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Die Call Center Fabrik

Arbeits- und Lebenssituation von Call Center Agents

©2007 Diplomarbeit 104 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
So gut wie jeder Konsument hat in seinen Leben schon einmal ein Call Center in Anspruch genommen - sei es, um Hilfe bei Problemen mit dem Computer, Handy oder dergleichen zu bekommen oder einfach, um etwas zu bestellen. Die Dienste eines Call Centers werden über sogenannte Hotlines beworben und können über leicht zu merkende Telefonnummern erreicht werden. Für jedes mögliche und unmögliche Produkt gibt es mittlerweile eigene Hotlines, so bieten Zigarettenhersteller, Shampoohersteller und viele mehr eine eigene Hotline an. Eines haben diese Hotlines immer gemein: es verbirgt sich dahinter ausschließlich die Struktur eines Call Centers, und um diese geht es in der vorliegenden Arbeit.
Call Center werden häufig der „New Economy“ zugerechnet, wodurch der Eindruck vermittelt wird, dass es sich um ein neues Managementsystem handelt. Doch ist dies zutreffend? Wie neu ist dieses System? Wer arbeitet eigentlich in Call Centern und zu welchen Bedingungen? Diese Fragen haben mich während dieser Arbeit beschäftigt und diese versuche ich, hoffentlich erfolgreich, zu beantworten.
Gang der Untersuchung:
Die Arbeit ist als Milieustudie angelegt, anhand derer ich das System Call Center dem werten Leser näher bringen möchte, um so zu mehr Verständnis für die Arbeit, die Agents in Call Centern leisten, beizutragen. Diese arbeiten in einem System, das sich selbst als modern begreift, jedoch drängt sich bei genauerer Betrachtung der Arbeitsbedingungen von Call Center Agents der Verdacht auf, dass dieses „neue Managementsystem“ vielleicht nur eine Modifikation eines althergebrachten, zum Teil heftig kritisierten, Managementsystems ist. Gemeint ist das System des Taylorismus.
Da sich ein Großteil der Arbeit auf empirische Daten stützt, wird in Kapitel 2 der methodische Zugang eingehend erklärt. Grundsätzlich wurde bei der Arbeit ein qualitativer Zugang gewählt, wobei ich mich vornehmlich der Methode des ero-epischen Gesprächs, sowie der freien teilnehmenden Beobachtung bedient habe.
In Kapitel 3 werde ich nach einer Darstellung des von Taylor propagierten „Sientific Management“ die Systeme Taylorismus und Call Center zusammenführen um so Ähnlichkeiten der Systeme aufzuzeigen. Danach wird die Arbeit mit einer Darstellung des Systems Call Center weiterführen. Hierbei möchte ich auf die typischen Organisationsstrukturen von Call Centern eingehen und einen Überblick über die österreichische Situation geben. Wichtig erscheinen mir die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Roland Csenar
Die Call Center Fabrik
Arbeits- und Lebenssituation von Call Center Agents
ISBN: 978-3-8366-0758-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität Wien, Wien, Österreich, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

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Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG ... 5
2. METHODE ... 7
2.1.
Das ero-epische Gespräch ... 8
2.2.
Freie teilnehmende Beobachtung ... 9
2.3.
Forschungsablauf ... 15
3. TAYLORISMUS... 18
3.1.
Die Kritik Taylors am alten System... 18
3.2.
Die Grundsätze des neuen Systems ... 20
3.3.
Der Pensumgedanke... 23
3.4.
Diskussion Taylorismus ­ Call Center... 24
4. DAS SYSTEM CALL CENTER ... 30
4.1.
Definition... 30
4.2.
Inbound & Outbound... 31
4.3.
Arbeitsorganisation ... 32
4.4.
Einsatzmöglichkeiten ... 32
4.5.
Entstehungsgeschichte ... 33
4.6.
Call Center in Österreich... 34
4.7.
Hierarchie eines Call Centers... 43
4.7.1.
Call Center Manager... 44
4.7.2.
Teammanager ... 45
4.7.3.
Trainer... 46
4.7.4.
Call Center Agent ... 47
4.8.
Tagesablauf eines Call Center Agents ... 48
5. DIE ARBEITSWELT VON AGENTS ... 50
5.1.
Arbeitsstätte eines Call Center Agents ... 50
5.2.
Großraumbüro ... 53
5.3.
Eintrittsgründe in ein Call Center ... 55
5.3.1.
Studentisches Milieu... 56

4
5.3.2.
Hausfrauen und Wiedereinsteigerinnen ... 57
5.3.3.
Suboptimal ausgebildete Arbeiter ... 58
5.4.
Die Arbeit als Call Center Agent... 59
5.4.1.
Monotonie und Handlungsspielraum... 60
5.4.2.
Eskalationen ... 63
5.5.
Kommunikationsraum Call Center ... 65
5.5.1.
Das Team ... 66
5.5.2.
Strategie des Teamgeistes... 67
5.5.3.
Strategie des funktionalen Teams... 68
5.5.4.
Call Center Sprache ... 69
5.5.5.
Firmeninterne Sprache... 70
5.5.6.
Telefonsprache ... 72
5.5.7.
Coachings ... 74
5.5.8.
Kommunikationstrainings ... 76
5.5.9.
Firmenphilosophie ... 77
5.6.
Vorgaben und Kontrolle ... 79
5.6.1.
Arbeitsbeginn ... 79
5.6.2.
Gesprächsdauer ... 80
5.6.3.
Pausenzeiten ... 82
5.6.4.
Kontrollmechanismen ... 84
5.7.
Freiräume... 87
5.7.1.
Arbeit während Randzeiten... 88
5.7.3.
Schwierige Anrufe ... 90
5.7.4.
Sabotage... 91
5.7.5.
Taktischer Krankenstand ... 91
5.7.6.
Kündigung... 92
5.8.
Auswirkungen auf das Privatleben ... 93
5.9.
Gründe für den Verbleib als CC Agent... 95
6. CONCLUSIO ... 97
7. LITERATURVERZEICHNIS... 99
8. GESPRÄCHSPARTNER ... 101
9. FREIE TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG ... 102

