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'Im Computerspiel bin ich der Held'

Wie virtuelle Welten die Identitätsentwicklung von Jugendlichen beeinflussen

©2007 Diplomarbeit 110 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Kinder und Jugendliche wachsen heute mit und in simulierten Umwelten auf. Die technischen Medien spielen eine immer größere Rolle im Alltag der Menschen. Das Kinderzimmer ist ausgestattet mit Stereoanlage, Fernseher, Computer, Handspielkonsolen, Robotern, Stofftieren und Puppen, die wie echte Tiere die Bedürfnisse nach Nahrung und Schlaf simulieren. Seit Beginn meiner Studien zu diesem Thema ist das Interesse für spezielle Internetseiten auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Jugendliche und junge Erwachsene suchen Anerkennung und Bestätigung in neuen Netzwerken. Ein virtuelles Gemeinschaftsgefühl ist zur Normalität geworden. Die Jugendlichen der Gesellschaft werden oft als Trendsetter beschrieben, da sie sich schnell und einfach die neuen Möglichkeiten erschließen. So stellen die Jugendlichen mit 4,5 Millionen eine große Nutzergruppe des Internets dar.
Die Menschen bewegen sich in einer neuen Welt, die wie unsere reale Welt Weihnachten feiert, in der eine virtuelle Sonne untergeht, neue Freunde gefunden werden und Liebesbeziehungen entstehen. Doch berühren sich Chatter, und Spieler nicht mehr körperlich, ihre in der virtuellen Welt beschriebenen Charaktere bekommen einen verbalen Kuss, computeranimierte Vertreter umarmen sich in künstlichen Wohnzimmern.
Dies wirft die Frage auf, wie sich unsere Gesellschaft durch die neuen Medien verändert. Auch Eltern und Pädagogen schauen besorgt auf den Einfluss des Internets und des Computers. Wie beeinflussen sie die Entwicklung der jungen Menschen?
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage des Einflusses der virtuellen Medien auf die Identitätsentwicklung. Dabei werden die sonst meist getrennt behandelten Theorien der Identitätsforschung in Bezug auf das Internet und einzelne Computerspiele zusammengebracht. Somit versteht sich diese Arbeit als Beitrag zur Identitätsforschung im Bereich der virtuellen Welten.
Zunächst wird es um die von Feser beschriebenen allgemeinen Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen gehen. Darauf folgen die Beschreibung der Veränderung der Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts und die dadurch entstandenen neuen Identitätstheorien. Im fünften Kapitel wird der Einfluss der virtuellen Realität auf die Identitätsentwicklung von Jugendlichen dargestellt und im Anschluss finden sich einige pädagogische Anregungen sowie die Diskussion über mögliche Gefahren. Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung1
2.Die Lebensabschnitte des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Melanie Raschke
Im Computerspiel bin ich der Held
Wie virtuelle Welten die Identitätsentwicklung von Jugendlichen beeinflussen
ISBN:
978-3-8366-1709-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abt. Aachen, Aachen, Deutschland,
Diplomarbeit, 2006
Coverfoto: Ade Hughes/Fotolia.com
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

II
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung...1
2 Die Lebensabschnitte des Jugendalters ...3
2.1 Entwicklungsaufgaben des Jugendalters...3
2.2 Die Identitätsentwicklung und ihre Krisen im Jugendalter nach Erikson...5
2.3 Zusammenfassung ...7
3 Gesellschaftliche Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts ...8
3.1 Gesellschaftliche Veränderungen...8
3.2 Verlust des öffentlichen Raums ...10
3.3 Technische und mediale Entwicklungen im 21. Jahrhundert...12
3.3.1 Mediennutzung in der Freizeit von Jugendlichen ...12
3.3.2 Soziale Unterschiede in der Nutzung ...14
3.3.3 Technische Möglichkeiten des Computers und des World Wide Web...15
3.4 Neue Welten - virtuelle Welten...17
3.4.1 Die verschiedenen Welten ...19
3.4.2 Immersion und Flow ...24
4 Veränderungen der Identitätstheorien im 21. Jahrhundert ...27
4.1 Die Theorie der Umbruchserfahrungen nach Keupp...27
4.2 Narrationen als Grundlage der Identitätsbildung...30
4.3 Kohärenzgefühl...32
4.4 Aushandlungsprozess und Passungsarbeit...33
4.5 Das Individuum als Rollenspieler ...34
4.6 Zusammenfassung ...42

III
5 Die virtuelle Welt als Bühnenraum der Identität des Jugendlichen ...43
5.1 Motivationsbezüge für die Nutzung virtueller Welten...43
5.2 Identitäten ausprobieren im Computerspiel und im Internet...47
5.2.1 Identitätsangebote im Computerspiel ...47
5.2.2 Präsentationsmöglichkeit Nickname, Homepage und Co...51
5.2.3 Schneller Kontakt oder Wie fremd ist mein Gegenüber eigentlich? ...54
5.3 Kompensation durch Computerspiel und Internet...56
5.3.1 Verarbeitung im Spiel ...56
5.3.2 Wenig Erfolge im Alltag, schnelle Erfolge im Computerspiel...59
5.3.3 Der Chatroom als Kontaktraum für die Jugendlichen...64
5.4 Zusammenfassung ...67
6 Pädagogische Bedeutung ...68
6.1 Möglichkeiten der virtuellen Welt in Bezug auf die Identitätsentwicklung ...69
6.1.1 Gestalten einer eigenen Homepage ...70
6.1.2 Spielcharaktere gestalten und darüber ins Gespräch kommen ...71
6.2 Gefahren der Nutzung virtueller Welten...73
6.2.1 Rausch, Sucht, Identitäts- und Realitätsverlust ...73
6.2.2 Der Verlust der Körperlichkeit ...77
6.2.3 Pädophilie im Internet ...79
6.3 Pädagogische Umgangsmöglichkeiten ...79
6.4 Zusammenfassung ...82
7 Schlussbetrachtung...84
Anhang 1: Literaturverzeichnis ...87
Anhang 2: Wissenschaftliche Internetseiten/Studien/Nachschlagewerke ...94
Anhang 3: Kurzbeschreibung der einzelnen genannten Internetfunktionen und
Computerspiele ...96
Anhang 4: Ebay Versteigerung ...100

IV
Abbildungsverzeichnis
Nummer Seite
Abbildung 1
Interessengebiete von Jugendlichen
13
Abbildung 2
Nutzungsverhalten der Jugendlichen in Abhängigkeit
von der Schulform
14
Abbildung 3
Landkarte anderer Welten
21
Abbildung 4
Klassifikationsmodell der Telepräsenz
23
Abbildung 5
Beispielhafte Übersicht über die Medien der
virtuellen
Welten
25
Abbildung 6
Identitätsmodells nach Mead
35
Abbildung 7
Charakterauswahl beim ,,World of Warcraft"-Spiel
48
Abbildung 8
Weiblicher Charakter im ,,Tomb Raider"-Spiel
49
Abbildung 9
Online-Tagebuch-Ausschnitt 54
Abbildung 10
Chat-Ausschnitt
66

V
DANKSAGUNGEN/WIDMUNGEN
Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Professorin Frau Dr. Ute Anto-
nia Lammel, die mich durch ihr Seminar ,,Individuelle Identitätsarbeit vor dem Hinter-
grund sozialökonomischer Wandlungsprozesse" auf die Thematik dieser Arbeit auf-
merksam gemacht hat und damit dafür sorgte, dass ich so viele fantastische Tage mit
dem Lesen vieler spannender Materialien zur Identitätsentwicklung und mit den virtu-
ellen Welten verbrachte. Während der Erstellung meiner Arbeit habe ich durch sie eine
stetige Unterstützung und Ermutigung erhalten.
