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Potentiale und Perspektiven des Transfers von Wissensprodukten in den deutsch-russischen Beziehungen

©2007 Bachelorarbeit 72 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Russische Föderation ist reich an Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Insbesondere in Zusammenhang mit der weltweit hohen Nachfrage nach Rohstoffen und steigenden Ölpreisen wächst die russische Wirtschaft dynamisch. 2006 betrug das inflationsbereinigte Wirtschaftswachstum knapp 7%. Das stetige Wachstum hat nach jahrelangem Transformationschaos zu einer wirtschaftlichen und politischen Wiedererstarkung Russlands geführt. Jedoch sind die positive russische Wirtschaftsentwicklung und die damit in Zusammenhang stehenden sozialen Reformen zur Verbesserung der Lage des Landes stark abhängig von der Energie- und Rohstoffindustrie.
Die langfristige wirtschaftliche nationale und internationale Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit sowie die nationale Stabilität des Landes erfordern eine Diversifikation der Wirtschaftsstruktur. Im Kontext der Globalisierung und Wissensgesellschaft kommt dem Aufbau wissensintensiver Industrien dabei eine besondere Bedeutung zu. Zwar verfügt Russland über eine bereits vorhandene, gut aufgestellte technologische und wissenschaftliche Infrastruktur, aber es fehlt an neuem, aktuell notwendigem und zukünftig wichtigem Know how. In den meisten Schlüsselindustrien der russischen Wirtschaft fehlen sowohl die technologischen als auch die personellen Grundvoraussetzungen zu einer Modernisierung der veralteten Strukturen. Die vorliegende Arbeit knüpft hier an. Sie analysiert den Wissensbedarf der russischen Wirtschaft und beschreibt ansatzweise die Akquirierung notwendigen Wissens in Form des Transfers von Wissensprodukten am Beispiel der Region Nischni Nowgorod.
Problemstellung:
Das theoretische Grundprinzip der Arbeit ist der ökonomische Markt als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage und dem Austausch von Gütern. Als Gut wird dabei die Ressource Wissen verstanden. Im Kontext der Arbeit wird Wissen als Produkt betrachtet und eine Unterscheidung impliziter und expliziter Wissensprodukte vorgenommen. Das ermöglicht die Beobachtung des Austauschs von Wissen innerhalb und außerhalb von Orga-nisationen sowie zwischen Volkswirtschaften.
Der Fokus wird im weiteren Verlauf auf den Nachfrager, in diesem Fall allgemein die Russische Föderation, gelegt. Um Aussagen über die Nachfrage treffen zu können, wird der Wissensbedarf analysiert. Die Analyse erfolgt mittels der Erstellung eines Ist-Wissensprofils der russischen Wirtschaft und eines Soll-Wissensprofils ausgewählter Branchen in der Region […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Juliane Partsch
Potentiale und Perspektiven des Transfers von Wissensprodukten in den deutsch-russischen
Beziehungen
ISBN: 978-3-8366-0616-5
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland, Bachelorarbeit,
2007
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ne fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

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ID 10616
Abstract
Die russische Wirtschaft wächst rasant. 2006 betrug das inflationsbereinigte Wirtschafts-
wachstum knapp 7%. Das stetige Wachstum hat Russland in erster Linie seinem enormen
Rohstoffreichtum zu verdanken. Dieser hat dem Land in Zusammenhang mit den weltweit
steigenden Ölpreisen und dem globalen Rohstoffboom nach jahrelangem Transformations-
chaos wieder zu internationaler Größe verholfen. Um neben der Rohstoffindustrie in einer
globalisierten und mehr und mehr wissensbasierten Welt national und international wirt-
schaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben, fehlt es in russischen Schlüsselindustrien jedoch viel-
fach an technologischen und personellen Grundvoraussetzungen. Die russische Wirtschaft ist
angewiesen auf neues, aktuell notwendiges und zukünftig wichtiges Know how zur Moderni-
sierung veralteter Wirtschaftsstrukturen. Die vorliegende Arbeit analysiert den Wissensbedarf
der russischen Wirtschaft, betrachtet die Akquirierung benötigten Wissens in Form des intra-
und interorganisationalen Transfers von impliziten und expliziten Wissensprodukten am Bei-
spiel der Region Nischni Nowgorod und stellt davon ausgehend Chancen und Gefahren des
Transfers von Wissensprodukten für Deutschland und Russland fest. Der Fokus der Betrach-
tung liegt bei der Russischen Föderation. Einer theoretischen Verortung des genannten The-
mas folgt die Erstellung eines Ist-Wissensprofils der russischen Wirtschaft in Form einer
Stärken und Schwächen-Analyse, um Aussagen über den derzeitigen Wissensstand zu treffen.
Dazu wird ausgehend von den Resultaten empirischer Erhebungen und unter Zuhilfenahme
sekundärer Literatur eine Situationsanalyse der Russischen Föderation erstellt, die kulturelle,
gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Perspektiven mit einbezieht. Die Größe des
Landes, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstufen der russischen Regionen
und die Vielfalt der wirtschaftlichen Branchen lassen allgemeine Aussagen über Wissenspo-
tentiale und Wissensdefizite nur bedingt zu. Daher wird im Anschluss ein Soll-Wissensprofil
exemplarisch an ausgewählten Branchen in der russischen Region Nischni Nowgorod erarbei-
tet. Die Betrachtung beider Wissensprofile zeigt vorhandene Wissenspotentiale und -defizite
auf Organisations- und Wissensträgerebene in den Prioritätsbranchen des Gebietes auf. Als
Maßnahme zur Deckung des belegten Wissensdefizits wird die Akquirierung durch externe
Wissensträger in Form von ausländischen Unternehmen mit Produktionsstätten in der Region
Nischni Nowgorod beobachtet. Ausgehend von den Schlussfolgerungen und Beobachtungen
werden schließlich Potentiale, Perspektiven und Gefahren des Transfers von Wissensproduk-
ten für Russland und Deutschland formuliert.