5
1. Einleitung
So gut wie jeder Konsument hat in seinen Leben schon einmal ein Call Center in
Anspruch genommen - sei es, um Hilfe bei Problemen mit dem Computer, Handy oder
dergleichen zu bekommen oder einfach, um etwas zu bestellen. Die Dienste eines Call
Centers werden über sogenannte Hotlines beworben und können über leicht zu
merkende Telefonnummern erreicht werden. Für jedes mögliche und unmögliche
Produkt gibt es mittlerweile eigene Hotlines, so bieten Zigarettenhersteller,
Shampoohersteller und viele mehr eine eigene Hotline an. Eines haben diese Hotlines
immer gemein: es verbirgt sich dahinter ausschließlich die Struktur eines Call Centers,
und um diese geht es in der vorliegenden Arbeit.
Call Center werden häufig der ,,New Economy" zugerechnet, wodurch der Eindruck
vermittelt wird, dass es sich um ein neues Managementsystem handelt. Doch ist dies
zutreffend? Wie neu ist dieses System? Wer arbeitet eigentlich in Call Centern und zu
welchen Bedingungen? Diese Fragen haben mich während dieser Arbeit beschäftigt und
diese versuche ich, hoffentlich erfolgreich, zu beantworten.
Die Arbeit ist als Milieustudie angelegt, anhand derer ich das System Call Center dem
werten Leser näher bringen möchte, um so zu mehr Verständnis für die Arbeit, die
Agents in Call Centern leisten, beizutragen. Diese arbeiten in einem System, das sich
selbst als modern begreift, jedoch drängt sich bei genauerer Betrachtung der
Arbeitsbedingungen von Call Center Agents der Verdacht auf, dass dieses ,,neue
Managementsystem" vielleicht nur eine Modifikation eines althergebrachten, zum Teil
heftig kritisierten, Managementsystems ist. Gemeint ist das System des Taylorismus.
Da sich ein Großteil der Arbeit auf empirische Daten stützt, wird in Kapitel 2 der
methodische Zugang eingehend erklärt. Grundsätzlich wurde bei der Arbeit ein
qualitativer Zugang gewählt, wobei ich mich vornehmlich der Methode des ero-
epischen Gesprächs, sowie der freien teilnehmenden Beobachtung bedient habe.

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In Kapitel 3 werde ich nach einer Darstellung des von Taylor propagierten ,,Sientific
Management" die Systeme Taylorismus und Call Center zusammenführen um so
Ähnlichkeiten der Systeme aufzuzeigen. Danach wird die Arbeit mit einer Darstellung
des Systems Call Center weiterführen. Hierbei möchte ich auf die typischen
Organisationsstrukturen von Call Centern eingehen und einen Überblick über die
österreichische Situation geben. Wichtig erscheinen mir die einzelnen hierarchischen
Ebenen, welche ich genauer beleuchten werde, um so einen Eindruck über die
Arbeitsorganisation in Call Centern zu gewinnen.
Im umfangreichsten Kapitel gehe ich auf die Daten, die durch die ero-epischen
Gespräche ermittelt worden sind, genauer ein. Bei den Gesprächspartnern handelte es
sich vornehmlich um Call Center Agents aus der Telekommunikationsbranche, da ich
hier aufgrund meiner beruflichen Erfahrung einen einfacheren Zugang zum Feld hatte.
Dabei war es mir wichtig, Fragen, die während meiner Arbeit aufgeworfen wurden, aus
der Sichtweise der Call Center Agents zu betrachten, um so einen Einblick in deren
Lebens- und Arbeitssituation zu bekommen.

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2. Methode
Für die vorliegende Arbeit wurde als Methode die qualitative Feldforschung gewählt, da
sich diese für die Erklärung und das Verstehen von kleinstrukturierten Lebenswelten
besser eignet als eine zahlenorientierte quantitative Forschung. So schreibt Girtler:
,,Bei der qualitativen Methode[...] kommt es nicht auf Zahlen an, sondern
auf das Handeln selbst und die Regeln, die hinter diesen stehen [...]"
(Girtler, 2001: 35)
Da sich diese Arbeit vornehmlich den sozialen Regeln, Ritualen und dergleichen im
Untersuchungsgebiet widmet, ist eine quantitative Herangehensweise keinesfalls
zweckmäßig. Zur groben Beschreibung der der qualitativen Methoden wird hier Robert
Ezra Parks, Begründer der Chicagoer Schule, zitiert:
,,Beobachtungen aus erster Hand sind angesagt: Setzen Sie sich in die
Empfangshallen der Luxushotels und auf die Treppenstufen von
Abrisshäusern, machen Sie es sich auf den Polstergarnituren der reichen
ebenso bequem wie auf den Holzpritschen im Obdachlosenheim [...]
machen Sie sich die Hände schmutzig mit realer Forschung!" (Flick, 1995:
189)
Diese Art der Feldforschung geht im Gegensatz zur quantitativen Methode nicht mit
Hypothesen ins Feld, sondern kreiert diese innerhalb des Forschungsprozesses. Somit
nähert sich der Forscher dem Untersuchungsgegenstand offen und vermeidet so,
aufgrund von vorangehenden Hypothesen ein sich selbsterfüllendes Ergebnis zu
produzieren. Damit ist gemeint, dass durch die vorangehende Hypothesenbildung das
zukünftige Ergebnis vorweggenommen wird und sich die Arbeit des Forschers nur mehr
auf die Bestätigung dieser Hypothesen konzentriert. Sinnvoller erscheint es mir, in
Bezug auf mein Thema offen für alle Eventualitäten zu sein.
,,Durch die Prinzipien der Offenheit und der Kommunikation gelingt es
jedoch, die soziale Wirklichkeit, wie sie die Menschen tatsächlich sehen ­
und nicht wie sie der Soziologe sieht ­ ,,objektiv" dazustellen." (Girtler,
1984: 40)

