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Die Beteiligung der Bevölkerung an der Entwicklungszusammenarbeit in Nepal am Beispiel des Gesundheitswesens

©2009 Diplomarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die neue Regierung in Nepal hat 2008 den ‘Three Year Interim Plan’ verabschiedet. Darin wird unter anderem das für meine Arbeit entscheidende Gesundheitswesen neu bewertet. Doch kann dieser Prozess zu einer Verbesserung der Lage im Land beitragen? Wie in meinem einleitenden Zitat von Nyerere kann Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nur sinnvoll und fruchtbar sein, wenn die Bewohner die Möglichkeit haben, alle Entscheidungen sie betreffend mitzugestalten. In dieser Arbeit wird dargestellt, was EZ ist und welche Akteure sich auf dem Spielfeld von Politik und Wirtschaft, nachhaltigen Hilfeleistungen und fragwürdigen Projektzielen befinden. Anhand der Entwicklung des Gesundheitswesens in Nepal wird die Frage erörtert, wie die lokale Bevölkerung ein ernst zu nehmender Partner werden kann und welche Rolle die Soziale Arbeit dabei spielt. Von April bis August 2006 war ich bei der Nichtregierungsorganisation (NRO) Mountain Spirit Nepal im Rahmen meines Praxissemesters tätig. Dabei konnte ich direkt Einblick in die Projektarbeit – ein wichtiger Bestandteil der EZ – in Chyangmityang, einem entlegenen Bergdorf im Solukhumbu-Distrikt, gewinnen. Das war der Ausgangspunkt, mich mit der Möglichkeit auseinander zu setzen, wie die Bevölkerung selbst an der Entwicklung des Gesundheitssystems beteiligt werden kann. In der Arbeit versuche ich nachzuweisen, dass nur diese Herangehensweise Erfolg verspricht. Neben meinen persönlichen Erfahrungen habe ich unter anderem folgende Literatur genutzt: Einen Überblick über den historischen Verlauf der EZ konnte ich mit ‘Einführung in die Entwicklungspolitik’ von Ihne und Wilhelm gewinnen. Mit der Diplomarbeit von Satish Shroff ‘Soziale Arbeit im Spannungsfeld von Medizin und Kultur’ erhielt ich wichtige Informationen zum Gesundheitswesen Nepals, zu traditionellen Heilmethoden und zu Sozialarbeit zwischen Kultur, Medizin und sozialen Gegebenheiten. ‘Ritual und Heilung’ von Greifeld (Hg.) enthielt zahlreiche Hinweise zum weltweiten Nebeneinander traditioneller und allopathischer Medizin und zur Entwicklung von Gesundheitssystemen im allgemeinen. Um mehr von traditionellen Heilmethoden zu erfahren, beschäftigte ich mich einerseits mit dem Werk von
Bramsiepe ‘Die Anwendung der tibetischen Medizin in Indien und Nepal’, andererseits mit Keßlers ‘Wirksamkeit von Ayurveda bei chronischen Erkrankungen’. Das Befassen mit dem Gegenstück zur westlichen Schulmedizin ist wichtig, da traditionelle Heilmethoden im […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Frank Mallschützke
Die Beteiligung der Bevölkerung an der Entwicklungszusammenarbeit in Nepal am
Beispiel des Gesundheitswesens
ISBN: 978-3-8366-3560-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Fachhochschule Merseburg, Merseburg, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

"Any action that gives the people more control of their affairs is an
action of development, even if it does not offer them better health
or more bread. Any action that reduces their say in determining
their own affairs or running their own lives is not development, even
if the action brings them better health and a little more of bread."
Julius Nyerere
1
1
Tansanischer Politiker (1922-1999) in Morsy 1994: 36

Gliederung
I
Einleitung und Fragestellung...1
II
Hauptteil...3
1.
Wandel der Entwicklungszusammenarbeit... 3
1.1.
Die Entwicklung des Gesundheitssektors... 11
1.2.
Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal... 15
1.3.
Ein Projektbeispiel... 17
1.4.
Die Entwicklung des Gesundheitssystems in Nepal... 19
2.
Die Lebensbedingungen in Nepal: Was macht Nepal zum
Entwicklungsland?... 22
2.1.
Der Guerillakrieg, der Sturz des Königs und die aktuelle
politische Situation... 22
2.2.
Die sozioökonomische Situation Nepals... 24
3.
Kulturelle Hintergründe des Krankheitsverständnisses der
nepalesischen Bevölkerung... 27
3.1.
Tibetische Medizin... 29
3.1.1.
Tätigkeitsbereiche eines tibetischen Arztes... 30
3.1.2.
Der Krankheitsbegriff in der Tibetischen Medizin... 31
3.1.3.
Diagnose... 32
3.1.4.
Behandlungs- und Therapiemethoden... 34
3.2.
Ayurvedische Medizin... 37
3.2.1.
Gesundheit in der Ayurvedischen Medizin... 38
3.2.2.
Diagnose... 39
3.2.3.
Behandlungs- und Therapiemethoden... 40
3.2.4.
Exkurs: Einfluss der Ernährungsgewohnheitenauf die
Krebsinzidenz... 42
3.3.
Schamanistische Heilung und traditionelle Heiler... 43
3.4.
Welchen Entwicklungsbedarf gibt es für das medizinisch
System Nepals?... 46
3.5.
Wer legt diesen Bedarf fest?... 51
4.
Community Participation in Primary Health Care in Nepal... 52
5.
Die Rolle des Sozialarbeiters in Nepal... 55
6.
Praxisbeispiel... 58
III
Schlussbemerkungen... 62
IV
Literatur- und Quellenverzeichnis... 64
V
Anhang...69

