Lade Inhalt...

Ressourcenorientierte Verkehrstherapie

Evaluation eines verkehrstherapeutischen Verfahrens

©2007 Diplomarbeit 82 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Verkehrszentralregister waren im ersten Halbjahr 2006 8.359.101 sogenannte „Verkehrssünder“ registriert, d. h. Personen, die aufgrund von Verstößen gegen geltende Rechtsvorschriften im Straßenverkehr auffällig geworden sind. Diese Zahl allein verdeutlicht, dass der Straßenverkehr keineswegs in strenger Ordnung verläuft und dass Verhaltensauffälligkeiten von Verkehrsteilnehmern keine seltene Ausnahme sind. Die Tendenz, Verkehrsvorschriften zu missachten, kann schwerwiegende Folgen haben, insbesondere, wenn die Verstöße gegen Verkehrsvorschriften im Zusammenhang mit dem Genuss bzw. Missbrauch von psychotropen Drogen stehen. Die begangenen Ordnungswidrigkeiten bzw. Straftaten können zu schweren Verkehrsunfällen führen, die Verletzungen – auch tödliche – zur Folge haben.
Daher wird angestrebt, die Anzahl der Verkehrsdelikte gering zu halten. Ab einer bestimmten Verstoßanzahl oder im Zusammenhang mit der Schwere eines einzelnen Verstoßes haben wiederholte Verstöße gegen Verkehrsvorschriften zur Folge, dass die Fahrerlaubnis von der zuständigen Behörde oder durch das Gericht entzogen wird. Die Maßnahme gründet auf der Überlegung, dass dem Verkehrsteilnehmer eine wesentliche (dauerhafte) Eigenschaft fehlt - die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das Straßenverkehrsgesetz sieht in diesem Zusammenhang vor (§ 2 Abs. 4): „Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat“.
Der Begriff „Fahreignung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. In der Regel wird - mit wenigen Ausnahmen - angenommen, dass jeder Führerscheinbewerber zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet ist. Im Falle wiederholter Verhaltensauffälligkeiten im Straßenverkehr können Zweifel an der Fahreignung einer Person entstehen, die derlei Auffälligkeiten gezeigt hat. Die Fahrerlaubnis-Verordnung sieht unter § 3 die Einschränkung und Entziehung der Zulassung im Falle der Ungeeignetheit des Kraftfahrers vor: „(1) Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen“. § 11 lautet ferner:
(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Víctor M. Harvey
Ressourcenorientierte Verkehrstherapie
Evaluation eines verkehrstherapeutischen Verfahrens
ISBN: 978-3-8366-1136-7
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

2
Zusammenfassung
Zur Überprüfung der Wirksamkeit eines verkehrstherapeutischen Verfahrens - der
ressourcenorientierten Verkehrstherapie - wurden in einer quasi-experimentellen
Anordnung ehemalige Klienten einer verkehrstherapeutischen Einrichtung im nord-
deutschen Raum mit einer nicht randomisierten Kontrollgruppe ohne therapeutische
Intervention im Hinblick auf nach Abschluss der Maßnahme begangene Verkehrs-
zuwiderhandlungen verglichen (N=107). Geprüft wurden drei Hypothesen: dass ver-
kehrsauffällige Kraftfahrer, die eine Verkehrstherapie absolviert haben, seltener oder
später rückfällig werden als solche Kraftfahrer, die keine Therapie absolviert haben,
dass Langzeittherapien wirksamer als Kurzzeittherapien sind und dass Gruppenthe-
rapien wirksamer als Einzeltherapien sind. Die Mittelwertvergleiche ergaben im Fal-
le der ersten zwei Hypothesen keine signifikanten Ergebnisse. Die Wirksamkeit der
Gruppentherapie erwies sich als tendenziell größer als die Wirksamkeit der Einzel-
therapie.
Die negativen Ergebnisse hinsichtlich der ersten zwei Hypothesen könnten auf me-
thodische Aspekte, im Besonderen einen geringen Rücklauf der Fragebögen und die
Nichtbeantwortung einschlägiger Fragen, zurückzuführen sein. Einen Hinweis dar-
auf, dass eine endgültige Falsifizierung dieser Hypothesen voreilig sein könnte, lie-
fert eine Überprüfung der Ergebnisse der medizinisch-psychologischen Untersu-
chungen der Befragten: Aus Sicht der jeweiligen Gutachter sind die Verkehrsthera-
pie-Absolventen erfolgreicher als die Kraftfahrer der Kontrollgruppe. Der signifikan-
te Unterschied verweist auf ein Verhältnis von 94,4 % zu 70,4 % positiver Gutachte-
nergebnisse zwischen beiden Gruppen.
Die ehemaligen Klienten sind zudem mehrheitlich der Überzeugung, dass sie nach
Abschluss der Verkehrstherapie ihrem selbst gesetzten Therapieziel (meist Abstinenz
in Bezug auf Alkohol oder psychotrope Drogen) näher gekommen sind oder es voll-
ständig erreicht haben und dass sie dieses Ziel, im Mittelwert 2,5 Jahre nach Ab-
schluss der Verkehrstherapie weiterhin weitgehend oder vollständig einhalten kön-
nen. Entsprechend fällt die Zufriedenheit mit der Therapie aus: Die Mehrheit der
Befragten gibt an, diese habe ihnen ,,viel gebracht".