Einen großen Dank möchte ich den vielen Lesern meiner Diplomarbeit aussprechen,
die sich die Mühe gemacht haben, mich immer wieder auf einzelne Unverständlichkei-
ten meiner Ausdrucksweise aufmerksam zu machen. Ganz besonderen Dank richte ich
an Frau Dr. Ulrike Fehlisch, die mich in der Endkorrekturphase so herzlich und enga-
giert unterstützte.
Vor allem erwähnen möchte ich Ursula und Thomas Vielhauer, die mir in den letzten
Jahren immer wieder in studiums- und lebenstechnischen Fragen mit Rat und aktiver
Hilfe beistanden. Für die liebevolle Unterstützung auf meinem bisherigen Lebensweg
bedanke ich mich bei meinem Vater Hans-Dieter Raschke.

VI
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland
JIM
Jugend, Information, (Multi-)Media
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen

VII
GLOSSAR
Zur besseren Lesbarkeit wird im Allgemeinen die männliche Form verwendet. Die
Bezeichnung der ,,Pädagogen" wird hier für alle Beschäftigten im weiten Arbeitsfeld
der Pädagogik verwendet. Zitate in der alten Rechtschreibung werden beibehalten. Im
Anhang befinden sich ausführliche Erklärungen zu den in der Arbeit erwähnten Onli-
ne-Spielen/-diensten und Computerspielen. Die Begriffe Cyberspace, virtuelle Welt
und virtuelle Realität beschreiben den Forschungsbereich der künstlichen Realitäten,
die in den Computerdiensten und -spielen entstehen können. Eine genauere Erklärung
hierzu findet sich im Kapitel 3.4. Die Begriffe werden synonym verwendet.
Im September 2006 kam die neue Shell Jugendstudie heraus, die einige weitere inte-
ressante Erkenntnisse über die Entwicklung Jugendlicher liefert. Aus Termingründen
konnten leider die Ergebnisse dieser Studie in der vorliegenden Arbeit nicht mehr be-
rücksichtigt werden.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
1
1 Einleitung
Kinder und Jugendliche wachsen heute mit und in simulierten Umwelten auf. Die
technischen Medien spielen eine immer größere Rolle im Alltag der Menschen. Das
Kinderzimmer ist ausgestattet mit Stereoanlage, Fernseher, Computer, Handspielkon-
solen, Robotern, Stofftieren und Puppen, die wie echte Tiere die Bedürfnisse nach
Nahrung und Schlaf simulieren. Seit Beginn meiner Studien zu diesem Thema ist das
Interesse für spezielle Internetseiten
1
auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Jugendli-
che und junge Erwachsene suchen Anerkennung und Bestätigung in neuen Netzwer-
ken. Ein virtuelles Gemeinschaftsgefühl ist zur Normalität geworden. Die Jugendli-
chen der Gesellschaft werden oft als Trendsetter beschrieben, da sie sich schnell und
einfach die neuen Möglichkeiten erschließen.
2
So stellen die Jugendlichen mit 4,5 Mil-
lionen eine große Nutzergruppe des Internets dar.
3
Die Menschen bewegen sich in einer neuen Welt, die wie unsere reale Welt Weihnach-
ten feiert, in der eine virtuelle Sonne untergeht, neue Freunde gefunden werden und
Liebesbeziehungen entstehen. Doch berühren sich Chatter, und Spieler nicht mehr
körperlich, ihre in der virtuellen Welt beschriebenen Charaktere bekommen einen ver-
balen Kuss, computeranimierte Vertreter umarmen sich in künstlichen Wohnzimmern.
Dies wirft die Frage auf, wie sich unsere Gesellschaft durch die neuen Medien verän-
dert. Auch Eltern und Pädagogen schauen besorgt auf den Einfluss des Internets und
des Computers. Wie beeinflussen sie die Entwicklung der jungen Menschen?
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage des Einflusses der virtuellen Medien
auf die Identitätsentwicklung. Dabei werden die sonst meist getrennt behandelten The-
orien der Identitätsforschung in Bezug auf das Internet und einzelne Computerspiele
zusammengebracht. Somit versteht sich diese Arbeit als Beitrag zur Identitätsfor-
schung im Bereich der virtuellen Welten.
1
Auf den privaten Homepages werden immer mehr Meinungsumfragen zum Inhalt der Seiten gestellt. Bei Ebay und
Amazon versuchen Käufer und Verkäufer, vom jeweils anderen eine gute Bewertung zu erhalten. Auf Seiten wie
http://www.dugg.de oder www.studivz.net (bei älteren Nutzern) sammeln die User Onlineregistrierungen von
Freunden.