2
ID 10616
Abstract
The Russian economy is growing rapidly, in 2006 the inflation-adjusted economic growth
was nearly 7%. The steady rise in Russia is due to the vast wealth of commodities which, in
combination with an increase in commodity prices, have helped the country to regain its posi-
tion as an international player after years of unsuccessful transformation efforts. In order to
remain nationally and internationally competitive in an international and knowledge-based
environment, Russia is missing technological, personal and intellectual basic requirements in
many key industries. The Russian economy therefore relies on new and essential know-how
to modernise the existing and outdated economic structures. The thesis analyses the demand
of intellectual property of the Russian economy, the acquisition of required knowledge by
means of intra- and inter-organisational transfer of implicit and explicit intellectual property
at the example of the region of Nizhny Novgorod and subsequently assesses the opportunities
and threats of the transfer of intellectual property between Germany and Russia. The focus of
the analysis is mainly the perspective of the Russian Federation. Following the theoretical
placement of the topic, an overview of Russian knowledge base is contemplated in terms of
an analysis of strengths and weaknesses. In order to draw conclusions about the current
knowledge profile in Russia the thesis will establish a situation analysis of the Russian Fed-
eration comprising cultural, social, political and economical factors by investigating the re-
sults of an empirical study and screening secondary literature. The size of Russia, the differ-
ence between the regions' economical development and the vast diversity of business sectors
only provide limited general conclusions about the potentials and deficits of intellectual prop-
erty. Subsequent to the knowledge profile the thesis will establish a target knowledge profile
by means of examples for different business sectors in the region of Nizhny Novgorod. The
comparison of both profiles shows existing knowledge potentials and deficits on an organisa-
tional and decision level in key sectors in the region. The external acquisition of intellectual
property will be analysed as a measure to solve the proven knowledge deficit, by describing
the activities of foreign companies with German participation in the region. Based on the re-
sults of the observations, potentials, perspectives and threats for the transfer of intellectual
property between Russia and Germany will be formulated.

3
ID 10616
Inhaltsverzeichnis
Fragestellungen und methodisches Vorgehen
1.
Gliederung
der
Arbeit
und
Fragestellungen
5
2.
Methodisches
Vorgehen
7
Kontext der Arbeit und theoretische Verortung
3.
Wissensgesellschaft
und
Globalisierung
8
3.1 Wirtschaftliche Vernetzung und ihre Auswirkungen
8
3.2 Von der Agrar- zur Wissensgesellschaft: Die Bedeutung von Wissen in der
heutigen Gesellschaft und Konsequenzen für die Ökonomie
9
4. Wissen, Wissensprodukte und Wissenstransfer ­ eine theoretische Annäherung
10
4.1 Abgrenzung von Begrifflichkeiten und Klassifizierung der Wissensdimensionen 11
4.2 Das Produkt Wissen und seine Eigenschaften
12
4.3 Der Transfer von Wissen: Märkte, Motivationen, Herausforderungen
14
4.3.1 Der Transfer von Wissensprodukten innerhalb einer Organisation
14
4.3.2 Der Transfer von Wissensprodukten zwischen Organisationen
15
Erstellung eines Ist-Wissensprofils der russischen Wirtschaft anhand einer
Situationsanalyse
5. Allgemeine Situationsanalyse der Russischen Föderation mit Hilfe des integrierten
7-S-Modells
16
5.1 Das System: Postsozialistische Transformation als grundlegender
Wandlungsprozess
in
der
Russischen
Föderation
16
5.2 Die Strategie: Erhöhung des Lebensstandards und internationale
Konkurrenzfähigkeit
18
5.3 Die Struktur: Der politische Aufbau Russlands
20
5.4 Die Fähigkeiten: Segen und Fluch des
Rohstoffreichtums
21
5.5 Die Kultur: Tradierte Normen und Verhaltensmuster der ,,Russen"
23
5.6
Die
Menschen:
Vom
Staat
und
Individuum
24
5.7
Die
Vision:
Eine
neue
nationale
Identität
26
5.8
Die
Umwelt:
Russland
auf
der
Weltbühne
28
Exkurs: Ein Einblick in die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen auf
politischer,
wirtschaftlicher
und
kultureller
Ebene 29
6. Stärken und Schwächen der russischen
Wirtschaft
31

4
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Schlussfolgerungen zum Wissensbedarf ausgewählter Branchen und Beobachtungen zu
ausländischen Aktivitäten zur Deckung des Wissensdefizits in der Region Nischni
Nowgorod
7. Erstellung eines Soll-Wissensprofils russischer Unternehmen am Beispiel
ausgewählter Branchen in der Region Nischni Nowgorod
34
7.1 Die Region Nischni Nowgorod: Strategische Wirtschaftsentwicklung und deren
Einflussfaktoren
34
7.2 Wissensdefizite in den strategischen Prioritätsbereichen Automobilbau,
Nahrungsmittelindustrie und Innovation
und
Bildung
37
7.2.1 Benötigtes Erfolgswissen zur Erreichung der nationalen Führung in der
Automobilindustrie
38
7.2.2 Zukünftig notwendiges Wissen zur Beibehaltung und Entwicklung der
Innovations-
und
Bildungsstandards
39
7.2.3 Vorausgesetztes Wissen zum Aufbau eines Distributionszentrums der
Konsumgüterindustrie
41
7.3 Zusammenfassung des zukünftig notwendigen Wissens zur Erreichung der
strategischen
Ziele
42
8. Ausländische Aktivitäten mit deutscher Beteiligung in der Region Nischni
Nowgorod zur Deckung des Wissensdefizits in den wirtschaftlichen
Prioritätsbereichen 44
8.1 Intraorganisationaler Transfer von Wissensprodukten in der OOO Trosifol
45
8.2 Interorganisationaler Wissenstransfer von Wissensprodukten bei der OOO
EagleBurgmann
48
8.3
Zusammenfassende
Betrachtung
der
Beispiele
49
Deutsches Know how gegen russisches Öl? ­ Möglichkeiten und Grenzen des Transfers
von Wissensprodukten für Deutschland und Russland
9. Chancen und Gefahren von Wissensexporten
für
Deutschland
50
10. Chancen und Gefahren von Wissensimporten für die Russische Föderation
52
11. Allgemeine Zusammenfassung und weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten
53
11.1 Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen 54
11.2
Weiterführende
Untersuchungsansätze
58
Literaturverzeichnis
61
Abbildungsverzeichnis 69

