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Möglichkeiten der Integration unterschiedlicher Methoden mediativer Konfliktbearbeitung

Ein konzeptioneller Vorschlag

©2007 Masterarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Im Zeitalter der Globalisierung wird die Konfliktbewältigung eine immer wichtigere Kompetenz, sowohl im Alltag als auch in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur. Die letzten Jahre brachten eine große Vielfalt von Methoden und Ansätzen mit sich, mit unbestreitbaren Fortschritten und wachsender Professionalisierung. Zugleich wächst auch die Unübersichtlichkeit (angefangen mit den begrifflichen Unterscheidungen) und es zeigen sich zunehmend methodische Grenzen und Defizite. Im Rahmen der Veranstaltung „COMPAIR – Methoden im Dialog“, die vom 25.07. bis 01.08.2004 in Stadtschlaining, Österreich, stattfand, lud die 1. Internationale Akademie für Konfliktlösung Vertreter wegweisender mediativer Methoden ein, in einen bislang einzigartigen Dialog zu treten: Welchen Beitrag leisten die unterschiedlichen Methoden für Theorie und Praxis im Allgemeinen? Welche Grenzen haben die jeweiligen Methoden und wie können sie einander ergänzen?
Unter den Referenten fanden sich Prof. Dr. Friedrich Glasl mit seinem Ansatz für Mediation und Konfliktmanagement, Prof. Dr. Johan Galtung, Dr. Wilfried Graf und Gudrun Kramer mit der Transcend-Methode und Dr. Marshall Rosenberg mit der Gewaltfreien Kommunikation (GFK).
Aus einer Veranstaltung wie COMPAIR erwächst nicht nur die Einsicht, dass eine Welt immer komplexerer Konflikte neuer Methoden der Konfliktbewältigung bedarf. Zunehmend sind auch Ansätze von Nöten, die unübersichtliche Vielfalt bestehender Methoden zu integrieren. In Anlehnung an den COMPAIR-Dialog sollen in der vorliegenden Arbeit Möglichkeiten untersucht werden, unterschiedliche Ansätze der Konfliktbearbeitung in ein Gesamtkonzept zu integrieren.
Den theoretischen Rahmen auf den sich die Überlegungen dieser Arbeit stützen, liefert der Integrale Ansatz (IA) von Ken Wilber – eine so genannte „Theorie von Allem“. Die Wahl dieser Theorie begründet sich mit der Prämisse dieser Arbeit, dass jeder Akteur (un-)bewusste erkenntnistheoretische Vorannahmen von sich und seiner Umwelt anstellt. Dies hat mit der Prämisse der Konfliktforschung, dass der Konflikt (unabhängig von seiner konkreten Definition) ein Phänomen ist, das im Leben unvermeidbar ist, zwei weitere Annahmen für diese Arbeit zur Konsequenz: 1) Alles Leben ist Konfliktbewältigung. 2) Jede Handlung eines Akteurs – im engen Sinne: jede Form der Konfliktbewältigung – birgt eine Strategie, die aus seinem Wahrnehmungsrahmen bzw. seinen erkenntnistheoretischen Vorannahmen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


I. Einleitung

Im Zeitalter der Globalisierung wird die Konfliktbewältigung eine immer wichtigere Kompetenz, sowohl im Alltag als auch in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur. Die letzten Jahre brachten eine große Vielfalt von Methoden und Ansätzen mit sich, mit unbestreitbaren Fortschritten und wachsender Professionalisierung. Zugleich wächst auch die Unübersichtlichkeit (angefangen mit den begrifflichen Unterscheidungen) und es zeigen sich zunehmend methodische Grenzen und Defizite. Im Rahmen der Veranstaltung „COMPAIR – Methoden im Dialog“, die vom 25.07. bis 01.08.2004 in Stadtschlaining, Österreich, stattfand, lud die 1. Internationale Akademie für Konfliktlösung Vertreter wegweisender mediativer[1] Methoden ein, in einen bislang einzigartigen Dialog zu treten[2]: Welchen Beitrag leisten die unterschiedlichen Methoden für Theorie und Praxis im Allgemeinen? Welche Grenzen haben die jeweiligen Methoden und wie können sie einander ergänzen?