2
vgl. Deutsche Shell [Hrsg.]: 50 Jahre Shell Jugendstudie, S. 67.
3
vgl. ARD/ZDF-Online-Studie 2005, S. 364.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
2
Zunächst wird es um die von Feser
4
beschriebenen allgemeinen Entwicklungsaufga-
ben der Jugendlichen gehen. Darauf folgen die Beschreibung der Veränderung der
Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts und die dadurch entstandenen neuen Iden-
titätstheorien. Im fünften Kapitel wird der Einfluss der virtuellen Realität auf die Iden-
titätsentwicklung von Jugendlichen dargestellt und im Anschluss finden sich einige
pädagogische Anregungen sowie die Diskussion über mögliche Gefahren.
4
vgl. Feser (2000): Der menschliche Lebenszyklus S. 70 ff.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
3
2 Die Lebensabschnitte des Jugendalters
Heute wird in der Wissenschaft davon ausgegangen, dass sich die Entwicklung eines
Menschen in Stufen über den gesamten Lebensprozess vollzieht. Die modernen Ent-
wicklungstheorien gehen dabei von zehn Entwicklungsstufen aus. Diese erstrecken
sich von der Geburt bis zum Tod über das Leben des Menschen. Eine dieser Stufen ist
das Jugendalter, welches wiederum aus drei Altersabschnitten besteht: Das frühe Ju-
gendalter beginnt mit dem 11. Lebensjahr und geht im 14. Lebensjahr in das mittlere
Jugendalter über. Die letzte Jugendphase, das späte Jugendalter, erstreckt sich über den
Altersabschnitt von achtzehn bis einundzwanzig Jahren. Die Altersgrenzen sind aller-
dings in biologischer, gesellschaftlicher und juristischer Hinsicht unscharf. Die Folge
ist, dass nicht eindeutig zugeordnet werden kann, in welcher Jugendphase der Jugend-
liche sich gerade befindet. So kann sich ein Jugendlicher, welcher seinem Alter gemäß
in das mittlere Jugendalter einzuordnen ist, schon mit psychischen Thematiken des
späten Jugendalters beschäftigen, während sich seine körperliche Reife noch im frühen
Jugendalter befindet. Allgemein ist festzuhalten, dass das Jugendalter die Übergangs-
phase zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus ist. Hier müssen unterschiedliche
Lebensaufgaben bewältigt werden, um in das Erwachsenenalter einzutreten.
2.1 Entwicklungsaufgaben des Jugendalters
Herbert Feser
5
formuliert folgende zehn Entwicklungsaufgaben für die gesamte Ju-
gendzeit:
1. Körperliche Akzeptanz entwickeln: Zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr
setzen körperliche Veränderungen ein. Die Jugendlichen bekommen häufig op-
tisch unharmonische Wachstumsschübe und ihr äußerer Eindruck kann hier-
durch schlaksig wirken. Gleichzeitig setzt auch die Geschlechtsreife ein, die
Behaarung der Geschlechtsbereiche beginnt, die Brüste der Mädchen wachsen,
es kommt zur ersten Menstruation beziehungsweise zum ersten Samenerguss.
5
vgl. Feser (2000): Der menschliche Lebenszyklus, S. 89 ff.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
4
Die Jugendlichen lernen mit dieser veränderten Erscheinung ihres Körpers um-
zugehen und ihr eigenes Aussehen zu akzeptieren.
6
2. Geschlechterrolle finden: Auf Grund von gesellschaftlichen Erwartungen
werden geschlechterspezifische Verhaltensweisen ausgeprägt. Hier spielt die
soziologische Umgebung des Jugendlichen eine große Rolle. Auch erhalten
heute in der westlichen Kultur alternative Rollenverhalten, zum Beispiel homo-
sexuelle Rollenentwürfe, eine größere Akzeptanz als noch vor 50 Jahren. Die
Sozialisation der geschlechtstypischen Rolle beginnt bereits mit der Geburt. Sie
erfolgt durch Belohnung rollenkonformen oder Bestrafung nicht rollenkonfor-
men Verhaltens und durch Nachahmung von beobachteten Modellen.
7
3. In der Peergroup entwickeln: Die Gemeinschaft der Gleichaltrigen rückt nun
in den Vordergrund der sozialen Beziehungen und löst damit die Familie ab.
Der Status, welchen der Jugendliche in seiner Familie erworben hat, verliert an
Bedeutung. Ein neuer Status muss durch Aufnahme in eine Gruppe gewonnen
werden. Die anderen Jugendlichen teilen Vorstellungen und Werte, welche mit
denen der Eltern nicht immer übereinstimmen, und sie bieten neue Orientie-
rungsmöglichkeiten. Die Zugehörigkeit zu Gleichaltrigen verstärkt ein neues
Gefühl der Sicherheit.
4. Intimität ausbilden: Stufenweise erlernen die Jugendlichen das Eingehen von
intimen Beziehungen.
5. Ablösung von den Eltern schaffen: Die Jugendlichen beginnen damit, sich
vom Elternhaus zu lösen, und entwickeln so eigene Werte und Vorstellungen.
Zum einen müssen sie sich ihre Autonomie erkämpfen, auf der anderen Seite
müssen sie lernen, mit der neugewonnenen Freiheit umzugehen und Selbstver-
antwortung zu erlangen. So findet eine Verlagerung bei den Vertrauensperso-
nen vom familiären Bereich auf den Freundeskreis statt.
6
Schenk-Danzinger (2001): Entwicklungspsychologie, S. 322 f.
7
Zimbardo (1992): Psychologie, S. 78 f.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
5
6. Sich mit der Berufsfindung auseinandersetzen: Feser definiert es so: ,,Wis-
sen, was man lernen will und was man dafür lernen und können muß"
8
7. Partnerschaft finden: Erste Vorstellungen entwickeln sich darüber, wie zu-
künftige Partnerschaften aussehen sollen.