3
Abstract
To analyse the efficacy of a driver rehabilitation therapeutic programme - resource-
oriented driver rehabilitation therapy - a quasi-experimental disposition was under-
taken, in which former clients of a particular organisation in Northern Germany were
compared with a non-randomised control group who had had no therapy, with re-
spect to road-traffic offences committed after treatment had been received (N = 107).
Three hypotheses were tested: that motorists who have committed moving-traffic
offences who have undergone driver rehabilitation therapy show recidivist behaviour
less often or later than motorists who have not undergone therapy; that long-term
therapies are more effective than short-term therapies; and that group therapies are
more effective than individual therapies. Mean-value comparisons showed no sig-
nificant results in the case of the first two hypotheses. Group therapy tended to be
more effective than individual therapy.
The negative results emerging with regard to the first two hypotheses could be due to
methodological aspects, particularly to a low rate of return of questionnaires and
failure to answer certain relevant questions. That a definitive falsification of these
hypotheses would be premature is shown by a survey of the results of the psycho-
medical examinations of those questioned: in the view of the expert assessors con-
cerned, drivers who have undergone driver rehabilitation therapy are more successful
than the control group. The significant comparison gives a ratio of 94.4% to 70.4%
of positive assessment results between the two groups.
Moreover, a majority of former clients believe that, following their driver rehabilita-
tion therapy, they have approached nearer to or fully achieved the objective of their
therapy (mostly abstinence from alcohol or psychotropic drugs), and 2.5 years (mean
value) after concluding their driver rehabilitation therapy they continue largely or
completely to adhere to this objective. Satisfaction with the therapy shows according
scores: the majority of those questioned state it "did them a lot of good."

4
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung...1
Abstract...3
Inhaltsverzeichnis ...4
Abbildungsverzeichnis...7
Tabellenverzeichnis...7
1 Einleitung...8
1.1 Allgemeines ...8
1.2 Verkehrspsychologische Intervention...11
1.2.1 Verkehrspsychologische Beratung...11
1.2.2 Schulungsmaßnahmen ...12
1.2.2.1
Anerkannte Kurse nach § 70 FeV ...12
1.2.2.2
Aufbauseminare...13
1.2.2.3
Hilfemaßnahmen für Alkoholkranke und suchtgefährdete
Kraftfahrer ...13
1.2.3 Verkehrspsychologische Therapie ...14
1.2.3.1
Ressourcenorientierte Verkehrstherapie in der
verkehrstherapeutischen Einrichtung ...15
1.2.3.1.1 Allgemeines...15
1.2.3.1.2 Praktischer Ablauf der Therapie...17
1.2.3.1.3 Therapielänge ...17
1.2.3.1.4 Therapieinhalte ...18
2 Stand der Forschung ...20
2.1 Überblick ...20
2.2 Ausgewählte Studien ...21
2.2.1 Das EU-Projekt ,,Andrea"...21
2.2.2 Alkoholauffällige Kraftfahrer nach Abschluss einer
Langzeitrehabilitation Modell IVT-Hö...22
2.2.3 Die Untersuchung von Scheucher et al. ...23
3 Fragestellung ...25
3.1 Allgemeines ...25
3.2 Hypothesen ...25
3.3 Explorativer Teil ...27

5
4 Methode ...28
4.1 Evaluationskriterien...28
4.2 Untersuchungsdesign...29
4.2.1 Stichprobenumfang...30
4.2.2 Prüfung der ersten Hypothese...30
4.2.3 Prüfung der 2. und 3. Hypothese ...32
4.2.4 Effektstärken...32
4.2.5 Messinstrument...33
4.2.5.1
Allgemeines zum Fragebogen...33
4.2.5.2
Der Berner Stundenbogen (,,Stubo")...34
4.2.5.3
Datenerhebung ...36
5 Ergebnis ...38
5.1 Stichprobe ...38
5.1.1 Demographische Merkmale ...38
5.1.2 Weitere Merkmale ...39
5.1.3 Nicht-Antwortende ...41
5.2 Hauptergebnisse...43
5.2.1 Wirksamkeit der Therapie in Bezug auf die Legalbewährung ...43
5.2.2 Länge der verkehrspsychologischen Therapie: Zusammenhang mit der
Legalbewährung...44
5.2.3 Wirksamkeit von Gruppentherapien im Vergleich zu Einzeltherapien ...45
5.3 Nebenergebnisse ...46
5.3.1 Hinweise aus gutachterlicher Tätigkeit...46
5.3.2 Von den Klienten wahrgenommene Wirksamkeit und Zufriedenheit
hinsichtlich der Therapie ...48
5.3.3 Erreichung und Einhaltung selbstgesetzter Therapieziele aus Sicht der
Klienten...50
5.3.3.1
Erreichung der selbstgesetzten Therapieziele ...53
5.3.3.2
Einhaltung der selbstgesetzten Therapieziele ...54
5.3.4 Wirkfaktoren in der Psychotherapie ...55
5.3.5 Lebenszufriedenheit...57
6 Diskussion...59
6.1 Methodische Aspekte...59
6.1.1 Allgemeines ...59
6.1.2 Ist ressourcenorientierte Verkehrstherapie wirkungslos? ...60
6.1.3 Nicht ausreichende Daten als möglicher Grund einer nicht bestätigten
Hypothese ...60
6.1.4 Länge der Therapie kein entscheidender Faktor: Mögliche Erklärungen63
6.1.5 Gruppentherapie ist wirksamer als Einzeltherapie ...64

