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Rollenkonflikte

Das Verhältnis von Rhetorik, Schauspielkunst und Politik

©2003 Magisterarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Selten war das Ansehen der Rhetorik so schlecht wie heute. Abseits der breiten Öffentlichkeit fristet sie ein Dasein als Orchideenfach und Fundgrube für Werbetexter. Rhetorisches Talent mag für den Anwalt oder den Politiker noch eine schätzenswerte Eigenschaft bedeuten, doch selbst in diesem Zusammenhang verbindet sich mit dem Stichwort Rhetorik weithin die Vorstellung des vordergründigen Effekts, des hohlen Pathos und der bloßen Phrase.
Die Kunst der Rede – verstanden als eine Möglichkeit, durch das öffentlich nach bestimmten Regeln gesprochene Wort eine kalkulierte Wirkung zu erzielen – scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Obwohl die Prinzipien der Rhetorik unsere Kommunikation heute nicht weniger prägen als vor 2000 Jahren, gilt ein rhetorisch versiertes Auftreten vielen als ein Zeichen von Schwäche. Seit die Rhetorik aus den Lehrplänen verschwunden ist, steht ihr Gebrauch im Ruch von fachlicher Unkenntnis und methodischer Hilflosigkeit. Bedauernswert, wer auf die Rhetorik angewiesen ist, mit ihren Tricks, so banal, dass man sie sogar üben kann.
Als Paradebeispiel für einen Redner, der seine Eloquenz seinem Ehrgeiz und seiner Disziplin verdankt, dient für gewöhnlich Demosthenes (322 v. Chr.). Von diesem wahrscheinlich bekanntesten Redner der griechischen Antike berichtet Plutarch, dass er bei seinen ersten öffentlichen Auftritten grandios gescheitert sei und die Rhetorik schon wieder habe aufgeben wollen, als ihn ein Schauspieler mit den Geheimnissen eines wirkungsvollen Vortrags bekannt machte. Durch intensives Training in einem unterirdischen Übungsraum und vor dem Spiegel soll er seine Kurzatmigkeit überwunden und zu einer lebendigen Körpersprache gefunden haben. Gegen Kritiker habe er die Meinung vertreten, dass sich die demokratische Gesinnung eines Redners gerade in der gründlichen Vorbereitung erweise. Gleichgültigkeit in diesem Punkt lasse einen Aristokraten erkennen, der eher an Gewalt als an Überzeugung denke.
Nach heutigem Verständnis schließen eine gewissenhafte Vorbereitung und der Wunsch nach Lebendigkeit und Spontaneität einander aus. Dennoch kehrt die Redekunst gerade in Form von Wochenendseminaren, Trainingsstunden und Ratgeberbroschüren zurück in die Gesellschaft. Ursache dieser Entwicklung ist die Nachfrage nach einer Gebrauchsrhetorik, die eine höhere Schlagfertigkeit im Alltagsleben verspricht, verbunden mit der Sehnsucht nach einer ‚Höflichkeit‘, die über die Kenntnis von Benimmregeln […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

A.1. Einleitung

B.1. Vom Denken zum Ausdrücken. Grundlage
B.2. O du erhabener Feigenbaum! Das rhetorische System
B.3. Zwischen Schein und Sein. Entwicklungstendenzen

C.1. Panem et circenses? Die Herrschaft der Zeichen

D.1. Ecce homo! Seht, welch ein Mensch
D.2. Cicero, eine Journalistennatur
D.3. Veritatis actor. Ciceros Entwurf eines idealen Redners

E.1. Helft mir, ach! ihr hohen Mächte! Politik und Schauspielkunst
E.2. Als Mensch und als Schauspieler. Die Frage der Rollenkongruenz

F.1. Schlussbemerkun

G.1. Literatu
G.2. Anhan
G.3. Eidesstattliche Erklärun

A.1. Einleitung

Selten war das Ansehen der Rhetorik so schlecht wie heute. Abseits der breiten Öffentlichkeit fristet sie ein Dasein als Orchideenfach und Fundgrube für Werbetexter. „Rhetorisches Talent mag für den Anwalt oder den Politiker noch eine schätzenswerte Eigenschaft bedeuten, doch selbst in diesem Zusammenhang verbindet sich mit dem Stichwort Rhetorik weithin die Vorstellung des vordergründigen Effekts, des hohlen Pathos und der bloßen Phrase.“[1]

Die Kunst der Rede – verstanden als eine Möglichkeit, durch das öffentlich nach bestimmten Regeln gesprochene Wort eine kalkulierte Wirkung zu erzielen – scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Obwohl die Prinzipien der Rhetorik unsere Kommunikation heute nicht weniger prägen als vor 2000 Jahren, gilt ein rhetorisch versiertes Auftreten vielen als ein Zeichen von Schwäche. Seit die Rhetorik aus den Lehrplänen verschwunden ist, steht ihr Gebrauch im Ruch von fachlicher Unkenntnis und methodischer Hilflosigkeit. Bedauernswert, wer auf die Rhetorik angewiesen ist, mit ihren Tricks, so banal, dass man sie sogar üben kann.

Als Paradebeispiel für einen Redner, der seine Eloquenz seinem Ehrgeiz und seiner Disziplin verdankt, dient für gewöhnlich Demosthenes ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]322 v. Chr.). Von diesem wahrscheinlich bekanntesten Redner der griechischen Antike berichtet Plutarch, dass er bei seinen ersten öffentlichen Auftritten grandios gescheitert sei und die Rhetorik schon wieder habe aufgeben wollen, als ihn ein Schauspieler mit den Geheimnissen eines wirkungsvollen Vortrags bekannt machte. Durch intensives Training in einem unterirdischen Übungsraum und vor dem Spiegel soll er seine Kurzatmigkeit überwunden und zu einer lebendigen Körpersprache gefunden haben. Gegen Kritiker habe er die Meinung vertreten, dass sich die demokratische Gesinnung eines Redners gerade in der gründlichen Vorbereitung erweise. Gleichgültigkeit in diesem Punkt lasse einen Aristokraten erkennen, der eher an Gewalt als an Überzeugung denke.[2]

Nach heutigem Verständnis schließen eine gewissenhafte Vorbereitung und der Wunsch nach Lebendigkeit und Spontaneität einander aus. Dennoch kehrt die Redekunst gerade in Form von Wochenendseminaren, Trainingsstunden und Ratgeberbroschüren zurück in die Gesellschaft. Ursache dieser Entwicklung ist die Nachfrage nach einer Gebrauchsrhetorik, die eine höhere Schlagfertigkeit im Alltagsleben verspricht, verbunden mit der Sehnsucht nach einer ‚Höflichkeit‘, die über die Kenntnis von Benimmregeln hinausreicht. Was dieser Art von Rhetorik jedoch fehlt, ist die gesellschaftliche und politische Brisanz. Die klassische Redekunst wollte mehr sein als eine Methode des richtigen Verhaltens und Anpassens im öffentlichen Raum. Sie verband das Potential zur Veränderung und Selbstvergewisserung einer Gesellschaft mit dem Versuch, auch dem Einzelnen durch Klärung und Verfremdung einen Blick über den Horizont und ein schärferes Urteil zu ermöglichen. Schon Aristoteles sah in der Rhetorik die Fähigkeit, an einer Sache das Überzeugende zu erkennen (Rhetorik 1355b). Über bloße Schlagfertigkeit hinaus musste der antike Redner bereit sein, Prinzipien und konkrete Handlungsmaximen zu repräsentieren. Er sprach taktisch zu einem bestimmten Zweck, den Platon als ‚Psychagogie‘ definierte, als Seelenleitung des Menschen durch den Menschen.[3]

