Und was denken die anderen? Wahrgenommenes Prestige, Identifikation und Kooperationsverhalten
©2009
Diplomarbeit
133 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Problemstellung:
In den letzten Jahren ist die Frage, wann und wie sich Individuen mit einer bestimmten sozialen Gruppe identifizieren, zunehmend in das Interesse der Organisations- und Managementforschung gerückt. So existieren im Organisationskontext eine Vielzahl an potenziellen Identifikationszielen, wie etwa die eigene Berufsgruppe, die Projekt- oder Arbeitsgruppe, die Abteilung sowie die Organisation als Ganzes, die dem Mitarbeiter zeitgleich zur Verfügung stehen. Bisher kam diesbezüglich insbesondere der organisationalen Identifikation eine große Aufmerksamkeit zu. Dies beruht im Wesentlichen auf der Feststellung, dass Menschen zum Teil beachtliche Anstrengungen auf sich nehmen, um etwas für eine Organisation zu leisten, mit welcher sie sich in hohem Maße identifizieren. So konnten zahlreiche Studien belegen, dass organisationale Identifikation einen positiven Effekt auf verschiedene erwünschte Verhaltensweisen und Einstellungen hat. Eine hohe Identifikation kann sich bspw. positiv auf die Kooperationsbereitschaft sowie auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiter auswirken.
Demgegenüber findet ein aktueller Tatbestand bisher nur wenig Beachtung, wenn es um die Identifikation der Mitarbeiter geht. Der Einsatz der Mitarbeiter wird vielfach nicht mehr lediglich in Bezug auf die eigene Organisation erwartet, sondern oftmals in Bezug auf eine übergeordnete Einheit. Gemeint ist damit ein Kooperationsverbund bzw. ein Netzwerk, in das die betreffende Organisation eingebettet ist. Diesbezüglich finden sich nur wenige Arbeiten, die sich zudem meist auf die Betrachtung von Franchise-Netzwerken beschränken. Diese Arbeit legt ihren Fokus auf Kooperationen im Allgemeinen und Unternehmensnetzwerke im Besonderen. Sie bezieht damit auch Kooperationsverbünde in die Betrachtung mit ein, die nicht zentral gesteuert im Sinne einer Gesamtorganisation auf dem Markt agieren.
Kooperative Beziehungen sind mittlerweile keine singuläre Erscheinung mehr, sondern vielmehr aufgrund der veränderten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Regel geworden. So hat sich die Wettbewerbssituation in vielen Branchen und Märkten angesichts der fortschreitenden Globalisierung der Märkte, der Beschleunigung von Innovationsprozessen sowie aufgrund der weltweiten Informations- und kommunikationstechnologischen Vernetzung zunehmend verschärft. Durch eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bietet sich gerade für mittelständische Unternehmen die Möglichkeit, […]
In den letzten Jahren ist die Frage, wann und wie sich Individuen mit einer bestimmten sozialen Gruppe identifizieren, zunehmend in das Interesse der Organisations- und Managementforschung gerückt. So existieren im Organisationskontext eine Vielzahl an potenziellen Identifikationszielen, wie etwa die eigene Berufsgruppe, die Projekt- oder Arbeitsgruppe, die Abteilung sowie die Organisation als Ganzes, die dem Mitarbeiter zeitgleich zur Verfügung stehen. Bisher kam diesbezüglich insbesondere der organisationalen Identifikation eine große Aufmerksamkeit zu. Dies beruht im Wesentlichen auf der Feststellung, dass Menschen zum Teil beachtliche Anstrengungen auf sich nehmen, um etwas für eine Organisation zu leisten, mit welcher sie sich in hohem Maße identifizieren. So konnten zahlreiche Studien belegen, dass organisationale Identifikation einen positiven Effekt auf verschiedene erwünschte Verhaltensweisen und Einstellungen hat. Eine hohe Identifikation kann sich bspw. positiv auf die Kooperationsbereitschaft sowie auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiter auswirken.
Demgegenüber findet ein aktueller Tatbestand bisher nur wenig Beachtung, wenn es um die Identifikation der Mitarbeiter geht. Der Einsatz der Mitarbeiter wird vielfach nicht mehr lediglich in Bezug auf die eigene Organisation erwartet, sondern oftmals in Bezug auf eine übergeordnete Einheit. Gemeint ist damit ein Kooperationsverbund bzw. ein Netzwerk, in das die betreffende Organisation eingebettet ist. Diesbezüglich finden sich nur wenige Arbeiten, die sich zudem meist auf die Betrachtung von Franchise-Netzwerken beschränken. Diese Arbeit legt ihren Fokus auf Kooperationen im Allgemeinen und Unternehmensnetzwerke im Besonderen. Sie bezieht damit auch Kooperationsverbünde in die Betrachtung mit ein, die nicht zentral gesteuert im Sinne einer Gesamtorganisation auf dem Markt agieren.
Kooperative Beziehungen sind mittlerweile keine singuläre Erscheinung mehr, sondern vielmehr aufgrund der veränderten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Regel geworden. So hat sich die Wettbewerbssituation in vielen Branchen und Märkten angesichts der fortschreitenden Globalisierung der Märkte, der Beschleunigung von Innovationsprozessen sowie aufgrund der weltweiten Informations- und kommunikationstechnologischen Vernetzung zunehmend verschärft. Durch eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bietet sich gerade für mittelständische Unternehmen die Möglichkeit, […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Astrid Warncke
Und was denken die anderen? Wahrgenommenes Prestige, Identifikation und
Kooperationsverhalten
ISBN: 978-3-8366-3176-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Universität Konstanz, Konstanz, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009
Abstract
I
Abstract
The diploma thesis at hand aims to broaden the state of knowledge on social identifica-
tion.
Employees are confronted with a choice of different ways of identification within an
organizational context at the same time, i.e. their own occupation group, their project or
work group, their division and the organization as a whole. Little attention as a focus of
identification has so far been paid to 'the network', into which an organization may be
included. The focus of this thesis is therefore on organizational networks. The aim is to
gain theoretical as well as practical insights on how employees' identifications in re-
gards to a network can actively be strengthened and employed in the long run. Further-
more the questions of how and when individuals identify themselves with a network are
to be addressed, and which drivers as well as which consequences are relevant and to be
expected. For that purpose, this work draws from the knowledge of Social Identity Ap-
proaches stemming from social psychology and research on organizational identifica-
tion. In this context it was possible to show how the prestige of a social group or or-
ganization has a decisive influence on the identification of employees and how further-
more cooperative behavior can be explained. In a second step studies on the topic of
identification and identity within networks are presented. At this point little work on the
subject has been published, and is drawing mainly from case studies and approaching it
in conceptual ways. These works however, evidence suggestions on how the prestige in
regards to identification of employees is of interest and that in turn positive conse-
quences for the cooperation within a network may result. In a further step, results on
organizational identification and network identification will be integrated and the re-
search hypotheses deduced. The framework of this thesis overall postulates that the per-
ceived external prestige influences network identification and consequently also has an
influence on the employees' willingness to cooperate within a network. In regards to the
quantitative-empirical examination of the developed model, data was gathered through
an employee attitude survey. Overall, 93 employees from four different networks were
surveyed. Within the framework of the quantitative data analysis, all hypotheses could
be confirmed. The core findings are as follows: Firstly that employees' identifications
with a network are stronger if they are of the opinion that externals hold the network in
a high esteem, and secondly that because of that they prove to be more willing for coop-
eration towards other members of the network. The final part of the thesis is dedicated
to showing the limitations of the study and implications for research and practice.
