch verallgemeinerbar sind: Steht sein Leiden z.B. auch für sozial
13
Vgl.,Ohler, dtv-atlas., 15.
14
Vgl. Mende, Ijob, 414f.
15
Vgl. Hesse, Hiob, 13.
16
Vgl. Ohler, dtv-Atlas, 119.
17
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 102f.

7
Schwächere, Leidende oder Frauen?
18
Die Erfahrungen, die im Hiobbuch zur Sprache
gebracht werden, treffen daher nur für einen Teil der nachexilischen Bevölkerung zu.
1.2 Weisheitsliteratur
Als Weisheitsliteratur wird ein relativ fest umrissener Kanon alttestamentlicher Texte
bezeichnet. Um das formale und inhaltliche Profil alttestamentlicher Weisheit besser
herauszuarbeiten, bietet es sich an, zwischen Weisheitsliteratur und weisheitlich beeinflusster
Literatur zu unterscheiden. In letztere Kategorie werden die Bücher Hiob, Ruth, die
Josephnovelle im Buch Genesis, Jona und Esther geordnet. In den Erzählungen
(Beispielerzählungen, Paradigma) liegen vorwiegend komplexe narrative Fragmente vor, die
sich nicht auf eine einzige Tendenz oder Absicht reduzieren lassen. Trotzdem ist die lehrhafte
Richtung, welche die weisheitliche Literatur ausmacht, vertreten, indem sie (indirekt) für das
Publikum sichtbar wird.
19
Eine lehrhafte Tendenz zeigt sich in der Hioberzählung besonders durch das Festhalten an
Integrität und Gottesfurcht trotz der vorherrschenden Lebensumstände, welches ein
umfassendes Element der ,,klassischen" und ,,kritischen" Weisheitsliteratur darstellt.
20
Dass es sich beim Buch Hiob eher um eine literarische Form sui generis handele, ist das
Kompromissangebot vieler Bestreiter (u.a. Claus Westermann), da die Dichtung eine eigene
Type sei, die keiner regulären Kategorie angehöre.
21
Auch nur durch den sachlichen Gehalt
gelinge die weisheitliche Zuweisung im theologischen Kontext, da es sich um eine
differenzierte thematische Struktur, untypische Zuspitzungen durch einen Sonderfall und eine
literarische Form handelt, die im Buch Hiob wie ein Fremdkörper in der alttestamentlichen
Weisheitsliteratur anzusehen ist.
22
Die Weisheitsliteratur gehört zu dem Bereich des AT, der die engsten Berührungen mit dem
Altern Orient aufweist. Die Bezeichnung ,,weise", welche die einschlägigen Schriften des
ATs prägt und miteinander verbindet, tritt in der entsprechenden altorientalischen Literatur
jedoch zurück oder fehlt ganz. Die Ägyptologie sprach eher von ,,Lebenslehren", die das
Anliegen und den Hauptinhalt des Schrifttums mit diesem Begriff gut treffen.
23
Die Weisheitslehre gehörte zum allgemeinen Kulturgut des Alten Orients. ,,Weisheit" wurde
identisch mit dem von Gott in die Welt eingesetzten Schöpfungsgeheimnis in Verbindung
gebracht
24
und verdeutlichte damit, dass dieses für den menschlichen Erkenntnis- und
18
Vgl. Müllner, Hiob, 67.
19
Vgl. Köhlmoos, Weisheit/Weisheitsliteratur, 486f.
20
Vgl. Müllner, Hiob, 67.
21
Vgl. Westermann, Aufbau Hiob, 27.
22
Vgl. Köhlmoos, Das Auge Gottes, 11-16
23
Vgl. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, 368-370.
24
Vgl. Spr 9.

8
Bemächtigungswillen unerreichbar ist. Die wahre Weisheit gründete dabei auf der
Gottesfurcht und mündete ein in die Erkenntnis, dass nur das Vertrauen auf Gott das Leben
trägt.
25
Der Aspekt der (mit dem Verstand nicht greifbaren) Begründung auf Gott ist dabei in
einem anderen Buch des AT kaum eindeutiger zu erkennen als im Buch um die Geschichte
Hiobs.
Der Begriff der Weisheit ist schwer zu definieren und schwer abzugrenzen, da seine
Verwendung im Laufe der Geschichte unterschiedliche Bedeutungen angenommen hat. Die
indogermanische Wurzel des Wortes hat mit ,,erblicken" bzw. ,,sehen" zu tun. Im Deutschen
ist ebenfalls dieser alte Zusammenhang zu erkennen: Weisheit beruht auf dem, was man
gesehen und somit erkannt hat und kann als praktische Erkenntnis und reflektives Verhalten
gegenüber der Umwelt verstanden werden. Der hebräische Terminus umfasst differenziertere
Bedeutungen: Voraussetzungen einer Tätigkeit, Resultate der Intelligenz und Bildung sowie
das intellektuelle Vermögen an sich, Bedeutungen die im gleichen Maße auf Aneignung, Ein-
und Ausübung sowie der Weitergabe ausgerichtet sind.
26
Die älteste Weisheit Israels, die ,,klassische Weisheit", wurde als eine Erkenntnis aus
vorangegangener Erfahrung verstanden, die auf die neue Erfahrung gedeutet und strukturiert
wurde. Diese Ordnung des ,,Tun-Ergehen-Zusammenhangs" hatte lange Zeit einen einfachen
Umkehrschluss: angemessenes Handeln führt zum Resultat des positiven Ergehens und
umgekehrt. Israel war durch diese optimistische Welt- und Lebensansicht geprägt und dachte
im Sinne der eigenen Erfahrungen sowie Beobachtungen.
27
Als exemplarischer Weiser galt im AT Salomo, von dessen außergewöhnlicher Weisheit
berichtet wird.
28
Als gerechter Richter, erfolgreicher Herrscher, Sicherer von Frieden und
Wohlstand und mit Reichtum Gesegneter entspricht Salomo dem Idealbild des Königs.
29
Die Proverbienbücher, die u.a. das eben beschriebene Idealbild des Königs aufzeigen,
verwenden zudem 13 Synonyme für den Begriff der Weisheit, die sich in Allgemeinbegriffe
für Bildungsziele (Erziehung, vollständige Rede, Klugheit, Wissen, Kenntnisse), auf
Lebenspraxis zielende Termini (Einübung guter Verhaltensweisen, Gerechtigkeit,
Rechtsordnung, Geradlinigkeit, Führungseigenschaften) und schließlich die weisheitlich
konnotierte Frömmigkeit durch die Gottesfurcht, kategorisieren lassen.
30
Im Buch Hiob wird die kritische Reflexion weisheitlichen Denkens aufgeführt, da Hiob in den
Dialogen des Buches als leidender Gerechter durch seine drei Freunde mit einem
25
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 252.
26
Vgl. Köhlmoos, Weisheit/Weisheitliteratur, S.486.
27
Vgl. Preuß, Weisheitliteratur, 69.
28
Vgl. I Reg 9,5-14.
29
Vgl. Köhlmoos, Weisheit/Weisheitsliteratur, 487f.
30
Vgl. ebd.

