Obszöne Lust oder etablierte Unterhaltung?
Zur Rezeption pornografischer Filme
Zusammenfassung
Pornografie ist nicht konstruiert wie sexuelle Wirklichkeit. Das ist das Letzte, was sie abbilden will: sexuelle Realität, das, was sich tatsächlich abspielt. Kein Mensch würde das kaufen. Vielmehr ist sie konstruiert wie sexuelle Phantasien und Tagträume, so unwirklich, so größenwahnsinnig, so märchenhaft, so unlogisch und auch so stereotyp.
Vor 30 Jahren hatte Pornografie, insbesondere der pornografische Film, gesellschaftspolitisch weniger wie von Gunter Schmidt in Henner Ertels Studie EROTIKA UND PORNOGRAPHIE behauptet den Anstrich des Märchenhaften als vielmehr des Realen. Jedenfalls für Pornografiegegner. Pornografische Filme seien die sexuelle Realität, so die These: Sie zeigten ihre Wirkungsweisen auf den Zuschauer direkt vom Gesehenen zum Gelebten. Die damaligen Diskurse ließen kaum Platz für nuanciertere Stellungnahmen oder wissenschaftlich fundierte Untersuchungen. Die in den 1970er Jahren von Alice Schwarzer und Andrea Dworkin angestoßene PorNO-Debatte zeichnete ein schlichtes Bild des Pornonutzers: Der Zuschauer war der Mann, die Wirkung war die Lust an der Macht über die Frau. Die Rolle der Frau bestand in der Lustbefriedigung des Mannes, der pornografische Film war Ausbeutung des weiblichen Geschlechts per se. Feministinnen und Konservative fanden in Eintracht zusammen unter dem Motto PorNO Sag Nein zu Pornografie. Wie stellt sich die Situation heute dar? Sind Pornofilme im Post-PorNO-Diskurs inzwischen akzeptierten Medienrealität innerhalb der Populärkultur oder gesellschaftlich verwerflich?
Diskurse sind jedenfalls nicht in der Mottenkiste der Medienhistorie verschwunden. Nach drei Jahrzehnten relativer Ruhe gewinnt das Thema wieder an Reiz für die Öffentlichkeit. Es ist ein erstarkendes Interesse festzustellen wie z.B. die von der EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Diana Diamantopoulou, angestoßene Anregung, sexistische Darstellungen von Frauen in Werbung, Zeitungen und Fernsehen gesetzlich zu verbieten. Dies brachte ihr heftige Proteste der Medienbranche und Politik ein. Nach vehementer Kritik zog sich die Politikerin auf eine gemäßigte Form zurück. Die Diskussion hierüber ist noch nicht abgeschlossen. Nach den 1970er und 1980er Jahren aktiviert Alice Schwarzer gegenwärtig zum dritten Mal die PorNO-Kampagne über die Zeitschrift EMMA, deren Herausgeberin sie ist. Auch durch die Crossover-Filme Unterhaltungsfilme mit pornografischen Elementen , die in den letzten Jahren […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
„Pornografie ist nicht konstruiert wie sexuelle Wirklichkeit. Das ist das Letzte, was sie abbilden will: sexuelle Realität, das, was sich tatsächlich abspielt. Kein Mensch würde das kaufen. Vielmehr ist sie konstruiert wie sexuelle Phantasien und Tagträume, so unwirklich, so größenwahnsinnig, so märchenhaft, so unlogisch und auch so stereotyp.“ (Ertel, 1990, S.86)
Vor 30 Jahren hatte Pornografie, insbesondere der pornografische Film, gesellschaftspolitisch weniger wie von Gunter Schmidt in Henner Ertels Studie Erotika und Pornographie behauptet den Anstrich des „Märchenhaften“ als vielmehr des Realen. Jedenfalls für Pornografiegegner. Pornografische Filme seien die sexuelle Realität, so die These: Sie zeigten ihre Wirkungsweisen auf den Zuschauer direkt vom Gesehenen zum Gelebten. Die damaligen Diskurse ließen kaum Platz für nuanciertere Stellungnahmen oder wissenschaftlich fundierte Untersuchungen. Die in den 1970er Jahren von Alice Schwarzer und Andrea Dworkin angestoßene PorNO-Debatte zeichnete ein schlichtes Bild des Pornonutzers: Der Zuschauer war der Mann, die Wirkung war die Lust an der Macht über die Frau. Die Rolle der Frau bestand in der Lustbefriedigung des Mannes, der pornografische Film war Ausbeutung des weiblichen Geschlechts per se. Feministinnen und Konservative fanden in Eintracht zusammen unter dem Motto PorNO – Sag Nein zu Pornografie. Wie stellt sich die Situation heute dar? Sind Pornofilme im Post-PorNO-Diskurs inzwischen akzeptierten Medienrealität innerhalb der Populärkultur oder gesellschaftlich verwerflich?
Diskurse sind jedenfalls nicht in der „Mottenkiste“ der Medienhistorie verschwunden. Nach drei Jahrzehnten relativer Ruhe gewinnt das Thema wieder an Reiz für die Öffentlichkeit. Es ist ein erstarkendes Interesse festzustellen wie z.B. die von der EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Diana Diamantopoulou, angestoßene Anregung, sexistische Darstellungen von Frauen in Werbung, Zeitungen und Fernsehen gesetzlich zu verbieten. Dies brachte ihr heftige Proteste der Medienbranche und Politik ein. Nach vehementer Kritik zog sich die Politikerin auf eine gemäßigte Form zurück. Die Diskussion hierüber ist noch nicht abgeschlossen (www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,254860,00.html). Nach den 1970er und 1980er Jahren aktiviert Alice Schwarzer gegenwärtig zum dritten Mal die PorNO-Kampagne über die Zeitschrift Emma, deren Herausgeberin sie ist (www.emma.de/
Dossier_por_no_5_2007.html). Auch durch die Crossover-Filme – Unterhaltungsfilme mit pornografischen Elementen –, die in den letzten Jahren erschienenen Lektüren, die sich mehr oder minder pornografischer Sprache bedienen, um Pornografie abzubilden wie Der Tanz um die Lust (Ariadne von Schirach), Die Berliner Orgie (Thomas Brussig), Hure (Nelly Arcan), Das sexuelle Leben der Catherine M. (Catherine Millet), die Kino-Produktion „Destricted“ als Auftakt zur KunstFilmBiennale im Filmforum des renommierten Museums Ludwig, indem internationale Kunststars Episoden von Pornografie zeigen (www.kunstfilmbiennale.de/web/de/startseite/54.html) sowie durch Erotik-Messen allerorten ist deshalb eine Fragestellung nach der medialen Akzeptanz der Rezipienten aktueller denn je. Aber wer sind sie, die Rezipienten pornografischer Filme und welche möglicherweise vielfältigen Wirkungsweisen zeigt das Genre heute auf die Zuschauer? Im Zuge dieser Fragestellung wird ebenfalls zu klären sein, ob die Debatte, die sich das erste Mal in den 1970er Jahre um Pornografie entzündete, heute noch im Bewussten oder Unbewussten der Rezipienten verankert ist und dort Wirkung auf ihr Konsumverhalten in Bezug auf Medien, hier insbesondere der DVD-Nutzung, zeigt. Oder ist es nicht vielmehr so, dass die PorNO-Debatte anachronistisch anmutet, ein in die Jahre gekommener Diskurs, weil die Rezeption pornografischer Filme zu Beginn des 21. Jahrhunderts längst akzeptierte Medienrealität geworden ist, die keinerlei öffentlicher Auseinandersetzung mehr bedarf, da sie längst zum alltäglichen Unterhaltungsfaktor wie Thriller, Science-Fiction oder Humor gehört? Wolfram Körner erklärt in seinem Buch Erotisches im Alltag: „Im Fernsehen und in Zeitschriften gehören nun Beiträge zu sexuellen Problemen und zur Erotik zum üblichen Programm.“ (Körner, 1998, S. 14, 15). Ariadne von Schirach geht davon aus, dass alles Pornografie sei (von Schirach, 2007, S. 12, 15, 17). Diese Thesen werden im Zuge der Analyse zur Rezeption pornografischer Filme einer kritischen Betrachtung zu unterziehen sein. Grundlage der Arbeit ist die Frage, welche Lesarten, Vergnügen und Rollenverständnisse Rezipienten heute hinsichtlich pornografischer Filme zeigen und ob bzw. in welcher Form sich Änderungen, aber eben auch gleich gebliebene Tendenzen zu den vorangegangenen Jahrzehnten ergeben. Die Basis des Vergleichs schaffen dazu die Debatten der 1970er Jahre und die Studie Erotika und Pornographie von Henner Ertel.
Um eine adäquate Arbeitsbasis für die Analyse zu schaffen, wird der Begriff des pornografischen Films zunächst definiert sowie juristisch eingeordnet (Kapitel 2). Darüber hinaus wird die historische Entwicklung des pornografischen Films mit seiner Bedeutung für die jeweiligen Jahrzehnte bis heute verfolgt. Die theoretische Grundlage der Analyse bilden die Cultural Studies. Die Wahl fiel auf die Cultural Studies, weil sie nicht den Blick auf einzelne Forschungselemente der Kommunikationswissenschaft richten, sondern kontextuelle Bezüge zwischen etwa Kommunikator (Produzent) und Rezipient (Konsument) herstellen (Kapitel 3). Das Forschungsinteresse besteht aus der Ermittlung des Vergnügens, dem Wissen um (historische) Diskurse und dem Rollenverständnis eines Rezipienten, welche in Kapitel 4 als Fragestellungen konkretisiert werden. Anhand des ausgewählten Films wird eine qualitative Untersuchung mit fokussierten Leitfadeninterviews von vier Frauen und vier Männern durchgeführt: Kapitel 5 legt die Methodik der Arbeit dar. Kapitel 6 analysiert die acht Interviews. Die Zusammenführung und Rekapitulation der Fragestellung und das Ergebnis der Rezipienten-Analysen sind dem Fazit in Kapitel 7 zu entnehmen. Die vollständigen Interviews sind dieser Arbeit als gesonderter Anhang beigefügt. Diskurse und Diskussionen, nicht zuletzt die PorNO-Debatte, zogen Auseinandersetzungen nach sich, die sich in unzähligen schriftlichen Quellen niederschlugen. Diese bedürfen naturgemäß einer Einschränkung. In der vorliegenden Arbeit sind die diskursiv einflussreichsten sowie die spärlich gesäten wissenschaftlich-fundierten Analysen genannt und werden entsprechend des Themas bearbeitet. Eine qualitative Arbeit gerade auf Grundlage der Cultural Studies liefert Hinweise auf die Bedeutungszusammenhänge der Rezipienten und Tendenzen hinsichtlich pornografischer Filme heute, in deren Verlauf sich weitere Fragestellungen für zukünftige Analysen ergeben. Diese zukünftigen Analysen werden sich neuen Gegebenheiten anpassen müssen, da die vorliegende Arbeit lediglich aktuelle Bezüge und Ergebnisse liefern kann.