Inhaltsverzeichnis
II
Inhaltsverzeichnis
Abstract ... I
Inhaltsverzeichnis ...II
Abbildungsverzeichnis ... IV
Tabellenverzeichnis ...V
Abkürzungsverzeichnis... VI
1
Einleitung ...1
1.1
Problemstellung...1
1.2
Zielsetzung ...3
1.3
Methodisches Vorgehen...3
1.4
Aufbau der Arbeit ...3
2
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien ...6
3
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen...16
3.1
Identifikation im Organisations- und Netzwerkkontext: Der Social Identity
Approach als theoretisches Fundament...16
3.1.1
Die Social Identity Theory ...16
3.1.2
Die Self-Categorization Theory ...23
3.2
Identifikation im Organisationskontext...27
3.2.1
Definitionen und Konzeptionen der organisationalen Identifikation...27
3.2.2
Bezugspunkte der Identifikation ...31
3.2.3
Prestige, Organisationale Identifikation und Kooperation...34
3.2.3.1
Prestige als Einflussfaktor auf die organisationale Identifikation...35
3.2.3.2
Kooperation als Konsequenz der organisationalen Identifikation ...40
3.3
Identifikation im Netzwerkkontext ...45
3.4
Ableitung der Untersuchungshypothesen...56
4
Empirische Untersuchung ...60
4.1
Quantitative Datenerhebung...60
4.1.1
Datenerhebungsmethode ...60
4.1.2
Befragungsinstrumente und verwendete Skalen ...61
4.1.2.1
Gestaltung und inhaltlicher Aufbau des Fragebogens...61
4.1.2.2
Operationalisierung der Konstrukte und Skalierungsverfahren...62
4.1.3
Auswahl der Netzwerke und Akquisition der Unternehmen ...64
4.1.4
Ablauf der Datenerhebung und aufbreitung...65
4.1.5
Beschreibung der Untersuchungsstichprobe ...66
Inhaltsverzeichnis
III
4.2
Auswertungsmethode und Analyseinstrumente...68
4.2.1
Kriterien zur Beurteilung der Messqualität...68
4.2.2
Auswertungs- und Analysemethoden ...71
4.3
Ergebnisse der quantitativ-empirischen Untersuchung...72
4.3.1
Ergebnisse der Hypothesen- und Modellüberprüfung ...75
4.3.1.1
Korrelationsanalyse...75
4.3.1.2
Mediatorenanalyse ...76
5
Diskussion der Ergebnisse...80
6
Implikationen für die Praxis ...84
7
Limitationen der Arbeit...89
8
Zusammenfassung und Ausblick ...91
Anhang A: Material zur empirischen Untersuchung... VI
Anhang B: Empirische Datenanalyse ... XIV
Literaturverzeichnis ... XVIII
Abbildungsverzeichnis IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Netzwerke und Netzwerktypen (in Anlehnung an Jens Aderhold,
2005)...6
Abbildung 2: Alternativen der Leistungserbringung und Netzwerkvarianten (in
Anlehnung an Sydow/Möllering 2004, S. 38; Sydow 1993, S. 104;
Hensel 2007, S. 26) ...8
Abbildung 3: Kooperationen verknüpfen Vorteile von Markt und Hierarchie
(Siebert 1991) ...9
Abbildung 4: Merkmalsdimensionen der vernetzten Zusammenarbeit (mod. nach
Baum/Dammann/Hübsch 2001) ...10
Abbildung 5: Typologie interorganisationaler Netzwerke (in Anlehnung an Sydow
2006, S. 396) ...15
Abbildung 7: Abstraktionsebenen der Selbst-Kategorisierung (Haslam 2001) ...25
Abbildung 8: Der Identifikationsprozess auf Distrikt- bzw. Netzwerkebene (nach
Sammarra/Biggiero 2001, S. 73)...55
Abbildung 9: Ausschnitt der Skala zur Netzwerkidentifikation...64
Abbildung 10: Phasen der Datenauswertung (Mayer, 2008, S. 103) ...66
Abbildung 11: Untersuchungsmodell und Analyseergebnisse...77
Tabellenverzeichnis
V
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Aufbau der Arbeit...5
Tabelle 2: Bedeutende Einflussfaktoren auf die organisationale Identifikation...40
Tabelle 3: Konsequenzen der organisationalen Identfikation ...45
Tabelle 4: Identität und Identifikation im Organisations- und Netzwerkkontext
(Huemer et al. 2004) ...48
Tabelle 5: Befragungsstatistik ...67
Tabelle 6: Ergebnisse der ersten Faktoranalyse unter Einbezug der Items von
Edwards und Peccei (2007) zur Messung Organisationaler bzw.
Netzwerkidentifikation...73
Tabelle 7: Item-to-Total Korrelationen ...75
Tabelle 8: Deskriptive Statistik: Mittelwerte, Standardabweichungen und
Korrelationen der Konstrukte...75
Tabelle 9: Ergebnisse der Regressions- und Mediatorenanalyse ...78
Tabelle 10: Befunde der Arbeit ...79
Tabelle 11: Unternehmens- und Netzwerkspezifische Daten des finalen Samples...XV
Tabelle 12: Demographische Daten des finalen Samples ...XVI
Tabelle 13: Ergebnisse der Faktoranalysen 1 und Faktorenanalyse 2... XVII
Abkürzungsverzeichnis VI
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
bspw. beispielsweise
bzw. beziehungsweise
ca. circa
Ed./Eds. Editor/s
(Herausgeber)
etc.
et cetera (und so weiter)
et al.
et alii (und andere)
H Hypothese
Hrsg. Herausgeber
N Number
(Anzahl)
NI Netzwerkidentifikation
Nr.
Nummer
ns nicht
signifikant
OCB
organizational citizenship behavior
OI Organisationale
Identifikation
PEP
perceived external prestige
SCT
Self-Categorization Theory
SIT
Social Identity Theory
sog.
sogenannt(e)
u.a.
unter anderem
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
vs.
versus
z.B.
zum Beispiel
Einleitung
1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
In den letzten Jahren ist die Frage, wann und wie sich Individuen mit einer bestimmten
sozialen Gruppe identifizieren, zunehmend in das Interesse der Organisations- und Ma-
nagementforschung gerückt. So existieren im Organisationskontext eine Vielzahl an
potenziellen Identifikationszielen, wie etwa die eigene Berufsgruppe, die Projekt- oder
Arbeitsgruppe, die Abteilung sowie die Organisation als Ganzes, die dem Mitarbeiter
zeitgleich zur Verfügung stehen. Bisher kam diesbezüglich insbesondere der organisati-
onalen Identifikation eine große Aufmerksamkeit zu. Dies beruht im Wesentlichen auf
der Feststellung, dass Menschen zum Teil beachtliche Anstrengungen auf sich nehmen,
um etwas für eine Organisation zu leisten, mit welcher sie sich in hohem Maße identifi-
zieren (Ashforth/Mael, 1989; Pratt, 1998; Hogg/Terry, 2001). So konnten zahlreiche
Studien belegen, dass organisationale Identifikation einen positiven Effekt auf verschie-
dene erwünschte Verhaltensweisen und Einstellungen hat. Eine hohe Identifikation
kann sich bspw. positiv auf die Kooperationsbereitschaft sowie auf die Arbeitsleistung
der Mitarbeiter auswirken (Dutton et al., 1994; Bhattacharya et al., 1995: Van Knippen-
berg/ Sleebos, 1999; Duckerich et al., 2002; Van Dick et al., 2006).
Demgegenüber findet ein aktueller Tatbestand bisher nur wenig Beachtung, wenn es um
die Identifikation der Mitarbeiter geht. Der Einsatz der Mitarbeiter wird vielfach nicht
mehr lediglich in Bezug auf die eigene Organisation erwartet, sondern oftmals in Bezug
auf eine ,übergeordnete Einheit'. Gemeint ist damit ein Kooperationsverbund bzw. ein
Netzwerk, in das die betreffende Organisation eingebettet ist. Diesbezüglich finden sich
nur wenige Arbeiten, die sich zudem meist auf die Betrachtung von Franchise-
Netzwerken beschränken (z.B. Ullrich et al, 2007; Riketta/Nienhaber, 2007). Diese Ar-
beit legt ihren Fokus auf Kooperationen im Allgemeinen und Unternehmensnetzwerke
im Besonderen. Sie bezieht damit auch Kooperationsverbünde in die Betrachtung mit
ein, die nicht zentral gesteuert im Sinne einer Gesamtorganisation auf dem Markt agie-
ren.