9
weisheitlichen Vergeltungsglauben konfrontiert wird. Durch die Infragestellung dieses
Glaubens gerät Hiobs Glaube in eine ,,Krise". Er äußert herbe Kritik an der derzeit
vorherrschenden Weisheitsdarstellung und hat den Wunsch nach einer persönlichen
Transzendenzerfahrung mit Gott. Diese Gottesbeziehung steht letztendlich jenseits des Tun-
Ergehen-Zusammenhangs.
31
Die ,,kritische Weisheit" Hiobs wird im Laufe der Exegese
weiter vorangebracht und näher erläutert werden.
Israels Weisheit unterzieht sich in der Perserzeit einem entscheidenden Wandel. Mit dieser
Entfernung ist aber nicht ein Gegenpart zu der altisraelitischen Weisheit gemeint, sondern
eher eine Ausdifferenzierung weisheitlichen Denkens, die selbst Teil der Weisheit ist.
32
Nicht
nur das Hiobbuch, auch das Buch der Sprüche und Kohelet lassen einen Wandel erkennen
und sind von der ursprünglichen positiven und optimistischen Lebensschau der älteren
Weisheit entfernt. Die Geschichte um Hiob ist in ihrem Sachgehalt deshalb kein Einzel- oder
Ausnahmefall.
33
Ob diese, sich über Hiob hinweg ausbreitende Krise nun durch die allgemeinen
Lebensumstände nachexilischer Zeit oder durch eine allgemeine grundsätzliche Krise im
weisheitlichen Denken ausgelöst wurde, bleibt zu erörtern.
34
Sicher ist, dass die weitere
Verbreitung des Hiobbuches einen Grund gehabt haben muss, also die Voraussetzung, dass
das darin zur Sprache Gebrachte, die ,,kritische Weisheit", mehr ist als die Einzelgeschichte
irgendeines fremden Nichtisraeliten. Die Hiobfrage musste auf einen weiten Konsens
zutreffen: die Leidenden.
35
31
Vgl Lange, Weisheitsliteratur, 1368.
32
Vgl. Müllner, Hiob, 67.
33
Vgl. Preuß, Weisheitliteratur, 69.
34
Vgl. Lange, Weisheitsliteratur, 1366-1368.
35
Vgl. Müllner, Hiob, 67.

10
2. Aufbau des Hiobbuches
Das Hiobbuch, welches 42 Kapitel umfasst und im AT (Lutherbibel, Vulgata) zwischen den
Büchern Esther und den Psalmen steht, ist aus formal sehr unterschiedlichen, aber zueinander
abgestimmten Teilen aufgebaut: Die Prosaerzählung bildet durch Prolog und Epilog den
Rahmen um das Reden in poetischen Versformen.
Das Buch lässt sich in drei grobe Teile gliedern:
I Prolog, Kapitel 1-2
II Dialogteil, Kapitel 3-42,6
III Epilog, 42,7-17
Der Prolog erzählt von einer zweifachen Bewährung Hiobs im Leid und einem sich
anschließenden Besuch seiner drei Freunde:
Beginnend mit der Exposition, in welcher Hiobs Glück und Frömmigkeit vorgestellt werden,
schließt die erste Himmelsszene an mit der Erlaubnis an Satan, den gesamten Besitz Hiobs
antasten zu können. In vier Schlägen verliert Hiob daraufhin sein Vieh und seine Kinder, ohne
dass er sich dabei gegen JHWH auflehnt. Durch die zweite Himmelsszene wird dem Satan
erlaubt, Hiob mit Krankheit auf seine Frömmigkeit hin zu testen, jedoch unter Verschonung
seines Lebens sowie seines Geistes. Auch bei dieser Prüfung hält er an seiner Frömmigkeit
fest, obwohl ihn seine Frau auffordert, Gott zu verfluchen.
Darauf kommen die Freunde Eliphas von Teman, Bildad von Schuach und Zophar von
Naama zu Besuch, um Trost zu spenden und Anteilnahme zu bekunden.
Der sehr ausführliche Dialogteil beginnt in Kapitel 3 mit der monologischen Klage Hiobs,
woraufhin drei Redegänge der Freunde folgen. In einem weiteren Monolog wird Gott
herausgefordert, mit Hiob in ein persönliches Gespräch zu treten. Doch nach diesem Appell
folgen zunächst vier Reden von Elihu, bis JHWH direkt zu Hiob spricht (Hi 38ff.) und (auf
die ihn bedrückenden Fragen) reagiert.
Der abschließende Epilog gliedert sich in zwei Szenen: Zunächst urteilt JHWH über die drei
Freunde Hiobs, woraufhin seine Wiederherstellung fast wie in einem märchenhaften Schluss
folgt.

11
3. Prolog
Der große Redeteil des Buches Hiob wird von einer dichterischen Form der Erzählung
gerahmt (Prolog: Kapitel 1-2, Epilog: 42,7-17). In ihrer Endgestalt bildet sie ein
geschlossenes Ganzes unabhängig von ihrer möglichen Vorgeschichte, denn von den
nachträglichen Überarbeitungen blieb auch der Prosarahmen nicht verschont. Um- und
Einarbeitungen werden erwartet, womöglich noch in der selbständigen Erzählung, vor allem
aber im späteren Zusammenhang mit der Endgestalt der Hiobdichtung.
36
Der Aufbau der
Rahmenerzählung zeigt eine kunstvolle Struktur aus chiastisch aufgebauter, doppelter
Rahmung. Die einzelnen Teile dieser sind durch Leit- und Schlüsselwörter verbunden,
welches auf eine weitgehende Einheitlichkeit durch innertextliche Bezüge dieser Erzählung
schließen lässt.
37
In den ersten zwei Kapiteln wird eine komplexe Situation bis zur Entstehung der narrativen
Krise entfaltet. Dazu werden zwei Schauplätze gegenübergestellt, Himmel und Erde, auf
welchen sich ein ,,theologisches Drama" abspielen wird. Diese Dramatik ergibt sich zum
einen aus der Diskontinuität der Schauplätze sowie aus der Ungleichheit der Protagonisten:
das Gegenüber von Gott und Mensch.
38
Beginnend wird Hiob mit den Eigenschaften ,,fromm", ,,rechtschaffen", ,,gottesfürchtig" und
,,das Böse meidend" beschrieben, möglicherweise als ein Patriarch oder Scheich. Die Verse
einer milden, problemlosen, glücklichen und harmonischen Atmosphäre entwickeln eine
Provokation, die die himmlischen Kontroversen auslösen werden.
39
Der Ort Uz (Hi 1,1) ist ein östlich von Palästina zu vermutendes Land. Umstritten ist, um
welche Ortsangabe es sich genau handelt. Meist wird von weiten Bereichen Arabiens geredet,
da man auch bei der Person Hiob von arabischer Herkunft ausging.
40
Hiobs Herkunft als Nichtisraelit macht schon hier deutlich, dass das verhandelte Problem
nicht auf die Gottesbeziehung zum Volk Israel beschränkt bleibt, sondern alle Menschen
betrifft, die gottesfürchtig leben. Interessanterweise verzichtet die Rahmenerzählung nicht auf
den israelspezifischen Gottesnamen JHWH, der hier insgesamt 23 mal, in den Reden jedoch
viel spärlicher vorkommt.
41
Die vier Konsonanten (Tetragramm) gehen dahin einher, dass der
Name Gottes von der nachexilischen Zeit an bis zum heutigen Judentum nicht ausgesprochen
wird. JHWHs ,,Zuständigkeit" überschreitet hier also die Grenzen Israels, indem mit dem
36
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 72,83.
37
Vgl. Köhlmoos, Das Auge Gottes, 50.
38
Vgl. ebd., 101-103.
39
Vgl. ebd., 101.
40
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 72,83.
41
Vgl. Müllner, Hiob, 64.

