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Der Australische Utopische Roman des 20. Jahrhunderts

©2006 Magisterarbeit 105 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Terra Australis – Mundus Alter et Idem (1605). Ganz im Sinne des oben genannten Romantitels von Joseph Hall, übersetzt ins Englische: Another World and yet the Same, wurde Australien, noch vor seiner Entdeckung durch die Europäer, oft als eine andere und dennoch dieselbe Welt wahrgenommen. Der unbekannte Kontinent auf der Südhalbkugel beflügelt seit jeher die Phantasie der Menschheit. Ganz der menschlichen Natur entsprechend, immer nach einem besseren Leben zu streben, beschäftigten sich bereits Philosophen der Antike mit utopischen Ideen. Australien als ein Land, dessen Existenz zwar vermutet, jedoch lange Zeit nicht bewiesen war, bot für alternative Gesellschaftsentwürfe in Form von utopischen Texten eine ideale Projektionsfläche.
Das Ziel dieser Arbeit ist, das Zusammenspiel zwischen dem spezifisch Australischen und dem klassisch Utopischen zu analysieren. Zum einen soll aufgezeigt werden, welche Elemente ausgewählter Utopien australischer Schriftsteller charakteristisch für Australien sind. Als zweites Anliegen gilt es, klassisch utopische Merkmale dieser Werke herauszufiltern.
Werke australischer Autoren sind weitestgehend unbekannt. Um die möglicherweise unterschätzte Stellung der australischen Literatur zu verstehen, ist zunächst eine allgemeine Einführung in die australische Literaturlandschaft notwendig. Im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit folgt dem Überblick über die Entwicklung der Literatur Australiens ein Einblick in die Situation der australischen Literaturwissenschaften an Hochschulen und im Verlagswesen des Landes.
Darauf aufbauend wird im dritten Kapitel das Verhältnis von Utopie und Australien betrachtet. Dem geschichtlichen Abriss hinsichtlich utopischen Denkens in und über den Kontinent Australien folgt in diesem Abschnitt ein Vergleich zwischen den beiden Phänomenen Australian Dream und American Dream.
Bevor die klassisch utopischen Elemente australischer Utopien in Kapitel 6 näher analysiert werden können, wird in Kapitel 4 zunächst ein Überblick zu den allgemeinen Merkmalen utopischer Literatur gegeben. Hierbei wird auf das Verhältnis von Narrativität zur Diskursivität, die Charakterisierung utopischer Figuren, den Konflikt zwischen Zivilisation und der Natur des Menschen sowie auf Gesellschaftskritik in utopischen Texten eingegangen. Die inhaltliche und thematische Einführung in die ausgewählten australischen Utopien, welche in Kapitel 6 analysiert werden, erfolgt in Kapitel 5. Neben […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Bettina Rösler
Der Australische Utopische Roman des 20. Jahrhunderts
ISBN: 978-3-8366-0879-4
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland, Magisterarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

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EINFÜHRUNG
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STELLUNG DER AUSTRALISCHEN LITERATUR
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3
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2.3
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ERLAGSWESEN
13
2.4
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NTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN
15
3
UTOPIE UND AUSTRALIEN 18
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3.2
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ALLGEMEINE MERKMALE UTOPISCHER LITERATUR 39
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4.2
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HARAKTERE
42
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4.4
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EINFÜHRUNG IN INHALTE UND THEMEN AUSGEWÄHLTER TEXTE 47
5.1
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48
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52
5.2
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54
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55
5.2.2
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5.3
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(1991) 66
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68
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UTOPISCHE MERKMALE IN DEN AUSGEWÄHLTEN TEXTEN 71
6.1
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ARRATIVITÄT VS
.
D
ISKURSIVITÄT
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LITERATURVERZEICHNIS IV

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1 Einführung
Terra Australis ­ Mundus Alter et Idem (1605)
Ganz im Sinne des oben genannten Romantitels von Joseph Hall, übersetzt ins
Englische: Another World and yet the Same
1
, wurde Australien, noch vor seiner
Entdeckung durch die Europäer, oft als eine andere und dennoch dieselbe Welt
wahrgenommen. Der unbekannte Kontinent auf der Südhalbkugel beflügelt seit jeher
die Phantasie der Menschheit. Ganz der menschlichen Natur entsprechend, immer nach
einem besseren Leben zu streben, beschäftigten sich bereits Philosophen der Antike mit
utopischen Ideen (Spies 2000, 223). Australien als ein Land, dessen Existenz zwar
vermutet, jedoch lange Zeit nicht bewiesen war, bot für alternative
Gesellschaftsentwürfe in Form von utopischen Texten eine ideale Projektionsfläche.
Das Ziel dieser Arbeit ist, das Zusammenspiel zwischen dem spezifisch Australischen
und dem klassisch Utopischen zu analysieren. Zum einen soll aufgezeigt werden,
welche Elemente ausgewählter Utopien australischer Schriftsteller charakteristisch für
Australien sind. Als zweites Anliegen gilt es, klassisch utopische Merkmale dieser
Werke herauszufiltern.
Werke australischer Autoren sind weitestgehend unbekannt. Um die möglicherweise
unterschätzte Stellung der australischen Literatur zu verstehen, ist zunächst eine
allgemeine Einführung in die australische Literaturlandschaft notwendig. Im zweiten
Kapitel der vorliegenden Arbeit folgt dem Überblick über die Entwicklung der Literatur
Australiens ein Einblick in die Situation der australischen Literaturwissenschaften an
Hochschulen und im Verlagswesen des Landes.
Darauf aufbauend wird im dritten Kapitel das Verhältnis von Utopie und Australien
betrachtet. Dem geschichtlichen Abriss hinsichtlich utopischen Denkens in und über
den Kontinent Australien folgt in diesem Abschnitt ein Vergleich zwischen den beiden
Phänomenen Australian Dream und American Dream.
Bevor die klassisch utopischen Elemente australischer Utopien in Kapitel 6 näher
analysiert werden können, wird in Kapitel 4 zunächst ein Überblick zu den allgemeinen
Merkmalen utopischer Literatur gegeben. Hierbei wird auf das Verhältnis von
Narrativität zur Diskursivität, die Charakterisierung utopischer Figuren, den Konflikt
1
Das von John Healey erstmalig ins Englische übersetzte Werk wurde unter dem Titel The Discovery of a
New World (1609) veröffentlicht (Wands 1981, xv).

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zwischen Zivilisation und der Natur des Menschen sowie auf Gesellschaftskritik in
utopischen Texten eingegangen. Die inhaltliche und thematische Einführung in die
ausgewählten australischen Utopien, welche in Kapitel 6 analysiert werden, erfolgt in
Kapitel 5. Neben der inhaltlichen Vorstellung der Werke wird zur Hervorhebung des
spezifisch Australischen der Schwerpunkt auf den historischen Hintergrund gelegt.
Abschließend werden in Kapitel 7 die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst.