Zur besseren Lesbarkeit ist auf eine weibliche Form wie z.B. „Darstellerinnen und Darsteller“ oder „DarstellerInnen“ verzichtet worden, gleichwohl sind jeweils Frauen und Männer gemeint. An dezidierten Stellen, die eine Unterscheidung nötig machen, werden sie allerdings entsprechend gekennzeichnet.
2. Pornografie: Definition, Hintergründe, Recht, Darstellungsformen
Den Begriff „Pornografie“ endgültig bestimmen zu wollen, ist im klassischen Sinne eine Sisyphusarbeit: Kaum scheint eine Begriffsbestimmung sicher oder zumindest greifbar, ist sie überholt. Daraus ergibt sich eine unüberschaubare Menge an Definitionen wie es Meinungen zur Sache an sich gibt. Alle Definitionen sind geprägt durch den historischen Kontext, in dem sie entstehen, ihren gesellschaftlichen Wertewandel und – was insbesondere durch die Ende der 1970er Jahre angestoßene PorNO-Debatte wichtig ist – den kulturellen Background, in dem sie stehen.[1] Um eine Basis für die Arbeit zu schaffen, soll eine griffige Definition gefunden werden. Da die Veranschaulichung sämtlicher Definitionen den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde, sind einige Begriffsbestimmungen exemplarisch herausgegriffen worden. Sie zeigen die Bandbreite der Definitionsmöglichkeiten und gleichzeitig die Interpretationsvielfalt der verschiedenen Meinungsbilder und -lager zur Pornografie.
2.1 Etymologischer Ursprung und Definition
Etymologisch stammt „Pornografie“ aus dem Griechischen und setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: „Porne“ heißt übersetzt „Hure“ und „graphein“ steht für „schreiben“ bzw. „Beschreibung“. Sinngemäß übersetzt heißt Pornografie demnach „über Huren schreiben“ oder auch „Hurenbeschreibung“ (Bremme, 1990, S. 5; Thiele-Dormann, 1997, S. 31). Seit der Antike gibt es eine „umfangreiche Literatur über die Spenderin der käuflichen Liebe“ (Lewinsohn, 1966, S.54). Einige gelangten damals zu einem außergewöhnlichen und weitreichenden Ruf (Eckert, 1990, S. 97), denn Liebesdienerinnen hatten in der griechischen Geschichte, in der Philosophie, in religiösen Handlungen und im sozialen Leben eine maßgebliche Bedeutung (Gehrke, 1988, S. 7). Schon bei der etymologischen Klärung des Begriffs beginnt die Kontroverse: Während Andrea Dworkin davon ausgeht, dass die Gesellschaft im alten Griechenland mit „Porne“ die niederste Kaste der Prostituierten stigmatisierte und darin eine Herabwürdigung der Frau als Sexualobjekt und Ware abzulesen sei, die sich in der heutigen Pornografie manifestiere (Dworkin, 1988, S 240-241), nimmt Claudia Gehrke an, mit „Porne“ seien alle „Liebesdienerinnen und Liebesdiener“ tituliert, also nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die Tempelbesuchern erotische Lust verschafften. Pornografie sei, so Gehrke, eine literarische Unterweisungen in der Kunst der Liebe gewesen (Gehrke, 1988, S. 7, 8).
So stark wie sich die etymologischen Interpretationsansätze voneinander unterscheiden, so stark differieren auch die Interpretationen des Begriffs. Dworkin legt Pornografie als ein Machtsystem aus:
„ [Das Wort Pornografie] bedeutet die schriftliche und bildliche Darstellung von Frauen als wertlose Hure. [...] Huren sind dazu da, den Männern sexuelle Dienstleistungen zu erbringen. Huren kann es nur im Rahmen männlicher sexueller Herrschaft geben. [...] Die Frau als Hure existiert innerhalb des objektiven und realen Systems männlicher sexueller Herrschaft. Die Pornografie selbst ist für das männliche Sexualsystem objektiv, real, zentral. Die Bewertung der weiblichen Sexualität in der Pornografie ist objektiv und real, weil Frauen so gesehen und so bewertet werden.“ (Dworkin, 1988, S. 241)
Die Verquickung des Begriffs „Pornografie“ mit dem negativ besetzten Begriff „Hure“ negiert von vornherein eine sachlichere Beurteilung der Pornografie. Unterfüttert wird Dworkins Standpunkt mit der Generalisierung, Pornografie sei für Männer „objektiv, real, zentral“. Statistische Zahlenwerte bzw. Belege fehlen, die diese These zur männlichen Sexualität bestätigen. Ein Rückschluss Dworkins ist, dass „die Vorbedingungen für Pornografie Herrschaft und Gewalt“ voraussetzen (Dworkin, 1988, S. 14).
In eine ähnliche Richtung zielt Alice Schwarzers Definition:
„Pornografie macht die Frauen und die Sexualität kaputt. [...] Sie macht den Geschlechterkampf zum Geschlechterkrieg. Pornografie ist Kriegspropaganda gegen Frauen.“ (Schwarzer, 1994, S.38)
Dworkin und Schwarzer, die sich gegen Pornografie bzw. jede öffentliche Darstellung von Sexualität zwischen Frau und Mann aussprechen, setzen sie gleich mit Gewalt, ungleicher Machtverteilung, Dominanz (des Mannes) und Unterwerfung (der Frau). Solche definitorischen Ansätze mögen argumentative Hilfestellungen in Diskussionen gegen tatsächlich gewalthaltige[2] Pornografie sein, sie dienen jedoch keinesfalls der wissenschaftlichen Begriffsbestimmung. Zum einen wird von einer linearen Verbindung zwischen fiktionaler Darstellung und realem Verhalten geschlossen (Faulstich, 1994, S. 11) – Pornografie als Anleitung zur erzwungenen Sexualität. Was hieße, dass eine Differenzierung zwischen Realität und Fiktion von Rezipienten nicht leistbar ist. Demgegenüber steht Ertels quantitative Untersuchung Erotika und Pornographie: Rezipienten beziehen ihre (Schau-) Lust gerade aus dem Wissen darum, dass Pornofilme eine sexuelle Scheinwelt zeigen (Ertel 1991, S. 92, 475). Er konnte keinen Zusammenhang zwischen Pornokonsum und einer direkten Auswirkung auf ein real-brutales Sexualverhalten feststellen (Ertel, 1990, S. 475). Ein solches Verhalten lässt sich lediglich bei Personen mit geringer Empathie feststellen. Die Wirkung von pornografischen Filmen hängt jeweils eng mit der Persönlichkeit des Rezipienten zusammen (Fröhlich, 1993, S. 152). Es gilt: Individuelle Dispositionen entscheiden über Konsequenzen im eigenen Verhalten. Oder, wie es Selg in seiner Pornographie-Studie formuliert: „Es gibt nicht die Erotika, nicht die Wirkung“ (Selg, 1986, S. 145).