Unter den Referenten fanden sich (vgl. im Folgenden Graf/Kramer 2004a: 11-14):

- Prof. Dr. Friedrich Glasl[3] mit seinem Ansatz für Mediation und Konfliktmanagement,
- Prof. Dr. Johan Galtung[4], Dr. Wilfried Graf und Gudrun Kramer[5] mit der Transcend-Methode und
- Dr. Marshall Rosenberg[6] mit der Gewaltfreien Kommunikation (GFK).

Aus einer Veranstaltung wie COMPAIR erwächst nicht nur die Einsicht, dass eine Welt immer komplexerer Konflikte neuer Methoden der Konfliktbewältigung bedarf. Zunehmend sind auch Ansätze von Nöten, die unübersichtliche Vielfalt bestehender Methoden zu integrieren. In Anlehnung an den COMPAIR-Dialog sollen in der vorliegenden Arbeit Möglichkeiten untersucht werden, unterschiedliche Ansätze der Konfliktbearbeitung in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Den theoretischen Rahmen auf den sich die Überlegungen dieser Arbeit stützen, liefert der Integrale Ansatz (IA) von Ken Wilber – eine so genannte „Theorie von Allem“. Die Wahl dieser Theorie begründet sich mit der Prämisse dieser Arbeit, dass jeder Akteur (un-)bewusste erkenntnistheoretische Vorannahmen von sich und seiner Umwelt anstellt. Dies hat mit der Prämisse der Konfliktforschung, dass der Konflikt (unabhängig von seiner konkreten Definition) ein Phänomen ist, das im Leben unvermeidbar ist, zwei weitere Annahmen für diese Arbeit zur Konsequenz: 1) Alles Leben ist Konfliktbewältigung. 2) Jede Handlung eines Akteurs – im engen Sinne: jede Form der Konfliktbewältigung – birgt eine Strategie, die aus seinem Wahrnehmungsrahmen bzw. seinen erkenntnistheoretischen Vorannahmen über seine Bezugswelt resultiert. In seinem letzten Werk „Alles Leben ist Problemlösen“ (2004) – im engen Sinne: „Alles Leben ist Konfliktbewältigung“ – nannte der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper diese (un-)bewussten hypothetischen Vorannahmen eines jeden Akteurs „Erwartung“ (vgl. ebd.: 16). Der in der Friedens- und Konfliktforschung wenig beachteten Epistemologie könnte unter diesem Gesichtspunkt eine besondere Stellung zukommen.

Am Beispiel der in der COMPAIR-Veranstaltung vorgestellten Methoden sollen in den folgenden Schritten Überlegungen angestellt werden:

- Nach einer kurzen theoretischen Eingrenzung der Untersuchung und einer Klärung der Schlüsselbegriffe (II.), sollen die vorgestellten Ansätze zusammengefasst wiedergegeben werden (III.).
- Danach werden die für die anschließenden Überlegungen wesentlichen Dimensionen des IA von Ken Wilber dargestellt (4.1.).
- Unter Anwendung des IA wird eine Möglichkeit zur epistemologischen Integration der vorgestellten Ansätze skizziert (4.2.).
- Darauf aufbauend, werden zwei Möglichkeiten dargestellt, die Schnitt- und Ergänzungspunkte der Heuristiken dieser Ansätze zu integrieren (4.3.).
- Die Ergebnisse, wie auch der Mehrwert des IA für die Friedens- und Konfliktforschung werden im Fazit kritisch bewertet und eingeschätzt (V.).

