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Der Kunde im Mittelpunkt der Wertschöpfung

Muss oder Mythos?

©2008 Diplomarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die industrielle Massenfertigung für einen anonymen Absatzmarkt hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts die klassische Einzelfertigung auf Bestellung abgelöst und war während der ersten acht Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die vorherrschende Produktionsform. Für den Kunden bedeutet diese Form eine Reduktion seiner Beteiligung auf eine ja/nein-Entscheidung über den Kauf eines Produktes. Gründe für diese lange dominierende Produktionsform waren stabile Absatzmärkte mit einer begrenzten Zahl von Anbietern, ungesättigter Nachfrage und relativ langen Produktlebenszyklen.
Diese Marktgegebenheiten haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten rasant verändert: Absatzmärkte sind heute global, durch das Internet sehr transparent, in den Schwellenländern schnell wachsend und mit einer unüberschaubaren Zahl von Anbietern sehr wettbewerbsintensiv. Heterogene und schnell wechselnde Kundenbedürfnisse führen zu stark segmentierten BtB und BtC-Märkten. BtB-Geschäftsmodelle sind an Unternehmenskunden gerichtet, BtC an Privatkunden.
Eine mögliche Reaktion der Anbieter auf diese Veränderungen ist die Differenzierung der Leistung mit dem Ziel, diese unterschiedlichen und veränderlichen Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen. Dazu kann der Anbieter den Kunden in die verschiedenen Stufen der Wertschöpfung integrieren. Kundenintegration ist derzeit ein schillernder Trend, der von Wissenschaft und Praxis in allen Facetten diskutiert wird. Teilweise wird dieser Trend mit großer Euphorie wie ein Mythos verbreitet, der versucht, trotz eines zunehmenden Pluralismus ein allgemeingültiges Handlungsmuster zu behaupten. Teilweise wird der Kundenintegration auch eher mit Skepsis begegnet. In einigen Branchen hat die Wertschöpfung durch Kunden bereits einen immensen Umfang angenommen. Für die Halbleiterbranche belief sich die Wertschöpfung durch den Kunden im Jahr 2000 bereits auf ca. 6 Milliarden US $.
Mit dieser Arbeit soll das Phänomen der interaktiven Wertschöpfung analysiert und deren Möglichkeiten und Grenzen dargestellt werden. Weitere Ziele dieser Arbeit sind die Darstellung, ob und wie der Kunde im Mittelpunkt der Wertschöpfung stehen sollte, und die Identifikation von Optimierungspotenzialen für den Anbieter.
Dabei erfolgt die Darstellung des Themas aus der Unternehmensperspektive. Zur Vereinfachung wird im Folgenden immer die Formulierung Anbieter und Kunden gewählt. Sprachlich wird nicht zwischen Kunde und Nutzer differenziert und der Begriff […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung

Die industrielle Massenfertigung für einen anonymen Absatzmarkt hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts die klassische Einzel­fertigung auf Bestellung abgelöst und war während der ersten acht Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die vorherrschende Produktions­form.[1] Für den Kunden bedeutet diese Form eine Reduktion seiner Beteiligung auf eine ja/nein-Entscheidung über den Kauf eines Produktes. Gründe für diese lange dominierende Produktionsform waren stabile Absatzmärkte mit einer begrenzten Zahl von Anbietern, ungesättigter Nachfrage und relativ langen Produktlebenszyklen.[2]

Diese Marktgegebenheiten haben sich in den vergangenen drei Jahr­zehnten rasant verändert: Absatzmärkte sind heute global, durch das Internet sehr transparent,[3] in den Schwellenländern schnell wachsend[4] und mit einer unüberschaubaren Zahl von Anbietern sehr wettbewerbsintensiv. Heterogene und schnell wechselnde Kunden­bedürfnisse führen zu stark segmentierten BtB und BtC-Märkten.[5] BtB-Geschäftsmodelle sind an Unternehmenskunden gerichtet, BtC an Privatkunden.