6
6.2 Interpretation der Ergebnisse ...65
6.2.1 Eine Gesamtwürdigung der vorliegenden Evaluationsstudie ...65
Literaturverzeichnis ...69

7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Prüfung Hypothese Nr. 1 ...32
Abbildung 2: Zufriedenheit mit der Therapie...49
Abbildung 3: Selbsteinschätzung der Klienten in Bezug auf den Therapienutzen...49
Abbildung 4: Erinnerte Therapieziele ...52
Abbildung 5: Therapieziele aus der Klientenkartei ...53
Abbildung 6: Erreichung der Therapieziele...53
Abbildung 7: Einhaltung der Therapieziele...55
Abbildung 8: Unerwartete Lernerfolge im Laufe der Therapie...68
Abbildung 9: Würden Sie diese Art von Verkehrstherapie weiterempfehlen? ...68
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Statistische Kennwerte der verschiedenen Skalen des Berner
Stundenbogens ...35
Tabelle 2: Demographische Merkmale der Stichprobe ...38
Tabelle 3: Weitere Merkmale der Stichprobe ...40
Tabelle 4: Verschiedene Merkmale von Antwortenden bzw. Nicht-
Antwortenden im Vergleich...42
Tabelle 5: Erneutes Auffallen im Straßenverkehr, Interventions- und
Kontrollgruppe...43
Tabelle 6: Entziehung der Fahrerlaubnis ...44
Tabelle 7: Rückfälligkeit und Therapielänge...45
Tabelle 8: Gruppentherapie/Einzeltherapie und erneute Zuwiderhandlungen ...46
Tabelle 9: Ergebnis medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) ...47
Tabelle 10: Statistische Kennwerte theoretischer Wirkfaktorenskalen im
Vergleich...56
Tabelle 11: Wirkfaktoren, Mittelwertvergleich ...56
Tabelle 12: Lebenszufriedenheit - Gesamtstichprobe...58

8
1
Einleitung
In der folgenden Arbeit wird die männliche Form zur Personenbezeichnung ver-
wandt; dies erfolgt ausschließlich aus Gründen der erleichterten Textlesbarkeit und
umfasst jeweils auch weibliche Personen.
1.1 Allgemeines
Im Verkehrszentralregister waren im ersten Halbjahr 2006 8.359.101 sogenannte
,,Verkehrssünder" registriert, d. h. Personen, die aufgrund von Verstößen gegen gel-
tende Rechtsvorschriften im Straßenverkehr auffällig geworden sind (Kraftfahrt-
Bundesamt, 2007, S. 7). Diese Zahl allein verdeutlicht, dass der Straßenverkehr kei-
neswegs in strenger Ordnung verläuft und dass Verhaltensauffälligkeiten von Ver-
kehrsteilnehmern keine seltene Ausnahme sind. Die Tendenz, Verkehrsvorschriften
zu missachten, kann schwerwiegende Folgen haben, insbesondere, wenn die Verstö-
ße gegen Verkehrsvorschriften im Zusammenhang mit dem Genuss bzw. Missbrauch
von psychotropen Drogen stehen. Die begangenen Ordnungswidrigkeiten bzw. Straf-
taten können zu schweren Verkehrsunfällen führen, die Verletzungen ­ auch tödliche
­ zur Folge haben. Daher wird angestrebt, die Anzahl der Verkehrsdelikte gering zu
halten. Ab einer bestimmten Verstoßanzahl oder im Zusammenhang mit der Schwere
eines einzelnen Verstoßes haben wiederholte Verstöße gegen Verkehrsvorschriften
zur Folge, dass die Fahrerlaubnis von der zuständigen Behörde oder durch das Ge-
richt entzogen wird. Die Maßnahme gründet auf der Überlegung, dass dem Ver-
kehrsteilnehmer eine wesentliche (dauerhafte) Eigenschaft fehlt - die Eignung zum
Führen von Kraftfahrzeugen. Das Straßenverkehrsgesetz (Bundesministerium der
Justiz, 2003, S. 310, 919) sieht in diesem Zusammenhang vor (§ 2 Abs. 4): ,,Geeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geisti-
gen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrs-
rechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat". Der Begriff ,,Fahr-
eignung" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. In der Regel wird - mit wenigen Aus-
nahmen - angenommen, dass jeder Führerscheinbewerber zum Führen eines Kraft-
fahrzeugs geeignet ist. Im Falle wiederholter Verhaltensauffälligkeiten im Straßen-