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2
Stellung der australischen Literatur
,,Australian books appear briefly, disappear rapidly,
and stay out of print interminably."
(Hassall 2001, 90)
Auf die Frage nach einem bekannten australischen Schriftsteller können nur wenige
Menschen eine Antwort geben. Warum ist über australische Literatur so wenig bekannt?
Warum ist es schwer, australische Autoren im Buchhandel und Bibliotheken zu finden?
Joussen (1994) weist beispielsweise darauf hin, dass zwar genügend australische Werke
ins Deutsche übersetzt würden, jedoch selten in den hiesigen Bücherregalen anzufinden
seien (127). Und selbst im englischsprachigen Ausland herrsche kaum ein
angemessenes Angebot an Werken australischer Schriftsteller (127). Um die Ursachen
dafür zu ergründen, muss man einen Blick auf die Entwicklung der Literatur des
Kontinents werfen. Die australischen Universitäten als Zentren der Literaturkritik und
das Verlagswesen als Medium der Verbreitung spielen ohne Frage eine große Rolle in
der Entstehung und der Herausbildung einer eigenständigen australischen Literatur. So
fasst Alomes (1988) zusammen:
The colonial economics of writing and publishing, the cultural cringe
assumption of the inferiority of colonial products and the anglophile values
of the schools, the universities and other cultural institutions did not augur
well for indigenous achievement. The virtual absence of Australian heroes
and the Australian past in school curricula was another form of colonial
culture, denying historical memory to the settler colony. (29)
Welche Entwicklungen in jenen Bereichen haben die heutige verhältnismäßig schlechte
Stellung der australischen Literatur bedingt? Gibt es möglicherweise Konzepte und
Vorstellungen zur Weiterentwicklung und Statusverbesserung der
Literaturwissenschaften Australiens? Ziel des folgenden Kapitels ist, sich diesen
Fragestellungen zu nähern.
2.1 Entwicklung der australischen Literatur
Wie viele andere Überseekolonien auch hat Australien und somit die australische
Literatur verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen. Immer wieder versuchen sich
Literaturwissenschaftler an Periodisierungsentwürfen, welche die australische Literatur

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übersichtlich kategorisieren sollen. Diese Versuche werden von Kritikern nicht selten
als unbefriedigend eingeordnet (vgl. Grattan 1974, 233; Prießnitz 1987, 62). Meistens
bauen diese Modelle auf unterschiedlichen Kriterien auf. Moore (1971) unterteilt die
australische Literaturgeschichte grob in drei Phasen ­ die koloniale, welche er vom
Beginn der Besiedlung bis circa 1880 ansetzt, die nationale, ab der Gründung des
Literaturjournals Bulletin
2
bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1918 und die
moderne Phase (13). Im Vergleich dazu verzichtet Heseltine (1962) auf die klare
Abgrenzung der Phasen durch Jahreszahlen und erklärt lediglich die Entwicklung der
australischen Gesellschaft und dadurch letztendlich auch der Literatur Australiens:
First of all there is likely to be a period of imitation of the models provided
by the parent civilization; this is likely to be followed by a period of intense
and sometimes acrimonious debate between the forces of nationalism and
those which continue to pay homage to the imperial source; for a time
nationalism will appear to be triumphant; but as pre-condition to full
maturity, nationalism must suffer rejection and be replaced by a sense of
nationhood which is assured and un-selfconscious [...]. (37)
Heseltine (1962) nennt Dichter wie Harpur, Kendall und Gordon
3
als beispielhafte
imitierende Vertreter (37). Weiterhin ordnet er Schriftsteller wie Lawson oder Furphy
4
in die nationale Phase ein. Obwohl die Literatur des 20. Jahrhunderts viel
ausgeglichener geworden sei, befinde sich Australien noch immer im
Entwicklungsprozess. (vgl. Heseltine 1962, 37)
Diese beiden Entwürfe basieren prinzipiell auf einer sehr ähnlichen Grundlage und
werden oft durch detaillierte Konzepte ergänzt. So wird die frühe koloniale Phase von
Gibson (1984) in drei weitere Abschnitte unterteilt, welche die ersten drei Jahrzehnte
der Besiedlung Australiens als eine Phase der objektiven Berichterstattung von
Kolonialisten und Wissenschaftlern ansieht. Danach folgen die Jahre der
2
Die sogenannte `Bibel des Buschmanns', das Bulletin wurde 1880 von J.F. Archibald gegründet und
existiert noch heute, allerdings als Nachrichtenmagazin. Obwohl es schon damals eher ein kommerzielles
Wochenblatt als ein Literaturmagazin war, wurde dem Bulletin eine bedeutende Rolle in der
Herausbildung einer eigens australischen Kultur und Literatur zugesprochen. Erstmals wurden nationale
australische Interessen thematisiert, oft mit den Mitteln der Satire und Karikatur. (vgl. Schulz 1960, 38-9;
Webby 2000, xiii)
3
Charles Harpur (1813-68) wird als der erste bedeutende Dichter Australiens genannt. Der Sohn irischer
Sträflinge war weniger für seine satirischen Werke bekannt, als für seine Liebesgedichte. Henry Kendall
(1841-82) wird zusammen mit Adam Lindsay Gordon (1833-70) als Pioniere der australischen Dichtung
angesehen. (vgl. Schulz 1960, 173-8; Webby 2000, 58-60)
4
Henry Lawson (1867-1922) wird häufig zu den bekanntesten und beliebtesten Schriftstellern Australiens
gezählt. Als nationaler Vorzeigeschriftsteller der `Bulletin-Richtung' ,,war er der literarische Ausdruck
aller jener Kräfte, die damals in der jungen Zivilisation des Kontinents stürmisch zur Gestaltung
drängten" (Schulz 1960, 40). Als weiterer Schützling des Bulletin wäre der radikal nationale Joseph
Furphy (1843-1912) zu nennen. (vgl. Schulz 1960, 40-52; Clancy 1992, 34-6/74-7)