An diesen Kriterien muss eine politische Rede sich auch heute noch messen lassen. Sie sollte der Klärung dienen, Alternativen aufzeigen und die Relativierung durch Gegenreden zulassen. Im Idealfall ist das Kennzeichen einer politischen Rede die Beschreibung von Handlungsspielräumen. Zu diesem Zweck lässt sie die ritualisierten Abläufe des Alltags hinter sich, gibt in symbolischer Verdichtung einen Begriff von der Lage und erzwingt ein Ergebnis. Solange sie einem echten Interesse an der Zukunft verpflichtet ist, kann sie die Wirklichkeit durchsichtig machen. Sie ist immer ein Leistungsversprechen und eine Bitte um Vertrauen; beides erfordert eine wahrnehmbare Überzeugung. Rhetorik verlangt ein Gefühl für den richtigen Augenblick, denn nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Nach Auffassung des Schriftstellers und Sprachwissenschaftlers Uwe Pörksen sind wir weit entfernt von diesem Ideal. Schuld am Verfall der öffentlichen Rede sei die Überformung der Politik durch gesellschaftliche Subsysteme, wie sie zum Beispiel die Wirtschaft oder die Medien bilden. Diese Bereiche hätten sich selbständig gemacht, um nun aus sich heraus zu definieren, welche Richtung sie künftig einschlagen sollten. Mit der Autonomie des Politischen gehe in einer fragmentierten Gesellschaft jedoch auch die Verpflichtung auf das Gemeinwohl verloren. Trotzdem seien noch immer Situationen denkbar, in der alte Gewissheiten durch eine Rede ins Wanken gerieten. „In solchen Momenten wird das Parlament im besten Sinne zum Repräsentanten, zum Spiegel der in der Öffentlicheit vorhandenen Standpunkte, zum Stellvertreter der Nation. Die Politik kehrt zurück. In der Debatte erkennen wir uns wieder.“[4]

In einer solchen Situation entstand die so genannte „Blut-Schweiß-und-Tränen“-Rede, die Winston Churchill am 13. Mai 1940 im britischen Parlament hielt. Die Abgeordneten mussten an diesem Tag entscheiden, ob Großbritannien seinen Kampf gegen Deutschland fortsetzen oder einen demütigenden Frieden schließen sollte, der das Festland den Eroberungsplänen Hitlers überließe. Unter den Diplomaten fand diese Lösung nicht wenige Befürworter, aber Churchill wischte sie vom Tisch: „You ask, what is our policy? I say it is to wage war by land, sea, and air. War with all our might and with all the strength God has given us, and to wage war against a monstrous tyranny never surpassed in the dark and lamentable catalogue of human crime. That is our policy.“[5] Churchills Rede brachte die entscheidende Frage in wenigen und beinahe formelhaften Sätzen auf den Punkt. Es ist gewiss kein Zufall, dass diese Sätze mit ihrer Mischung aus Nüchternheit und Pathos, Schauder und Zuversicht an die klassische griechische Tragödie erinnern. Zur Debatte standen Freiheit und Zukunft Europas.

Noch im 18. Jahrhundert erwarteten die Bürger von ihrem Theater politische Impulse in einem Umfang, der heute höchstens im Bereich der Massenmedien vorstellbar ist. Vor diesem Hintergrund sollten wir einen Blick auf das Verhältnis von Rhetorik, Schauspielkunst und Politik werfen, auf Gemeinsamkeit und Unterschiede dieser Disziplinen in einer modernen Mediengesellschaft. Wie der Schauspieler die Inszenierung oder seine Rolle, so kann auch der Redner die Rhetorik verraten, indem er sich einem Mediensystem ausliefert, das den Wettstreit um die bessere Idee durch Scheingefechte und Ersatzhandlungen verdeckt. In diesem Fall droht die Rhetorik zu einer Fassadentechnik zu werden, welche die Wahrheit nur als eine Frage der Geschicklichkeit sieht und den politischen Prozess ad absurdum führt.

Bei fehlender oder falsch verstandener Distanz zur eigenen Rolle kann die Aggressivität der politischen Auseinandersetzung in eine um sich selbst kreisende Rhetorik münden, die auf einer Sprache des Misstrauens beruht und statt mit Argumenten und Überzeugungen mit Appellen und Drohungen operiert. Als sicher darf gelten, dass dieses Problem nicht gerade neu ist. „In den Hauptstädten“, klagte schon Heinrich von Kleist ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]1811), „sind die Menschen zu gewitzigt, um offen, zu zierlich, um wahr zu sein. Schauspieler sind sie, die einander wechselseitig betrügen, und dabei thun, als ob sie es nicht merkten. Man geht kalt an einander vorüber; man windet sich in den Straße durch einen Haufen von Menschen, denen nichts gleichgültiger ist, als ihres Gleichen; ehe man eine Erscheinung gefasst hat, ist sie von zehn andern verdrängt; dabei knüpft man sich an keinen, keiner knüpft sich an uns; man grüßt einander höflich, aber das Herz ist hier so unbrauchbar, wie eine Lunge unter der luftleeren Campane, und wenn ihm einmal ein Gefühl entschlüpft, so verhallt es, wie ein Flötenton im Orkan.“[6]

Kommunikationsdefizite können auch technische und institutionelle Gründe haben. Solange die Akteure die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen nicht selbst verantworten, sind sie fremdem Gesetz unterworfen. Gestützt auf die Kreativität des Menschen haben sich aber gerade die Schauspielkunst und die Rhetorik im Laufe der Zeit als äußerst anpassungsfähig erwiesen. So ist es fast beruhigend, dass die Verbindung von Rhetorik, Schauspielkunst und Politik tiefer reicht, als es die üblichen Schlagworte wie Sommertheater oder Possenspiel suggerieren. Tatsächlich kann die Beschäftigung mit diesem Verhältnis zu Gesichtspunkten führen, mit deren Hilfe das Auftreten von Politikern, ihr Rollenverständnis und ihre Beziehung zum Publikum analysiert werden kann. Für Raymond Williams birgt die Beschäftigung mit Dramen eine Chance, „zu einigen der grundlegenden Konventionen vorzudringen, die wir als ‚die Gesellschaft‘ zusammenfassen.“[7] Über metaphorische Querverweise hinaus kann das Theater Wege zu einem sinnvollen und verantwortlichen Umgang mit der Mediendemokratie eröffnen.

Die Dominanz der Medien muss desto problematischer erscheinen, je stärker die Politiker ihre Souveränität verlieren. Während die ‚Spiele der Macht‘ einerseits immer raffinierter inszeniert werden, sind sie andererseits dank der Mikrophone und Kameras zugleich viel durchsichtiger als in früheren Zeiten. Angesichts steigender medialer Ansprüche ist es nicht verwunderlich, wenn inzwischen auch schauspielerische Talente zum Anforderungsprofil von Politikern zählen. In einer von Medieninszenierungen geprägten Welt muss der Vorwurf der Schauspielerei gerade unter Politikern naiv wirken. Jeder Politiker ist ein Selbstdarsteller, das gilt heute nicht weniger als früher. Auch in der Vergangenheit waren Entscheidungsträger sich nicht zu schade, die Darstellung bestimmter Sachverhalte und Projekte auf Wirkung zu berechnen und symbolisch zu verdichten. Es handelt sich um eine Anpassungsleistung der Politik.