8
In der vorliegenden Arbeit geht es um die Sicht- und Überlebensweise der untersuchten
Menschen und dies ist ohne Kommunikation undenkbar. Aufgrunddessen wird in der
Arbeit die Methode des ,,ero-epischen" Gesprächs und die freie teilnehmende
Beobachtung verwendet - um die soziale Wirklichkeit darzustellen, wie sie ist.
2.1. Das ero-epische Gespräch
,,Im Eigenschaftswort ,,ero-episch" stecken die altgriechischen Wörter
,,Erotema" und ,,Epos". ,,Erotema" heißt die ,,Frage" beziehungsweise
,,eromai" fragen, befragen und nachforschen. Und ,,Epos" bedeutet
,,Erzählung", ,,Nachricht", ,,Kunde", aber auch ,,Götterspruch"
beziehungweise ,,eipon" ,,erzählen"." (Girtler, 2001: 150)
Somit soll dieser Begriff auf eine wissenschaftliche Gesprächsart hinweisen, bei der
Fragen und Erzählungen miteinander verbunden werden. (Girtler, 2001)
Grundsätzlich gilt hierbei, dass sich der Forscher und der Gesprächspartner auf
derselben Ebene befinden und somit keine hierarchischen Unterschiede, im Gegensatz
zu standardisierten Interviews, entstehen. Ein weiterer Unterschied zu standardisierten
Interviews ist das gänzliche Fehlen eines Leitfadens. Dieser bewusste methodische
Verzicht soll ein offenes und natürliches Gespräch zwischen Forscher und
Gesprächspartner ermöglichen. Durch die Verwendung eines Leitfadens würde der
Forscher zwangsläufig in eine dominantere Position innerhalb des Gesprächs gedrängt
werden und anstelle eines offenen Gesprächs würde eine zielorientierte Itembefragung
stattfinden. Girtler schreibt hierzu:
,,Die nur selten angefochtene Methode des strukturierten Interviews im
Rahmen von Fragebogenerhebungen, die noch immer die
sozialwissenschaftliche Forschung dominiert, hat den Nachteil, dem
Interviewten die Wirklichkeit oder Vorstellungswelt des Soziologen, der
den Fragebogen ausgebrütet hat, mehr oder weniger aufzuzwingen."
(Girtler, 2001: 155)

9
Höchste Priorität kommt dem Umfeld des Gesprächs zu, da der Gesprächspartner nicht
aus seinem sozialen Umfeld herausgerissen werden soll, um so zu einem für ihn
freundlichen wie bekannten Gesprächsumfeld zu gelangen. Man sollte hier in die
Lebenswelt dieser betroffenen Menschen gehen und sie nicht in Situationen
interviewen, welche von ihnen als unangenehm empfunden werden könnten. (Girtler,
2001)
Die Auswahl der Gesprächspartner sollte mit Bedacht gewählt werden. Unbedingt zu
vermeiden sind quasi unfreiwillige Gespräche, welche durch eine hierarchisch höher
stehende Person angeordnet werden. Dies könnte zu einer Voreingenommenheit des
Gesprächspartners und infolgedessen zu verfälschten Ergebnissen führen.
Hat man nun die geeigneten Gesprächspartner gefunden, so sollte das ero-epische
Gespräch mit einer Erzählung des Forschers über die Arbeit beginnen, um so Interesse
beim Gesprächspartner zu wecken, und dieser schließlich von sich selbst zu erzählen
beginnt.
,,Ein ero-episches Gespräch" ist demnach ein sehr eingehendes Gespräch,
bei dem beide sich öffnen, der Forscher und sein Gesprächspartner, um in
die wahren Tiefen einer Kultur (Randkultur) vorzudringen." (Girtler, 2001:
153)
2.2. Freie teilnehmende Beobachtung
Rene König spricht gänzlich von der Beobachtung als Grundlage jeder
wissenschaftlichen Tätigkeit. Er definiert die Beobachtung folgendermaßen:
,,Beobachtung sei die Gestaltwahrnehmung und deren Interpretation"
(zit. bei Unger, 1987: 35)
Dies trifft auf sämtliche Arten der wissenschaftlichen Beobachtung zu. Zu
unterscheiden gilt es vier Arten der Beobachtung:

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·
standardisierte nicht teilnehmende Beobachtung
·
standardisierte teilnehmende Beobachtung
·
unstandardisierte nicht teilnehmende Beobachtung
·
unstandardisierte teilnehmende Beobachtung
Bei dieser Arbeit wurde die Methode der unstandardisierten teilnehmenden
Beobachtung verwendet, entsprechend soll sie hier kurz umrissen werden. In weiterer
Folge wird sie in der Arbeit freie teilnehmende Beobachtung genannt.
Bei der freien teilnehmenden Beobachtung handelt es sich um ein klassisches
Instrument der Soziologie sowie der Ethnologie, wobei in der heutigen Soziologie das
Hauptaugenmerk auf die standardisierte Beobachtung gelegt wird. Begründet wird dies
meist mit dem Keulenschlag der Unwissenschaftlichkeit der freien teilnehmenden
Beobachtung. Dies, obwohl sich prominente Vertreter der Soziologie wie Robert Ezra
Park oder der Sozialanthropologe Malinowski für diese Methode ausgesprochen haben.
Der große Vorteil der Methode liegt in dem gänzlich offenen Zugang, wodurch die
Möglichkeit der Erfassung einer äußerst komplexen Situation und deren vielschichtigen
Handlungsprozessen besteht. (Girtler, 1984)
Ebenfalls symptomatisch für die freie teilnehmende Beobachtung ist die
hypothesenfreie Herangehensweise. Hypothesen werden erst im Laufe des
Forschungsprozesses aufgestellt, sogleich überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Die
Struktur einer teilnehmenden Beobachtung lässt sich in folgende 4 Phasen einteilen:
·
Zugang zum Feld
·
Integration ins Feld
·
Rückzug aus dem Feld