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Amateurschriftsteller, 1800 bis 1835, und schließlich die immer noch eher
beschreibende, jedoch zunehmend symbolische Erforscherliteratur bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts. Weiterhin fasst Gibson (1984) zusammen:
All of the writing about Australia prior to 1850 is concerned with attaining
some integration between the mere description of an alienating world and
the impression of character on an environment as the self `absorbs' the new
land trough experience. (xv)
In jenen frühen Jahren bestand noch keine Nachfrage an australischer Literatur. Es
existierte keine nennenswerte Leserschaft, denn die Kolonialherren setzten sich nicht
sonderlich für die Bildung der Sträflinge und ihrer Nachkommen ein. Damals wurde es
als sicherer erachtet, die niederen Klassen unwissend zu halten. Literatur wurde
hauptsächlich als Mittel verstanden, die in England zurückgelassenen, zivilisierten
Werte und Einstellungen zu übermitteln. Die ersten Jahre der jungen Kolonie wurden
oft als sehr prägend für die nachfolgenden Perioden interpretiert. Meist wird mit dem
Ende der Sträflingsdeportation 1852 der Beginn einer neuen Phase literarischen
Schaffens verbunden. (vgl. Grattan 1974, 235; Bennett 1976, 110-1; White 1981, 22;
Gibson 1984, xv)
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich erste Gruppen von
Intellektuellen heraus und wurden schriftstellerisch aktiv. Zunächst galt das Interesse
von Schriftstellern, wie zum Beispiel Marcus Clarke (1846-81) oder Price Warung
(1855-1911), der Brutalität des Systems gegenüber Sträflingen. Dieses dunkle Element
australischer Vergangenheit ist ein wichtiger Bestandteil der Landesgeschichte und
hatte in nachvollziehbarer Weise Auswirkungen auf die literarische Entwicklung der
Nation. In jene Zeit fällt auch der Goldrausch, der jedoch in Australien nicht annähernd
von so großer Bedeutung war wie in Amerika. Wirtschaftlich gesehen war das Ende des
19. Jahrhunderts eine Periode des ungleichmäßigen Aufschwungs. Etwas mehr Einfluss
auf die australische Gesellschaft und somit auch auf die Literatur hatte die
aufkommende sozialistische Arbeiterbewegung. Im Zuge der Industrialisierung
gründeten sich zunächst in Großbritannien immer mehr Gewerkschaften, um für die
Rechte der Arbeiter einzustehen. In Australien bildeten sich ähnliche Bewegungen
heraus, die oft direkte oder indirekte Unterstützung von engagierten australischen
Schriftstellern erhielten
5
. (vgl. Moore 1971, 42-5; Grattan 1974, 237; White 1981, 27)
5
vgl. hierzu auch Kapitel 5.1.2

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Am stärksten war die Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts durch erste Versuche
Australiens gekennzeichnet, sich aus seiner cultural inferiority zu lösen und eine eigene
australische Identität zu kreieren. Dies wird auch in der Gründung nationalistischer
Journale deutlich, wie etwa des Bulletin, welches das Herausbilden einer nationalen
australischen Literatur sowie eine nähere Definierung eines nationalen Charakters
anstrebte. Vor allem aufgrund dieser nationalistischen Tendenzen wurden australische
Werke lange Zeit als low culture oder Populärliteratur betrachtet. Kaum ein Kritiker,
egal ob einheimisch oder international, hätte für damalige Werke das Prädikat high
culture vergeben (Carter 1999, 147). Auch Moore (1971) merkt an, dass ,,the presence
or absence of national values ­ was used to make judgements on literature" (8). Jedoch
betont er auch, dass dieses (Nicht-)Vorhandensein ein irrelevantes Kriterium sei, um
den Wert literarischer Werke zu bestimmen. (vgl. Moore 1971, 8; White 1981, 64; Stilz
1990, 477-8)
Die zweite Phase australischen literarischen Schaffens wurde, laut Moore (1971), durch
den Ersten Weltkrieg beendet:
[It] had broken down the Australian dream of a self-contained community
developing in isolation from the rest of the world, and taken Australia willy-
nilly into the modern age with all its problems and complexities. (13)
In der australischen Literatur ließ sich zu jener Zeit ein zunehmend internationaler
Trend erkennen. Mit dem Ende der nationalen Phase setzte langsam eine professionelle
Auseinandersetzung mit australischen Werken ein. Den Durchbruch der ernsthaften
Australienstudien datiert er jedoch auf die Mitte des 20. Jahrhunderts, was vor allem
eine Reihe von Neugründungen von Literaturmagazinen verdeutlicht
6
. Außerdem
fanden Lesungen des Commonwealth Literary Fund
7
zwischen 1940 und 1949 statt, und
eine öffentliche Debatte um die Rolle und den Wert von Australienstudien an
Universitäten setzte ein (1950-59)
8
. Letztendlich hatten sich Australienstudien zwar
vermehrt und spezialisiert, waren jedoch kaum mehr öffentliches Thema in den Jahren
1960 bis 1975. Zudem ist es eine Zeit, in der sich Intellektuelle erstmals außerhalb der
6
Southerly (1939), Meanjin (1940), Overland (1954), Quadrant (1956), Westerly (1956), Australian
Letters (1958-68) und Australian Literary Studies (1963) (Bennett 1976, 114).
7
Commonwealth Literary Fund wurde 1968 ersetzt vom Literary Arts Board und 1973 wieder einberufen
unter dem Namen Australia Council's Literature Board, welches 1996 umbenannt wurde in Literature
Fund. Die Organisation gibt Stipendien an Schriftsteller, Verlage und Literaturzeitschriften. (vgl. Bird
2000, 183-4)
8
In dieser Zeit gibt zahlreiche Diskussionen über den Sinn der Forschung in Australienstudien, oft mit
gespaltenen Ansichten (Bennett 1976, 116-7).

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dominanten Kultur sahen, konventionelle Werte ablehnten und die Regierung
kritisierten. (vgl. Moore 1971, 13-4; Bennett 1976, 114/152; Dale 1999, 132-4)
Die Literatur- und Kunstszene der 1970er wurde sehr stark von Whitlams New
Nationalism
9
geprägt. Dieser Entwicklung standen Schriftsteller zwar oft kritisch
gegenüber, jedoch wurde die Kritik meist falsch interpretiert. Zahlreiche Werke wurden
aufgrund ihrer starken Australianess bejubelt: ,,[T]he figure of the `Ocker' originated as
a satire on Australian boorishness, but became an affectionate tribute to the national
identity" (White 1981, 170)
10
. Natürlich wurde im Zuge dieser wiederkehrend
nationalen Entwicklung die Diskussion um den Wert dementsprechender Literatur
erneut entfacht. Dale (1999) interpretiert diese Tendenz vor allem als massive
Anstrengung, sich von der englischen Literatur zu lösen (135)
11
. Deswegen waren viele
australische Autoren sehr mit der Neudefinierung des Nationalen beschäftigt und
vernachlässigen damit oft das Literarische. Außerdem kritisiert Dale (1999) die
[...] tendency of Australianists to isolate [themselves] from literary studies
as a field, and to think in terms of cross-disciplinary links within the
boundaries of `nation' rather than intra-disciplinary ones across national
borders [...], (133)
was zu einem gewissen Mangel an Tiefe führe und somit kein internationales Interesse
erwecke. Ist die Literatur Australiens über die Landesgrenzen hinaus relevant? Dale ist
ein Vertreter der Kritiker, welche dieses Element als wichtigen Prüfstein für die positive
Entwicklung australischer Literatur empfinden. Dagegen gibt es auch Meinungen, die
das Streben nach internationaler Anerkennung unbedeutender einstufen und das
nationale, als eines der wichtigsten und am wenigsten zu vernachlässigende Konzept
ansehen. Dennoch ist es nicht das einzige. Selbst Anfang des 21. Jahrhunderts hat die
australische Literatur noch nicht den Status erlangt, den australische
Literaturwissenschaftler als angemessen erachten. Abgesehen von der ohnehin
problematischen Selbstbehauptung australischer Literatur kommt in der heutigen Zeit
zusätzlich das allgemeine Desinteresse gegenüber Geisteswissenschaften hinzu. (vgl.
White 1981, 169-70; Carter 1999, 144/150; Dale 1999, 133/135; Castro 2005, 5-6)
9
vgl. hierzu auch Kapitel 5.1.2 und 5.2.2
10
Der Begriff `Ocker' ist ursprünglich australischer Slang und beschreibt den unkultivierten Australier
sowie dessen Art sich zu artikulieren. Die Figur des 'Ocker' entwickelte sich zeitweise zu einem Symbol
der australischen nationalen Identität und verkörperte den Prototypen der jungen, weißen, männlichen
Mittelklasse Australiens. (vgl. Carroll 1995, 22; Jacobson 1990, 138)
11
Die Entwicklung und Emanzipation der australischen Literaturwissenschaft ist außerdem Teil einer
damaligen, übergreifenden Strategie der australischen Kulturdefinierung, mit beabsichtigter Abtrennung
von englischer Kultur (Dale 1999, 135).