12
Nichtisraeliten der israelische Gottesname genannt wird. Dies nun deklariert das mit seinem
Leben und Leiden verbundene Problem als ein Menschheitsproblem, welches durch die
Theologie Israels verstanden und verhandelt wird.
42
Die Ausgangslage des Mannes, eine fromme Person in einer idyllischen Lebenswelt, war mit
der alten Grundüberzeugung verbunden, die wir heute als klassischen Tun-Ergehen-
Zusammenhang bezeichnen. Diese verweist auf die alttestamentliche Sichtweise des engen
Zusammenhangs zwischen einer Tat und ihrer Folge.
43
Nach der Vorstellung der Person Hiobs folgt ein abrupter Wechsel hin zu den
darauffolgenden Satanszenen. Diese Passagen gehören von ihrer theologischen Eigenart
gesichert zum sekundären Ausbau der Rahmenerzählung und nicht zu seinem Grundbestand.
Da diese Himmelsszenen jedoch ohne den Satan Gehalt wie Funktion verlieren würden,
schien dieser Zusatz unumgänglich zu sein.
44
Das Bild des orientalischen Königtums nachgezeichneten Hofstaat JHWHs ist plötzlich der
Ort der Handlung (Hi 1,6-13). Diese Vorstellung eines Hofstaates entstammt den
polytheistischen Religionen der Umwelt Israels, so auch einer kanaanäischen Tradition,
wonach mehrere Götter mit einem höchsten Gott an der Spitze ein göttliches Königtum
konstituierten. In der monotheistischen Religion Israels war für solche Götterversammlungen
kein Ort. So hat die Bibel das Bild der himmlischen Ratsversammlung so verändert, dass eine
Vielzahl gleichberechtigter Gottheiten ausgeschlossen wurde. Die Himmelswesen (oder auch
Gottessöhne genannt) sowie der Satan bleiben JHWH deutlich unterstellt. Sie sind als seine
Diener anzusehen, deren Auftrag nicht genauer spezifiziert wird.
45
Anders als später im NT ist Satan eine Gestalt des Hofstaates wie die anderen
,,Himmelswesen" (Vorformen des späteren Engels) und nicht direkter und entfernter
Gegenspieler Gottes. Er hat ebenfalls einen begrenzten Gestaltungsspielraum und ist mit
abgeleiteter Macht ausgestattet.
46
Der Hioberzähler kannte ganz offensichtlich die in der Perserzeit vertretene Auffassung, dass
Satan für das Böse verantwortlich sei, welches Hiob widerfuhr, stellt ihn aber nicht weiter
vor, sondern setzt seine Bekanntschaft voraus. Nur an drei weiteren Stellen des AT taucht
Satan als selbständige Person auf: Sacharja 3,1. Chronika 21,1ff. und hier im Hiobbuch.
Besonders in den Stellen von Chronika wird deutlich, dass Satan Widersacher Gottes ist. Wo
in der vorexilischen Zeit noch von Gottes Verführung ausgegangen wurde, erhielt Gott in der
42
Vgl. Ebach, Hiob I, 9f.
43
Vgl. Freuling, Tun-Ergehen-Zusammenhang, URL: http://www.wibilex.de/wibilex/das-
bibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/36298///cache/464fba0748/.
44
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 84f.
45
Vgl. Ebach, Hiob I, 9f.
46
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 84.

13
nachexilischen Zeit harmonisierte und entdämonisierte Zuschreibungen. Satan galt nun als
das personifizierte Böse, von Gott getrennt.
47
Der ,,Hinderer", ,,Anfeinder" oder auch ,,Quertreiber"
48
stellt in diesem Prolog die
entscheidende Frage: ,,Ist Hiob umsonst gottesfürchtig?" (Hi 1,9) und wirft dadurch die
Unterstellung auf Hiob sei ohne Kompensation, ohne Lohn und ohne Gegenerwartung nicht
mehr gottesfürchtig. Gott lässt sich auf diese Herausforderung bzw. Provokation ein und
erlaubt die Prüfung Hiobs ohne weitere Diskussionen.
49
Durch Satans Frage an Gott und dessen Erlaubnis ereignet sich also die Ausgangslage um
Hiob, welche die Basis der folgenden Dialoge ist. Satan lag es daran, nicht nur zu behaupten,
sondern zu demonstrieren, dass Gott es sich nicht leisten könne, den Menschen auch
unverstandenes Leiden und Leid zuzufügen, ohne den Verlust ihrer Anhänglichkeit und ihrer
Anbetung. Doch warum war es aus Gottes Sicht wirklich notwendig: Warum ließ sich Gott
auf eine solche Prüfung ein?
Die Auseinandersetzung zwischen Satan und Gott lief nicht nur auf die Frömmigkeit Hiobs
hinaus, sondern gleichzeitig auf die Macht und Freiheit Gottes. Würde Gott sich nicht dieser
Herausforderung stellen, wäre er dann nicht dem Verdacht ausgesetzt, dass die These Satans
über die Frömmigkeit Hiobs doch stimmen könnte? Dies hieße, dass der Mensch nur um
seiner selbst Willen, nicht aber um Gottes Willen fromm wäre. Im Umkehrschluss würde
dieses wiederum das Ende der Freiheit JHWHs bedeuten, denn der Mensch müsste nur Gutes
tun, um so seine Macht und Anerkennung zu erhalten. Durch die Annahme der
Herausforderung erhält JHWH seine Freiheit von Satan sowie seinem Knecht Hiob. Ebenfalls
wird deutlich, dass die Macht Gottes eindeutig über der des Satans/des Bösen steht. Dadurch
zeigt er, dass sich der Mensch auch in Leid und Not der Gottesbeziehung bewähren kann und
wird.
50
Die kurze Szene des Satans sagt bereits einiges über ihn aus: Es genügt ihm nicht, das böse
Tun des Menschen zu beobachten und Gott darüber zu berichten. Vielmehr ist heimliche
Schadenfreude im Spiel, die seine Hinterhältigkeit und Gefährlichkeit zum Ausdruck bringt,
indem er durch schwere Angriffe versucht, das Böse zu provozieren. Jedoch bleibt er Gott in
allen Schritten seines Handelns deutlicht unterstellt: Er muss erst fragen, ob er etwas
machen/prüfen darf, kann also nichts ohne Gottes Zustimmung tun. Zudem bekommt er
47
Vgl. Lux, Gott und das Böse, URL: http://www.uni-leipzig.de/~rp/rlt/rlt05/lux05.html.
48
Vgl. Ebach, Hiob I, 11.
49
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 233.
50
Vgl. Lux, Gott und das Böse, URL: http://www.uni-leipzig.de/~rp/rlt/rlt05/lux05.html.

