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Heimwerker und ihre Strategien

Kulturwissenschaftliche Analyse des Phänomens der Bricolage

©2003 Diplomarbeit 81 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Bricolage ist eine Kulturtätigkeit, der die Menschen schon seit Urzeiten nachgehen. Gebastelt wird auf vielfältige Weise und in vielfältigen Kontexten. Wenn in den Kulturwissenschaften dem Phänomen der Bricolage nachgegangen wird, so wird also von einem sehr weit reichenden Begriff der Bastelei ausgegangen. Bricolage bedeutet aber nicht nur ‚Bastelei’ sondern auch ‚Heimwerkerarbeit’.
Stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten das Heimwerken und das Basteln haben und was sie unterscheidet. Um diese Frage zu beantworten, betrachte ich zum einen, was Kulturwissenschaftler zum Phänomen der Bricolage sagen, und untersuche zum anderen, was Heimwerker über ihre Tätigkeit denken und wie sie agieren, wenn sie heimwerken.
Dazu bediene ich mich der Methodik der lebensweltlichen Ethnographie. „Das methodische Ideal der ethnographischen Datenerhebung ist dabei die Kombination möglichst vielfältiger Verfahren. Die grundlegenden Techniken bestehen darin, das Geschehen zu beobachten, Dokumente zu beschaffen und zur Kenntnis zu nehmen, sowie mit den Leuten zu reden“. Und genau das habe ich getan – ich war bei den Heimwerkern in ihren Werkstätten, habe die einschlägigen Magazine gelesen und habe mit den Heimwerkern Gespräche geführt.
Mit dieser Arbeit verfolge ich das Ziel, Heimwerker und ihre Gedanken zu verstehen, um sie dem Marketing auf eine neuartige Weise zugänglich zu machen. So beschreiben Marketingfachleute die Zielgruppe der Heimwerker in der Regel mittels quantitativer Methoden. Fraglich ist aber, ob das Durchschnittsalter oder das Durchschnittseinkommen relevante Größen sind, um Produkte anbieten zu können, die der Kunde wirklich braucht.
Stattdessen soll den befragten Heimwerkern die Möglichkeit gegeben werden, sich selber darzustellen und die eigenen Relevanzsysteme offen zu legen. Die dabei zutage tretenden Muster in Denk- und Handlungsweisen gilt es zu Strategien zu verdichten, um dann Typen von Heimwerkern zu identifizieren. Diese Typisierung kann dazu dienen, den Markt für Heimwerkerbedarf neu zu segmentieren.

Gang der Untersuchung:
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil betrachte ich, wie Kulturwissenschaftler das Phänomen der Bricolage beschreiben. Leitfragen sind hierbei: „Was macht einen Bricoleur aus?“ und „In welchen Lebensbereichen wird gebastelt?“.
Der zweite Teil meiner Arbeit verengt den Fokus auf den Heimwerker. Zunächst definiere ich, was einen Heimwerker ausmacht, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt
1
Inhalt
Einleitung
Problemstellung
4
Zielsetzung
4
Aufbau
5
Teil 1: Das Phänomen der Bricolage:
Kulturwissenschaftliche Betrachtung
Der
Bastler
und
der
Fachmann
6
Basteln
als
Freizeitbeschäftigung
8
Konsum
und
Bricolage
10
Kreativität
beim
Basteln
11
Teil 2: Der Bricoleur im engeren Sinne:
Der Heimwerker
Aspekte des Bastelns ­ Was ist ,Heimwerken'?
13
Die
Lebenswelt
des
Heimwerkers
17
Das
offene
Interview
19
Die
teilnehmende
Beobachtung 20
Die
Interview-Phase
21
Teil 3: Vorstellungswelten:
Themen, die Heimwerker beschäftigen
Motivation
25
Tätigkeiten 30
Vorgehen
32
Werkzeug
34
Materialien
37
Zweckentfremdung
39
Wiederverwendung
41

Inhalt
2
Einkauf
und
Qualität
44
Austausch
und
Wissen
46
Teil 4: Strategien:
Typen von Heimwerkern
Der
Statusbewusste
49
Der
Pragmatiker
51
Der Tüftler
52
Der
Ausgleichsuchende
53
Schluss
Zusammenfassung
55
Bewertung 57
Ausblick
59
Literatur
61
Anhang
Mind Maps
64
Interview-Checkliste
79

Abbildungen
3
Abbildungen
Abb. 1:
Werkzeugausstattung eines Heimwerkers
16
Abb. 2:
Heimwerkender Gesprächspartner in seiner Werkstatt
17
Abb. 3:
Interviewpartnerin beim Gespräch am Küchentisch
22
Abb.