1
I
Einleitung
Die neue Regierung in Nepal hat 2008 den ,,Three Year Interim Plan"
verabschiedet. Darin wird unter anderem das für meine Arbeit entscheidende
Gesundheitswesen neu bewertet. Doch kann dieser Prozess zu einer
Verbesserung der Lage im Land beitragen? Wie in meinem einleitenden Zitat
von Nyerere kann Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nur sinnvoll und
fruchtbar sein, wenn die Bewohner die Möglichkeit haben, alle Entscheidungen
sie betreffend mitzugestalten. In dieser Arbeit wird dargestellt, was EZ ist und
welche Akteure sich auf dem Spielfeld von Politik und Wirtschaft, nachhaltigen
Hilfeleistungen und fragwürdigen Projektzielen befinden. Anhand der
Entwicklung des Gesundheitswesens in Nepal wird die Frage erörtert, wie die
lokale Bevölkerung ein ernst zu nehmender Partner werden kann und welche
Rolle die Soziale Arbeit dabei spielt. Von April bis August 2006 war ich bei der
Nichtregierungsorganisation (NRO) Mountain Spirit Nepal im Rahmen meines
Praxissemesters tätig. Dabei konnte ich direkt Einblick in die Projektarbeit ­
ein wichtiger Bestandteil der EZ ­ in Chyangmityang, einem entlegenen
Bergdorf im Solukhumbu-Distrikt, gewinnen. Das war der Ausgangspunkt,
mich mit der Möglichkeit auseinander zu setzen, wie die Bevölkerung selbst an
der Entwicklung des Gesundheitssystems beteiligt werden kann. In der Arbeit
versuche ich nachzuweisen, dass nur diese Herangehensweise Erfolg
verspricht. Neben meinen persönlichen Erfahrungen habe ich unter anderem
folgende Literatur genutzt: Einen Überblick über den historischen Verlauf der
EZ konnte ich mit ,,Einführung in die Entwicklungspolitik" von Ihne und
Wilhelm gewinnen. Mit der Diplomarbeit von Satish Shroff ,,Soziale Arbeit im
Spannungsfeld von Medizin und Kultur" erhielt ich wichtige Informationen zum
Gesundheitswesen Nepals, zu traditionellen Heilmethoden und zu Sozialarbeit
zwischen Kultur, Medizin und sozialen Gegebenheiten. ,,Ritual und Heilung" von
Greifeld (Hg.) enthielt zahlreiche Hinweise zum weltweiten Nebeneinander
traditioneller und allopathischer Medizin und zur Entwicklung von
Gesundheitssystemen im allgemeinen. Um mehr von traditionellen
Heilmethoden zu erfahren, beschäftigte ich mich einerseits mit dem Werk von

2
Bramsiepe ,,Die Anwendung der tibetischen Medizin in Indien und Nepal",
andererseits mit Keßlers ,,Wirksamkeit von Ayurveda bei chronischen
Erkrankungen". Das Befassen mit dem Gegenstück zur westlichen
Schulmedizin ist wichtig, da traditionelle Heilmethoden im kulturellen System
Nepals besonderes Gewicht und starken Einfluss besitzen. Das Buch
,,Community involvement in health development. A review of concept and
practice" von Kahssay und Oakley (Hg.) gab mir lohnenswerte Impulse zur
praktischen Umsetzung einer Methode, welche den traditionellen und den
schulmedizinischen Ansatz zu verbinden vermag. Entscheidend für das
Gelingen der Arbeit und eine annähernd vollständige Bearbeitung des Themas
notwendig, war es, auf verschiedene Internetquellen zurück zugreifen. Viele
vor allem aktuelle Daten und Statistiken sind nur auf diesem Wege
einzusehen. An dieser Stelle will ich nur einige nennen: Das Länderprofil der
Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation - WHO) enthält alle
relevanten Daten zu den Entwicklungen der letzten Jahre (z.B. Fertilitäts- und
Mortalitätsraten, Ressourcen des Gesundheitswesens und damit
zusammenhängenden Faktoren wie Verfügbarkeit von Wasser). Das
Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development
Program - UNDP) veröffentlicht jedes Jahr umfassende Berichte zur Lage
Nepals, die mir ebenfalls sehr hilfreich waren.
Zum Aufbau der Arbeit: Der Hauptteil ist in fünf Teile gegliedert: Im Ersten
wird das große Feld der EZ historisch und inhaltlich beschrieben. Die
Entwicklung von Gesundheitssystemen sowie die EZ mit Nepal wird
eingehender beleuchtet. Entscheidend zum Verständnis ist die Kenntnis der
Lebensbedingungen vor Ort und der traditionellen Heilmethoden, die ich im
zweiten und dritten Abschnitt darstelle. Unter einem vierten Abschnitt
erläutere ich das Modell ,,Community Involvement in Health" der WHO. Damit
zeige ich, wie die Bevölkerung Verantwortung an Entscheidungsprozessen
übernehmen kann, um die Angebote an Gesundheitsdiensten nach ihren
Bedürfnisse zu gestalten. Bei diesem Prozess übernimmt die Soziale Arbeit
eine wichtige Rolle, was ich nachfolgend erkläre. Der Hauptteil endet mit dem