In der Mediengesellschaft ist ein charismatisches und glaubhaftes Auftreten vor Mikrophon und Kamera eine Grundbedingung demokratischer Politik, deren inszenatorisches Potential in Wahlkämpfen mit einigem Recht zur Debatte steht. Schließlich müssen Politiker, Parteien und ihre Programme sich nicht nur inhaltlich, sondern auch darstellerisch bewähren. „Die Selbstkontrolle, mit der sich der Kandidat in der Feuerprobe bewährt, wird also bedenklich vergrößert und ist für seinen Erfolg genauso entscheidend wie für den Schauspieler, der Tausende von Kritikern vor sich weiß, wenn er im Scheinwerferkegel auf der Bühne steht, umgeben von Finsternis.“[8] Viele Politiker tun so, als hätten sie von diesen Dingen noch nie etwas gehört. Wer jedoch die Beschäftigung mit Fragen der politischen Inszenierung verweigert, begibt sich gedanklich auf die Stufe absolutistischer Arkanpolitik. Ehrliche Schauspielerei wird die Grenze zwischen Schein und Sein nicht etwa verwischen, sondern schärfen.

B.1. Vom Denken zum Ausdrücken. Grundlagen

Nicht jede geschliffene Formulierung ist ein Akt der Rhetorik. Das klingt banal, bezeichnet aber den ersten Schritt zur Definition dessen, was diese Kommunikationstechnik von anderen unterscheidet. Die Rhetorik verlangt einen festen Standpunkt, von dem aus sie das Denken, die Gefühle und das Verhalten ihrer Hörer zu steuern versucht. „Wie der Orator zu seinem Zertum, zu seiner inneren Gewissheit gelangt, ist rhetoriktheoretisch unerheblich, erheblich ist dagegen, dass er sein Zertum bei anderen Menschen etablieren will.“[9] Der Standpunkt eines Redners kann nach moralischen oder politischen, nicht aber nach rhetorischen Gesichtspunkten bewertet werden. Sein Erfolg bemisst sich allein an der Wirksamkeit.

Allerdings hat die enge Verwandtschaft von Rhetorik und Poetik schon immer dazu verleitet, über die Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen hinwegzusehen; etwa indem die berühmte Forderung des Horaz ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]8 v. Chr.) nach einer Dichtkunst zwischen Schönheit und Nutzen kurzerhand auf die Beredsamkeit übertragen wurde. Aber schon Horaz selbst stellte diese Formel in einen größeren Zusammenhang: „Es genügt nicht, dass Dichtungen schön sind; sie seien gewinnend, sollen den Sinn des Hörers lenken, wohin sie nur wollen.“[10] Diese Aussage tangiert den Anspruch der Rhetorik. Entsprechend begierig haben deren Vertreter sie aufgenommen. Vor allem Quintilian ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]96) gilt als glühender Anhänger der horazischen Poetik.

Ein wesentliches Merkmal der Rhetorik ist die Trennung von Inhalt (‚res‘) und Darstellung (‚verba‘). Obwohl die Wirkung einer Rede zu einem guten Teil auf der Logik ihrer Argumente basiert und der Redner durchaus bemüht sein sollte, die beiden Bereiche wieder zu einer Einheit zu fügen, orientiert sich die Rhetorik doch eher an Problemen der Form als des Inhalts: Spätestens zum Zeitpunkt des Vortrags sollte die inhaltliche Arbeit abgeschlossen sein.

Rhetorik ist eine Form des sozialen Handelns. In ihrem Mittelpunkt steht nicht so sehr die Behauptung des Einzelnen im kommunikativen Alltag, als vielmehr die gezielte Beeinflussung von Meinungen im öffentlichen Diskurs und somit die bewusste Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse. Deshalb ist die Rhetorik auf die Existenz eines Publikums angewiesen, aus dem der Redner hervortreten kann, um es kraft seines Vortrags von einer bestimmten Sichtweise zu überzeugen oder zu einer bestimmten Handlung zu verleiten. Der ideale Redner ist auf Rückkopplung eingestellt, denn er weiß, dass kommunikatives Handeln prinzipiell einen gemeinsamen Sinnhorizont und eine wechselseitige Annäherung verlangt. Er möchte etwas bewegen und dabei auch selbst bewegt werden, ohne jedoch sein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Weil letztlich allein die Zustimmung des Publikums über seinen Erfolg entscheidet, muss der Redner die Stimmung, den Kenntnisstand und die soziale Herkunft seiner Zuhörer im Blick haben. So gehört zur Rhetorik seit jeher eine Portion Menschenkunde, wie sie etwa bei Aristoteles ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]322 v. Chr.) angelegt ist.[11] Darüber hinaus muss der Redner sein Augenmerk auch auf die akustischen Verhältnisse und den Zeitpunkt seines Auftritts, auf protokollarische Fragen und potentielle Konkurrenten richten. Alles dies kann zu einem Widerstandsfaktor werden. Selbst unter optimalen Bedingungen stößt der Redner auf Schwierigkeiten, die in der Sache liegen und sich durch Übung nur zum Teil überwinden lassen. So kann er seine Botschaft zum Beispiel nicht einfach nach dem Muster eines elektronischen Datentransfers in die Gehirne seiner Zuhörer übertragen, sondern muss damit rechnen, dass diese gemäß ihren individuellen Voraussetzungen eine eigene Botschaft generieren. Um diesen ‚kognitiven Widerstand‘ zu verringern, wird ein erfahrener Redner sich zunächst um eine gemeinsame Perspektive bemühen. Fehlt diese Basis, ist sein Versuch der Einflussnahme zum Scheitern verurteilt.

Auch das eigene kognitive System zeigt dem Redner zuweilen Grenzen auf. Unabhängig von Sachkenntnissen und emotionalen Vorbehalten kann ihm bereits der Übergang vom Intellekt zur Sprache enorme Probleme bereiten. Hartnäckige Versprecher und gedankliche Aussetzer können ungeübte Redner leicht zum Verstummen bringen. Heinrich von Kleist hat diesen Vorgang in seiner Schrift „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ anschaulich beschrieben. Er schildert die Nöte derjenigen, die in einem lebhaften Gespräch nach langem Schweigen das Wort ergreifen, aber dann zu ihrem Erstaunen nichts zu sagen wissen. „Es ist wahrscheinlich, dass diese Leute etwas recht Treffendes, und sehr deutlich, gedacht haben. Aber der plötzliche Geschäftswechsel, der Übergang ihres Geistes vom Denken zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben, die zur Festhaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen erforderlich war, wieder nieder.“[12]

Auf der anderen Seite kann der Sprechakt zur Schärfung eines undeutlichen Gedankens beitragen. Weil nämlich die Sprache auf semantischer Ebene auch selbst handelt, gibt sie dem Denken Richtung und Intensität. Zwar engen grammatikalische und stilistische Normen den individuellen Ausdruckswillen ein, doch bietet die sprachliche Struktur dem Redner zugleich ein tragfähiges Gerüst, an dem entlang er seine Argumentation entfalten kann. Zu beachten ist außerdem, dass der Redner seinen Text über die Sachinformation hinaus mit einer bestimmten Botschaft impfen muss. Damit diese Botschaft überhaupt bei seinem Publikum ankommt, ist er gezwungen, seine Version von Sprache mit der seiner Zuhörer zu vermitteln. Deshalb sollte er die Usancen gängiger Dialekte, sollte er Slangs und verbreitete Sprachmoden kennen. Obwohl die Reaktion der Menschen auf Sprache nur bedingt steuerbar ist, ermöglicht ihre Fixierung im Text doch eine planvolle und sehr feine Kommunikation.

