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Fernsehen in der Familie - Vom sinnvollen Umgang mit einem Massenmedium

©1999 Wissenschaftliche Studie 192 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Interesse am Thema „Fernsehen in der Familien“ entsprang meiner Tätigkeit als Sozialpädagoge in kommunalen Kindertagesstätten in den Jahren 1994 bis 1999. In diesen Sozialisationsstätten begegnete mir während meiner Erziehungsarbeit mit Kindern und innerhalb der Beratungsgespräche mit Eltern das Thema Fernsehen als Alltagsgegenstand recht häufig: Kinder redeten über ihre Lieblingssendungen und planten ihren Alltag nach Sendezeiten. Sie sprachen darüber, daß sie Figuren und Bilder ihrer Lieblings-Fernsehhelden besitzen würden und diese im Spiel imitieren. Eltern klagten über Konflikte mit ihren Kindern weil ihre Sprößlinge andere Sendungen schauen wollten als sie selbst und zu Zeiten, in denen Sendungen für Kinder nicht mehr geeignet sind. Eltern befürchteten die schlimmsten Auswirkungen auf ihre Kinder durch das, ihrer Meinung nach, hohe Gewaltpotential innerhalb der Fernsehsendungen. Selbst Erzieher und Erzieherinnen innerhalb der Kinderbetreuungseinrichtungen stehen dem Medium Fernsehen signifikant skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Durch diese praktische Berührung mit dieser Thematik gelang ich zu der Erkenntnis, daß das Fernsehen mittlerweile integraler Bestandteil der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen sowie der gesamten Familie ist. Kinder erlangen einen Teil ihrer Erfahrungen aus Fernsehmedien und beziehen sie in ihre Alltagswelt mit ein. Eltern sind damit meist überfordert. Sie reagieren verständnislos und erhoffen sich von Pädagogen eine Anti-Fernseh-Erziehung. Allerdings sind sich Eltern hierbei oft nicht bewußt, daß sie durch ihre eigene alltägliche Fernsehnutzung Vorbildfunktion für ihre Kinder übernehmen, an denen sich Kinder hinsichtlich der Entwicklung eigener Handlungsmuster orientieren. Auch die Literatur beschäftigt sich vornehmlich mit negativen Fernsehwirkungen auf Kinder: Sie rückt dabei das Medium Fernsehen einseitig in den Vordergrund bei der Suche nach Gründen für kindliche „Fehlentwicklungen“ und blendet hierbei die Familie in ihren äußeren und inneren Sozialisations- und Interaktionszusammenhängen, auch in Bezug zur Fernsehnutzung, aus.
Hier sind Pädagogen und Sozialpädagogen - gemäß ihrer Berufsethik - aufgefordert, ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag gegenüber Kindern sowie dem Beratungsauftrag gegenüber Eltern gerecht zu werden und integrierend zu intervenieren: Das heißt einerseits, daß Pädagogen in ihren jeweiligen Einrichtungen Kindern einen konstruktiven und mündigen Umgang mit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALT

Vorwort

Einführung

Seminarverlauf

1. Kapitel
1.1 Die Familie und ihre Strukturen
1.2 Das Fernsehen und seine Funktionen
1.3 Fernsehwirkungen auf die Familie

2. Kapitel
2.1 Kulturgeschichtlicher Abriß des Mediums Fernsehen
2.2 Historische Entwicklung des Fernsehens im soziokulturellen Kontext der vorbundesrepublikanischen Gesellschaften
2.3 Soziokultureller Strukturwandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die Medienevolution

3. Kapitel
3.1 Soziale und individuelle Sozialisationsvoraussetzungen
3.2 Milieuzugehörigkeit und Interaktionsprozesse
3.3 Entwicklungspsychologische Ansätze der Kindheit und Adoleszenz

4. Kapitel
4.1 Mediensozialisation im Familienkontext
4.2 Sozialisationsrelevante Wirkungstheorien
4.2.1 Gängige Öffentlichkeitswirksame Fernsehwirkungsthesen
4.2.2 Ansätze wissenschaftlicher Medienwirkungsmodelle
4.2.3 Emotionale, kognitive und medizinische Wirkungstheorien
4.2.4 Familienzentrierte und kommunikationstheoretische Ansätze
4.3 Familiäre Wirkungsvoraussetzungen
4.3.1 Elterliche Fernsehnutzungsroutinen
4.3.2 Fernsehnutzungsroutinen Kinder und Jugendlicher
4.4 Soziale Funktionen des Fernsehens und deren Wirkungen im Familiensystem
4.4.1 Rollenbildung und –differenzierung
4.4.2 Integrations- und Isolationsaspekte

5. Kapitel
5.1 Die Bedeutung der familialen Fernsehsozialisation für pädagogische Handlungskonzepte zur Sozialisationshilfe
5.2 Curriculum Fernseherziehung und medienbezogene Elternarbeit als familienzentrierte Medienpädagogik
5.2.1 Konzepte der Schulen
5.2.2 Konzepte der Kinder- und Jugendbetreuungseinrichtrungen
5.3 Entwicklung von Fragestellungen zur Ausarbeitung empirischer und handlungsrelevanter Untersuchungen und Erkundungen

6. Kapitel
Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Glossar/Index

Anhang

Abbildungen 1 - 14

Zertifikat „Mediensozialisator“

Über den Autor

Vorwort

Der vorliegende Reader ist das Ergebnis einer studienbezogenen Literatur[1] - und Praxisfeldrecherche zum Thema „Lebenswelt Fernsehen“ im Rahmen einer von der Pädagogischen Praxis initiierten Workshopreihe im Frühjahr und Sommer 1999 für pädagogisches Personal in Kindertagesstätten und Eltern von Kindern in Kindertagesstätten. Zu Beginn meines Workshops lag der Schwerpunkt noch auf der Fernsehnutzung von Kindern. Im Laufe der abendlichen Informationsveranstaltungen stellte sich rasch heraus, daß sich das Fernsehverhalten von Kindern nach den Fernseh-Nutzungsmustern der Eltern richtet. In den Befürchtungen von Eltern bezüglich der Fernsehnutzung ihrer Kinder stellte ich nämlich einen eklatanten Widerspruch von Anspruchsdenken der Eltern gegenüber ihren Kindern und dem eigenen, vorgelebten Fernsehverhalten der Eltern fest. Innerhalb dieser Überlegungen entstand meine Initiative einer einwöchigen Fortbildungsreihe für Pädagogen und Eltern in Seminarform zum Thema „Fernsehen in der Familie“ mit umfassenden Inhalten zum Thema, wie sie hier im Reader dargestellt werden.

Einen weiteren Ansporn zur Auseinandersetzung mit dem Thema auf der Fortbildungsebene besteht darin, daß ich unterschiedliche Schwerpunkte zur Aufbereitung des Themas gesetzt habe: Zum einen durchleuchte ich inhaltlich das Thema „Fernsehen und seine Wirkungen“. Zum anderen setzt der zweite Schwerpunkt seine Akzente auf das Thema „Familie und ihre Strukturen“. Erst die Kombination beider Themenschwerpunkte lassen das Thema „Fernsehen in der Familie“ zu einem professions- und alltagsrelevanten Fortbildungsgegenstand für Pädagogen und Familien werden.

Der Reader in seiner vorliegenden Form ist ein ideales literarisches Lehrmittel für die Erwachsenenbildung, um die gelernten Inhalte aus den Fortbildungsveranstaltungen noch einmal inhaltlich überprüfen und vertiefen zu können. Desweiteren dient der Reader auch als Gestaltmittel zur textlichen Auseinandersetzung innerhalb des Fortbildungsseminars. Die Recherchen sind nach wissenschaftlichen Forschungsstandards gemäß der Methoden empirischer Sozialforschung[2] insbesondere mittels Inhalts-, Sekundäranalyse und Teilnehmender Beobachtung erfolgt und entsprechend dem aktuellen Stand von 1999. Eine Weiterentwicklung des Readers in seiner vorliegenden Form ist nicht vorgesehen, da er als einführendes Werk in die Thematik „Familie und Fernsehen“ hinreichende Ergebnisse zur Auseinandersetzung auf Erwachsenenbildungsniveau mit den Theorien der Medienwirkungsforschung im Familienzusammenhang aufzeigt. Hinweise auf weiterführende Literatur sind im Text mit Fußnoten gekennzeichnet und entsprechen der wissenschaftlichen Methodik für Quellenangaben.

Der Reader wird bei gegebenem Interesse an die Seminarteilnehmer und Seminarteilnehmerinnen gegen eine entsprechende Schutzgebühr ausgehändigt. Der Inhalt des Readers unterliegt dem Urheberrecht. Kopien des Readers bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Autors. Anfragen hierzu können an die im Anhang aufgeführte Adresse gerichtet werden.