4: Selbst
gebauter
Schrank
26
Abb.
5: Selbst
gebaute
Garderobe
27
Abb.
6: Selbst
gebautes
Hochbett
28
Abb. 7:
Mountainbiker beim Heimwerken
29
Abb. 8:
Selbst gebautes Kinderbett
30
Abb.
9: Materiallager
33
Abb.
10:
Solider
Werkzeugkasten
35
Abb. 11:
Umfangreiche Werkzeugausstattung
35
Abb. 12:
Gut ausgestattete Werkstatt
36
Abb. 13:
Komplett ausgestattete Werkstatt
37
Abb.
14:
Solides
Materiallager 38
Abb.
15:
Komplettes
Materiallager
38
Abb. 16:
Dreieckschleifer im Schraubstock
40
Abb.
17:
Zweckentfremdeter
Flachwinkel
41
Abb.
18:
Holzlager
43
Abb. 19:
Werkbank aus altem Schreibtisch
44
Abb.
20:
Elektrowerkzeugelager
46
Abb.
21:
Ausgleichsuchender 53
Abb.
22:
Der
Autor
60

Einleitung
4
Einleitung
Problemstellung
Bricolage ist eine Kulturtätigkeit, der die Menschen schon seit Urzeiten
nachgehen. Gebastelt wird auf vielfältige Weise und in vielfältigen Kontexten.
Wenn in den Kulturwissenschaften dem Phänomen der Bricolage
nachgegangen wird, so wird also von einem sehr weit reichenden Begriff der
Bastelei ausgegangen. Bricolage bedeutet aber nicht nur ,Bastelei' sondern
auch ,Heimwerkerarbeit'.
Stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten das Heimwerken und das
Basteln haben und was sie unterscheidet. Um diese Frage zu beantworten,
betrachte ich zum einen, was Kulturwissenschaftler zum Phänomen der
Bricolage sagen, und untersuche zum anderen, was Heimwerker über ihre
Tätigkeit denken und wie sie agieren, wenn sie heimwerken. Dazu bediene ich
mich der Methodik der lebensweltlichen Ethnographie. ,,Das methodische Ideal
der [...] ethnographischen Datenerhebung ist dabei die Kombination [...]
möglichst vielfältiger Verfahren. Die grundlegenden Techniken bestehen darin,
das Geschehen zu beobachten, Dokumente zu beschaffen und zur Kenntnis zu
nehmen, sowie mit den Leuten zu reden" (Hitzler/Honer 1997: 13). Und genau
das habe ich getan ­ ich war bei den Heimwerkern in ihren Werkstätten, habe
die einschlägigen Magazine gelesen und habe mit den Heimwerkern
Gespräche geführt.
Zielsetzung
Mit dieser Arbeit verfolge ich das Ziel, Heimwerker und ihre Gedanken zu
verstehen, um sie dem Marketing auf eine neuartige Weise zugänglich zu
machen. So beschreiben Marketingfachleute die Zielgruppe der Heimwerker in
der Regel mittels quantitativer Methoden. Fraglich ist aber, ob das

Einleitung
5
Durchschnittsalter oder das Durchschnittseinkommen relevante Größen sind,
um Produkte anbieten zu können, die der Kunde wirklich braucht. Stattdessen
soll den befragten Heimwerkern die Möglichkeit gegeben werden, sich selber
darzustellen und die eigenen Relevanzsysteme offen zu legen.
Die dabei zutage tretenden Muster in Denk- und Handlungsweisen gilt es zu
Strategien zu verdichten, um dann Typen von Heimwerkern zu identifizieren.
Diese Typisierung kann dazu dienen, den Markt für Heimwerkerbedarf neu zu
segmentieren.
Aufbau
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil betrachte ich,
wie Kulturwissenschaftler das Phänomen der Bricolage beschreiben. Leitfragen
sind hierbei: ,,Was macht einen Bricoleur aus?" und ,,In welchen
Lebensbereichen wird gebastelt?".