Jeder Redner ist auf eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Medien angewiesen. Während er die Sprache und den eigenen Körper in der Regel recht gut kontrollieren kann, nötigt ihm das Gebot der akustischen und visuellen Verständlichkeit Apparaturen der Verstärkung und Vergrößerung auf, die meist einen erheblichen Entfremdungsfaktor darstellen. Zwar wird er danach streben, die Kontrolle zumindest im Moment des rhetorischen Handelns selbst auszuüben, aber im Prinzip kann er gegen die Selbstbezüglichkeit und Eigendynamik der Medien kaum ankommen. Wie die früheren Rhetoren an starre Zeichensysteme gebunden waren, so ist der moderne Redner mit den verwirrenden Mechanismen der elektronischen Ton- und Bildübertragung konfrontiert. Widerstand entsteht immer dann, wenn das Medium ihm sein eigenes Gesetz aufzuzwingen versucht. „Damit ist das rhetorische Kalkül primärer Kommunikation nicht völlig erledigt, aber es wird eingebettet in ein Kalkül sehr viel komplexerer Art.“[13]

Ist die Schwelle des Textes einmal überwunden, kommt es vor allem auf den körperlichen Ausdruck an. Eine angenehme Stimmlage, aufrechte Körperhaltung und lebendige Mimik wecken oft mehr Sympathie als Fachwissen und inhaltliche Substanz. Deshalb muss jedes körperliche Signal für sich genommen die Entschlossenheit und Vertrauenswürdigkeit des Redners glaubhaft machen. Nach Diderot ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]1784) wurzelt die Autorität eines Redners in der Vermittlung innerer Anteilnahme: „Dieser Anspruch beruht auf dem Grad von Wissen und Aufrichtigkeit, der am Sprecher zu erkennen ist.“[14] Die Art und Weise, wie über eine Sache gesprochen wird, gibt Auskunft über die Sache selbst. Die antike Rhetorik ging sogar davon aus, dass zwischen Körper und Geist ein Band existiere, das die Bewegungen des Intellekts minuziös auf den Leib übertrage. Nimmt man den Aspekt der ‚Natürlichkeit‘ hinzu, dann stößt die Rhetorik in diesem zentralen Bereich auf Fragen, die auch im Theater seit jeher diskutiert werden.

In den elektronischen Medien ist der Redner nicht mehr real präsent, aber seine Präsenz wird so gut simuliert, dass sein Bild und seine Stimme dem Publikum als real erscheinen können. Will ein Redner über die technische Reichweite hinaus eine spezifisch rhetorische Wirkung entfalten, muss er sich durch spezielles Training auf das fremde und ungewohnte Terrain einstellen. So erfordert zum Beispiel das Fernsehen einen verhältnismäßig leisen Ton, sparsame Gesten und schlichte Formulierungen. Die Medien nötigen dem Redner ein Verhalten auf, das sich von der Kommunikation im Alltag oder in parlamentarischen Debatten fundamental unterscheidet. Die entlarvende Nähe der Kamera und des Mikrophons zwingen den Redner zu einer Zurückhaltung, die ihm in direkter Konfrontation mit dem Publikum jede Wirkung nähme. Diese unüberbrückbare Distanz wäre einem Mann wie Tacitus ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]120) kaum zu vermitteln, der schon in der Abkehr von öffentlichen Prozessen den Anfang vom Ende der Rhetorik sah: „Der Redner aber braucht das Beifallgeschrei und gleichsam ein gewisses Theater.“[15]

Zwar bildet eine ausgefeilte Argumentation das Rückgrat der rhetorischen Performance und eine wichtige Brücke ins Publikum, für eine durchschlagende Wirkung braucht es jedoch die Unterstützung der übrigen Kommunikationsfaktoren. Die Kommunikationswissenschaft unterscheidet zwischen Sachebene und Gefühlsebene, und es deutet einiges darauf hin, dass emotionale Werte einen durchschnittlichen Zuhörer wesentlich intensiver beeinflussen als Argumente. Dieser Einfluss basiert auf der kunstvollen Ausgestaltung des Vortrags und vor allem auf der Ausstrahlung des Sprechers. „Die Wirkung der Rede verdankt sich nicht nur den vorgetragenen Argumenten, sondern auch der Reputation, ja dem Charakter des Redners.“[16] Sein Lebenswandel und seine Haltung zu den Themen der Zeit können ihm ein persönliches Ethos verleihen, das seine Glaubwürdigkeit unabhängig von der Stichhaltigkeit seiner Argumente stärkt. Natürlich muss dieses Ethos bekannt und in der Rede zu erkennen sein.

Von sprachlichen und nonverbalen Zeichen, die Ehrlichkeit und Souveränität ausdrücken, schließen wir für gewöhnlich auf Eigenschaften wie Engagement, Charakterfestigkeit und Selbstvertrauen. Nach einer Faustregel der klassischen Rhetorik kann einer schlechten Sache die Person, einer schlechten Person die Sache zur Hilfe kommen. Und wenn es auf der eigenen Seite nichts Positives zu entdecken gibt, sollte man nach Negativem auf Seiten des Gegners suchen. So wird das Ethos in jedem Kommunikationsprozess geprüft und neu justiert. Die griechische Philosophie nach Platon glaubte darüber hinaus, dass ein Redner nur im Besitz der Wahrheit wirksam sprechen könne und dass umgekehrt nur derjenige das Vertrauen des Publikums verdiene, der sich intensiv mit der Suche nach Wahrheit beschäftigt habe. Auch die römische Philosophie wollte dem Missbrauch rhetorischer Techniken dadurch vorbeugen, dass sie rhetorische Autorität nur einem ‚vir bonus‘ mit tadellosem Lebenswandel zubilligte. Gleichwie, die Zuspitzung auf Personen spielt in der Rhetorik eine wesentliche Rolle.

B.2. O du erhabener Feigenbaum! Das rhetorische System

Schon in der Antike gab es eine große Auswahl an rhetorischen Systemen, die miteinander konkurrierten und doch alle um denselben Fundus von Begriffen und Techniken kreisten, der über viele Jahrhunderte hinweg nicht ernsthaft angezweifelt wurde. Geschmeidig reagierten die einzelnen Schulen auf die wechselnden Impulse ihres kulturellen und sozialen Umfelds, passten sich kontinuierlich an und formulierten die wichtigsten Grundgedanken immer wieder neu.