Kooperative Beziehungen sind mittlerweile keine singuläre Erscheinung mehr, sondern
vielmehr aufgrund der veränderten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Regel
geworden (Zentes et al. 2003, S. 5). So hat sich die Wettbewerbssituation in vielen
Einleitung
2
Branchen und Märkten angesichts der fortschreitenden Globalisierung der Märkte, der
Beschleunigung von Innovationsprozessen sowie aufgrund der weltweiten Informati-
ons- und kommunikationstechnologischen Vernetzung zunehmend verschärft. Durch
eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bietet sich gerade für mittelständi-
sche Unternehmen die Möglichkeit, größenbedingte Ressourcendefizite auszugleichen
und am Markt erfolgreich zu bestehen (Picot/Reichwald/Wigand, 2001). Dennoch wird
die Misserfolgsquote bei Unternehmenskooperationen in der Literatur mit 60 bis 70
Prozent beziffert (vgl. Hughes/Weiss, 2007). Oftmals veranlasst ein hoher Steuerungs-
und Ressourcenaufwand die Teilnehmer zum Umdenken oder sogar zum vorzeitigen
Aufgeben. Forschung und Praxis bedienen sich dahingehend vieler Erklärungen, wie
solche Probleme zu Tage treten können und thematisieren dabei zum Beispiel Einfluss-
faktoren, wie eine unzureichende Kommunikation, einen inadäquaten Wissensaus-
tausch, mangelnde Lernfortschritte und mangelndes Vertrauen zwischen den Teilneh-
mern (vgl. Sessing, 2006).
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dies nicht auch auf eine mangelnde
Identifikations- und Kooperationsbereitschaft der Mitglieder zurückgeführt werden
kann. Kommt es zu einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit, so sind es
doch letztendlich die beteiligten Mitarbeiter, die diese im Wesentlichen tragen. Ist daher
nicht deren Identifikation mit dem Netzwerk von hoher Bedeutung für dessen Erfolg?
Und welche Faktoren sind ausschlaggebend für eine hohe Identifikation und Kooperati-
onsbereitschaft? Dies sind die grundlegenden Fragen, die diese Arbeit leiten. Bisher gibt
es nur wenige Arbeiten, die sich mit der Thematik der Identifikation in Netzwerken aus-
einandersetzten. Zudem existiert noch keine etablierte und eigenständige Konzeption
der Netzwerkidentifikation, weshalb diese Arbeit zunächst auf die Erkenntnisse des
Social Identity Approaches sowie auf die der Forschung zur organisationalen Identifika-
tion zurückgreift.
Für den Organisationskontext konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass insbesonde-
re das Prestige einer Organisation einen wesentlichen Einfluss auf die Identifikation der
Mitglieder hat und sich darüber zudem kooperatives Verhalten erklären lässt (z.B. Ash-
forth/Mael, 1989; Mael/Ashforth, 1992; Dutton et al., 1994; Bhattacharya et al., 1995;
Smidts et al., 2001; Duckerich et al. 2002). Diese Erkenntnis soll auf den Netzwerkkon-
text übertragen werden, worin ein wesentlicher Beitrag dieser Arbeit besteht. Dabei
greift diese Arbeit zusätzlich auf ein noch bisher wenig untersuchtes Konstrukt, das
perceived external prestige (PEP), zurück (Carmeli et al., 2006), welches hierdurch eine
Einleitung
3
Erweiterung erfährt. Dieses bezieht sich insbesondere auf die Wahrnehmung der Mitar-
beiter darüber, wie externe Anspruchsgruppen die eigene Organisation bzw. in diesem
Fall das Netzwerk bewerten. Demnach stellt sich also die Frage, ob das durch die Mit-
arbeiter wahrgenommene externe Prestige eines Netzwerkes ausschlaggebend für deren
Identifikation mit dem Netzwerk ist und welche Implikationen sich daraus für das Ma-
nagement ergeben. Ein weiterer Beitrag den die Arbeit leisten möchte, besteht somit
darin, dem (Netzwerk-) Management wichtige Ansatzpunkte zur effektiveren Zusam-
menarbeit im Netzwerkverbund aufzuzeigen.
1.2 Zielsetzung
Das generelle Ziel dieser Arbeit besteht in der theoretischen Herleitung und empirischen
Überprüfung eines Modells der Netzwerkidentifikation. Im Wesentlichen soll der Frage
nachgegangen werden, ob das durch die Mitarbeiter wahrgenommene externe Prestige
eines Netzwerkes sich auf die Netzwerkidentifikation und damit auf die Kooperations-
bereitschaft der Mitglieder auswirkt.
1.3 Methodisches
Vorgehen
Da zuvor aus der Theorie abgeleitete Hypothesen anhand einer möglichst großen An-
zahl von Daten empirischen überprüft werden sollen, wurde für diese Arbeit ein quanti-
tatives Untersuchungsdesign in Form einer Querschnittsstudie gewählt. Zur Erhebung
der Daten wurde ein standardisierter Fragebogen eingesetzt, da durch dieses Vorgehen
eine große Datenbasis generiert werden kann. Zur Überprüfung der Messinstrumente
und zur Auswertung der Datenbasis wurden schließlich statistische Analyseverfahren
eingesetzt.
1.4 Aufbau
der
Arbeit
Im ersten Kapitel wird zunächst das generelle Thema der Arbeit skizziert und die theo-
retische und praktische Relevanz einer Auseinandersetzung mit Themen der Identifika-
tion in Organisationen und Netzwerken aufgezeigt. Zudem werden die Zielsetzung und
die Forschungsmethodik erläutert.
Im zweiten Kapitel folgt die Beschreibung und Eingrenzung des Untersuchungsgegens-
tands. Es wird ein erstes Verständnis darüber vermittelt, was unter Kooperationen im
Allgemeinen und Netzwerken im Besonderen zu verstehen ist, anhand welcher Merk-
Einleitung
4
male sich diese klassifizieren und unterscheiden lassen und welche Formen der Zusam-
menarbeit im Fokus dieser Arbeit stehen.
Im dritten Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zur Identifikation in Organisatio-
nen sowie in Netzwerken genauer skizziert. Damit wird die theoretische Basis zur Ab-
leitung der Untersuchungshypothesen geschaffen. Das Kapitel gliedert sich dabei in vier
wesentliche Teile. Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen zur Identifikati-
on im Organisations- und Netzwerkkontext erläutert, wobei insbesondere der Social
Identity Approach näher vorgestellt wird. Im zweiten Teil werden verschiedene Defini-
tionen und Konzeptionalisierungen von organisationaler Identifikation präsentiert, die
auf den Erkenntnissen des Social Identity Approaches basieren. Zudem werden mögli-
che Dimensionen und Foki der Identifikation thematisiert. Zuletzt wird das Verhältnis
zwischen wahrgenommenem externem Prestige, organisationaler Identifikation und
kooperativem Mitarbeiterverhalten beleuchtet. Hierfür werden die Konstrukte wahr-
genommenes externes Prestige und organizationale Citizenship behaviour in Kürze
beschrieben und ihre Beziehung zur organisationalen Identifikation anhand empirischer
Studien aufgezeigt. Der dritte Teil präsentiert aktuelle Forschungsarbeiten zur Identifi-
kation und Identität in Netzwerken und dient darüber hinaus der Klärung, was unter
Netzwerkidentifikation in dieser Arbeit verstanden wird. Im vierten Teil werden die
Erkenntnisse zur Identifikation im Organisations- und Netzwerkkontext zusammenge-
führt und die Untersuchungshypothesen der Arbeit abgeleitet.
Im vierten Kapitel werden die zuvor entwickelten Hypothesen empirisch überprüft. Da-
zu werden zunächst das Vorgehen bei der Datenerhebung, die Stichprobenauswahl, die
Merkmale der Stichprobe sowie die eingesetzten Befragungsinstrumente beschrieben.
Daran anschließend wird in Kürze erläutert, anhand welcher Kriterien die Messqualität
überprüft wurde und welche Verfahren zur Auswertung und Analyse der Daten ange-
wandt wurden. Zuletzt werden die Ergebnisse der Konstruktvalidierung sowie der Hy-
pothesen- und Modellüberprüfung präsentiert.
Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse der quantitativen Datenanalyse diskutiert und
anschließend mögliche Implikationen für die Praxis aufgezeigt. Des Weiteren werden
die Limitationen der Arbeit dargestellt, bevor abschließend die wesentlichen Erkennt-
nisse der Arbeit zusammengefasst und weitere Ansatzpunkte für die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit Themen der Identifikation in Netzwerken aufgezeigt werden.