Der zweite Teil meiner Arbeit verengt den Fokus auf den Heimwerker. Zunächst
definiere ich, was einen Heimwerker ausmacht, und beschreibe damit, wer als
Interviewpartner für den empirischen Teil dieser Arbeit in Frage kam. Des
Weiteren erläutere ich die Methodik, mit der ich in der Studie arbeitete, und
berichte über den Verlauf der Befragung.
Der dritte Teil befasst sich mit den Themen, die für die Interviewpartner relevant
sind. Ich beschreibe die Vorstellungen der Befragten zu den einzelnen Themen
und den Umgang mit ihnen. Das besondere Augenmerk gilt dabei häufig
wiederkehrenden Handlungsmustern.
Diese Muster habe ich im vierten Teil meiner Arbeit zu Strategien
zusammengefasst, anhand derer ich in einem letzten Schritt verschiedene
Typen von Heimwerkern identifiziere.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
6
Teil 1: Das Phänomen der Bricolage:
Kulturwissenschaftliche Betrachtung
Der Bastler und der Fachmann
In einer modernen Dienstleistungsgesellschaft dürfte die
Bastelei eigentlich gar nicht mehr vorkommen. Schließlich gibt
es für jedes Problem eine professionelle Lösung. Es sollte
effizienter sein, den Fachmann zu holen, als selber seine
wertvolle Arbeitszeit in Basteleien zu investieren, die immer nur
suboptimale Lösungen darstellen. Der Fachmann verfügt über
das spezifische Wissen, um die Arbeit fachgerecht und in der
angemessenen Zeit auszuführen. Als Hobby hält sich die
Bastelei dennoch hartnäckig und scheint wieder an Beliebtheit
zu gewinnen. Was aber macht den Bastler aus?
Nach Lévi-Strauss (1968: 29-34) ist der Bricoleur derjenige, der
auf die Mittel angewiesen ist, die ihm zur Verfügung stehen.
Auch wenn er mit den Händen werkelt, der Bricoleur ist kein
Handwerker. Während sich nämlich der Handwerker ­ oder
allgemeiner: der Fachmann ­ der Mittel bedient, die er benötigt,
sind die Mittel des Bastlers begrenzt und im Vergleich zu denen
des Fachmanns oft ,,abwegig" oder in ihrer ,,Zusammensetzung
merkwürdig" (Lévi-Strauss 1968: 29).
Dieser Unterschied verschafft dem Bastler aber eine große
Freiheit. Während ein Ingenieur seine Arbeit plant und
vorbereitet und nicht beginnt, bevor er nicht sicher ist, dass er
alle Materialien und Werkzeuge, die er meint zu benötigen, zur
Verfügung hat, ist der Bastler von solchen Zwängen völlig
Bastelei dürfte
nicht vorkom-
men, da es
effizienter ist,
den Fachmann
zu holen.
Als Hobby hält
sich die Bas-
telei.
Die Mittel des
Bastlers sind
begrenzt.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
7
unabhängig. Für ihn besteht der Reiz nach Lévi-Strauss gerade
darin, mit dem auszukommen, was er zur Hand hat. Die
Auswahl seiner Werkzeuge und Materialien ist nicht nur
begrenzt, sie ist in ihrer Zusammensetzung auch heterogen und
steht in keinem festen Zusammenhang zu dem Werk, an dem
gerade gearbeitet wird. Statt dessen sammelt der Bastler alles,
was er meint, noch einmal brauchen zu können. Dabei
stammen viele Elemente seiner Bastelei aus früheren
Konstruktionen bzw. Dekonstruktionen. Das Prinzip der Bastelei
besteht in der ,,unaufhörlichen Rekonstruktion" (Lévi-Strauss
1968: 34).
Dieses Verhalten versetzt den Bricoleur in die Lage, ,,eine
große Anzahl verschiedenartigster Arbeiten auszuführen" (Lévi-
Strauss 1968: 30). Zwar entsteht keines seiner Werke mit dem
Fachwissen, das ein Handwerker hätte, dafür ist der Bastler
Meister der Improvisation. Wenn für ihn die passenden
Materialien nicht erreichbar sind, benützt er eben andere, wenn
er die entsprechenden Spezialwerkzeuge nicht besitzt (und kein
Bastler verfügt über all die Werkzeuge, die er für seine
unterschiedlichen Arbeiten brauchen könnte), dann gebraucht
er einfach andere Geräte aus seinem Sortiment ­ er
zweckentfremdet sie.