9
verkehr können Zweifel an der Fahreignung einer Person entstehen, die derlei Auf-
fälligkeiten gezeigt hat. Die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV, Bundesgesetzblatt I
1998, S. 2214) sieht unter § 3 die Einschränkung und Entziehung der Zulassung im
Falle der Ungeeignetheit des Kraftfahrers vor: ,,(1) Erweist sich jemand als ungeeig-
net oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die
Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erfor-
derlichen Auflagen anzuordnen". § 11 lautet ferner:
(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutach-
tungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann
zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 2 angeordnet
werden,
1. wenn nach Würdigung der Gutachten gemäß Absatz 2 oder Absatz 4 ein
medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich erforderlich ist,
2. zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Befreiung von den Vor-
schriften über das Mindestalter,
3. bei erheblichen Auffälligkeiten, die im Rahmen einer Fahrerlaubnisprüfung
nach § 18 Abs. 3 mitgeteilt worden sind,
4. bei erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche
Vorschriften oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenver-
kehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen oder bei denen
Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen oder
5. bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis, wenn
a) die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war oder
b) der Entzug der Fahrerlaubnis auf einem Grund nach Nummer 4 beruhte.
Im Jahr 2005 wurden im Rahmen von Maßnahmen der Gerichte und Verwaltungsbe-
hörden 141.242 allgemeine Fahrerlaubnisse entzogen (Kraftfahrt-Bundesamt, 2006,
S. 66). Die Gründe für einen Führerscheinentzug können folgende sein: Trunkenheit
(einmalige Trunkenheitsfahrt mit mehr als 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration
oder wiederholte Fahrten unter Alkoholeinfluss), Punkte (mehr als 18 Punkte in der
,,Verkehrssünderkartei"), Zuwiderhandlungen im Laufe der Probezeit bei Führer-
scheinneulingen, mit Betäubungsmitteln/Arzneimitteln in Zusammenhang stehende

10
Gründe (eine Abhängigkeit oder ein Missbrauch von Betäubungsmitteln bzw. Arz-
neimitteln wurde festgestellt), Zweifel an der Fahreignung wegen Cannabiskonsums
oder Straftaten (erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen Strafvorschriften, die
Zweifel an der Fahreignung begründen) (Weber, 2006, S. 6).
Wurde von den zuständigen Stellen eine Fahrerlaubnis entzogen, wird geprüft, ob die
Zweifel an der Fahreignung weiterhin bestehen oder ob die Fahrerlaubnis ggf. erneut
erteilt werden kann. Im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung
(MPU) kann ermittelt werden, ob auffällig gewordene Kraftfahrer zum Führen eines
Kraftfahrzeugs geeignet sind bzw. können Zweifel an der Fahreignung ausgeräumt
werden. Die Möglichkeit dieser verkehrspsychologischen Diagnostikmaßnahme ist
in der Fahrerlaubnis-Verordnung geregelt (Bundesgesetzblatt I 1998, S. 2214). Die
medizinisch-psychologische Untersuchung, im Volksmund oft ,,Idiotentest" genannt,
bietet den Betroffenen die Möglichkeit, nachzuweisen, dass die Zweifel der zustän-
digen Stelle, die auf zuvor begangenen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten beru-
hen, nicht begründet waren oder nicht mehr bestehen. Für die diagnostische Tätigkeit
der medizinisch-psychologischen Gutachter wurden Richtlinien entwickelt, die ,,Be-
gutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung" (Lewrenz, 2000, zitiert nach Ame-
lang und Schmidt-Atzert, 2006, S. 556). Diese erleichtern die Zusammenstellung
aller wichtigen, die Eignung ausschließenden oder einschränkenden Merkmale und
dienen als Argumentationshilfe.
Die möglichen zugrundeliegenden psychologischen Fragestellungen sind im Allge-
meinen folgende: Alkohol, illegale Drogen und Punkte. Alkohol- und Drogenabhän-
gigkeit sind grundsätzlich mit einer Teilnahme am Straßenverkehr unvereinbar
(Schubert, Schneider & Eisenmenger, 2005: ,,Wer vom Alkohol abhängig ist, kann
kein Kraftfahrzeug führen"). Im Falle eines Abusus ist die Frage zu klären, ob der
Verkehrsteilnehmer in der Lage ist oder sein wird, seinen Alkoholkonsum einzu-
schränken oder gänzlich darauf zu verzichten, d. h. ob der Verkehrsteilnehmer im-
stande sein wird, die Substanz nicht mehr missbräuchlich zu verwenden und am
Straßenverkehr frei von einem Alkohol- oder Drogeneinfluss teilzunehmen. Im Rah-
men der Begutachtung soll festgestellt werden, ob der begutachtete Verkehrsteil-
nehmer sein Verhalten dauerhaft in einer Form verändert hat, dass ein erneutes Auf-
fallen unwahrscheinlich ist. Anders als in der Vergangenheit hat sich gegenwärtig die
Ansicht durchgesetzt, dass nicht stabile Dispositionen, etwa Persönlichkeitsmerkma-