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Exkurs: Aboriginals und australische Literatur
Die ersten heutzutage bekannten Kontakte zu den Ureinwohnern Australiens hatten die
frühen Entdecker William Dampier und James Cook. Dabei entwickelte Dampier
dieselbe Geringschätzung für die Aboriginals, welche er als Wilde empfand, wie für das
Land Australien an sich. Der eher wissenschaftlich orientierte Cook hingegen war
fasziniert.
12
(vgl. Prießnitz 1982, 52)
Das Image der australischen Aboriginals hat sich anders entwickelt als etwa das der
Indianer Nordamerikas. Die Gründe hierfür liegen vorrangig in der unterschiedlichen
Eroberung beziehungsweise Besiedlung beider Kontinente. So war die Kolonialisierung
Australiens nicht im traditionellen Sinne eine Eroberung, da die Aboriginals gutgläubig
genug waren, ihre Eroberer willkommen zu heißen. Alle anschließenden Entwicklungen
waren inoffiziell, es gab keine offizielle Belagerung oder ähnliches. Australien wurde
lediglich zur terra nullius erklärt, einem ,,empty land available for grabbing"
(Poppenbeek 1994, 34). Sprach man sich zwar zunächst für die menschenwürdige
Behandlung der Eingeborenen aus, scheiterte dieses Vorhaben jedoch oft an
Missverständnissen aufgrund zu verschiedener kultureller Hintergründe. (vgl. Prießnitz
1982, 52; Poppenbeek 1994, 34-9)
Zunächst bildete sich angesichts ihrer mangelnden Zivilisiertheit das Image der
Aboriginals als Tiere heraus:
The link between the monkey and the man was thought by many to be the
Australian Aborigine, for no better reason than that he seemed to be furthest
from European civilisation, which in their arrogance they assumed to be the
highest imaginable form of human life. (White 1981, 8)
Tatsächlich wurde in den ersten Jahren der Besiedlung geglaubt, dass das Übermitteln
der christlichen Zivilisation von den Ureinwohnern dankbar angenommen werden
müsste. Als dies jedoch nicht eintrat und sich sogar die Anzahl der Aboriginals in den
ersten Jahren rapide verringerte, wurde von den weißen Siedlern angenommen, die
Ureinwohner wären von Gott nicht gewollt. Charles Darwins Evolutionstheorie
13
schien
der ganzen Problematik den entscheidenden Beweis zu liefern und es wurde allgemein
angenommen, die Aboriginals seien eine zum Aussterben bestimmte Rasse. Derartige
Entwicklungen stellten für zahlreiche Wissenschaftler und Forscher eine greifbare
12
vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.1
13
Darwins Werk On the Origin of Species wurde 1859 veröffentlicht und hatte einen bedeutenden
Einfluss auf die grundlegenden Ansichten der damaligen Gesellschaft (Prießnitz 1982, 55).

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Bestätigung für den Fortschritt dar ­ dem Triumph der Zivilisation über die Wildnis
14
.
(vgl. Reynolds 1974, 307-9; White 1981, 11; Poppenbeek 1994, 34-9)
Das Image der Wilden war jedoch nicht für alle Zeitgenossen derartig negativ und in
bestimmten Kreisen entwickelte sich die Bezeichnung noble savage
15
. Vor allem in den
Jahren 1770 bis 1850 waren wissenschaftliche Studien stark geprägt von
Auseinandersetzungen mit der ,,nature of humanity"
16
(Gibson 1984, 142). Der daraus
resultierende Kult war jedoch weniger wissenschaftlich als philosophisch und regte
viele Diskussionen über die Zivilisation an. So herrscht beispielsweise in einigen
Kreisen die Ansicht vor, dass das simple, jedoch wahrhafte Leben der noble savages
durch die Zivilisation zerstört wurde. In diesem Sinne wurde das Urvolk Australiens
zum Studienobjekt für ,,criteria of popular concepts of noble savagery and human
perfectibility" (Gibson 1984, 146). Die widersprüchliche Ansicht über australische
Ureinwohner, die sich auch in ihrer Bezeichnung als `edle Wilde' widerspiegelt, war
bereits in den fantastischen Abenteuern von Jonathan Swift und Daniel Defoe
anzutreffen
17
. Beide Schriftsteller hatten zum einen von ,,unwelcoming primitives", aber
des Weiteren auch von ,,well-provided societies" berichtet (Gibson 1984, 142). (vgl.
Gibson 1984, 141; Poppenbeek 1994, 34-9)
Auch später entwickelte sich die Darstellung der Aboriginals in der Literatur ganz
gemäß jener vorherrschenden Stereotype
18
. Zu Beginn der Besiedlung gibt es jedoch nur
wenige Werke, welche überhaupt Szenen mit Aboriginals beinhalten. Nur wenige
Schriftsteller verfolgten ein ernsthaftes Interesse jenseits der üblichen Verspottungen.
Das Image der Eingeborenen wurde auch oft als distancing device genutzt
19
. Ende des
19. Jahrhunderts waren Aboriginals höchstens in stereotypen Rollen vertreten. Durch
,,Goldfunde und Nationalismus war das weiße Australien so sehr mit sich selbst
14
,,Being close to Nature (Western culture tends to insist on a distinction between humans and natural
world) once had its disadvantages. Aboriginal people were considered to occupy the lower rungs of the
human evolutionary ladder, which, last century and earlier this century, justified the destruction of much
Aboriginal culture in the inevitable march of `civilisation'" (O'Donoghue 1991, 20).
15
Natürlich gab es auch Gegner dieser Begriffsfindung: ,,The evangelicals condemned the idea of the
noble savage because it implied that there were men who had escaped the fall. In their interpretation of
the Bible, natural man was brutish and unregenerate, lacking shame and moral sense" (White 1981, 13).
16
Gibson (1984) nennt Beispiele wie ,,Rousseau's social philosophy; the French Revolution; Lyell's
geology; Linnaean biology and tentative theories of evolution" (142).
17
vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.1
18
An dieser Stelle sollte auch betont werden, dass es eine unglaubliche lokale Vielfalt in der Aboriginal-
Kultur gibt. Dennoch wurde immer nur eine uniforme Aboriginal-Kultur dargestellt. (vgl. O'Donoghue
1991, 21)
19
,,Civilised people could feel contented that they had successfully eradicated savagery from their
constitutions by comparison with genuine barbarity in a foreign wilderness" (Gibson 1984, 158).