11
·
Aufarbeitung der Daten
·
1. Phase : Zugang zum Feld
Der richtige Zugang zum Feld entscheidet oft schon über die prinzipielle Möglich- oder
Unmöglichkeit der Forschung. Es dürfte sich hierbei um die für die meisten Forscher
unangenehmste Phase der Feldforschung handeln. Schwierig kann sich die erste
Kontaktaufnahme schon allein aufgrund der unterschiedlichen Lebenswelten von
Forscher und Forschungsfeld ergeben. Folgerichtig schreibt Robert Ezra Park:
,,Man könnte sagen, dass ein Kind, das in eine Gesellschaft geboren wird,
den gleichen Sozialisierungsprozess durchmacht wie ein Forscher, der
schließlich in eine neue Gesellschaft aufgenommen wird." (zit. bei Girtler,
1984: 55)
Vor dem Feldzugang hat sich der Forscher methodisch festzulegen, ob es sich um eine
verdeckte oder eine offene Beobachtung handeln soll. Demzufolge fallen dem Forscher
innerhalb der Untersuchung unterschiedliche Rollen zu. Aus ethischen Gründen spricht
vieles für eine offene Beobachtung, auch in dem Wissen einer möglichen Verzerrung
der Forschung aufgrund der Präsenz des Forschers. Hat sich der Forscher, wie in den
meisten Untersuchungen und auch in dieser, für die offene Beobachtung entschieden,
hat er die Möglichkeit, innerhalb der zu untersuchenden Gruppe eine Funktion zu
erfüllen oder nur als passiver Beobachter zu forschen. Diese grundsätzlichen
Überlegungen müssen vor dem Hintergrund des effektiven Zugangs zum
Forschungsfeld gesehen werden. Hierbei unterscheidet man folgende 3 Typen des
Zugangs:
·
Teilnehmende Beobachtung ohne vorbereiteten Zugang
,,Diese Art der Feldforschung ist die wohl häufigste bei ethnologischen
Untersuchungen, aber auch bei Untersuchungen in der Lebenswelt von
Subkulturen [...] die selbst kein besonderes Interesse an einer
sozialwissenschaftlichen Untersuchung ihrer Handlungsstrukturen besitzen.

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Wichtig ist dabei auch, dass die zu untersuchende Gruppe keiner wie immer
gearteten Einrichtung untersteht, die auch gegen den Willen der
Gruppenmitglieder entscheiden kann [...]" (Girtler, 1984: 68)
Nachdem man hier aber keinen vorbereiteten Zugang zum Feld hat, bedarf es zumeist
einiger Kontaktpersonen, welche einem in die zu untersuchende Lebenswelt einführen.
Dabei benötigt der Forscher ein gewisses Maß an Feingefühl um die ,,richtigen"
Personen für die anschließende Untersuchung zu finden. Der Forscher muss immer die
unterschiedlichen Rituale und Handlungsstrukturen der jeweiligen Lebenswelt vor
Augen haben, um sich nicht gleich anfangs durch unbedachte Handlungen den Zugang
dazu zu verwehren.
·
Teilnehmende Beobachtung aufgrund einer Erlaubnis
oder einer beruflichen Eingliederung
Bei dieser Art der teilnehmenden Beobachtung kann aufgrund einer Erlaubnis oder
einer beruflichen Einbindung der Zugang zum Feld gefunden werden. Während im
vorangegangenen Fall der Forscher lediglich Beobachter bleibt, kann in diesem Fall
dem Beobachter die Rolle eines echten Mitgliedes zu Teil werden. Dadurch erleichtert
sich der Zugang zu Informationen erheblich, da dem Forscher gewisse Rechte innerhalb
des Systems zufallen. Eine verdeckte Forschung wäre bei der Art des Zugangs möglich,
manchmal sogar ratsam, aber auf jeden Fall ethisch bedenklich. (Girtler, 1984)
Die Erlaubnis kann entweder über den formellen Weg, z. B. mithilfe eines Briefes an
die entscheidende Instanz, oder über den informellen Weg zustande kommen. Beim
informellen Weg sucht sich der Forscher einen privaten Kontakt zum
Untersuchungsfeld und lässt ihn für sich an entscheidender Stelle intervenieren. Laut
Girtler wird der informelle Kontakt schneller zum gewünschten Ergebnis führen.
(Girtler, 1984)