Was die Hauptaufgaben eines Redners angeht, so stimmen die rhetorischen Schriften darin überein, dass er nicht nur belehren und beweisen, sondern zugleich erfreuen und gewinnen, bewegen und aufstacheln soll. Die Verbindung von intellektueller und affektiver Ebene ist ein grundlegendes Element fast jeden Lehrsystems. Im Laufe der Geschichte hat sich zwar die Gewichtung zwischen den beiden Ebenen immer wieder verschoben, doch kein System kommt umhin, auch die Mobilisierung des Unbewussten und der Gefühle zu fordern. Denn die Wahrheit „setzt sich nicht oder jedenfalls nicht bei jedem ‚als solche‘ durch, vielmehr muss sie dem Hörer ‚zugänglich‘ gemacht werden und deshalb auf diesen Hörer ‚eingestellt‘ sein.“[17]

Der Ausgangspunkt vieler Lehrsysteme ist die Gliederung der Materie nach verschiedenen Redegattungen. Den nachhaltigsten Einfluss entwickelte dabei ein dreigliedriges Schema aus Gerichtsrede, Beratungsrede und Lobrede, das bereits in der „Rhetorik“ des Aristoteles angelegt ist. Diese drei Klassen lassen sich wiederum in zahlreiche Untergruppen aufteilen, und selbstverständlich gilt gerade der Gattungsbruch als wirksames rhetorisches Mittel, wie es William Shakespeare ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]1616) in seinem „Julius Caesar“ anschaulich illustriert hat: Da mutiert die Grabrede des Antonius für den ermordeten Diktator zum zornigen Plädoyer der Anklage.[18]

Die affektive Wirkung einer Rede hängt vom Ethos des Redenden und vom Pathos seines Vortrags ab. Beide Elemente müssen mit Bedacht portioniert und aufeinander abgestimmt sein. Während bereits die Anwesenheit eines als lobenswert geltenden Redners oder die Stilisierung des Angeklagten zu einem ganz normalen Menschen besänftigend wirkt, kann die Schilderung von Ausnahmesituationen und die Verkörperung von Leidenschaft die Zuhörer aufstacheln und in einen Ausnahmezustand zwischen Schrecken und Bewunderung versetzen. Ohne Ethos wirken pathetische Stellen aufgesetzt und erstarren leicht zu hohlen Posen.

Kernbestand der klassischen Rhetorik ist die Lehre von den fünf Bearbeitungsphasen. Nach diesem Schema beginnt rhetorisches Handeln auf der Ebene des Textes, nämlich mit der Gedankenfindung, welche die Richtung der Argumentation bereits vorwegnimmt, und endet mit dem Vortrag vor einem Publikum, das die Botschaft der Rede aufnehmen und verarbeiten soll.

Vor die eigentliche Arbeit am Text setzen die meisten Systeme noch eine Planungsphase, in der es die Beschaffenheit des vorliegenden Falles zu erkennen gilt. Der Redner muss den springenden Punkt finden und erkennen, ob es sich zum Beispiel um eine Definitionsfrage oder um eine Verfahrensfrage handelt. Mit diesem Wissen im Hinterkopf kann der Redner ausweichen, indem er seinen Vortrag von Anfang an in einen Zusammenhang stellt, der den eigenen Argumenten zuträglich ist. Darüber hinaus erinnern die strittigen Fragen meist an Präzedenzfälle, aus denen sich wichtige Gesichtspunkte für die Anlage der Rede ziehen lassen.

Hat der Redner die Beschaffenheit des zu behandelnden Problems erkannt, muss er in der ersten Bearbeitungsphase (‚inventio‘) Material sammeln und Argumente entwickeln. Nach den gängigen Theorien sollte er vom konkreten Fall zunächst abstrahieren, um eine breite Basis zu schaffen und mögliche Gesichtspunkte nicht voreilig auszuschließen. Dem geübten Redner steht für diese Aufgabe eine große Zahl von ‚topoi‘ zur Verfügung, gedachte Orte, an denen sich Argumentationsmuster und Schulbeispiele befinden. Lateinische Autoren sprechen von ‚loci communes‘, von Gemeinplätzen, die für jede Frage die passenden Argumente bereit halten.

Die zweite Bearbeitungsphase (‚dispositio‘) ist der Gewichtung und Anordnung der einzelnen Aspekte gewidmet. Die meisten Systeme verlangen eine Einleitung, die zum Thema hinführen und dabei Aufmerksamkeit, Wohlwollen und Empfänglichkeit wecken soll. Aristoteles meint, der Redner müsse zunächst die Argumente seiner Gegner tilgen, um Platz zu schaffen für die eigenen Gedanken.[19] Auf die Einleitung folgt die Schilderung des Sachverhalts, die Ausbreitung der Argumente und der Nachweis ihrer Plausibilität sowie die Widerlegung des gegnerischen Standpunktes. Die Aufgabe des Schlusses ist die Rekapitulation der Gedanken und die Aufstachelung der Affekte. Am Ende soll der Zuhörer über ein bestimmtes Wissen verfügen und zu einer bestimmten Reaktion gereizt werden; letzteres gilt als der wichtigere Teil.

In der dritten Bearbeitungsphase (‚elocutio‘) geht es um die Formulierung. Die Rhetorik geht davon aus, dass erst die Suche nach dem treffenden Ausdruck einen Gedanken einleuchten lässt. Eine prägnante Formulierung habe neben der ästhetischen auch eine hermeneutische Funktion, denn in ihr manifestiere sich der Bedeutungsgehalt und damit das rhetorische Potential eines Textes. Unabhängig davon müsse sie sich den üblichen grammatikalischen Gesetzmäßigkeiten beugen und dürfe nur solche Redewendungen umfassen, die durch den allgemeinen Sprachgebrauch oder das Beispiel herausragender Persönlichkeiten verbürgt sind. Um die Ohren des Publikums nicht zu strapazieren, sollte sie außerdem phonetische Aspekte wie Rhythmus, Wortklang und Satzmelodie berücksichtigen. Das höchste stilistische Prinzip sei jedoch Klarheit, wie sie etwa durch einfache Worte und kurze Sätze zu erzielen ist.

Damit so viel Klarheit auf Dauer nicht langweilig wird, entwickelte die Rhetorik eine Vielzahl sprachlicher Schmuckformen. Diese Schmuckformen können auf einer einzelnen Wendung (Trope) oder auf mehrgliedrigen Figuren basieren. Die Metapher zum Beispiel ersetzt einen schwachen Ausdruck durch einen starken und verleiht ihm dadurch eine gewisse Tendenz, während die Allegorie eine Gruppe von Tropen in den übergeordneten Zusammenhang eines Gleichnisses stellt. Ähnliche Effekte kann die Verknüpfung von Begriffen erzielen, etwa deren Häufung (Asyndeton), Gegenüberstellung (Antithese) oder Kreuzung (Chiasmus). „Tropen nehmen Spielräume im Bereich der Semantik wahr; Figuren machen sich Spielräume im Bereich der Syntax zunutze.“[20] Je stärker die Bilder und Figuren, desto wirkungsvoller die Rede.

Ein probates Mittel zur Auflockerung ist die direkte Wendung ans Publikum und die Ironie, für die Shakespeare ebenfalls ein anschauliches Beispiel gibt: So nennt Antonius den Attentäter Brutus immer wieder einen ‚honorable man‘, lässt dessen Ehrbarkeit aber zugleich sehr fragwürdig erscheinen. Solche Elemente uneigentlicher Rede weisen jedoch über die bloße Formulierung hinaus und schneiden bereits den Bereich szenischer Erweiterung im Vortrag an.