Diplom-Pädagoge Ralf-Peter Nungäßer, Frankfurt am Main im Sommer 1999

Einführung

Das Interesse am Thema "Fernsehen in der Familien" entsprang meiner Tätigkeit als Sozialpädagoge in kommunalen Kindertagesstätten in den Jahren 1994 bis 1999. In diesen Sozialisationsstätten begegnete mir während meiner Erziehungsarbeit mit Kindern und innerhalb der Beratungsgespräche mit Eltern das Thema Fernsehen als Alltagsgegenstand recht häufig: Kinder redeten über ihre Lieblingssendungen und planten ihren Alltag nach Sendezeiten. Sie sprachen darüber, daß sie Figuren und Bilder ihrer Lieblings-Fernsehhelden besitzen würden und diese im Spiel imitieren. Eltern klagten über Konflikte mit ihren Kindern weil ihre Sprößlinge andere Sendungen schauen wollten als sie selbst und zu Zeiten, in denen Sendungen für Kinder nicht mehr geeignet sind. Eltern befürchteten die schlimmsten Auswirkungen auf ihre Kinder durch das, ihrer Meinung nach, hohe Gewaltpotential innerhalb der Fernsehsendungen. Selbst Erzieher und Erzieherinnen innerhalb der Kinderbetreuungseinrichtungen stehen dem Medium Fernsehen signifikant skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Durch diese praktische Berührung mit dieser Thematik gelang ich zu der Erkenntnis, daß das Fernsehen mittlerweile integraler Bestandteil der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen sowie der gesamten Familie ist. Kinder erlangen einen Teil ihrer Erfahrungen aus Fernsehmedien und beziehen sie in ihre Alltagswelt mit ein. Eltern sind damit meist überfordert. Sie reagieren verständnislos und erhoffen sich von Pädagogen eine Anti-Fernseh-Erziehung. Allerdings sind sich Eltern hierbei oft nicht bewußt, daß sie durch ihre eigene alltägliche Fernsehnutzung Vorbildfunktion für ihre Kinder übernehmen, an denen sich Kinder hinsichtlich der Entwicklung eigener Handlungsmuster orientieren. Auch die Literatur beschäftigt sich vornehmlich mit negativen Fernsehwirkungen auf Kinder: Sie rückt dabei das Medium Fernsehen einseitig in den Vordergrund bei der Suche nach Gründen für kindliche "Fehlentwicklungen" und blendet hierbei die Familie in ihren äußeren und inneren Sozialisations- und Interaktionszusammenhängen, auch in Bezug zur Fernsehnutzung, aus.

Hier sind Pädagogen und Sozialpädagogen - gemäß ihrer Berufsethik - aufgefordert, ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag gegenüber Kindern sowie dem Beratungsauftrag gegenüber Eltern gerecht zu werden und integrierend zu intervenieren: Das heißt einerseits, daß Pädagogen in ihren jeweiligen Einrichtungen Kindern einen konstruktiven und mündigen Umgang mit dem Medium Fernsehen anzuerziehen haben und andererseits, daß Pädagogen den Eltern mit ihren Familien-Medien-Problematiken ein vorurteilsfreies und kritisches Medienbewußtsein schärfen müssen bei gleichzeitiger Vermittlung konstruktiver Auseinandersetzungs- und Problemlösungsmechanismen bezüglich der Medien- bzw. Fernsehnutzung. Das pädagogische Personal in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Erwachsenenbildung muß sich hierbei mit der Thematik „Fernsehen in der Familie“ vertraut machen, um Kindern, Eltern und professionell tätigen Pädagogen bildend und beratend zur Seite stehen zu können. Doch leider wurde in den letzten zwei Jahrzehnten die gesamte Fernsehentwicklung von Pädagogen nur am Rande zur Kenntnis genommen, so daß sie nur spärliche Handlungsmethoden im Umgang mit der Fernsehproblematik aufzuweisen haben. Diese Verweigerungshaltung von Pädagogen aus der Praxis kann die gesamte Zunft in den Verruf der Realitätsfremdheit und Anachronismus bringen. Erst in jüngster Zeit beginnt die Pädagogik das Feld der Medienlandschaft und ihre Wirkungen auf die Menschen in Sozialzusammenhängen für sich zu entdecken und sich somit auf praktischer und theoretischer erziehungswissenschaftlicher Ebene auseinanderzusetzen (z.B. Hochschulen, Fachhochschulen, Fachschulen für Sozialpädagogik, zur Ausbildung von Erzieherinnen, und Erziehern, Fortbildungsseminare etc.). So gibt es bis heute innerhalb der gesamten wissenschaftlichen Forschung und Literatur keine allgemeine Einführung zum Thema Medienwirkungsforschung oder Mediensozialisation im Familienkontext, so daß verantwortlich Handelnde diffuse, nicht-einheitliche Handlungskompetenzen zur Thematik entwickeln. Die Bewerkstelligung einer Einführung wäre hier ein interessantes Forschungs- und Betätigungsfeld für die Wissenschaftler und hilfreich für die Professionellen in den Praxisfeldern.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes[3] gab es 1990 in (Gesamt-)Deutschland rund 14.5 Mio. Familienhaushalte mit einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahren (hierunter fallen Verheiratete, Geschiedene und Verwitwete - ohne Eheähnliche Gemeinschaften): Von diesen Familienhaushalten waren über. zweidrittel mit Radiogeräten bzw. Stereoanlagen, nahezu eindrittel mit Home-Computern (PCs) oder Telespielen, 98% mit einem Fernsehgerät und die Hälfte mit einem Videorecorder ausgestattet (die Angaben in der Literatur hierzu schwanken je nach Quantität der untersuchten Population, sie unterscheiden sich jedoch im Mittel mit den oben genannten Angaben nur geringfügig; siehe Abbildungen 1 und 2).

Abbildung 1:

Ausstattung von Gebrauchsgütern für Bildungs- und Unterhaltungszwecke in Haushalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Angaben beziehen sich auf Deutschland (West), 1992 (arithmetisches Mittel von dreistufigen einkommensabhängigen Familienhaushalten (STATISTISCHES BUNDESAMT, 1993, S.584).

Abbildung 2[4]:

Familiäre Ausstattung mit Mediengeräten (N=400)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Will man diese Statistiken deuten so ist hierbei feststellbar, daß elektronische Unterhaltungsmedien im Bereich der Familie zur Alltagsrealität gehören und somit jederzeit präsent- und nutzbar sind. Wenn hiermit auch noch keine Aussagen über Intention und Intensität der familialen Mediennutzung getroffen sind so ist, in Abhängigkeit davon, aus den Angaben jedoch ableitbar, daß diese Medien potentielle Einflüsse auf den familialen Prozeß der Sozialisation insbesondere auf die Sprachentwicklung, Wissensbildung, und Handlungskompetenzen ausüben.

Über die Art der Einflüsse der elektronischen Programm-Medien und deren Auswirkungen auf den Rezipienten insbesondere über die des Fernsehens wird seit drei Jahrzehnten in der (Fach-)Öffentlichkeit kontrovers diskutiert[5]: Die Fraktion der Kultur-Pessimisten (Apokalyptiker)[6] vertritt hierbei die Ansicht, daß die Verbreitung des elektronischen Mediums Fernsehen den kulturell-gesellschaftlichen Untergang bedeute; Kultur-Positivisten (Integrierte)[7] hingegen versprechen sich hiervon unter anderem den globalen Fortschritt[8].

Innerhalb dieser häufig irrational, emotional und ideologisch geführten Medienwirkungsdiskussion suchen Eltern, Lehrer, Erzieher und Pädagogen oft unsicher nach Orientierung. Maßstäben und Normen für den rechten Umgang mit den neuen Medien. Dementsprechend leitet sich hieraus die Zielsetzung meines Seminars ab: Es soll die Frage nach den Funktionen und Wirkungen von Medien, hier insbesondere nach denen des Mediums Fernsehen, aus dem Blickwinkel der Lebenswelt des Rezipienten, konkret aus dem Lebens Zusammenhang der Familie, durchleuchtet werden.

Die einwöchige Fortbildungsreihe die ich im Rahmen der Pädagogischen Praxis für Erzieher und Erzieherinnen und Eltern anbiete, gibt eine Übersicht hinsichtlich der Fernsehnutzung in der Familie. In diesem Rahmen sollen Professionelle theoretisches Rüstzeug zur Thematik an die Hand bekommen mittels dessen sie ihre Beratungen und Projekte konzipieren können. Eltern erhalten ebenso einen theoretischen Einblick in die Wirkmechanismen von Fernsehen auf das Familiensystem sowie einen kritischen Blick auf das eigene Fernsehverhalten. Die Qualifizierung der Seminarteilnehmer erfolgt über ein qualifiziertes Zertifikat mit der Bezeichnung „Mediensozialisator“ wie es im Anhang inhaltlich beschrieben ist.

Seminarverlauf

Das Fortbildungsseminar „Fernsehen in der Familie“ geht für die Bearbeitung der jeweiligen thematischen Schwerpunkte von folgender Hauptthese aus:

Bei der Betrachtung kontextbezogener Fernsehsozialisation sozialer Kategorien kommt es auf eine Verbindung medienabhängiger, personenabhängiger und umweltabhängiger Wirkfaktoren an. Denn erst die Bewußtmachung der gegenseitigen Verschränkung zwischen Fernsehstruktur (Zeichensystem, Inhalt usw.), Individualentwicklung (kognitive, emotionale Wahrnehmung; Einstellung usw.) und Sozialkontext (milieubedingte, familiäre, schulische usw. Interaktionsmuster) schafft die Voraussetzung dafür, Fernsehwirkungen bestimmen und deuten sowie entsprechend ihrer sozialen Folgen auf die Menschen adäquat handeln zu können (Curricula, Prävention, Kompetenzerweiterung). Aus diesem Leitgedanken theoretischer Betrachtung formuliert sich die Zielfrage nach differenzierten und wissenschaftlich evaluierten Handlungsmethoden einer bewussten Fernseherziehung in pädagogischen Bildungsbereichen und familiären Umgebungen.

Die Antworten auf die Zielfrage und die inhaltliche Füllung der These sollen im Seminar aus dem fachliterarischen Angebot gängiger wissenschaftlich fundierter Theorien, aus vorliegenden empirischen Befunden sowie aus der gängigen populärwissenschaftlichen Literatur zum Thema aber auch aus dem Erfahrungsfundus der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeinsam erarbeitet werden, um ein in sich schlüssiges Bild zum Thema „Fernsehen in der Familie“ zu erhalten.