8. Selbstkonzept und Identität aufbauen: Die Jugendlichen entwickeln ein Bild
von sich selbst, wer sie sind und was sie sein wollen.
9. Zukunftsperspektiven entwickeln: Sie entwickeln Zielvorstellungen und pla-
nen ihre Zukunft.
10. Eine eigene Moral beziehungsweise Werte aufbauen: Sie entscheiden sich,
welche Werte und Normen sie übernehmen möchten.
Alle Entwicklungsaufgaben spielen dabei zusammen, bedingen sich gegenseitig und
ergeben ein Gesamtbild. Der Jugendliche entwickelt durch die Auseinandersetzung mit
seiner Geschlechterrolle, seinen Berufs- und Zukunftswünschen und allen anderen
Aufgaben ein Selbstbild der Vorstellungen für sein späteres Leben. So entsteht seine
Identität.
2.2 Die Identitätsentwicklung und ihre Krisen im Jugendalter nach Erikson
Der Identitätsforscher Erikson beschreibt die Phase der Jugendzeit als Ausprägungs-
zeitraum für die Identität. Bei Nichtgelingen kommt es zur Diffusion des eigenen Rol-
lenbildes. Erikson definiert insgesamt acht Phasen der Identitätsentwicklung, die sich
über das gesamte Leben eines Menschen erstreckt. In jeder Phase ist eine Krise durch-
zuarbeiten. Diese Konflikte können nie vollständig gelöst werden. So bestehen sie wei-
terhin mehr oder weniger stark im Leben. Ist der Konflikt hinreichend bearbeitet wor-
den, ist der Mensch in der Lage, sich mit der Aufgabe der folgenden Phase zu befas-
sen. Die für das Jugendalter relevanten Konflikte werden im Folgenden angeführt:
8
Feser (2000): Der menschliche Lebenszyklus, S. 89.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
6
0 ­ 1 ½ Jahre: Vertrauen vs. Misstrauen
Nimmt der Säugling wahr, dass er sich auf die Versorgung seiner Eltern bzw. Bezugs-
personen mit Nahrung, körperlicher Nähe und Geborgenheit verlassen kann, stellt sich
ein Urvertrauen ein. Werden die vorhandenen Grundbedürfnisse nach Nahrung nicht
erfüllt oder besteht eine Inkonstanz in den Körperkontakten und in der Verlässlichkeit
der Anwesenheit der Bezugspersonen, kann ein fundamentales Misstrauen und eine
elementare Angst entstehen. Somit kann in dieser Phase die grundlegende Hoffnung in
eine positive Entwicklung des Lebens oder aber ein grundlegendes Misstrauen gegen
die Umwelt ausgeprägt werden.
1 ½ ­ 3 Jahre: Autonomie vs. Selbstzweifel
Nun steigen die körperlichen Fähigkeiten des Kindes. Es lernt Laufen und Sprechen,
und dies ermöglicht ihm vielfältige selbstbestimmte Erfahrungen. Erfährt ein Kind,
dass es sich selbständig entfalten kann, und wird es als wertvolle Person in der Aus-
übung seiner Autonomie unterstützt, so entwickelt sich eine positive Selbstwahrneh-
mung. Erfährt es aber übertriebene Kontrolle und Kritik, entstehen Selbstzweifel.
3 ­ 6 Jahre: Initiative vs. Schuld
Das Kind beginnt damit, sich mit Rollenerwartungen auseinanderzusetzen. Es nimmt
die unterschiedlichen Geschlechterrollen wahr. Erikson beruft sich bei der Beschrei-
bung dieser Phase stark auf die von Freud beschriebenen Rollenkonflikte zwischen
Eltern und Kind: Ödipuskonflikt, Penisneid und Kastrationsangst. Die Eltern können
die Entwicklung des Kindes stärken oder ,,sie versehen es mit Schuldgefühlen und dem
Bewußtsein, ein dummer Eindringling in die Welt der Erwachsenen zu sein."
9
6 Jahre bis zur Pubertät: Kompetenz vs. Minderwertigkeitsgefühl
Das Kind lernt durch Experimentieren und an Hand von vorgegebenen Aufgabenstel-
lungen in der Schule und in Freizeitaktivitäten (Musikschule, Sportverein und ähnli-
che). Bei erfolgreichen Lernerfahrungen entsteht ein Gefühl von Kompetenz. Erleben
9
Zimbardo (1992): Psychologie, S. 85.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
7
die Kinder aber viele Misserfolge oder sind sie eher Zuschauer der Aktivitäten, so
kann ein Minderwertigkeitsgefühl entstehen.
10
Jugend (Adoleszenz): Identität vs. Rollendiffusion
In dieser Entwicklungszeit finden sich Parallelen zu den im vorigen Abschnitt be-
schriebenen Entwicklungsaufgaben des Jugendlichen. Erikson beschreibt die Phase als
unsichere Lebenszeit. Die genitale Reifung setzt ein, der Jugendliche sucht nach Orien-
tierungspunkten in der Gesellschaft bzw. bei Gleichaltrigen. Gelingt ihm die Orientie-
rung, so stellt er seine Identität her und entwickelt Selbstvertrauen. Als Folge aufge-
zwungener Rollenerwartungen kann allerdings eine Flucht in unsoziales Verhalten
resultieren. Ferner kann es zu einer völligen Überforderung des Jugendlichen durch
fehlende Orientierungen in der Gesellschaft kommen.
11
2.3 Zusammenfassung
Der jugendliche Mensch befindet sich in einer unsicheren Lebensphase, in welcher die
Bezugspunkte von Eltern auf Gleichaltrige wechseln und er sich für seine Zukunft ori-
entiert, also für einen Beruf und ein Rollenmodell entscheidet. Er steht also inmitten
seiner Identitätsentwicklung. Hier nun prägt die aktuelle Gesellschaftssituation seine
Entwicklung mit.
10
vgl. Zimbardo (1992): Psychologie, S. 84 f; vgl. Erikson (1970): Jugend und Krise, S. 97 ff.