Tabelle 1 zeigt den Aufbau der Arbeit nochmals in graphischer Form
Einleitung
5
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Ta-
bellenverzeichnis
Abkürzungsverzeich-
nis
Abstract
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Methodik
1.4 Aufbau
2. Untersuchungsgegenstand
3. Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
3.1 Der Social Identity
Approach
3.2 Identifikation im
Organisationskontext
3.3 Identifikation im
Netzwerkkontext
3.4 Untersuchungs-
hypothesen
4. Empirische Untersuchung
4.1 Quantitative Da-
tenerhebung
4.2 Evaluationsmethoden und Analyseinstru-
mente
4.3 Ergebnisse
5. Schlussbetrachtung und Zusammenfassung
5.1 Diskussion
5.2 Praxisimplikatio-
nen
5.3 Limitationen
5.4 Zusammenfas-
sung und Aus-
blick
Anhang
A. Fragebogen
B. Stichprobendaten
C. Faktorenanalyse Literaturverzeichnis
Tabelle 1: Aufbau der Arbeit
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
6
2
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
Das in dieser Arbeit zentrale Konstrukt ist die Netzwerkidentifikation. Der Begriff
,,Netzwerk" wird in der Literatur in vielfältiger Weise und in unterschiedlichem Zu-
sammenhang gebraucht. Beispielsweise wird von persönlichen Netzwerken gesprochen,
wenn es rein um Kontakte und Beziehungen zwischen Personen geht. Soziale Netzwerke
sind dagegen Netzwerke sozialer Bindungen, die zwischen Personen aber auch Organi-
sationen bestehen (Oliver/Liebeskind, 1998). Nach Wassermann und Faust (1994, S.
20) besteht ein soziales Netzwerk ,,(...) of a finite set or set of actors and the relation or
the relationships defined on them." Entstehen Netzwerke dagegen auf Basis sich entwi-
ckelnder Geschäftsbeziehungen, d.h. zwischen Unternehmen, so werden diese als Un-
ternehmungsnetzwerke bzw. Unternehmensnetzwerke bezeichnet (Sydow 1992, S. 79).
Letztere Form stellt somit eine spezifische Form sozialer Netzwerke dar. Nachstehende
Abbildung verdeutlicht dies:
Abbildung 1: Netzwerke und Netzwerktypen (in Anlehnung an Aderhold, 2005)
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der zwischenbetrieblichen Kooperation im Allgemei-
nen sowie auf Unternehmensnetzwerken im Besonderen. Kooperation soll deshalb als
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
7
Oberbegriff der unternehmerischen Zusammenarbeit verstanden werden, wogegen
Netzwerke eine Unterform oder spezifische Ausgestaltungsform darstellen und somit
eine Teilmenge der Kooperationen bilden (Zentes et al. 2003, S.5; Corsten 2001, S. 5).
Unter Kooperationen können damit alle Formen der freiwilligen, zwischenbetrieblichen
Zusammenarbeit von mindestens zwei Unternehmen unter der Wahrung ihrer wirt-
schaftlichen und rechtlichen Selbstständigkeit verstanden werden (Pi-
cot/Reichwald/Wigand, 2001). Demgegenüber stellt ein Unternehmensnetzwerk ,,eine
auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform ökonomi-
scher Aktivitäten dar, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompe-
titive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbstständigen, wirtschaftlich
jedoch zumeist abhängigen Unternehmen auszeichnet" (Sydow 1992, S. 79). Nach Rit-
ter (1998, S.25) stellt die gegenseitige Abhängigkeit allerdings kein wesentliches Cha-
rakteristikum dar: ,,Ein interorganisationales Unternehmensnetzwerk besteht aus von-
einander rechtlich selbstständigen Organisationen, die durch sich wechselseitig beein-
flussende Geschäftsbeziehungen miteinander verbunden sind." Letztendlich besteht der
entscheidende Unterschied zu Kooperationen darin, dass Netzwerke (1) über eine einfa-
che, aus zwei Partnern bestehende (bilaterale) Kooperation hinausgehen, d.h. mindes-
tens drei Akteure involviert sind und (2) direkte und indirekte Beziehungen aufweisen
und dadurch oftmals eine höhere Komplexität an Austauschbeziehungen aufweisen
(Sydow, 1992; Zentes et al., 2003). Demgemäß wird der Begriff der ,,Kooperation" in
dieser Arbeit immer dann verwendet, wenn insbesondere die kooperative Zusammenar-
beit an sich im Vordergrund steht und jene Ausführungen damit ebenso auf die Netz-
werkzusammenarbeit übertragbar sind.
In der betriebswirtschaftlichen Literatur werden Unternehmensnetzwerke oftmals als
intermediäre Organisationsform ökonomischer Aktivitäten auf dem Kontinuum zwi-
schen Markt und Hierarchie beschrieben (Powell, 1990). Grundsätzlich können Unter-
nehmen zur Leistungserbringung drei unterschiedliche Strategien verfolgen (siehe auch
Abb. 2).
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
8
Abbildung 2: Alternativen der Leistungserbringung und Netzwerkvarianten (in Anlehnung an Sy-
dow/Möllering, 2004, S. 38; Sydow, 1992, S. 104; Hensel, 2007, S. 26)
Auf der einen Seite kann einer ,,Make"-Strategie gefolgt werden, indem die gewünsch-
ten Produkte und Dienstleistungen in eigener Leistung hergestellt werden. Jedoch ist
eine derartige Strategie mit zum Teil erheblichen hohen Investitions- und Integrations-
kosten verbunden. Demgegenüber steht eine reine ,,Buy"-Strategie. Das Unternehmen
bezieht in diesem Fall die zur Leistungserstellung benötigten Ressourcen über den
Markt. Jener Fremdbezug geht allerdings mit hohen Transaktionskosten einher. Aus
diesem Grund bilden sich in der Realität oftmals Mischformen heraus, d.h. Kooperatio-
nen und Netzwerke, da hier auf die Unternehmen die niedrigsten Transaktions- und In-
vestitionskosten zukommen. Somit sind Unternehmensnetzwerke das Ergebnis einer
unternehmensgrenzenübergreifenden Differenzierung und Integration ökonomischer
Aktivitäten (Sydow 1992, S. 79). Sie entstehen aufgrund der gleichzeitigen Verfolgung
zweier gegensätzlicher, aber zugleich sich ergänzenden Wege: Einer Quasi-
Internalisierung sowie Quasi-Externalisierung. Die beiden klassischen Bezugspunkte
Markt und Hierarchie bleiben dabei erhalten, jedoch werden für ein bestimmtes Leis-
tungsspektrum und einen festgelegten Zeitraum die Vorteile beider Organisationsalter-
nativen miteinander verbunden (Sydow/Möllering 2004, S.38).
Damit lassen sich unter dem Begriff Netzwerk all jene Austauschbeziehungen zusam-
menfassen, ,,in denen mehr als nur zwei Parteien enger als im marktförmigen Tausch
und lockerer als in hierarchischen Transaktionen miteinander verbunden sind" (Semlin-
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
9
ger 2006, S. 67). Kooperationen wie auch Netzwerke verknüpfen damit die Vorteile von
marktlicher Koordination (Funktionsspezialisierung und marktlicher Effizienzdruck)
und hierarchischer Koordination (Vertrauen und Informationsintegration) und sind da-
mit zugleich in der Lage, deren spezifische Nachteile (z.B. opportunistisches Verhalten)
zu überwinden (Siebert 1991, S. 294).
Abbildung 3: Kooperationen verknüpfen Vorteile von Markt und Hierarchie (Siebert 1991)
Im nachfolgenden Abschnitt wird zunächst erläutert, anhand welcher Merkmalsdimen-
sionen unterschiedliche Formen der Vernetzung klassifiziert werden können. Darauf
aufbauend werden mögliche Netzwerktypen vorgestellt.
Gestaltungsmerkmale und Formen der vernetzten Zusammenarbeit
Insgesamt finden sich in der Literatur vielfältige Herangehensweisen zur Systematisie-
rung von Unternehmensnetzwerken (z.B. Snow/Miles/Coleman, 1992, S.11 f.; Sydow,
2006, S. 395, S.63 f.; Picot/Reichwald/Wigand, 2003, S. 302 f.).