14
deutliche Grenzen gesetzt, die er nicht überschreiten darf: Er darf Hiob, aber nicht dessen
Leben antasten.
51
Durch zwei fast identische Himmelsszenen wird Hiob darausfolgend seiner harten Prüfung
ausgesetzt. So bedient sich Gott des Satans, um eine der unbegreiflichsten und grausamsten
Prüfung über einen Menschen zu verhängen, von denen die Bibel zu berichten weiß.
52
Die erste Hiobsbotschaft (Hi 1,13-19) bricht durch vier Unglücke über Hiob herein. Diese
haben jedoch alle Parallelen in der Umwelt Hiobs, welches auch auf ,,natürliche" Ursachen
als eine Kette zufälliger Unglücksfälle zurückzuführen sein könnte. Durch die
Himmelsszenen weiß der Leser um die Ursache. Hiob, unwissend von dieser Absprache,
schließt ebenfalls nicht auf natürliche Zufälle, sondern wie selbstverständlich auf Gott und
bleibt dadurch in seiner Reaktion demütig und rebelliert nicht. Wie in einer üblichen
Trauerrede spricht er den vorgeprägten Satz: ,,JHWH hat es gegeben, JHWH hat es
genommen, gesegnet sei der Name JHWHs" (1,21b), wodurch er den JHWH-Namen segnet
und dadurch bereits die Rolle als nur passives Opfer überschreitet.
53
Durch diese Aussagen
Hiobs hat der Ankläger bereits sein Spiel verloren: Der Verdacht und Vorwurf sind widerlegt,
wodurch es die uneigennützige Frömmigkeit geben würde, die sich im Leiden bewährt.
54
Der eben zitierte Satz (1,21b) war der alttestamentliche, idealisierte Umgang mit dem
erfahrenen und bevorstehenden Tode. Nur wer sich bei Gott geborgen wusste, konnte mit dem
Tod, sei es der schmerzlichste, leben. So kann man bereits an dieser Stelle erkennen, dass
Hiob vom Schicksal schwer getroffen war, aber in Todesangst weiter im Vertrauen zu Gott
aufschaute, und besonders in dieser schweren Lage seine Frömmigkeit bewies.
55
Die zweite Satanszene sowie deren Prüfung, kann als Steigerung der ersten bezeichnet
werden, da nach materiellem Ruin und der Zerstörung des familiären Umfeldes nun Hiobs
Leib unheilbar erkrankt ist: Geschwüre vom Scheitel bis zur Sohle. Die Schilderung der
Krankheit lehnt fast wörtlich an Dtn 28,35 an und zeigt eine Verbindung der Erkrankung zum
Ungehorsam gegenüber Gott auf, die auf die Nichteinhaltung der 10 Gebote zurückzuführen
ist.
56
Die meisten Ausleger vermuten, dass es sich bei der Krankheit um eine Form der Lepra
handelt, die in der alten Medizin Elephantiasis hieß. Eine Krankheit, die eigentlich zum Tode
führt. Nur Erzähler und Leser wissen, dass dieser zweite Versuch Hiob nicht töten wird.
57
51
Vgl. Lux, Gott und das Böse, URL: http://www.uni-leipzig.de/~rp/rlt/rlt05/lux05.html.
52
Vgl. Haag, Teufelsglaube, 204.
53
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 233f.
54
Vgl. Kaiser, Der Mensch unter dem Schicksal, 56f.
55
Vgl. Dietrich
,
Tod, 596f.
56
Vgl. Syring, Hiob und sein Anwalt, 86f.
57
Vgl. Ebach, Hiob I, 35f.

15
An dieser Stelle soll die Rolle Satans zusammenfassend dargestellt werden, welcher im
weiteren Verlauf des Hiobbuches nicht mehr auftritt:
Satan ist in Hiob 1 und 2 Glied des himmlischen Hofstaates. Doch er kann und darf nur tun,
wozu Gott ihn ermächtigt. Er steht im Buch Hiob einerseits für das personifizierte Wissen
JHWHs über Hiob und auf der anderen Seite auch für die Überzeugung des Tun-Ergehen-
Zusammenhangs. Doch Satan geht noch einen Schritt weiter: Umgekehrt habe auch das
Ergehen des Menschen Konsequenzen für sein Tun, für sein Verhältnis zu Gott. Nur weil Gott
das Böse von Hiob fernhält, kann Hiob dem Bösen fernbleiben, so seine These. Demnach sei
Gott selber die Bedingung der Möglichkeit für Hiobs Gottesfurcht. Demgegenüber, und das
ist ein Ergebnis des Hiobbuches, repräsentiert Gott ein Denken, das Tun und Ergehen radikal
voneinander trennen will. Dabei ist er von Hiobs uneigennütziger Gottesfurcht überzeugt.
Satan steht in den Himmelsszenen zwar einerseits im Vordergrund, aber andererseits wird
seine Rolle in theologischer Hinsicht marginalisiert und Gott allein als Urheber von Hiobs
Unglück angesehen. Durch die Trennung von Gott und Satan werden zwei Denkrichtungen
personifiziert. Wird damit versucht, Gott zu entlasten?
58
Eine spannende und gewagte Frage,
da die Entlastung Gottes durch die Freunde schon einmal ansatzweise beschrieben wurde.
In der Tradition von JHWHs berichtetem Hofstaat wird dessen Wesensvielfalt deutlich. Der
Satan scheint hier eher eine Extrapolation von Gottes Eigenschaften zu sein. Victor Maag
bezeichnet dies als innergöttlichen Dualismus, der sich gegen reale Tendenzen des Dualismus
in Israel zu richten schien. Die personale Nähe zwischen Satan und Gott entscheidet die
Machtfrage zwischen beiden im Sinne eines strikten Monotheismus.
59
Tatsächlich dürfte
Satan weniger personale als pragmatische Funktionen haben, denn es besteht kein echter
Konflikt zwischen beiden. Dem Satan obliegt es viel mehr, auf theologische Probleme
hinzuweisen.
60
Festzuhalten bleibt, dass sich Gott des Satans bedient, um Hiob zu prüfen. Dieser klagt
daraufhin auch nicht Satan, sondern Gott an, dessen Prüfung er sich willig unterwirft. Doch
beginnt hier bereits die ,,Karriere" des Satans, der zwar noch eindeutig Gottes Untergebener,
aber in gewisser Weise trotzdem schon selbstständig ist und selbstständig agieren kann.
61
Satan wird zu einer eigenen Person, aus der Funktion unter Gott eine Gestalt neben Gott, die
jetzt auch einen, aus ihrer Funktion abgeleiteten, Eigennamen erhält und immer mehr in
Konkurrenz zu Gott tritt. Ein gleichwertiger Dualismus zwischen Gott und Satan kam jedoch
niemals vor. Er tritt im Hiobbuch auf, weil JHWH kein verstehbarer Gott mehr ist und tritt auf
58
Vgl. Frey-Anthes, Satan, URL: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-
bibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/s/referenz/26113///cache/38e11293ba/.
59
Vgl. Maag, Hiob, 61-63.68-72.
60
Vgl. Köhlmoos, Das Auge Gottes, 91.
61
Vgl. Ebach, Hiob I, 12.