Zum anderen legen diese Definitionen durch ihre einseitige Betrachtungsweise eine Tabuisierung der Lust am Rezipierten fest. Sie negieren die Möglichkeit, Sexualität außerhalb eines festgelegten Reglements darzustellen. Oftmals wird in diesem Zusammenhang der Begriff der „Erotik“ gebraucht, der Frauensexualität symbolisiert und die „gute“ Seite der Sexualität repräsentiert. Pornografie hingegen ist abzulehnende Männersexualität (Dworkin, 1988, S. 14). Dass eine solche Unterscheidung einer empirischen Grundlage entbehrt, zeigt wiederum Ertels Untersuchung: Zwar konsumieren Frauen primär auf Wunsch des männlichen Partners Pornofilme, während Männer auf Eigeninitiative hin pornografische Filme sehen – die sexuelle Erregung von Frauen und Männern ist gleichwohl nahezu identisch (Ertel, 1990, S. 77, 118). Hier gilt: „Individuelle Unterschiede sind größer als geschlechtsspezifische!“ (Ertel, 1990, S. 475). Ertel führt den Kontrast zwischen Erregung und fehlender Konsumneigung bei Frauen u.a. zurück auf die voneinander abweichende gesellschaftliche Akzeptanz hinsichtlich einer von Frauen selbst initiierten Rezeption von Pornofilmen, d.h. ein „wieder aufkeimender moralischer Fundamentalismus“ toleriert sehr wohl den aktiven Gebrauch bei Männern, jedoch nicht den bei Frauen (Ertel, 1990, S. 77). Weiterhin räumt Ertel ein, dass die derzeitige Pornografie auf eine männliche Phantasie zugeschnitten ist (Ertel, 1990, S. 77). Trotzdem wünschen sich Frauen zwar eine andere, keinesfalls dagegen entschärfte Pornofilm-Variante (Ertel, 1990, S. 475). Mit Blick auf die Definition verschiedener Lexika lässt sich feststellen, dass wie bei der feministischen Begriffserläuterung hier ebenfalls die Konnotation auf eine negative Prägung des Begriffs gelegt wird und zudem sehr unpräzise bleibt:
„ pornografisch die geschlechtl. Begierde mit primitiven Mitteln anreizend“ (Bertelsmann, 1996, S. 745)
„ Pornografie Darstellung der Sexualität, die die moralischen Vorstellungen der Gesellschaft verletzt“ (Encarta, 2006, Wörterbuch)
Was ist in diesem Zusammenhang unter „primitiv“ oder „moralischen Vorstellungen“ zu verstehen? Zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaftsform, können diese Termini variieren. Konkreter: Was dem einen das unbedeckte Gesicht ist oder ein Kuss, ist dem anderen die explizite Darstellung eines erigierten Penis’ oder des Geschlechtsaktes. Unter Ausklammerung jeder weiteren lexikalen Erklärung bleibt eine dehnbare Variante übrig: Pornografie ist alles und gleichzeitig nichts. Den feministischen und lexikalen Definitionen ist gemein, dass sie den Schwerpunkt auf die negative Prägung hin betrachten. Sie greifen damit insofern zu kurz, als dass es die Existenz von Pornografie – oder einen Ausdruck davon – zu jeder Zeit gegeben hat[3] und es demnach ein (ur-)menschliches Bedürfnis nach etwas wie „Pornografie“ zu geben scheint. Positive Aspekte wie Freude, Lust, Stimulation bleiben bei diesen Definitionen gänzlich unberücksichtigt. Darüber hinaus bieten die lexikalen (und feministischen) Erklärungen keine Differenzierung zwischen den einzelnen Medien pornografischen Inhalts an. Die Ausklammerung der damit einhergehenden unterschiedlichen Ausdrucksformen, Nutzungen sowie Wirkungsweisen von Pornografie führt zu einer Verkürzung und würde bei der Wahl, dies als Grundlage für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zu nutzen, Ergebnisse verfälschen. Auch der Gesetzgeber liefert keine klare Definition zur Pornografie. Der Bundesgerichtshof beschreibt Pornografie folgendermaßen:
„ Als pornografisch ist eine Darstellung anzusehen, wenn sie unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse des Betrachters an sexuellen Dingen abzielt. “ (BGH St 23,44; 37,55)
Bei der Definition zu pornografischen Medien entlehnt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien[4] ihre Definition stark der des Bundesgerichtshofes und lässt es ebenfalls an einer Greifbarkeit fehlen:
„Ein Medium ist pornografisch, wenn es unter Hintansetzen aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und wenn seine objektive Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf Aufreizung des Sexualtriebs abzielt. (www.bpjs.bmfstj.de)
Die juristische Umschreibung bleibt unklar und eng mit der Haltung Pornografie als negative Ausdrucksform verwoben, denn wo genau fängt das „lüsterne Interesse eines Betrachters“ an und ab wann sind sexuelle Vorgänge „grob aufdringlich“ oder „anreißerisch“? Ist von juristischer Seite eine weitergehende Definition überhaupt möglich bzw. nötig? Herbert Selg verneint diese Frage mit der Begründung, dass jedes Gesetz vergleichbare definitorische Schwierigkeiten hat, „ohne dass dadurch Handlungsunfähigkeit eintritt“. Selg legt die „Unschärfe der Gesetze“ als Potential zur Entwicklung und für Entscheidungsspielräume aus (Selg, 1986, S. 23, 146), wenngleich durch einen großzügigen Spielraum die Möglichkeit steigt, Entscheidungen auf Grundlage individuellen Ermessens zu fällen. Bremmes Ansicht nach lässt sich eine genaue Definition schwer finden, weil der Pornografiebegriff dem historischen Kontext, dem sexualpolitischen Standpunkt und den damit verbundenen jeweiligen Interessen unterworfen ist (Bremme, 1990, S. 5). Es ist der sich ändernde soziale Kontext einer Gesellschaft, der die Definition mehr oder minder festlegt und neu erklärt. Die vorangegangenen Begriffsbestimmungen sind zu vage, als dass sie eine praktikable Definition für diese Arbeit liefern können. Eine erste, etwas differenzierte Definition zum pornografischen Film liefert Donata Koch-Haag. Sie beschreibt den pornografischen Film als
„Filmgenre, in dem inhaltliche und formale Gestaltung in erster Linie auf die visuelle und auch akustische Darstellung nackter menschlicher Körper und expliziter sexueller Handlungen hin angelegt sind. [...] Im P.F. regiert das Prinzip der maximalen Sichtbarkeit.“ (Rother, 1997, S.234-235)
Eine Definition, die in eine ähnliche Richtung weist, ist bei Werner Faulstich zu finden. Pornografie versteht er als „1.explizit detailliert, 2. fiktional wirklich, 3. szenisch narrativ“ (Faulstich, 1994, S. 20). Faulstich unterscheidet – und geht mit Koch-Haag konform – die Pornografie von der erotischen Darstellung. Letztere deutet sexuelle Handlungen an, während Pornografie „ explizit detailliert “ ist (Faulstich, 1994, S. 10). Pornografische Filme kommen ohne eine weitere Spannungsentwicklung „direkt zur Sache“, die Figuren weisen wenige bis keine individuellen Merkmale auf, sondern sind auf ihre Geschlechtlichkeit reduziert. Die Räumlichkeit ist genauso wie ihre formale Story reduziert. Sowohl Setting als auch Handlung fungieren als lose Verbindung zwischen den sexuellen Praktiken (Faulstich, 1994, S. 206-207). Alle „Rahmenbedingungen“ zielen auf den sexuellen Akt. Unter „ fiktional wirklich “ versteht Faulstich die im Pornofilm nicht gespielte, sondern tatsächlich stattfindende und gezeigte Sexualität (Faulstich, 1994, S. 16), die dennoch, da sie in einem Medium inszeniert wird, imaginär bleibt. Pornografie bzw. der pornografische Film zeigt wirkliche Sexualität, die allerdings inszeniert ist und somit nicht die Wirklichkeit repräsentiert. Im dritten Punkt „ szenisch narrativ “ führt er aus, pornografische Filme bedienen sich, genauso wie andere Filmgattungen, genrespezifischer Konventionen, die von der (sexuellen) Phantasie des Rezipienten zu einem szenisch-dramatischen Skript zusammengefügt werden. Zu den genrespezifischen Konventionen gehören etwa die von primär sexuellen Interessen motivierten Figuren und die episodisch strukturierten Handlungen, die in einer imaginären Welt angesiedelt sind.
Die ästhetische Gestaltung bewegt sich in den jeweiligen medienspezifischen stereotypen Bauformen, z.B. im Film durch Nahaufnahmen. Die visuelle „Zerlegung“ des Körpers in (geschlechtliche) Einzelteile lässt keine Gesamtheit erkennen. (Faulstich, 1994, S. 18).
Faulstich bietet zwei weitere definitorische Aspekte an: die Ästhetik des Häßlichen (Faulstich, 1994, S. 208-209) und den Diskurs der Wollust (Faulstich, 1994, S. 209-210). Mit der „Ästhetik des Häßlichen“ bezeichnet Faulstich die Art der Darstellung, etwa die Ausreizung des Klischeehaften, in der das Triebhafte den Geist obsiegt. Er beschreibt die Schauspieler als abstoßend hässlich und die Beleuchtung als handwerklich schlecht gemacht (Faulstich, 1994, S. 208-209). Mit dem „Diskurs der Wollust“ bezeichnet Faulstich das Stöhnen besonders der weiblichen Akteure, die so ihrer Wollust Ausdruck verleihen. Faulstich geht davon aus, dass dieses Kennzeichen weiblicher Lust ein zentraler Mechanismus der Pornografie und Rezipientensteuerung ist und zwar insofern, dass sie dem Mann die Bestätigung gibt, die Frau zum Orgasmus zu bringen und bei der Frau die Gewissheit, dass Sex grenzenlose Befriedigung zu vermitteln vermag (Faulstich, 1994, S. 209-210). Beide Aspekte seien der Vollständigkeit halber genannt, werden aber keine Relevanz für die Definition der vorliegenden Arbeit haben. Da der Pornomarkt seit Erscheinen des Buches eine Entwicklung durchlaufen hat, sind zum gegenwärtigen Stand die beiden letztgenannten Punkte nicht mehr anwendbar. Zum einen liefern heutige Pornofilme, insbesondere für Frauen, markante Gegenbeispiele. Zum anderen muss bewiesen werden, ob das Stöhnen der Darstellerinnen tatsächlich eine Rezipientensteuerung beinhaltet. Auch wenn Faulstichs Definition dem Wertewandel unterworfen ist, ist seine Begriffserklärung für diese Arbeit am griffigsten, weil sie sich am differenziertesten zeigt. Er erklärt umfassend die Besonderheiten des Pornofilms. Faulstichs Definition kann, wie andere Begriffsbestimmungen auch, nur in einem begrenzten zeitlichen Rahmen Gültigkeit beanspruchen, nämlich genau solange, wie o.g. Begriffe einen gesellschaftlichen Konsens haben, so dass die Definition möglicherweise im Verlauf der nächsten Jahre dem dann aktuellen Stand wieder angepasst werden muss, so wie für diese Arbeit die Punkte „Ästhetik des Häßlichen“ und „Diskurs der Wollust“ von aktuellen Entwicklungen überholt sind. Für den heutigen Stand und die vorliegende Analyse als Arbeitsgrundlage dient die folgende Definition:
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Dem Genre „pornografischer Film“ werden solche Filme zugeordnet, deren sexuelle Handlungen explizit detailliert, fiktional wirklich und szenisch narrativ dargestellt sind.