Eine mögliche Reaktion der Anbieter auf diese Veränderungen ist die Differenzierung der Leistung mit dem Ziel, diese unterschiedlichen und veränderlichen Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen. Dazu kann der Anbieter den Kunden in die verschiedenen Stufen der Wertschöpfung integrieren. Kundenintegration ist derzeit ein schillernder Trend, der von Wissenschaft und Praxis in allen Facetten diskutiert wird. Teilweise wird dieser Trend mit großer Euphorie[6] wie ein Mythos verbreitet, der versucht, trotz eines zu­nehmenden Pluralismus ein allgemeingültiges Handlungsmuster zu behaupten.[7] Teilweise wird der Kundenintegration auch eher mit Skepsis begegnet.[8] In einigen Branchen hat die Wertschöpfung durch Kunden bereits einen immensen Umfang angenommen. Für die Halbleiterbranche belief sich die Wertschöpfung durch den Kunden im Jahr 2000 bereits auf ca. 6 Milliarden US $.[9]

Mit dieser Arbeit soll das Phänomen der interaktiven Wertschöpfung analysiert und deren Möglichkeiten und Grenzen dargestellt werden. Weitere Ziele dieser Arbeit sind die Darstellung, ob und wie der Kunde im Mittelpunkt der Wertschöpfung stehen sollte, und die Identifikation von Optimierungspotenzialen für den Anbieter.

Dabei erfolgt die Darstellung des Themas aus der Unternehmens­perspektive. Zur Vereinfachung wird im Folgenden immer die Formulierung Anbieter und Kunden gewählt. Sprachlich wird nicht zwischen Kunde und Nutzer differenziert und der Begriff Kunde um­fasst Geschäfts- und Privatkunden. Wo diese Unterscheidungen er­forderlich erscheinen, werden sie getroffen.

2 Phänomen der interaktiven Wertschöpfung durch Kundenintegration

2.1 Definitionen und Abgrenzungen

Zunächst werden die Begriffe Wertschöpfung, Kundeninter­aktion, Kundenintegration und interaktive Wertschöpfung definiert:

Die betriebliche Wertschöpfung ist Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und wird definiert als „Differenz zwischen den von einem Unternehmen abgegebenen Leistungen und den von dem Unternehmen übernommenen Leistungen (Vorleistungen)“.[10]

In diese Wertschöpfung eines Unternehmens kann der Kunde in unterschiedlichem Umfang mittels Kundeninteraktion(en) ein­gebunden werden. Unter Interaktion versteht man die „wechsel­seitige Beziehung, die sich über unmittelbare oder mittelbare Kontakte zwischen zwei oder mehr Personen ergibt, das heißt die Summe dessen, was zwischen Personen in Aktion und Reaktion ge­schieht“.[11] Daraus lassen sich zwei wesentliche Merkmale ableiten: Zum einen treten mindestens zwei Individuen miteinander in Kontakt und zum anderen beeinflussen sich ihre Handlungen gegenseitig.[12] Kundeninteraktion bedeutet also, dass Anbieter und Kunde mit­einander in Form von Aktion und Reaktion in Kontakt treten und sich ihre Handlungen gegenseitig beeinflussen. Wikström hat Kundenin­teraktion deshalb so definiert: „Interaction means that the consumers now take part in activities and processes which used to be seen as the domain of the companies.[13] Diese Definition zeigt zusätzlich den Entwicklungstrend hin zu einem höheren Interaktionsgrad mit dem Kunden.

Wegen der großen sprachlichen und inhaltlichen Nähe soll der Be-griff der Kundenintegration von dem der Kundeninteraktion ab­gegrenzt werden. Integration bezeichnet die „Herstellung einer Ein­heit oder Eingliederung in ein größeres Ganzes“.[14] Der Kunde wird also in die Prozesse des Anbieters eingegliedert. Dabei kann die Integration aus einer oder mehreren Interaktionen bestehen. Wenn die Integration nur aus einer Interaktion besteht, z. B. Einkauf beim Bäcker, dann sind die beiden Begriffe deckungsgleich.[15] Wenn die Integration jedoch aus mehreren Interaktionen besteht, dann ist Kundenintegration der umfassendere Begriff. Die Interaktionen sind Teil der Integration.[16] Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Begriffen besteht darin, dass die Integration auch in automatisierter Form möglich ist, während die Interaktion definitionsgemäß zwischen Personen stattfindet.[17] Kundenintegration kann auch definiert werden als „Kombination von Informationen und Wissen aus der Domäne des Kunden mit internen Faktoren des Anbieterunternehmens als Voraussetzung der Leistungserstellung“.[18]