3
Bericht über meine Projektarbeit in einer NRO in Nepal. In den
Schlussbemerkungen lege ich Ergebnisse und Forschungsdesiderate dar und
gebe einen Ausblick auf Chancen und Möglichkeiten, die die Beteiligung und
Aktivierung der Bevölkerung vor Ort bieten.
II
Hauptteil
1.
Wandel der Entwicklungszusammenarbeit
Wenn ich das Gesundheitssystem eines Landes wie Nepal in den Blickpunkt
rücken will, muss ich mich zuerst mit dem zentralen Begriff der
Entwicklungszusammenarbeit auseinander setzen. Als Entwicklungshilfe oder
EZ wird die Kooperation zwischen Entwicklungsländern
2
und Industrieländern
bezeichnet. Der Begriff der EZ wurde noch nicht eindeutig definiert. Ihne und
Wilhelm
3
beschreiben zwei generelle Absichten von EZ: Die aus moralischen
und die aus pragmatischen Gründen motivierte EZ. Aus der vorteilhaften
Position eines wirtschaftlich starken Staates wird die ethische Verpflichtung
abgeleitet - im Sinne eines gerechten Ausgleichs - den in armen Verhältnissen
lebenden Mitmenschen zu helfen. Hier sind auch jene Forderungen
einzuordnen, die eine Wiedergutmachung der durch Eroberungen und der
folgenden Ausbeutung erlittenen Nachteile aus früheren Jahrhunderten
beinhalten. Auf dieser Grundlage agieren die meisten NRO's
4
und die
Entwicklungsorganisationen verschiedener Kirchen. Dagegen setzen Staaten
EZ aus pragmatischen Gründen als politisches Instrumentarium ein. Im
eigenem Interesse sollen mögliche Schäden durch Unterentwicklung in
anderen Staaten abgewendet werden. Übermäßige Migrationsbewegungen von
Entwicklungsländern in Industrieländer sollen abgefangen werden, ökologische
2 Entwicklungsländer werden auch als Empfängerländer bezeichnet, die die Hilfen der
EZ der Geberländer, der Industrieländer, empfangen. Da die Entwicklungsländer
hauptsächlich auf der Südhalbkugel zu finden sind, spricht man auch von den
Ländern des Südens.
3 Ihne/Wilhelm: Einführung in die Entwicklungspolitik, Lit Verlag Hamburg 2006.
4 NRO's: Nichtregierungsorganisationen, englisch: NGO´s: non-government
organisations

4
Ressourcen, deren Erhaltung für alle Menschen relevant sind, sollen geschützt
werden. Auch soll verhindert werden, dass Terrorismus durch Armut
unterstützt bzw. begünstigt wird. Es gibt keinen direkten Zusammenhang
zwischen Armut und Terrorismus. Menschliche Sicherheit ist jedoch immer
durch Armut bedroht (Vgl. Ihne/Wilhelm 2006: 12). Des weiteren setzt ein
Staat Projekte der EZ ein, um der heimischen Wirtschaft den Weg zu neuen
Märkten zu ebnen, von dem eine Steigerung des Exportabsatzes erhofft wird.
Nach Meinung der Autoren (ebenda 2006: 9) sind beide Ansätze in der
Entwicklungspolitik Deutschlands vertreten, wobei die EZ aus pragmatischen
Gründen seit der Wiedervereinigung zugenommen habe
5
. Historisch betrachtet
beginnt die Entwicklungspolitik nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Nach
der Freigabe bzw. Befreiung der Kolonien sind die Länder des Südens weiterhin
abhängig. Sie werden von den Industrieländern als Entwicklungsländer
bezeichnet und bewertet. Entwicklung wurde definiert über wirtschaftliches
Wachstum und ,,Modernisierung[sgrad] der traditionellen Gesellschaften" (nach
Greifeld 2003: 141). Ziel war es die Lebensbedingungen der
Entwicklungsländer an die der Industrieländer anzupassen. Der Maßstab für
Entwicklung war des Bruttoinlandsprodukt eines Landes. Die Vereinten
Nationen (United Nations: UN) unterteilen die verschiedenen
Entwicklungspolitischen Ansätze in vier Dekaden, in denen Modernisierungs-
und Dependenztheorien (s.u.) abwechselnd oder sich durchmischend diskutiert
wurden. ,,...Die wirkliche Komplexität der Entwicklung und die Pluralität der
Maßnahmen seitens der Geberländer sind aber so verwirrend, dass jede
Einteilung mit erheblichen Problemen behaftet ist..." (Ihne/Wilhelm 2006: 10).
1960er Jahre: Modernisierungstheorie
Die 1960er Jahre standen im Zeichen des ,,Trade not Aid"-Ansatzes, nachdem
die Entwicklungsländer auf der Grundlage ökonomischen Wachstums in den
Weltmarkt eingegliedert werden sollten. Dieser Gedanke folgt der Annahme,
5 Bei den Beneluxstaaten und den skandinavischen Ländern seien beide Motive
gleichwertig vertreten, Japan, die USA und Frankreich begründeten ihre
Entwicklungspolitik eher aus
pragmatischen Erwägungen.