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beschäftigt, daß es die Ureinwohner beinahe vergaß" (Prießnitz 1982, 64). (vgl.
Prießnitz 1982, 62; Gibson 1984, 141)
Die Ansichten über überlegene Rassen hatten fatale Auswirkungen, welche teilweise bis
ins 20. Jahrhundert hineinreichen. Weitestgehend wurde davon ausgegangen, dass es
sich bei den Aboriginals um eine aussterbende Rasse handelt. Erst Anthropologen
setzten sich Anfang des 20. Jahrhunderts für den Erhalt und Schutz der Ureinwohner
des Kontinents ein. Vor allem anthropologische Studien über das Wesen der
Ureinwohner veränderten die allgemeine Einstellung der Bevölkerung. Das
Jindyworobak Movement wird häufig als ein Beispiel auf dem Weg in eine positive
Auseinandersetzung mit dem Urvolk genannt. Es handelt sich dabei um eine
lyrische Bewegung zwischen 1930 und 1940, die sich auf der Suche nach
geistigen Leitideen vom krisengeschüttelten Europa ab- und der uralten
Kultur der australischen Ureinwohner als poetischer Inspirationsquelle
zuwandte. [...] Freilich ging es [...] weniger um eine echte Synthese beider
Kulturen als vielmehr um eine Anreicherung der weißen Nationalliteratur
mit Anleihen aus der Ideenwelt der Schwarzen. (Prießnitz 1982, 67)
An dieser Stelle wird klar, dass es noch ein weiter Weg für eine wirkliche
Auseinandersetzung werden würde. Dies unterstützen auch weitere Fakten, denn erst im
Jahre 1951 erhielten die Aboriginals das volle Bürgerrecht und nicht eher als 1967
wurde begonnen, sie in Erhebungen und Volkszählungen zu berücksichtigen
20
. (vgl.
Prießnitz 1982, 55-6)
Das
Verhältnis zwischen weißen Australiern und Aboriginals scheint auf lange Zeit von
Vorurteilen beider Seiten bestimmt. Die Grundansichten der westlichen Kultur
unterscheiden sich massiv von denen der Aboriginals und eine Verknüpfung beider
Gesellschaftsformen gestaltet sich äußerst kompliziert. Jedoch zeigt sich seit den
1970ern eine zunehmende Emanzipation der Aboriginals, was sich vor allem in der
künstlerischen Selbstdarstellung der Ureinwohner Australiens ausdrückt. Häufig werden
diese meist autobiographischen Bekundungen von weißen Australiern unterstützt und
sind durch ein stark sozialkritisches Engagement gekennzeichnet. Attebery (2005) sieht
diese erste wirkliche Bewegung in der Aboriginal-Literatur nur als kurzen
hoffnungsvollen Moment, welcher schon wieder vorüber sei (387). Anfang des 20.
20
Damals wurde in einem Volksentscheid zur Verfassungsänderung von der weißen Bevölkerung
entschieden, dass es auch Sozialgesetze zugunsten der Ureinwohner geben solle (Prießnitz 1982, 56).

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Jahrhunderts befinden wir uns im Troubled Now:
In a very short time the intellectual climate shifted from dismissal of
Aboriginal culture to extolling its richness, and thence to condemning the
exploitation of Aboriginal traditions by anyone not born to them. (Attebery
2005, 397)
Für viele begründet sich diese unzufriedenstellende Situation der Aboriginal-Literatur in
der ungeklärten Situation der Ureinwohner. So gab es beispielsweise bis heute keine
offizielle Entschuldigung für die unfreiwillige Enteignung der australischen
Ureinwohner seitens einer australischen Regierung. (vgl. Prießnitz 1982, 59-69; Carter
2000, 65; Attebery 2005, 387-97)
Abgesehen von einem neuen Interesse und Respekt gegenüber australischer
Ureinwohner
21
, werden die Merkmale der Aboriginal-Kultur häufig verallgemeinert:
,,[W]e were, and are, poor in material goods, but rich in spirit. We are seen as
essentially more humane, though technologically inferior" (O'Donoghue 1991, 21).
Viel hängt natürlich davon ab, wie die Gemeinschaft die Aboriginals wahrnimmt. Erst
dann kann für die Ureinwohner Australiens ein angemessener Platz in der australischen
Gesellschaft geschaffen werden. Es wird von vielen Seiten zunehmend darauf
verwiesen, dass die Klärung der Aboriginal-Problematik eines der Hauptanliegen der
australischen Nation ist
22
. (vgl. O'Donoghue 1991, 21-2; Gungwu 1994, 234)
2.2 Australische Literatur an australischen Universitäten
Die Gründung der ersten Universitäten setzte in Australien verhältnismäßig spät ein.
1850 wurde die University of Sydney und drei Jahre später die University of Melbourne
gegründet
23
. Diese ersten Universitäten waren vor allem lehrende Institutionen und
weniger an Politik interessiert. Ebenso gering war das Interesse daran, in irgendeiner
Weise eigene australische Kulturstudien zu betreiben. Einigen Akademikern war es
möglich, sich einen internationalen Namen mit Studien über berühmte europäische
Dichter und Schriftsteller zu machen. Jedoch wurden kaum Versuche unternommen,
den Einfluss und die Relevanz derartig bedeutender Werke auf die australische
21
Vor allem im Zuge der letzten Entwicklungen, beispielsweise Naturkatastrophen oder ähnliches, wird
die Aboriginal-Kultur aufgrund ihrer Naturbezogenheit immer interessanter für die westliche Kultur. Es
gibt zahlreiche Forschungen, die ergründen, wie neue Denkansätze in westliche Ideale einzubringen sein
könnten. (vgl. O'Donoghue 1991, 21-2)
22
vgl. hierzu auch Kapitel 5.2.2
23
Das sind circa 70 Jahre nach Beginn der Besiedlung. In anderen Kolonien wurden erste Universitäten
viel früher gegründet. So wurde Harvard 1636 gegründet, nur sechzehn Jahre nachdem die Gegend um
Boston besiedelt wurde. (vgl. Grattan 1974, 237)