II. Theoretische Eingrenzung und Klärung von Begriffen

2.1. Theoretische Eingrenzung

Bei den in COMPAIR vorgestellten Methoden handelt es sich vorwiegend um klienten- und lösungsorientierte Verfahren der Konfliktintervention, wie der Vermittlung, dem Supervising, der Verhandlung etc. In dieser Arbeit wird diese Art der Konfliktintervention als „Mediation“ verstanden (vgl. hierzu Fußnote 1). Einschränkend muss eingeräumt werden, dass die Berücksichtigung anderer Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung, wie z.B. prozessorientierter, humanitärer und entwicklungspolitischer, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Ferner kann auch nicht auf weiterführende wichtige Überlegungen eingegangen werden, die mit einer Konfliktintervention einhergehen, denen aber besonders die strategisch-praxisbezogene Konfliktbearbeitung Rechnung trägt. Darunter fallen z.B. Aspekte wie: Ressourcenmobilisierung, Interventionsdesign, Impact-Analysen, „entry points“ im Interventionsgebiet oder die optimale Vernetzung von Interventionsakteuren unterschiedlicher „tracks“ („multi track“).[7] Wie erwähnt, verfolgt diese Arbeit in erster Linie den Anspruch, eine epistemologisch-heuristische, nicht eine strategisch-operationale Ausgangsbasis für eine integrierte Konfliktbearbeitung zu ermöglichen.

2.2. Klärung von Schlüsselbegriffen

Eine Analyse in der Friedens- und Konfliktforschung kommt nicht ohne eine vorherige Bestimmung von Schlüsselbegriffen aus. „Konflikt“ kann sich im Bereich des Individuums (Mikro), von Gruppen (Meso), von Staaten/Institutionen (Makro) und ggf. Kulturräumen (Mega) ausprägen.[8] Wie unten noch näher darzustellen, resultiert der Unterschied zwischen den jeweiligen Methoden darin, dass sie auf unterschiedlichen Konfliktverständnissen basieren. Daher wird an jeweiliger Stelle auf die entsprechende Konfliktdefinition einzugehen sein. Grundsätzlich haben die mediativen Ansätze in ihrem Konfliktverständnis einen Schwerpunkt in der Inter-Konfliktkonstellation. D.h., „Konflikt“, verstanden als „sozialer Konflikt“, impliziert in erster Linie irgendeine Form von Unvereinbarkeit zwischen mindestens zwei Parteien. Einen wichtigen Beitrag zur begrifflichen Klärung der unterschiedlichen Konfliktbewältigungsmethoden leistet das Berghof-Forschungszentrum (vgl. Pia/Diez 2007: 5-10; vgl. Baros/Jaeger 2004: 228-231). So unterscheiden Reimann (2004) und Miall (2004) zwischen Konfliktregelung („conflict settlement“), Konfliktmanagement, Konfliktlösung („conflict resolution“) und Konflikttransformation. Beide erörtern die diesen Begrifflichkeiten zugrunde liegenden theoretischen Grundannahmen, Ziele und angewandten Methoden und fassen die unterschiedlichen Ansätze als einander ergänzende Möglichkeiten eines konstruktiven Umgangs mit Konflikten auf. Die Unterscheidung dieser vier besagten Hauptkategorien der Konfliktbewältigung soll in dieser Arbeit übernommen werden. Sie lassen sich wie folgt definieren:

Konfliktregelung

Die Konfliktregelung bezieht sich auf alle ergebnisorientierten Strategien mit dem Ziel tragfähige „win-win“-Lösungen zu erreichen und/oder direkte Gewalt zu beenden, ohne die zugrunde liegenden Konfliktursachen anzusprechen. Ein wichtiger Vertreter dieses Typs der Konflktbewältigung ist William Zartmann. Die Konfliktparteien werden zumeist als rational handelnde Akteure angesehen. Primäres Ziel ist es daher Konflikte durch politische Vereinbarungen (z.B. Waffenstillstand) „handhabbar“ zu machen. Die bestimmenden Akteure dieser Maßnahmen umfassen offizielle Führungskräfte aus Militär, Politik und Wirtschaft (vgl. Reimann 2004: 8f.).