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·
Teilnehmende Beobachtung auf Grund eines Auftrages
oder einer Bitte
Dieser Typus der teilnehmenden Beobachtung, welcher aufgrund eines Auftrags oder
einer Bitte stattfindet, kommt in der Praxis immer noch relativ selten vor. Dies liegt an
der vorherrschenden Grundstimmung, dass Forschung eher quantitativ sein muss, um
als wissenschaftlich zu gelten. (Girtler, 1984)
·
2. Phase: Integration ins Feld
Nach geglücktem Zugang zum Forschungsfeld beginnt die Phase des Zurechtfindens
innerhalb der zu untersuchenden Gemeinschaft:
,,Der Feldforscher versucht nun ­ da er jetzt halbwegs sicher sein kann auch
entsprechend den Mitgliedern der Gruppe akzeptiert zu werden -, diese für
ihn zum Teil neue Lebenswelt genauer zu erkunden. Er muss herausfinden,
wie die Wertvorstellungen, die den Handeln zugrunde liegen, exakt
strukturiert sind und wie die soziale Hierarchie aussieht." (Girtler, 1984: 95)
Diese Phase ist durch die Anstrengung des Forschers gekennzeichnet, an den
Handlungen der Gruppe teilzunehmen, aber andererseits diese nicht maßgeblich zu
stören, um so einer möglichen Verzerrung der Daten vorzubeugen. Weiters steht der
Forscher vor dem Problem, wie er auf diverse unerwartete Situationen wie mögliche
Neckereien oder auch handfeste Beleidigungen durch die Gruppe reagiert, um die
Gruppe nicht zu verärgern und sich so den weiteren Zugang zur Gruppe zu verwehren.
Hat der Forscher diese Überlegungen für seine Untersuchung angestellt, geht es weiters
darum, Vertrauen innerhalb der Gruppe zu gewinnen.
Hierzu schreibt Girtler, ,,dass Soziologen eine Rolle einnehmen sollten, ähnlich eines
Priesters oder Arztes die an ihre Schweigepflicht gebunden sind."(Girtler, 1984: 98)
Gelingt es dem Forscher, das Vertrauen der Gruppe zu gewinnen, beginnt die
eigentliche Forschungsarbeit. Jetzt fertigt der Forscher Beobachtungsprotokolle an und

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versucht, Hypothesen zu bilden. Diese sollten immer wieder überprüft und
gegebenenfalls modifiziert werden, um so zu möglichst wirklichkeitsgetreuen Aussagen
zu kommen. Gestützt wird dies durch spezifische Interviews und Diskussionen mit und
zwischen den Akteuren.
Da sich der Forscher bei dieser Art der Forschung sehr tief ins Feld vorwagt und in
gewissem Maße Teil der Gruppe wird, besteht für ihn das Risiko, die Urteilsmaßstäbe
und Verhaltensmuster der Gruppe zu übernehmen. Dieses Phänomen wird in der
Literatur als ,,going native" bezeichnet. Folgendes Zitat von Grümer umschreibt das
Phänomen:
,,Unter ,,going native" wird die Tatsache verstanden, dass der teilnehmende
Beobachter die Urteilsmaßstäbe und Verhaltensmuster der Akteure
übernimmt und damit beginnt, sich mit ihnen zu identifizieren. Als negativ
wird dabei angesehen, dass dadurch der Forscher die Fähigkeit verlieren
wird, sich auf seine Beobachtungsaufgabe zu konzentrieren." (zit. bei
Girtler, 1984: 63)
Zwar beschreibt Grümer das Problem deterministisch, dies darf jedoch bezweifelt
werden. Vielmehr muss auch auf die Möglichkeit einer besseren Datengewinnung durch
einen möglichst tiefen Zugang zum Feld hingewiesen werden. Girtler schreibt hierzu:
,,Keineswegs ist die Aufgabe der Distanz, die den Forscher zu einen going
native macht, dazu angetan, die Objektivität der Daten zu beeinträchtigen,
wie behauptet wird. Vielmehr, dies soll hier klar gemacht werden, gelingt es
erst auf einen solchen Weg, die Alltagswirklichkeit der betreffenden
Menschen in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen. Man nähert sich demnach der
so genannten ,,Objektivität" so viel eher, als wenn man distanziert
beobachtet und Aufzeichnungen macht." (Girtler, 1984: 64)
Bezüglich eines Annehmens von Wertmaßstäben der Gruppe sollte der Forscher jene,
die seinen eigenen Prinzipien widersprechen, nicht bedingungslos übernehmen. (Girtler,
1984)

15
·
3. Phase: Rückzug aus dem Feld
Die Abschlussphase der unmittelbaren Forschung ist durch ständige kritische Sichtung
des Materials gekennzeichnet. Bevor es nun zum endgültigen Rückzug aus dem Feld
kommt, empfiehlt es sich, sein Material einigen Mitgliedern der untersuchten Gruppe
vorzulegen. Dies hat einerseits den Vorteil eines Feedbacks aus der Gruppe, weiters
erleichtert es dem Forscher, sich aus dem Feld zurückzuziehen. Außerdem kommt es
dadurch zu einer gewissen Identifikation der Gruppe mit der Arbeit, da sie sich
schlussendlich nochmals einbringen und den Forscher auf mögliche Fehler hinweisen
kann.
Abschließend werden die Daten noch analysiert und mit den Hypothesen für die weitere
Aufarbeitung verknüpft.
·
4. Phase: Aufarbeitung der Felddaten
In der Endphase verbindet der Forscher die einzelnen Hypothesen miteinander, um so
Theorien zu bilden, welche dann unter Berücksichtigung historischer Tatbestände zu
einem Bericht verwoben werden.
2.3. Forschungsablauf
Im Wesentlichen habe ich mich bei meiner Forschung an die oben angeführten vier
Phasen gehalten, obwohl die methodischen Überlegungen in der Forschungspraxis
immer einer gewissen Modifikation unterliegen.