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Gesellschaft und Kultur zu thematisieren. Somit entwickelten sich die ersten
Universitäten Australiens hauptsächlich zu Vermittlern importierten Wissens. Dies
geschah oft auch durch importierte Lehrkräfte, die der Entwicklungen einer eigens
australischen Literatur wiederum uninteressiert oder gar feindselig gegenüber standen.
(vgl. Grattan 1974, 236-8)
Den Studenten jener Universitäten wurden in den 1920ern und 1930ern erstmals
vereinzelt australische Texte präsentiert und in den 1940ern gab es das erste Seminar
über australische Literatur in Adelaide (Dale 1999, 134). Der erste vollständige
Studiengang zu Australienstudien wurde 1955 in Canberra angeboten (Bennett 1976,
107). Offensichtlich wurden Australienstudien lange Zeit an australischen Hochschulen
vernachlässigt. Im Allgemeinen werden die Jahre 1960 bis 1975 als Periode der
hauptsächlichen Entwicklung von australischen Literaturstudien angesehen
24
. Dennoch
haben bis 1975 nur sechs von achtzehn australischen Universitäten Australienstudien als
Hauptfach anboten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese Studienrichtung zu jenem
Zeitpunkt noch nicht ernsthaft etabliert war. Generell wurden kaum Kurse angeboten,
die einen allgemeinen Überblick über die australische Literatur schafften, sondern meist
thematisch orientierte Seminare und Vorlesungen. Dementsprechend wurde australische
Literatur damals zwar behandelt, die literaturwissenschaftlichen Studien befassten sich
jedoch lediglich mit der kolonialen Phase australischen literarischen Schaffens. Ein
weiteres Problem war zudem die oft negative Einstellung akademischer Angestellter
gegenüber der australischen Literatur, aufgrund des kaum vorhandenen nationalen
Selbstwertgefühls
25
. Folglich wirkte sich jenes mangelnde Engagement auch auf das
Interesse und die Einstellung der Studenten aus. (vgl. Bennett 1976, 106-7/125/153)
Selbst im 21. Jahrhundert scheint die australische Literaturwissenschaft einen
schlechten Stand an australischen Universitäten zu haben. In Zeiten, in denen selbst
etablierte Literaturen den Wert für die Gesellschaft zu verlieren scheinen, hat es eine
junge und gemeinhin als unbedeutend geltende Literatur, wie beispielsweise die
australische, einen schweren Stand. Diese allgemein schlechte Lage der Literatur an
Universitäten kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt für die australische Literatur. Die
Zeit der ernsthaften Entwicklung von australischen Literaturstudien fällt mit einer
Tendenz der Literaturwissenschaften zusammen, sich zunehmend mit theoretischen
24
In diese Zeit fallen viele Neugründungen von Universitäten und 1974 wurden sogar zeitweilig die
Studiengebühren abgeschafft (Bennett 1976, 123).
25
vgl. hierzu auch Kapitel 5.2.2

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Texten zu beschäftigen ­ natürlich auf Kosten literarischer, speziell australischer Texte.
(vgl. Hassall 2001, 89-90)
2.3 Australiens
Verlagswesen
Schaut man sich das Verlagswesen Australiens heutzutage an, muss man feststellen,
dass es weitestgehend in internationaler Hand ist. Das war nicht immer so. In die
damalige Hochphase der Herausbildung eigenständiger australischer
Literaturwissenschaften und Australienstudien fällt auch der Erfolg vieler unabhängiger
australischer Verlage. Diese wurden jedoch in den letzten Jahrzehnten aufgelöst (zum
Beispiel La Trobe University Press, Sydney University Press
26
und Outback Press) oder
übernommen von ausländischen Verlagen wie Penguin, Longman oder Macmillan. Nur
wenige einheimische Verlage, wie etwa die University of Queensland Press oder
Hyland House, haben überlebt und veröffentlichen weiterhin vor allem
literaturwissenschaftliche Werke. Einige davon haben ihre Veröffentlichungen auf
spezielle Gebiete ausgerichtet
27
. Nur sehr selten werden Verlage neu gegründet, welche
dann wiederum eher lokale Interessen vertreten und kaum an der internationalen
Verbreitung ihrer Literatur interessiert sind. (vgl. Wilding 1999, 57)
Obwohl es seit den 1970ern Fördermittel vom Australia Council's Literature Board
gab, ist es offenbar nicht gelungen, ein gesundes, unabhängiges und nationales
Verlagswesen zu erschaffen
28
. Um diese Situation besser zu verstehen, muss man sich
das Verlagswesen weltweit näher anschauen. Verlage sind, genau wie die meisten
heutigen kapitalistischen Unternehmen, der Globalisierung und entsprechenden
Gesetzten mehr oder minder bereitwillig ausgeliefert und müssen ebenso funktionieren.
Übernahmen und Incorporation sind häufig die Folge. Die meisten ausländischen
Verlage sind größtenteils Mitglieder internationaler Gruppen (zum Beispiel
Bertelsmann, News Limited, Pearsons), welche finanzielles Interesse am australischen
Markt haben. Eine Folge dessen ist, dass kaum mehr unabhängige Verlage existieren.
Ein viel größeres Problem ist jedoch, dass ursprüngliche Funktionen und Möglichkeiten
26
Inzwischen gibt es nur noch einen Universitätsverlag in Australien - die University of Queensland
Press (Hassall 2001, 91).
27
Currency Press spezialisierte sich auf Drama, Spinifex auf feministische Literatur, und Wakefield Press
auf die Lokalliteratur Südaustraliens (Wilding 1999, 57).
28
Gründe dafür sieht Wilding (1999) darin, dass ,,[p]ublication subsidies were dispensed, publicity
money splashed around, but a national distribution policy for all writing was never drawn up. Moreover,
[...] Australian governmental policy seemed to be one of collaboration with the transnationals rather than
of trying to confront or mitigate their destructive effects" (58).

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der Literatur in den Hintergrund geraten: ,,The traditional values of literary publishing
have been abandoned. Literary quality and value are no longer relevant terms" (Wilding
1999, 61). Literatur wird vordergründig, vielleicht bald ausschließlich, als globales
Wirtschaftsprodukt angesehen und die eigentliche Funktion völlig außer Acht gelassen.
Hauptsächlich geht es um Profit, und ausschließlich große Konzerne entscheiden
darüber, was in den Handel kommt. Die Entscheidung darüber wird vor allem vom
höchstmöglichen Profit und nicht der literarischen Qualität der Werke abhängig
gemacht. Die derzeitige Besessenheit von Bestsellerlisten und dem `shelf life' eines
Buches wird von Kritikern als sehr gefährlich eingestuft, da sie dazu führt, dass
minderwertige Massenware den Markt erobert. Dadurch fällt dem Leser das
Herausfiltern qualitativ wertvoller Werke immer komplizierter. (vgl. Wilding 1999, 58-
60; Castro 2005, 6/13)
Diese Entwicklung betrifft natürlich nicht nur Australien. Jedoch gibt es mehrere
Gründe, warum die australische Literatur gefährdeter ist als beispielsweise die deutsche.
Einen wichtigen Punkt stellt zum Beispiel die Sprache dar. Während amerikanische
Bücher für den deutschen Markt erst übersetzt werden müssen, was einen nicht zu
vernachlässigenden finanziellen Faktor darstellt, ist dies für englischsprachige Märkte
nicht notwendig. Es liegt auf der Hand, dass es sehr profitabel ist, Australien einfach als
einen erweiterten amerikanischen Markt zu betrachten. Eine höhere Auflage bedeutet
günstigere Produktion und somit mehr Profit. Australien kann von amerikanischer
Literatur überschwemmt werden
29
, wohingegen das Veröffentlichen von australischen
Werken nicht rentabel ist. Der australische Markt ist klein und eine geringe Auflage
genügt, um ihn abzudecken. Eine unbedeutende Auflage rentiert sich jedoch
keineswegs, geht man davon aus, dass kaum internationale Nachfrage an australischer
Literatur herrscht. Der Aufwand für die internationale Vermarktung, noch dazu von
wenig etablierten Schriftstellern, ist zudem sehr aufwendig und kostenintensiv.
Australiens Buchhandel wird von wenigen Großkonzernen
30
dominiert. Somit liegt die
Entscheidung, was eingekauft wird, in wenigen Händen. Unabhängige, meist kleine,
29
Bestand erst die Angst, es würden zu viele amerikanische und englische Einflüsse nach Australien
verschleppt, verändern sich diese Werte immer mehr: ,,Those corporations have mutated into
transnationals, still importing alien values, but values that are now increasingly divorced from any
national culture" (Wilding 1999, 64).
30
Wilding (1999) nennt drei Hauptketten: Collins Book Depot, Dymocks und das amerikanische Angus
& Robertson Bookworld (62).