16
als eine personifizierte Funktion Gottes, die sich schrittweise aus der Götterpersönlichkeit
herausentwickelt und loslöst. Doch das Hiobbuch sagt auch deutlich, dass die Vorstellung,
von JHWH komme alles Gute, vom Satan das Unglück, nicht vorherrscht!
62
Kurzum: der Satan entsteht im Zusammenhang mit einem Verfall des Gottesglaubens, als
nicht mehr ,,gewagt" wird, auch Böses aus der Hand Gottes zu nehmen. Trotzdem trägt der
Satan auch im NT eine Bedeutung. Im Zusammenhang mit Jesus und ihm wird deutlich davon
gesprochen, dass der Satan besiegt ist
63
. Auch im christlichen Glaubensbekenntnis taucht
Satan nicht auf. Dem Christen ist nicht aufgegeben, an den Satan zu glauben. Damit soll
nicht geleugnet werden, dass es überpersönliche böse Mächte gibt, aber es muss kritisch
gefragt werden, was uns eigentlich dazu nötigt, diese überpersönliche Macht wiederum in
eine Person hinein zu verdichten. Die Fragen nach dem Verhältnis ,,unseres" Satans zu Gott
würde dadurch ebenfalls neu aufbrechen und uns zu keiner Lösung bringen. Doch das Urteil
bleibt: Der Satan entstand, als der Glaube an Gott schwächer wurde. Als Gott (aus
menschlicher Perspektive) zu sehr in die Ferne rückte, drängten sich Mittelwesen zwischen
ihn und seine Menschen. Mittelwesen, die leider nicht nur Engel waren.
64
Die Satanszenen in Hiob 1 und 2 sind folglich spätere Einfügungen mit einer ganz
bestimmten theologischen Absicht. Möglicherweise war dem Ergänzer sogar deutlich, dass
diese seine Einfügungen das Hauptproblem (Kommt das Leid wirklich stets von Gott?) nicht
lösen konnten, sodass er den Satan am Schluss des Hiobbuches nicht nochmals auftreten ließ.
Zur Lösung des Problems, welches nicht lösbar ist, sondern mit all seinen Spannungen
auszuhalten ist, konnte auch er nichts mehr beitragen.
65
Die Worte Gottes aus Hi 2,3: ,,...und du hast mich gegen ihn gereizt, ihm umsonst zu
verderben." halten jedoch fest, dass Gott selbst der Urheber des Unheils über Hiob ist und
nicht etwa der Satan als dessen Gegenspieler.
66
Seine Frau forderte nach dem Auftreten der schweren Hautkrankheit das Loslösen von Gott,
welcher Idee sich Hiob sündlos abwendete.
67
Hiobs Frau wird daher oft als personifizierte
Anfechtung durch den Satan betrachtet, wodurch Hiob durch eine sehr vertraute Person
geprüft wird. Doch sollte diese (abwertende) Sicht gegenüber der Frau auch aus anderen
Perspektiven betrachtet und deshalb nicht voreilig und verallgemeinernd bewertet werden:
Nach jüdischem Eheverständnis ist die Ehefrau nicht nur dem Manne untergeordnet, sondern
sie bildet mit ihm eine Einheit. Sie ist sein ,,Fleisch und Gebein". Aus dieser Sicht könnte die
62
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 106.
63
Vgl. Lk 10,18, Röm 16,20.
64
Vgl. Preuß, Weisheitsliteratur, 106f.
65
Vgl. ebd., 107.
66
Vgl. Ebach, Hiob I, 33.
67
Vgl. Syring, Hiob und sein Anwalt, 86f.

17
Idee des Loslösens von Gott auch eine eigene Konsequenz gewesen sein. Hiob steht dem
Weiblichen in und um sich anders gegenüber und gibt diesem nicht nach. Zudem bedeutet
dieses einmalige Auftreten von Hiobs Frau nicht, dass sie keine respektable Mutter oder
Gemahlin wäre, die ihre Lebensaufgabe bis zu diesem kritischen Augenblick nicht
ausgezeichnet gelöst hätte.
68
Nach Hiobs belehrender Antwort gegenüber seiner Frau führen die Verse 11-13 des zweiten
Kapitels die drei Freunde Eliphas, Bildad und Zophar ein, die später seine Dialogpartner
werden. Sie stammen aus verschiedenen Gegenden und sind allesamt von weit hergekommen.
Mit Gesten der Trauer und Empathie nehmen sie an Hiobs Geschick Anteil und setzen sich
sieben Tage im solidarischen Schweigen zu ihm, womit der Dialogteil fließend eingeleitet
wird.
69
68
Vgl. Maag, Hiob,
69
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 233f.

18
4. Dialog mit den Freunden (Hi 3-37)
In Hiob 2,11-13 führt die Prosaerzählung zur Versdichtung, indem die Teilnehmer des
folgenden Gesprächs in der gleichen Reihenfolge und in der gleichen Weise namentlich
vorgestellt werden, wie das stereotyp in den jeweiligen Redeeröffnungen der Versdichtung:
Eliphas, Bildad und Zophar. Aus der hebräischen Überlieferung galten sie als Männer
gleiches Standes und gleicher Geistesrichtung wie Hiob. Als ein solches Vergleichsmoment
wird eher der Stand der ,,Weisen" genannt als die gleiche Position im sozialen und
wirtschaftlichen Bereich. Die Freunde, über Hiobs Geschick sehr erschüttert, zeigten ihre tiefe
Mittrauer und bekundeten ihr ebenfalls tiefes Erschrockensein durch die Formen des
herkömmlichen und üblichen Trauerbrauchtums, indem sie weinten, ihr Obergewand
zerrissen und sich Staub, Erde oder Asche auf das Haupt streuten. Zudem setzten sie sich als
Zeichen der Erniedrigung mit Hiob zur Erde, um mit ihm zu schweigen.
70
Die Teilnahme
nahestehender Menschen an Leid und Leiden des Unschuldigen hatte schon in der
altorientalischen Literatur ihren anerkannten Raum. Ob der Hiob-Dichter diese Tradition bei
seinen Zeitgenossen in Palästina als bekannt vorausgesetzt hatte, bleibt offen und wäre, wenn
wir die folgenden Dialoge exegetisch betrachten, äußerst bedenklich: Stehen die Freunde als
Helfer und Tröster da oder als solche, die Hiob noch viel mehr in die Verzweiflung treiben?
71
Die Frage der tatsächlichen Absicht der Freunde wird zu erörtern bleiben.
Da diese Arbeit den Schwerpunkt nicht auf die Dialoge mit den Freunden legt, sollen diese
nur in ihren wesentlichen Aussagen vorgestellt werden. Der erste Redezyklus ist ausführlicher
ausgelegt, da der zweite und dritte viele Aspekte übernehmen.
4.1 Erster Redezyklus
Nach einer siebentägigen Zeit des Schweigens mit seinen Freunden bricht Hiob dieses, indem
er ,,seinen Mund auftat" und ,,seinen Tag [der Geburt] verfluchte" (Hi 3,1). Ebenfalls geht
man von sieben Tagen aus, die diese Gespräche umfassen. Die Anklagen und Verfluchungen
sind, wie die darauffolgenden Teile, durchsetzt mit Weisheitsmaterial, Bildern und
Verweisen, die für die heutigen Leser die Entschlüsslung erschweren. Sie weisen auf ihre
literarische Verdichtung hin und lassen den Text dadurch teilweise nicht authentisch wirken.
Hiob beklagt in Form von Selbstverwünschungen sein Geschick und möchte seine
Erschaffung rückgängig machen, da das erfahrene Chaos in seinem Leben nicht mit einer
geordneten Schöpfung in Einklang zu bringen ist. Trotzdem hält er an der Stimmigkeit und
Ordnung des Handelns Gottes fest. In seiner Hin- und Hergerissenheit zwischen Anklage und
70
Vgl. Horst, Kommentar, 31-35.
71
Vgl. Maag, Hiob, 123f.