Alle nachfolgend zu erörternden Konfliktbewältigungsansätze gehen weit über die Konfliktauffassung dieser ergebnisorientierten Strategie hinaus.

Konfliktmanagement

Das Konfliktmanagement ist die „Kunst der angemessenen Intervention“: Konflikte werden hierbei als dynamische Prozesse aufgefasst; die Annahme von Patentlösungen wird dabei negiert (vgl. Miall 2004: 3). Der Konflikt wird als ein Interessengegensatz mindestens zweier Akteure innerhalb des Status quo eines politischen Ordnungssystems verstanden (vgl. Reimann 2004: 8). Als ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens sind Konflikte unvermeidbar, jedoch können sie in Bahnen konstruktiver Austragung gelenkt werden (vgl. Miall 2004: 3).

Konfliktlösung

Konfliktlösung im Sinne Reimanns bezieht sich auf alle prozessorientierten Aktivitäten, die zum Ziel haben, den Konflikt als gemeinsames Problem neu zu definieren, mit für beide Seiten annehmbaren Lösungen. Hierzu ist es notwendig, die psychosozialen Ursachen von Konflikten und von Gewalt aufzudecken. Demzufolge werden in Anlehnung an John Burtons Theorie länger andauernde Konflikte als natürliche Folgen unerfüllter menschlicher Bedürfnisse (Identität, Nahrung, Schutz etc.) aufgefasst. Im Gegensatz zum Konfliktmanagement liegt der Ansatzpunkt in der Konfliktintervention weniger in den unterschiedlichen Interessen der Konfliktparteien, sondern in ihren Grundbedürfnissen. Diese sind im Gegensatz zu Interessen nicht verhandelbar. Die Strategien der Konfliktlösung sind prozess- und beziehungsorientiert und umfassen vor allem freiwillige und inoffizielle Aktivitäten, z.B. von privaten Personen oder NGOs (vgl. Reimann 2004: 9f.; vgl. Miall 2004: 3f.).

Konflikttransformation

Die Konflikttransformation bezieht sich auf ergebnis-, prozess- und strukturorientierte „peace building“-Strategien. Wichtige Vertreter sind John Paul Lederach, Adam Curle und Johan Galtung. Zusätzlich zu den Zielen der vorher erwähnten Strategien zielt die Konflikttransformation auf die Herstellung umfassender sozialer Gerechtigkeit und die Versöhnung der Konfliktparteien ab. Der Fokus dieser Strategie liegt daher im Besonderen auf die gezielte Unterstützung von Akteuren und ihrer Friedensressourcen innerhalb der Konfliktkonstellation und auf einer Einbindung aller intervenierenden Akteure auf allen Ebenen („Multi-Track“) (vgl. Reimann 2004: 10-13; Miall 2004: 4).

Jeder der im Folgenden vorzustellenden Ansätze repräsentiert eine der letzten drei Konfliktphilosophien:

III. Kurzdarstellung der unterschiedlichen Methodiken zur Konfliktbewältigung

Im Folgenden sollen die Ansätze anhand der Vorträge ihrer ProtagonistInnen im COMPAIR-Dialog und darüber hinausgehender Quellen in Kürze dargestellt werden:

3.1. Konfliktmanagement nach Friedrich Glasl

Friedrich Glasl definiert „Konflikt“ als eine Interaktion zwischen mindestens zwei Akteuren, in der mindestens ein Akteur eine Unvereinbarkeit im Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen mit dem anderen Akteur in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Akteur denkt, fühlt oder will eine Beeinträchtigung durch einen anderen Akteur(e) erfolgt (vgl. Glasl 2004a: 17). Wichtig ist hierbei zu betonen, dass der soziale Konflikt nicht mit den Unvereinbarkeiten beginnt, sondern mit der Art und Weise der Austragung (vgl. Glasl 2004b).