Bezüglich der methodischen Umsetzung der oben angegebenen Zielsetzung sollen zu Beginn des Seminars die für das Thema relevanten Ausgangspunkte, Problemstellungen und Grundbegriffe (Grundannahmen) besprochen und definiert werden: Hierbei wird das soziale Gefüge des Systems Familie nach interaktionistischen Ansätzen[9] skizziert. Im Anschluß daran soll der Zusammenhang zwischen der Struktur elektronischer Medien, hier: insbesondere der des Fernsehens und seiner Funktionen, aufgezeigt werden[10]. Abschließend wollen wir bei der Definition des Begriffes 'Mediensozialisation' ansatzweise die dem Begriff inhärenten Wirkmechanismen auf den Rezipienten bzw. Mediennutzer darstellen[11].

Mit einem im Anschluß an die Grundannahmen folgenden kulturhistorischen Abriß des Fernsehens wollen wir Erkenntnisse erarbeiten, welchen Einfluß die sechzigjährige Entwicklung der Fernsehtechnik und deren Massenverbreitung auf den Wandlungsprozeß der soziokulturellen Struktur einer Gesellschaft hat und umgekehrt, wie die Gesellschaft mit der Nutzung der Medien wiederum Einfluß auf die Entwicklung der Medienentwicklung als solche hat[12]. Hierbei soll erkennbar sein, daß der historische Prozeß eines durch Medien mitbedingten gesellschaftlichen Strukturwandels immer auch mit Strukturveränderungen des Familiensystems korreliert.

Bevor wir jedoch näher auf die Auswirkungen des Fernsehens auf die einzelnen Familienmitglieder und deren Verarbeitungs- und Verhaltensweisen eingehen können, soll in einem Exkurs entsprechend des Soziologischen Schichtmodells[13] der Zusammenhang zwischen Milieuzugehörigkeit und Verhaltensprozessen von Menschen verdeutlicht werden die den Fernsehumgang im Wesentlichen mitprägen. Der zweite Teil des Exkurses soll entwicklungspsychologische Ansätze der Kindheit[14] und Adoleszenz[15] sowie kognitive und emotionale Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und Entwicklungsaufgabenprozesse des sich in der Entwicklung befindenden Individuums aufzeigen. Diese Exkurse dienen der Vertiefung des Verständnisses über die Entwicklung von Wirklichkeitsmodellen von Menschen in ihrer jeweiligen Entwicklungsphase sowie in Abhängigkeit ihrer sozialen Lebenswelt unter deren Voraussetzungen Fernsehwirkungen erst ihre unterschiedlichen Ausprägungen erhalten; daneben dienen sie als Grundlage individueller und familiärer Bedingungen nach denen Erziehungskonzepte hinsichtlich des Medienumgangs ausgelegt sein sollten.

Anschließend wollen wir bei der Bearbeitung der Hauptthematik dieser Bildungsveranstaltung die aktuell in der Literatur der Medien- bzw. Fernsehwirkungsforschung aufgeführten Untersuchungen und Ergebnisse darstellen. Zu diesem Zweck sollen populärwissenschaftliche Fernsehwirkungsthesen[16],[17],[18] einen Überblick über den öffentlichen Fernsehwirkungsdiskurs geben. Als wissenschaftliche Grundlage zur Beschreibung der Medienwirkungen dienen allerdings die aus der Medienwirkungsforschung gewonnenen sozialisationsrelevanten Medienwirkungstheorien und -hypothesen[19], emotionale, kognitive und medizinische Wirkungsaspekte[20] sowie familienzentrierte Ansätze aus der Medienkulturforschung. Danach wollen wir die in der pädagogischen Literatur angeführten familiären Fernsehwirkungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung von personalen, situativen und sozialen Bedingungen für innerfamiliäre Fernsehnutzungsroutinen darstellen[21],[22]. Vor diesem Hintergrund sollen über die Auswirkungen des Fernsehgebrauchs und die entwickelten Fernsehnutzungsroutinen der einzelnen, Familienmitglieder hinaus im nächsten Unterkapitel die Wirkmechanismen der sozialen Funktionen des Fernsehens im Familiensystem unter Aspekten der Integrations- und Isolationsfunktion des Fernsehens sowie hinsichtlich der Rollenbildung durch das Fernsehen erörtert werden[23].

Erst das Erkennen dieser Wirkmechanismen in Verbindung mit den in der Familie vorherrschenden Interaktionsmustern ermöglicht die aus medienpädagogischen Ansätzen[24] ableitbare 'Familienzentrierte Medienpädagogik' als Sozialisationshilfe wie sie im fünften Kapitel aus der Literatur zur Medienerziehung für die Bereiche Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen dargestellt werden sollen[25]. Anschließend sollen diese Erkenntnisse zu einer Entwicklung eines erkundungsrelevanten Fragenkataloges führen, um Anregungen für Handlungskonzepte und weitere empirische Studien zu dieser Thematik geben zu wollen.

Am Ende des Seminars gibt eine Zusammenfassung einen skizzenhaften Überblick über die Hauptthesen der jeweiligen Seminareinheiten.

1. Kapitel

Grundlagen:

1.1 Die Familie und ihre Strukturen
1.2 Das Fernsehen und seine Funktionen
1.3 Fernsehwirkungen auf die Familie

1.1 Die Familie und ihre Strukturen

Ausgangsfragen:

a) Wie funktioniert die Familie als System?
b) Welche Strukturen gibt es in der Familie?
c) Welche Kommunikations- und Interaktionsformen kommen in der Familie vor?
d) Welche Funktionen hat die Familie?

Wichtige Ansätze die sich von verschiedenen Ausgangspunkten wie beispielsweise der psychoanalytischen Theorie, der Sozialpsychologie oder der Soziologie her entwickelt haben wurden von Anderson[26] benannt. Er unterscheidet hierbei deskriptiv zwischen psychodynamischen, erlebniszentrierten, verhaltenstherapeutischen, strukturellen und kommunikationstheoretischen Ansätzen. Das Interesse richtet sich dabei nicht allein auf das Individuum, sondern auf das Familiensystem als Ganzes und seine Selbstorganisationsstrukturen[27],[28] bzw. auf die alle Individuen dieses Systems verbindenden Beziehungsmuster und Interaktionsprozesse. Grundlage hierfür ist die von v.Bertalanffy[29] begründete allgemeine Systemtheorie.

Gemäß der Systemtheorie geht v.Bertalanffy bei der Betrachtung der Familie von vier grundlegenden Annahmen aus[30]:

- Das Ganze (System) wird als mehr betrachtet, als bloß die Summe der einzelnen Teile.
- Handlungsweisen des einzelnen Teils sind nur im Kontext des gesamten Systems zu verstehen.
- Finden Interaktionsveränderungen in einem Teil statt, so beeinflussen diese jeden anderen Teil im System.
- Das System hat das Bestreben nach Homöostase (Stabilität), Äquilibrium (Gleichgewicht) und begrenzter Transformation (Veränderung).

Im Verlauf des Fortbildungsseminars wollen wir uns hauptsächlich auf das Konzept des strukturellen Ansatzes[31],[32] und des kommunikationstheoretischen Ansatzes[33],[34] beziehen. Beide Modelle gaben vor allem der Familientherapie und -beratung neue Impulse. Sie sehen die Familie als ein sich selbst regulierendes System welches nach eigenen, im Verlauf der Zeit verinnerlichten Regeln funktioniert.

Dem voran stehen gesellschafts- und sozialisationstheoretische Aspekte die für die pädagogische Familienbildung und sozialpädagogische Familienberatung von Bedeutung sind. In ihnen wird die Familie als kleinste soziale Einheit innerhalb der Gesellschaft beschrieben. Ihr werden in der gesellschaftswissenschaftlichen Literatur Funktionen wie Anpassung an das Normen- und Wertesystem der Gesellschaft - bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit dieser -, Produktionsfunktion zur Existenzsicherung, Reproduktions-, Plazierungs- und Regenerationsfunktion zugeschrieben[35],[36]. In der sozialisationstheoretischen Literatur[37] werden folgende Hauptaufgaben der Familie beschrieben: Erziehung (Vermittlung von Kulturwerten einer Gesellschaft), Individuation (Wachstum, Förderung und Identitätsfindung der einzelnen Familienmitglieder), Integration (Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit aller Familienmitglieder zueinander), Kompensation (Spannungsausgleich zur versachlichten Außenwelt) sowie in der Abgrenzung einzelner gegenüber den anderen Familienmitgliedern wie in Abbildung 3 weiter unten angeführt.

In der kommunikationstheoretischen Literatur stellten Watzlawick und Beavin fest, daß jedes Verhalten eine Kommunikation ist, die notwendigerweise eine Antwort. hervorruft, welche ihrerseits wiederum kommunikative Funktionen erfüllt. Es ist demnach unmöglich, nicht zu kommunizieren. Ricci[38] erweitert den hauptsächlich auf Dyaden bezogenen Kommunikationsansatz um den systemischen Aspekt: "Jede dyadische Kommunikation kann wiederum Teil eines unterschiedlichen großen Personennetzes sein. Mit jeder hinzukommenden Person erhöht sich die Komplexität des Kommunikationssystems und das dyadische Erklärungsmodell muß durch ein komplexeres ersetzt werden"[39].

Abbildung 3[40]:

Hauptfunktionen des Familiensystems:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Daneben unterscheidet Satir[41] bei der Betrachtung de Kommunikationssystems in „geschlossene“ und „offene“ Systeme: Hierbei wird das offene System als ein auf Veränderungen eingestelltes System beschrieben, das eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Realität ermöglicht und das Selbstwertgefühl des Einzelnen, an höchste Stelle setzt. Das geschlossene System hingegen beinhaltet, rigide Kommunikationsmuster innerhalb derer Veränderungen Widerstand entgegengesetzt wird und sich lediglich durch Anwendung von Macht, Autorität aufrecht erhält (zu diesem Thema wird in Kapitel 3.1 näher eingegangen).