19
Zustimmung klingen viele ,,Warum-Fragen" an.
72
Auch wenn diese Fragen an Gott gerichtet
sind, kommt dieser hier selbst in keiner Klage vor. Die Sprache der Klage und des Schmerzes
ist hier nicht fähig, die Probleme zu artikulieren bzw. zu reflektieren. Durch den Schrei, der
durch die Anwesenheit der Freunde gehört wird, wird vielmehr der innere Druck zu lösen
versucht. Der Raum gewinnende Schmerz beginnt sich hier aus seiner Isolation zu lösen,
indem er sich in die erste Form der Kommunikation wandelt.
73
Eliphas
, der Hiob als Erster antwortet, tut dies, indem er sehr behutsam auf Hiob zuredet
(Kapitel 4,1-5,27). Trostvoll will er den Sinn dahin lenken, dass kein Mensch wirklich und
vollkommen ,,rein" sei vor Gott. Überzeugt vom klassischen Tun-Ergehen-Zusammenhang
äußert Eliphas, dass wohl jeder Mensch, der sich hilfesuchend an Gott wendet, Gnade und
Zuwendung erfahren würde und das Leid für einen solchen Menschen (nur) göttliche
Pädagogik sei.
74
Der beklagenswerte Zustand Hiobs wird von Eliphas nur am Anfang seiner
Rede mit wenigen Worten gewürdigt und enthält demnach nur sehr wenig, was dem
Leidenden in seiner bedrängten Frage weiterhelfen könnte. Der entscheidende Grund seiner
Unzulänglichkeit (ebenso wie der seiner Freunde) kann letzten Endes nur darin liegen, dass es
für die gestellte Grund-Frage keine befriedigende Antwort gibt.
75
Hiobs erste Antwort
(Kapitel 6,1-7,21) richtet sich kollektiv an alle Freunde, obwohl bisher
nur Eliphas geredet hatte. Nachdem er zunächst die Schwere seines Leidens betont hatte,
redete er überzeugt davon, dass diese Situation nicht durch ihn selbst, sondern durch Gott
ausgelöst wurde. Ein kaum überbrückbarer Spalt richtet sich dadurch zwischen ihm und
seinen Freunden auf. Das Prekäre an dieser Situation im Dialog mit den Freunden ist nun,
dass Hiob keine Chance hat, sich selber zur Sprache zu bringen und damit die Erfahrung
machen muss, dass die einzig Hörenden für seine Situation taub zu sein scheinen.
76
Die Rede
Hiobs macht hier einen relativ geschlossenen Eindruck. Dennoch ist sie von keinem
bestimmten Leitgedanken beherrscht. Auch Widersprüche sind im Text zu erkennen, vor
allem die zwiespältigen Stellen zum Tode, welchen er sich herbeiwünscht und an einer
anderen Stelle tief beklagt. Nirgendwo, auch nicht in dieser Rede, nimmt Hiob ausdrücklich
ein Argument des Gesprächspartners auf. Es stellt sich also die Frage, inwiefern wir wirklich
noch von einem Dialog sprechen können oder doch eher von einer Monologkette.
Weitestgehend können jedoch auch Übereinstimmungen konstatiert werden: Hiob sowie
Eliphas gehen davon aus, dass das schwere Leiden von Gott verursacht ist und stellen ebenso
einen unlöslichen Zusammenhang von Tun und Ergehen fest. Trotzdem kreisen die Reden um
72
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 235.
73
Vgl. Gradl, Ijob, 78.
74
Vgl. ebd., 97f.
75
Vgl. Hesse, Hiob, 61f.
76
Vgl. Gradl, Ijob, 110.

20
je ganz unterschiedliche Sachverhalte, deren Differenzen zwar zur Sprache kommen, jedoch
nicht diskutiert werden. Eliphas ist der Meinung, Hiob müsse sich schuldig gemacht haben, da
er jetzt so leide. Hiob geht hingegen von seiner Schuldlosigkeit aus, welches zur Folge hat,
dass Gott willkürlich und ungerecht eingreifen würde.
77
Der Satz: ,,Ihr seht Schrecken, und
ihr erschrecket" (Kap. 6,21b) macht die Lage und Position der Freunde besonders deutlich.
Sie werden als Menschen charakterisiert, die sich nicht etwa leichtfertig, gar gedankenlos zu
seinem Elend verhalten, die aber die damit verbundene, tiefe Irritation nicht ertragen können.
Das Thema, ob Empirie und Glaubenslehre zusammenpassen (können), zieht sich durch das
gesamte Hiobbuch. In Hiobs Hilfeschrei an seine Freunde spiegelt sich die Wegsuche in und
aus der Verzweiflung heraus, welche durch die typischen Kennzeichen der Redundanzen,
Rückschritte, Sprünge und Abschweifungen aufgezeigt werden. In Ansätzen kommt nun auch
Gott als Adressat der Klage in den Blick, welcher zunächst noch mit dem negativen
Hoffnungsbild der Erwartung des Todes und der Ruhe im Totenreich verbunden wird.
78
Auch die Rede von Bildad (Hi 8,1-22) korrigiert Hiobs Anklage mit abstrakt ,,richtigen"
theologischen Argumenten. So stellt er Hiob eine positive Zukunft in Aussicht, redet dadurch
aber, ebenso wie Eliphas, an ihm vorbei. Die Brüchigkeit der Argumentation zeigt die Angst
auf, Hiob könnte durch seine Erfahrungen ein von Generationen überliefertes Gedanken- und
Glaubensgebäude zum Einsturz bringen.
79
Bildads Hauptgedanke kreist in seiner Rede um
den unverbrüchlichen Zusammenhang von Tun und Ergehen, also der untastbaren
Vergeltungsordnung. Dadurch erwägt er die Möglichkeit, es könne sich um leichte
Versündigungen handeln, wie die Vermessenheit, die in Hiobs Reden zutage tritt und Gott
somit anklagt.
80
Mit der darauffolgenden dritten Rede Hiobs (Kapitel 9,1-10,22) haben seine Anklagen in
9,22-24 ihren absoluten Höhepunkt erreicht. In der religiösen Literatur gibt es wohl kaum
einen vergleichbaren Text, der so aggressiv und erbittert über Gott spricht wie dieser.
81
Durch
die Aussage: ,,die Erde ist in der Hand eines Frevlers" bringt Hiob die äußerste Konsequenz
des Glaubens an Gott als Herrn der Welt und seiner Erfahrung des unschuldigen Leidens
zusammen. Der Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Welterfahrung klingt hier
an, welches wir heute als ,,Theodizeefrage" bezeichnen. In der tiefsten Verzweiflung deutet
sich in Kapitel 10,1-7 eine Wende an, indem sich die Anklage gegen Gott in die Gestalt der
Klage an Gott wendet.
82
Auch in dieser Rede sind keine direkten Bezugsnahmen zu Bildad zu
77
Vgl. Hesse, Hiob, 71f.
78
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 235f.
79
Vgl. Gradl, Ijob, 121.
80
Vgl. Hesse, Hiob,77f.
81
Vgl. Gradl, Ijob, 132.
82
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 236f.