11
le oder Leistungsdefizite, sondern vielmehr modifizierbare Verhaltensmerkmale ent-
scheidend sind (Amelang & Schmidt-Atzert, 2006, S. 556).
Auf eine Beschreibung des genauen Gegenstandes der Begutachtung wird an dieser
Stelle verzichtet, da der Gegenstand dieser Untersuchung nicht die Begutachtung,
sondern die psychologische Intervention, konkret die verkehrspsychologische Thera-
pie ist.
1.2 Verkehrspsychologische Intervention
Für im Straßenverkehr auffällig gewordene Personen existieren verschiedene Mög-
lichkeiten der Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Problematik. Ein
breitgefächertes und teilweise undurchschaubares Angebot an Hilfemaßnahmen,
Schulungen und Beratungen erschwert die Entscheidung der Betroffenen (Rieh &
Wagenpfeil, 2003, S. 70). Einige Interventionsverfahren entbehren jeglicher wissen-
schaftlicher Grundlage - ihr Nutzen ist zweifelhaft. Bisher wird die Qualifikation
verkehrspsychologischer Berater nicht geprüft, so dass ,,viele Schafe auf dieser Wei-
de grasen" (a.a.O., S. 71). Dieser Umstand resultiert aus der Tatsache, dass das Ge-
schäft mit der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ausgesprochen lukrativ sein kann.
Bei den psychologisch fundierten Verfahren kann zwischen drei Gruppen unter-
schieden werden: Der verkehrspsychologischen Beratung, den Schulungen und der
verkehrspsychologischen Therapie, kurz Verkehrstherapie genannt.
1.2.1 Verkehrspsychologische Beratung
Eine Möglichkeit, Punkte im Verkehrszentralregister abzubauen und sich so die
Fahrerlaubnis angesichts einer drohenden Entziehung zu erhalten, ist die Teilnahme
an einer verkehrspsychologischen Beratung.
Im Rahmen der verkehrspsychologischen Beratung soll der Fahrerlaubnisinhaber
bzw. Fahrerlaubnisbewerber veranlasst werden, Mängel hinsichtlich seiner Einstel-
lung zum Straßenverkehr und seines verkehrssicherheitsbezogenen Verhaltens zu
erkennen und die Bereitschaft zu entwickeln, diese Mängel zu beheben. Die Bera-
tung findet in Form von Einzelgesprächen statt und kann ggf. nach Ermessen des
Beraters durch Fahrproben ergänzt werden. Die Ergebnisse der Beratung werden
ausschließlich dem Teilnehmer mitgeteilt, wobei eine Teilnahmebescheinigung zur

12
Vorlage bei der zuständigen Verkehrsbehörde ausgehändigt wird. Die Anforderun-
gen an Diplom-Psychologen für eine Tätigkeit als verkehrspsychologischer Berater
sind im Straßenverkehrsgesetz geregelt. Hierzu zählen neben einer verkehrspsycho-
logischen Ausbildung bestimmte Erfahrungen im Bereich der Verkehrspsychologie
(Bundesministerium der Justiz, 2003, S. 310, 919).
1.2.2 Schulungsmaßnahmen
1.2.2.1 Anerkannte Kurse nach § 70 FeV
Die Fahrerlaubnis-Verordnung sieht vor (§ 11 Abs. 10), dass Personen, denen die
Fahrerlaubnis entzogen worden ist und die an einem Kurs zur Behebung von Eig-
nungsmängeln teilgenommen haben, die Fahrerlaubnis in der Regel
wieder erteilt
wird, sofern der Kurs nach § 70 FeV anerkannt ist, im Rahmen einer vorausgegange-
nen Begutachtung (medizinisch-psychologische Untersuchung) die Teilnahme des
Betroffenen an dieser Art von Kursen als geeignete Maßnahme angesehen wurde, um
seine Eignungsmängel zu beheben und die Verkehrsbehörde der Teilnahme zuge-
stimmt hat (Weber, 2006, S. 196).
Gegenwärtig werden Kurse dieser Art von vier großen Institutionen durchgeführt. Es
handelt sich um die Gesellschaft für Ausbildung, Fortbildung und Nachschulung
(AFN), das Institut für Schulungsmaßnahmen (IFS), den Medizinisch-
Psychologischen Dienst der DEKRA-Akademie und die Tochtergesellschaften der
Technischen Überwachungsvereine (TÜV). Die Kurse zur Wiederherstellung der
Kraftfahrereignung unterscheiden sich in der methodischen Vorgehensweise. Im All-
gemeinen verfolgen sie das Ziel, über die zugrundeliegende Problematik zu informie-
ren. Einige Beispiele für diese Kurse sind der CAR (Contre l'alcool sur la route), der
vom TÜV und der DEKRA-Akademie angebotene Kurs LEER, der IFT (Alkohol-
trinken und Fahren, Verfahren zur Verhaltensänderung) der Schulungskurs K 70 vom
TÜV etc. Zu den Kursinhalten zählen u. a. folgende Aspekte: Selbstkritik, Selbstbe-
obachtung, Selbstkontrolle und Abstinenzkontrolle; in der Regel werden darüber
hinaus ebenfalls Kursregeln festgelegt, wie z. B. Offenheit und Ehrlichkeit, Vertrau-
lichkeit, Pünktlichkeit, Mitarbeit, kein Alkohol bzw. Drogen während des Kurses
usw. (Weber, 2006, S. 198).