Strukturtheoretisch geht Minuchin[42] davon aus, daß die Familie im Laufe der Zeit bestimmte Interaktionsmuster entwickelt. Diese Muster bilden die Familienstruktur die ihrerseits das Verhalten der Familienmitglieder lenkt, ihren Verhaltensspielraum absteckt und ihre Interaktionen ermöglicht. Diesbezüglich bezeichnen Kaufmann und Kaufmann die Familie als ein soziales System, "das durch transaktionale Muster gesteuert wird. Das sind wiederholte Interaktionen (zwischen den Mitgliedern), die Muster einschleifen - wie, wann und zu wem in Beziehung getreten wird (...). Wiederholte Interaktionen schaffen Muster, und diese Muster unterstützen das Fanliliensystem"[43].

Die sich auf diese Weise bildenden Aktions- und Reaktionsmuster werden vertraut, sie werden von den einzelnen Familienmitgliedern als aas Selbst empfunden (verinnerlicht) und man gibt ihnen den Vorrang[44]. Insgesamt sieht sich somit jeder Mensch als Einheit, als ein Ganzes, das mit anderen Ganzheiten in Interaktion steht, d.h. daß sich jeder Mensch in erster Linie nicht lediglich als Teil einer Familienstruktur erlebt, sondern als eigenständige individuelle Einheit. Die Familie ist demnach ein System, das sich als Ganzes aus seinen Elementen und den Beziehungen zwischen ihnen zusammensetzt wobei ständig eine wechselseitige Beeinflussung jeder Einheit im System stattfindet[45].

In diesem Zusammenhang entscheidet jede individuelle Einheit, je nach dem situativen Kontext des Familiengeschehens (z.B. Fernsehen), in welcher Weise sie in Beziehung zu den anderen Einheiten treten möchte (wer z.B. mit wem fernsehen möchte). Auf diese Weise bilden sich im Familiensystem Subsysteme, die jeweils verschiedene Aufgaben ausführen und wiederum untereinander in Interaktion stehen: "Subsysteme in der Familie können einzelne oder auch Dyaden sein - wie etwa Ehemann und Ehefrau - und größere, durch Generation, Geschlecht oder Aufgaben (sowie Rollen) gebildete Untergruppen. Die Grenzen von Subsystemen werden durch Regeln definiert, die festlegen, wer auf welche Weise an ihnen teilnimmt"[46].

So sollten einerseits die Grenzen ausreichend definiert sein, damit es den Mitgliedern des Subsystems gestattet ist ihre spezifischen Aufgaben zu erfüllen. Andererseits' sollten sich Subsysteme jedoch nicht von der übrigen Familie isolieren und die Möglichkeit einschließen, andere Familienmitglieder für die Lösung spezieller Probleme des Subsystems - oder des Gesamtsystems - mit einzubeziehen[47].

Insgesamt kann die Familie als ein personales Beziehungssystem betrachtet werden, das sich als Ganzes aus seinen individuellen Einheiten (Elementen) und ihren wechselseitigen strukturellen, interaktiven und kommunikativen Beeinflussungen untereinander zusammensetzt, die jeweils spezielle Sozialisationsaufgaben erfüllen (z.B. Erziehungsaufgaben des Elternsubsystems). Dieses System grenzt sich einerseits gegenüber der Außenwelt ab und wird andererseits dennoch von Bedingungen der sich verändernden soziokulturellen Struktur einer Gesellschaft mit beeinflußt. Da die Familie der Ort der Primärsozialisation für alle Familienmitglieder ist, sind hierbei die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für Kinder und Jugendliche während ihres Entwicklungsprozeßes. An den familiären Strukturen und den elterlichen Verhaltensweisen orientieren sich Kinder und übernehmen von ihnen die anerzogenen familiären Werte und Lebensbewältigungsmuster. Im Zuge der Schulsozialisation wird das Kind mit neuen gesellschaftlichen Werten und Normen konfrontiert, die es in das Familiensystem hineinträgt. Jugendliche hingegen beginnen, im Rahmen ihrer Entwicklung hin zur Identitätsfindung, verstärkt die aus der Familie erlernten Verhaltensmuster mit jenen aus ihren an Bedeutung zunehmenden Freundeskreis zu vergleichen und ggf. zu verändern. Insofern findet im Familiensystem eine stete Auseinandersetzung zwischen von außen, z.B. durch Fernsehen, herangetragenen gesellschaftlichen Wertevorstellungen. und den innerfamiliär festgelegten Werten statt. Daneben geht mit der Veränderung der Sozialstruktur der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft eine zunehmende Individualisierung der Lebensläufe aller Familienmitglieder einher. Dies hat zur Folge, daß sich die Phase der traditionellen Familiengründung verschiebt: Somit kommt es insgesamt zu Veränderungen im Familienzyklus (z.B. spätere Heiraten bzw. Familienplanung, häufiger frühe Scheidungen und Wiederverheiratung oder Ein-Eltern-Familien), zu einem veränderten Rollenverständnis der Frauen und Männer (z.B. stärkere Berufsorientierung einerseits oder verstärkte Familienorientierung andererseits) sowie zu veränderten Familienstrukturen und -beziehungen durch die Verminderung der Geschwister zahl und der Auflösung der Mehrgenerationenfamilie zugunsten der Kernfamilie, mit drei bis vier Familienmitgliedern. Für die Kinder bedeutet diese sich verändernde Familienstruktur häufiges Allein-Sein, geringe Nachbarschaftskontakte[48] und die Bürde der frühen Selbständigkeit. In diesem Zuge nimmt die Erfahrung der außerfamiliären institutionalisierten Betreuung durch Kindergärten, Horte, Kinder- und Schülerläden, Sportvereine u.a. zu. Für Jugendliche hat der familiäre Strukturwandel mit der einhergehenden Individualisierung der Fanlilienlebensläufe längere Ausbildungszeiten mit einer Verlängerung der Abhängigkeit vom Elternhaus oder von staatlichen Transferleistungen (z.B. Bundesausbildungsförderungen - BAföG) zur Folge[49]. In diesem Zusammenhang bekommt die Suche nach jugendkulturellen Lebensstilen sowie das Experimentieren mit alternativen Lebensformen für Jugendliche die Bedeutung, subjektive Erfahrungen der ökonomischen Unsicherheit in der Konkurrenz um knapper werdende berufliche Chancen subkulturell zu bewältigen[50]. Welche Einflußmöglichkeiten hierbei das Fernsehen auf diesen familiären Wandlungsprozeß hat und wie sich die Familie mit diesem auseinandersetzt, soll in der Seminareinheit des 4. Kapitels näher erarbeitet werden.

Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Auffassungen von der Familie als System wird deutlich, daß im Einfluß der Familie auf den Sozialisationsprozeß ihrer Mitglieder, im Zusammenspiel mit anderen Sozialisationsinstanzen (z.B. Fernsehen), eine hohe Verantwortung für die Gesamtentwicklung des Familiensystems liegt.

1.2 Das Fernsehen und seine Funktionen

Ausgangsfragen:

e) Was sind Medien?
f) Welches sind spezifische Funktionen des Fernsehens?
g) Wie konstruiert Fernsehen Wirklichkeit?
h) Wie dienen Informationen der Wissens- und Meindungsbildung?

Unter dem vom lateinischen Adjektiv "medius" entlehnten Begriff Medium (Mehrzahl: Medien) ist dem Wortsinne nach 'Mittel' oder 'Mittler' zu verstehen. Das Medium schafft durch die Verbreitung von personalen (verbalen oder nonverbalen) und apersonalen (handwerklich-technischen oder elektronischen) Zeichen-, Bilder-, Ton-, oder Schriftinformationen an beliebig viele Empfänger eine Voraussetzung dafür, Verbindungen und Beziehungen zwischen Personen oder Gegenständen herzustellen[51],[52],[53],[54],[55].

Innerhalb dieser, für die Erziehungswissenschaft weit gefaßten etymologischen Mediendefinition wird deutlich, daß einem enger gefaßten Medienbegriff kommunikationswissenschaftliche Relevanz zugeschrieben werden muß, auf die sich im Rahmen dieser Arbeit vornehmlich bezogen werden soll. So bezeichnen Schanze[56] und Maletzke[57] Medien in diesem Sinne als institutionalisierte Medien der Massenkommunikation in Verbindung mit deren technologischer Mittel und Programmen als Mittler, die sich hierbei zunehmend mit dem Synonym Massenmedien verwenden lassen (auch: Audiovisuelle Medien, hier insbesondere das Fernsehen oder Video) wie ein Modell der Massenkommunikation in Abbildung 4 anschaulich verdeutlicht:

Abbildung 4[58]:

Modell der Massenkommunikation unter Berücksichtigung psychologischer, soziologischer und anderer Faktoren, die die Objektivität und Wirkung des Informationsaustausches beeinflussen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Grundlage für spezifische Funktionen des Fernsehens liegt in dessen Struktur des elektronisch-technischen Systems. Hierzu zählt vor allem das spezifische und ineinander verschränkte Drei-Zeichensystem[59] des Mediums Fernsehen: Akustischer Code (Ton), verbaler Code (Wort) und visueller Code (Bild), welche gewichtige Einflußfaktoren auf die Wahrnehmung und somit für die Konstruktion menschlicher Wirklichkeitsmodelle darstellen[60]. Die elektrische Signalübertragung von audio-visuellen Informationen erfolgt dabei in Lichtgeschwindigkeit und prägt somit ein neues Wahrnehmungsverständnis der Raum-Zeit-Dimensionen: Wissenschaftler[61],[62],[63] sprechen in diesem Zusammenhang von Darbietungsbeschleunigungen vielerlei Ereignisse, die die Welt als ein mediales Dorf erscheinen lassen. Insofern lassen sich dem Fernsehen auch "mediumspezifische Funktionen"[64] zuschreiben, da es für das Fernsehen charakteristisch ist, daß man es Zuhause jederzeit benutzen kann und dadurch medialen Anteil am Weltgeschehen hat. Es wird dabei deutlich, daß durch das Medium Fernsehen und den verantwortlichen Redakteuren der Fernsehanstalten der Prozeß der medialen Wahrnehmung und Wirklichkeitskonstruktion des Menschen erst durch die Verbindung von Form und Inhalt der vermittelten Information mitgeprägt wird. Lasswell[65] arbeitete für den dafür verantwortlichen Kommunikationsprozeß drei medienstrukturelle Funktionen heraus, die überall auf der Welt wirksam sind:

1. Die "kontrollierende Beobachtungsfunktion" ("surveillance"), die von Korrespondenten überall in der Welt ausgeführt wird und ein Geschehen objektiv beobachten.
2. Die "Wechselbeziehungsfunktion" ("correlation"), d.h. die Interpretation, Kommentation und Beratschlagung als Reaktion auf eine informierende Zustandsbeschreibung.
3. Die "Übermittlungsfunktion" ("transmission") , durch die das soziale Erbe als Normen- und Wertemuster einer Gesellschaft übermittelt wird und zum Sozialisations- und Entwicklungsprozeß des Individuums, einer sozialen Gruppe und der Gesellschaft beiträgt.