Interaktive Wertschöpfung beschreibt „einen Prozess der ko­operativen und freiwilligen Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunde zwischen den Extremen einer gänzlich hersteller- bzw. gänz­lich kundendominierten Wertschöpfung. Die Zusammenarbeit kann sich sowohl auf operative Aktivitäten als auch auf eine Produktent­wicklung (…) beziehen.“[19] Wichtig ist dabei das Merkmal der Freiwillig­keit, das die interaktive Wertschöpfung von der mit dem Ziel der Effizienzsteigerung eingeführten zwingenden Auslagerung von Aktivitäten auf den Kunden, z. B. Möbelmontage bei IKEA, unter­scheidet.[20] Aus der Definition der Interaktion ergibt sich als zweites wichtiges Kriterium die Tatsache, dass Aktionen des Kunden auch die Reaktionen des Anbieters beeinflussen. Der Kunde erhält also bei interaktiver Wertschöpfung während der Wertschöpfung Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, die den geschaffenen Wert entweder durch eine Reduktion der Kosten (Kosten- oder Effizienzvorteil[21] ) oder durch eine Erhöhung der Zahlungsbereitschaft des Kunden in­folge der Individualisierung (Effektivitätsvorteil[22] ) erhöhen.[23] Die Auf­gabe des Anbieters besteht bei interaktiver Wertschöpfung darin, dem Kunden geeignete Strukturen und Technologien bereitzustellen, damit dieser seinen eigenen Wert schaffen kann.[24]

Weitere Definitionen erfolgen im Kontext der jeweiligen Anwendung.

2.2 Kundenintegrationsformen in Abhängigkeit von der Stufe der Kundeneinbeziehung in Aktivitäten der Wertschöpfung

2.2.1 Überblick

Kunden können nach der zeitlichen Abfolge in verschiedene Aktivi­täten der Wertschöpfungskette nach Porter mit dem Ziel integriert werden, Produkte zu schaffen, die den individuellen Kundenbedürf­nissen besser entsprechen.[25] Die Wertschöpfungskette stellt den Zusammenhang der einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten dar, die zusammen den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens ergeben. Dieser Wettbewerbsvorteil ergibt sich entweder als Kostenvorteil, wenn die Aktivitäten entsprechend günstig erbracht werden können, oder als Differenzierungsvorteil, wenn die Aktivitäten so konfiguriert werden, dass sich der Anbieter von den Wettbewerbern unter­scheidet. Die Aktivitäten werden in primäre, z. B. Operation oder Marketing, und unterstützende Aktivitäten, z. B. Personalwirtschaft oder Technologieentwicklung, unterteilt.[26] Die verschiedenen Möglich­keiten der Integration zu unterschiedlichen Zeitpunkten soll in folgender Grafik dargestellt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Kundenintegration in verschiedene Wertschöpfungsaktivitäten, dargestellt an der Wertkette nach Porter. (Porter, M. E.: Wettbewerbsvorteile 2000, S. 70)

Die weitestgehende Integration findet statt, wenn Kunden bereits an der Produktentwicklung beteiligt werden (A), indem in einem Inter­aktionsprozess zwischen Anbieter und mehreren Kunden Kunden­wissen und Kundenaktivitäten systematisch in die Anbieteraktivitäten zur Produktentwicklung integriert werden (engineer to order, open innovation).[27] Ziel dieser Integration ist die Verbesserung der Markt­fähigkeit eines Produktes.[28] Die Entwicklung findet im sog. offenen Lösungsraum statt. Lösungsraum bedeutet „pre-existing capability and degrees of freedom built into a particular manufacturer`s production system”.[29] Das Ergebnis dieser gemeinsamen Ent­wicklung kann den Lösungsraum erweitern, das heißt, ein bisher nicht mögliches Produkt kann hergestellt oder ein neues Produktionsverfahren kann eingesetzt werden.