21
erkennen. Vielmehr bildet Hiob aus der These eine Gegenthese, die er aus sich heraus
erläutert. So geht die Aneinanderreihung von Monologen weiter. Der Gegensatz zwischen
Hiob und seinen Freunden besteht, wie oben schon angedeutet, nicht in der Überzeugung von
der Gültigkeit der Vergeltungsordnung. Nur die daraus entstehenden Schlussfolgerungen
sehen bei den Dialogpartnern verschieden aus. Dadurch steht die Schuld Hiobs (Ansicht der
Freunde) der willkürlichen Gewalt Gottes (Ansicht Hiobs) gegenüber.
83
Zophars
Rede (Kapitel 11,1-20) steht in ihrer Argumentation denen der anderen Freunde
nahe und verweist auf die Weisheit und Größe Gottes, indem sie die Vergeltungsordnung am
Frevler veranschaulicht.
84
Ebach beschreibt die Freunde an dieser Stelle als die, die alles
wissen und doch nichts verstehen, was weiterhin darauf hinausläuft, dass die Monologe
nebeneinander herlaufen.
85
In Hiobs langer Antwort (Kapitel 12,1-14,22) wird die zunehmende und sich steigernde
Distanz zwischen den Freunden immer deutlicher. Hiob verurteilt ihr Verhalten pauschal und
wendet sich anschließend an Gott selbst (Kapitel 13,13b), um mit ihm zu rechten, wodurch
die Freunde bis zum Schluss der Rede völlig aus seinem Blickfeld entschwinden. Die
Anklage im 13. Kapitel trägt erneut den Inhalt, dass Hiob sich schuldlos weiß, aber trotzdem
von Gott wie ein Feind behandelt wird. Im 14. Kapitel wird die Klage allgemeiner und das
Geschick der Menschen insgesamt im Bezug auf ihre Vergänglichkeit und Kurzlebigkeit
gelenkt.
86
Auffällig sind in diesem Abschnitt die vielen gegensätzlichen emotionalen
Wechsel: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst. Sie verweisen jedoch ständig auf das
vorhandene Gottvertrauen, trotz dieser krisenähnlichen Bewältigung des Problems Hiobs.
87
4.2 Zweiter und dritter Redezyklus
Im ersten Redegang sind die Freunde in ihren Argumenten bereits weitgehend erschöpft. Eine
wesentliche Weiterführung des ,,Gesprächs" kann durch sie schon hier kaum mehr stattfinden.
Die Gesprächsbeiträge Hiobs führen hingegen teilweise neue Gedankengänge mit sich,
allerdings nur in begrenzter Zahl.
Die Argumentationen des zweiten Redezyklus' (Hi 15,1-21,34) sind den vorangegangenen
Reden sehr ähnlich, nur kürzer und schärfer im Ton und der Abgrenzung der Position. Das
Geschick Hiobs wird immer mehr in die vorausgesetzte Lehre eingepasst. Zudem wird das oft
83
Vgl. Hesse, Hiob, 87f.
84
Vgl. Gradl, Ijob, 136f.
85
Vgl. Ebach, Streiten mit Gott, 106.
86
Vgl. Hesse, Hiob, 104f.
87
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 237.

22
beschworene Schicksal der Frevler
88
, von dem bisher die Perspektive Hiobs im tröstenden
Sinne abgehoben wurde, immer mehr zum Modell für den uneinsichtigen Hiob. In Hiobs
Antwort auf Bildads Rede (Hi 19,1-29) spricht Hiob den viel zitierten, aber auch umstrittenen
Satz aus: ,,Ich weiß, dass mein Erlöser lebt." (Hi 19,25). Eine Deutung des Zusammenhangs
ist, dass hier das Hiobproblem und der Einzelfall Hiob gewissermaßen zusammenstoßen. In
der Interpretation unter Einbezug des Kontextes der Tradition der Hebräischen Bibel ist durch
diesen Satz ein Verständnis von Erlösung durch den Tod ausgeschlossen.
89
Jürgen Ebach
interpretiert, dass man zum Leben erlöst wird und nicht vom Leben.
90
Im dritte Redezyklus (Hi 22,1-31,40) steigern sich die Freunde ohne Empathie in die
Entfaltung ihrer vorgefassten Lehre hinein, indem Hiob zwangsläufig die Rolle des
uneinsichtigen Sünders zugeschrieben wird. Eliphas hielt Hiob bereits im 22. Kapitel einen
Sündenkatalog vor.
91
Im 28. Kapitel erhält das Gedicht der Weisheit von Hiob eine besondere
Bedeutung. Es werden hier zwei verschiedene Formen der Weisheit beschrieben. Auf der
einen Seite die Weisheit Gottes, der innerste Kern, als die letzte formende und alles
bestimmende Kraft, das höchste, überhaupt vorstellbare Gut, welches dem Menschen
unerreichbar und verborgen ist. Auf der anderen Seite steht die Weisheit, die der Mensch
durch Gottesfurcht und Meiden des Bösen für sich beanspruchen will, also durchaus durch ein
aktives Moment desjenigen. Menschliche ,,Weisheit" realisiere sich in der Lebenspraxis, nicht
in der Theorie, doch die wahre Weisheit ist letztendlich Gottes allein.
92
Hiobs abschließende
Worte bis zum 31. Kapitel laufen grundsätzlich auf das Verlangen hinaus, dass sich Gott
stellen solle. Seine Klagen und Anklagen an Gott sind nun im Zentrum des Textes und
schildern tiefste Entfremdung, Erniedrigung und Isolation, die mit Ängsten und Schmerzen
einhergehen. Hiob fordert deshalb nichts weniger als eine Theophanie, ein sichtbares
Erscheinen Gottes.
93
Der dritte Redegang ist geprägt von Unstimmigkeiten und unerwarteten Sätzen, die besonders
in der Verwechselbarkeit der Argumente Hiobs und seiner Freunde liegen. Johannsen geht
hierbei nicht von der Hypothese der Rekonstruktion aus, sondern von beabsichtigten
literarischen Mitteln, die sinnvoll interpretiert werden können. Dieses bewusste Stilmittel
würde die Auflösung des Diskurses illustrieren. Und auch wenn die Argumente
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Als Frevler galt ein trügerischer Mensch, dessen Sprache verführerisch ist und ins Verderben führt, weil er
Unzuverlässiges oder objektiv Falsches von sich gibt und anderen damit Schaden anfügt. Kurz: er war in dieser
Charakterisierung der Feind des Beters. (Vgl. Maier, Trug, URL: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-
bibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/t/referenz/36226///cache/0ce66ab1fc/#h4).
89
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 237.
90
Vgl. Ebach, Hiob I, 166.
91
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 238.
92
Vgl. Gradl, Ijob, 250.
93
Vgl. Hesse, Hiob, 175.

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verwechselbar werden, richtet sich Hiobs Klage weiter gegen eine Realität, in der das, was
vorherrschen sollte, nicht vorherrscht. Die Freunde versteifen sich mit Bezug auf die gleiche
Lehre darauf, dass das vorherrsche, was tatsächlich sein soll, wobei sie den eigentlichen Ist-
Zustand, nämlich Hiobs reale Situation, ausblenden.
94
4.3 Elihu-Reden
Nach Ansicht Elihus, des Verfassers der nun folgenden Reden, die erst später eingefügt
worden sind (u.a.), waren die drei Freunde mit dem, was sie zu Hiob und seiner Situation zu
sagen hatten, am Ende. Ihnen waren die Argumente ausgegangen, weshalb nun ein neuer
Gesprächspartner auftritt.
95
Elihu unterscheidet sich in seinen Reden von den drei Freunden. Hiob antwortet nicht auf
seine Reden, weshalb wir weniger von einem ,,Dialogpartner" reden können. Zudem wirkt
sein Auftauchen sehr unvermittelt und wird weder zuvor noch später erwähnt. Dazu kommen
sprachliche Besonderheiten sowie eine andere Akzentuierung seiner Position.
96
Elihu (Hi
32,1-37,24) geht auf die Argumente Hiobs konkreter ein als seine Freunde und fragt im
Vergleich zu diesen nicht nach dem Grund, sondern dem Ziel des Leidens. Indem er sich auf
die Gleichheit aller Menschen durch ihren gemeinsamen Ursprung in der Schöpfung bezieht,
macht er deutlich, dass er Hiob als Gleichen nicht mit seiner Rede verurteilen möchte,
sondern ihn mit Argumenten überzeugen will. Er verweist darauf, dass Gottes Antworten auf
seine Klagen so vielseitig sein können. Selbst das Leiden an sich könnte mit pädagogischer
Funktion als mögliche Rückmeldung Gottes in Betracht gezogen werden. In Kapitel 34 begibt
sich Elihu auf die Ebene der Lehre, indem er redet, über die vorangegangenen Reden
reflektiert und die darin vorangebrachten Positionen betrachtet. Ausgehend von dem
schöpfungstheologisch zu verstehenden Dogma ,,Gott handelt nicht unrecht" deduziert er
differenzierte Antworten, die Hiob jedoch in seiner Lage nicht anerkennen kann. Aus dieser
konkreten Uneinsichtigkeit (und nicht aus vermuteten früheren Verfehlungen Hiobs) spricht
Elihu folgend in scharfen Vorwürfen. In der nachfolgenden Redeeinheit (Kapitel 35,1-37,24)
fordert Elihu Hiob dazu auf, seinen Hochmut aufzugeben und nun in Geduld abzuwarten.
Sich selbst nennt er dabei vollkommen wissend (Kapitel 36,4) und widerspricht damit im
ersten Eindruck seiner eigenen Rede von der Winzigkeit des Menschen gegenüber Gott.
Gemeint ist allerdings etwas anderes: Kapitel 37,16 beschreibt vollkommenes Wissen als ein
94
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 238.
95
Vgl. Hesse, Hiob, 176.
96
Vgl. Ebach, Hiob II, 92.