5
ID 10616
Fragestellungen und methodisches Vorgehen
1. Gliederung der Arbeit und Fragestellungen
Die Russische Föderation
1
ist reich an Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Insbesondere in Zu-
sammenhang mit der weltweit hohen Nachfrage nach Rohstoffen und steigenden Ölpreisen
wächst die russische Wirtschaft dynamisch. 2006 betrug das inflationsbereinigte Wirtschafts-
wachstum knapp 7%. Das stetige Wachstum hat nach jahrelangem Transformationschaos zu
einer wirtschaftlichen und politischen Wiedererstarkung Russlands geführt. Jedoch sind die
positive russische Wirtschaftsentwicklung und die damit in Zusammenhang stehenden sozia-
len Reformen zur Verbesserung der Lage des Landes stark abhängig von der Energie- und
Rohstoffindustrie. Die langfristige wirtschaftliche nationale und internationale Konkurrenz-
und Wettbewerbsfähigkeit sowie die nationale Stabilität des Landes erfordern eine Diversifi-
kation der Wirtschaftsstruktur. Im Kontext der Globalisierung und Wissensgesellschaft
kommt dem Aufbau wissensintensiver Industrien dabei eine besondere Bedeutung zu. Zwar
verfügt Russland über eine bereits vorhandene, gut aufgestellte technologische und wissen-
schaftliche Infrastruktur, aber es fehlt an neuem, aktuell notwendigem und zukünftig wichti-
gem Know how. In den meisten Schlüsselindustrien der russischen Wirtschaft fehlen sowohl
die technologischen als auch die personellen Grundvoraussetzungen zu einer Modernisierung
der veralteten Strukturen. Die vorliegende Arbeit knüpft hier an. Sie analysiert den Wissens-
bedarf der russischen Wirtschaft und beschreibt ansatzweise die Akquirierung notwendigen
Wissens in Form des Transfers von Wissensprodukten am Beispiel der Region Nischni Now-
gorod.
Das theoretische Grundprinzip der Arbeit ist der ökonomische Markt als Ort des Zusammen-
treffens von Angebot und Nachfrage und dem Austausch von Gütern. Als Gut wird dabei die
Ressource Wissen verstanden. Im Kontext der Arbeit wird Wissen als Produkt betrachtet und
eine Unterscheidung impliziter und expliziter Wissensprodukte vorgenommen. Das ermög-
licht die Beobachtung des Austauschs von Wissen innerhalb und außerhalb von Orga-
nisationen sowie zwischen Volkswirtschaften. Der Fokus wird im weiteren Verlauf auf den
Nachfrager, in diesem Fall allgemein die Russische Föderation, gelegt. Um Aussagen über die
Nachfrage treffen zu können, wird der Wissensbedarf analysiert. Die Analyse erfolgt mittels
der Erstellung eines Ist-Wissensprofils der russischen Wirtschaft und eines Soll-
Wissensprofils ausgewählter Branchen in der Region Nischni Nowgorod. Das Ist-
Wissensprofil wird auf der Basis einer allgemeinen Situationsanalyse der Russischen Födera-
1
Es wird darauf hingewiesen, dass die wörtliche Übersetzung der Staatsbezeichnung ,,Rossijskaja Federacija"
im Deutschen ,,russländisch" bedeutet und sich auf den Staat und seine Strukturen bezieht. Das Adjektiv ,,russ-
kij" bzw. ,,russisch" betrifft die ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit. In der vorliegenden Arbeit wird der
Begriff ,,Russische Föderation" verwandt, da er im deutschen Sprachgebrauch gebräuchlicher ist. Die Begriffe
,,Russische Föderation" und ,,Russland" sind nach der russischen Verfassung gleichbedeutend. Daher werden sie
in dieser Arbeit synonym verwandt. Die Transliteration des kyrillischen Alphabetes erfolgt nach der DIN 1460,
sofern im allgemeinen Wortgebrauch nicht gängigere Schreibweisen vorhanden sind.

6
ID 10616
tion unter Zuhilfenahme dominanter wirtschaftlicher, politischer, soziokultureller und histori-
scher Faktoren angefertigt. Ausgehend davon werden Stärken, Schwächen, Gefahren und
Chancen der russischen Wirtschaft in Bezug auf Wissensinhalte im Allgemeinen geschluss-
folgert. Die Erstellung des Ist-Wissensprofils auf nationaler bzw. staatlicher Ebene ermöglicht
die Betrachtung allgemein-russischer Wissenspotentiale, die sich aus den benannten dominan-
ten Faktoren ergeben. Die Größe des Landes, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwick-
lungsstufen der russischen Regionen und die Vielfalt der wirtschaftlichen Branchen lassen
allgemeine Aussagen über wirtschaftliche Wissenspotentiale und Wissensdefizite jedoch nur
bedingt zu. Daher wird das Soll-Wissensprofil über das bereits vorhandene und fehlende zu-
künftige Erfolgswissen am Beispiel dreier strategischer Prioritätsindustrien im Gebiet Nischni
Nowgorod erstellt. Davon ausgehend können detaillierte Schlussfolgerungen zum Wissensbe-
darf auf Organisations- und Wissensträgerebene in ausgewählten Branchen in der Region
Nischni Nowgorod gemacht werden. Die Region ist u.a. interessant, da sie nah an den russi-
schen Boomregionen Moskau und St. Petersburg gelegen ist, aber einen Blick über diese hin-
aus in das ,,übrige" Russland zulässt. Nach Analyse der Nachfragesituation ist der Austausch
bzw. Transfer von Wissensprodukten als eine Maßnahme zur Deckung des belegten Wissens-
defizits beobachtbar. Die Beobachtung erfolgt durch Beschreibung der Aktivitäten ausländi-
scher Unternehmen mit deutscher Beteiligung am Beispiel der Firmen EagleBurgmann und
Trosifol in der Region Nischni Nowgorod. Der Ebenenwechsel von staatlich zu regional bei
der Erstellung der Wissensprofile ermöglicht, über die Aussagen zum Wissensbedarf in den
strategischen Prioritätsbranchen in der Region Nischni Nowgorod hinaus, auch Schlussfolge-
rungen zu einem möglichen nationalen Wissensbedarf der russischen Wirtschaft. In Zusam-
menhang mit den Beobachtungen zum Wissenstransfer werden daher schließlich Potentiale,
Perspektiven und mögliche Gefahren des Transfers von Wissensprodukten vorwiegend auf
staatlicher Ebene für Russland und für Deutschland betrachtet. Hinzu kommen Grenzen der
Untersuchung und weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten.
Ziel der Arbeit ist es, begründete Aussagen über mögliche vorhandene Wissensdefizite in der
russischen Wirtschaft zu tätigen und die Potentiale, Perspektiven und Gefahren des Transfers
von Wissen im Kontext der deutsch-russischen Beziehungen herauszustellen. Die Fragestel-
lungen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, beziehen sich zum einen auf den Transfer
von impliziten und expliziten Wissensprodukten, zum anderen auf die strategischen Optionen
des Wissenstransfers in den deutsch-russischen Beziehungen. Wissen hat die besondere Ei-
genschaft bei kompetenter Anwendung potentiell zu wachsen und sich zu verbreiten. So ist zu
untersuchen, worin die Vorteile bzw. der Nutzen des Transfers von Wissensprodukten zwi-
schen Organisationen bzw. Volkswirtschaften für den Anbieter, in diesem Falle Deutschland,
bestehen und ob der Austausch von Wissensprodukten z.B. gegen Geld oder Rohstoffe lang-
fristig nicht von größerem Nutzen für den Nachfrager, in diesem Falle Russland, ist. Ebenso
ist zu klären, welche grundlegenden Voraussetzungen beim intraorganisationalen und inter-
kulturellen Wissenstransfer zu berücksichtigen sind.