13
Zu den Schulungsmaßnahmen für drogenauffällige Kraftfahrer zählen das Programm
DRUGS (Drogen und Gefahren im Straßenverkehr), das von IVT-Hö, Impuls, Plus-
punkt, TÜ Arndstadt, TÜV Rheinland u. a. angeboten wird, das Kursprogramm IRIS
(Illegale Rauschmittel im Straßenverkehr) von der IVT-Hö und SPEED 02 (Sicher-
heit durch Prävention: Erfahrungen mit und Engagement gegen Drogen), das vom
TÜV NordKurs und der DEKRA-Akademie angeboten wird (Weber, 2005, S. 216).
1.2.2.2 Aufbauseminare
Zu den Schulungskursen gehören ebenfalls besondere Aufbauseminare, die unter
Alkohol- oder Drogeneinfluss im Verkehr aufgefallenen Personen von der Verkehrs-
behörde vorgeschrieben werden können (§ 2a Straßenverkehrsgesetz). In diesem Fall
wird bei Nichtteilnahme die Fahrerlaubnis entzogen. Dabei müssen sowohl die Se-
minare als auch die Verkehrspsychologen behördlich anerkannt sein. Zu den Aufbau-
seminaren zählen unter anderem der NAFA (Nachschulungskurs für alkoholauffälli-
ge Kraftfahrer) vom TÜV oder IFS, die ALFA (Individualpsychologische Rehabilita-
tion alkoholauffälliger Kraftfahrer) vom AFN und das IFT-P (Alkohol, Drogen und
Fahren: Verfahren zur Verhaltensänderung) vom IFS.
Liegen sonstige Verkehrsverstöße vor (bei denen weder Alkohol noch andere Drogen
eine Rolle gespielt haben), besteht die Möglichkeit, an Aufbauseminaren zum Punk-
teabbau teilzunehmen. Die Teilnahme kann freiwillig (bei einem Punktestand unter
13 Punkten) oder angeordnet (ab 14 Punkten) sein.
1.2.2.3 Hilfemaßnahmen für Alkoholkranke und suchtgefährdete Kraftfahrer
Die Diagnosekriterien für eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit richten sich ge-
mäß Punkt 3.11.2 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung nach der
Klassifikation. Wird nach der ICD-10 ein Abhängigkeitssyndrom festgestellt (F10.2
bzw. F1x.2, vgl. Dilling, Mombour & Schmidt, 2000, S. 92), kann die Eignung zum
Führen eines Kraftfahrzeugs erst nach Erreichen einer stabilen Abstinenz als wieder-
hergestellt betrachtet werden. Die möglichen Interventionsmaßnahmen für substanz-
abhängige Personen werden an dieser Stelle nicht im Detail beschrieben, da dies den
Rahmen der verkehrspsychologischen Intervention überschreiten würde. Zu diesen
Maßnahmen zählen unter anderem die stationäre Entwöhnungsbehandlung, die am-

14
bulante Entwöhnungsbehandlung und die Abstinenz mit therapeutischer oder berate-
rischer Begleitung.
1.2.3 Verkehrspsychologische Therapie
Die verkehrspsychologische Therapie ist die Intervention der Wahl für diejenigen
Fälle, die sich im Grenzbereich zwischen (leichtem) Alkoholproblem und Alkohol-
abhängigkeit befinden. Wie unter 1.2.2.3 dargestellt, ist ein Abhängigkeitssyndrom
grundsätzlich mit der Fahreignung unvereinbar. Kann von einem schweren Alko-
holmissbrauch ausgegangen werden, ohne dass eine Alkoholsucht vorliegt (Prodro-
malbereich des Alkoholismus), kann nicht erwartet werden, dass die zuvor beschrie-
benen Schulungsmaßnahmen ausreichend sein werden, um das Problem zu beheben.
Die Verkehrstherapie hat sich daher in einem Bereich etabliert, der zwischen der
Zielgruppe der genannten Schulungsmaßnahmen und der Zielgruppe im Falle einer
Alkoholabhängigkeit im Sinne der Definition gemäß ICD-10 liegt (Kriegeskorte,
1999).
Die verkehrspsychologische Therapie oder Verkehrstherapie ist eine relativ junge
psychotherapeutische Maßnahme, die erstmals Ende der 1980er Jahren erprobt wur-
de (Rothenberger, 2006). Sie unterscheidet sich von der Verkehrspsychologie und
der Verkehrsmedizin durch ihren heilkundlich orientierten Ansatz. Im Rahmen einer
biopsychosozialen Sichtweise von Krankheit und Kraftverkehr ist die verkehrspsy-
chologische Therapie das klinische Berufsfeld, in dem Störungen und Krankheitsme-
chanismen des Erlebens, des Verhaltens, der Einstellungen und der sozialen Bezie-
hungen im und außerhalb des Straßenverkehrs unter Berücksichtigung sowohl psy-
chosozialen, verkehrspsychologischen und biomedizinischen Wissens als auch des
Verkehrsrechtes beschrieben, diagnostiziert, behandelt und evaluiert werden. Bezie-
hungsstörungen können nach den Psychotherapie-Richtlinien auch ein Ausdruck von
Krankheit sein und gelten als psychische Störung, wenn ihre ursächliche Verknüp-
fung mit einer krankhaften Veränderung des seelischen oder körperlichen Zustandes
eines Patienten nachgewiesen worden ist.