Weil die Vielfalt an Schmuckformen selbst einen geübten Redner zu Stilblüten verleiten muss, entwickelte die Rhetorik das zentrale Kriterium der Angemessenheit. Es beruht auf der Annahme, dass der Gegenstand einer Rede das beste Maß für den sprachlichen Aufwand sei. Schon Aristoteles unterschied in diesem Sinne einen hohen, einen mittleren und einen schlichten Stil. „Angemessenheit wird der Stil haben, wenn er Pathos und Ethos vermitteln kann, und das analog dem zugrundeliegenden Sachverhalt. Diese Analogie liegt vor, wenn man weder über gewichtige Dinge beiläufig noch über Nichtigkeiten feierlich spricht und ein unbedeutendes Wort nicht mit Schmuck überhöht. Sonst wird es zur Komödie, wie es Kleophon macht. Einiges nämlich geriet ihm ähnlich, wie wenn jemand sagte: ‚O du erhabener Feigenbaum!‘“[21]

Die vier Stilqualitäten Richtigkeit, Klarheit, Schmuck und Angemessenheit gelten auch für die Wahl der Argumente und den Vortrag. Letzten Endes kommt alles auf den Standpunkt und die Erwartungen des Publikums sowie auf die Umstände des Auftritts an. Zwar können die geltenden Normen und die Orientierung an der viel zitierten ‚goldenen Mitte‘ dem Redner eine gewisse Sicherheit bieten, doch im Prinzip hängt sein Erfolg von der Geschwindigkeit ab, mit der er die spezifischen Bedingungen seines Auftritts realisiert. Trotz aller Freude an lebhaften Diskussionen wird es immer Dinge geben, von denen der kundige Redner besser schweigt.

Die vierte Bearbeitungsphase (‚memoria‘) umfasst das Einüben des Textes. Weil Reden in der Antike nur selten in schriftlicher Form vorlagen und im entscheidenden Augenblick ohnehin frei gehalten wurden, kam dieser Aufgabe eine wichtige Bedeutung zu. Um einer mehrstündigen Gerichtsverhandlung überhaupt gewachsen zu sein, entwickelten schon die griechischen Sophisten eine differenzierte Mnemotechnik, die auf Bilderalphabeten, Merkversen und einer Art künstlichen Gedächtnisses basierte. Dazu musste sich der Redner zunächst eine Reihe durchnummerierter Orte einprägen, die er dann mit den jeweils zu erinnernden Worten oder Dingen verknüpfte und während der Rede abschritt. Dieses Verfahren war trotz seiner weiten Verbreitung sehr umstritten, weil abstrakte Argumente und komplexere Zusammenhänge einen immensen Verschlüsselungsaufwand notwendig machten.

In der fünften Bearbeitungsphase (‚actio‘) geht es um den Vortrag, der für die Verständlichkeit und Wirkung einer Rede zumindest ebenso wesentlich ist wie die Argumente selbst. Hier entscheidet sich, ob ein Redner überzeugt. „Die menschlich-personhafte Glaubwürdigkeit des Redners und damit auch die der von ihm vertretenen Sache hängt weitgehend davon ab, wie sich in seinen Gesten, Gebärden, in dem Mienenspiel seines Gesichts und der Haltung seines Körpers, dem Klang der Stimme und im Ausdruck seiner Augen sein Charakter vorstellt.“[22] Die Gesten des Redners sollten das Gesagte allerdings bloß unterstreichen, nicht ausmalen.

Als Medium seiner selbst ist der Redner darauf angewiesen, mit seinem Körper ein breites Spektrum akustischer und visueller Signale zu erzeugen und diese in einen plausiblen Bedeutungszusammenhang zu stellen. „Die Beherrschung von Gestik, Mimik und Stimme gehörte seit jeher zur mehr oder weniger bewussten und selbstverständlichen Aufgabe des antiken Redners.“[23] Erst die Verkörperung sichert den Worten Aufmerksamkeit, verleiht ihnen Sinn und lässt sie glaubwürdig erscheinen. Der Redner stößt auf gravierende Probleme, falls etwa ein Übertragungsmedium einzelne Dimensionen seiner Körpersprache verkürzt oder okkupiert.

Im Bereich des öffentlichen Vortrags kommt es zu bemerkenswerten Überschneidungen mit der Schauspielkunst. Auch ein Redner verwendet seinen Körper als Projektionsfläche, mit deren Hilfe er seine Botschaft durchbuchstabiert und ihr gleichsam einen Resonanzboden verleiht. Er muss über eine kräftige Stimme, ein lebendiges Mienenspiel und ein reichhaltiges Repertoire an Gesten verfügen und sollte diese Mittel wie die Register eines Instruments gezielt einsetzen können. Da der Körper gemeinhin als Spiegelbild des Geistes gilt, glauben wir gerade an solchen Merkmalen zu erkennen, wer von seiner Sache wirklich überzeugt ist.

Mehr noch als seine körperliche Veranlagung zählt für den Redner das Gespür für den richtigen Augenblick, für gezielte Pointen und wirkungsvolle Pausen. Er muss seinen Körper in eine schlüssige Inszenierung einbinden, die sich nach den jeweiligen kulturellen Mustern richtet. In der römischen Öffentlichkeit galt wildes Gestikulieren und lautes Schreien als ein Zeichen von Schwäche. Deshalb arbeiteten die römischen Rhetoren mit feinsten klanglichen Variationen und verpackten ihre emotionale Botschaft in die behutsame Modulation von Betonung und Rhythmus, für welche die moderne Linguistik den Begriff ‚Prosodie‘ geschaffen hat.

Dass der Redner vor seinem Publikum zwangsläufig eine bestimmte Rolle einnimmt und dass gerade die geistige Distanz zu dieser Rolle ein Zeichen von Professionalität sein kann, ist ein Betriebsgeheimnis, das die Rhetorik mit der Schauspielkunst teilt. Wer nicht selbst überzeugt ist, heißt es, der kann auch andere nicht überzeugen. Aber ungeachtet aller Täuschungsmanöver brachte die notwendige Lücke zwischen Person und Rolle der Rhetorik immer wieder den Vorwurf ein, sie verbreite ein heuchlerisches Gemisch aus wahrem Interesse und falscher Leidenschaft. Zur Abwehr solcher Angriffe unterscheidet Cicero zwischen einem Redner, der als ‚veritatis actor‘ für die Wirklichkeit selbst einstünde, und einem Schauspieler, der diese Wirklichkeit als ‚imitator veritatis‘ bloß nachahmen würde.[24]

Im übrigen können Handlungen, die über den eigentlichen Vortrag hinausgehen, wirksamer sein als alle Worte. So war die Präsentation von Narben für die Römer ein geläufiges Mittel der rhetorischen Einflussnahme. „Es nützt nichts, solche Vorgänge beiseite zu schieben. Sie ereigneten sich häufig in der römischen Politik und waren ganz offensichtlich eines ihrer wichtigsten performativen Elemente.“[25] Shakespeares Drama gibt auch dafür ein schönes Beispiel. Als Antonius in Laufe seiner Rede die Wunden an Caesars Leichnam enthüllt, treibt er sein Publikum in eine schier besinnungslose Mordlust – und lässt uns im übrigen erahnen, wie lebendig die rhetorische Tradition im elisabethanischen England noch gewesen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

B.3. Zwischen Schein und Sein. Entwicklungstendenzen

Wann immer die Rhetorik mit dem Anspruch einer Wissenschaft auftrat, löste sie lebhafte Debatten aus. Ihre Geschichte besteht aus einem Wechselspiel von Wertschätzung und Ablehnung. Wo ihre Befürworter die Verbindung von intellektueller und affektiver Wirkung hervorhoben, beobachteten ihre Gegner die Instrumentalisierung von Halbwissen und die Verführung der Menschen zur Falschheit. Anders als das Theater, das unter ähnlichen Vorwürfen litt, war die Redekunst jedoch in der älteren europäischen Wissenstradition fest verankert und nahm etwa im mittelalterlichen Bildungskanon der ‚septem artes liberales‘ einen prominenten Platz ein. Erst im 18. Jahrhundert geriet auch ihre Stellung ernsthaft ins Wanken.