7
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2. Methodisches Vorgehen
Die Arbeit ist ausgehend von ihrer Fragestellung und Bearbeitung forschend und klärend an-
gelegt auf der Grundlage empirischer Erhebungen und sekundärer Daten. Als qualitative Er-
hebungsmethode zur Datensammlung wurde eine unstrukturierte teilnehmende Beobachtung
in Kombination mit Gesprächen gewählt (vgl. Lamnek 1995: 309ff.).
2
Die daraus gewonnen
Erkenntnisse sind durch sekundäre Daten belegt worden, um so ein möglichst objektives Bild
zu erhalten. Die teilnehmende Beobachtung, auch durch ein allgemeines offenes und unge-
richtetes Erkenntnisinteresse unabhängig von der Erforschung und Klärung des benannten
Themas begründet, fand in Form wiederholter Reisen nach Russland, längerer Aufenthalte für
Praktikum und Studium, das Schließen vieler persönlicher Kontakte und damit einem Eintau-
chen in die Lebenswelten der Bevölkerung in Zentralrussland statt. Die bereits benannte Situ-
ationsanalyse ist als diagnostischer Prozess zu verstehen, der die wichtigsten Merkmale für
das Verstehen des ,,Systems Russland" beschreibt.
3
Im Verlauf des Diagnoseprozesses gelingt
unter Zuhilfenahme des integrierten 7-S-Modells die Fokussierung auf mehrere zentrale Sys-
temfaktoren, anhand derer grundlegende Prozesse und Modelle aufgedeckt werden. Das inte-
grierte 7-S-Modell spiegelt in den Elementen System, Strategie, Struktur, Fähigkeiten, Kultur,
Menschen, Vision und Umwelt die wichtigsten politischen, soziokulturellen und wirtschaftli-
chen Einflussfaktoren bzw. Variablen unterschiedlicher Teilsysteme auf eine Gesamtsituation
wider (vgl. Partsch 2005a; Recklies 2000). Die Diagnose dominanter Strukturen in der Russi-
schen Föderation und die sich daraus ergebenen Schlussfolgerungen sowie die Beobachtun-
gen zum Wissenstransfer sind dabei auch als abhängig vom Diagnostiker zu verstehen (vgl.
Sackmann 1993: 356f.). Bei der Bearbeitung des Themas ist der Schwerpunkt insbesondere
auf die Russische Föderation gelegt worden. Als ,,Nicht-Russe" ist dem entsprechend zwar
eine teilnehmende, dennoch aber nur externe Betrachtung aus der Perspektive der Fremdbeo-
bachtung möglich gewesen. Zum einen ist dadurch Unvoreingenommenheit, Neutralität und
ein verstärktes Bewusstsein für soziale Prozesse gewährleistet, zum anderen kann die Daten-
erhebung aber durch Exklusion erschwert werden. Das gewählte Forschungsfeld, insbesonde-
re im Kontext des Wissenstransfers, ist recht schwer zugänglich, da in Russland der für die
empirische Datenerhebung notwendige Zugang zu Unternehmen und Organisationen meist
nur durch persönliche Kontakte oder aber durch monetäre Zuwendungen realisierbar ist. Be-
sonders bei letzterem ist die Qualität der preisgegebenen Informationen meist nicht zufrieden-
stellend (vgl. dazu Kleiser 2004). Durch die gewählte Erhebungsmethode und eine intuitiv-
induktive Vorgehensweise zur Erkenntnisgewinnung (vgl. Sackmann 1993: 358f.) konnte der
2
Nach Flick (2002: 216ff.) würde die von mir gewählte und durchgeführte Form der teilnehmenden Beobach-
tung eher der Ethnographie entsprechen. Die möglichen Unterscheidungsmerkmale ethnographischer Beobach-
tung (vgl. dazu auch Geertz 1991: 202ff.) und unstrukturierter teilnehmender Beobachtung sind hier aber nicht
Gegenstand der Untersuchung und werden daher zurück gestellt.
3
Demnach besteht ,,ein soziales System [...] aus Menschen, deren persönliche Eigenschaften und rollenbezoge-
nen Verhaltensweisen sowie den wechselseitigen Beziehungen zwischen den Menschen, zwischen deren Eigen-
schaften und Verhaltensweisen und zwischen ihnen und den relevanten umliegenden Systemen" (Sackmann
1993: 344f.)