Diese Erweiterung des Lösungsraumes unterscheidet die Kunden­integration in die Produktentwicklung von der Kundenintegration in die Produktherstellung. Bei letzterer steht dem Kunden ein be­grenzter Lösungsraum zur Verfügung, das heißt, der Kunde individualisiert durch Interaktion(en) sein Produkt im Rahmen vor­gegebener Möglichkeiten.[30] Ziel dieser Kundenintegration ist die Her­stellung eines kundenindividuellen Produktes.[31]

Eine Form der Kundenintegration in die Produktherstellung ist die kunden­individuelle Massenfertigung, „mass customization“ genannt, als Herstellung individueller Güter für einen (relativ) großen Absatzmarkt unter Effizienzbedingungen ähnlich der Massenproduktion.[32] Die kundenindividuelle Massenfertigung kann verschiedene Intensitäts­grade aufweisen. Entweder geschieht die gesamte Produktion kundenindividuell (made to order/B) oder die Individualisierung ge­schieht erst bei der Montage von Standardkomponenten zu individuellen Produkten (assemble to order/C),[33] z. B. kann der Kunde beim Computeranbieter Dell seinen aus Standard­komponenten zusammengesetzten individuellen Computer bestellen, der dann zusammengebaut wird.[34] Welche Form den Kundenbedürf­nissen gerecht wird, hängt von Produkt und Markt ab.

Mit weiter abnehmendem Integrationsgrad können Kunden auch in die Vertriebs- oder Marketingaktivitäten integriert werden. In die Marketingaktivitäten wird der Kunde integriert, indem das Produkt standardisiert bleibt und lediglich die Präsentation und Vermarktung in Abhängigkeit von individuellen Kundenbedürfnissen oder Kundeninformationen geschieht (Cosmetic Customization/D).[35] Zum Beispiel stellen Anbieter kundenindividuelle Diätpläne im Internet bereit, die in Abhängigkeit von persönlichen Voraussetzungen, Zielen und Diät­fortschritten des Kunden den Verzehr bestimmter Produkte oder Vitamine empfehlen.[36] Dieses kundenindividuelle Marketing kann Teil einer Lernbeziehung (learning relationship) zwischen Anbieter und Kunde werden, in der der Anbieter sein Produkt immer weiter ver­bessert, je mehr er über den Kunden sowie dessen Bedürfnisse und Präferenzen erfährt.[37] Kundenintegration in den Vertriebsprozess findet statt, wenn entweder bestehende Standardprodukte zu einem kundenindividuellen Bündel zusammengefügt werden, um dem Kundenbedürfnis besser zu entsprechen (bundle to order/E), oder wenn das Produkt gesucht wird, das dem individuellen Kunden­bedürfnis am besten entspricht (locate to order/ match to order/F).[38] In den USA z. B. kann der Kunde sein mit bestimmten Merkmalen ausgestattetes Wunschauto in einem Computersystem aus dem bereits hergestellten Bestand suchen und liefern lassen.[39]

Schließlich kann eine Kundenintegration im Sinn einer wechsel­seitigen Interaktionsbeziehung zwischen Anbieter und Kunde auch erst bei der Nutzung erfolgen, indem der Kunde und/ oder der Kundendienst des Anbieters ein multifunktionales Produkt an die individuellen Kundenbedürfnisse anpasst (adaptive Customization/ adaptive Individualisierung/G).[40] Zum Beispiel erfolgt eine solche Individualisierung, wenn ein neuer Standard-PC mit Software aus­gestattet wird, Einstellungen vorgenommen werden und alte Daten­bestände überspielt werden.

Prinzipiell gilt: Je später die Kundenintegration im Wertschöpfungs­prozess erfolgt, desto geringer werden die Gestaltungsmöglichkeiten des Kunden (von A nach F absteigend) und desto geringer wird auch dessen Wertschöpfungsbeitrag. Kundenintegration in Produktent­wicklung und Produktherstellung sind deshalb wichtige Formen der inter­aktiven Wertschöpfung und bilden die Schwerpunkte dieser Arbeit, weil der Kunde früh in die Wertschöpfung einbezogen wird.