In Glasls Ansatz sind zwei Grundkriterien für die Konfliktbearbeitung von Bedeutung: Zum einen sind es Komponenten und Ansatzmomente, die generell und ansatzübergreifend in einer umfassenden Intervention berücksichtigt werden müssen. Zum anderen ist es die Unterscheidung von Situationsmerkmalen, an denen sich die Wahl einzelner angemessener Interventionsstrategien und –rollen richten soll.

3.1.1. Generelle Komponenten und Wirkungsrichtungen der Interventionen

Eine Beschäftigung mit sozialen Konflikten führt zu einer näheren Auseinandersetzung mit der Natur des Menschen. Generell unterscheidet Glasl sechs seelische Hauptfaktoren (vgl. Glasl 2004a: 39f.). Da diese Faktoren in ihrer Wechselwirkung zur Eskalation oder Fixierung der Konflikte beitragen, können diese auch als Ansatzpunkte für gezielte Interventionen dienen. Der Schwerpunkt der Intervention verlagert sich dabei je nach Eskalationsgrad (s.u.). Dieser liegt bei einer leichten Eskalation auf Perzeptionen und Denken (1. und 2.), bei einer mittleren Eskalation auf Attitüden und Intentionen (3. und 4.) und bei einer hohen Eskalation auf das Verhalten (5. und 6.) (vgl. Glasl 2004a: 436):

Auf Perzeptionen und Denken orientierte Interventionen:

1. Perzeptionen: Die Mechanismen, die den Verzerrungen und Fixierungen zugrunde liegen, sollen in ihrer Wirksamkeit entkräftet werden; Vorurteile der Parteien sollen abgebaut werden etc.

2. Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen, Interpretationen: Die Parteien sollen sich dem Einfluss ihrer Begrifflichkeiten, Vorstellungen und Deutungen der Ereignisse auf die Konfliktmechanismen bewusst werden (vgl. Glasl 2004a: 318-325).

Auf Gefühle und Einstellungen gerichtete Interventionen:

3. Gefühle und Einstellungen: Die Parteien sollen Gefühle der Feindseligkeit, der gegenseitigen Diskriminierung etc. überwinden und wieder Vertrauen zueinander fassen, einander tolerieren und respektieren.

4. Willensfaktoren (Triebe, Motive, Intentionen): Die Parteien sollen Klarheit über ihre (un-)bewussten Absichten bekommen; Ziele und Mittel sollen neu überdacht werden etc. (vgl. ebd.: 325-341).

Verhaltens-orientierte Interventionen:

5. Äußeres Verhalten: Das unkontrollierte destruktive Verhalten soll wieder in konstruktive Bahnen geleitet werden; Gewalthandeln soll reduziert werden etc.

6. Konfliktfolgen: Die Parteien sollen die unbewussten Folgen ihres Tuns anerkennen und dafür Verantwortung auf sich nehmen etc. (vgl. Glasl 2004a: 341-347).

Neben sechs seelischen Hauptfaktoren berücksichtigt Glasl in der Konfliktdiagnose fünf Dimensionen, die für die Strategie der Konfliktbehandlung unterschiedliche Wirkungsrichtungen vorgeben. Im Idealfall müssten jedoch alle Interventionen in einem umfassenden Ansatz integriert werden. In der Konfliktdiagnose sind zu unterscheiden: 1) Issues, 2) Konfliktverlauf, 3) Parteien intern, 4) Beziehungen zwischen den Parteien und 5) Grundeinstellungen (vgl. Glasl 2004a: 349-380). Die folgende Tabelle stellt die fünf Analysedimensionen mit den sechs seelischen Hauptfaktoren in Beziehung:

Tabelle 1: Beispiele für die Überschneidung von Interventionsansätzen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Glasl 2004a: 381

3.1.2. Indikatoren für eine flexible Strategie- und Rollenwahl

Vier Indikatorenbereiche sind für die Strategie- und Rollenwahl bei der Konfliktbearbeitung von entscheidender Bedeutung. Diese lassen sich in der vorliegenden Grafik 1 wie folgt schematisieren.