15
1.2.3.1 Ressourcenorientierte Verkehrstherapie in der
verkehrstherapeutischen Einrichtung
Gegenstand der vorliegenden Evaluationsarbeit ist das therapeutische Verfahren, das
in der untersuchungsgegenständlichen verkehrstherapeutischen Praxis zum Einsatz
kommt: Die ressourcenorientierte Verkehrstherapie.
1.2.3.1.1 Allgemeines
Grundlage dieser Therapieform ist die auf humanistischer Basis fußende Idee, dass
nicht die Störung (hier: Alkohol- oder Drogen-Abusus oder gesetzeswidrige Verhal-
tensauffälligkeiten) im Mittelpunkt stehen soll, sondern vielmehr das Positive, das
,,Gesunde" im Menschen. Menschen werden als von Natur aus gut und leistungsfähig
betrachtet und verfügen nicht nur aus diesem Grunde über weitgehend unerkannte
oder ungenutzte psychische Ressourcen, die oft in der Vergangenheit bereits erfolg-
reich eingesetzt worden sind und in der gegenwärtigen Problemsituation aus ver-
schiedenen Gründen nicht unmittelbar zur Verfügung stehen. Im Rahmen der Thera-
pie gilt es, diese zu aktivieren. Das Konzept orientiert sich an Berg und Millers
(2004) lösungsorientierter Kurzzeittherapie.
Dabei spielt die Betonung der geistig-seelischen Gesundheit eine herausragende Rol-
le. Andere Therapieformen, insbesondere psychoanalytische Therapien, zentrieren
sich auf die Analyse der Störung und ihre Beseitigung. Auf diese Art und Weise ge-
rät die Störung in den Mittelpunkt. Der Mensch wird als ,,gestört", praktisch als
,,Träger einer Störung" betrachtet; seine gesunden Anteile interessieren daher weni-
ger, da das ,,Bekämpfen" der Störung die eigentliche Aufgabe sei. Dieses Schema
lässt sich z. B. in der psychoanalytischen Sichtweise erkennen, bei der ein Konflikt,
der unterbewusst sein kann, als Abwehr in ein neurotisches Symptom mündet, wel-
ches es im Rahmen eines therapeutischen Bündnisses durch das Erkennen und die
Bearbeitung des Konfliktes zu beseitigen gilt (Kriz, 2001, S. 32-37). Oder auch in
der Verhaltenstherapie, welche lerntheoretische Prozesse für die Entstehung von
,,Störungen" verantwortlich macht, die es zu beseitigen gilt (a.a.O., S. 107).
Die Würdigung geistig-seelischer Gesundheit als Grundlage der Therapie führt zum
Einsatz ressourcenaktivierender Elemente, d. h. eines Förderns der Stärken, Ressour-
cen und ,,gesunden" Eigenschaften des Klienten zur Lösung des vorliegenden Prob-
lems. Der ressourcenorientierte Ansatz hat den Anspruch atheoretisch, nichtnormativ