Eine Ausnahme von dem dargestellten Prinzip der abnehmenden Wertschöpfung mit fortschreitender Zeit ist die adaptive Individualisierung vor oder während der Nutzung. Hier wird der Wert, den das Produkt für den Kunden hat, erhöht, indem das fertige Produkt an die individuellen Anforderungen des einzelnen Kunden angepasst wird.[41] Die Wertschöpfung an diesem Punkt der Wertkette wird in der Literatur kaum thematisiert, vermutlich weil es sich dabei in der Regel um eine weitere selbständige Dienstleistung handelt, die nicht mehr zum Geschäftsmodell des Produktherstellers gehört.

2.2.2 Schwerpunkt: Kundenintegration in die Produktent­wicklung

Mit dem Ziel der Entwicklung eines besseren Produktes für den gesamten Markt werden einige Kunden in die Produktentwicklung integriert. Der Prozess der Produktentwicklung lässt sich nach Ernst in folgende fünf Phasen gliedern,[42] die jeweils gemeinsam mit dem Kunden stattfinden können:[43] In der Phase der Ideengenerierung und -bewertung kann der Kunde seine Ideen und Verbesserungsvor­schläge einbringen, Innovationsideen aus der Kundensphäre trans­ferieren und neue andere Ideen bewerten. Daran anschließend wird eine Konzeption erstellt, bewertet und ausgewählt. Der Kunde kann dabei Konzepte bewerten und seine Akzente setzen. In der Ent­wicklungsphase kann der Kunde z. B. Designvarianten beurteilen, Ideen zur Entwicklung beitragen und erste Prototypen fertigen. Kunden können in der Testphase die Marktakzeptanz beurteilen und Fehler suchen. Während der Markteinführung können Kunden die Verbreitung des Produktes beschleunigen und Anwendungs­erfahrung an den Anbieter weitergeben.[44]

2.2.3 Schwerpunkt: Kundenintegration in die Produkther­stellung

Mit dem Ziel der Anpassung des einzelnen Produktes an die individuellen Bedürfnisse des Kunden wird hierbei jeder beteiligte Kunde in die Produktherstellung integriert. Die Integration des „ex­ternen Faktors“ Kunde geschieht, indem der Kunde dem Anbieter individuelle Informationen zur Konfiguration des Produktes zur Ver­fügung stellt, z. B. Maße, Farbwünsche etc. und der Anbieter auf­grund dieser Angaben das Produkt individualisiert. Für den Anbieter gibt es abhängig vom Produkt den unter 2.2.1 dargestellten Spiel­raum zwischen „made to order“ und „assemble to order“.

Bei der Kundenintegration in die Produktherstellung lassen sich zwei Prozesse unterscheiden: Im autonomen Bereitstellungsprozess gestaltet und vermarktet der Anbieter allein die Varianten und Möglichkeiten, die er den Kunden anbieten will, das heißt sein Lösungspotenzial, auf Basis einer generellen Analyse der Nachfragerbedürfnisse für anonyme Nachfrager auf anonymen Märkten.[45] Er muss also sehr genau wissen, welche Produkt­varianten die Kundenbedürfnisse erfüllen, denn die Variantenvielfalt stellt alleine keinen Wert für den Kunden dar.[46] An diesen Prozess schließt sich dann die kundenindividuelle Akquisition, Erhebung, Speicherung und Verarbeitung der Kundeninformationen zur Ver­wendung im Produktionsprozess und für Kundendienst und Folge­aufträge an.[47]

2.3 Vergleich der beiden Schwerpunktformen

Beide Formen der Kundenintegration haben gemeinsam, dass durch die Kundenintegration das Produkt den Bedürfnissen besser ent­sprechen soll als ohne. Damit soll ein höherer Wert des Produktes für den Kunden verbunden mit einer höheren Zahlungsbereitschaft erreicht werden. Die Formen unterscheiden sich jedoch in der Anzahl der zu integrierenden Kunden und in der Reichweite, die die Kundenspezifikationen entfalten können. Während bei der ge­meinsamen Produktentwicklung Anforderungen einzelner Kunden in Produkte für alle Kunden umgesetzt werden und der Anbieter mit den Kunden den Lösungsraum gestaltet, werden bei der gemeinsamen Produktherstellung die Kundenanforderungen in einem speziell für den Kunden produzierten Produkt umgesetzt und der Anbieter ge­staltet vorab für den Kunden den Lösungsraum.