5
dass wirtschaftliches Wachstum per se zur Besserung der Lebensumstände
beitrage. Im Jahre 1964 gründeten Vertreter von 77 Entwicklungsländern die
Gruppe der 77, die eine neue Weltwirtschaftsordnung mit fairen Bedingungen
für alle forderte
6
. Ende der 1960er Jahre stand fest, dass sich in den zu
entwickelnden Ländern lediglich ein ,,moderner Sektor" bildete, während die
Bevölkerungsmehrheit zunehmend in elenden Zuständen lebte. Durch die
starke Ausrichtung auf die wirtschaftliche Entwicklung war die traditionelle
Landwirtschaft in den Entwicklungsländern vernachlässigt worden, was zu
massiven Versorgungsproblemen und einem weiteren Anstieg der Zahlen der
in Armut lebenden Menschen zur Folge hatte. Die Wirtschaftskommission für
Lateinamerika kritisierte die Modernisierungstheorie und formulierte im
Bewusstsein der Marginalisierung des Großteils der Bevölkerung die Theorie
der abhängigen Entwicklung (Dependenzia-Theorie). Danach werden die
Entwicklungsländer in den Weltmarkt eingebunden, der jedoch von den
Industrieländern beherrscht wird. Dies verhindere eine eigenständige
Entwicklung. Mit der Theorie der ,,autozentrierten Entwicklung" forderten sie
eine - zumindest vorübergehende - Abkopplung vom Weltmarkt, um durch den
Rückgriff auf lokale Ressourcen und den Aufbau einer eigenen Industrie ihre
Entwicklung selbst zu gestalten (nach Greifeld 2003: 142).
1970er Jahre: Grundbedürfnisstrategie
Die EZ der zweiten Dekade in den 1970er Jahren war geprägt vom Scheitern
der Modernisierungstheorie. Es ging nicht mehr in erster Linie um die
wirtschaftliche Entwicklung eines gesamten Staates, sondern um die
Überwindung der Armut durch die Befriedigung der Grundbedürfnisse
7
. Es
wurde weiterhin daran festgehalten, Entwicklung durch wirtschaftliches
Wachstum zu ermöglichen, allerdings unter der neuen Prämisse, auf die
gerechte Verteilung der Früchte des Wachstums in den Empfängerländern zu
6 Zur Gruppe der 77 gehören derzeit 131 Staaten. Sie vertritt die Interessen ihrer
Mitglieder bei den UN (www.g77.org,
r
ef. 18.01.09).
7 Die stärkere Fokussierung und Beachtung der Lebensbedingungen in den 1970er
Jahren werden von den UN als Grundbedürfnisstrategie bezeichnet.

6
achten. Die Geberländer verpflichteten sich zu jährlichen Ausgaben für die EZ
in Höhe von 0,7% des eigenen Bruttonationaleinkommens (BNE), was bis
heute kaum erreicht wurde
8
. Außerdem sollten die eigenen materiellen und
humanen Ressourcen in den Empfängerländern genutzt werden, um eine
eigenständige Entwicklung unabhängig vom Weltmarkt zu ermöglichen.
1980er Jahre: Das verlorene Jahrzehnt
Im Zuge der zweiten Ölkrise 1979 ergaben sich erhebliche Nachteile für die
Entwicklungsländer: Durch den rapiden Verfall der Rohstoffpreise und eine
,,falsche Kreditpolitik" mussten sich die Entwicklungsländer stark verschulden.
Außerdem verschlechterten sich die Terms of Trade
9
, was zur weiteren
Stagnation von Entwicklung und zur Erstarkung der Armut führte.
1990er Jahre: Nachhaltige Entwicklung
Von 1990 bis 2000 nahm die Anzahl der bilateralen Geber
10
stark zu, wobei
jede Organisation nach eigenen Zielen und Methoden arbeitete. Die Hilfe
konnte nicht mehr koordiniert werden, die staatlichen Verwaltungen waren mit
den ständigen Terminen, verschiedenen Arbeitsstilen und
Rechenschaftsberichten der verschiedenen Delegationen vollkommen
überfordert. In den einzelnen Distrikten entstanden größere Ungerechtigkeiten
durch die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen der verschiedenen
Arbeitgeber und dadurch, dass je nach verfügbaren Kapazitäten immer nur ein
Teil der Bevölkerung bedient werden konnte. Die Projekte schufen ,,...Inseln
des Glücks in einem Meer von Elend..." (Knauth 2003: 158). Das
Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) führte 1990 den Human Development
8 Das Budget für EZ der BRD liegt bei 0,37% des BNE (Stand 2007,
http://www.venro.org/bmz-etat.html, ref. 18.01.09)
9 Verhältnis der Handelspreise im Import- und Exportgeschäft: beispielsweise muss
ein Entwicklungsland 100t Kaffee liefern, um sich einen Traktor leisten zu können,
ein Jahr später muss es für das gleiche Produkt 120t Kaffee liefern.
10 Multilateral: Zusammenarbeit zwischen einer Organisation und mehreren Staaten
(z.B. UNDP, WHO), bilateral: Zusammenarbeit zwischen zwei Partnern (z.B. die
meisten NRO's wie Mountain Spirit Deutschland e.V.)