8
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Zugang zu notwendigen Daten und Informationen größtenteils gewährleistet werden. Die Da-
ten bezüglich der ausländischen Aktivitäten in der Region Nischni Nowgorod zur Erstellung
des Soll-Wissensprofils (vgl. Schüppel 1996) und die Beobachtungen zum Wissenstransfer
wurden vorwiegend während eines Praktikums in einem formal russischen Unternehmen mit
deutschem Management sowie durch initiierte Treffen und Gesprächsrunden mit deutschen
und russischen Geschäftsleuten erhoben. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sind die zum
Teil unabhängig vom Thema bereits erhobenen Daten mit demselben abgeglichen bzw. integ-
riert worden, beispielsweise durch das Aufstellen lokaler und zeitlicher Begrenzungen.
Der Forschungs- und Klärungsprozess, unter anderem mithilfe qualitativer Datenerhebung, ist
iterativ ausgelegt. Ausgehend von der Konzipierung und Klärung der Ressource Wissen über
die Erstellung eines Ist- und Soll-Wissensprofils der russischen Wirtschaft und ausgewählter
Branchen in der Region Nischni Nowgorod bis hin zu praktischen Beispielen deutscher Akti-
vitäten zur Deckung von Wissensdefiziten werden Ergebnisse und Schlussfolgerungen gene-
riert, auf Grundlage derer Perspektiven und Potentiale des Transfers von Wissensprodukten in
den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen formuliert werden können.
Kontext der Arbeit und theoretische Verortung
3. Wissensgesellschaft und Globalisierung
Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext dieser Arbeit ist zum einen die zunehmende
Bedeutung der Ressource Wissen und der damit verbundene gesellschaftliche Übergang von
einer Industrie- zur Wissensgesellschaft, zum anderen die verstärkte globale Vernetzung von
Märkten, Gesellschaften und Kulturen, die unter dem Begriff der Globalisierung beschrieben
werden. Sowohl der strukturelle Wandel zur Wissensgesellschaft als auch die Globalisierung
sind grundlegende globale Prozesse, die in die Betrachtung des Wissensbedarfs der Russi-
schen Föderation und des Transfers von Wissensprodukten zwischen Deutschland und Russ-
land einbezogen werden müssen.
3.1 Wirtschaftliche Vernetzung und ihre Auswirkungen
Die Welt scheint aufgrund neuer Informationstechnologien und Fortbewegungsmittel im 20.
Jahrhundert enger zusammen gerückt zu sein. Grenzen zwischen Märkten und Gesellschaften
verlieren zunehmend an Relevanz. Dieser Zustand der komplexen Verbundenheit der Welt,
von dessen Prozessen der konjunkturelle Verlauf der Wirtschaft, die Spielregeln der Politik
und das alltägliche Leben geprägt werden, wird als Globalisierung bezeichnet. Müller (2004:
34ff.) sieht die Globalisierung als Oberbegriff, der für drei weltweit wirksame Trends steht:
Die Liberalisierung des Waren-, Devisen- und Kapitalverkehrs, die zu globalen Märkten und
transnationalen Unternehmen führte, der technologische Fortschritt, insbesondere in den
Kommunikations- und Transporttechniken, und eine neue internationale Arbeitsteilung.

9
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Die Globalisierung und die Wissensgesellschaft stehen in Bezug zueinander. Sie sind alle
Ebenen durchdringende Prozesse. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die internationale Ar-
beitsteilung als Folge eines ökonomischen Strukturwandels zu verstehen. Viele Unternehmen
produzieren und agieren heute weltweit als so genannte Global Player. Das hat den Vorteil,
dass diese Firmen die unterschiedlichen Arbeitskosten und wirtschaftlichen Bedingungen in
verschiedenen Ländern und Regionen zu ihren Gunsten nutzen. Dem entsprechend wirkt sich
das auf die Arbeitsmärkte und die heimische Nachfrage in ,,Hochlohnländern" aus und beein-
flusst so die Gesamtsituation eines Landes, beispielsweise durch verstärkten Konkurrenz-
kampf einzelner Regionen um Investitionen. Eine verstärkte, politisch geförderte Regionali-
sierung, etwa durch den Aufbau von Freihandelszonen sowie die Subventionierung einheimi-
scher Erzeugnisse und Importschranken, aber auch verstärkte staatliche Kontrolle sind Reak-
tionen auf und Umgangsformen mit der Globalisierung. Aus wirtschaftspolitischer Sicht wird
durch die Integration von globalisierungsbereiten Ländern, beispielsweise China und Indien,
die Ungleichheit und Diskrepanz zwischen den Industrie- und Schwellenländern verringert.
Als deren Folge ist bereits eine Veränderung der politisch ökonomischen Geografie zu erken-
nen. Auf individueller und soziokultureller Ebene verändert die Globalisierung den Kontext
der Konstruktion von Bedeutung. Sie berührt das Identitätsgefühl der Menschen und ihre
Wahrnehmung von sowie ihre Selbstwahrnehmung in Beziehung zum Ort und wirkt sich auf
die Kulturen aus (vgl. Tomlinson 2000: 32). Mit der Globalisierung geht eine wachsende glo-
bal-räumliche Nähe einher sowie eine zunehmende Intimität durch die Ausdehnung sozialer
Beziehungen über weite Entfernungen. Das ist jedoch nicht mit der Überwindung gesell-
schaftlich-kultureller Distanzen gleichzusetzen. Als Reaktion auf eine mögliche globale Ho-
mogenisierung von Kultur nach den Erfordernissen der standardisierten Konsumkultur sind
zum einen die Stärkung nationaler und anderer lokaler Identifikationsmuster zur Markierung
kultureller Unterschiede, zum anderen eine Hybridität von Identitäten als soziokulturelles
Resultat der Globalisierung zu beobachten (vgl. Hall 1999: 424ff.). Globalisierung heißt für
die Menschen auch, dass sie vermehrt Optionen alternativer Lebenswelten angeboten be-
kommen und sich dadurch die Orientierungsmöglichkeiten der Lebensplanung enorm verviel-
fältigt, wenn auch zugleich erschwert haben.
3.2 Von der Agrar- zur Wissensgesellschaft: Die Bedeutung von Wissen in der heutigen
Gesellschaft und Konsequenzen für die Ökonomie
Agrar-, Industrie-, Informations- und Wissensgesellschaft sind Begriffe die den Strukturwan-
del der westlichen Gesellschaften in den vergangenen hundert Jahren prägten. Ausgelöst
durch die Entwicklung von Maschinen und Technologien zur Produktionssteigerung zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts, gefolgt von einer allmählichen Veränderung in der Beschäfti-
gungsstruktur der industrialisierten Länder vom Produktions- zum Dienstleistungssektor, dem
wirtschaftlichen Erstarken Japans als erstem nichtwestlichen Land und der Informationsrevo-
lution mit Bau des ersten Computers lässt sich der heutige Wandel zu einer informations- und