Aus diesen Unterschieden resultieren sehr verschiedene Möglich­keiten, Grenzen, Optimierungsansätze und Rahmenbedingungen, die im Folgenden auch für beide Formen getrennt dargestellt werden.

3 Möglichkeiten und Grenzen der Kundenintegration in die Wertschöpfung

3.1 Möglichkeiten und Grenzen der Kundenintegration in die Produktentwicklung

3.1.1 Kundeneigenschaften

Kunden brauchen zur Integration in die Produktentwicklung ver­schiedene Eigenschaften: So benötigen sie insbesondere Bereit­schaft und Fähigkeit zur Integration sowie relevantes Wissen.

Die Bereitschaft zur Integration besteht nur dann, wenn der erwartete Nutzen für den Kunden größer ist als sein erwarteter Aufwand.[48] Dieser Nutzen kann aus der besseren Bedürfnisbefriedigung durch das neue Produkt, aus der Befriedigung des Wunsches nach Ge­staltung[49] oder aus finanziellen Anreizen resultieren. Von Hippel identi­fiziert in einer Metastudie einen relevanten Kundenbedarf nach Innovation. Zwischen 19B% und 36B% aller Geschäftskunden und zwischen 10B% und 38B% aller Privatkunden entwickeln ihre Produkte aus ausgewählten erfolgsrelevanten Bereichen zur eigenen Verwendung weiter.[50] Während im BtB-Bereich alle Produkte erfolgs­relevant sind, die die Wertschöpfung des Kunden verbessern, sind im BtC-Bereich insbesondere Sportartikel von besonderem persön­lichem Interesse. Dabei hängt die Bereitschaft zur gemeinsamen Produktentwicklung also im BtC-Bereich von der Bedeutung ab, die das Produkt für den Kunden hat. An eine Grenze kommt die Integration dann, wenn der Kunde infolge konfligierender Interessen, z. B. aus Furcht vor dem Verlust seiner Kompetenz oder gar seines Arbeitsplatzes oder aus Furcht vor hohem Arbeitsaufwand[51] nur einen suboptimalen Beitrag leistet[52] oder die Neuentwicklung sogar behindert.

[...]


[1] Reichwald, R./Piller, F.: Co-Produktion, 2003, S. 515; Brockhoff, K.: Konflikte, 2005, S. 860.

[2] Reichwald, R./Piller, F.: Co-Produktion, 2003, S. 515.

[3] Reichwald, R./Piller, F.: Customer Integration, 2002, S. 4.

[4] IBM Studie: Unternehmen der Zukunft, 2008, S. 24.

[5] Förster, A./Kreuz, P.: Marketing-Trends, 2006, S. 134; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 8, 21.

[6] Piller, F./Müller, M.: Kundenorientierung, 2003, S. 56 m.w.N; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 149.

[7] Vgl. Wikipedia: Mythos, 2008, o.S.

[8] Vgl. Zipkin, P.: Limits, 2001, S. 86; Kausch, C.: Risk-Benefit Perspective, 2007, S. 210.

[9] Thomke, S./Von Hippel, E.: Customers, 2002, S. 80.

[10] Wirtschaftslexion24: Wertschöpfung, 2008, o.S.

[11] Gabler Wirtschaftslexikon: Interaktion, 1988, S. 1524; Reichwald, R./Piller F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 45.

[12] Büttgen, M.: Kundenintegration, 2007, S. 15.

[13] Wikström, S.: Value Creation, 1996, S. 361, Übersetzung der Autorin: Interaktion mit dem Kunden bedeutet, dass dieser heute an Aktivitäten und Prozessen teilnimmt, die bisher als Herstellerdomäne galten.

[14] Gabler Wirtschaftslexikon, Integration, 1988, S. 1519.

[15] Büttgen, M.: Kundenintegration, 2007, S. 16.

[16] Vgl. Piller, F./Müller, M.: Kundenorientierung, 2003, S. 59.

[17] Büttgen, M.: Kundenintegration, 2007, S. 16 mit weiteren Nachweisen auch für die gegenteilige Ansicht.

[18] Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 49; Poznanski, S.: Kundenintegration, 2007, S. 13.

[19] Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 44.

[20] Anderer Ansicht: Wikström, S.: Value Creation 1996, S. 366.