16
und klientenbestimmt in Bezug auf das ,,wahre" Wesen der Probleme zu sein ­ allein
die Lösung derselben steht im Vordergrund, nicht die Komplexität ihrer Entstehung.
Diese Vorgehensweise erlaubt andere Sichtweisen in Bezug auf die zugrundeliegen-
den psychischen Phänomene, die so vielseitig sein können wie die Klienten selbst.
Das bedeutet, dass für die vorgetragene Problematik eines Klienten keine komplexen
theoretischen Konstrukte im Sinne einer Erklärung identifiziert werden müssen. Al-
lein der Umstand, dass der Klient eine Veränderung seiner wahrgenommenen seeli-
schen Situation wünscht, bestimmt die therapeutische Vorgehensweise. ,,Verände-
rung" ist dabei einer der weiteren Schlüsselbegriffe der ressourcenorientierten ver-
kehrspsychologischen Therapie: Wie Berg & Miller (2004, S. 25) es zum Ausdruck
bringen, ist Veränderung ,,unvermeidlich". Veränderung, so auch De Shazer (1985),
ist so sehr ein Teil des Lebens, dass die Klienten gar nicht anders können, als sich zu
verändern. Dabei wird hier insbesondere auf solche Zeiten im Alltagsgeschehen Be-
zug genommen, in denen das sonst wahrgenommene Problem nicht auftritt. Diese
,,gesunden" Momente stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Therapeuten
und bilden die Grundlage für ein die Veränderung förderndes Vorgehen.
Weitere zentrale Elemente dieses therapeutischen Verfahrens sind Sparsamkeit hin-
sichtlich der theoretischen Postulate sowie Gegenwarts- und Zukunftsorientierung.
Ersteres findet sich ebenfalls unter den Prinzipien anderer humanistischer Psychothe-
rapieformen, wie im Falle der Gesprächspsychotherapie (vgl. Reimer, Eckert, Haut-
zinger & Wilke, 2000, S. 123 ff.). Das Prinzip der Gegenwarts- und Zukunftsorien-
tierung bezieht sich darauf, dass der gegenwärtigen und zukünftigen Anpassung des
Klienten Vorrang vor einer Anpassung in der Vergangenheit eingeräumt wird. Dies
bedeutet nicht eine Nichtbeachtung dessen, was die Klienten aus der Vergangenheit
zu berichten haben. Der Schwerpunkt soll jedoch nicht auf der Erforschung der Ver-
gangenheit liegen. Die Behandlung soll sich vielmehr primär darauf konzentrieren,
den Klienten bei ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Anpassung zu helfen. Berg &
Miller (2004) illustrieren dieses Prinzip mit der ,,Wunderfrage":
Nehmen Sie einmal an, daß [sic] eines Nachts, wenn Sie schlafen, ein Wun-
der geschieht, und das Problem, das Sie in die Therapie geführt hat, ist gelöst.
Da Sie jedoch schlafen, wissen Sie nicht, daß das Wunder schon geschehen
ist. Sobald Sie morgens aufwachen, was wird dann anders sein, was Ihnen
sagt, daß dieses Wunder geschehen ist? Was sonst noch?

17
Zweck der Wunderfrage ist es, dass die Klienten eine Zukunft ohne das Problem
imaginieren. Eine hoch detaillierte (,,was noch?") und lebendige Beschreibung soll
sie für die Gegenwart bedeutsam machen.
Obwohl fast alle Behandlungsformen zumindest über einige spezifische Strategien
verfügen, um die Kooperation der Klienten sicherzustellen, spielt die Kooperation in
der ressourcenorientierten Verkehrstherapie eine besondere Rolle. An die Stelle der
Konfrontation, wie sie beispielsweise in verschiedenen Alkoholtherapien üblich ist
(Anderson, 1987, Forman, 1987, Johnson, 1973, zitiert nach Berg & Miller, 2004, S.
29), soll eine Zusammenarbeit treten. Als Konfrontation versteht Johnson (1973,
zitiert nach Berg & Miller, 2004, a.a.O.) eine aggressive Interventionstechnik mit
dem Ziel, den Klienten ,,dazu zu bringen, daß er die Realität genügend sieht und ak-
zeptiert, so daß er, so ungern auch immer, auch akzeptiert, daß er Hilfe braucht".
Eine andere Form der Kooperation bedeutet nicht nur, dass der Klient kooperieren
muss. Es ist auch Aufgabe des Therapeuten, eine beidseitige Kooperation aufzubau-
en.
1.2.3.1.2 Praktischer Ablauf der Therapie
Nach den von den Verkehrstherapeuten der verkehrstherapeutischen Praxis durchge-
führten Beratungs- und Explorationsgesprächen wird den Ratsuchenden eine für ihre
Bedürfnisse angemessene therapeutische Maßnahme empfohlen. Abhängig von be-
stimmten Kriterien (sprachliche Schwierigkeiten, persönlichkeitsspezifische Kontra-
indikationen u. a.) sowie unter Berücksichtigung der Wünsche der Klienten werden
sie einer Therapiegruppe oder einer einzeltherapeutischen Maßnahme zugeordnet.
Dabei bestimmt die Schwere der zugrundeliegenden Problematik - wie sie im Rah-
men der Beratung festgestellt wurde - die empfohlene Länge der verkehrspsycholo-
gischen Therapie.
1.2.3.1.3 Therapielänge
Bei den in der untersuchungsgegenständlichen therapeutischen Einrichtung durchge-
führten verkehrstherapeutischen Maßnahmen handelt es sich im Allgemeinen um
Kurzzeittherapien. Intern wird jedoch zwischen zwei Maßnahmelängen, der Kurz-
zeittherapie und der Langzeittherapie, unterschieden. Bei der Langzeittherapie han-
delt es sich streng genommen nicht um eine Langzeittherapie im üblichen Sinne;

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836611367
DOI
10.3239/9783836611367
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Psychologie
Erscheinungsdatum
2008 (März)
Note
1,0
Schlagworte
verkehrspsychologie verkehrstherapie führerschein psychotherapie fahrerlaubnis
Zurück

Titel: Ressourcenorientierte Verkehrstherapie
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
82 Seiten
Cookie-Einstellungen