11
vgl. Erikson (1970): Jugend und Krise, S. 131 ff.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
8
3 Gesellschaftliche Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Für die Betrachtung der oben beschriebenen Entwicklungsaufgaben und der Identitäts-
entwicklung der Jugendlichen ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der heutigen ge-
sellschaftlichen Entwicklung Veränderungen in Bezug auf die Grundlage der vorlie-
genden Theorien. Die Wahlmöglichkeiten für Zukunftsentwürfe sind ins Unermessli-
che gestiegen. Damit fehlt es aber auch an Orientierungsmöglichkeiten und Sicherhei-
ten. Doch schon Eriksons Ausführungen über die Veränderungen seiner Zeit lassen
vermuten, dass wir immer wieder vor neuen Entwicklungen stehen werden, welche die
vorhandenen Forschungsergebnisse und Theorien verändern werden. Schon Erikson
spricht von der dauerhaften Entfremdung des Menschen in seiner jeweiligen Zeit: ,,Ich
meinerseits bin nie im Stande gewesen, die Behauptung zu akzeptieren, daß der
Mensch in der merkantilen Kultur oder in der Ackerbaukultur oder selbst in der Buch-
kultur im Prinzip weniger entfremdet gewesen sein soll, wie er es in der Technologie
ist."
12
Die Aufgabe junger Menschen wird es immer wieder sein, sich in dieser Welt zurecht-
zufinden und neue Werte für sich und ihre Gesellschaft zu entwickeln. Die sich an-
schließende Frage ist: Von wo hat sich unsere Gesellschaft wohin entwickelt? Und:
Welchen Einfluss nimmt dies auf die Identitätsentwicklung der Jugendlichen?
3.1 Gesellschaftliche Veränderungen
In diesem Abschnitt werden beispielhaft einige für das Thema relevante Veränderun-
gen unserer Gesellschaft angesprochen. Betrachten wir die in Kapitel 2 beschriebenen
Entwicklungsaufgaben, so lassen sich heute einige Schwierigkeiten für die Orientie-
rung der Jugendlichen ausmachen, welche aus der Gesellschaftsentwicklung des 21.
Jahrhunderts resultieren. Soziologen beschreiben einen Strukturwandel der Jugendpha-
se: Die Geschlechtsreife, die als Eintrittsalter in die Jugendzeit gesehen wird, ver-
schiebt sich nach vorne und das Austrittsalter nach hinten. Der Austritt aus der Ju-
gendphase vollzieht sich mit der Übernahme von Entwicklungsaufgaben aus dem Er-
wachsenenalter, zum Beispiel dem Eintritt in das Erwerbsleben und die Familiengrün-
dung. Gleichzeitig bleiben junge Menschen durch die Verlängerung der
12
Erikson (1970): Jugend und Krise, S. 28.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
9
Ausbildungszeiten und die formale Entwertung der Bildungsabschlüsse immer länger
in der finanziellen Abhängigkeit von ihren Eltern.
13
Durch die materielle Abhängigkeit wird auch die Ablösung von der Familie und damit
die eigene Familiengründung gehemmt. So erhöhte sich zum Beispiel das Erstheirats-
alter bei den Männern zwischen den Jahren 1970 und 1999 von 25,6 auf 31,1 und bei
den Frauen von 23,0 auf 28,4 Jahre.
14
Bis zum Jahr 2004 sind diese Zahlen noch ein-
mal angestiegen: Bei den Männern auf 32,4 und bei den Frauen auf 29,4 Jahre.
15
Dem-
entsprechend hoch ist auch das Alter der erstgebärenden Frauen. Hier lag das Durch-
schnittsalter 2004 bei 29,6 Jahren.
16
Die späte Familiengründungszeit und das späte
Eintreten in das Berufsleben lassen vermuten, dass junge Menschen die Lebensphase
der Jugendzeit erst mit 25 Jahren oder später beenden. Ferner stehen Jugendliche heute
vor der großen Aufgabe der Selbstverwirklichung. Eigene Lebensziele müssen realis-
tisch definiert und verfolgt werden. Dies äußert sich zum Beispiel bei der Übernahme
der Geschlechterrolle. Hier sind im Vergleich zu den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts
viele Wahlmöglichkeiten entstanden. Während 1950 noch klar festgelegt war, welche
Rolle eine verheiratete Frau ­ zumindest in wirtschaftlich starken Zeiten und privile-
gierten Kreisen ­ einzunehmen hatte, gibt es heute viele gesellschaftlich anerkannte
Wahlmodelle für Mann und Frau. Neben dem klassischen ,,Hausfrauenmodell" und der
damit verbundenen Ehefrauen- und Mutterrolle stehen der Frau heute verschiedene
Alternativen zur Verfügung. Sie kann die Berufstätigkeit und neben dem Familienle-
ben das Singledasein, die kinderlose Paarbeziehung oder eine gleichgeschlechtliche
Lebensbeziehung wählen. Auch für die Rolle des Mannes als Verdiener und ,,Feier-
abendvater" ergaben sich hiermit Veränderungen.
17
Im Alltag sind die jungen Men-
schen heute immer mehr dem ,,Inselprinzip" unterworfen: Sie mögen in einem Stadt-
teil die Schule, in einem anderen den Sportverein und in einem dritten die Musikschule
besuchen. Ihre Freunde mögen sie nicht mehr in der unmittelbaren Nachbarschaft an-
treffen, sondern vielmehr erst, nachdem sie bis zu einstündige Busfahrten hinter sich
gebracht haben. Die Gesellschaft entwickelt sich, von einem regionalen hin zu einem
globalen Orientierungsraum. Arbeitsmärkte erstrecken sich über den Wohnort hinaus.
13
vgl. Deutsche Shell [Hrsg.] (2002): Jugend, 14. Shell Jugendstudie, S. 32 ff.
14
vgl. Peuckert (2002): Familienformen im sozialen Wandel, S. 46.
15
vgl http://www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab1.php (Eingesehen 07.06.2006).
16
vgl. http://www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab2.php (Eingesehen 07.06.2006).
17
vgl. Peuckert (2002): Familienformen im sozialen Wandel, S. 25 f.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
10
Für die berufliche Karriere werden mehr Wohnortwechsel in Kauf genommen. Zu-
nächst betrifft dies die Jugendlichen als Kinder der Wohnortwechsler, später persön-
lich bei der eigenen Arbeitsplatzentscheidung. Bei jedem Wohnortwechsel müssen
neue Freundes- und Kontaktkreise aufgebaut werden.