7
Index (HDI), einen Parameter zur Messung von Entwicklung, ein
11
. Die vierte
Entwicklungsdekade war geprägt von einer stärkeren politischen Ausrichtung
der EZ. Die Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern sollten durch die
Bindung der Leistungen der Geberländer an Konditionen, beispielsweise durch
eine bestimmte Art der Regierungsführung (good governance siehe:
Informationen zur Politischen Bildung Nr. 286 2005: 69), verbessert werden
12
.
In zahlreichen Konferenzen wurde der Zustand der globalen, für die
Entwicklungsländer nachteiligen Strukturen diskutiert. Die Vertreter von 189
Staaten einigten sich 2000 in der Erklärung der Milleniumentwicklungsziele auf
das Ziel, den Zahlenstand der Armen weltweit von 1990 bis 2015 zu halbieren.
Der Begriff der ,,nachhaltigen Entwicklung" wurde aufgegriffen, um die ,,globale
menschliche Sicherheit" zu gewährleisten. ,,...Der Nachhaltigkeitsbegriff
bezieht sich nicht nur auf den ökologischen Bereich, er umfasst jede
Dimension von ,,globaler menschlicher Sicherheit" (UNDP 1993), also auch die
politische, ökonomische, soziale, kulturelle und sicherheitspolitische..." (Ihme/
Wilhelm 2006: 12). Im März 2005 einigten sich Vertreter der OECD-Staaten in
Zusammenarbeit mit Vertretern einiger Entwicklungs- und Schwellenländer
sowie NROs in der Pariser Deklaration auf neue Bewertungsmaßstäbe in der
EZ. Die zwei wichtigsten Ziele sind das ,,Ownership" und die
Geberkoordinierung. Entwicklungsländern sollen die Verantwortung und
Führung der Entwicklung des eigenen Landes übertragen werden. Nach diesem
Prinzip des ,,Ownership" sollen die Organisationen der Geberländer die Hilfen in
bestehende Institutionen vor Ort einbinden und keine parallelen Strukturen
schaffen. Die Hilfen verschiedener Geber sollen gebündelt und koordiniert
werden. Ziel ist es zu verhindern, dass zu viele Hilfen mit den gleichen
Inhalten parallel laufen und die Empfängerländer mit der Erfüllung der
verschiedenen Konditionen und Auflagen überfordert werden. Die Geberländer
11 Der HDI setzt sich zusammen aus Lebenserwartung bei Geburt, Bildungsstand,
Durchschnitt der Alphabetisierungsrate Erwachsener (2/3) und Schulbesuch der
Kinder (1/3) sowie Kaufkraft nach dem realen Pro- Kopf- BSP, das an die lokalen
Lebenshaltungskosten angepasst ist.
12 Good Governance: ,,Gute Regierungsführung", die sich nach dem Werteverständnis,
zumindest des westlichen Kulturkreises der Geberländer, durch die Achtung der
Menschenrechte, Demokratisierung, Marktorientierung und Rechtsstaatlichkeit
auszeichnet.

8
werden angehalten ihre Projekte besser zu koordinieren. Jedes Land soll sich
entsprechend seiner Stärken engagieren. Die Aufgabenbereiche sollen sektoral
aufgeteilt werden, was schon in der Planung in den Industrieländern passieren
muss (nach Nuscheler 2008: 17). Inzwischen wird die EZ beeinflusst von den
Verschiebungen der Kräfteverhältnisse unter den bisherigen ,,Triadenmächten"
USA, Europa und Japan und den aufstrebenden überbevölkerten Staaten China
und Indien.
Die Entwicklungstheorien der vier Dekaden und die aktuelle Ausrichtung der
Entwicklungspolitik werden von vielen Seiten kritisiert. Marxisten behaupten,
dass EZ dem Neokolonialismus diene, um die Entwicklungsländer weiterhin in
Abhängigkeit zu halten. Andere Kritiker argumentieren, die EZ untergrabe die
Eigenanstrengungen der Empfängerländer, womit Strukturen der Armut eher
noch gefördert werden. Außerdem erreiche sie lediglich die reicheren
Bevölkerungsschichten (Informationen zur politischen Bildung Nr. 286 2005:
63) und der erhoffte trickle down- Effekt
13
in arme Bevölkerungsschichten
bleibe aus. Den Empfängerländern bleibe nichts weiter übrig, als die
undurchsichtigen und vom Standpunkt ihrer Kultur unverständlichen
Bedingungen, die an die Hilfeleistungen der Geberländer gebunden sind, zu
akzeptieren. Bliss kritisiert
14
, dass die Geberländer stets den kulturellen Aspekt
unbeachtet gelassen haben. Als Ursachen der Unterentwicklung wurden
endogene Faktoren angeführt, die also in den betreffenden Kulturen selbst
entstanden sind. Diese wurden nach Bliss nie genauer benannt oder
analysiert, geschweige denn als ,,koloniale Deformationen" wahrgenommen
(Bliss 1999: 71). Modernisierungstheorien vernachlässigen den kulturellen
Zugang völlig, indem sie ausschließlich auf ökonomische Strukturen setzen.
Wird ein ökonomisches System mit den hier gültigen Gesetzmäßigkeiten
,,exportiert", wird es aus dem hiesigen kulturellen Kontext heraus gelöst und in
13 ,,Durchsickerungseffekt": Annahme, dass von einem Wirtschaftsaufschwung alle
Gesellschaftsschichten profitieren.
14 Bliss: Kultur und Entwicklung. Ein zu wenig beachteter Aspekt in
Entwicklungstheorie und -praxis. In Thiel: Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie,
Bonn 1999, S.70f.