Auf der inhaltlichen Ebene werden Wirklichkeitskonstruktionsfunktionen des Fernsehens aus soziologischer, medienwissenschaftlicher und kulturkritischer Betrachtung beschrieben, die im Grundsatz von der ideologischen Richtung der Sendeinstitution sowie von der Wahrnehmungsweise des Rezipienten abhängig Sind[66],[67]. In diesem Sinne erfüllen Fernsehproduktionen, entsprechend ihrer Strukturen und Gattungen mit festen Daten und Tatsachen (z.B. Nachrichten, Dokumentationen) oder fiktiven Elementen (z.B. Filme, Theater), Funktionen hinsichtlich künstlerischer Darbietungen von Seiten des Produzenten und wecken ästhetische Empfindungen (Geschmack, Gefallen) seitens der Rezipienten. Bezüglich der Unterhaltungssendungen mit ihren geringen Anforderungen an die Rezipienten lassen sich den Fernsehproduktionen auch Freizeitfunktionen zuschreiben, die vor allem der Entspannung bzw. der Regeneration dienen. Das Interesse der Fernsehproduzenten und deren finanzielle Träger ist hierbei vordergründig ein Ökonomisches (z.B. durch die Schaffung eines Medienverbundes im Konsumtionsbereich: Heldenspielfiguren, Klebebilder, Poster, Spiele, Spielzeuge, Hefte, Bücher etc.). Im gesellschafts-politischen und wissenschaftlichen Bereich (Informationsverbreitung) werden dem Fernsehen und seinen Produzenten Funktionen der Wissenserweiterung und Willensbildung zugeschrieben (zur Vertiefung der Informationen tragen innerhalb des Medienverbundes beispielsweise Begleitbücher, Funkkollege etc. bei). Ob jedoch das Fernsehpublikum zu einer direkten öffentlichen Reaktion (Willensäußerung) imstande sein kann wird in der Fachöffentlichkeit kontrovers diskutiert. In diesem Zusammenhang stellt sich auch. die Frage nach der öffentlichen Meinungsbildungsfunktion des Fernsehens, derer sich insbesondere politische Parteien für ihre Zwecke zu einem wichtigen Instrumentarium machen und von den Rezipienten zur politischen Meinungs- und Willensbildung hohe Differenzierungsfähigkeit abverlangt. Daneben schreibt Ronneberger[68] dem Fernsehen Funktionen zu, die, wie Rühl beschreibt, "Bestands- und Entwicklungsleistungen demokratisch-pluralistischer Gesellschaftsordnungen"[69] implizieren, so z.B. durch die Vermittlung bestehender sozial-kultureller Normen und Werte und politischer Vielseitigkeit (siehe Abbildung 5). Hinsichtlich der Alltagswirklichkeit des Familiensystems lassen sich dem Fernsehen Struktur-, Interaktions-, Kommunikations- und Sozialisationsfunktionen zuschreiben.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß diese strukturell und inhaltlich vorgegebenen Fernsehfunktionen, die zur Konstruktion individueller und gesellschaftlicher Wirklichkeit dienen, immer auch ihren Wirkungsbereich in sozialen Prozeßen von Menschen (sowie einer jeweiligen Gesellschaft) zur Entfaltung bringen, womit wir uns im Kapitel "Soziale Funktionen des Fernsehens im Familiensystem" näher beschäftigen werden.

Abbildung 5[70]

Funktionales Inventar der Massenkommunikation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.3 Fernsehwirkungen auf die Familie

Ausgangsfragen:

a) Was ist Sozialisation?
b) Was versteht man unter Mediensozialisation?
c) Wie machen Medien ihre Sozialisationseinflüsse auf die „sozial-ökologischen“ Zonen geltend?
d) Wie wirkt Fernsehen auf die Familiensozialisation?

Der Begriff der Sozialisation findet seine Verwendung sowohl in der soziologischen, psychologischen als auch in der pädagogischen Literatur und meint neben der biologischen Geburt vor allem die soziokulturelle Geburt des Menschen. Hierunter ist zu verstehen, daß der Mensch im Laufe seiner Entwicklung zu einer gesellschaftsfähigen und kulturell gebildeten Person heranreift, d.h. der Mensch erhält die Befähigung, seine Entwicklung eigenständig zu gestalten, wobei diese für den gesamten Verlauf seines Lebens eine zentrale Aufgabe darstellt. Somit betont der Begriff der Sozialisation, daß der Mensch unter der Einwirkung einer jeweiligen gesellschaftlich und kulturell geprägten Umwelt zu Ende geboren wird. Die Vermittlung der gesellschaftlichen Normen und Wertevorstellungen sowie kultureller Errungenschaften erhält der Mensch innerhalb der drei Sozialisationsphasen (Primär-, Sekundär- und Tertiärsozialisation) über die jeweiligen Sozialisationsinstanzen wie Familien-, Schul-, Ausbildungs-, Arbeits-. Freizeitmilieu. Wobei der Prozeß der Vermittlung direkt, wie im Falle der Erziehung (z.B. durch die Familie oder Schule), und indirekt verläuft, wie z.B. am Arbeitsplatz oder in der Freizeit (durch Kollegen, Freunde, das Fernsehen usw.)[71],[72]. Neben dem Sozialisationsverlauf in Phasen unterscheidet man in diesem Zusammenhang auch in milieu- bzw. schichtspezifische Sozialisation.

Grundsätzlich liegen jeder inhaltlich gefüllten Sozialisationstheorie Wertmaßstäbe einer "gelungenen" Menschwerdung zugrunde. Ging man früher noch davon aus, daß der Mensch nur dann eine "gelungene" bzw. "normale" Persönlichkeitsentwicklung vollzog, wenn er sich lediglich an die Bedingungen seiner Umwelt angepaßt hat, so gehen neuere sozialisationstheoretische Ansätze davon aus, daß der Mensch seine Persönlichkeitsentwicklung in interaktiver Auseinandersetzung mit seiner Umwelt gestaltet[73]. Individuum und Umwelt stehen nach diesem Sozialisationsmodell in einer Wechselbeziehung zueinander (Interdependenzmodell), so daß beide sich gegenseitig beeinflussen bzw. verändern. Böhm geht davon aus, daß, je nach Forschungsinteresse, dabei die kognitiven, emotionalen, motivationalen, moralischen oder sprachlichen Dimensionen der Sozialisation besonders hervorgehoben werden. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die Untersuchungen. der verschiedenen wissenschaftlichen Autoren zum Thema Wirkungen des Fernsehen auf den Prozeß der menschlichen Sozialisation in starkem Maße vom eigenen wissenschaftlichen Standpunkt sowie vom Leitbild der sozialen Menschwerdung abhängig ist wie Böhm hierzu treffend formuliert: "Je nach unterschiedlichem Verständnis des Menschenbildes werden in der Sozialisationsforschung mehr die gesellschaftliche Bedingtheit individueller Entwicklungs- und Lernprozesse oder die Freiheits- und Handlungsspielräume des Menschen, seine Chance zu Distanz und Widerstand gegen Gesellschaft thematisiert"[74].

In Anlehnung an das o.g. Sozialisationsverständnis gelten somit für den Begriff der Mediensozialisation die Massenmedien bzw. in unserem Fall das Fernsehen als Sozialisationsinstanz. Sie vermitteln den Menschen bestimmte Verhaltensmuster, Regeln und Formen des sozialen Umgangs, Werte- und Normsysteme, Denkweisen, Wissen usf.[75] einer jeweiligen Gesellschaft und Kultur. Da nach Hurrelmann[76] das Fernsehen ein Teil der dinglichen Lebensumgebung einer Familie darstellt, so geht sie weiterhin davon aus, daß Fernsehmedien darüber hinaus eine symbolische und kommunikative Umwelt bilden, die gemäß der o.g. Sozialisationstheorie von Menschen in ihren spezifischen sozialen Zusammenhängen aktiv verarbeitet werden. Diese sozialen Zusammenhänge, in denen sich Sozialisationsprozesse vollziehen, beschreibt Baacke[77] als vier "sozial-ökologische" Zonen, die der Mensch in seiner Entwicklung durchschreitet und die gleichzeitig von .Medien durchdrungen sind:

1. ökologisches Zentrum: Familie, Zuhause.

Kennzeichen: Emotionale Bindungen, direkte Kommunikation und Interaktion, Abhängigkeit der Jüngeren von den Älteren. Hier machen Kinder ihre ersten sozialen und medialen Erfahrungen. Die Familienzentrierung nimmt bei Jugendlichen während ihres Ablösungsprozesses zugunsten anderer ökologischer Zonen ab. Der Fernsehgebrauch ist demnach überwiegend familienzentriert.