Alle drei Aspekte müssen in einem Film zusammentreffen, um als pornografischer Film zu gelten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um Erotik bzw. erotische Darstellungen und Pornografie bzw. pornografische Darstellung deutlich voneinander abzugrenzen, bedarf es einer letzten Klärung. Laut Schischkoffs philosophischem Wörterbuch ist die Erotik „die Geschlechtsliebe, die vor allem der Entspannung dient.“ (Schischkoff, 1991, S.182). Brosius geht davon aus, dass Erotik mit „besonders gefühlsbetonten Darstellungen assoziiert“ wird (Brosius, 1993, S. 139). Genaueres ist bei Seeßlen zum erotischen Film nachzulesen:
„ [...] ganz anders als der pornografische Film ist der erotische Film weder ein Ventil für noch ein Protest gegen den Druck der Moral, sondern Ausdruck dieser Moral selbst.“ (Seeßlen, 1996, S.7)
Ansetzend bei diesen Definitionen zum erotischen Film und der vorangegangenen Definitionen zum pornografischen Film ist folgende hypothetische Unterscheidung zum derzeitigen Stand der Arbeit möglich:
Abb. 1 Vergleichstabelle erotischer Film vs. pornografischer Film
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die Geschichte werden sexuelle Komponenten erklärbar, der Rezipient bewegt sich in einem Kontext; mögliche Überschreitungen der Sitten werden nachvollziehbar, geben durch Andeutungen genügend Raum für subjektive Interpretationen und die Möglichkeit, sich hinter persönliche Grenzen zurückzuziehen, so dass gesellschaftlich inakzeptable Regelüberschreitungen negiert werden können Þ „Ich halte mich an die Sitten“, die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung ist reduziert; durch Erklärbarkeit kontrollierte Darstellung von Sexualität
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die minimale bzw. fehlende Geschichte, die damit unterstellte Bindungslosigkeit und das Abzielen auf den Akt, entfällt eine Einbindung des Rezipienten in einen Kontext; ein Rückzug hinter persönliche Grenzen ist durch die Eindeutigkeit der Sequenzen nicht möglich; gesellschaftlich inakzeptable Regelüberschreitungen und damit evtl. eigene Erregungen machen Angst vor gesellschaftlicher Ächtung Þ „Ich halte mich nicht an die Sitten“; durch fehlende Erklärbarkeit unkontrollierte Darstellung von Sexualität, deshalb juristische Kontrolle
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Während der erotische Film dem Prinzip des gesellschaftlich Normativen seine Bilder verleiht, sprengt der pornografische Film genau diese Bilder, indem er die Grenzen überschreitet. Deshalb können beide Begriffe nicht synonym verwandt werden.
Im weiteren Verlauf der Arbeit wird von Softcore- („weicher“, „einfacher“) und Hardcore- („harter“) Pornografie die Rede sein. Die Begriffsverständnisse reichen hier ebenfalls auseinander. Das deutsche Strafgesetzbuch versteht unter „harter“ Pornografie Sexualität in Verbindung mit Gewalttätigkeiten, sexuellen Mißbrauch von Kindern und Sodomie[5], spart allerdings eine nähere Erläuterung zur „einfachen“ Pornografie aus (Selg, 1986, S. 27). Eine weitaus gebräuchlichere Variante von Softcore- und Hardcore-Filmen ist die Definition nach Koch-Haag. Sie unterscheidet zwischen:
„Softcore-Produktionen, die einer linearen Handlung mehr Raum einräumen und den sexuellen Akt nicht detailliert zeigen, sondern den weiblichen Körper in seiner Gesamtheit zur Schau stellen; und Hardcore, dem Porno im engeren Sinne, mit seiner Körperfragmentierung und der Konzentration auf die Genitalien als Signifikanten sexueller Differenz.“ (Koch-Haag, 1997, S. 235)
2.2 Rechtsgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland nach StGB § 184
Einfache Pornografie nach juristischer Definition (Pornografie ohne Sexualität mit Minderjährigen oder Tieren) ist für Personen über 18 Jahre seit 1975 grundsätzlich freigegeben, für Kinder und Jugendliche gelten die Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes, für deren Einhaltung die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zuständig ist[6]. Die Pornografie-Freigabe für Erwachsene unterliegt jedoch einer Reihe von Einschränkungen. Laut Rechtsprechung fällt alles unter Pornografie, was ausschließlich zur sexuellen Stimulanz produziert wird[7]. In Auszügen heißt es im StGB § 184 Verbreitung pornografischer Schriften:
„(1) Wer pornografische Schriften (§ 11 Abs. 3)
1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht,
2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überlässt,
3a. im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überlässt,
4. im Wege des Versandhandels einzuführen unternimmt,
5. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet, ankündigt oder anpreist,
6. an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein,
7. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird,
8. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einzuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, [...] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. [...] (http://bundesrecht .
juris.de/stgb/__184.html).
Und weiter im § 184a Verbreitung gewalt- oder tierpornografischer Schriften:
Wer pornografische Schriften (§ 11 Abs. 3), die Gewalttätigkeiten oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder
3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (http://www.bka.de/profil/faq/recht.html#184)
Sowie im § 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften:
(1) Wer pornografische Schriften (§ 11 Abs. 3), die den sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 bis 176b) zum Gegenstand haben (kinderpornografische Schriften),
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder
3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwen- dung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen den Besitz von kinderpornografischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben […] (http://www.bka.de/profil/faq/recht.html#184)
Das Gesetz macht deutlich:
- Der Jugendschutz ist der markanteste Punkt in dieser Gesetzgebung, denn insbesondere im Hinblick auf Minderjährige ist die Verbreitung unter Strafe gestellt. Hier soll sowohl das Gesetz als Schutz der Jugendlichen vor der Rezeption, als auch zum Schutz vor Mißbrauch von Jugendlichen und Kindern in pornografischen Erzeugnissen fungieren.
- Nicht die Nutzung bzw. der Konsum von Pornografie steht im Fadenkreuz der Gesetzgebung, sondern die Verbreitung, Veröffentlichung und Herstellung. Der Gesetzestext liest sich als Reglementierung der Veröffentlichung von Pornografie, die nur eine private Nutzung in den geschaffenen Rahmenbedingungen erlaubt. Auch hier lässt sich ein diffiziler Umgang mit Pornografie feststellen.
- Die Verbreitung von Pornografie mit Tieren ist verboten. Die Sodomie selbst ist jedoch seit 1969 in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr strafbar, da Tiere nach dem Gesetz keine rechtsfähigen Subjekte sind (Encarta, 2006, Enzyklopädie). Der Spagat zwischen der nicht unter Strafe gestellten Sodomie und dem Verbot der öffentlichen Darstellung derselben zeigt, dass sich der juristische Umgang schwierig gestaltet.
Der Jugendschutz stellt den juristischen Schwerpunkt dar. Wann es sich jedoch genau um Pornografie handelt, ist ein Balanceakt. Der Gesetzgeber offenbart hier eine ambivalente Haltung. Der Umgang mit dem Reglement ist schwierig, was zurückzuführen ist auf die Definitionsproblematik. Gibt es, wie Hans-Joachim Rudolphi (Dane, Schmidt, 1990, S. 172) behauptet, ein juristisches Interesse der herrschenden Moral am Verbot von Pornografie? Sicherlich nicht, denn dann wäre der Zugang zu pornografischen Medien noch sehr viel enger begrenzt. Darüber hinaus muss das Recht des Einzelnen juristisch sowie sozialethisch gewahrt bleiben und jedem eine Wahl zwischen einer oder keiner Rezeption pornografischer Werke gelassen werden.
2.3 Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien[8] ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zugeordnet. Die Aufgabe der BPjM besteht im Schutz der Kinder vor jugendgefährdenden Medien, in der wertorientierten Medienerziehung, in der Förderung von Selbstkontrolle der Gewerbetreibenden und in der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Probleme des Jugendmedienschutzes (http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Die-Bundespruefstelle/aufgaben.html). Die BPjM kann nur auf Antrag von Jugendämtern oder anderer Behörden, also nicht aus sich selbst heraus, tätig werden. Der Antrag muss schriftlich eingehen. Daraus hervor gehen muss der Grund der Indizierung[9] und es sollte möglichst ein zu prüfendes Medium beigefügt werden. Nachdem in einer nicht öffentlichen Verhandlung eine Entscheidung darüber getroffen wurde, erscheinen die Indizierungsentscheidungen im amtlichen Mitteilungsblatt BPjM-Aktuell (www.bundespruefstelle.de/bmfsfj/ generator/bpjm/publikationen.html). Das indizierte Medium bleibt zukünftig in dieser Liste und kann nur durch den Entscheid eines Verwaltungsgerichtes oder durch Antrag eines Verfahrensbeteiligten rückgängig gemacht werden. Indiziert werden können sämtliche Medien. Nicht zuständig ist die BPjM für Filme, die von der FSK[10] und der USK[11] gekennzeichnet wurden (www.bundespruefstelle.de/bpjm/Die-Bundespruefstelle/ aufgaben.html). Die BPjM zählt Pornografie zu den „schwer jugendgefährdenden Medien“, d.h. sie ist auch ohne eine gesonderte Prüfung mit Abgabe- und Verbreitungsbeschränkungen belegt. Am häufigsten werden zur Indizierung Computerspiele und Printmedien mit „sexualethisch desorientiertem Inhalt“ eingereicht. Pornografische Filme dagegen sind selten Bestandteil der Prüfung, da diese wie o.g. in den meisten Fällen in Einrichtungen zu finden sind, die Kindern und Jugendlichen den Eintritt verwehren (www.bundespruefstelle.de/bmfsfj/generator/ bpjm/Juggendmedienschutz/indizierungsverfahren.html).
Die BPjM versteht sich ausdrücklich nicht als Vertreterin einer wie auch immer gearteten Zensur, viel mehr geht es um den Schutz von Kindern vor negativen Einflüssen auf den sozialethischen Reifungsprozess. Kritisch lässt sich die Frage stellen, was genau unter einem solchen Prozess zu verstehen und inwieweit dieser qua pornografischer Erzeugnisse negativ beeinflussbar ist. Außer der Anlehnung an die Definitionen des Gesetzgebers ist keine nähere Bestimmung zu finden, so dass eine Indizierung dasselbe Problem aufwirft wie die gesetzlichen Bestimmungen des Bundesgerichtshofes: Ab wann ein Medium „desorientierend“ ist, obliegt dem Ermessen der Entscheidungsträger und ihren sozialen Lebenszusammenhängen. De facto ist festzuhalten, dass der Konsum unter 18 Jahren verhindert werden soll. Das ist in letzter Konsequenz insofern schwierig umzusetzen, da der Zugriff auf indizierte Medien theoretisch noch immer möglich ist, z.B. über volljährige Geschwister. Ein weiteres Beispiel der Indizierungsschwierigkeit besteht in der Entwicklung des Internets. Eine unüberschaubare Vielfalt an (pornografischen) Angeboten, steht zur freien Verfügung, der weder Kritik noch Zensur „auf den virtuellen Leib“ rücken kann (Seeßlen, 1996, S. 150). Die Installation einer Internetseite ist technisch mittlerweile simpel. Dazu kommt eine relative Anonymisierung des Worldwidewebs, die das Agieren im Verborgenen erleichtert und den Zugriff auf die Verantwortlichen erschwert. Inwieweit eine Reglementierung im Internet fußt, welche Kontrollen mögliche Schlupflöcher verhindern, kann hier nicht geklärt werden.