9
das kulturelle Setting des Ziellandes als Fremdkörper eingepflanzt. So sei die
Subsistenzproduktion ein bestimmender Faktor für Entwicklung. Erst indem
sich mit den Produzenten (Subsistenzbauern) vor Ort direkt befasst wird, ist
zu erkennen ,,...warum bestimmte unterstellte ,,europäische" Rationalitäten in
anderen Gesellschaften überhaupt keine sind und umgekehrt..." (Bliss 1999:
72). Die Grundbedürfnisstrategie ist hinsichtlich ihrer Absicht, die
Lebensbedingungen der Armen direkt zu verbessern, statt auf die Wirkung der
Modernisierung zu warten, positiv zu bewerten. Ihr Scheitern begründet Bliss
damit, dass auch hier Maßnahmen ohne den Bezug zu den Bedingungen und
der Lebenswirklichkeit vor Ort, nach ,,westlichen" Handlungsrationalitäten
geplant wurden. Die Zielgruppen seien mit fertigen Maßnahmen konfrontiert
worden
15
. Brunnen, Zuchttiere oder besseres Saatgut wurden einfach
übergeben. Die neoliberalen Entwicklungskonzepte suchten ebenfalls nicht
nach den Ursachen der Unterentwicklung. Es wurde versucht mittels
,,Deregulierung und Marktöffnung" den Entwicklungsprozess durch
wirtschaftliche Beziehungen voranzutreiben, ohne danach zu fragen, ob andere
Gesellschaften grenzenloses Wirtschaftswachstum um jeden Preis positiv
bewerten. Auch im neueren Ansatz der Entwicklung des ,,Humankapitals" gehe
es nicht um das Verstehen der Handlungsrationalitäten von Mitgliedern
anderer Gesellschaften, ,,...sondern im Gegenteil um die Umerziehung von
Menschen aus einem nicht weiter beachteten, schon gar nicht erforschten,
aber pauschal als entwicklungshemmend angesehenen kulturellen Milieu zu
solchen, die nach westlichen kulturellen Vorstellungen einfach funktionieren..."
(ebenda: 74). Andere Handlungsrationalitäten werden auch als soziokulturelle
Hemmnisse bezeichnet. Dazu zählt die starke Bindung an Primärgruppen wie
die Großfamilie oder die Dorfgemeinschaft, die mehr zählt als die Identität als
Bürger eines Staates. Staatsgewalt in Form von Gesetzgebung, Polizei oder
Rechtssprechung sind praktisch nicht vorhanden. In solchen ,,staatsfernen
Räumen"
16
ist eine enge Bindung in Familie oder Dorfgemeinschaft existentiell
notwendig. Die Staatsferne entsteht etwa durch schwache politische
15 In dieser Zeit war auch in Europa Bürgerbeteiligung auf der kommunalen Ebene
nicht etabliert (nach Bliss 1999: S.73).
16 zum Begriff siehe z.B. Riekenberg 2003: Einleitung

10
Strukturen auf der kommunalen Ebene oder fehlende Gelegenheiten zur
Mitbestimmung. Oft ist der geographische Faktor der Abgeschiedenheit zum
Beispiel in unzugänglichen Bergregionen Hintergrund dieser Erscheinung. Ein
weiteres Beispiel für das Handeln nach anderen, fremden Rationalitäten, ist die
target economy (,,Ökonomie des Genug" nach Bliss 1999: 78). Danach gebe es
in einigen Kulturen keine Wertschätzung der Arbeit als solche. Die Arbeit diene
dazu, die käuflichen Grundbedürfnisse zu stillen. Darüber hinaus werde
höchstens noch für die Anschaffung eines Luxusartikels, etwa einen Fernseher
oder den Brautpreis für eine zweite Frau gearbeitet. Es wird genau soviel
gearbeitet wie zur Erreichung eines Ziels notwendig ist. Langfristige
Investitionen oder Sparpläne, um kommende Zeiten finanziell abzusichern,
sind nicht nur fremd: Wer mehr erwirtschaftet, als für den eigenen Bedarf
notwendig ist, wird von der Gemeinschaft um den Überschuss beraubt oder
zumindest freundlich, aber mit Nachdruck zur Aufteilung genötigt, oder er wird
gänzlich aus der Gemeinschaft verstoßen. Wie also kann EZ erfolgreich
gestaltet werden? Wie kann ein Projekt an die kulturellen Bedingungen der
Gruppe der Empfänger angepasst werden? Ein wichtiger Fortschritt wäre nach
Bliss die Einsicht, dass die unterschiedlichen Gruppen der Armen
unterschiedliche Ziele und eigene Ideen haben, wie sie ihre Lage verändern
könnten. Damit erweitert er die Dimension der bisherigen
entwicklungspolitischen Diskussion, die ,,...nur um das Nebeneinander von
,,arm" und ,,reich" bzw. ,,unterentwickelt" und ,,entwickelt" ..." (ebenda: 75)
geführt wurde um den Aspekt der Selbstbestimmung der eigenen Entwicklung.
Ziele, Ergebnisse und beabsichtigte Wirkungen jedes Projektes sollen von der
Gemeinschaft der Empfänger der Hilfe selbst erarbeitet und dargelegt werden.
Dazu müssten sie bei Planung, Implementierung, Steuerung sowie der
Erfolgskontrolle des Vorhabens beteiligt werden (nach Bliss 2006: 347). Ein
potentieller Geber müsste mit offenen Karten spielen und die Gemeinschaft
der Empfänger von seinen Absichten überzeugen. ,,...Entwicklung ist das, was
aus Sicht der jeweils Beteiligten sein soll..." (Bliss 1999: 77). Beispielsweise
könnte diese Idee in Form eines Regionalfonds umgesetzt werden, an dessen
Verwaltung eine Dorfgemeinschaft, ethnische oder administrative Gruppen