16
·
1. Phase: Zugang zum Feld
Der Zugang zum Feld gestaltete sich bei meiner Forschung recht problemlos und
unspektakulär, obwohl dieser zu den schwierigsten und als am unangenehmsten
empfundenen Phasen einer Forschung gehört.
Der einfache Zugang beruht vornehmlich auf der Tatsache, dass ich jahrelang Teil
dieser Gruppe war. Somit konnte ich durch persönliche Kontakte auf ein quasi
vorbereitetes Feld zugreifen.
Die teilnehmende Beobachtung erfolgte nur zum Teil offen. Offen gegenüber den
Agents, aber verdeckt gegenüber dem Management. Dies hatte die Vorteile, leichter an
Informationen von den Agents zu gelangen, aber nicht durch das Management
torpediert zu werden.
·
2. Phase: Integration ins Feld
Nach dem geglückten Zugang zum Feld erfolgte die Datenerhebung. Diese erstreckte
sich über einen Zeitraum von 4 Monaten. Problematisch war hierbei die Koordinierung
von Gesprächsterminen. Letztlich führte ich über den Zeitraum hinweg 11 ero-epische
Gespräche und machte 6 teilnehmende Beobachtungen.
In diesem Stadium wurden meine bisherigen Hypothesen weitgehend bestätigt.
Dennoch musste ich gewisse Modifikationen vornehmen, indem ich aufgestellte
Hypothesen teilweise veränderte bzw. neue Hypothesen aufstellte.

17
·
3. Phase: Rückzug aus dem Feld ­ die Analyse
Während des Stadiums der Analyse ging ich daran, die erhobenen Daten auszuwerten.
Die Daten ergaben sich aus 11 ero-epischen Gesprächen, den 6 freien teilnehmenden
Beobachtungen und den aus kurzen Mitschriften nachträglich rekonstruierten
Gesprächen mit Call Center Agents.
Alles zusammen ergibt ein Bild der Lebens- und Arbeitssituation von Call Center
Agents, welches aufgrund der Vielschichtigkeit der Gruppe jedoch keine
Vollständigkeit beansprucht.
Die auf Tonband mitgeschnittenen Gespräche wurden von mir in Form von
Gesprächsprotokollen niedergeschrieben und die teilnehmenden Beobachtungen zu
Beobachtungsprotokollen ergänzt. Anschließend analysierte ich die Daten nach meinen
hypothetischen Überlegungen und versuchte, sie mithilfe einer Inhaltsanalyse zu
verarbeiten und zu kategorisieren.
·
4. Phase: Die Aufarbeitung der Felddaten ­ der Forschungsbericht
Beim Verfassen der vorliegenden Arbeit wurden dann bereits existierende Theorien mit
den von mir erhobenen Daten, welche sich aus den ero-epischen Gesprächen ergaben, in
Einklang gebracht und miteinander zu einem Text verwoben.

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3. Taylorismus
Da ich in dieser Arbeit an anderer Stelle zeigen werde, dass es sich bei Call Centern um
keine sogenannten ,,New Economy" Betriebe und den damit verbundenen neuen
Managementstrukturen, sondern vielmehr um einen tayloristischen Ansatz handelt,
werde ich die Taylor`schen Grundprinzipien und Annahmen kurz vorstellen.
,,Wir verbinden mit dem Begriff Taylorismus einen historisch belegten Vorgang und
eine daraus abzuleitende, verallgemeinerte Verhaltensdoktrin, die eine, unserer Ansicht
nach bedenkliche Vorgehensweise beschreibt, wenn es darum geht, irgendeine
Sozialtechnologie zu entwickeln und einzuführen." (Kirsch, 1977: 29)
Warum diese verallgemeinerte Verhaltensdoktrin bedenklich erscheint, wie es Werner
Kirsch im angeführten Zitat formulierte, dies darzustellen wird teils Aufgabe dieses
Kapitels sein. Der Taylorismus oder das ,,Scientific Management" wurde einst
begründet durch Frederick Winslow Taylors (1856-1915) wissenschaftlichem Wirken in
den Jahren um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Taylor glaubte
daran, Management, Arbeit und Unternehmen mit einer rein wissenschaftlichen
Herangehensweise dermaßen optimieren zu können, sodass alle sozialen Probleme
gelöst und sich Wohlstand für alle entwickeln würde.
3.1. Die Kritik Taylors am alten System
,,Bei den alten Betriebssystemen hängt der Erfolg fast ausschließlich davon
ab, ob man die Initiative des Arbeiters für sich gewinnen kann, was
tatsächlich nur sehr selten der Fall ist." (Taylor, 1913: 41)
Taylor kritisiert die alten Betriebssysteme, da seiner Meinung nach erst die alten
Systeme zu einer diametralen Interessenslage zwischen Arbeitern und

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Unternehmensführung geführt haben. Dass es die Unternehmer in den alten
Betriebssystemen nicht schafften, die Initiative der Arbeiter für sich zu gewinnen,
begründet Taylor folgendermaßen:
1. ,,Der Trugschluss, der von Urzeiten her fast allgemein unter den
Arbeitern verbreitet ist, dass eine wesentliche Vergrößerung der
Produktion jedes Mannes und jeder Maschine schließlich dazu führen
muss, eine große Anzahl von Arbeitern brotlos zu machen.
2. Die mangelhaften Betriebs- und Verwaltungssysteme, die allgemein
verbreitet sind und die jeden Arbeiter zum ,,Bummeln" zwingen, um
seinen eigenen Vorteil zu wahren.
3. Die unökonomischen Faustregel
1
- Methoden, die sich noch in allen
Gewerben finden, und bei deren Anwendung unsere Arbeiter einen
großen Teil ihrer Kraft verschwenden." (Taylor, 1913: 25)
Allein diese drei Gründe legen für Taylor nahe, dass unter den vorherrschenden
Betriebs- und Verwaltungssystemen kein Unternehmen effizient wirtschaften kann. Er
geht noch einen Schritt weiter, indem er meint, dass dieses System auch den Arbeitern
einen massiven Nachteil verschafft. Dies argumentiert er aus folgender
volkswirtschaftlichen Sichtweise:
,,Die Entwicklungsgeschichte jedes Gewerbes zeigt jedoch, dass jeder
Fortschritt, sei es nun die Erfindung einer neuen Maschine oder die
Einführung einer besseren Methode, die die Produktionsfähigkeit der
Arbeiter erhöht und die Herstellungskosten herab mindert, nicht Leute um
ihre Arbeit bringt, sondern für mehr Leute Arbeit schafft. Die Verbilligung
irgendeines allgemeinen Gebrauchsgegenstandes führt fast unmittelbar zu
einer außerordentlich stärkeren Nachfrage." (Taylor, 1913:26)
Weiters argumentiert er, dass es sich bei den Arbeitern auch um Konsumenten handelt,
die wiederum von niedrigeren Preisen durch sein neues Betriebs- und
1
Unter ,,Faustregel" versteht man in der Industrie auf einem geringeren oder weiteren Umkreis bekannte
Methoden, Zahlen für die Stärke von diesem oder jenem Maschinenteil, für die Größe der Leistung von
Mensch und Maschine, Mischungsverhältnisse von Legierungen etc., deren Existenzberechtigung und
Richtigkeit im günstigsten Falle durch wirklich gemachte Erfahrung, oft aber nur dadurch begründet ist,
,,dass dies immer gegolten hat", dass die anderen es auch so machen., oder ,,dass wir es immer so
gemacht haben".