2.4 Historischer Überblick und andere Darstellungsformen
In diesem Abschnitt wird soweit möglich ein historischer Überblick der Entwicklung pornografischer Darstellungen gegeben, um die verschiedenen medialen Ausprägungen in einen kulturellen Kontext einordnen zu können. Bezüglich der Fragestellung dieser Arbeit wird ein genauerer Blick auf die kulturelle Relevanz des pornografischen Films geworfen.
2.4.1 Abriss: Pornografie im Wandel
Faulstich entwirft ein Modell, nach dem sich Pornografie auf verschiedenen medialen Ebenen entwickelt haben könnte. Eine „hieb- und stichfeste“ historische Konstruktion ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich: Die schlechte Konstruktion bedingt sich aus der erwähnten schwierigen Definitionslage; die Materiallage ist unzureichend: Mündlich vermittelte sexuelle Darstellungen sind kaum nachzuhalten; bis ins 18. Jahrhundert hinein konnten nur wenige Menschen lesen, so dass die Verbreitung literarischer und nicht-mündlicher Pornografie naturgemäß ebenfalls beschränkt war; vorhandenes Material ist bisher entweder dürftig, gar nicht ausgewertet oder mit gesellschaftlichen Tabus belegt worden (Faulstich, 1994, S. 108). Seiner Ansicht nach, sei Pornografie seit jeher aber ein Teil einer allgemeinen „Medien- und Medienkulturgeschichte“ (Faulstich, 1994, S. 109-110):
- Pornografie hatte zunächst primär einen kultischen Charakter, der in mündlicher Form weitergegeben wurde und in Form von Zeichnungen und Skulpturen bestand.
- In der Antike war Pornografie eingebettet in eine relative Freizügigkeit und eine Möglichkeit, die Welt „erfahrbarer“ und „begreifbarer“ zu machen und hatte eine didaktische Funktion, die sich in mündlicher Form, als Texte, Skulpturen und in Theaterstücken wiederfanden.
- Durch die Macht der Kirche und eine restriktive Moralvorstellung zu Ungunsten der Sexualität war Pornografie weitestgehend aus dem Alltag verbannt. Nur einige wenige Texte, Abbildungen und Rätsel sind noch erhalten. Pornografie erhielt einen manipulativen wie ideologisierenden Charakter.
- Diese Haltung änderte sich im Bürgertum des 17. Jahrhunderts: Die Pornografie erlebte in den Printmedien, dem Theater und in der Malerei einen Aufschwung, der von der zwischen Restriktion und Toleranz pendelnden staatlichen Zensur begleitet wurde. Die Pornografie war nun verstärkt Ausdruck des Protestes.
- Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Phase der zunehmenden Visualisierung durch Fotografie, Illustrationen und Film.
- Heute kommen die interaktiven Medien hinzu wie etwa Computerspiele und Internet. Inwieweit durch die Erweiterung der Medien eine neue Funktion hinzukommt, wird die Zeit zeigen (Faulstich, 1994, S. 110-111).
Das Modell verdeutlicht, dass Pornografie die Kultur begleitet, seit Menschen sich kultureller Ausdrucksformen bedienen, mag die Pornografie auch immer wieder andere Funktionen und Charaktereigenschaften erfüllt haben. Diese These unterstützen auch Lautmann und Schetsche:
„Pornografie ist eine mögliche Ausdrucksform des sexuellen Verlangens, die dem Menschen als Kulturwesen prinzipiell gegeben ist – als einem über die Vermittlung von Symbolen kommunizierten Wesen.“ (Lautmann, Schetsch, 1990, S. 225)
Pornografie ist demnach eine Form von Kultur, nicht mehr und nicht weniger. Sie ist eine von vielen Variablen in der (Medien-)Kultur. Diese These eröffnet damit die Möglichkeit einer weniger emotionalen Diskussion. Der nächste Abschnitt vollzieht zur Spezifikation dieser Arbeit die Geschichte des pornografischen Films nach.
2.4.2 Der pornografische Film
Georg Seeßlen publizierte 1994 das Buch „Der pornografische Film“ – eines der wenigen seriösen Veröffentlichungen zu dem Thema. Er zeichnet darin die Entwicklungsgeschichte des Genres nach, auf dem der folgende Abschnitt basiert. Seeßlen verweist darauf, dass eine Historie zu dieser Filmart ein „unmögliches Unternehmen“ sei, denn es stehe außerhalb einer offiziellen Filmgeschichtsschreibung (Seeßlen, 1994, S. 9) und, dass über „den“ Pornofilm zu schreiben hieße, auf ethische Schwierigkeit zu stoßen. Im Hinblick auf das Kapitel zur PorNO-Debatte, ist die Entwicklung tabellarisch in Europa und USA unterteilt. Die Unterschiede zu Beginn des Mediums Film verlangen zunächst eine getrennte Erklärung, die ab den 1960er Jahren in einer Phase mündet, die es erlaubt, die historische Betrachtung zusammenzuführen. Der Ausblick konzentriert sich auf die Entwicklung in Europa, besonders in Deutschland, um die Sinnhaftigkeit der Untersuchung zu gewährleisten.
Abb. 2 Entwicklung des pornografischen Films in Europa und den USA
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[12] [13] [14] [15] [16] [17] [18]
Gegenwart und Ausblick
Da es keine gesicherten Erkenntnisse über die Geschichte des pornografischen Films zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt, können hier lediglich Ausblicke auf Trends durch Stichproben verschiedener Medien vorgenommen werden: Es gibt eine Reihe von Subgenres wie sadomasochistische oder homosexuelle Pornos, Pornos mit Schwangeren, Transsexuellen, körperlich versehrten, extrem kleinen oder dicken Menschen, Fäkalsex oder ihre jeweiligen – abgeschwächten – Spielarten in ansonsten überwiegend heterosexuellen Hardcore-Streifen (Eckert, 1990, S. 105-110). Bei einigen Produktionen, die „über den Ladentisch gehen“, scheint die Grenze des „anything goes“ lediglich vor den Grenzen des Gesetzgebers (keine Kinder, keine Tiere) haltzumachen. Ansonsten ist der DVD-Nutzer frei in seiner Entscheidung, ganz nach Gusto der eigenen sexuellen Neigungen den auf ihn zugeschnittenen Film zu wählen. Es sei jedoch betont, dass pornografische Filme mitnichten vergleichbar sind mit Rauschmitteln – wie von einigen Pornokritikern vorgebracht – die nach einer immer stärkeren Dosis des „Stoffs“ verlangen und sich so in immer „härteren“ Varianten auf den Markt drängen. Hardcore-Pornos gab es von Beginn an, wie der o.g. Streifen A grass Sandwich/a free ride belegt[19]. Sehr wohl änderte sich, wie oben dargelegt, immer wieder das „Gesicht“ des pornografischen Films und tut es bis heute. Ob komödiantisch, romantisch oder brutal: wie auch in anderen Genres wechseln die Schwerpunkte der Kulisse und der Geschichte, je nach gesellschaftlichem Zustand.
Nutzer in der Bundesrepublik Deutschland scheinen ihre Vorliebe für Home- oder auch Amateurfilme entdeckt zu haben, also Filme, die angeblich im häuslichen Rahmen gedreht wurden. Die Lust und die Neugier des Zuschauers, den Blick hinter die Kulissen des Nachbarn zu werfen und „ganz normalen Menschen beim Sex zuzusehen“ steht in unmittelbarer Konkurrenz zu den Hochglanz-Pornoproduktionen, denn sie haben neben dem sexuellen auch einen starken sozialen Reiz, weil sie, wie Seeßlen es ausdrückt,
„die größtmögliche Form der Annäherung an den ‚gewöhnlichen Menschen‘ ist, von dem man immer weniger weiß und der einem immer rätselhafter wird“ (Seeßlen, 1994, S. 321-327).
Festzustellen ist, dass Pornokinos bedeutungslos geworden sind. Stattdessen haben sich Produktionen in Form von DVDs und Internet durchgesetzt. Laut Jahresabschlussbericht der Güfa[20] ist mit einer Zunahme von pornografischen Internet-Auftritten und eine Abnahme im Bereich DVD zu rechnen. Im Jahr 2001 machte der Umsatzanteil der Pornoindustrie etwa 38% des Gesamtvideomarktes aus (Güfa, Lagebericht, 2001). Mit Blick auf den unterhaltenden Kinofilm ist festzustellen, dass hier in den letzten Jahren besonders zwei Filme für große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sorgten: Der Film Baise-Moi (2000) von den Französinnen Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi sowie der Film Intimacy (2000) von Patrice Chéreaus. Baise-Moi erzählt die Geschichte zweier Frauen, die sich nach einer Vergewaltigung an Männern rächen, in dem sie mit ihnen schlafen, um sie später zu töten. Wie in einem Pornofilm sieht der Zuschauer in Baise-Moi den Geschlechtsakt in expliziten Details. Ebenso ist die Sexualität fiktional wirklich. Im Gegensatz zum pornografischen Film fehlt allerdings das Element der szenischen Narration. Der Film erzählt eine zusammenhängende Geschichte. Die cineastischen Hintergründe entbehren nicht einer Ironie, denn – hier holt die Fiktion die Realität ein – beide Hauptfiguren sind Pornodarstellerinnen, die mit dem Film, ihren Schritt in die „seriöse“ Filmwelt versuchten (http://www.cinema.de/film_aktuell/filmdetail/ film/?typ=inhalt&film_id=287125). Der Film Intimacy nach dem gleichnamigen Buch[21] schildert die regelmäßigen, auf Sex reduzierten, Treffen eines Mannes und einer Frau, deren Absprache, nicht in das Leben des anderen einzugreifen, zu wanken beginnt, als der Mann heimlich mehr über die Frau herausfindet. Der Film zeigt wie Baise moi explizit die „Intimitäten“ der beiden und Sexualität als fiktionale Wirklichkeit, aber auch hier fehlt die dritte Komponente des szenisch Narrativen.[22] Am deutlichsten wird die Berührung von Porno- und Unterhaltungsfilm in der Dokumentation Inside Deep Throat über die 1970 entstandene Porno-Komödie Deep Throat. Schon damals versuchte Regisseur Gerard Damiano in seinem sehr erfolgreichen Film Unterhaltung mit Pornografie zu verbinden ebenso wie andere Themen (Abenteuer, Horror etc.) in den Kinofilm einflossen und eigene Genres bildeten. Einem Pornofilm eine Dokumentation zu widmen, erscheint beinahe wie die Erhebung einer Hinterhofkategorie in den Adelsstand.