Ein solches Verhalten kann sich der Fachmann in der Regel
nicht erlauben. Er schafft ein Produkt, das verkauft werden soll.
Für Produkte, bei denen die Auswahl der Materialien ,abwegig'
oder die Zusammensetzung derselben ,merkwürdig' erscheint,
ist die Nachfrage aber begrenzt. Lediglich in der Architektur
oder unter Designern spielen auch Fachleute mit der
Heterogenität der Materialien und deren Zweckentfremdung
(wenn auch nicht aus dem Grunde, nichts anderes zur Hand zu
Der Reiz be-
steht darin, mit
dem auszukom-
men, was man
zur Hand hat.
Viele Elemente
stammen aus
früheren Kons-
truktionen.
Der Bastler ist
Meister der Im-
provisation.
Werkzeuge
werden zweck-
entfremdet.
Gelegentlich
spielen auch
Fachleute mit
der Hetero-
genität der
Materialien.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
8
haben). So fordern die Architekten Kennedy und Grunenberg
(2001: 43): ,,Hybridize the resources of [...] competing
construction markets. Use existing construction tools and
techniques to create new material effects. Develop these
effects to work against the scripted ­ prosaic and seemingly
intractable ­ uses of the product."
Basteln als Freizeitbeschäftigung
Das Verhalten, vieles lieber selber machen zu wollen und sein
Umfeld auf diese Weise zu gestalten, ist weit verbreitet. Der
Frage, warum so viele Menschen ihre Freizeit mit Basteleien
zubringen, geht Priddat (1998) in seinem Buch ,Moralischer
Konsum' nach. Eine Erklärung sieht er darin, dass es nach wie
vor viele Menschen gibt, die sich die angebotenen
Dienstleistungen einfach nicht leisten können. Dabei geht es
nicht nur unmittelbar um die hohe Handwerkerrechnung für die
Fremderstellung des gewünschten Werkes, sondern auch
darum, wie die Menschen die durch die Fremderstellung
gewonnene Freizeit nutzen. Eine gesellschaftlich anerkannte
Beschäftigung in der Freizeit ist nämlich selten kostenlos, da
wir dabei meistens Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die
natürlich bezahlt werden müssen. Wer aber die Bastelei zu
seinem Hobby macht, muss in der Zeit, die er dafür aufwendet,
keine Fremdleistungen in Anspruch nehmen und schafft
gleichzeitig sogar noch (mehr oder weniger) nützliche Dinge.
Und der große Vorteil dabei ist: Basteln ist eine gesellschaftlich
anerkannte Freizeitbeschäftigung, sodass keinem auffällt, dass
man sich in Wahrheit keine anderen Vergnügungen leisten
kann (vgl. Priddat 1998: 26-32).
Selbermacher
gestalten ihr
Umfeld.
Es gibt viele
Menschen, die
sich die ange-
botenen Dienst-
leistungen nicht
leisten können.
Basteln ist eine
gesellschaftlich
anerkannte
Freizeitbeschäf-
tigung.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
9
Priddat hält aber auch einen Erklärungsansatz dafür bereit,
dass sich so viele Lehrer, Büroangestellte oder Manager am
Wochenende zum Werkeln in ihren Hobbykeller oder in den
Garten zurückziehen. Diese Berufsgruppen können sich die
Preise der Freizeitmärkte in der Regel leisten. Sie basteln aber
in ihrer Freizeit, weil ihnen die Arbeit für Geld, die sie in ihrem
Beruf tagtäglich verrichten, zu wenig ist. Beim Arbeiten soll
etwas herauskommen ­ etwas Brauchbares, das man für sich
selber geschaffen hat. Das Basteln dann aber nur als
Arbeitszeitverlängerung in die freie Zeit hinein zu verstehen,
greift zu kurz. Das Schöne am Hobby ,Basteln' sei nämlich,
dass man selber entscheiden könne, wann man dieser Arbeit
nachgeht und wie sehr man sich dabei anstrengt. Diese Freiheit
und das Gefühl, sich selbst verwirklichen zu können, ließe dem
Bricoleur die Arbeit als Genuss erscheinen (vgl. Priddat 1998:
26-32).