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Buchhandlungen werden aus dem Markt gedrängt und haben kaum eine Chance
31
.
Wilding (1999) betont außerdem:
There is legislation against foreign control of broadcasting and newspaper
interests in Australia; there are no such controls over book publishing.
Consequently the shaping of the national literary culture is in the hands of
interests that have no commitment to that culture; indeed, it is the nature of
transnationals to have no commitment to any national culture, to be
concerned only with profit and tax minimisation. (64)
In diesem Desinteresse an der nationalen Literatur begründet sich auch, dass
akademische Veröffentlichungen am meisten unter diesen Zuständen zu leiden haben.
Noch dazu ist deren Auflage viel geringer als die von Populärliteratur und damit fern
von finanzieller Rentabilität. Außerdem haben Kürzungen von Fördermitteln für
Universitäten und Bibliotheken diesen Trend verstärkt. Weiterhin erschwert wird es den
australischen Akademikern dadurch, dass der Australian Research Council (ARC)
Veröffentlichungen in Wissenschaftszeitschriften und Verlagen finanziell nicht
unterstützt. (vgl. Wilding 1999, 62/66)
2.4 Entwicklungsmöglichkeiten
Selbst Anfang des 21. Jahrhunderts herrscht unter australischen Kritikern keine
Zufriedenheit über die Situation der einheimischen Literaturlandschaft. Castro (2005)
ist der Meinung, Australien benötige dringend eine neue Debatte darüber, was ,,literary
culture" für das Land bedeutet (4). Schon bei den anfänglichen Entwicklungen der
australischen Literaturstudien in den 1960ern und 1970ern konnten Kritiker eindeutige
Ursachen für diese Unzufriedenheit definieren. So meint Keneally (1977)
beispielsweise:
[O]ne of the great problems for Australian writers has always been to accept
Australia in its own right, to see it with the eyes that divorce themselves
from northern European conventions of beauty, even from northern
hemisphere concepts of society and, above all, from northern habits of
literary seemliness. (81)
Im Unterschied dazu entwickelten viele Kritiker Ende des 20. Jahrhunderts eine
Einstellung, die versöhnlicher mit den Einflüssen fremder Ursprünge umgeht und
wenden sich gegen den Ausschluss von ,,non-Australian values, literary or otherwise,
but adapting them to, and developing them within Australian conditions" (Armbruster
31
Nur 16 Prozent der Buchhandlungen in Australien sind unabhängig (Wilding 1999, 60).

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1991, 18). Das dennoch anhaltende Unbehagen ist ein Ausdruck dafür, dass in den
letzten drei Jahrzehnten weder praktische Lösungen gefunden wurden noch bedeutende
Fortschritte eingetreten sind. Meistens wird australische Literatur `nur' im Rahmen
postkolonialer Vergleichsstudien untersucht und `lediglich' als Commonwealth-
Literatur bezeichnet (Armbruster 1991, 16)
32
. Wie viele Kritiker fragt sich Prießnitz
(2000), warum gerade Australien eine eigene Literaturkritik bekommen solle (306).
Immerhin bestehe schon allein das Commonwealth aus 53 Staaten, von denen ganz
sicher die wenigsten eine landeseigene Literaturbetrachtung erhielten. Häufig werden
sämtliche Werke, welche in ehemaligen Kolonialstaaten verfasst werden in einen
`literaturtheoretischen Topf' geworfen und untereinander verglichen. Es ist keine Frage,
dass die Literatures of New English aufgrund der ähnlichen Entwicklungsgeschichte
ihrer Nationen auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Jedoch werden immer wieder
Stimmen laut, welche die Schattenseite der so genannten postcolonial comparative
studies betonen. So Pordzik (2002):
Den Vertretern der postkolonialen Theorie werfen Kritiker deshalb vor, mit
ihrer durch unzählige Methodenzwänge aufgepumpten Lektüre bestehende
Unterschiede zwischen literarischen Texten und Gattungen aus Indien,
Afrika, Australien, den USA und Kanada einzuebnen. (17)
Ein weiteres Problem dieser `gebündelten' Analyse ist auch, dass viele Werke
überhaupt nicht in die postkoloniale Literaturtheorie einbezogen werden. Der Vergleich
von Texten aus derartig vielen Staaten kann nur zu einer Selektion relevanter Werke
führen. Sobald ein Roman zu sehr vom allgemeinen postkolonialen Themen- oder
Formenspektrum abweicht, findet man eine angemessene Analyse und
literaturtheoretische Besprechung nur selten. Man kann davon ausgehen, dass dadurch
die jeweiligen Literaturen nicht unbedingt umfassend oder angemessen analysiert
werden. Und viele Kritiker betonen immer wieder, dass nicht nur die Literatur
renommierter Nationen eine ausführliche Betrachtung verdient. Abgesehen davon meint
Prießnitz (2000), dass: ,,No anthropological evidence exists to suggest that some nations
might be less suited to the creation of literature than others" (306).
Für Hassall (2001) gibt es für die Verbesserung des Status australischer Literatur
mehrere Lösungsansätze. Zunächst müsse man der Literatur den Sonderstatus Kunst
zuerkennen, in dem Sinne, dass sie keine pure Wissenschaft ist und deswegen andere
Kriterien auf sie angewendet werden müssen (92). Außerdem gäbe es drei
32
Die Literaturen der ehemaligen Kolonial- oder auch Commonwealth-Staaten werden heute auch als die
Literatures of New English bezeichnet (Joussen 1994, 124).