Auch die Wertorientierung und Wahl des Zukunftsweges stellen die Jugendlichen vor
einige Probleme. Sie sehen sich der schwierigen Aufgabe der Selbstentscheidung und
Verantwortungsübernahme in einem gesellschaftlichen Netz aus hohen Leistungsan-
forderungen des heutigen Schulalltages und des zukünftigen gesellschaftlichen Ar-
beitsmarktes und dem hohen Erwartungsdruck der Eltern gegenübergestellt. Wie die
Shell Jugendstudie 2002
18
belegt, leisten die meisten Jugendlichen hier eine große
Aufgabe. Sie sind entgegen der allgemeingültigen Annahme der übrigen Gesellschaft
keine pessimistischen, zu wenig beteiligten jungen Menschen, sondern sie konzentrie-
ren sich auf das für sie Wesentliche. Wer allerdings dem Anforderungsdruck nicht
gewachsen ist und den Kampf um gute Noten und soziale Anerkennung verliert, zieht
sich zurück. Mögliche Folgen lassen sich auch in der Gesellschaft der jungen Men-
schen beobachten: Schuleschwänzen, Drogenmissbrauch, Kriminalität ­ also asoziales
Verhalten ­ oder psychosomatische Rückzugserscheinungen. Auch verfallen die Ju-
gendlichen durch die zunehmende Vielfalt an unterschiedlichen Lebensformen schnell
in Orientierungslosigkeit und dauerhafte Überforderungszustände. Lammel beschreibt
die zunehmende Bedeutung der ,,Peer-group-education [...] als eine Form der Selbst-
hilfe [...]"
19
unter den Jugendlichen.
20
Die neuen virtuellen Welten der Computerspie-
le und des Internets bieten dabei Rückzugs- und Kompensationsmöglichkeiten, siehe
hierzu ausführlicher Kapitel 5.3.
3.2 Verlust des öffentlichen Raums
Eine sich auf die ganze Gesellschaft ausdehnende Veränderung ist die Neugestaltung
des öffentlichen Raums. So ist unsere Welt durch die mediale Allgegenwärtigkeit und
den technischen Fortschritt kleiner geworden. Sie ist nicht mehr in Tages-, Wochen-
und Monatsreisen erreichbar, sondern durch Nonstop-Flüge in Stunden. Auf der einen
18
vgl. Deutsche Shell [Hrsg.]: Jugend 2002, S. 36 ff. S.142.
19
Lammel (1998): Parallele Welten-Rave & Co. S. 179
20
vgl. Lammel (1998): Parallele Welten-Rave & Co. S. 179.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
11
Seite steht die schnelle Verfügbarkeit und auf der anderen die Vereinsamung der öf-
fentlichen Räume. Willand beschreibt die Veränderungen der öffentlichen Zusammen-
künfte so, dass es im 18. Jahrhundert möglich gewesen ist, zwanglose Unterhaltungen
mit jedem auf den Straßen und Plätzen zu führen.
21
Vergleichbare Erfahrungen sam-
melte ich 2005 auf meiner Reise mit meiner Freundin durch Uganda (Afrika).
Auf unseren Reisen durch die Dörfer begegneten uns viele Menschen, mit denen wir
zunächst ein Gespräch über Alltagsgeschehnisse führen mussten. Nach meinen Beo-
bachtungen fand diese gesellschaftliche Aktivität auch bei Einheimischen, die nicht
durch ihre Hautfarbe als Ausländer auffielen, statt. Die Menschen in Uganda haben ein
anderes Zeitgefühl. Zum Beispiel konnte so ein Gespräch bis zu einer Stunde dauern,
was sich für uns Mitteleuropäer wie eine Ewigkeit anfühlt. Ähnlich stelle ich mir die
Verhältnisse der vergangenen Jahrhunderte in Europa vor. Willand berichtet rückgrei-
fend auf Sennett, dass Mitte des 19. Jahrhunderts erste private Clubs entstanden, sie
boten Zuflucht vor dem Wirrwarr der Großstädte. An Stelle offener Kontaktbereit-
schaft setzten sich in den Clubs Anonymität und Schweigsamkeit durch. Ein gesell-
schaftlicher Wandel entstand. Zwanglose und öffentliche Geselligkeit unter Fremden
stellen heute eine überflüssige
Handlung dar.
22
Im Folgenden werden zwei weitere
Theorien beschrieben, die diese Entwicklungen bestätigen: Virilio beschreibt in seinem
Buch ,,Rasender Stillstand"
23
ausführlich den Verlust der Wahrnehmung von der Be-
wegung beim Reisen. Bei längeren Autofahrten wird der Fernseher eingeschaltet, im
Bus das Buch ausgepackt. Lange Reisen gilt es zu vermeiden, sie dienen allein dem
Ankommen, nicht mehr dem Reiseerlebnis. Somit ist auch das Zusammensein mit an-
deren Menschen hier nur noch ein ,,unvermeidbares Ärgernis" und nicht mehr ein ge-
meinsames Erlebnis.
24
Schlussendlich müssen wir uns nicht mehr wirklich fortbewe-
gen, denn die Medien des 21. Jahrhunderts ermöglichen uns eine Allgegenwärtigkeit
ohne das Verlassen der privaten ,,vier Wände". Durch das Telefon lassen sich Men-
schen über weite Entfernungen akustisch in die eigene Wohnung holen. So ermöglicht
im Besonderen das Handy einen privaten Rückzug im öffentlichen Raum. Auf der
Straße werden keine Gespräche mit dem neben uns Gehenden, sondern mit Freunden
am Mobiletelefon geführt. Ferner lässt uns das Fernsehen an den Ereignissen der
21
vgl. Willand (2002): Chatroom statt Marktplatz, S. 14 ff.
22
vgl. Willand (2002): Chatroom statt Marktplatz, S. 16 f.
23
vgl. Virilio (2002): Rasender Stillstand, S. 31 ff.