Wenn es aber nur um sinnvolle Freizeitbeschäftigung geht,
warum haftet dem Bastlertum dann so stark das Image des
Knauserns an? Nun, dieses Image kommt nicht von ungefähr.
Es gibt ihn tatsächlich, den Bastler, der versucht, mit möglichst
wenig auszukommen. So soll die Grundausstattung eines
Heimwerkers aus einem mittelschweren Hammer,
verschiedenen Schraubendrehern, einer Beißzange, einer
Kombizange, einem Cuttermesser, einem Gabelschlüsselsatz,
einem Gliedermaßstab, einem mittleren Spachtel und einigen
Bögen Schmirgelpapier bestehen (vgl.
http://www.knauserer.virtualave.net/h.htm [Stand 28-08-02]).
Andererseits gibt es alleine in Deutschland 40 Baumarktketten,
die zusammen jährlich über zwanzig Milliarden Euro Umsatz
machen. Und die lassen sich nicht nur mit dem Verkauf
Berufliche Ar-
beit für Geld ist
zu wenig.
Der Bastler
kann sich selbst
verwirklichen.
Dem Bastler-
tum haftet das
Image des
Knauserns an.
Die Baumärkte
in Deutschland
machen jährlich
20 Mrd. Euro
Umsatz.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
10
mittelschwerer Hämmer erzielen. Verkauft wird alles, von der
kleinen Handbügelsäge bis zur stationären Tischkreissäge, vom
Badewannenstopfen bis zum Whirlpool. Eisendle und Miklautz
(1993: 16) erklären dieses Phänomen damit, dass bestimmte
Produkte am Markt einfach ,,nicht in der gewünschten Qualität
oder Individualität" verfügbar seien und deshalb die
,,Halbfertigwaren" nachgefragt würden ­ in Form der benötigten
Materialien und Werkzeuge.
Doch in Frankreich, dem ,,Mutterland der Bricolage" (Liebl 2002:
53), ist Basteln bereits mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung,
bei der individuelle Werke herauskommen. Die Bricolage wird
zum Event. Der Bastler wird Mitglied im Kundenclub von ,Mr.
Bricolage' (Frankreichs größter Baumarktkette), chattet mit
Gleichgesinnten auf einer der zahlreichen Bricolage-Websites
oder besucht das ,Bricolo Café', ein Lokal in einem Baumarkt
mitten in Paris, dessen Einrichtung exakt einer historischen
Werkstatt nachempfunden ist. Hier kann man am Bricolage-
Boom auch teilhaben, wenn man zwei linke Hände hat. Wer
aber tatsächlich selber hämmern möchte, kann das demnächst
in der ,Bricolo Factory' tun ­ gegen Mitgliedsbeitrag in einer Art
Fitness-Center für Heimwerker (vgl. Liebl 2002: 53-56)!
Konsum und Bricolage
Nicht jeder, der ein individuelles Produkt sucht, greift zum
Hammer und baut es sich selber. Es gibt aber viele Menschen,
die käuflich erworbene Massenprodukte individualisieren,
indem sie sie modifizieren oder nach ihren eigenen Regeln
verwenden. Wie de Certeau (1980) ausführt, handelt es sich
dabei um eine ,,unsichtbare" Form der Produktion, die darauf
Bestimmte
Produkte gibt
es am Markt
einfach nicht.
Die Bricolage
wird zum Event.
Massenpro-
dukte werden
individualisert.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
11
zurückzuführen ist, dass die ,,kommerzielle Produktion (...) den
Konsumenten keinen Platz mehr lässt, um deutlich zu machen,
was sie mit den Produkten machen" (de Certeau 1980: 13f.).
Die Konsumenten werden zu Bastlern, wodurch sie sich ,,den
Raum wieder aneignen, der durch die Techniken der
soziokulturellen Produktion
organisiert wird"
(de Certeau 1980:
16).