2. ökologischer Nahraum: Nachbarschaft, Wohnviertel, Stadtteil.

Kennzeichen: Informelle Treffpunkte wie Höfe, Park etc. Hier machen Kinder und Jugendliche eigene Erfahrungen und überprüfen ihren familiären sozialen und medialen Umgang im Vergleich mit anderen Bekannten. Der Mediengebrauch erfolgt unkontrolliert, spontan und freizeitorientiert.

3. ökologische Ausschnitte: Funktionsdifferenzierte Räume wie Kindergarten, Schule, Sportverein, institutionalisierte Freizeitangebote, Arbeitsstelle u.a.

Kennzeichen: Sie dienen bestimmten Sozialisationszwecken und bilden Ausschnitte eines ganzheitlichen Lebens. Innerhalb dieser Ausschnitte gibt es spezifische Medienumgebungen wie Kino, Bücherei, Videothek, Computer am Arbeitsplatz usw.

4. ökologische Periferie: Zone gelegentlicher Kontakte (z.B. Urlaub).

Kennzeichen: Erfahrungsbereich jenseits der Alltagsroutine und gewohnter Erfahrungen. Wobei Medien auch hier Erfahrungsbegleiter sein können.

In diesem Zusammenhang kommt es für Hurrelmann bei der Betrachtung der Mediensozialisation in der Hauptsache darauf an die Sozialisationsinstanzen Familie und Medien miteinander zu verknüpfen. Hierbei gilt es, etwas darüber in Erfahrung zu bringen auf welche Art und Weise die Familie mit Medien bzw. mit dem, Medium Fernsehen umgeht, d.h. wie die Familienmitglieder in ihrem familiären Wirkungszusammenhang sowie durch sonstige sozial-ökologische Beeinflussungen die Fernsehangebote rezipieren und verarbeiten. Wobei bei der Bewertung des Auseinandersetzungs- und Verarbeitungsprozesses sowohl die konstruktiven als auch destruktiven Wirkungen gleichermaßen Beachtung finden sollten. Des Weiteren spielen für Hurrelmann folgende Aspekte für die Definition von Mediensozialisation eine wichtige Rolle[78]:

- Fernsehmedien treten als kommunikative Umwelt in enge Beziehung zu personalen Austauschprozessen, die für die Sozialisation auf der Ebene der Interaktion zwischen Menschen mitentscheidend sind (z.B. ist das Fernsehen Bestandteil der Familien-, Freundeskreis- oder Freizeitinteraktion und -kommunikation).
- Das Fernsehen als ökonomische und politische Größe stellt selbst eine gesellschaftliche Organisation dar, die nach eigener Logik und eigenen Bedingungen Funktionen, also Leistungen und Beiträge zum Prozeß der Sozialisation anbieten (z.B. ideologisch geprägte Kompensationsfunktion bezüglich der Alltagsbewältigung sowie Vermittlungsfunktion von Weltanschauungen usw.),
- daneben spricht Fernsehen als eigenes Sozialsystem bzw. Sozialisationsinstanz Rezipienten aus allen Altersschichten als Konsumenten direkt an und durchsetzt und prägt somit ihre Handlungsbereiche (Schaffung des Medienverbundes).

Ferner läßt sich das Fernsehen systemtheoretisch als ein gesellschaftliches Subsystem betrachten, welches in engen funktionalen Beziehungen und Wechselwirkungen zur Gesamtgesellschaft steht. D.h. was auch immer Menschen über ihren engeren Handlungsbereich hinaus von der Gesellschaft erfahren, ist nicht nur durch Medien vermittelt, sondern bereits von den Medien durchsetzt. Medien durchdringen hierbei alle sozialen Institutionen sowie die Privatsphäre und erlangen hierdurch eine hohe Wichtigkeit im menschlichen Sozialisationsprozeß. Diese mediale Sozialisationserkenntnis gilt demnach auch analog für die Familie.

Innerhalb der Medienwirkungsforschung postuliert Maletzke [79] daß Auswirkungen des Fernsehens auf den Sozialisationsprozeß des Rezipienten von einer Reihe von Faktoren abhängig sind. Hierbei geht er davon aus, daß Wirkungsreaktionen beim Rezipienten (z.B. Verhalten, Attitüden, Wissen, Emotionen) nach einer gesehenen Fernsehproduktion unter vier Voraussetzungen jeweils zur Geltung kommen:

1. Individuell-charakteristische Ausprägungen wie Beeinflußbarkeit, Intelligenz, Sprache, Bedürfnisse, Antriebe, Interesse, Einstellungen, Erwartungen, Werte, Geschmack, Gewohnheiten etc.
2. Psychische Prozesse wie Aufnahme- und Wahrnehmungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Verständnis, Akzeptanz, Motivation etc.
3. Soziale Faktoren wie Gruppenzugehörigkeit (Familie, Peer-Group), Milieu, Beziehung zum Kommunikator, persönliche Kommunikationsweise, usw.
4. Subjektive und objektive Situationen des Rezipienten, wie z.B. Vorstellung vom Medien-Kommunikator (Fernsehstrukturen und dessen Funktionen), Rezeptionsumgebung, Atmosphäre.

Als fünfter Punkt waren hierbei sicherlich die Inhalte des Medienprodukts selbst anzuführen, die einerseits ihre Bedeutungen je nach Ausprägung der genannten Prämissen erhalten und andererseits wiederum auf diese Prämissen zurückwirken.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß unter Mediensozialisation die Gesamtheit der Medienwirkungen (in unserem Falle in Form des Fernsehproduktes und des Fernsehverbundes als Sozialisationsinstanz bzw. Sozialisationsagent) auf den psychisch-seelischen und sozialen Entwicklungsprozeß des kindlichen, jugendlichen und erwachsenen Rezipienten oder auf ein soziales System (wie z.B. die Familie) zu verstehen ist (mediale Sozialisationswirkungen). Wobei sich Rezipienten aktiv mit sich selbst und ihrer realen Alltagswirklichkeit und gleichzeitig mit der Fernsehumwelt bzw. Fernsehwirklichkeit auseinandersetzen. Letztlich bleibt zu konstatieren, daß Mediensozialisation nicht allein durch die Strukturen und Inhalte des Mediums Fernsehen beeinflußt wird, sondern erst durch die Kombination milieutypischer und entwicklungspsychologischer Bedingungen sowie durch familiäre Interaktionsstrukturen ihre Ausprägung erhält.

2. Kapitel

Grundlagen:

2.1 Kulturgeschichtlicher Abriß des Mediums Fernsehen
2.2 Historische Entwicklung des Fernsehens im soziokulturellen Kontext der vorbundesrepublikanischen Gesellschaften
2.3 Soziokultureller Strukturwandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die Medienevolution

2.1 Kulturhistorischer Abriß des Mediums Fernsehen

Ausgangsfragen:

a) Wie haben sich Medien in der zeit vor 1945 entwickelt?
b) Wie haben sich Medien und das Fernsehen in der Bundesrepublik entwickelt?

Die Kulturgeschichte der Medien läßt sich geschichtsphilosophisch-teleologisch[80] oder nach soziologisch-systemevolutionärer Konzeption bzw. strukturtheoretisch[81] oder diskontinuierlich[82] darstellen. Hierbei wird sie unter Berücksichtigung technikgeschichtlicher Daten, organisations-[83] und ökonomiehistorischer[84] Rahmenbedingungen, Institutionen- und programmgeschichtlich[85] sowie unter sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekten einer Gesellschaft[86] beschrieben (eine über hundertjährige Chronologie der technisch-institutionellen Entwicklung des Rundfunks und des Fernsehens sowie deren Anwendung ist in Abb.6 im Anhang einzusehen) . Um das Verhältnis von Fernsehen und gesellschaftlicher Mentalität in seinen Zusammenhängen aufzeigen zu können, behandelt dieses Kapitel die sechzigjährige Entwicklungshistorie des Fernsehens unter kultur- und. sozialgeschichtlichen Aspekten, die immer auch für die Werte und Normvorstellungen einer Familie von zentraler Bedeutung in ihrem Alltagsprozeß sind. Hierbei sollen vornehmlich zwei Fragenkomplexe unter der Prämisse der gegenseitigen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen Fernsehentwicklung und gesellschaftlichen Prozessen untersucht werden:

1. Unter welchen epochentypischen kulturellen und kommunikativen Voraussetzungen hat sich das Fernsehen entwickeln und' in, den vorbundesrepublikanischen Gesellschaften etablieren bzw. nicht etablieren können? Welchen Stellenwert haben hierbei die Menschen bzw. Familien dem Fernsehen in ihrem Alltag beigemessen?
2. Welche Einflüsse hat die Fernsehevolution der fünfziger Jahre bis heute begünstigt und wie wirkt sie sich auf den sozialen und kulturellen Wandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft und damit einhergehend auf den Sozialisationsprozeß der Familie aus?

2.1 Historische Entwicklung des Fernsehens im soziokulturellen Kontext der vorbundesrepublikanischen Gesellschaften

Ausgangsfragen:

a) Was waren die ersten Medien?
b) Welche Bedingungen führten zur Entwicklung von Medien?
c) In welcher Epoche wurde das Fernsehen erfunden?
d) Welchen Zweck erfüllte das Fernsehen?

Im Folgenden sollen innerhalb dieses sozial- und kulturhistorischen Abrisses die epochentypischen Kommunikationsformen und die Erwartungen des Fernsehpublikums der dreißiger und vierziger Jahre an das neue Medium dargestellt werden, um somit die Entwicklung des Fernsehens mit seinen Startschwierigkeiten transparent machen zu können.