10
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wissensorientierten Gesellschaft verfolgen.
4
Anders als in den vorhergehenden Gesellschafts-
systemen, die zwar auch auf der Erzeugung, Nutzung und Weitergabe von Wissen beruhten,
liegt dem strukturellen Wandel in eine Wissensgesellschaft eine neue Gewichtung des Wis-
sens zugrunde. Der Wechsel von einer vorrangig an der industriellen Fertigung ausgerichteten
hin zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft, die größere Abhängigkeit produktiver Ar-
beiten von Wissen durch die Geschwindigkeit des technischen und produktiven Fortschritts,
die damit zusammenhängende Veränderung des Verhältnisses zwischen Wissensarbeit und
eigentlicher Produktion sowie ein anspruchsvolleres Konsumentenverhalten in den westlichen
Staaten und der globale Konkurrenz- und Preiskampf produktionsintensiver Bereiche sind nur
einige Faktoren, die Wissen heute zur strategischen Ressource in Produkten und Dienstleis-
tungen machen. Die Erzeugung, Nutzung und Weitergabe von Wissen werden zunehmend als
zentrale Quellen von Produktivität und Wachstum neben Arbeit, Boden und Kapital begriffen.
Gründe dafür sind die Überproduktion der Waren, die Veränderung der Struktur der notwen-
digen Arbeit von produktiver, routinemäßiger hin zu intellektueller Arbeit und eine veränderte
Kostenstruktur (vgl. Pulic 1996: 148). Die Grundressourcen eines wettbewerbsfähigen und
modernen Unternehmens sind Informationen und Wissen:
Das Wesentliche der jetzigen Wirtschaftstätigkeit [liegt] nicht mehr in der Ware, sondern in der In-
formationsmenge, die einer Verarbeitung bedarf, um erfolgreich realisiert zu werden. In diesem
Prozess hat die entscheidende Rolle die kreative Arbeit des Menschen, also das Wissen, oder bes-
ser gesagt, es sind die Prozesse, die von Menschen und ihrer Wirkung in der Informationsverarbei-
tung ausgeübt werden. (Pulic 1993: 175)
Innerhalb wissensbasierter Staaten kommt es bereits zu einer Aufspaltung von ,,Wissen" und
,,Nicht-Wissen" und einem Wettbewerb um qualifizierte und lernbereite Arbeiter (vgl. Wun-
derer 2003: 528ff.). Zudem vollzieht sich der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel
global und ist nicht auf die westlichen Gesellschaften beschränkt (vgl. Drucker 1996: 80f.).
Der freie Zugang zu Informationsquellen und die Anwendung erlangten Wissens, also die
Macht über das Wissen, werden zukünftig die Anforderungen an eine Gesellschaft sein. Das
unterstreicht der UNESCO-Report ,,Towards Knowledge Societies", der am 3. November
2005 auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde:
The well-known digital divide is now invariably coupled with a "knowledge divide", which sepa-
rates countries with a good education system, research facilities and development potential, from
countries which are also hard hit by the brain drain. (Bindé 2005)
4. Wissen, Wissensprodukte und Wissenstransfer ­ eine theoretische Annäherung
Der Umgang mit dem Thema Wissen erfordert eine genauere Betrachtung dieser Ressource.
Ziel dieses Kapitels ist daher die Klärung folgender, für das Thema relevanter Fragen: Was ist
Wissen? Was wird im Kontext dieser Arbeit unter dem Begriff ,,Wissensprodukt" verstanden?
4
Die Begriffe ,,Informations- " und ,,Wissensgesellschaft" sind zwar eng miteinander verbunden, aber nicht
identisch. Während sich der Begriff ,,Informationsgesellschaft" zum einen auf Informations- und Kommunikati-
onstechnologien, zum anderen auf das bloße Vorhandensein von Daten bezieht, so ist der Begriff der Wissensge-
sellschaft als eine nächste Stufe der Informationsgesellschaft zu verstehen, auf der die Flut von Informationen
bereits organisiert und gemanagt werden kann (vgl. S.8ff.).

11
ID 10616
Wie ist Wissen als Produkt transferierbar und welche Einflussfaktoren sollten dabei mögli-
cherweise Beachtung finden?
4.1 Abgrenzung von Begrifflichkeiten und Klassifizierung der Wissensdimensionen
Es findet sich seit der Antike im philosophischen und wissenschaftlichen Diskurs keine exak-
te und alle Aspekte umfassende anerkannte Definition des Begriffs ,,Wissen". Allgemein lässt
sich sagen, dass dem Wissen Informationen zugrunde liegen. Ausgehend davon ist Wissen als
das Resultat aus der Anwendung von Informationen zu definieren. Ausgangspunkt dieser
Wissenstreppe (vgl. North 2002) sind Zeichen, die über Ordnungsregeln zu Daten werden.
Die Daten entwickeln sich durch Decodierung, Interpretation bzw. Bedeutung zu Informatio-
nen, die durch Vernetzung mit Kontext, Erfahrungen, Erwartungen, durch die Person zu Wis-
sen werden. Wissen ist dabei personenabhängig. Die nächste Stufe der Wissenstreppe ist die
Anwendung von Wissen. Wissen allein hat keinen intrinsischen Wert, nur mit einem Anwen-
dungsbezug wird es zu Können, dem das Handeln folgt, vorausgesetzt es liegt eine Motivati-
on zugrunde. Erst das Handeln liefert sicht- und messbare Ergebnisse wie das Wissen gene-
riert und für den Problemlösungsprozess angewandt wird. Ist dieses Handeln richtig, d.h. das
Wissen wurde zweckrational in Handlungen umgesetzt, dann hat die Person bzw. Organisati-
on Kompetenz. Werden diese Kompetenzen gebündelt und sind besser als andere, so bleibt
die Person bzw. das Unternehmen wettbewerbsfähig. Wissen ist demnach Resultat eines Pro-
zesses von Selektion, Interpretation und Kontextualisierung von Zeichen, Daten und Informa-
tionen und wird selbst erst durch Anwendung und Handeln erkennbar. Die Handlungen sind
bewert- und vergleichbar und erlauben so Rückschlüsse auf das angewandte Wissen.
Ausgehend von Jürgen Schüppel (1996: 196ff.) lassen sich vier Dimensionspaare des Wissens
unterteilen, die für den Aufbau, die Entwicklung und Akquisition sowie die Nutzung und
Multiplikation von Wissen benötigt werden: Inneres und äußeres, aktuelles und zukünftiges,
explizites und implizites, Erfahrungs- und Rationalitätswissen. Die Wissensdimensionen fo-
kussieren den Transfer von Wissen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene einer Organisati-
on, sowie die Institutionalisierung von individuellem und kollektivem Oberflächen- und Tie-
fenwissen. Inneres und äußeres Wissen bezieht sich dabei auf relevante Wissensträger, z.B.
Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens. Inneres Wissen ist das bereits bewusst oder unbe-
wusst vorhandene interne Wissenspotential einer Organisation, getragen von den Mitgliedern.
Externes Wissen bezeichnet das Wissen außerhalb. Aktuelles Wissen ist das derzeit in der
Organisation vorhandene und für die aktuelle Wettbewerbsfähigkeit notwendige Wissen. In
Verbindung mit dem für die Organisation zukünftig relevanten Wissen trifft es Aussagen über
vorhandene und fehlende Wissenselemente. Erfahrungs- und Rationalitätswissen beziehen
sich auf die Reichhaltigkeit von Wissen, wobei Erfahrung die von einzelnen Organisations-
mitgliedern oder Organisationseinheiten individuell und kollektiv aufgebaute Wissensbasis
meint. Mit Rationalitätswissen wird die Fähigkeit von Individuen und Kollektiven bezeichnet,
durch Erfahrungswissen gewonnene Wissensinhalte kritisch zu reflektieren und zu hinterfra-