24
vgl. Willand (2002): Chatroom statt Marktplatz, S. 17.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
12
gesamten Welt teilhaben. Wie kommen Menschen aber im 21. Jahrhundert mit frem-
den Menschen in Kontakt? Bestehen die Bedürfnisse nicht weiterhin, andere Men-
schen und damit neue Impulse in unser Leben zu holen? Fragen, denen im Verlauf der
Arbeit noch nachzugehen ist.
3.3 Technische und mediale Entwicklungen im 21. Jahrhundert
,,Ich finde, dass Jugendliche bei modernen The-
men heute so ein bisschen die Nase vorne haben.
Früher war es ja so, dass die Jugendlichen von
den Erwachsenen gelernt haben ..."
25
Die Lebensgestaltung der Jugendlichen wird um ein weiteres Feld neuer Wahlmög-
lichkeiten erweitert: die Nutzung der neuen Medien. Der technische Fortschritt erleich-
tert seit Menschengedenken das alltägliche Leben im praktischen Sinne. Träumten die
Jugendlichen der 50er und 60er Jahre von der Bewegungsfreiheit durch das eigene
Mofa oder Auto und von der Freizeitgestaltung durch die ,,bewegten Bilder" im eige-
nen Wohnzimmer, so sind heute der Fernseher und der Computer nicht mehr aus dem
Alltagsleben wegzudenken, wie ein kurzer Exkurs zum Freizeitverhalten von Jugendli-
chen zeigt.
3.3.1 Mediennutzung in der Freizeit von Jugendlichen
,,Ich bin drin." (Boris Becker)
Nutzen alle Jugendlichen den Computer in ihrer Freizeit? Welchen Stellenwert nimmt
der Computer in der Freizeitgestaltung ein? In der Shell Studie gaben von 2.515 be-
fragten Jugendlichen 34 % der Jungen und 18 % der Mädchen an, im Internet zu sur-
fen. Ferner spielen 33 % der Jungen Computer. Diese Freizeitbeschäftigung nimmt
damit den vierten Platz hinter den sozialen Kontakten, dem Fernsehen und dem Sport
ein.
26
Nach der ARD/ZDF-Online-Studie 2005
27
sind es sogar 95,7 % der
25
Deutsche Shell [Hrsg.]: 50 Jahre Shell Jugendstudie, S. 67.
26
vgl. Deutsche Shell [Hrsg.]: Jugend 2002, S. 78.
27
vgl. ARD/ZDF-Online-Studie 2005, S. 364.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
13
Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren, die gelegentlich das Internet nutzen. Damit
ist die Nutzung des Internets bei den Jugendlichen am weitesten verbreitet (zum Ver-
gleich Nutzungsanteil in der Gesamtbevölkerung: 57,9 %). Auch laut der JIM-Studie
nimmt der Computer für Jugendliche eine Stellung direkt hinter Freunden, Musik, Be-
ruf und Sport ein.
Abbildung 1: Interessengebiete von Jugendlichen (Angaben in Prozent)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
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Mädchen
Jungen
Jungen beschäftigen sich deutlich mehr mit dem Computer. Im Vergleich zu Mädchen
liegt ihr Nutzungsanteil bei den Computerspielen um 37 %, bei den generellen
PC-Beschäftigungen um 26 % und bei der Internetnutzung um 9 % höher. Wenn ande-
re Freizeitaktivitäten auch höher eingeschätzt werden, so spielen der Computer und
seine virtuellen Möglichkeiten heute doch eine wichtige Rolle im Leben der Jugendli-
chen. Auf die Frage der JIM-Studie, auf welches Medium sie am wenigsten verzichten
könnten, gaben 32 % der befragten Jungen den Computer an. Den Mädchen war mit
31 % der Fernseher am wichtigsten, nur 13 % wollten nicht auf den PC verzichten.
28
28
vgl. JIM-Studie 2005, S. 18.
Die Freizeitinteressen von 14- bis 19-Jährigen
Quelle: JIM-Studie S. 22-24.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
14
3.3.2 Soziale Unterschiede in der Nutzung
Heute gehört der Computer fast schon wie der Fernseher zum Alltag. Dies belegen die
Ergebnisse der JIM-Studie bezüglich der Haushaltsausstattung mit Mediengeräten:
100 % der befragten Haushalte hatten einen Fernseher und 98 % einen Computer,
Durchschnittlich sind sogar 2,1 PCs in den Haushalten vorhanden. Die Studien belegen
allerdings deutliche Geschlechts- und Bildungsunterschiede bei der Nutzung, wie auch
schon im vorangegangenen Abschnitt angesprochen. Das technische Medium wird
stärker von den Jungen genutzt. Die Zahl der männlichen Jugendlichen, die einen Zu-
gang zum Internet haben, weicht nur um 6 % von der der Mädchen ab. Mädchen haben
immerhin zu 62 % die Möglichkeit der Online-Nutzung. Aber in der Wochenstunden-
nutzung sind die Jungen fast doppelt so lange online: 8,8 % gegenüber 4,8 % bei den
Mädchen. Das Nutzerverhalten der Jugendlichen in Abhängigkeit von der Schulform
weist große Unterschiede in den Zugangsvoraussetzungen auf:
Abbildung 2: Nutzerverhalten der Jugendlichen in Abhängigkeit von der Schulform
Schulformen/
Lebensformen
Zugang zum Internet
%
Durchschnittliche Nutzung pro
Woche in Stunden
Hauptschüler
Realschüler
Gymnasiasten
Studierende
Auszubildende
Erwerbstätige
Nichterwerbstätige
Arbeitslose
42
62
76
95
60
60
60
29
5,4
6,1
6,4
8,6
7,1
7,4
5,2
8,9
Quelle: Deutsche Shell [Hrsg.]: Jugend 2002, 14. Shell Jugendstudie, S.83.
Die Arbeitslosen sind die mit den wenigsten Zugangsmöglichkeiten. Besitzen sie al-
lerdings die Zugangsmöglichkeiten und das -interesse, so nutzen sie das Internet am
längsten. Die Gymnasiasten und Studenten sind die Gruppe der jungen Menschen mit
den besten Zugangsmöglichkeiten.