Im Folgenden werden mögliche Unterscheidungs- und Klassifizierungsmerkmale der
vernetzten Zusammenarbeit vorgestellt. Für eine bessere Übersicht werden die themati-
sierten Kriterien und deren spezifische Ausprägungen zunächst anhand eines morpholo-
gischen Kastens dargestellt.
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
10
Richtung
Horizontal Vertikal
Lateral
Felder
FuE
Beschaffung
Produk-
tion
Service
Marke-
ting/Vertrieb
Komplette
Wertekette
Intention
Bedarfs-
bündelung
Bündelung von
Anforderungen
Bündelung
identischer
Kompetenzen
Bündelung kom-
plementärer
Kompetenzen
Bündelung
von Produk-
ten und/
oder Servi-
ces
Bindung
nicht vertragliche
Vereinbarungen
befristete Verträge
Kooperations-
vertrag
Kapital-
verflechtung
Intensität
Erfahrungs- und
Informations-
austausch
Abstimmung von
Aufgaben/ Funkti-
onen
Verschmelzung
von Aufgaben/
Funktionen
Aufbau neuer
Funktionen
Koordination
eher hierarchisch
eher heterarchisch
Zeithorizont
dynamisch
(zeitlich befristet)
stabil
(zeitlich unbefristet)
Räumliche
Ausdehnung
Regional national global
Abbildung 4: Merkmalsdimensionen der vernetzten Zusammenarbeit (mod. nach
Baum/Dammann/Hübsch 2001)
Ein in der Betrachtung von Kooperationen und Netzwerken häufig herangezogenes Un-
terscheidungsmerkmal ist die Richtung des Zusammenschlusses. In Anlehnung an das
Konzept der Wertschöpfungskette von Porter (1985) lassen sich die Unternehmen einer
Industrie jeweils unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen zuordnen. Daran ansetzend
kann zwischen horizontalen, vertikalen und lateralen Unternehmensnetzwerken unter-
schieden werden.
Horizontale Netzwerke setzten sich aus Unternehmen zusammen, die aus der gleichen
Branche stammen und auf der gleichen Stufe der Wertschöpfungskette agieren. Dabei
ist es durchaus möglich, dass die kooperierenden Unternehmen in direkter Konkurrenz
zueinander stehen, d.h. die gleichen Produkte oder Dienstleistungen in denselben Märk-
ten anbieten. Vertikale Netzwerke vereinigen Unternehmen, die in aufeinander folgen-
den Wertschöpfungsstufen tätig sind. Aus Sicht eines Unternehmens kann diesbezüglich
zwischen einem vor- oder rückwärts gelagerten Zusammenschluss unterschieden wer-
den. Im Falle vorwärts gelagerter Kooperationen arbeitet das Unternehmen (z.B. ein
PC-Hersteller) mit Partnern der nachfolgenden Wirtschaftstufe zusammen (z.B. Ver-
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
11
triebs- und Serviceunternehmen). Besteht eine Kooperation schließlich zwischen Unter-
nehmen, die weder in der gleichen Branche noch in der gleichen Wertschöpfungsstufe
tätig sind, so handelt es sich um laterale Netzwerke.
Des Weiteren kann sich die Zusammenarbeit auf unterschiedliche Kooperationsfelder
beziehen. So kann je nach Zielsetzung eine Zusammenarbeit in den Bereichen For-
schung und Entwicklung (FuE), Beschaffung, Produktion, Service, Marketing und Ver-
trieb oder über die gesamte Wertkette hinweg angestrebt werden. Darüber hinaus kön-
nen auch Aufgaben in der Verwaltung, der Aus- und Weiterbildung sowie die gemein-
same Lobbyarbeit gemeinschaftlich durchgeführt werden (Wöhe, 1993). Insgesamt be-
stehen viele mögliche Anlässe für eine Zusammenarbeit und die verfolgten Ziele kön-
nen sich dabei auf sämtliche Funktionsbereiche eines Unternehmens erstrecken. Bei-
spielsweise kann die Zwecksetzung in einem Kapazitätsausgleich im Fertigungsbereich
oder in der Koordinierung der Beschaffung oder des Absatzes bestehen. Hierzu bündeln
die Partner ihre Bedarfe, Anforderungen, Kompetenzen oder auch Produkte und Dienst-
leistungen (Eggers/Engelbrecht, 2005, S. 7).
Ein weiteres Differenzierungskriterium von Unternehmensnetzwerken besteht in der
Bindungsintensität, welche durch den rechtlichen Verbindungsgrad bestimmt wird. Von
dieser lässt sich auf die strukturelle Ausgestaltung der Kooperation und damit auf die
Kooperationsform schließen. Mit zunehmendem juristischen Verbindungsgrad intensi-
viert sich die Bindung zwischen den Unternehmen (Hillig, 1997), wodurch sich auch
der jeweilige Eigenressourceneinsatz und die Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen der
Partner erhöhen. Die Formen der Vernetzung reichen von lockeren Kontakten bis hin zu
intensiven Bindungen in Form von Kapitalverflechtungen. Im Falle der Kapitalverflech-
tung wird entweder ein neues Gemeinschaftsunternehmen gegründet, dass sich aus ab-
genabelten Organisationseinheiten der Partner zusammensetzt, oder es werden bestimm-
te Organisationsteile der jeweiligen Partnerunternehmen zusammengeführt. Im Rahmen
eines Kooperationsvertrags sind die Partner unter Wahrung ihrer rechtlichen Selbststän-
digkeit entweder kurz- oder langfristig miteinander verbunden. Langfristige Verträge
beinhalten zunächst nur grobe Vereinbarungen bezüglich der Zusammenarbeit. Eine
Konkretisierung der Aufgaben erfolgt im Laufe der Zusammenarbeit. Dagegen beziehen
sich kurzfristige Vertragsvereinbarungen auf einen konkreten Gegenstand der Koopera-
tion (z.B. Erfüllung eines Kundenauftrags in bestimmter Zeit). Nicht vertragliche, lose
Bindungen beruhen schließlich auf mündlichen Vereinbarungen und gegenseitigem
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
12
Vertrauen. Eine konkrete Ausgestaltung von Kooperationsstrukturen ist hier nicht gege-
ben.
Neben dem formalen Ausmaß einer Bindung kann eine Differenzierung zudem anhand
der inhaltlichen Intensität der Austauschbeziehung vorgenommen werden. So kann sich
die Zusammenarbeit auf einen reinen Erfahrungs- und Informationsaustausch beschrän-
ken oder darüber hinaus eine koordinierte Abstimmung bzw. Verschmelzung von Auf-
gaben und Funktionen im Sinne einer wechselseitigen Spezialisierung bis hin zum Auf-
bau neuer Funktionen zum Inhalt haben. Im Falle der Verschmelzung von Aufgaben
und Funktionen werden zuvor getrennte Einheiten zusammengeführt, wodurch sich fes-
te, kaum mehr auslösbare Strukturen ergeben. Demgegenüber beruht der Aufbau neuer
Funktionen auf der Entscheidung, die jeweiligen Kompetenzen und Kapazitäten nicht
mehr redundant halten zu wollen. Gewisse Kompetenzen werden damit nur noch in ge-
ringerem Maße innerhalb der Kooperation angeboten (Eggers/Engelbrecht, 2005, S. 7).
Mit den Kriterien der formalen und inhaltlichen Bindungsintensität wurde danach diffe-
renziert, in welchem Ausmaß die beteiligten Netzwerkpartner ihre wirtschaftliche
Selbstständigkeit einschränken. Hierdurch werden zudem die Zusammenarbeitsdauer,
der Interaktionsgrad sowie die Art und Weise der Koordination bestimmt, wodurch sich
weitere Differenzierungsmöglichkeiten ergeben.