Grafik 1: Indikatoren für Strategie- und Rollenwahl:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.1.2.1. Aktueller Eskalationsgrad

Unter den Situationsmerkmalen dürfte Glasls Kaskadenmodell zur Schematisierung von Eskalationsgraden am bekanntesten und am ausführlichsten ausgearbeitet sein. Seinen Untersuchungen zufolge ereignet sich die Konflikteskalation abrupt und stufenweise; dementsprechend ist jede Stufe durch eine „Schwelle“ begrenzt, die den Übergang zu einer gewaltsameren Austragungsform erleben lässt. Da die Eskalation der Austragungsform mit einem Rückgang des Bewusstseins und der „Ich-Kraft“ der Konfliktparteien einhergeht, werden die Eskalationsstufen auch als „Regressionsschwellen“ bezeichnet (vgl. Glasl 2004a: 234, 304f.). Entsprechend der vorliegenden Grafik unterscheidet Glasl neun Eskalationsstufen mit den folgenden Hauptmerkmalen (ausführlich unter Glasl 2004a: 234-300):

Grafik 2: Die Hauptfaktoren der neun Eskalationsstufen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Glasl 1999, 2003a; vgl. hierzu auch 2004a: 236f.

Die unterschiedlichen Eskalationsstufen implizieren Wahrnehmungsebenen, in denen es den Konfliktparteien unterschiedlich leicht fällt, eigene Ideen in die Lösungssuche einzubringen. Dementsprechend müssen die Maßnahmen und die funktionalen Rollen der intervenierenden Partei umso direktiver in Bezug auf die Streitpunkte (Inhalt), die Beziehungen (Interaktion) und das Verfahren (Procedere) werden, je weiter der Konflikt eskaliert ist (vgl. Glasl 1999: 364-404). Es kommt oft vor, dass sich die Konfliktparteien auf ungleichen Stufen erleben. Bei der Wahl der Interventionsstrategie ist die Einschätzung bezüglich der höheren Stufe maßgeblich (vgl. Glasl 2003b: 298).

So geht es bei einer geringen Eskalation (Stufen 1-3) darum, die vorhandenen Selbstheilungskräfte der Konfliktparteien zu stimulieren und zu initiieren. Dies wird ermöglicht, indem die intervenierende Partei die Rolle einer ModeratorIn einnimmt und Ansätze des Facilitating, Moderation, Supervision und der Scrivener Mediation anwendet (vgl. Glasl 2004a: 404-408).

Bei einer mittleren Eskalation (Stufen 4-6) hat sich der Konflikt von der Sach- auf die Beziehungsebene verlagert. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass die Konfliktparteien aus eigener Kraft den Konflikt lösen (vgl. Glasl 2004a: 300). Hier sind Interventionen geboten, die die Entwicklung von gegenseitiger Empathie fördern und zu einer Auseinandersetzung mit den stark polarisierten Selbst- und Fremdbildern der Konfliktparteien beitragen. Meist ist es hier schon sinnvoll, die Konfliktparteien zunächst getrennt zu behandeln. Ansätze der Supervisory Mediation, der Prozesskonsultation und -begleitung eignen sich zur Auflösung fixierter Einstellungen und von Rollen- und Beziehungsmustern (bis Stufe 5). Bei einer tieferen Regression der Wahrnehmungen der Konfliktparteien (bis Stufe 6) eignen sich Ansätze der sozio-therapeutischen Prozessbegleitung bzw. der therapeutischen Mediation. Bei einer noch tieferen Eskalation (bis Stufe 7) fungiert die intervenierende Partei als Puffer und bemüht sich mit Methoden der klassischen bzw. der Shuttle Mediation um einen akzeptablen Kompromiss in Sachfragen (vgl. ebd.: 408-425).