11
Vorschläge geben kann, die mit den Bedingungen der Geber abgeglichen
werden (Bliss 2006: 348). Die Umsetzung eines Projektes käme nach
gegenseitigem Einvernehmen zustande, oder - nach Feststellung zu starker
Differenzen in den Absichten, die Hilfe zu verwenden ­ eben nicht zustande.
Auf jeden Fall wären dann potentielle Empfänger an den
Entscheidungsprozessen beteiligt und könnten mit eindeutigen Vorgaben
rechnen.
1.1. Die Entwicklung des Gesundheitssektors
17
Während der vier Entwicklungsdekaden standen sich immer wieder zwei
unterschiedliche Konzepte zur Entwicklung des Gesundheitssektors gegenüber.
Es ging schwerpunktmäßig entweder um die Bekämpfung bestimmter
Krankheiten oder um die Entwicklung eines Gesundheitssystems. In vielen
ehemaligen Kolonien gab es ein mehr oder minder entwickeltes präventives
Gesundheitssystem
18
. Durch die von den Kolonialmächten voran getriebene
Entwicklung wurde dieses in ein kuratives System umgewandelt ­ die
traditionellen präventiven Heilmethoden verschwanden nahezu vollkommen. In
den Städten wurden neue Tertiärkrankenhäuser
19
gebaut, die nur von ca. 1%
der Bevölkerung genutzt werden konnten, wobei für die Betriebskosten 40-
17 Falls nicht anders angegeben wurde für dieses Kapitel folgende Literatur verwendet:
Knauth: Krankheitsbekämpfung, Gesundheitssysteme und Entwicklung. In: Greifeld
(Hg.) 2003: 133ff.
18 Der Begriff ,,Gesundheitssystem" wird oft falsch verwendet. Genau betrachtet
handelt es sich um ein ,,Krankheitsversorgungssystem", weil es darauf ausgerichtet
ist, Krankheit zu heilen, statt Gesundheit zu fördern. Knauth spricht vom
,,Gesundheitssektor" um zu verdeutlichen, dass sich das
,,Krankheitsversorgungssystem" immer mehr zu einem Markt wandelt, auf dem
auch private Anbieter tätig sind (vgl. Knauth 2003: 140ff.).
19 Primär: Gesundheitsposten, -zentrum, Hausarzt Sekundär: Distriktkrankenhaus,
Facharzt, städtisches oder Kreiskrankenhaus Teritär: Uniklinik mit allen
Fachabteilungen oder Spezialkrankenhaus

12
60% des Gesamtbudgets des Gesundheitssektors aufgewendet wurden.
Lediglich 15% dieses Budgets floss in die Finanzierung der Primärebene, die
für ca. 90% der Kranken zuständig war. Die Nachfrage nach modernen
Behandlungsformen stieg sehr schnell an. Unter dem Druck des
Bevölkerungszuwachses verschlechterte sich die Versorgungslage. Anfang der
1970er Jahre, zeitgleich mit der aufkommenden Kritik des
Modernisierungsansatzes, galt das von den Industrieländern eingeführte
medizinische Versorgungssystem als gescheitert (Knauth 2003: 141). In einer
Studie der WHO wurde den Gesundheitsdiensten unterstellt eher den
Interessen des Personals als denen der Patienten zu dienen. Aus der
Forderung nach autozentrierter Entwicklung entstand für den
Gesundheitssektor das Primary Health Care-Konzept (PHC), dass eine
flächendeckende medizinische Versorgung auf einfachen Niveau vorsieht.
China galt mit der Ausbildung von Barfußärzten als Vorbild. Die Barfußärzte
waren Laienhelfer, die zur einfachen medizinischen Versorgung, Prävention
und Gesundheitsförderung ausgebildet waren. 1975 definierte die WHO:
,,...Primary Health Care soll einen Gesundheitsansatz bedeuten, der auf
Gemeindeebene alle notwendigen Elemente integriert, um den
Gesundheitszustand der Menschen zu verbessern..." (Knauth 2003: 151). Der
PHC-Ansatz zielt darauf ab, die Professionalisierung der medizinischen
Versorgung in den Städten zu Gunsten der Erreichbarkeit medizinischer
Einrichtungen in allen Regionen und für jeden Bürger gleichberechtigt
anzupassen. Die Entscheidungsgewalt über die Entwicklung des medizinischen
Systems soll dezentralisiert und so umstrukturiert werden, dass die
betreffenden Gemeinden direkt beteiligt sind. Drei Jahre später formulierte die
WHO gemeinsam mit UNICEF das Programm ,,Gesundheit für alle im Jahr
2000". Darin werden Forderungen nach Gerechtigkeit, self-reliance (Verlassen
auf die eigene Kraft), Selbstbestimmung und nach einer ,,Neuen
Weltwirtschaftsordnung" gestellt. Es sah vor, das PHC- Konzept auf Gebiete
auszuweiten, durch die indirekt Gesundheit gefördert werden sollte, wie
Ernährung, Abwasserreinigung und Bildung. Konkret wurden acht Elemente
definiert: ,,...Erziehung, Ernährung und Wasserversorgung stehen an erster