In allen Epochen haben die unterschiedlichsten Kulturen Gesellschaften, Gruppen und Individuen ihre typischen Kommunikationsformen entwickelt, mittels derer sie in gegenseitiger Verständigung über Zeitgeschehnisse standen. Vor den Erfindungen mechanischer und elektrischer Informationsübertragungssysteme (Buchdruck, Zeitung, Telefon, Radio, Fernsehapparat) vollzog sich der Informationsaustausch noch vorwiegend mündlich direkt von Mensch zu Mensch und von Gruppe zu Gruppe[87]. Erst die Erfindung der Drucktechnik und der damit verbundene Übergang vom selbst erstellten Schriftzug zum Druckbild hatten zur Folge, daß die Bedeutung bzw. der Bedeutungsgehalt einer schriftlichen Information direkt und ohne Beteiligung des eigenen Körpers dem Bewußtsein zugänglich gemacht werden konnte[88]. Diese neue Entwicklung im Denk- und Kommunikationsprozeß von und zwischen Menschen, nicht mehr direkt an einem Ereignis beteiligt sein zu müssen und doch darüber informiert zu sein, schuf, neben der technischen, eine mentale Voraussetzung für die weitere Medienentwicklung und Medienhandhabung in der Bundesrepublik Deutschland. Innerhalb der zwanziger bis vierziger Jahre war dieser Bewußtseinswandel hinsichtlich der Zeitung, des Buches und streckenweise auch in Bezug auf das Radio längst vollzogen, er blieb jedoch bezüglich des Mediums Fernsehen völlig aus. Es bestand zwar der Wille zur technischen Weiterentwicklung des elektronischen Mittlers bzw. Boten, jedoch eilte diese der mentalen Entwicklung der vorbundesrepublikanischen Gesellschaften zur Nutzungsfähigkeit des Fernsehers voraus.

Die technischen Grundlagen der Fernsehentwicklung waren am Ende der zwanziger Jahre so weit entwickelt, daß in den USA und in einigen Ländern Europas das Fernsehen der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Zunächst begrüßte die deutsche Publizistik die Möglichkeit über die Radiowelle auch das bewegte Bild ins Haus tragen zu können[89]. Allerdings blieb das Interesse der deutschen Rundfunkgesellschaften und des Publikums an dem neuen Medium vorerst noch recht gering[90]. Als Erklärung für diese Startschwierigkeiten des Fernsehens führt Diller[91] technisch ungelöste Probleme zur Umsetzung der o.g. Vision an, so daß sich Hörfunk und Kinofilm noch drei Jahrzehnte gegenüber dem Fernsehmedium durchsetzten. Trotz späterer Bemühungen der Nationalsozialisten das Fernsehen für ihre propagandistischen Zwecke zu nutzen, blieb das Fernsehen im Dritten Reich mit ca. 500 privaten Fernsehgeräten und etwa 1500 bis 2000 regelmäßigen Zuschauern ein "publizistischer Torso" und "ein Medium ohne Publikum"[92].

Elsner und seine Kollegen beschreiben die Startschwierigkeiten des Fernsehens aus mentalitätsgeschichtlicher Perspektive unter Bedingungen der vorherrschenden Kommunikationsverhältnisse der Zwischenkriegsjahre[93]. Sie rücken hierbei das Verhältnis von Körper und Bewußtsein in den Vordergrund, welches besonders in dieser Epoche davon geprägt war, bei einer Bewußtseinstätigkeit wie z.B. das Erleben realer Ereignisse, Körpererfahrungen nicht aus dem Bewußtsein auszublenden. Zwar haben Menschen seit dem selbstverständlichen Umgang mit gedruckten Büchern verinnerlicht, daß Kommunikationserfahrungen nicht an körperliche Interaktion gebunden sein müssen, um eine Bewußtseinstätigkeit vollziehen zu können (z.B. versetzen in die fiktionale Welt der Literatur). Das Fernsehen jedoch in seiner unattraktiven, durch den Bildschirm begrenzten Darstellungsform der Wirklichkeit wurde seinerzeit nicht als besondere Form der Wahrnehmung aufgefaßt. Es konnte somit keine eigenständige Kommunikationsleistung erbringen, entgegen der kommunikativen Erwartungen an den durch körperliche Anwesenheit erlebten Live-Ereignissen wie Theater, Revue, Variete oder Sportveranstaltungen etc. In diesem Zusammenhang schreiben Elsner u.a. treffend: "So bestand der zeittypische Wunsch, in körperlicher Nähe an den Ereignissen beteiligt zu sein, also zum Beispiel ein Sportspektakel (der Olympischen Spiele) im Stadion zu erleben. Das Fernsehen galt nur als ein notdürftiger Ersatz für das Dabei-Sein. Außerdem orientierten sich die Erwartungen der Zuschauer an der optischen Qualität und der Größe der Bilder im Kino"[94]. "Die Erfahrung des Dabei-Seins am Ort des Geschehens war noch für die Vorstellung von Kommunikation bestimmend"[95].

Die hier mentalitätsgeschichtlich beschriebenen zeittypischen Gewohnheiten und Formen der Kommunikation, die das Fernsehen nicht zu verändern vermochte, setzten sich noch bis zum Ende der vierziger Jahre fort, was Lang u.a. mit den in dieser Zeit vorherrschenden "schwachen Medien"[96] begründen. Diesen Begriff verwenden sie im historischen Kontext während des Vergleichs von 'Medien und öffentlicher Meinung' und leiten ihn aus den von Merten[97] beschriebenen Medienwirkungsansätzen ab, innerhalb derer er die Intensität von Wirkungen vermißt und somit postuliert, daß Massenmedien sowohl starke als auch schwache Wirkungen haben können. In diesem Sinne konnten sich schwache Medien wie das Fernsehen, und zum Teil das Radio, hinsichtlich des Einflusses auf Wahlentscheidungen der Bürger nur gering durchsetzen, da aufgrund des o.g. Verständnisses von Wirklichkeitserfahrung der Menschen aus dieser Zeit, der Einfluß des persönlich bekannten Politikers bzw. Meinungsführers stärker war als der durch Medien vermittelte Eindruck eines politischen Meinungsführers[98].

Es wird deutlich, daß das Fernsehen .in diesem Stadium der soziokulturellen Mentalität, d.h. aufgrund des epochen-typischen Kommunikations- und Wahrnehmungsverständnisses der vorbundesrepublikanischen Gesellschaften, keine bzw. nur geringe Wirkungen entfalten konnte und deshalb der Anschaffung des Fernsehens bis dato keinen besonderen Stellenwert beigemessen wurde. Aus diesen mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnissen der zwanziger bis vierziger Jahre ist ableitbar, daß die Interaktionsformen und Kommunikationsinhalte innerhalb des Familienlebens in dieser Zeit ihren direkten Bezug aus dem körperlich erlebten sozialen Alltag schöpften und noch keine oder geringe Vermischung und Auseinandersetzung mit medial rezipierter Wirklichkeit stattfand.

Das die Entwicklung des Fernsehens in den fünfziger Jahren mit dem Einzug in die Haushalte ihren Höhepunkt erreicht hat und sich dort etablieren konnte, ist zum einen mit den Massenproduktionsmitteln und den daraus folgenden erschwinglichen Anschaffungskosten sowie mit einem grundlegenden Mentalitätswechsel der Gesellschaft in dieser Zeit zu erklären, dessen Eigenschaft und seine Folgen im nächsten Kapitel erläutert wird.

2.3 Soziokultureller Strukturwandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die Medienevolution

Ausgangsfragen:

a) Welche Medien erhielten einen massenphänomenalen Durchbruch?
b) Welche Bedingungen führten zur Entwicklung des Fernsehens?
c) Welche Wirkungen wurden durch die Einführung und Nutzung des Fernsehens erstmal sichtbar?
d) Welchen Einfluß hat die Politik auf die Fersnehentwicklung?

In diesem Abschnitt soll die Entwicklung des Fernsehmediums im sozial- und kulturgesellschaftlichen Kontext während und nach den fünfziger Jahren dargestellt werden, um die Erfolgsbedingungen des Fernsehens und deren Folgen auf den soziokulturellen Strukturwandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft skizzenhaft aufzeigen zu können.

Eine Ursache für den Durchbruch der audio-visuellen Massenmedien sieht Glotz[99] in der rasanten technisch-industriellen und kulturgesellschaftlichen Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg schufen Erfindungsreichtum im technischen Know-how, differenzierte Arbeitsteilung, steigende Bildung, komplexe Politik, Populationszuwachs usw. zunehmend die Notwendigkeit, Boten bzw. Mittler einzusetzen, die den Nachrichtenaustausch und den Informationsfluß auf schnellstmögliche Weise der breiten Masse zugänglich machen konnten. Hinzu kommt, daß gegenüber der oben beschriebenen Kommunikationsform der vorbundesrepublikanischen Epoche, die mentale Entwicklung der Gesellschaft nach der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland in entgegengesetzte Richtung hin zur Mediennutzungsfähigkeit verlief. Nach Elsner veränderte diese Wechselwirkung somit wiederum die Mentalstruktur der bundesrepublikanischen Bevölkerung: "Der vom Medium provozierte Wandel in den Lebensgewohnheiten wurde begleitet von einem intensiven Gewöhnungsprozeß an neue, fernsehspezifische Wahrnehmungs- und Handlungsschemata"[100].

Es wird dabei erkennbar, daß die technische, institutionelle und organisatorische Weiterentwicklung und Verbreitung der elektronischen Mittler bzw. Boten (Radio und Fernsehen) zu Beginn der fünfziger Jahre[101],[102],[103] zu einer Etablierung führten, so daß sie heute die Stellung stabiler Sozialisationsfaktoren und Sozialisationsfunktionen in Bezug auf Interaktions- und Entscheidungsprozesse der Gesellschaft, Gruppen und Individuen einnehmen. Gleichzeitig hat dies wiederum begünstigende Rückwirkung auf die Medien- bzw. Fernsehevolution, worauf im Folgenden mentalitätsgeschichtlich naher eingegangen werden soll.