Bei einer hohen Eskalation (Stufen 7-9) wird die Konfliktaustragung durch die Ausübung direkter Gewalt bestimmt. Hier geht es bei der Konfliktintervention um Schadensbegrenzung. Daher liegt der Fokus weniger beim Einfluss auf die Wahrnehmungen der Konfliktparteien, sondern bei ihrer völligen Verhaltenskontrolle. Bei fakultativen oder obligatorischen Schiedsverfahren fungiert die intervenierende Partei als ArbiterIn. Wenn der Konflikt bis zu den Stufen 8 und 9 eskaliert ist, kann nur noch der Eingriff einer überlegenen Machtinstanz das Schlimmste verhindern (vgl. ebd.: 428-435).

Das Spektrum von Interventionsansätzen, das an die jeweilige Eskalationsstufe angepasst ist, wird durch die vorliegende Grafik schematisiert:

Grafik 3: Spektrum von Interventionsansätzen nach Eskalationsgrad:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Glasl 2004a: 397

Die Überschneidungen bei den Interventionsansätzen resultieren aus der Unterscheidung zwischen sog. „kalt“ und „heiß“ ausgetragenen Konflikten. Hierbei bedürfen die kalten Konflikte schon bei niedrigeren Eskalationsstufen eines Übergangs zum nächsten Interventionsansatz (vgl. Glasl 2004b).

3.1.2.2. Konflikttypus

Dominante Erscheinungsformen

Idealtypisch lassen sich vier dominante Erscheinungsformen der Konfliktaustragung voneinander unterscheiden: zum einen sind es formgebundene vs. formfreie Konflikte, zum anderen heiße vs. kalte Konflikte (vgl. Glasl 2004a: 84). Hierbei wird untersucht, welches Klima in der Auseinandersetzung dominant ist, sprich: nach welchen (ungeschriebenen) Spielregeln gekämpft wird (vgl. Glasl 2004b). Heiße Konflikte implizieren eine direkte, offene, emotionale, weitgehend formfreie Auseinandersetzung. Kalte Konflikte weisen hingegen eine äußerlich beherrschte, indirekte, verdeckte und weitgehend formgebundene Austragung auf. Beide Austragungsformen können durch bestimmte Ereignisse in sog. heißen und kalten „Phasen“ einander abwechseln (vgl. Glasl 2004a: 77-84). Die vorliegende Tabelle 2 fasst die spezifischen Symptome heißer und kalter Konflikte in Kürze zusammen:

Tabelle 2: Die generellen Symptome heißer und kalter Konflikte:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Glasl 2003b: 285f. (eigene Hervorhebung)

Es herrschen unterschiedliche Faktoren vor, die die vorherrschende Tendenz in der Konfliktaustragung begünstigen, wie z.B. die Persönlichkeitsstruktur (introvertiert oder extrovertiert) und die persönliche Grundauffassung der Kernpersonen (Konfliktscheu oder Streitlust), der subjektiv erlebte Machtabstand (Unterlegenheit oder Überlegenheit) oder der Wandel der Machtverhältnisse (zu Ungunsten oder zu Gunsten einer Konfliktpartei) (vgl. Glasl 2003b: 287). Wie oben angedeutet, prägen sich diese Symptome unterschiedlich auf den Eskalationsstufen aus, was bei der Wahl des Interventionsansatzes entsprechend zu berücksichtigen ist. Allerdings bestehen ab der Eskalationsstufe 6 keine nennenswerten Unterschiede mehr zwischen heißer und kalter Austragungsform (vgl. Glasl 2004a: 304).