Zunächst lassen sich Netzwerke danach unterscheiden, ob die überbetriebliche Koordi-
nation eher hierarchisch oder heterarchisch ausgerichtet ist. Demgemäß spricht man
entweder von hierarchischen Netzwerken oder heterarchischen Netzwerken. Diese Ty-
pologie stellt dabei insbesondere auf die Machtverhältnisse zwischen den Netzwerk-
partnern in Verhandlungen ab. Im Falle der hierarchischen Koordination dominiert ein
strategisch führendes und durch die Netzwerkteilnehmer akzeptiertes, fokales Unter-
nehmen den Netzwerkverbund. Dieses bestimmt darüber, wie die Netzwerkorganisation
ausgestaltet wird, welche Märkte zu bearbeiten sind, welche Strategien verfolgt und
welche Technologien eingesetzt werden (Sydow, 2006, S. 395 f.). Die Kooperations-
partner sind somit in hohem Maße abhängig und orientieren sich an der Zielsetzung des
fokalen Unternehmens. Demgegenüber bestehen bei einer heterarchischen Koordination
relativ homogene, gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den Netzwerkteilnehmern,
wodurch diese eine eher gleichberechtigte Form der Steuerung aufweisen. Die Netz-
werkkoordination erfolgt hierbei entweder durch alle beteiligten Netzwerkpartner oder
in gemeinsamer Absprache, indem die erforderlichen Entscheidungs- und Koordinati-
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
13
onskompetenzen zeitweilig an einen oder mehrere Kooperationspartner übertragen wer-
den (Sydow, 2006, S. 395 f.; Windeler 2001, S. 49).
Des Weiteren kann auf die zeitliche Stabilität sowie auf den Institutionalisierungsgrad
der Zusammenarbeit abgestellt werden. Miles und Snow (1992, S. 53 f.) unterscheiden
diesbezüglich zwischen stabilen Netzwerken und dynamischen Netzwerken. Stabile
Netzwerkbeziehungen zeichnen sich durch langfristige Verträge und eine unbefristete
Zusammenarbeit aus. Die bestehenden vertraglichen Regelungen werden mit der Zeit
verdichtet und es kommt darüber hinaus zu impliziten Verträgen, die auf gegenseitigem
Vertrauen beruhen. Die beteiligten Unternehmen binden einen Teil ihrer Ressourcen
dauerhaft in der Zusammenarbeit ein. Demgegenüber beschränken sich dynamische
Netzwerke auf eine vorübergehende, zeitlich befristete Zusammenarbeit. Diese wird
aktiviert, sobald bestimmte Kompetenzen erforderlich sind.
Schlussendlich lassen sich durch die Kombination obiger Typologien gängige Netz-
werkformen abbilden. Hierzu gehören bspw. strategische Netzwerke, regionale Netz-
werke, Projektnetzwerke und virtuelle Unternehmungen (Sydow, 1992, 2006).
Strategische Netzwerke umfassen zumeist Unternehmen unterschiedlicher Größe und
sind in der Regel national sowie international ausgerichtet. Die Netzwerkführerschaft
liegt zumeist bei einem oder mehreren endverbrauchernahen, fokalen Unternehmen.
Typische Beispiele sind Zuliefernetzwerke der Automobilindustrie oder Franchisesys-
teme (Sydow, 1992, 2006). Sie zeichnen sich insgesamt durch ein zeitlich stabiles Ge-
füge und durch eine hierarchische Form der Steuerung aus. Schließen sich demgegen-
über Unternehmen oder Unternehmensbereiche befristet zu interorganisatorischen Pro-
jektgruppen zusammen, so spricht man von Projektnetzwerken. Dabei können sich von
Projekt zu Projekt unterschiedliche Konstellationen in der Zusammenarbeit ergeben,
weshalb eine gewisse Dynamik entsteht. Dennoch geschieht dies oftmals unter dem
Dach eines übergeordneten stabilen Netzwerkverbunds, d.h. die Beziehungen bleiben
latent, über die einzelnen Projekte hinaus, zwischen den einzelnen Unternehmen beste-
hen und werden je nach Bedarf wieder aktiviert. Unter derartige Projektnetzwerke fallen
auch Virtuelle Unternehmungen, welche ebenso zum Zwecke einer bestimmten Leis-
tungserstellung temporär ins Leben gerufen werden. Der Unterschied zu normalen Pro-
jektnetzwerken besteht darin, dass die Zusammenarbeit hier ausschließlich auf Basis
vernetzter Informationstechnologie stattfindet. Eine Institutionalisierung der Kooperati-
on ist in den meisten Fällen nicht gegeben, weshalb der Netzwerkzusammenhang für
den Kunden nicht ersichtlich ist. Derartige Projekte finden sich zumeist in der IT-
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
14
Branche (z.B. Virtuelle Fabrik Baden-Württemberg). Nicht virtualisierte, projektbezo-
gene Unternehmensnetzwerke finden sich oftmals in der Film- und Baubranche (Sydow
1992, 2006; Windeler, 2001).
Regionale Netzwerke sind überwiegend heterarchisch organisiert und lassen sich in ihrer
zeitlichen Ausrichtung nicht festlegen. Diese Netzwerke setzen sich in der Regel aus
klein- und mittelständischen Unternehmen zusammen, welche sich in agglomerierter
Form in einer bestimmten Region niedergelassen haben.
Die nachfolgende Grafik zeigt neben den zuvor erläuterten Netzwerktypen auf, welche
Kooperationsformen im Visier dieser Arbeit stehen. Für eine Charakterisierung von
Unternehmensnetzwerken lässt sich zudem Folgendes festhalten:
Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen den Unternehmen.
Bezüglich des Leistungsaustauschs und der gemeinsamen Leistungserstellung
besteht eher ein kooperatives als kompetitives Verhalten, d.h. es geht nicht um
die Realisierung von einseitigen Vorteilen zu Lasten der Partner.
Die Zusammenarbeit ist eher mittel- bis langfristig ausgelegt (Sydow, 1992, S.
79).
Im Rahmen der Zusammenarbeit konzentrieren sich die beteiligten Unternehmen
zumeist auf komplementäre inhaltliche Schwerpunkte (Hensel, 2007, S.28
Darüber hinaus sind auch alle anderen aufgezeigten Gestaltungsmerkmale für das jewei-
lige Netzwerk von Relevanz. Als besondere Herausforderung für das Netzwerkmana-
gement erscheint insbesondere die Aufrechterhaltung des kooperativen Verhaltens. Die
Möglichkeiten diesbezüglich zu beleuchten, ist ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit.
Unternehmensnetzwerke Begriff und Typologien
15
Abbildung 5: Typologie interorganisationaler Netzwerke (in Anlehnung an Sydow, 2006, S. 396)
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
16
3
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller
Bezugsrahmen
3.1 Identifikation im Organisations- und Netzwerkkontext:
Der Social Identity Approach als theoretisches Fundament
Der Social Identity Approach (SIA) entstammt der Sozialpsychologie (vgl. Mummen-
dey, 1984; Abrams/Hogg, 1990; Haslam, 2001) und bietet als Erstes ein einheitliches,
theoretisches Fundament zur Erfassung organisationaler Identifikation. Der SIA zielt
darauf ab ,,Identifikation mit" sowie ,,Identitäten in" sozialen Systemen
zu erklären
(vgl.
Ashforth/ Meal, 1989; Dutton/Duckerich, 1991; Dutton et al., 1994). Neben seinem Er-
klärungspotenzial hinsichtlich der Entstehung und Wirkung von organisationaler Identi-
fikation bietet der Ansatz die Möglichkeit einer Verknüpfung von individueller und
überindividueller Analyseebene sprich Gruppe, Organisation oder Netzwerk. Beide
Aspekte sind wesentlich für diese Arbeit.
Der Ansatz basiert ursprünglich auf der Theorie des Realistischen Gruppenkonflikts,
wobei er sich im Wesentlichen aus zwei Theorien zusammensetzt: der Social Identity
Theory (SIT), begründet durch Henri Tajfel und John Turner (1979, 1986) sowie der
Self-Categorization Theory (SCT), welche eine Weiterentwicklung der SIT darstellt
(vgl. Turner 1982, 1985; Turner et al., 1987; Wagner/Zick, 1993, S.110; Haslam, 2004,
S.29). Nachstehend sollen beide Theorien zunächst separat vorgestellt werden. In den
nachfolgenden Abschnitten wird dann aufgezeigt, wie deren Erkenntnisse auf den Or-
ganisationskontext im Allgemeinen und auf Netzwerke im Besonderen übertragen wer-
den können.