24
solches, das sich seiner Grenzen bewusst ist. Elihus Weisheit behält jedoch ebenfalls nicht das
letzte Wort, was die spätere Gottesrede zeigen wird.
97
Auch wenn man annimmt, dass diese Inhalte gegenüber den Freundesreden literarisch
sekundär sind, ist festzustellen und festzuhalten, dass sie im Gesamtgefüge des Buches einen
festen Ort haben. Dieser, wie auch andere sekundäre Zusätze, sollten nicht gleich negativ
kritisiert werden, sondern in ihrer Funktion betrachtet werden, welche bei Elihu eindeutig die
kompositorische ist. Deshalb sind sie kaum nachträglich zur Hiobdichtung hinzugefügt,
bilden aber womöglich ein späteres Element innerhalb der Dichtung.
98
4.4 Resümee: Situation bis zum 38. Kapitel
Zunächst kommen drei, dann ein vierter Freund mit Hiob ins Gespräch. So steht der einzelne
Hiob gegenüber einer ganzen Gruppe und bildet damit das kommunikative Zentrum, auf das
alle Aktivität des Dialogteils ausgerichtet ist. Die gegenüberstehende Gruppe steht für die
traditionelle weisheitliche Theologie, mit welcher es der Einzelne als Kritiker aufnehmen
will.
Der Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden umfasst den weitaus größten Teil des
Buches. 35 Kapitel spiegeln in wörtlicher Rede durch dreimal drei Freundesreden sowie den
Reden Elihu ein unermüdliches Bemühen dieser wieder, welches im Widerspruch zu Hiob
steht. Mit Recht erwarten wir vom Dialog Antithesen und Negationen. Doch ging es dem
Hiobdichter einzig um diese Polemik?
In den Reden ist mehr als reiner Streit und Auseinandersetzung zu sehen: eine neue Antwort
kommt zum Vorschein. Hätte der Hiobdichter allein die Bestreitung des Systems im Auge
gehabt, so hätte er es bei dem Dialog maximal bei der Herausforderung Gottes bewenden
lassen. Das Gespräch ist darauf angelegt, dass sich Gott der Herausforderung stellt, zu der
Hiob durch seine Freunde getrieben wird, und sein Schweigen bricht.
99
Somit sind die Reden mit den Freunden und nicht das Leid an sich der treibende Motor, der
Hiobs innerer Verzweiflung zur Äußerung verhilft. Der Dialog trägt seine Wichtigkeit in der
Aussprache von Ansichten und Meinungen, die an andere anecken bzw. sich extrem abstoßen.
Aus dem schweigenden Hiob wird eine aufbrausende, argumentierende und wütende Person.
Die Sprache spielte also bei Hiob eine entscheidende Rolle und kann verallgemeinernd als
geeignetes Mittel des Denkens bezeichnet werden. Die Sprache und das Sprechen (im Dialog)
dienen nicht allein als Ausdrucks- und Verständigungsmittel, sondern auch als Entwicklungs-
und Gestaltungsmittel. Durch das Zuhören und Sprechen kann das eigene Denken verändert,
97
Vgl. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, 239f.
98
Vgl. Ebach, Hiob II, 92f.
99
Vgl. Kaiser, Der Mensch unter dem Schicksal, 59.

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beeinflusst oder verstärkt werden. Die eigenen Äußerungen überprüfen das Denken in einem
Selbstprozess und können zum Überdenken, zur Veränderung oder zur Festigung führen.
100
So folgt auch Hiobs Herausforderung an Gott erst allmählich, nachdem die Wut auf die
Freunde und auch auf Gott in den Reden gewachsen ist.
Zusammenfassend sollen deshalb nun die Charakteristika und Problemstellungen der Freunde
und die des Hiob aufgezeigt werden, die den Weg zur Gottesbegegnung gebahnt haben.
4.4.1 Die Freunde
Die Freunde Hiobs lassen sich (nach Kuhl) wie folgt beschreiben: Der Dichter differenziert
den einzelnen, obwohl die Charaktere denselben Typ repräsentieren. Eliphas ist am
liebevollsten gezeichnet als alter Weiser von Besonnenheit und Erfahrung. Bildad wird als
Vertreter der Traditionen dargestellt, der in seinen Äußerungen etwas aggressiver ist. Zophar
ist der Jüngste von ihnen, der schroff ist und die Situation verschärft, da er Hiob als Erster
und am schwersten anklagt.
101
Eine individuell genauere Charakterisierung der Freunde ist
jedoch kaum möglich. Dies geht nicht auf den Mangel der Darstellung, sondern auf die
Reflexion der Funktion der Freunde als Standesvertreter ihrer ,,Weisheit" zurück. So drehen
sich die Reden dieser im Kreis und lassen keinen gedanklichen Fortschritt erkennen.
102
Das Gespräch ist eine Auseinandersetzung um das rechte Verstehen Hiobs Leiden und um die
Verbindung zwischen dem Leiden beziehungsweise dem Glück von Menschen und ihrem
Handeln. Die Freunde kehren hierbei den Tun-Ergehen-Zusammenhang in einen Ergehen-
Tun-Zusammenhang um, indem sie Hiobs Unglück auf Verfehlungen auf Seiten Hiobs
zurückführen. Die Argumentationen der Freunde lassen sich folgendermaßen systematisieren:
1.
,,Leid ist Folge menschlicher Schuld" (Kapitel 15,20-35; 18,5-21 u.a.)
2.
,,Leid gehört zur Natur des Menschen, es ist Folge seiner Kreatürlichkeit." (Kapitel
4,17-21; 15,14-16 u.a.)
3.
,,Leid ist eine Form göttlicher Erziehung und Zurechtweisung, durch die der Mensch
vor dem Untergang bewahrt wird." (Kapitel 5,17-18)
4.
,,Leid ist eine Prüfung des Frommen." (Kapitel 1 und 2)
Im Verlauf der drei Redegänge wird deutlich, worin das Versagen als Seelsorger liegt: in ihrer
Unfähigkeit, den Leidenden in seinem Selbstverständnis, seiner Erfahrung und seinem
leidenschaftlichen Anspruch und ausweglosen Konflikt ernst zu nehmen. Vielmehr haben sie
einen Lösungsvorschlag des Schicksalsproblems mitgebracht, der nach ihrer Ansicht durch
die generationenübergreifenden Erfahrung bewährt und gerechtfertigt ist und daher nach ihrer
100
Vgl. Fleischer, Denken und Sprechen, 98-102.
101
Vgl. Müller, Hiobproblem, 74.
102
Vgl. Ebach, Hiob, 367f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836643955
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung) – Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Institut für Evangelische Theologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,5
Schlagworte
gerechtigkeit schöpfung chaos utopie exegese
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Titel: Die Gottesreden im Buch Hiob
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