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gen und somit Tiefenwissen aufzubauen. Implizites, auch als tacit-Wissen bezeichnet, und
explizites Wissen stellen in Bezug auf die Sicht- und Kommunizierbarkeit des Wissens eine
grundlegende Unterscheidung hinsichtlich des Wissensbegriffes dar, weil die Kommunizier-
barkeit von Wissen, das damit verbundene Bewusstsein von Vorhandensein und Fehlen rele-
vanter Wissenspotentiale im Unternehmen und die kompetente Verwendung von Wissen auch
Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der anderen Dimensionspaare sind. Explizites Wis-
sen ist sprachlich verfügbar und somit kodifizier- und artikulierbar. Es kann formal durch
Symbole ausgedrückt werden und ist objekt- oder regelbasiert (vgl. Nonaka/ Takeuchi 1995)
5
.
In Organisationen dekodiert es frühere Lernerfolge, ermöglicht die Koordination von unter-
schiedlichen Aktivitäten und Abteilungen innerhalb der Organisation und reduziert den Ar-
beitsaufwand im Informationsprozess durch Festlegung von Prämissen und Kriterien. Für
Unternehmen ist explizites Wissen ein Oberflächenwissen, das bereits weitgehend erfassbar
ist und die Produktion eines Produktes bzw. einer Dienstleistung ermöglicht (vgl. Schüppel
1996: 255). Explizites Wissen ist demnach organisationales oder institutionelles Wissen, ba-
sierend auf eigenständigem und gemeinsamem kollektiven Wissen, gespeichert in den Opera-
tionsformen eines sozialen Systems und nicht abhängig von einem einzelnen Wissensträger
(vgl. dazu Willke 2002: 17ff.; 1995: 51ff.). Dennoch ist organisationales Wissen ohne An-
wendung durch die Wissensträger kaum von Nutzen. Jeder Mitarbeiter verfügt zudem über
eigenes Wissens durch einen eigenen Erfahrungshintergrund und erlernte Fähigkeiten. Dieses
implizite Wissen ist nur schwer kodifizier- und kommunizierbar. Es ist individuell an Perso-
nen gebunden, nicht auf Regeln reduzierbar und daher nur schwer erkenn- und beschreibbar.
Implizites Wissen ist jedoch unerlässlich für eine Organisation, denn es ist u.a. die Basis für
neues Wissen. Eine Organisation muss daher bestrebt sein, implizites Wissen zu erhalten,
auszubreiten, zugänglich zu machen und den Anwendungsnutzen zu maximieren.
4.2 Das Produkt Wissen und seine Eigenschaften
Die Kommunizierbarkeit von Wissen ist bei der Betrachtung des Transfers von Wissen eine
Grundkomponente. Um diese beobachten zu können, wird Wissen daher als implizites und
explizites Produkt betrachtet (vgl. Baecker 1999: 349ff.):
5
Objektbasiertes explizites Wissen sind beispielsweise Produkte und Prototypen, Patente oder technische Zeich-
nungen. Regelbasiertes explizites Wissen ist kodifiziert in Regeln, Routinen oder standardisierten Verfahren, wie
Businessprozessen.