29
29
vgl. Deutsche Shell [Hrsg.]: Jugend 2002, S. 83.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
15
Auch die Studie des Statistischen Bundesamtes zu Informations-Technologie in Unter-
nehmen und Haushalten 2005
belegt, dass das Nutzungsverhalten von Schulabschlüs-
sen und wirtschaftlichen Verhältnissen abhängt. Von den Haushalten mit einem mo-
natlichen Nettoeinkommen unter 1.300 haben nur 46 % einen eigenen Computer,
während 93 % der Haushalte mit einem Einkommen über 3.600 über einen PC ver-
fügen.
30
So belegen Fromme, Meder & Vollmer, dass es auch Unterschiede bei der Hardware-
nutzung der Bildschirmspiele gibt. Nach ihren Ergebnissen spielen Hauptschüler vor-
zugsweise auf den einfacher zu handhabenden und in der Anschaffung günstigeren
Konsolen.
31
3.3.3 Technische Möglichkeiten des Computers und des World Wide Web
,,Medien fallen nicht wie Sternschnuppen vom
Himmel, sie werden geboren, wachsen auf, ent-
wickeln sich und werden erwachsen."
32
Da es heute viele unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten des Computers gibt vom
Chatten bis zum Online-Spielen, gibt es unterschiedliche Nutzertypen. Zum besseren
Verständnis soll die folgende kurze Darstellung der verschiedenen Nutzungsmöglich-
keiten dienen. Sherry Turkle beschreibt sehr ausführlich die Auswirkungen der Ent-
wicklungswege von den ersten Rechenmaschinen bis zum heutigen ,,Fensterleben"
33
der Computer. Während die ersten Arbeitsmaschinen Ende der 70er Jahre mit klaren
Anweisungen ihre Arbeit ausführten, erscheint die Nutzung des Computers heute eher
als Interaktion. Auch von Mensch-Maschine-Kommunikation ist die Rede.
Die ersten Computernutzer lernten schnell, ihr neues Werkzeug über die Programmier-
sprache zu verstehen beziehungsweise zu beherrschen. Die Rechenmaschine war trivi-
al. Sie führte auf klare Anordnung die erhaltenen Befehle aus. Das heute weit verbrei-
tete Betriebssystem Windows beispielsweise ermöglicht es, zwischen verschiedenen
30
vgl. Statistische Bundesamt (2006): Informations-Technologie in Unternehmen und Haushalten 2005, S. 46.
31
vgl. Fromme, Meder, & Vollmer (2000): Computerspiele in der Kinderkultur, S. 38 ff.
32
vgl. Bünger (2005): Narrative Computerspiele, S. 13.
33
Das Computerprogramm Windows (deutsch Fenster) ermöglicht, das öffnen mehrere Arbeitsprogramme neben-
einander. In den Bildschirmfenstern kann in einem Schreibprogramm gearbeitet werden und in Fenster daneben
gechattet oder Musik gehört werden.

Die Bedeutung von virtuellen Welten bei der Identitätsentwicklung von Jugendlichen
16
Anwendungen hin und her zu springen (sog. ,,Multitasking"). So entsteht zum Beispiel
beim Schreiben eines Textes das Gefühl, aktiv mit dem Computer zu agieren, Textzei-
len werden verschoben, ausgeschnitten und wieder neu eingefügt. Die Arbeit am
Computer ist lebendig. Vor uns steht nicht mehr die bloße Ausführungsmaschine. Der
Computer gibt vielmehr Tipps bei der Gestaltung, zum Beispiel bei der Nutzung von
Dokumentengestaltungsvorlagen.
34
Weitere Hilfsmöglichkeiten bietet uns das Internet.
Schnell lässt sich hier nach passenden Grafiken suchen oder es lassen sich Nachfor-
schungen über den inhaltlichen Teil eines Aufsatzes anstellen. Unsere Welt scheint aus
dem Kinder-, Wohn- oder Arbeitszimmer erreichbar. So können wir Satellitenbilder
unseres Wohngebietes abrufen oder durch die vor Ort aufgestellte Webcam das Wetter
des Urlaubsortes schon vor Reisebeginn beobachten. Eine weitere virtuelle Möglich-
keit stellen die teilweise anonymen und pseudoanonymen Kontakte dar. Über asyn-
chrone Kontaktformen wie Foren, E-Mails, Mailinglisten lassen sich Kontakte herstel-
len und es bleibt Zeit zur eigenen gedanklichen Überlegung, bevor eine Antwort oder
ein weiterer Kommentar abgegeben wird. Direkte, synchrone
35
Kommunikation im
Chat und im Online-Spiel lässt eine Echtzeitkommunikation entstehen, in der es auf
die Fähigkeit des schnellen Denkens und Tippens ankommt. Hier entstehen über All-
tagskontakte hinaus schriftliche Kontakte mit Menschen in anderen Städten, Bundes-
ländern und sogar weltweit.
Virtuelle Datenhandschuhe und -helme, von denen im folgenden Kapitel die Rede ist,
gehören heute noch nicht zu den Alltagswerkzeugen der jungen Computernutzer. Inte-
ressant ist, dass auch die heute bereits erschwinglichen Webcams noch nicht zu den
Alltagsnutzungsgeräten gehören. Die Faszination scheint eher in der anonymen Inter-
aktion zu liegen.
Waren die ersten Computerspiele noch zweidimensional und damit matt auf die Bild-
schirmscheibe projiziert, laufen die heutigen Spielhelden nahezu ausschließlich durch
dreidimensionale Welten, die dem Spieler ein tiefes Eintauchen in die virtuelle Welt
ermöglichen.
34
vgl. Turkle (1999): Leben im Netz, S. 28 ff.
35
vgl. Busch & Heim (2002): Schöne neue Cyberwelt? Psychosozial, S. 29.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836617093
DOI
10.3239/9783836617093
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Hochschule NRW; ehem. Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Aachen – Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2008 (August)
Note
1,7
Schlagworte
pädagogik internet räume computerspiele medien
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Titel: 'Im Computerspiel bin ich der Held'
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