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Stelle, gefolgt von präventivmedizinischen Elementen: Mutter-Kind-
Versorgung, Impfung, Bekämpfung der lokal vorherrschenden Krankheiten.
Erst an letzter Stelle folgen basismedizinische Elemente wie angemessene
Behandlung, Erste Hilfe und zuletzt die Versorgung mit Basismedikamenten..."
(Knauth 2003: 152). Außerdem sollte die Gemeinde in das Hilfssystem
eingegliedert werden: Sie sollte ein Gesundheitskomitee sowie
Gesundheitshelfer und Hebammen auswählen, die vom Gesundheitsdienst des
Distriktes ausgebildet und von der Gemeinde selbst überwacht werden. Knauth
kritisiert, dass dieses Konzept der Entwicklung eines Gesundheitssystems in
der Regel doch wieder auf die Bekämpfung einzelner Krankheiten beschränkt
wurde, besonders weil die Hilfen auf stark betroffene Gruppen wie Mütter und
Kleinkinder fokussiert waren. Entscheidungen über das Budget oder Personal
wurden meist in den Ministerien statt auf Gemeindeebene getroffen.
In der Zeit von Strukturanpassung und neoliberalen Reformen während der
1980er Jahre wurden Nutzergebühren für die Gesundheitsdienste eingeführt.
Die kostenfreie Inanspruchnahme dieser war von den neuen Regierungen der
ehemaligen Kolonien versprochen worden. Sie sahen sich durch steigende
Kosten - teilweise betrugen die Personalausgaben 80% des Gesamtbudgets -
dazu gezwungen. Außer den Regierungsinstitutionen stand auch die Weltbank
hinter diesen Absichten und beauftragte die Banken mit der Einführung der
Gebühren. In der Folge kam es in mehreren Ländern zu einem starken
Rückgang der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Besonders Menschen,
die wenig Geld zur Verfügung hatten und zu einer besonders von Krankheiten
betroffenen Gruppe wie Mütter und Kinder gehörten, nahmen die Hilfen nicht
mehr in Anspruch. In den 1990er Jahren übernahm die Weltbank die führende
Position in der internationalen Gesundheitspolitik. Wie in der
Entwicklungspolitik insgesamt wurde der strukturelle Ansatz der 1980er Jahre
beibehalten, jedoch sollte das Wirtschaftswachstum den Armen zugute
kommen. In ihrem Bericht ,,Investieren in Gesundheit" empfahl die Weltbank
drei Maßnahmen: ,,...1. Das ,,Umfeld für Gesundheit zu verbessern", da

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insbesondere im Bereich ,,Public Health" der Markt versagt", 2. eine
Konzentrierung staatlicher Ausgaben auf die Bekämpfung von Krankheiten und
Gesundheitsproblemen, bei denen dies am kosteneffizientesten möglich sei
und 3. ,,Vielfalt und Wettbewerb": Eine stärkere Privatisierung gesundheitlicher
Dienstleistungen..." (Knauth 2003: 157)
20
. Während dieser Zeit konzentrierte
sich die Hilfe der bilateralen Geber meistens auf Projekte auf der
Distriktebene, die unkoordiniert und außerdem zeitlich begrenzt durchgeführt
wurden. Dieses Dilemma bekam auch Nepal zu spüren (vgl. Punkt 1.2.
Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal). Als Reaktion darauf entwickelte die
WHO den Sector-wide approach (SWAp). Damit sollen alle potentiellen Geber,
die sich in einem bestimmten Sektor engagieren wollen, in einen Fond
einzahlen, der der Regierung des Empfängerlandes für einen konkreten Sektor
zur Verfügung steht. Dazu hat diese einen mittelfristigen Finanzplan
vorzulegen, aus dem die Verwendung der Gelder für einzelne Ziele hervor
geht. Auf eine genaue Abrechnung wird verzichtet, vielmehr wird den
Verwaltungsabläufen des Entwicklungslandes vertraut. Außerdem forderte die
WHO die Abschaffung der Nutzergebühren. Seit der Erklärung der
Milleniumentwicklungsziele liegt der Schwerpunkt auf der
Krankheitsbekämpfung. Zur Eindämmung der drei am meisten verbreiteten
Infektionskrankheiten Aids, Malaria und Tuberkulose wird von der WHO die
Forschung über neue Impfstoffe gefordert. Knauth kritisiert, dass aufgrund der
Verbesserung der medizinischen Versorgung der Armen auf eine Überwindung
der weltweiten Armut gehofft werde. Es ,,...wird neuer Optimismus verbreitet,
durch Einsatz einfacher Rezepte komplexe Gesundheitsprobleme lösen zu
können..." (Knauth 2003: 138). In Europa seien die Infektionskrankheiten
durch sozioökonomische Faktoren, Verbesserung der hygienischen
Bedingungen und Ernährungsgewohnheiten auf die heutigen niedrigen Werte
gesunken, lange bevor entsprechende Impfstoffe verfügbar waren. Des
weiteren werden Medikamente der Pharmahersteller auch in
Entwicklungsländern im großen Stil vermarktet, ohne dass sich das
medizinische System parallel weiter entwickeln würde. Die Produkte würden
20 Meiner Meinung nach widerspricht der erste Punkt dem letzten, da Privatisierung
marktwirtschaftliches Handeln nach sich zieht.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2009
ISBN (eBook)
9783836635608
Dateigröße
5.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Merseburg – Soziale Arbeit. Medien. Kultur
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,7
Schlagworte
ayurveda medizin tibet community participation gesundheit
Produktsicherheit
Diplom.de
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Titel: Die Beteiligung der Bevölkerung an der Entwicklungszusammenarbeit in Nepal am Beispiel des Gesundheitswesens
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