Diese Vorgehensweise hat offensichtlich gewisse Vorzüge. Der
Konsum-Bastler muss nicht auf die neuen Produkte verzichten,
die ja ihren Reiz haben: Sie sind ,,wirklich neu, technisch besser
und meist auch funktionaler" (Priddat 1998: 27). Andererseits
verhelfen die vorgenommenen Modifikationen und
Umdeutungen dem Bricoleur dazu, dass er sich von der Masse
der Durchschnittskonsumenten abhebt. Es geht also nicht nur
darum, dass mit dem neuen Gegenstand ein Bedürfnis
befriedigt wird, es geht in hohem Maße darum, wie es befriedigt
wird. Neben das Kriterium der Zweckerfüllung tritt die
ästhetische Dimension. Diese ist ,,zwar nicht von der
Zweckmäßigkeit zu trennen, doch ebenso wenig auf sie zu
reduzieren" (Dorschel 2002: 7). Indem der Bastler seinen
eigenen Stil pflegt, hebt er sich vom Mainstream ab, weiß sich
aber gleichzeitig einer Gemeinschaft Gleichgesinnter
zugehörig: der Gemeinschaft der Bastler.
Kreativität beim Basteln
Der Bricoleur gestaltet mit jedem seiner Werke seine
unmittelbare Umwelt. Dabei ist der Anspruch an Funktionalität
und Ästhetik eines Werkes von Bastler zu Bastler
unterschiedlich hoch. Wie Greverus (1978) erläutert, ist die
Neben das
Kriterium der
Zweckerfüllung
tritt die ästhe-
tische Dimen-
sion.

Das Phänomen der Bricolage: Kulturwissenschaftliche Betrachtung
12
Kreativität des Bastlers konditioniert durch die Mittel, die ihm
zur Verfügung stehen. Dies bezieht sich jedoch weniger auf die
finanziellen Mittel als vielmehr auf seinen Ideenreichtum. So
zeugt es noch nicht von hoher Kreativität, wenn ein Bastler eine
Lampe anbringt, weil es zu dunkel ist. Wenn er diese Lampe
aber aus einem wertlosen, gebrauchten Gegenstand selber
herstellt, so beweist er ,,innovatorische Kreativität" (Greverus
1978: 127). Groys (1999: 14) formuliert das so: ,,Die Umwertung
der Werte ist die allgemeine Form der Innovation: Das als
wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und
das früher als wertlos angesehene Profane [...] aufgewertet."
Diesen Wertewandel und den Drang des Bastlers nach
innovatorischer Kreativität greift die Baumarktkette ,artBau
international' auf. Sie wandelte 2002 all ihre 120 Baumärkte in
Kunstgalerien um. Die gesamte Ware wurde zu
Kunstgegenständen umgedeutet, die Verkäufer wurden zu
Galeriepersonal und die Verkaufskataloge zu Kunstkatalogen,
die die Phantasie der Kunden anregen sollen. Die Bastler-
Kundschaft wird aufgefordert, eigene Werke zu schaffen und
selbst zu Künstlern zu werden. Die Gruppe Or-Om (2002) zitiert
aus einem artBau-Katalog: ,,Alle unsere Kunstgegenstände
können Sie [...] durch größere oder kleinere Veränderungen,
Verbindungen, Verklebungen, durch geschickte Kombinationen
zu einer ungezählten Vielfalt von neuen, originellen, auf dem
Kunstmarkt vielleicht bisher noch nicht entdeckten
Kunstobjekten gestalten und verwandeln."
Die Kreativität
des Bastlers ist
konditioniert
durch die Mittel,
die ihm zur Ver-
fügung stehen.
Die Umwertung
der Werte ist
die allgemeine
Form der Inno-
vation.

Der Bricoleur im engeren Sinne: Der Heimwerker
13
Teil 2: Der Bricoleur im engeren Sinne:
Der Heimwerker
Aspekte des Bastelns ­ Was ist ,Heimwerken'?
In der bisherigen Betrachtung war vom Bricoleur als dem
Bastler im allgemeinen die Rede. Das Prinzip der Bricolage
findet sich offensichtlich in einer Vielzahl von Tätigkeiten
wieder. Das beginnt im Kindesalter, wenn wir mit Papier,
Farben oder diversen Naturmaterialien basteln. Es entstehen
Kastanienmännchen, Fensterbilder, Kostüme oder Mobiles. Mit
zunehmender Perfektion entwickelt sich hieraus unter
Umständen der Deko-Bastler, der sein Heim mit aufwändigen
Makramee-Arbeiten verschönert oder seinen eigenen Schmuck
herstellt.