3.1.1 Die Social Identity Theory
Das wesentliche Erkenntnisinteresse der Social Identity Theory (SIT) besteht in der
Beantwortung der Frage, wie Differenzierungsprozesse zwischen Gruppen entstehen
und wie es zu einem sog. ,in-group bias' kommt, d.h. zur Tendenz von Individuuen
,,(...) to favor the in-group over the out-group in evaluations and behaviour?" (Tajfel/
Turner, 1979, S. 38). Zur Untersuchung intergruppalen Verhaltens wurden die Experi-
mente zum Minimal-Gruppen Paradigma initiiert (Tajfel et al.,1971). Diese ,Minimal-
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
17
gruppenexperimente' oder auch ,minimal intergroup experiments' (vgl. Tajfel, 1978b;
Wagner, 2001) dienten als Ausgangsbasis der Theorieentwicklung und zielten im We-
sentlichen darauf ab, die minimalen Bedingungen herzustellen, unter denen ein Indivi-
duum in seinem Verhalten zwischen Eigengruppe (in-group) und Fremdgruppe (out-
group) diskriminiert.
Aufgrund bis dato gewonnener Erkenntnisse zu intergruppalem Verhalten, gingen Tajfel
und Turner (1979, 1986) davon aus, dass diskriminierendes Verhalten nicht notwendi-
gerweise auf Interessenskonflikte und Wettbewerb zurückzuführen ist.
Im Rahmen der Experimente wurde deshalb zunächst versucht, sämtliche Faktoren aus-
zuschließen, die unter normalen Umständen zu einer Eigengruppen-Favorisierung füh-
ren können, wie zum Beispiel zuvor bestehende Freundschaften, Feindschaften oder
aufgrund des Kontakts entstehende Interessensgegensätze sowie Sympathien.
Zu den Bedingungen gehörten daher, dass (1) keine face-to-face Interaktion gegeben ist,
dass (2) die Anonymität der Gruppenmitgliedschaft gewährleistet ist, (3) die Einteilung
nach trivialen Kriterien geschieht, (4) Eigennutz ausgeschlossen wird und (5) das Ver-
halten der Teilnehmer zu realen Entscheidungen führt (Tajfel, 1978b, S.77; Mummen-
dey, 1984, S.6 f.). Des Weiteren sollte die Gruppenbildung auf rein kognitiven Mecha-
nismen beruhen. Zu diesem Zweck wurden die Teilnehmer darum gebeten, ihre Präfe-
renz für einen abstrakten Künstler Klee oder Kandinsky abzugeben. Darauf aufbau-
end wurden die Teilnehmer in Gruppen aufgeteilt, wobei ihnen suggeriert wurde, dass
die Gruppenaufteilung nach bestimmten Kriterien geschieht (Klee- vs. Kandinsky-
Liebhaber). Tatsächlich geschah diese rein zufällig. Die Probanden wurden anschlie-
ßend einzeln in abgetrennte Räumlichkeiten geführt und dort darum gebeten, bestimmte
Geldbeträge oder Punkte an unterschiedliche Personen, außer an sich selbst, zu verge-
ben. Wichtig ist an dieser Stelle nochmals zu vermerken, dass den Probanden dabei le-
diglich ihre eigene Gruppenzugehörigkeit und die des Empfängers bekannt war, nicht
jedoch dessen Identität. Die Entscheidung erfolgte damit auf Grundlage der Gruppen-
mitgliedschaft und war somit minimal.
Die Ergebnisse zeigten schließlich, dass das Wissen um die Gruppenzugehörigkeit die
Verteilung der Beträge deutlich beeinflusst hatte. Die Versuchsteilnehmer tendierten
nicht nur dazu, den Mitgliedern der eigenen Gruppe höhere Beträge zuzuweisen, son-
dern verteilten die Beträge systematisch in einer Weise, dass sich eine maximale Diffe-
renz zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe ergab (Brown, 1996, S. 566 f.; vgl. auch
Haslam, 2001). Des Weiteren wichen die Probanden nicht nur von einer fairen Vertei-
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
18
lung ab, sondern waren weder darin bestrebt den gemeinsamen Profit zu maximieren,
noch den höchsten gruppeninternen Profit zu sichern. Paradoxerweise handelten die
Teilnehmer damit sogar entgegen ihrem wirtschaftlichen Eigeninteresses (van Dick
2001, S.269). ,,To beat the outgroup" (Haslam, 2004, S. 18) kann damit als das zentrale
Handlungsmotiv im Rahmen intergruppaler Differenzierungsprozesse unterstellt wer-
den. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die minimale Bedingung der Wahr-
nehmung einer Gruppenmitgliedschaft dazu ausreicht, dass ein ,In-goup Bias' entsteht:
Das Individuum zieht die Eigengruppe der Fremdgruppe vor und bringt dies in seiner
Bewertung und in seinem Verhalten zum Ausdruck.
Doch wie kommt es zu dieser offensichtlichen Bevorzugung der Eigengruppe? Tajfel
und Kollegen (Tajfel at al., 1971; vgl. auch Haslam, 2001) interpretieren die Ergebnisse
wie folgt: Erstens kategorisieren und definieren sich Individuen anhand der Zugehörig-
keit zu einer Gruppe. Sie bezeichnen diesen Vorgang als ,,categorization". Im Experi-
ment zeigte sich dies, indem die Versuchsperson die Kategorie ,,Klee-Liebhaber" als
Grundlage der Selbstdefinition akzeptiert und ihr Handeln dementsprechend ausrichtet.
Zweitens streben Individuen generell danach ihr Selbstwertgefühl zu steigern (,,self-
enhancement"). Dies wird durch eine positive Abgrenzung der eigenen Gruppe von ei-
ner relevanten Vergleichsgruppe möglich. In dem das Individuum die eigene Gruppe als
etwas Besonderes und Überlegenes wahrnimmt, kann es sich selbst so fühlen. Innerhalb
des Experiments wurde eine positive Abgrenzung durch das zu verteilende Geld er-
reicht: ,,Wir besitzen mehr als die Anderen".
Tajfel und Turner (1979, 1986) distanzieren sich aufgrund dieser Ergebnisse von der
herkömmlichen Definition sozialer Gruppen. Demnach wird die Gruppenbildung und
Gruppenzugehörigkeit nicht notwendigerweise durch die Häufigkeit der Mitgliederin-
teraktion, noch durch ein System festgelegter Rollenbeziehungen oder interdependente
Ziele bestimmt. Dies unterstreicht Pratt (1998) mit seiner Aussage, dass Kategorisie-
rung als ein grundlegender kognitiver Prozess zu verstehen ist, und dass gemäß der SIT
Gruppenmitglieder weder miteinander interagieren noch enge interpersonelle Beziehun-
gen aufweisen müssen, um sich als Mitglieder einer Gruppe wahrzunehmen (S. 187).
Stattdessen kommt es lediglich darauf an, dass sich Individuen selbst als Gruppenmit-
glieder definieren und von anderen Mitgliedern ebenso als solche wahrgenommen wer-
den. Eine Gruppe wird demnach verstanden [...] ,,as a collection of individuals who
perceive themselves to be members of the social category, share some emotional in-
volvement in this common definition of themselves, and achieve some degree of social
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
19
consensus about the evaluation of their group and of their memebership" (Tajfel/
Turner, 1979, S. 40, 1986, S. 15).
Die gewonnenen Erkenntnisse wurden schließlich in der Social Identity Theorie zu-
sammengefasst und lassen sich im Wesentlichen zu vier Kernelementen verdichten: der
sozialen Kategorisierung, der sozialen Identität, dem sozialen Vergleich und der sozia-
len Distinktheit (Mummendey, 1984, S. 13). Diese werden nachfolgend vorgestellt.
Soziale Kategorisierung
Soziale Kategorisierungen sind kognitive Werkzeuge, die den Individuen dazu verhel-
fen ihre soziale Umwelt in unterscheidbare soziale Kategorien bzw. Gruppen zu seg-
mentieren. Kategorien gibt es dabei viele, z.B. das Geschlecht, die Alterklasse, die Reli-
gion, die Nationalität, die Berufgruppe oder eine Organisationsmitgliedschaft (Ash-
forth/Mael, 1989, S. 20). Wichtig ist dabei, dass Individuen erst über diesen Klassifika-
tions- und Ordnungsprozess überhaupt in die Lage versetzt werden, zu handeln. Die
soziale Kategorisierung dient somit nicht einem reinen Systematisierungszweck, son-
dern hat zwei wesentliche Funktionen. Zunächst verhilft sie dem Individuum dazu, sich
in der Umwelt zu orientieren und diese zu vereinfachen. Darüber hinaus erhält das Indi-
viduum Informationen über seine eigene Position innerhalb des sozialen Gefüges, wo-
durch es eine Antwort auf die Frage ,,Wer bin ich?" erhält (Tajfel/Turner, 1986, S. 15f;
Brown, 1997, S. 562). So erlauben soziale Gruppen als spezifische Kategorien dem
Individuum, sich selbst in sozialen Termini zu identifizieren. So kann eine Person bspw.