Tendenziell sieht die Konfliktbehandlung von heißen (überhitzten) Konflikten de-eskalierende Strategien vor, während die Behandlung von kalten (unterkühlten) Konflikten hingegen eskalierende Strategien impliziert (vgl. 2003: 293). Die vorliegende Tabelle 3 fasst die wesentlichen Unterschiede dieser Strategien zusammen:

Tabelle 3: Unterschiede bei der Behandlung von heißen und kalten Konflikten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: vgl. Glasl 2003b: 299 (eigene Hervorhebung)

Die Interventionen, die an die Konflikttypen „Eskalationsgrad“ und „Austragungsform“ angepasst sind, lassen sich in mindestens vier Dimensionen zusammenfassen und wie folgt miteinander in Beziehung setzen: „Präventiv“ und „kurativ“ nehmen dabei Bezug auf die Konfliktphase und „eskalierend“ und „de-eskalierend“ auf die Austragungsform.

Tabelle 4: Vier Interventionsrichtungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: vgl. Glasl 2004a: 316

Soziale Arena

Bei der Unterscheidung von sozialen Rahmen betont Glasl die Bedeutung der „Einzelseele“ und das Wechselspiel unterschiedlicher Faktoren, die in ihr wirken. Hierbei findet er auch die Differenzierung zwischen Inter- und Intra-Konflikten zu abstrakt, da sie in Wirklichkeit unlösbar miteinander verknüpft sind (vgl. Glasl 2004a: 71). Glasl unterscheidet die Größenordnung eines mikro- (Individuen), meso- (Organisationen) und makrosozialen Konfliktbereichs (Institutionen). Mit der Größe des Konfliktumfangs steigt auch seine Komplexität, da ihm die kleineren sozialen Arenen immanent sind. Daher sind bei einem größeren Konfliktumfang zusätzliche Kenntnisse der intervenierenden Partei erforderlich (vgl. Glasl 2003b: 282f.).

[...]


[1] Nach Glasl bezeichnete der Begriff der Mediation in der Konfliktliteratur bis 1985 Konfliktinterventionen, „die auf dem klassischen Konzept der Vermittlung beruhen (…). Gegenwärtig wird , Mediation’ als weiter Überbegriff für Konfliktinterventionen verwendet.“ (Glasl 2003a: 102) In diesem Sinne wird in dieser Arbeit jeder Ansatz der Konfliktintervention, der auf eine Form von Dialog beruht, dem Mediationsbegriff zugeordnet.

[2] Veranstalter waren das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) und das European University Center for Peace Studies (EPU). Für die Organisation und Konzeption waren Gudrun Kramer und Wilfried Graf zuständig.

[3] Prof. Dr. Friedrich Glasl studierte politische Wissenschaften und dissertierte über internationale Konfliktverhütung. Er ist Mitbegründer der „Trigon Entwicklungsberatung“ und arbeitet sowohl als Dozent an der Universität Salzburg als auch als Berater in Konfliktmanagement und Mediation.

[4] Prof. Dr. Johan Galtung ist einer der Gründerväter der Friedens- und Konfliktforschung. Er lehrte als Honorar- und Gastprofessor an über 50 Universitäten und vermittelte weltweit in über 45 Konflikten. Er ist Direktor des TRANSCEND-Netzwerks und Begründer der TRANSCEND-Methode.

[5] Dr. Wilfried Graf ist Soziologe und Senior Researcher am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS). Mag. Gudrun Kramer ist Historikerin und arbeitete für GOs und NGOs in Bosnien Herzegowina und Kroatien. Beide sind Begründer des Institutes for Integrative Conflict Transformation and Peacebuilding (IICP) und des TRANSCEND-Vereins in Österreich und vermitteln in internationalen Konflikten.

[6] Dr. Marshall Rosenberg ist Psychologe und arbeitet als internationaler Konfliktmediator. Er entwickelte den Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation und gründete 1984 das internationale „Center for Nonviolent Communication“ in den USA. Er führt weltweit Trainings und Mediationsprojekte durch und war in über 40 Ländern tätig.

[7] Ausführlich zu solchen Überlegungen vgl. u.a. Berghof-Stiftung (2006)

[8] Die genaue Einteilung mag jedoch variieren, z.B. im Vergleich zur Soziologie.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836609722
Dateigröße
673 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,0
Schlagworte
konflikt friedensforschung politologie wilber mediation
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