[21] Vgl. Porter, M. E.: Wettbewerbsvorteile, 2000, S. 70; Pozanski, S.: Kundenintegration, 2007, S. 10.

[22] Vgl. Reichwald, R./Piller F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 11; Poznanski, S.: Kundenintegration, 2007, S. 11.

[23] Vgl. Piller, F./Müller, M.: Kundenorientierung 2003, S. 55.

[24] Vgl. Wikström, S.: Value Creation 1996, S. 362.

[25] Vgl. Piller, F./Ihl, C.: Mythos Mass Customization, 2002, S.15.

[26] Porter, M.: Wettbewerbsvorteile, 2000, S. 70.

[27] Piller, F./Möslein, K.: economies of customer integration, 2002, S. 17; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 132.

[28] Poznanski, S.: Kundenintegration, 2007, S. 61.

[29] Von Hippel, E.: Democratizing, 2005, S. 156, Übersetzung der Autorin: Der Lösungsraum wird bestimmt durch die vorgegebene Möglichkeit und die Freiheitsgrade, über die das spezielle Produktionssystem einen Herstellers verfügt.

[30] Vgl. Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 50.

[31] Poznanski, S.: Kundenintegration, 2007, S. 61.

[32] Vgl. Wikström, S.: Value Creation 1996, S. 364, dort wird mass customization allerdings unter dem Begriff development eingeordnet; Piller, F./Ihl, C.: Mythos Mass Custmization, 2002, S.3; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 50, 192.

[33] Piller, F./Möslein, K.: economies of customer integration, 2002, S. 17.

[34] Thomke, S./Von Hippel, E.: Customers 2002, S. 81; Förster, A./Kreuz, P.: Marketing-Trends, 2006, S. 136.

[35] Lampel, J./Mintzberg, H.: Customizing Customization, 1996, S. 24; Gilmore, J./Pine, J.: Four Faces, 1997, S. 93; Förster, A./Kreuz, P.: Marketing-Trends, S. 126, 127.

[36] Biltz, P.: Marketing 2002, S. 6.

[37] Pine, J./Peppers, D./Rogers, M.: Keep Customers Forever, 1995, S. 105.

[38] Piller, F./Möslein, K.: economies of customer integration, 2002, S. 17.

[39] Agrawal, M./Kumaresh, T./Mercer, G.: False Promise, 2001, S. 65.

[40] Vgl. Wikström, S.: Value Creation 1996, S. 368, 371; Gilmore, J./Pine, J.: Four Faces, 1997, S. 97; Zipkin, P.: Limits, 2001, S. 85.

[41] Wikström, S.: Value Creation, 1996, S. 361, 368, 371.

[42] Ernst, H.: Integration, 2004, S. S. 196; teilweise werden auch andere Phasen identifiziert, z. B. Knack, R.: Kooperation, 2006, S. 367.

[43] IBM Studie: Unternehmen der Zukunft, 2008, S. 29.

[44] Ernst, H.: Integration, 2004, S. 196; Brockhoff, K.: Konflikte, 2005, S. 864; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006 S. 132, 167.

[45] Jacob, F.: Produktindividualisierung zur Leistungsgestaltung, 1995, S. 9.

[46] Blecker, T./Abdelkafi, N./Kaluza, B./Friedrich, G.: Variety Steering, 2003, S. 2.

[47] Jacob, F.: Produktindividualisierung zur Leistungsgestaltung, 1995, S. 9; Reichwald, R./Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, 2006, S. 239.

[48] Von Hippel, E./Katz, R.: Shifting Innovation, 2002, S. 831.

[49] Kujala, S.: User Involvement, 2006, S. 12.

[50] Von Hippel, E.: Democratizing, 2005, S. 20.

[51] Kausch, C.: Risk-Benefit Perspective, 2007, S. 50.

[52] Heinbokel, T./Sonnentag, S./Frese, M./Stolte, W./Bordbeck, F.: Don`t underestimate, 1996, S. 233; Alam, I.: New Service Development, 2006, S. 29.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836632263
DOI
10.3239/9783836632263
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen – Wirtschaftswissenschaften, BWL, insbesondere Personalführung und Organisation
Erscheinungsdatum
2009 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
wertschöpfung kunde unternehmensstrategie kundenintegration produktentwicklung
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