Über die Richtigkeit oder aber Anfechtbarkeit solcher Werturteile soll an anderer Stelle diskutiert werden. Wichtig ist hier, dass eine Annäherung an den pornografischen Film seitens des Unterhaltungskinos nicht zu übersehen ist. Vielleicht ist das aber auch Ausdruck einer veränderten Form der Rezeption. Hier kann gefragt werden, inwieweit Pornografie, pornografische Elemente und Sexualität schon zum normativen Medienkonsum des Rezipienten gehören. In Kapitel 6 wird näher darauf einzugehen sein. Die Pornobranche arbeitet aktiv an ihrer Etablierung in der breiten Öffentlichkeit: Angelehnt an den Film-Oscar verleiht die Pornobranche diverse Auszeichnungen (Venus/Berlin, Hot d’Or/Cannes, AVN Award/Las Vegas) und baut Darsteller zu Stars auf. Zu einer der bekanntesten Preisträgerinnen aus Deutschland gehört Dolly Buster alias Katja-Nora Bochnickova (http://de.wikipedia.org/wiki/
Dolly_Buster). Sie hat, ähnlich wie Teresa Orlowski in den 1980er Jahren, zunächst selbst in Pornofilmen mitgewirkt und wechselte, unterstützt vom Pornofilmproduzenten und Ehemann Dino Baumberger, später hinter die Kamera. Dolly Buster ist das Phänomen des Crossmedia-Phänomens: Nicht nur, dass sie einen neuen Wirkungskreis als Produzentin gefunden hat, auch bei zahlreichen Talkshows ist sie ein gerngesehener Gast. Sie schreibt Bücher[23], war 1999 Gast des Wiener Opernballs, der jedes Jahr mit großem Medieninteresse verfolgt wird und enthüllte das Ergebnis ihrer Malerei-Studien an der Düsseldorfer Kunstakademie recht öffentlichkeitswirksam. Sie genießt auch über den Kreis der regelmäßigen Pornonutzer hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad. Es scheint, als habe der pornografische Film den Schritt in die kulturell akzeptierte Unterhaltungswelt geschafft. Inwieweit diese Vermutung richtig ist, wird sich in der Untersuchung zeigen.
2.4.3 Weitere mediale Ausdrucksformen der Pornografie
Jeder kulturelle Bereich beinhaltet pornografische Segmente. Der folgende Abschnitt gibt Einblick in die Fülle verschiedener pornografischer Erzeugnisse und ihrer ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Beschreibung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Kapitel soll einen Eindruck vermitteln, inwieweit Pornografie ein kulturelles Gut ist. Herausgegriffen sind Beispiele mit einer hohen Popularität.
In der Literatur finden sich Werke, die die Gemüter in der einen oder anderen Form erregen: Exemplarisch sei aus der neueren Zeit auf das autobiographisch gefärbte Buch von Catherine Millet Das sexuelle Leben der Catherine M.[24] verwiesen. Die Chefredakteurin der Avantgarde-Zeitschrift artpress verarbeitet persönliche sexuelle Erfahrungen, die sie u.a. in Swinger-Clubs und auf Bahnhofstoiletten sammelte. Im Buch sind ausführlich beschriebene sexuelle Akte zu lesen. Millet orientiert sich am Sprachduktus der Pornografie. Die Lektüre steht in einer langen Reihe literarischer Werke wie etwa der Marquis de Sade[25] (1740-1814). In zahlreichen Bänden beschreibt de Sade ausführlich sexuelle Grausamkeiten. Der Marquis betrachtete kriminelle wie auch sexuell ausschweifende Handlungen als natürliche Phänomene. Seine Schriften und seine Person wirken nachhaltig: Der Begriff Sadismus[26] ist auf ihn zurückzuführen. Scharfe Kritiken seitens seiner Zeitgenossen bis hin zur Verbüßung hoher Haftstrafen prägten sein Leben. Bis ins 20. Jahrhundert blieben de Sades Schriften verboten. Eine aktuelle Belebung der Porno-Diskurse entfachten die in jüngster Zeit erschienenen Bücher Der Tanz um die Lust (2007) von Ariadne von Schirach und Die Berliner Orgie. Reportage-Roman (2007) von Thomas Brussig. Ariadne von Schierach beleuchtet in ihrem vermeintlich wissenschaftlichen Essay die „zunehmende Pornografisierung“. „Vermeintlich“, weil sie von Thesen wie Reiz-Reaktionsschema, einem „Es funktioniert einfach immer“ ausgeht und dies eine Simplifizierung ist, die seriösen Untersuchungen nicht standhält. Mit Blick auf die Literaturhinweise lässt sich dieser Umstand erklären: Die Autorin listet eine Reihe populärer Bücher, die der Belletristik, nicht der Wissenschaft zuzuordnen sind. Interessant ist letztlich nicht das, was von Schirach schreibt, sondern, dass sie überhaupt über eine „neue“ Pornografisierung schreibt und damit absatzträchtige Erfolge verbucht mit Buchverkäufen, Auftritten sowie Interviews in zahlreichen Gesprächsrunden. Pornografie als Thema funktioniert mit (wirtschaftlichem) Erfolg. Funktioniert also das Motto „Sex sells“? Darauf wird in der Untersuchung noch einzugehen sein. Die Vermischung von Pornografie und Populärkultur jedenfalls gelingt. Im Buch Die Berliner Orgie beschreibt Autor Brussig journalistisch aufgearbeitet seine Erlebnisse im Milieu der Prostitution. Zwar reicht der Erfolg Brussigs nicht an den der Autorin, jedoch zeigen diese Beispiele, dass die Öffentlichkeit neue Diskurs-Impulse erfährt, die allerdings an Schärfe gegenüber den 1970er Jahren verloren hat.
Die Geschichte der erotischen bzw. pornografischen Comics beginnt zeitgleich mit der Entwicklung des Mediums an sich. Kurz nach erfolgreichem Erscheinen der ersten Cartoons wurden im Amerika der 1930er Jahre die Eight-Pagers[27] veröffentlicht. Sie zeigen bekannte Comic-Figuren wie Micky Mouse bei sexuellen Handlungen. Die Zeichner der Eight-Pagers „ehren“ auch Filmstars in ihren pornografischen Darstellungen (Alber, 1997, S. 218). In den 1950er Jahren erreicht die Figur Gwendoline eine so hohe Popularität, dass sie noch heute etwa im gleichnamigen Lied der deutschen Rockgruppe Die Ärzte fortlebt. Im Frankreich der 1960er Jahre erscheint Barbarella als erster Sex-Comic. Die Figur der Raumfahrerin löst eine Welle von Nachfolgeprodukten aus (Alber, 1997, S. 220-222). Obwohl eine klare Trennlinie zwischen Porno- und Erotik-Comics – wie in anderen Medien häufig auch – schwer zu ziehen ist, kann man von einer Kristallisation zweier Richtungen in den 1970er Jahren sprechen: Zum einen die rein pornografischen Comic-Alben und zum anderen – hier partizipiert ein Medium vom anderen – die Erotik-Comics, welche vielfach klassische Lektüren wie Justine von de Sade oder Venus im Pelz (1869) vom österreichischen Schriftsteller Leopold Ritter von Sacher-Masoch[28] thematisieren. (Alber, 1997, S. 222-223). Schon in dieser kurzen Übersicht wird deutlich, dass das, was im Film immer wieder angestrebt wird, die Verbindung der Pornografie mit etwa der Weltliteratur schon längst praktiziert wird. Im Gegensatz zu Faulstichs These, neuere Comics präferieren die Darstellung von weiblichen Unterwerfungssequenzen (Faulstich, 1994, S. 187), bietet der Comic-Markt heute vielfältige Alternativen, die Pornografie z.B. mit Humor verknüpfen[29] und in denen die Protagonisten sexuell selbstbestimmt agieren.
In der darstellenden Kunst findet Pornografie z.B. in den Werken des amerikanischen Künstlers Jeff Koons ihren Ausdruck. Unter dem Titel Made in Heaven (1989-1991) verarbeitete er die Sexualität mit seiner damaligen Frau Ilona Staller, die als Pornostar unter dem Namen Cicciolina bekannt wurde. Er goß den Beischlaf in Skulpturen oder zeigte fotografische Fellatioszenen. Jeff Koons verwehrt sich zwar gegen die Behauptung, seine Werke seien pornografisch, vielmehr seien sie Ausdruck (s)einer Selbstbefreiung. Weiterhin erklärt der Künstler, seine Frau sei „eine Künstlerin des Leibes“ (Koons, 1992, S. 132); da Jeff Koons gleichzeitig Marketingexperte ist, darf davon ausgegangen werden, dass er ein kokettes Spiel mit der Öffentlichkeit treibt. Unüberschaubar ist mittlerweile das Angebot von Pornografie im Internet. Es reicht von privaten sowie kommerziellen Anbietern mit herunterladbaren Fotos bis zu animierten Live-Mitschnitten aufgenommen mit Webcams, aufgestellt in privaten Räumen und genutzt von ihren Bewohnern als exhibitionistische Nabelschau. Technisch zwar noch nicht soweit vorangeschritten, um der DVD-Qualität Konkurrenz zu machen, bieten Internet-Filme allerdings den Vorteil, sich den Gang zur Videothek zu ersparen und, quasi als besonderer Kick, mit den Darstellerinnen zu chatten[30]. Die Pornorezeption über das Worldwideweb hat, soviel ist sicher, zugenommen. Wodurch, von wem im Besonderen, ob die „Bedienung“ durch das Internet der Bedienung über „herkömmliche“ Medien tatsächlich überwiegt, dazu bedarf es der gesonderten wissenschaftlichen Betrachtung[31]. Die Liste der Medien, die Pornografie hervorbringen, ließe sich problemlos erweitern[32], jedoch zeigen schon die Beispiele, dass Pornografie nicht als Randerscheinung in der Kultur zu ignorieren ist. Vielmehr bestätigt sich eine verstärkte Durchlässigkeit im Bereich der verschiedenen Medien über die Zeit hinweg. Dass genau diese Unterteilung bzw. Verdrängung in der PorNO-Debatte von verschiedenen Interessengemeinschaften vor drei Jahrzehnten erreicht werden sollte, zeigt der folgende Abschnitt.