Doch auch der erste Technikbaukasten legt häufig den
Grundstein zu einer Karriere als Bastler oder Tüftler. Wer schon
in seiner Jugend Spaß daran hatte, Seilbahnen durch sein
Kinderzimmer zu konstruieren, beglückt nicht selten auch noch
in fortgeschrittenem Alter sich und seine Mitmenschen mit
selbst gebastelten Haussprechanlagen, mit
Sonnenschutzvorrichtungen aus Holz und Geschenkpapier
oder mit ähnlich nützlichen Hilfsmitteln.
Beim Computer-Bastler reicht die Bandbreite vom Pragmatiker
bis zum Fetischisten, je nach dem, ob die betreffende Person
gelegentlich eine neue Steckkarte in den Rechner einbaut oder
aber ihre gesamte Energie darauf verwendet, die Maschine auf
immer höhere Leistung zu trimmen. Ähnlich verhält es sich mit
Es gibt Bastler,
die ihr Heim
oder sich selber
dekorieren.
Andere basteln
Hilfsmittel für
den Haushalt.
Es gibt den
Computer-
Bastler,...

Der Bricoleur im engeren Sinne: Der Heimwerker
14
dem Auto-Schrauber. Der eine wechselt einfach bei Bedarf das
Öl oder die Reifen, der andere hat seine Lebensaufgabe im
Customizing seines Fahrzeugs gefunden.
Das Konzept der Bricolage ist aber weit reichender. Gebastelt
wird nicht nur an den Objekten, die uns umgeben, gebastelt
wird auch mit den Objekten. Indem wir sie in neue Kontexte
einsetzen, basteln wir an einem eigenen Lebensstil, an unserer
Existenz (vgl. Liebl 2000: 113). Der Bastler, der das Prinzip der
Bricolage am konsequentesten verkörpert, ist also der
Existenzbastler.
Nun bedeutet ,Bricoleur' aber nicht nur ,Bastler' sondern auch
,Heimwerker', ohne dass diese Begriffe Synonyme wären. Denn
Computer-Customizing oder das Herstellen von Schmuck
gehören nicht zu den Aktivitäten eines Heimwerkers, obgleich
die Ausführenden Bastler sind. Was aber charakterisiert den
Heimwerker?
Gute Anhaltspunkte bieten bei der Beantwortung dieser Frage
Nachschlagewerke wie ,Das aktuelle Heimwerker-Lexikon'
(Moewig-Verlag), ,Selber machen aber wie?' (Maier-Verlag)
oder ,Heimwerken ­ Do it yourself' (Falken-Verlag). Laut
solcher Bücher fallen unter den Begriff ,Heimwerken' sämtliche
Bau-, Renovierungs-, Reparatur- und Dekorationsarbeiten in
Haus und Garten, wenn sie von Personen durchgeführt werden,
die das nicht beruflich machen.
Um den Heimwerker in die Lage zu versetzen, diese Arbeiten
zu erledigen, beschreiben die Heimwerkerbücher den Umgang
mit einer Vielzahl von Werkzeugen und Materialien. So
hantieren Heimwerker mit sämtlichen Bau- und Werkstoffen: mit
...den Auto-
Schrauber,...
...und den
Existenzbastler.
,Bastler' und
,Heimwerker'
sind keine
Synonyme.
Heimwerken
umfasst Bau-,
Renovierungs-,
Reparatur- und
Dekorations-
arbeiten.

Der Bricoleur im engeren Sinne: Der Heimwerker
15
Steinen und Mörtel, Gipskarton, Holz, Dämmstoffen,
Bodenbelägen, Fliesen, Textilien, Tapeten, Farben und Lacken,
Spachtelmassen und Klebstoffen, Materialien für die Wasser-
und Elektroinstallation, Kunststoffen, Metall und Erde.