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Hauptprobleme, mit denen sich die australische Literaturkritik auseinandersetzen
müsste:
[F]inding a place for the teaching of literature (and specifically Australian
literature) in the academy; finding the appropriate audience for that
teaching; and finding a voice to articulate a critical scrutiny of that
literature. (Hassall 2001, 88)
Castro (2005) knüpft an die Vorstellungen Armbrusters an, dass man bestehende
Einflüsse und Konzepte nicht ausschließen könne, sondern auf die australische Situation
anwenden müsse (10). Er geht sogar soweit, zu sagen, dass die meisten australischen
Schriftsteller aufgrund des fehlenden Einflusses und mangelnder Inspiration
ausländischer, nicht-englischsprachiger Schriftsteller zu keiner internationalen
Anerkennung gelangen (10). Deswegen müsse einerseits mehr für das Erlernen von
Fremdsprachen in der Bildung gemacht werden, damit die Originaltexte für die
australische Leserschaft, inklusive der australischen Schriftsteller zugänglicher würden.
Andererseits sollte mehr für die qualitative und quantitative Übersetzung
fremdsprachlicher Texte gesorgt werden (12). In seiner Kritik schließt Castro (2005)
auch andere englischsprachige Kulturen mit ein und stellt fest:
So much contemporary writing in English is ignorant of literature itself and
therefore unaware of cultural inheritances. [...] writing [is] a constant
reflection on literature from elsewhere. (12)
Natürlich ist die Trennlinie zwischen dem angestrebten Reflektieren fremder Eindrücke
und der ungewollten Übernahme ausländischer Einflüsse nicht klar zu definieren und
häufig werden zahlreiche, vor allem amerikanische Ansätze ohne kritische
Auseinandersetzung übernommen. In diesem Sinne spricht sich auch Dale (1999) für
die bewusste Entwicklung neuer Strategien aus. Dazu gehört für ihn die
Zusammenarbeit mit anderen betroffenen Staaten, wie etwa den südafrikanischen oder
neuseeländischen Institutionen; aber auch eine aktivere Teilnahme an internationalen
Literaturkonferenzen und die Veröffentlichung australischer Literaturtheorie jenseits der
üblichen postkolonialen Literaturjournale
33
. (vgl. Dale 1999, 132-5)
33
So wird australische Literaturkritik häufig ausschließlich in Journalen wie der New Literatures Review,
Ariel, Kunapipi oder dem Journal of Commonwealth Literature abgedruckt (Dale 1990, 132).

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Utopie und Australien
,,[T]he Pacific has ever been the home of Utopias, and dreams of Terra Australis
Incognita seduced alike philosophes and hard-headed
propagandists of mercantilist empires."
(Spate 1987, 20)
Viele Kritiker betonen immer wieder, dass utopische Sehnsüchte so alt sind wie die
Menschheit selbst und sich durch des Menschen ständigen Strebens nach einem
besseren Leben entwickeln (Fehlner 1989, 35). Inwiefern spielte Australien eine ganz
spezielle Rolle für das utopische Denken? In welcher Art und welchem Ausmaß hat sich
das Utopische in der australischem Literaturlandschaft manifestiert? Zur Beantwortung
dieser Fragen soll im folgenden Kapitel die Darstellung Australiens in der Literatur
näher betrachtet werden. Anhand jener Literatur lässt sich ein Image von Australien
ableiten, welches darüber Auskunft gibt, wie die Nation von außen betrachtet wird, wie
Australien sich selbst empfindet und wie das Land sich selbst gern sehen würde.
Inwiefern ist jenes Image stabil? Was sind die Ursachen für eventuelle Veränderungen
in der Ansichtsweise?
Die Entwicklung utopischer Tendenzen hat in Australien einen anderen Verlauf
genommen als in Europa, vor allem aufgrund der äußerst unterschiedlichen Geschichte
beider Kontinente. Wie verhält sich dies jedoch im Vergleich mit anderen Nationen, die
vielleicht einen ähnlichen historischen Kontext aufzuweisen haben? Australien ist eine
ehemalige Kolonie, wie beispielsweise auch die USA, welche schon ,,immer ein
besonderes Verhältnis zu utopischem Denken" (Dietz 1987, 9) gehabt hat. In diesem
Sinne ist der American Dream vielen Menschen ein Begriff. Bedenken wir allerdings,
dass kaum eine Person den Australian Dream in einem ähnlichen Kontext gebraucht,
müssen Unterschiede in der Entwicklung utopischer Tendenzen beider Länder
vorhanden sein. Wo liegen jedoch die Ursachen für jene Abweichungen der
vermeintlich gleichen Nationen?
3.1 Australien als Schauplatz utopischer Literatur
Die Art und Weise wie Australien schon vor seiner Entdeckung in der Literatur
dargestellt wurde, nahm ohne Frage Einfluss auf das Bild, was sich unmittelbar nach der

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Erforschung und schließlich Besiedlung entwickelte. Deshalb ist es wichtig, auch die
frühesten utopischen Entwürfe, die sich mit Australien beschäftigten, in die Betrachtung
einzubeziehen. Welchen Verlauf hat danach das utopische Schreiben innerhalb
Australiens genommen? Gab es bezeichnende Tendenzen? Durch welche Einflüsse
wurden diese bedingt? Ein Überblick über die Entwicklung der literarischen Utopie in
Australien wird es außerdem erleichtern, die im Kapitel 5 ausführlich besprochenen
Werke in die allgemeine Entwicklung einzuordnen.
3.1.1 Vor der Entdeckung bis zum Anfang der Besiedlung
Schon der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras (582-496 v. Chr.) ging
anhand seiner Theorie der Harmonie und des natürlichen Gleichgewichts davon aus,
dass es eine Gegenerde geben müsste. Im Mittelalter jedoch drängte die Kirche
derartige Anschauungen zurück. Erst im 15. Jahrhundert sorgte die Entdeckung des
amerikanischen Festlandes für einen verstärkten Glauben an die Existenz von Land
jenseits des Äquators. Dieses `hypothetische Südland' wurde damals in die Seekarten
als Terra australis incognita oder auch Terra australis nondum cognita (noch nicht
bekannt) eingetragen.
The charm of romance and adventure surrounding the discovery of hitherto
unknown lands has from the earliest ages been the lure that has tempted men
to prosecute voyages and travels of exploration. Whether under the pretext
of science, religion or conquest, hardship and danger have alike been
undergone with fortitude and cheerfulness, in the hope of being the first to
find things strange and new, and return to civilized communities with the
tidings. (Favenc 1967, 17)
Im 16. und 17. Jahrhundert zog es die westliche Welt immer mehr in die Terra australis
incognita, vor allem aus Hoffnung auf Profit und wissenschaftliche Erkenntnisse. Nicht
nur Entdecker wurden in Versuchung gebracht, auf Forschungsreisen aufzubrechen.
Auch die Phantasie vieler Schriftsteller wurde durch die Vorstellung möglicher
unbekannter Gebiete und fremder Kulturen angeregt. Oft wurde das Südland als
Schauplatz für utopische Texte genutzt. Es entwickelte sich ein regelrechter Antipoden-
Mythos, in dem Autoren eine Welt kreierten, die als Gegenstück zur wirklichen Welt
fungiert. Ein frühes Beispiel hierfür ist Dialogue Against the Fever Pestilence (1564)
34
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In diesem Werk erzählt der Reisende Mendax von einer Stadt mit dem Namen ,,Nodnol in Taerg
Natrib" (,,Die Viktorianer und die Antipoden" 2000, 279).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2006
ISBN (eBook)
9783836608794
Dateigröße
664 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Sprach- und Literaturwissenschaften, Anglistik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
australien utopie antipoden gesellschaftskritik literatur
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Titel: Der Australische Utopische Roman des 20. Jahrhunderts
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