2.5 Diskurse und PorNO-Debatte
In den 1970er Jahren begann, angestoßen durch das feministische Lager, eine rigide Auseinandersetzung über Pornografie. Die Diskussion zog sowohl auf Seiten der Pornogegner als auch der Pornobefürworter eine Reihe von Büchern und Exegesen verschiedener Machart und Heftigkeit nach sich. Im Verlauf der etwa 30-jährigen Auseinandersetzung kam es zu keiner Annäherung, eher im Gegenteil: Je länger die Diskussion dauerte, desto vehementer vertrat jedes Lager seine Position. Heute ist die mediale Aufmerksamkeit geschwunden. In der Bundesrepublik Deutschland ist mittlerweile die Forderung nach Frauenschutz der Forderung nach Jugendschutz gewichen.
2.5.1 in den USA
1979 gründeten Feministinnen in New York die Formierung „Women Against Pornography“ (WAP). Während zunächst Gewaltpornografie im Mittelpunkt der Kritik stand, verschob sich das Augenmerk im Verlauf der Zeit auf die Bekämpfung pornografischer Darstellungen im Allgemeinen (Bremme, 1990, S. 110). Die Mitglieder, allen voran die 2005 verstorbene Soziologin Andrea Dworkin und die Juristin Catharine A. MacKinnon, sahen in der Pornografie ein Instrument der Männer zur Sicherung patriarchaler gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie waren der Überzeugung, dass diese Form sexueller Darstellung allein als Anregung und Anleitung zur Gewalt gegen Frauen diene. Zahlreiche Anti-Porno-Gruppen entstanden. Ihr Leitspruch lautete: „Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis“. Jedoch: Statistisch nachweisbar ist, dass die Vergewaltigungsrate und Zahl der sexuellen Nötigungen, nachdem in vielen westlichen Ländern die Pornografiegesetzgebung liberalisiert wurde, nicht anstieg (Frings, 1988, S. 39; Selg, 1988, S. 60, 116).
Eine der ersten Anti-Porno-Aktionen entzündete sich an dem Gewaltporno Snuff, der 1977 in New Yorker Kinos anlief: Die Produzenten warben damit, dass Frauen bei den Dreharbeiten real zu Tode gefoltert wurden. Pornogegnerinnen hielten Mahnwachen vor Kinos ab (Bremme, 1990, S. 110). In einem Interview mit einer der „zu Tode gefolterten“ Schauspielerinnen stellte sich zwar später heraus, dass es sich um ein fiktionales Spiel mit der Wirklichkeit handelte, dennoch dient Pornogegnern der Streifen bis heute als Beweis für das Ausmaß männlicher Gewalt gegen Frauen (Rückert, 2000, S. 15-16). Mit ihrem Ende der 1970er Jahre erschienen Buch Pornografie: Männer beherrschen Frauen[33], bereitete Andrea Dworkin den theoretischen Unterbau der Pornografiegegner mit der Schlussfolgerung[34], jede Pornodarstellerin sei unter Gewalteinwirkung von Produzenten zur Mitwirkung gezwungen und ausgebeutet worden. Die Argumente der Feministinnen richteten sich vor allem gegen die vermeintlich missbräuchlichen Drehbedingungen und wurden begleitet von spektakulären Aktionen. Ziel war die strafrechtliche Verfolgung von Pornoherstellern wegen Körperverletzung und Mißbrauch Minderjähriger (Rückert, 2000, S. 16).
1982 entschied der Oberste Gerichtshof, dass pornografische Darstellungen mit Kindern nicht unter den Schutz der Redefreiheit fielen. Der Stadtrat von Minneapolis forderte daraufhin Dworkin und MacKinnon auf, einen Gesetzentwurf gegen Pornografie auszuarbeiten. Die erarbeitete Vorlage des Anti-Porno-Gesetzes sah vor, dieses im Zivilrecht zu verankern, um Frauen die Möglichkeit zur Klage gegen pornografische Darstellungen zu geben. Trotz mannigfaltiger Versuche, dieses Gesetz durchzusetzen, erklärte der Supreme Court in letzter Instanz die Vorlage als verfassungswidrig (Rückert, 2000, S. 17). Die schon vorhandenen Grabenkämpfe in der amerikanischen Frauenbewegung rissen durch die Gesetzentwürfe weiter auf, man sprach sich innerhalb verschiedener Frauengruppen wechselseitig die feministischen Grundlagen ab, die Auseinandersetzungen stilisierten sich zu regelrechten Glaubenskriegen hoch, die nach ihrem Höhepunkt Mitte der 1980er Jahre sukzessive abklangen.
2.5.2 in der Bundesrepublik Deutschland
Zeitgleich mit den USA formierten sich erste Proteste gegen sexistische Darstellungen in der Bundesrepublik Deutschland. Auf Initiative der Zeitschrift Emma[35] klagten im Jahr 1978 Schauspielerinnen, Autorinnen u. a. bekannte Frauen gegen Titelblätter der Zeitschriften Stern und Der Spiegel. Sie waren der Meinung, Titelblätter mit „blankem Busen“ würden die Frau zu einem Sexobjekt degradieren. Die Klage scheiterte, Alice Schwarzer jedoch wertete die Aktion als Erfolg (Rückert, 2000, S. 16-17), weil diese in der Öffentlichkeit nicht nur eine erste kontroverse Diskussion um diskriminierende Darstellungsformen von Frauen hervorgerufen hatte, sondern auch, nach Schwarzers Dafürhalten, ein Bewusstsein bei Medienmachern schuf, was sie Frauen durch sexistische Cover antun (Schwarzer, 1994, S. 244-245). Sicherlich war damit auch die Hoffnung verbunden, einen insgesamt kritischeren Umgang mit diskriminierenden Darstellungen anzuregen. Inwieweit der Umgang mittlerweile tatsächlich kritischer ist, kann an dieser Stelle nicht hinreichend erörtert werden.
1987 brach die Debatte um Pornografie mit der groß angelegten PorNO-Kampagne der Emma in der Bundesrepublik Deutschland los. Die Kampagne gründete auf der mit einem Vorwort von Alice Schwarzer versehenen und in übersetzter Form erschienenen Veröffentlichung des Dworkin Buches Pornografie – Männer beherrschen Frauen. Deutsche Aktivistinnen gegen Pornografie übernahmen sowohl den Leitspruch als auch die Inhalte. 1988 legte Emma einen Gesetzentwurf vor, der sowohl eine Begriffsbestimmung von Pornografie als auch die Möglichkeit des zivilrechtlichen Klagerechts für betroffene Frauen enthielt. Wie der Gesetzentwurf der amerikanischen Vorreiterinnen scheiterte letztlich auch diese Vorlage. Der Gesetzentwurf schien vielen, auch denen der Kampagne zugeneigten Parlamentariern, zu unpraktikabel (Rückert, 2000, S. 18-20).
In Deutschland polarisierten sich wie in den USA die Lager. Auf der einen Seite fanden Radikalfeministinnen und konservative Politiker zusammen. Sie wollten Pornografie so weit als möglich in Herstellung und Vertrieb einschränken. Auf der anderen Seite wurden Stimmen innerhalb der Frauenbewegung laut, die sich gegen die als Zensur verstandenen Gesetzentwürfe stellten. Das Buch von Andrea Dworkin geriet zusehends in die Kritik: Die Lektüre sei zu polemisch und zu undifferenziert; vor allem trage das Buch durch seine allzu simple und parolenhafte Struktur eher zum Rückschritt der Emanzipation denn zu ihrer Förderung bei (Rückert, 2000, S. 19).
2.5.3 PorNO-Debatte – heute
Das öffentliche Interesse ebbte in den folgenden Jahren ab. Dennoch wertete die Anti-Porno-Seite die Kontroverse als Erfolg, da diese die Vermarktung des weiblichen Körpers in Verbindung mit Gewalt scheinbar zum ersten Mal so vehement an das Licht der Öffentlichkeit brachte und somit eine kritischere Auseinandersetzung in Gang setzte. Jedoch ist es vielmehr so, dass noch heute die Stereotypen (etwa: Männersexualität = Pornografie = schlecht, Frauensexualität = Erotik = gut) der Kampagne unhinterfragt übernommen und zur Argumentation eingesetzt werden (Rückert, 2000, S. 22-23). Corinna Rückert weist in ihrem Buch FrauenPornografie auf mehrere gravierende Fehlschlüsse der Anti-Porno-Kampagne und des öffentlichen Diskurses hin, die nicht unerheblich zu „pseudomoralischen Kreuzzügen“ und einer „wissenschaftlichen Ignoranz gegenüber differenzierteren Positionen“ geführt hat (Rückert, 2000, S. 109). So kritisiert sie die Vermengung verschiedener Diskurse z.B. der tatsächlichen Gewalt gegen Frauen, die gleichgesetzt wird mit jeglicher pornografischer Darstellung, einhergehend mit einer fehlenden Definition des Begriffs „Gewalt“. Die Simplifizierung solcher Zusammenhänge verhilft einer ernsthaften Diskussion über Pornografie zu keiner sinnhaften Auseinandersetzung.