Die Entwicklung der Rhetorik zu einem Schulfach begann schon im fünften vorchristlichen Jahrhundert und ist eng mit der griechischen Kolonie Sizilien verbunden, einem wichtigen Umschlagplatz antiker Kultur. Entstanden als eine Methode der Beweisführung vor Gericht, formte die Sophistik sie zu einem zentralen Element ihres Bildungsprogramms. Für die Anhänger dieser ersten europäischen Aufklärung war das Maß aller Dinge nicht mehr die göttliche Norm, sondern der Mensch. Da jedoch der Mensch die Wahrheit nicht erkennen könne, müsse man prinzipiell jedem Argument mit rhetorischen Mitteln zum Durchbruch verhelfen.

Gorgias aus Leontinoi ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]375 v. Chr.) war vielleicht der bedeutendste Repräsentant dieser „Bildungsbewegung, die den Mythos durch den Logos, die Tradition durch die Vernunft zu ersetzen suchte.“[26] Als er im Jahre 427 mit einer diplomatischen Gesandtschaft in Athen eintraf, verblüffte er sein Publikum durch prächtig geschmückte und kunstvoll rhythmisierte Reden. Seine Behauptung, auf alle Fragen vorbereitet zu sein und jede beliebige Meinung überzeugend vertreten zu können, führte ihm zahlreiche Schüler und beachtliche Honorare zu, provozierte aber wegen der scheinbaren Preisgabe einer ethischen Fundierung auch Kritik.

Doch bei allem Zweifel hinsichtlich ihrer moralischen Legitimation fiel die Rhetorik in Athen auf fruchtbaren Boden. Nach dem Übergang von der Adelsherrschaft zur Demokratie wuchs der öffentlichen Rede hier eine politische Dimension zu, in der sie sich erst so richtig entfalten konnte. Als Nährboden diente ihr das Streben der Athener, den gesellschaftlichen Normen ihren mythischen Überbau zu nehmen und sie dem eigenen Urteil zu unterwerfen, wie es der Tragiker Aischylos ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]456 v. Chr.) in seiner „Orestie“ klassisch beschrieben hat. „Die griechische Vernunft verdankt ihre Gestalt weniger den Verhältnissen zwischen Menschen und Dingen als den Beziehungen der Menschen untereinander, und sie hat sich nicht so sehr aus den Techniken der Bearbeitung der natürlichen Welt entwickelt als vielmehr aus den Verfahren, vermittels derer die Menschen aufeinander Einfluss nehmen und deren gemeinsames Werkzeug die Sprache ist: die Kunst des Politikers, die Kunst des Redners und des Lehrers.“[27]

Als jedoch Platon ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]347 v. Chr.) wenige Jahre nach dem Peloponnesischen Krieg seine philosophischen Dialoge verfasste, machte er für die Niederlage Athens auch die Rhetorik verantwortlich. Sie sei nichts als Täuschung und Schmeichelei und führe deshalb auch denjenigen zum Erfolg, dem Fachkenntnisse und Verantwortungsgefühl fehlen. Der Redner sei ein Nichtwissender, der allerdings unter den Nichtwissenden dafür gelte, mehr zu wissen als ein Wissender.[28] Aber seine Macht beruhe auf einer Illusion, denn häufig würde seine Eloquenz dem Staat und sogar dem Redner selbst schaden. Dieser zweifelhaften Redetechnik setzte Platon die Philosophie entgegen als das Streben nach einer Wahrheit, welche die Rhetorik nie erreichen könne noch wolle; so wie die Menschen in seinem Höhlengleichnis sich lieber mit den Schatten begnügen statt einen Blick ins Licht zu wagen.

Während sich die Rhetorik auf historische Beispiele, tradierte Normen und den gesunden Menschenverstand beruft, unterzieht Platon diese Instanzen dem dialektischen Verfahren von Analyse, Definition und Vergleich. Er möchte zum Wesen der Dinge vordringen, zu einer letzten Wahrheit jenseits aller Beweise. Statt diese Wahrheit zu vermitteln, mache die Rhetorik nur das Wahrscheinliche glauben. Sie sei nicht mehr als eine auf Erfahrung beruhende Fertigkeit. Weil sie das Nützliche durch das Angenehme ersetze, stehe sie zur Politik wie die Kochkunst zur Heilkunst. Aber bei den Menschen werde die Schmeichelei immer über die Vernunft siegen, so wie Kinder und Narren lieber einem Koch als einem Arzt folgen.

In seiner Spätschrift „Phaidros“ entwickelte Platon freilich selbst eine Rhetorik. Wenn die Überzeugungskraft eines Arguments partout von dessen Glaubhaftigkeit abhängen soll, dann möchte er zumindest darauf bestehen, dass allein die Kenntnis der Wahrheit ein Urteil darüber erlaube, was die Menschen für glaubhaft halten werden. „Bevor einer das Wahre der einzelnen Gegenstände, über die er spricht und schreibt, erkannt hat und fähig geworden ist, es als Ganzes zu bestimmen und, nachdem er es bestimmt hat, wieder nach Arten bis zum Unteilbaren zu teilen versteht, und bevor er weiter in die Natur der Seele eben solche Einsicht hat und für jede Natur die angemessene Art entdeckt, um danach die Rede einzusetzen und zu ordnen, indem er der bunten Seele bunte und klangreiche Reden, der einfachen aber einfache Reden bietet: eher wird er nicht imstande sein, mit Kunst, soweit es seiner Natur entspricht, das Geschlecht der Reden zu handhaben, weder um zu lehren noch um zu überreden, wie unsere ganze bisherige Rede kundgetan hat.“[29]

Sein Schüler Aristoteles ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]322 v. Chr.) ging noch einen Schritt weiter. Er verstand auch die Rhetorik als eine Technik des wissenschaftlichen Argumentierens und stellte sie an die Seite der Dialektik. Zwar könnten ihre auf bloßer Wahrscheinlichkeit beruhenden Argumente leicht entkräftet werden, doch auch in diesem Wechselspiel von Trugschlüssen dringe die Wahrheit schließlich durch, weil sie schlicht glaubwürdiger sei als Irrtum und Lüge. Außerdem nähere sich die Rhetorik mit ihren wahrscheinlichen Annahmen im Bereich des politischen, sozialen und psychologischen Wissens einer Wahrheit, die mit den Mitteln der Philosophie gar nicht zu gewinnen sei. „Sie ist gefragt in solchen Fällen, in denen wir beraten, ohne bestimmte Lösungsansätze bereit zu haben, und für derartige Zuhörer, die weder längere Zeit hindurch sich konzentrieren noch von einem distanzierten Standpunkt aus Überlegungen anstellen können.“[30]

Nach Aristoteles beruht die Überzeugungskraft einer Rede auf dem Redner selbst, auf den Zuhörern und auf dem Gegenstand. So dürfe der Redner seine Argumentation nicht allein auf logische Schlüsse stützen, sondern müsse sie mit historischen Beispielen, Gleichnissen oder Sprichwörtern unterfüttern, die unabhängig von einem konkreten Sachverhalt überzeugen und nicht weiter hinterfragt werden. Plausible Schlussfolgerung aus diesen allgemein anerkannten Axiomen nennt Aristoteles Enthymeme; ihnen hat er eine eigene Abhandlung gewidmet, die „Topik“. Um in jeder Situation die passenden Gesichtspunkte zu finden, müsse der Redner nicht nur mit gesellschaftlichen Normen und verbreiteten Wertvorstellungen vertraut sein, sondern sollte darüber hinaus über eine Vorstellung vom Guten, Nützlichen und Schönen verfügen.