über sich sagen: ,,Ich bin Siemens-Mitarbeiter" oder ,,Ich bin Katholik". Dieser Prozess
des ,Sich-Beziehens' auf eine soziale Kategorie hier in erster Linie auf eine soziale
Gruppe wird auch als soziale Identifikation bezeichnet und dient dem Individuum da-
zu. sich selbst in Bezug auf eine soziale Gruppe zu definieren bzw. zu beschreiben
(Turner 1982, S.17 f; Pratt 1998, S. 172). In anderen Worten: ,,Social identification (...)
is the perception of oneness with or belongingness to some human aggregate" (Ash-
forth/ Mael, 1989, S. 21, Herv.i.O.).
Soziale Kategorisierungen geschehen immer in Relation zum Selbst, das heißt Individu-
en unterscheiden zwischen Kategorien, denen sie sich selbst zuordnen (Ingroup) und
denjenigen, denen sie sich nicht zuordnen (Outgroup). Gleichwohl sind damit verbun-
dene Identifikationen ebenso relationaler und komparativer Natur, das heißt sie entste-
hen und gewinnen an Bedeutung immer in Bezug auf andere Gruppen bzw. Kategorien
(Mael/Ashforth, 1992, S. 105). Tajfel (1981, S. 258) konstatiert dazu: ,,'No social group
is an Island' is no less true than the statement that `no man is an island' (...). The char-
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
20
actersitics of one's group as a whole (such as its status, its richness or poverty, its skin
colour or its ability to reach its aims) achieve most of their significance in relation to
perceived differences from other groups and the value connotation of these differences."
Die Soziale Identität
Die Gesamtheit aller vom Individuum zur Selbstdefinition herangezogenen sozialen
Identifikationen wird schließlich als soziale Identität bezeichnet. Nach Tajfel (1978, S.
63) ist die soziale Identität der ,,Teil des Selbstkonzeptes einer Person, der dem Wissen
um die Mitgliedschaft in einer sozialen Gruppe entstammt, verbunden mit dem Wert
und der emotionalen Bedeutung, die mit dieser Gruppenmitgliedschaft verbunden sind".
In jüngeren Publikationen findet sich auch die Interpretation wieder, dass jede Kategorie
einer sozialen Identität gleich kommt (z.B. Dutton et al., 1994; Pratt/Foreman, 2000a;
Hogg/Terry 2001). In beiden Fällen wird deutlich, dass die soziale Identität aufgrund
der Mitgliedschaft in bzw. durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Kate-
gorie entsteht und darüber hinaus eine Bewertung dieser Mitgliedschaft impliziert. Indi-
viduen können ein ganzes Repertoire an sozialen Identitäten in sich tragen, die in ihrer
Bedeutung für das Selbstkonzept der Person variieren können (Hogg/Terry, 2001, S. 3).
Zudem wird anhand obiger Definition deutlich, dass die soziale Identität lediglich einen
Teil des Selbstkonzeptes einer Person ausmacht. Der zweite Teil des Selbstkonzeptes ist
die persönliche bzw. personale Identität des Individuums. Während sich erstere auf die
Mitgliedschaften eines Individuums in unterschiedlichen informalen und formalen
Gruppen ausrichtet, so bezieht sich letztere auf die idiosynkratischen Aspekte einer Per-
son, das heißt auf jene Eigenschaften des Individuums, die es einzigartig machen wie
etwa intellektuelle Fähigkeiten, körperliche Merkmale und persönlicher Geschmack
(Turner, 1982, S. 18; Mummendey, 1984, S.10; Ashforth/Mael, 1989, S. 21; Haslam,
2001, S.31). Das Selbstkonzept einer Person umfasst somit ,,the totality of self-
descriptions and self-evaluations subjectively available to an individual" (Hogg & Ab-
rahams, 1988, S.24) und bestimmt darüber, wie sich eine Person in einem bestimmten
sozialen Kontext fühlt und verhält (Gecas, 1982; Schlenker, 1985). Dies führt dazu,
dass Individuen ihr Verhalten in sozialen Situationen entweder eher interpersonal oder
eher intergruppal ausgestalten, je nachdem welches Selbstkonzept die personale Iden-
tität oder soziale Identität zum Tragen kommt (vgl. Ellemers et al., 1998, S. 372).
Demgemäß ist interpersonales Verhalten mit hervorstechender personaler, intergruppa-
les Verhalten mit hervorstechender sozialer Identität verbunden (vgl. Haslam, 2001, S.
44).
Theoretische Grundlagen und konzeptioneller Bezugsrahmen
21
Der soziale Vergleich und die soziale Distinkheit
Laut Mummendey (1984, S.14) erhält der Mensch Informationen über die Eigenschaf-
ten der sozialen Identität aufgrund von sozialen Vergleichen zwischen der eigenen und
anderen Gruppen auf unterschiedlichen und situativ relevanten Vergleichsdimensionen.
Erst in Beziehung zu wahrgenommenen Unterschieden zu anderen Gruppen und zu den
dazugehörigen Wertzuschreibungen erhalten die Eigenschaften der eigenen Gruppe (wie
z.B. Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Status) den Großteil ihrer Bedeutung (Tajfel,
1982, S. 106). Dabei streben Individuen durch den Vergleich zwischen eigener und an-
derer Gruppe danach, sich eine möglichst positive soziale Identität zu erhalten. Dies
gelingt dann, wenn der Vergleich für die eigene Gruppe positiv ausfällt (Wagner, 2001,
S. 358).
Dennoch muss dieser Vergleich nicht notwendigerweise positiv ausfallen. Kommt es zu
einem unvorteilhaften Vergleichsergebnis, so hat dies negative Konsequenzen für die
soziale Identität einer Person und damit auch für deren Selbstwert
.
Tajfel und Turner
(1986) beschreiben diesbezüglich drei mögliche Strategien zur Überwindung dieser
Problematik:
Die Individuelle Mobilität: Individuen haben die Möglichkeit, die eigene status-
niedrigere Gruppe zu Gunsten einer status-höheren Gruppe zu verlassen. Dieses Verhal-
ten würde die soziale Identität und damit den Selbstwert unmittelbar positiv beeinflus-
sen.
Die Soziale Kreativität: Die Mitglieder einer status-niedrigeren Gruppe wechseln die
Vergleichsdimension oder die Vergleichsgruppe. So können Fußballvereine dazu über-
gehen sich nicht mehr anhand der Tabellenplatzierung zu messen, sondern aufgrund
ihrer kreativen Spielweise oder ihres sympathischen Images. Alternativ können sie dazu
übergehen, sich nicht mehr auf internationaler Ebene sondern lediglich auf nationaler
Ebene zu vergleichen.
Der Soziale Wettbewerb: In diesem Fall wird die direkte Konfrontation mit einer rele-
vanten Fremdgruppe gesucht. Auf diesem Wege wird eine Neubewertung des Status
angestrebt, um den vorangegangenen negativen Vergleich zu revidieren. Ein Beispiel
hierfür ist das erneute Aufeinandertreffen von zwei konkurrierenden Basketball-Clubs.
Bartel (2001) beschreibt darüber hinaus, dass soziale Vergleichsprozesse bei Bedrohung
der In-Group-Identität durch Angriff, Abwertung oder Kritik wesentlich aktiver ablau-
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2009
- ISBN (eBook)
- 9783836631761
- DOI
- 10.3239/9783836631761
- Dateigröße
- 1.9 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Konstanz – Politik- und Verwaltungswissenschaft
- Erscheinungsdatum
- 2009 (Juni)
- Note
- 1,5
- Schlagworte
- identifikation kooperation prestige identität netzwerk
- Produktsicherheit
- Diplom.de