Unter dem Einfluß der westlichen alliierten Besatzungsmächte und deren demokratischer Tradition vollzog sich nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland in der Gesellschaft ein grundlegender Wandel in politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereichen. Während besonders im Dritten Reich die (national-)sozialistische Vorstellung herrschte, daß sich der einzelne der Gemeinschaft bzw. dem Führerstaat bedingungslos unterzuordnen hat, sind die westlichen Demokratien durch die Entwicklung eines ethisch-politischen und volkswirtschaftlichen Individualismus gekennzeichnet[104]. Diese Grundhaltung gab somit die Zielrichtung für die Entwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft vor und äußerte sich nach Elsner in der Tatsache, daß sich die Lebensinteressen der Menschen zunehmend auf die Privatsphäre (Familie und Beruf) orientierten[105]. Diese gesellschaftliche Entwicklung schuf die Voraussetzung für das Fernsehen, als dominantes audiovisuelles Massenmedium in den Privathaushalten verstärkt Einzug zu erhalten und dort seine Wirkungen zu entfalten.

Eine erste wahrgenommene Wirkung des Fernsehens war die des "medialen Dabei-Seins"[106]. Hier nun veränderte sich die Form des Erlebens und der Wahrnehmung gegenüber der vorbundesrepublikanischen Mentalität des Dabei-Seins bei einem bestimmten Ereignis: Das Fernsehen wurde durch die Vermittlung eines gleichzeitigen Weltgeschehens zu einem "Fenster zur Welt"[107], das "die (Welt-) Bühne ins Haus bringt"[108] ohne körperlich bei diesen Live-Ereignissen anwesend sein zu müssen. Dieses mediale Dabei-Sein hatte zunächst etwas Sensationelles und Schockierendes gleichermaßen, wie Elsner u.a. feststellen: "Mit dem (...) Gefühl, etwas zu erleben 'als ob', blieb in einer Übergangszeit die Erinnerung an die primäre Wahrnehmungs- und Erfahrungsdimension eines körperlich gebundenen Bewußtseins noch gegenwärtig. Dennoch wurde der mit dem Fernsehen verbundene Live-Effekt sehr schnell zur Gewöhnung"[109].

Im Rahmen der technischen und institutionellen Medienevolution kam nach der Einführung eines zweiten Fernsehsenders in den sechziger Jahren ein Faktor zum Tragen, der einen entscheidenden Anteil an der Erweiterung der medial vermittelten Wirklichkeit hatte: Der eindimensionale Blickwinkel auf die Weltwirklichkeit hob sich zugunsten eines mehrschichtig dargestellten Weltbildes auf, was als Grundstock einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft angesehen wurde[110]. Im Zuge der Erweiterung des Fernsehangebotes und der Möglichkeit des Rezipienten, sich als Beobachter vielerlei außenliegender Geschehnisse zu erfahren, kommt ein besonderes Identifikationsmoment bezüglich der Fernsehinhalte, dessen Darsteller bzw. Figuren hinzu: Der Rezipient entwickelt die Illusion, eine persönliche Beziehung zu den Fernsehstars zu haben (z.B. Fernsehfamilien und ihre Protagonisten). Diese Komponente der medial vermittelten und konstruierten Wirklichkeit haben besonders Politik und Wirtschaft seit den sechziger Jahren, für ihre Zwecke erkannt und sich die 'Suggestivkraft des Fernsehens'[111] später verstärkt zunutze gemacht: Es bildete sich allmählich eine Fernseh-Strategie heraus, die, nach Lang u.a., Ereignisse inszeniert, "die Politiker in den Nachrichtensendungen so erscheinen laßt, wie sie gern gesehen werden möchten"[112] und Produkte in alltagsbezogener und suggestiver Weise präsentieren, daß der Fernseh-Kunde sich mit ihnen identifiziert, um somit ihre Absatzmärkte erweitern zu können[113]. Dieser Prozeß der politisch-ökonomischen' Einflußnahme auf die Öffentlichkeit der zunehmend unter Einbeziehung der Massenmedien stattfindet ist, nach dem Verständnis von Habermas, ein wesentlicher Faktor dafür, daß ein Strukturwandel der Öffentlichkeit am Wandel ihrer vorzüglichsten Institutionen wie die Massenmedien, dingfest zu machen ist[114]. Insgesamt sehen Bartelmes u.a. gesellschaftliche Wirkungen des Fernsehens in sechs Bereichen[115]:

- Im politischen System: Einflußnahme der Politik auf das Fernsehen; Einflußnahme des Fernsehens auf politische Parteien, z.B. durch Unterstützung kleinerer Parteien.
- Im Bildungswesen: Einflußnahme des Fernsehens auf das Bildungsniveau der Gesellschaft durch Vorschul- und Bildungsprogramme oder Trivialunterhaltung.
- Im beruflichen Sektor: Das Fernsehen schafft neue Berufsbilder, die neue Fachausbildungen ermöglichen (z.B. Kameramann/Kamerafrau, Bildmischer/in).
- Im Konsumgütermarkt/Wirtschaft: Werbung verhilft zur Produktions- und Absatzmarktsteigerung.
- Im Bereich gesellschaftlicher Integration oder Isolation: Integration oder Isolierung gesellschaftlicher Randgruppen (Alte, Delinquenten, Ausländer etc.).
- Im institutionellen Sektor: Fernsehen schafft die Vertiefung der Beziehungen zwischen Institutionen wie z.B. Schule, Kindergarten und Familie durch Vorschul-, Schul- und Fortbildungsprogramme.

Seit dem sich die Fernsehzuschauer als Augenzeugen des vom Fernsehen gelieferten Weltgeschehens sowie als Beteiligte an den inszenierten fiktiven Fernsehereignissen begreifen hat sich das Fernsehen zu einem Wahrnehmungshorizont entwickelt, das die kollektiven und individuellen Konstrukte von Wirklichkeit beherrscht[116]. Diesen durch Medien geprägten Wirklichkeitskonstruktionen werden in der Literatur differenzierte Folgen in Bezug auf den Prozeß eines soziokulturellen Gesellschaftswandel zugeschrieben[117],[118],[119],[120],[121],[122],[123],[124]:

- Gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich durch Erfahrungen oder durch Medienvermittlung neuer sozialer Systeme und durch sprachliche Reflexion der jeweils vorherrschenden Wirklichkeitskonstruktionen.
- Eine durch die elektronische Berichterstattung konstruierte Wirklichkeit beinhaltet eine Veränderung des kulturellen Sprachgebrauchs hin zur Vereinheitlichung des Sprachstils, Degenerierung der Sprache (Reduzierung auf Substantive und Schlagworte), und verdrängt längerfristig die Vorherrschaft der über Jahrhunderte entwickelten alphabetischen Schrift einer Kultur.
- Die Konstruktionen von Wirklichkeit durch audiovisuelle Kommunikation - ohne Verfügbarkeit der Schrift - beinhaltet Oberflächlichkeit, Kurzlebigkeit und verändern das Erinnerungsvermögen.
- Der gesellschaftliche Gebrauch des Fernsehens verändert das soziale und gesellschaftliche Wissen über die Wirklichkeit menschlicher Lebenswelt.
- Die durch Fernsehen konstruierte Wirklichkeit unterschiedlicher Interessensgruppen einer Gesellschaft, hat integrativen Charakter hinsichtlich des Geschmacks, Meinungen, Werte, Normen, Konformität, Generation usw. innerhalb dieser Subgruppen, fördert jedoch die Isolation zwischen ihnen und erhöht die Pluralität, Diffusion und Komplexität des gesamtgesellschaftlichen Kontextes.
- Verschiedene, durch das Fernsehen gebildete öffentliche Meinungen greifen kontrollierend, regulierend und reformierend in den sozialgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Prozeß sowie in die Medienstruktur selbst ein (Aufsichtsgremien etc.).
- Eine durch AV-Medien konstruierte Wirklichkeit sowie ein erhöhtes Angebot audiovisueller Medien und deren Vernetzung wirken sich verändernd auf das Normen- und Wertesystem sowie auf das Berufsleben, Leistungs-, Bildungs- und Freizeitverhalten der Gesellschaft aus.

Die in diesem Zusammenhang aus der Medienwirkungsforschung neu entstandenen. Begriffe der "Mediengesellschaft"[125] oder "Informationsgesellschaft"[126] und "Kommunikationsgesellschaft"[127] werfen einen Blick auf die zukünftige Entwicklung der Verknüpfung von Medien und Gesellschaft. So zeichnen sich schon heute medienevolutionäre Entwicklungen ab (Videokultur, BTX, Interaktives Fernsehen, Telematik-Ecke, Internet etc.)[128] die von der zunehmenden Vernetzung und Verbreitung bisher unabhängiger Medien und Informationssysteme geprägt sind. Aber auch von der wachsenden Betroffenheit und Abhängigkeit von immer mehr Individuen und Gruppen durch die Technisierung und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. Allerdings sehen Kubicek u.a. nicht nur Gefahren in der Entwicklung der Informations- bzw. Kommunikationsgesellschaft. Sie schreiben ihr einen gesellschaftlichen Wandel zu der vornehmlich von "höherer Gerechtigkeit", von "gleichen Zugriffsmöglichkeiten" aller Bürger auf die Medien und somit von "Chancengleichheit" geprägt sein wird[129]. Daneben gehen sie davon aus, daß durch neue Kommunikationstechnologien Zeit in den alltäglichen Routineaufgaben gespart werde, die letztlich der interpersonalen Kommunikation zugute komme.

[...]


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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783836611381
Dateigröße
990 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
fernsehen medienwirkung massenmedium familie erwachsenenbildung
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Titel: Fernsehen in der Familie - Vom sinnvollen Umgang mit einem Massenmedium
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