Zu den beschriebenen Techniken, mit denen der Heimwerker
diese Materialien bearbeitet, gehören das Bohren, Sägen,
Schleifen, Hobeln, Fräsen, Drechseln, Kleben, Schrauben,
Dübeln, Nieten, Löten, Schweißen, Verfugen, Streichen,
Lackieren, Mauern und Pflanzen. Um aber alle diese Techniken
anwenden zu können, muss der Heimwerker über eine
beträchtliche Anzahl von Werkzeugen und Maschinen verfügen.
Die Minimalausstattung des Knauserers (siehe Teil 1) ist dafür
völlig unzureichend. Die Heimwerker- und Häuslebauer-
Zeitschrift ,RatgeberBauen' (2002: 37) zählt zur
Mindestausstattung eines Heimwerkers immerhin fünf
verschiedene Elektrowerkzeuge (Schlagbohrmaschine, Akku-
Schrauber, Stichsäge, Trennschleifer und Schwingschleifer),
eine Vielzahl von Handwerkzeugen (verschiedene Sägen,
Hämmer, Steckschlüsselsätze, Schraubendreher, Zangen,
Beitel, Schraubzwingen, Schraubstock und Messgeräte) und
einige Arbeitsschutzartikel (Schutzbrille, Handschuhe,
Staubschutzmaske und Feuerlöscher). Doch selbst mit dieser
Ausrüstung sind so einfache und weit verbreitete
Heimwerkeraktivitäten wie das Streichen eines Zimmers noch
nicht möglich. Denn abgesehen von den Verbrauchsmaterialien
wie Farbe und Klebeband fehlen noch mindestens Pinsel,
Roller, Abtropfgitter, Eimer und Leiter.

Der Bricoleur im engeren Sinne: Der Heimwerker
16
Keines der Bücher geht allerdings davon aus, dass der Leser
über alle beschriebenen Werkzeuge verfügt. Vielmehr werden
die verschiedenen Tätigkeiten in einzelnen Kapiteln
beschrieben, an deren Anfang jeweils eine Aufstellung der
benötigten Geräte abgedruckt ist. Um Heimwerker zu sein ist es
also nicht erforderlich, alle beschriebenen Techniken zu nutzen
und alle Werkzeuge zu besitzen. Heimwerker im Sinne der
Heimwerker-Literatur führen ausgewählte Arbeiten durch und
stellen sich ihre Ausrüstung entsprechend zusammen.
Diese Heimwerker-Definition liegt auch der Stichprobe für diese
Arbeit zu Grunde. Potentielle Gesprächspartner waren alle
Personen, die zumindest einer der beschriebenen Aktivitäten
gelegentlich nachgehen und über dafür geeignetes Werkzeug
verfügen.
Abb. 1:
Werkzeugaus-
stattung eines
Heimwerkers
Heimwerker
führen ausge-
wählte Arbeiten
durch und
stellen sich ihre
Ausrüstung
entsprechend
zusammen.

Der Bricoleur im engeren Sinne: Der Heimwerker
17
Die Lebenswelt des Heimwerkers
Das Konzept der Lebens- oder auch Alltagswelt will die
Grundstrukturen einer für bestimmte Menschen
selbstverständlichen Wirklichkeit beschreiben. Diese
Wirklichkeit ist die alltägliche Umwelt eines Menschen, die er
verändern und erweitern kann, die ihn aber auch einschränkt.
Denn nur innerhalb dieser Wirklichkeit kann er mit seinen
Mitmenschen kommunizieren und interagieren (vgl.
Schütz/Luckmann 1975: 23). Kommunikation und Interaktion
sind aber Voraussetzungen, damit ein Individuum gegenüber
sozialen Gegebenheiten Bedeutungszuschreibungen vornimmt.
Durch diese Interpretationsleistung produzieren Menschen ,,ihre
gesellschaftlichen Verhältnisse" (Brunner 1993: 289).
Abb. 2: Heim-
werkender Ge-
sprächspartner
in seiner Werk-
statt
Kommunikation
und Interaktion
sind Voraus-
setzungen, um
gegenüber so-
zialen Gege-
benheiten Be-
deutungszu-
schreibungen
vorzunehmen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783956360572
ISBN (Paperback)
9783832497149
Dateigröße
5.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Witten/Herdecke – Fakultät für Wirtschaftswissenschaft
Erscheinungsdatum
2006 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
marketing marktforschung lebenswelt typisierung
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Titel: Heimwerker und ihre Strategien
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book preview page numper 17
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