Die Diskussionen haben sich, Rückerts Meinung nach, von real existierenden gesellschaftlichen Problemen zugunsten der von verschiedenen Gruppen geleiteten Interessen und somit zu einer absatzstärkeren Debatte verschoben (Rückert, 2000, S. 109). Dieser Verdacht um die Emotionalisierung des Themas bestätigt das Dworkin Buch Pornografie: Männer beherrschen Frauen. Die Soziologin schildert über mehrere Seiten die Zeit ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie schreibt über Alpträume, die sie heimsuchten, über die Verschiebung ihrer Sichtweise, in der alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Folterinstrumente erschienen. Diese Schilderungen gleichen, besonders im Abstand der Jahre, der lustvollen Inszenierung eines Grauens namens Pornografie. Ähnlich polemisch geht die Zeitschrift Emma im Jahr 2007 zum dritten Mal das Thema unter der Überschrift PorNO! an. Erstürmungen von Pornokinos sind Aufkleber mit entsprechendem Schriftzug gewichen. Mit dazu liefert die Emma-Redaktion Tipps zur Eindämmung des Genres wie Kaufboykotte gegen Hersteller mit pornografisch Werbung oder Kommunen auf unerwünschte Plakatwerbungen hinzuweisen. Da auch wie in den Kampagnen zuvor wenig bis nicht zwischen pornografischen, gewalthaltigen, sexistischen und erotischen Darstellungen unterschieden wird, ist davon auszugehen, dass die rezeptionelle Wirkung auf (männliche) Zuschauer weiterhin undifferenziert interpretiert wird. Auch heute finden sich vor allem Männer, die dieses Genre rezipieren, wieder als „Frauenhasser“ (http://www.emma.de/was_tun_2007_5.html). Dass so keiner fundierten Diskussion geholfen ist, bestätigen Lautmann und Schetsch:
„Diese Art eines Wie-du-mir-so-ich-dir liefert eine aufpeitschende Devise für eine soziale Bewegung, aber sicher keine neue Erkenntnis. Dworkin erwähnt keine positive Funktion der Pornografie.“ (Lautmann, Schetsch, 1990, S. 196)
Sie stellen fest, dass sich geschlechterpolitischer Pessimismus und Sexualverneinung nie deutlicher als in Dworkins Buch geäußert haben (Lautmann, Schetsch, 1990, S.196). Untermauert wird ihre These durch die ermittelte historische Entwicklung der Pornografie von Faulstich[36] und die Erkenntnis, Pornografie ist ein Bestandteil der Kultur. Selbst wissenschaftliche Studien hatten während der PorNO-„Hochphase“ wenig Gehör gefunden. Rückert kritisiert die Verleugnung der sich gegen die bestehenden Vorurteile wendenden Studien wie etwa die von Ertel, der in seinem Buch Erotika und Pornografie eine der bisher umfassendsten Untersuchungen zur Nutzung von Pornografie vorlegte. Sie ist kaum Bestandteil der öffentlichen Diskussion geworden (Rückert, 2000, S. 109). Es geht nicht um die Bagatellisierung von Pornografie, aber eine ungefilterte Kausalkette zwischen Realität und Fiktionalität zu knüpfen ist durch die komplexen menschlichen Kommunikationskodizes zu simpel[37]. Es kann nicht darum gehen, der Pornografie sämtliche gesellschaftlichen Missstände zuzuschreiben. Mit einem allgemeinen Verbot pornografischer Erzeugnisse sind u. U. Symptome bekämpft, jedoch zum Preis fragwürdiger Methoden. Wer will postulieren, was gute, normale und richtige Sexualität ist? Ist „aggressive Sexualität“ immer schlecht und unnormal? Und: Ist mit einem weitläufigen Verbot von Pornografie gesellschaftliche Diskriminierungen auf anderen Ebenen tatsächlich Einhalt geboten? Lautmann und Schetsche beantworten diese Fragen so:
„Dass Aggression und Sexualität verbunden werden können und sich verbünden, ist weder neu noch normativ verwertbar. Im sexuellen Handeln haben – im weitesten Sinne – aggressive Momente einen festen Platz [...]“ (Lautmann, Schetsche, 1990, S. 180)
Sie gehen davon aus, dass Pornografie lediglich ein Symptom des Geschlechterverhältnisses sein kann. Mit der Stilisierung des Symptoms als Ursache blieben die tatsächlichen Ursachen für Gewalt zwischen den Geschlechtern unberührt. Die Botschaft, die von gewaltsamer Pornografie ausgeht, ist nicht in der Pornografie zu suchen, sondern auf anderen Feldern (Lautmann, Schetsche, 1990, S. 180). Denkbar wären die Felder Bildung, Soziales und Ökonomie, deren Missstände es zuallererst zu beleuchten gilt.
[...]
[1] Vgl. Kapitel 2.4.1.
[2] Wobei auch das Wort „gewalthaltig“ gerade im Zusammenhang mit Pornografie einer genauen Begriffsbestimmung bedarf.
[3] Vgl. Kapitel 2.4.
[4] Vgl. Kapitel 2.3.
[5] Sodomie = Unzucht mit Tieren (Encarta, 2006, Wörterbuch)
[6] Vgl. Kapitel 2.3.
[7] Vgl. Kapitel 2.1.
[8] Im weiteren Verlauf BPjM
[9] Indizierung = ein Medium wird in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen, ist aber für Personen ab 18 Jahren weiterhin frei zugänglich.
[10] F reiwillige S elbst k ontrolle der Filmwirtschaft.
[11] U nterhaltungssoftware S elbst k ontrolle
[12] Der Film gilt heute als verschollen.
[13] Da viele Filme im Laufe der Zeit verloren gingen, ist keine gesicherte Aussage zum ersten amerikanischen Pornofilm mehr zu machen.
[14] Der Film wurde auch unter dem Titel A Free Ride bekannt.
[15] „Film“ bzw. Kino war zu Beginn seiner Entwicklung ein verpöntes Medium, das erst nach und nach seine Legitimation im Groß- und Bildungsbürgertum fand.
[16] Production Code: Selbst auferlegte Richtlinien der amerikanischen Filmindustrie zur „Reinhaltung“ der Kinos von moralisch anstößigen Filmsequenzen, die u.a. die Darstellung von Sexualität, Kriminalität und Drogenkonsum betraf. 1934 wurde der Code zur Pflicht, 1956 und 1966 in seiner ursprünglichen Fassung abgeändert, ehe er 1968 wieder außer Kraft trat (Rother, 1997, S. 236 -237).
[17] So jedenfalls Seeßlens These. Ob der Pornofilm tatsächlich als eigene Kultur in Amerika begriffen wurde/wird, ist fraglich, denn noch heute führt, trotz millionenschwerer Erfolge weltweit, die Pornoindustrie in Hollywood ein Schattendasein.
[18] Snuff-Movie = Pornofilm, der angeblich reale Morde und Folterungen zeigt (Monaco, 1995, S. 573). Ihre Existenz konnte bis heute nicht bewiesen werden, jedoch gibt es nach wie vor das hartnäckige Gerücht, dass diese Sorte Film tatsächlich für einen nicht unbeträchtlichen Schwarzmarkt angefertigt wird.
[19] Der zehnminütige Schwarz-Weiß-Stummfilm gilt heute als Klassiker und ist auf dem Beate-Uhse-Sampler Als das Vöglen laufen lernte, Teil 1 und verschiedenen amerikanischen Samplern zu sehen.
[20] G esellschaft zur Ü bernahme und Wahrnehmung von F ilm a ufführungsrechten mbH, gegründet 1976. Die Güfa mit Sitz in Düsseldorf ist ein Zusammenschluss von Filmproduzenten und Rechteinhabern „die sich überwiegend mit der Herstellung von erotischen Filmen beschäftigen“. Vorrangiges Ziel ist die Verhinderung von Raubkopien, also die Wahrung der „Urheber- und Leistungsschutzrechte im Bereich der öffentlichen Vorführung, der Vermietung und Verleihung sowie der Geräte- und Leerkassettenabgabe im Bereich des erotischen und pornografischen Films“ (www.guefa.de).
[21] Auf Deutsch unter dem Titel Rastlose Nähe (1999), im Kindler Verlag von Hanif Kureishi erschienen.
[22] 2001 verließ Intimacy die Berlinale mit zahlreichen Auszeichnungen. Während Baise-Moi quantitativ überwiegend schlechte Kritiken bekam und sich dem Vorwurf von Pornografie ausgesetzt sah, kann sich Intimacy seiner reichlichen Prämierungen und guter Kritiken und damit dem Ruf eines ernsthaften Filmes sicher sein.
[23] Alles echt – Durchhänger und andere Höhepunkte (2000), Hard cut (2001), Tiefenschärfe (2003) alle bei Droemer Knaur; Und damit: Buster (2004), Schwarzkopf & Schwarzkopf.
[24] Goldmann 2001.
[25] U.a.: Die Geschichte der Justine (1791) oder die Nachteile der Tugend, Geschichte der Juliette oder die Vorteile des Lasters (1797).
[26] Sadismus = den Begriff prägte der Psychiater Richard Freiherr von Krafft-Ebing nach de Sades sexueller Neigung, in der eine Person Lust aus dem Zufügen von Schmerzen seines Gegenübers zieht (Feige, 2003, S. 557-558).
[27] Eight-Pagers = kleine achtseitige Comichefte, überwiegend pornografischen Inhalts.
[28] Masochismus = den Begriff prägte der Psychiater Richard Freiherr von Krafft-Ebing nach Sacher-Masochs sexueller Neigung, in der eine Person Lust aus Leiden, Schmerz und Demütigungen zieht (Feige, 2003, S. 424).
[29] Der deutsche Zeichner Ralf König erfreut sich mit seinen homosexuellen Protagonisten auch bei einem heterosexuellen Publikum großer Beliebtheit.
[30] Chatten = aus dem Englischen von Chat (Gespräch, Plauderei); synchrone computervermittelte Kommunikation.
[31] Vgl. Kapitel 2.3.
[32] Ungenannt geblieben ist etwa der Bereich Musik oder das gewinnträchtige Marktsegment der Computerspiele.
[33] Pornography: Men possessing women. New York, 1979.
[34] Vgl. Kap. 2.1
[35] Hrsg. u. a. Alice Schwarzer
[36] Vgl. Kap. 2.4.1
[37] Vgl. Kapitel 2.1
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2007
- ISBN (eBook)
- 9783836612234
- Dateigröße
- 907 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Ruhr-Universität Bochum – Philosophie, Pädagogik und Publizistik, Sektion für Publizistik und Kommunikationswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 1,5
- Schlagworte
- pornografie film sexualität rezipientenforschung cultural studies