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Verwaltungssystem profitieren würden und im Umkehrschluss unter den hohen Preisen
des ,,alten" Systems leiden. (Taylor,1913)
3.2. Die Grundsätze des neuen Systems
Frederick Taylor formulierte vier Hauptgruppen von Pflichten, welche die
Verwaltungsorgane innerhalb eines Unternehmens nach dem neuen System zu erfüllen
haben.
1. ,,Die Leiter entwickeln ein System, eine Wissenschaft für jedes einzelne
Arbeitselement, die an die Stelle der alten Faustregel-Methode tritt.
2. Auf Grund eines wissenschaftlichen Studiums wählen sie die passendsten
Leute aus, schulen sie, lehren sie und bilden sie weiter, anstatt wie früher,
den Arbeitern selbst die Wahl ihrer Tätigkeit und ihrer Weiterbildung zu
überlassen.
3. Sie arbeiten in herzlichem Einvernehmen mit den Arbeitern; so können sie
sicher sein, dass alle Arbeit nach den Grundsätzen der Wissenschaft, die
sie aufgebaut haben, geschieht.
4. Arbeit und Verantwortung verteilen sich fast gleichmäßig auf Leitung und
Arbeiter. Die Leitung nimmt alle Arbeit, für die sie sich besser eignet als
der Arbeiter, auf ihre Schulter, während bisher fast die ganze Arbeit und
der größte Teil der Verantwortung auf die Arbeiter gewälzt wurde."
(Taylor 1913:41)
Mit dem ersten Punkt meint Taylor, dass jede Arbeit, sei sie auf den ersten Blick auch
nicht komplex, in weitere Einzelelemente zerlegt werden muss. Somit ist es möglich,
durch so genannte Leiter die einzelnen Elemente einer wissenschaftlichen Untersuchung
zu unterziehen. Diese wissenschaftliche Untersuchung wird mittels Bewegungs-
Zeitstudium entwickelt. Ziel ist es, jeden einzelnen Arbeitsschritt so effizient wie
möglich auszuführen. Um dies zu erreichen, soll die Unternehmensleitung die einzelnen

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Schritte der Arbeit beobachten und analysieren, sodass der ideale Arbeitsablauf
gefunden wird, mithilfe dessen man die Zeit für die zu leistende Arbeit reduziert oder
das Arbeitspensum erhöhen kann. Taylor geht davon aus, dass es nur eine richtige
Arbeitsweise gibt, welche nur mithilfe von wissenschaftlichen Untersuchungen zu
eruieren ist.
,,Wenn der geeignete Mann sorgfältig ausgewählt ist, wenn die ,,richtige"
Methode ihr die Ausführung dieser Arbeit in allen Einzelheiten festgelegt
ist, wenn der ,,richtige" Arbeiter angelernt worden ist, nach der richtigen
Methode zu arbeiten, dann muss das Resultat ein ganz bedeutend
günstigeres sein, als unter dem System der Initiative und des gesteigerten
Erwerbssinns, dem Locksystem, möglich ist." (Taylor, 1913: 56)
Taylor geht aber nicht nur von einem einzig richtigen Arbeitsablauf aus, sondern auch
vom einzig richtigen Arbeiter. So meint er, nachdem der ideale Arbeitsablauf gefunden
ist, dass man sich auf seinen zweiten Punkt fokussieren muss. Dieser besagt, dass man
für jede beliebige Arbeit den richtigen Arbeiter benötigt. Diese Aussage klingt auf den
ersten Blick banal, jedoch muss man bedenken, dass Taylor einen erheblichen Schritt
weiter geht, als es in der Personalaufnahme bis dahin typisch war. Für ihn gab es
wirklich den einzig richtigen Arbeiter für die jeweilige Arbeit. Veranschaulicht wird
dies anhand eines Personalauswahlverfahrens, welches er für sein Experiment bei
Bethlehem Steel Co. entwickelt hatte:
,,Unser erster Schritt war also, den rechten Mann zu finden, mit dem man
anfangen konnte. Wir beobachteten deshalb die fraglichen 75 Mann
sorgfältig etwa drei oder vier Tage lang. Schließlich waren wir auf vier
Leute aufmerksam geworden, die körperlich geeignet erschienen, täglich 47
t Roheisen zu verladen. Jeder einzelne wurde dann zum Gegenstand eines
sorgfältigen Studiums gemacht. Wir gingen ihrem Vorleben nach, soweit
dies praktisch durchführbar war, eingehende Untersuchungen wurden
bezüglich ihres Charakters, ihrer Gewohnheiten und ihres Ehrgeizes
gemacht. Schließlich suchten wir einen unter den Vieren aus als denjenigen,
mit dem man am besten beginnen konnte." (Taylor, 1913:46)
Also verwendete Taylor hier viel Mühe und Zeit in die richtige Auswahl der Arbeiter
und dies, obwohl es sich um eine wenig komplexe Arbeit handelt, über die er an anderer
Stelle folgendes schreibt:

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,,Diese Arbeit ist gewiss einfach und elementar. Einen intelligenten Gorilla
könnte man so abrichten, dass er ein mindestens so tüchtiger und praktischer
Verlader würde als irgendein Mensch." (Taylor 1913: 44)
Taylors Bild der Arbeiter bei Bethlehem Steel Co. ist aus heutiger Sicht mehr als
fragwürdig.
,,Ein Mann, der sich in dem Beruf eines Roheisenverladers auf die Dauer
wohl fühlt, muss natürlich geistig sehr tief stehen und recht gleichgültig
sein. Ein aufgeweckter, intelligenter Mann ist deshalb ganz ungeeignet zu
einer Arbeit von solch zerreibender Einförmigkeit." (Taylor 1913: 56)
Die bei Taylor vorherrschende Sichtweise der Arbeiter ist insofern von Bedeutung, als
dass er in Punkt 3 auf das nötige herzliche Einvernehmen zwischen Leitung und
Arbeiter verweist. Dieses Einvernehmen ist insofern für das ,,Scientific Management"
von Nöten, als erst durch diese Beziehung zwischen Leitung und Arbeiter die genaue
Einhaltung der vorgeschriebenen Prozesse gewährleistet werden kann. Umso
erstaunlicher ist seine persönliche Einschätzung der Arbeiter, die man als erniedrigend
begreifen kann.
Die Verteilung der Arbeit soll laut Taylor genau definiert sein, indem der
Aufgabenbereich sowohl für die Leitung als auch für die Arbeiter genauestens
abgesteckt wird (siehe Punkt 4). Hierbei meint er, dass sich die Arbeiter nur auf ihre
physische Arbeit konzentrieren und alle Vorarbeiten von Arbeitsbureaus zur Verfügung
gestellt werden sollen.
,,Um jeden einzelnen Arbeiter individuell behandeln zu können, war
natürlich die Einrichtung eines besonderen Arbeitsbureaus für den mit
dieser Aufgabe betrauten Beamten und seine Assistenten erforderlich. In
diesem Bureau wurde im Vorhinein jedem einzelnen Arbeiter eine
bestimmte Arbeit zugewiesen, und die Bewegungen der Arbeiter von einer
Arbeitsstelle zur anderen wurden durch die Assistenten an der Hand von
genauen Plänen und Karten der Gleisanlagen, Lagerplätze und der Straßen
zwischen den einzelnen Werkstätten möglichst zweckmäßig schon im
Bureau bestimmt und von dort aus angeordnet, etwa so wie man
Schachfiguren auf dem Schachbrett hin und her schiebt. So wurde der große
Zeitverlust, der bisher dadurch entstand, dass zuviel Arbeiter an der einen
Stelle oder zuwenig Arbeiter an der anderen waren, gänzlich beseitigt,

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ebenso fiel das Warten nach Erledigung eines Auftrages bis zur Erteilung
des nächsten und bis zu seiner Inangriffnahme fort."(Taylor, 1913: 62)
3.3. Der Pensumgedanke
Die für Taylor wichtigste Änderung vom alten System zum neuen ,,Scientific-
Management" war die Auftragserteilung mit der Vorgabe eines Pensums. D.h. dem
Arbeiter wurde ein genaues Mindestarbeitspensum vorgegeben, das er zu erreichen hat.
,,Vielleicht der hervorstechendste Grundzug beim neuen System ist die
,,Pensumsidee". Die zu leistende Arbeit eines jeden Arbeiters ist von der
Leitung wenigstens einen Tag vorher aufs genaueste ausgedacht und
festgelegt. Der Arbeiter erhält gewöhnlich eine ausführliche schriftliche
Anleitung, die ihm bis ins Detail seine Aufgabe, seine Werkzeuge und ihre
Handhabung erklärt. Die so im Voraus festgelegte Arbeit stellt somit ein
Pensum, eine festumrissene Aufgabe dar, die also nicht mehr von den
Arbeitern allein, sondern durch seine Tätigkeit der Arbeiter und der Leitung
zu lösen ist. Dieses Pensum bestimmt nicht nur, was, sondern auch wie es
getan werden soll, und setzt genau die Zeit fest, die zur Vollbringung der
Arbeit gestattet ist." (Taylor, 1913: 43)
Durch die genaue Angabe des zu leistenden Arbeitspensums soll erreicht werden, dass
die Arbeiter, die lt. Taylor in ihrer Natur liegende Faulheit überwinden und so zu der
Prosperität für das Unternehmen beitragen.
,,Dieses ,,Sich-Drücken von der Arbeit" entspringt zwei Ursachen: Erstens
dem angeborenen Instinkt und der Neigung der Menschen, nicht mehr zu
arbeiten, als unumgänglich nötig ist; zweitens der durch den Einfluss und
das Beispiel anderer und eigens Nachdenken geschaffenen Auffassung von
seiner Zweckmäßigkeit im eigenen Interesse; letzteres könnte man vielleicht
das systematische ,,Sich-Drücken" nennen. Zweifellos neigt der
Durchschnittsmensch bei jeder Beschäftigung zu langsamen und
gemütlichen Tempo bei der Arbeit, und nur nach Aufwendung einer
beträchtlichen Menge von Gedankenarbeit und Beobachtung seinerseits
oder veranlasst durch gute Beispiele, sein eigenes Gewissen oder unter dem
Druck der Verhältnisse wird er sein Tempo beschleunigen." (Taylor, 1913:
27)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836607582
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Soziologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
call center arbeitssituation agent taylorismus managementsystem
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Titel: Die Call Center Fabrik
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