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Das Produkt wird dazu genutzt, Unsicherheiten in Sicherheiten zu transformieren. Unsicher-
heiten, die sich durch Wissen verringern bzw. zu Sicherheiten umwandeln, ist beispielsweise
die vorhandene Wissenskapazität in einem Unternehmen. Eine Analyse der Wissenskapazität,
etwa durch die Erstellung eines IST-Wissensprofils (vgl. Schüppel 1996: 228ff.), offenbart
das Vorhandensein und das Fehlen notwendiger Wissenspotentiale. Ist die Wissenskapazität
einer Organisation unzureichend, so ist das durch Schaffung des notwendigen Wissen zu
kompensieren. Ein Wissensdefizit wirkt sich auf den Marktwert und die Marktposition des
Unternehmens aus. Es werden implizite und explizite Wissensprodukte unterschieden. Wis-
sensprodukte liegen sowohl in kodifizierter als auch in personifizierter Form vor oder in ei-
nem Endprodukt, das aufgrund wissensintensiver Prozesse entstanden ist. Kodifizierte Wis-
sensprodukte sind explizit und basieren auf objekt- und regelbasiertem expliziten Wissen.
Personifiziert kann Wissen weitergegeben werden in Form von Beratungs- oder Serviceleis-
tungen von Personen. Wissensintensive Produkte sind ebenfalls Wissensprodukte. Sie entste-
hen in einer Organisation durch Anwendung impliziten und expliziten Wissens. Sie beinhal-
ten sozusagen in sich Wissen, sind aber nicht kommunizierbar nach außen. Das trifft beson-
ders auf Hochtechnologieprodukte und wirtschaftliche Innovationsgüter zu, die mit einem
intensiven Forschungs- und Entwicklungsaufwand produziert wurden. Kommunizierbare
bzw. explizite Wissensprodukte verfügen über Eigenschaften, die sich von ,,klassischen" Pro-
dukten unterscheiden. Sie besitzen ein unlimitiertes Wachstumspotential, d.h. sie wachsen bei
Teilung und Weiterverbreitung. Jedoch steht die Menge des in einer Organisation vorhande-
nen Wissens nicht in Verbindung mit dem Organisationserfolg, denn Wissen gewinnt erst bei
Nutzung bzw. bei Anwendung durch Können an Wert und ist daher stark abhängig vom Nut-
zer bzw. Anwender. Darüber hinaus ist Wissen zeitlich abhängig. Es ,,altert", besitzt sozusa-
gen eine Halbwertszeit, die heutzutage bei ca. 4 bis 5 Jahren liegt (vgl. Drucker 1996: 83;
Schüppel 1996: 238). Implizite Wissensprodukte sind dem Kriterium der zeitlichen Abhän-
gigkeit ebenso unterworfen. Im Gegensatz zu expliziten Wissensprodukten verfügen sie auf-
grund ihres impliziten, also schwer nach außen kommunizierbaren Wissensgehalts über größ-
tenteils ,,klassische" Produkteigenschaften.
Wissenskapazität in Or-
ganisationen
Marktposition
Marktwert
Organisationsstruktur
Unsicherheit Sicherheit
Wissensgesellschaft
Globalisierung
Wettbewerb
Wert
Preis
Qualität
Wissen
Wissenskapazität in Or-
ganisationen
Marktposition
Marktwert
Organisationsstruktur
explizit implizit
Abb. 1: Die Betrachtung von Wissen als Produkt

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4.3 Der Transfer von Wissen: Märkte, Motivationen, Herausforderungen
Wie bereits beschrieben, ist die Kommunizierbarkeit von Wissen sowohl direkt als auch indi-
rekt Voraussetzung für den Transfer von Wissensprodukten. Der Transfer von Wissen und
Wissensprodukten und die damit verbundenen Motive und Herausforderungen, die sich zum
Teil auch durch die besonderen Produkteigenschaften ergeben, lassen sich global auf intra-
und interorganisationaler Ebene beschreiben.
4.3.1 Der Transfer von Wissensprodukten innerhalb einer Organisation
Ziel der Nutzung von und des Umgangs mit Wissen in einer Organisation ist es, Wissenspo-
tentiale für den Unternehmenserfolg zu mobilisieren und nutzbar zu machen. Organisationsin-
ternes Wissensmanagement beschäftigt sich mit der Aufdeckung, Schaffung, Übertragung
und Nutzung von Wissen innerhalb einer Organisation zur Erhöhung von Wettbewerbsvortei-
len und der Konkurrenzfähigkeit. Dabei lassen sich zwei Kernkomponenten identifizieren:
Zum einen eine technologische, wie die Implementierung von Informationstechnologien und -
systemen im Unternehmen, zum anderen eine humanorientierte. Der technologische Faktor
des Wissensmanagements bezieht sich oftmals nur auf die reine Bereitstellung von Informati-
onen und expliziten Wissensartefakten, wie etwa Regeln, automatisierte Verfahren, etc. Da
innerhalb einer Organisation auch das implizite Wissen eines jeden Mitarbeiters zirkuliert,
welches ebenso zum Unternehmenserfolg beiträgt, müssen diese überzeugt werden ihr Wissen
miteinander zu teilen. So ist das Unternehmen in der Lage das kollektive und individuelle
Wissen ihrer Mitglieder systematisch auf unterschiedlichen Ebenen der Organisationsstruktur
langfristig zu verankern. Davenport und Prusak (1998) unterscheiden drei Anreize zur Wis-
sensteilung von Mitarbeitern: Wechselseitigkeit, d.h. die Erwartung, dass man eine Kompen-
sation für sein geteiltes Wissen bekommt, Reputation, d.h. der eigene Status eines Experten
wird dadurch erhöht, und Altruismus, d.h. Wissens wird aus uneigennützigen Motiven wei-
tergegeben.
6
Die Motivation zur Teilung von Wissen wird beeinflusst durch individuelle, kol-
lektive, strukturelle und politisch-kulturelle Einflussfaktoren, die sich positiv und negativ auf
den Wissenstransfer in einer Organisation auswirken können (vgl. Senge 1999; Schüppel
1996: 107ff.; Müller 2006).
7
Das ist insbesondere bei international tätigen Unternehmen zu
berücksichtigen, da politische, soziokulturelle und gesetzliche Faktoren mehrerer Staaten Ein-
fluss auf den Wissenstransfer haben. Unternehmen stellt das vor die Aufgabe nicht nur intern
Wissen erfolgreich zu managen und es extern gewinnbringend zu transferieren, sondern dabei
auch noch die Eigenheiten der Menschen und der Organisationen des jeweils anderen Landes
6
Zur ökonomischen Betrachtung der Wissensteilung als Prisoner's dilemma und als Public-good game sowie zur
differenzierten Betrachtung von Motiven und Einflussfaktoren zur Wissensteilung vgl. auch Müller (2006: 72ff.)
7
Bei der Betrachtung von positiven und negativen Einflussfaktoren ist die Perspektive entscheidend. Während
Schüppel (1996: 144, 169, 175) beispielsweise Gruppenidentität zum Teil als Lernhemmnis und Wissensbarriere
beschreibt, geht Müller (2006: 84ff.) davon aus, dass Gruppenidentität die Wissensteilung positiv beeinflusst.
Senge (1999: 36ff., 285ff.) betrachtet sowohl die Vorzüge, als auch die möglichen Probleme von Teamlernen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836606165
DOI
10.3239/9783836606165
Dateigröße
912 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg – Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften, Studiengang Kulturwissenschaften, Wissensmanagement, Logistik: Cultural Engineering
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
1,2
Schlagworte
russland wissensmanagement cultural engineering kulturwissenschaften logistik
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Titel: Potentiale und Perspektiven des Transfers von Wissensprodukten in den deutsch-russischen Beziehungen
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