Das wichtigste Kriterium für die Autorität und Glaubwürdigkeit eines Redners sei jedoch sein Charakter. Aristoteles meint damit nicht so sehr die psychologischen und physiologischen Merkmale eines Redners, als vielmehr seine Haltung zu den verschiedenen Aspekten einer Debatte, die in der Rede selbst und vor allem im Vortrag deutlich zum Ausdruck kommen müsse. Auch in seiner „Poetik“ trennt Aristoteles den Charakter einer Person als die Summe innerer und äußerer Attribute vom Charakter einer Rede, der einen Standpunkt offenbare. „Der Charakter ist das, was die Neigungen und deren Beschaffenheit zeigt. Daher lassen diejenigen Reden keinen Charakter erkennen, in denen überhaupt nicht deutlich wird, wozu der Redende neigt oder was er ablehnt. Die Erkenntnisfähigkeit zeigt sich, wenn die Personen darlegen, dass etwas sei oder nicht sei, oder wenn sie allgemeine Urteile abgeben.“[31]

Ethos und Enthymeme können nach Meinung von Aristoteles erst dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn psychologische und soziologische Kenntnisse es dem Redner erlauben, in einem beliebigen Publikum Affekte wie Scham, Zorn oder Mitleid niederzuschlagen oder zu entfachen. Während Aristoteles in seiner „Rhetorik“ die Disposition der Rede bloß streift, spricht er ausführlich über stilistische Fragen. Neben sprachlicher Korrektheit, Klarheit und Wohlklang betont er vor allem den Aspekt der Angemessenheit. Generell müsse der Redner einen nüchternen Stil verwenden und sich davor hüten, ins Poetische zu verfallen. Seine Sprache wirke natürlicher, wenn er knapp und präzise formuliere. Weil die Rhetorik prinzipiell auf die Instrumentalisierung von Gefühlen hinauslaufe, dürfe er während des Vortrags auch die Steuerung von Lautstärke, Tonfall und Rhythmus nicht aus den Augen verlieren.

Ungeachtet der Frage nach ihrer Legitimation war die Rhetorik in Griechenland zu einem festen Bestandteil der Allgemeinbildung und des Schulbetriebs geworden. Die kontinuierliche Beschäftigung mit ihr zeitigte zwar stilistische und systematische Verbesserungen, zog aber letztlich ihre zunehmende Erstarrung und Entfernung von der gesellschaftlichen Praxis nach sich. Der rhetorische Unterricht bestand neben der Redetechnik vor allem „aus Regeln für die Lenkung und Beeinflussung von Menschen, aus elementaren Betrachtungen über Staat und Gesellschaft und zumal aus Grundbegriffen des Straf- und Zivilrechts nebst einer juristischen Auslegungslehre.“[32]

Die Rückkehr in die große Politik gelang der Rhetorik erst in römischer Zeit, als nach dem Sieg über Makedonien im Jahre 168 v. Chr. ein Strom von griechischen Kunstschätzen und Kriegsgefangenen nach Rom flutete. Unter den Gefangenen waren etliche Rhetoriker, die den Römern die Möglichkeiten einer ausgefeilten Redekunst vor Augen führten. Doch deren Reaktion war nicht nur positiv. Wer die strengen Sitten der Vorfahren zum Maßstab seines Handelns machte, der musste dieser Wort- und Gedankenakrobatik mit Misstrauen begegnen; für den war der ideale Redner nicht ein Virtuose der Argumentation, der jede Sache zu vertreten imstande ist, sondern schlicht ein Ehrenmann, der reden kann, ein ‚vir bonus dicendi peritus‘, dem die Worte von selbst zufliegen, wenn er sich nur an die Sache hält.

Nichtsdestotrotz ließen viele Familien ihre Söhne von griechischen Lehrern unterrichten oder ermöglichten ihnen eine Studienreise in deren Heimatland. Dass die Rhetorik auch in Rom zu einem unerlässlichen Element der Allgemeinbildung und der Literatur wurde und auf dem Forum und im Senat noch eine bedeutende Rolle spielen sollte, verdankt sie kritischen Anhängern wie Marcus Tullius Cicero ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]43 v. Chr.), der von sich sagte, dass er „nicht in den Lehrstätten der Rhetoren, sondern in den Hallen der Akademie“ zum Redner geworden sei.[33]

[...]


[1] Harald Merklin, Einleitung, in: Cicero, De oratore, Stuttgart 1997, S. 3.

[2] Plutarch, Demosthenes, in: Von großen Griechen und Römern, München 1991, S. 496f.

[3] Platon, Phaidros oder Vom Schönen 56 (271c), Stuttgart 1979, S. 81.

[4] Uwe Pörksen, Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede, Stuttgart 2002, S. 13.

[5] Anhang, S. 78.

[6] Heinrich von Kleist, An Karoline von Schlieben (18. Juli 1801), in: Sämtliche Briefe, Stuttgart 1999, S. 246.

[7] Raymond Williams, Drama in einer dramatisierten Gesellschaft, in: Göttlich (Hg.), Kommunikation, S. 250.

[8] Arthur Miller, Über Politik und Schauspielkunst, in: Widerhall der Zeit. Essays, Frankfurt am Main 2003, S. 402.

[9] Joachim Knape, Was ist Rhetorik?, Stuttgart 2000, S. 31f.

[10] Horaz, Ars Poetica. Die Dichtkunst (Vers 99f.), Stuttgart 1997, S. 11.

[11] Aristoteles, Drei Bücher der Rhetorik II,1-17 (1377b-1391b), Stuttgart 1999, S. 76-117.

[12] Heinrich von Kleist, Sämtliche Erzählungen und andere Prosa, Stuttgart 1984, S. 345.

[13] Joachim Knape, Was ist Rhetorik?, Stuttgart 2000, S. 102.

[14] Denis Diderot, Autorität in der Rede und in der Schrift, in: Naumann (Hg.), Diderots Enzyklopädie, 2001, S. 61.

[15] Tacitus, Dialogus de oratoribus 39,4, Stuttgart 1981, S. 85.

[16] Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, München 1998, S. 74.

[17] Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, München 1998, S. 23.

[18] William Shakespeare, Julius Caesar III,2 (Zeile 78ff.), in: The Complete Works, New York 1968, S. 832ff.

[19] Aristoteles, Drei Bücher der Rhetorik III,17,15 (1418b), Stuttgart 1999, S. 197f.

[20] Manfred Fuhrmann, Die antike Rhetorik, Düsseldorf 2003, S. 130.

[21] Aristoteles, Drei Bücher der Rhetorik III,7,1f. (1408a), Stuttgart 1999, S. 165.

[22] Gert Ueding/Bernd Steinbrink, Grundriss der Rhetorik, Stuttgart 1994, S. 231.

[23] Georg Wöhrle, Actio. Das fünfte ‚officium‘ des antiken Redners, in: Gymnasium 97 (1990, Heft 1), S. 45.

[24] Cicero, De oratore III,214, Stuttgart 1997, S. 582.

[25] Egon Flaig, Ritualisierte Politik, Göttingen 2003, S. 111.

[26] Manfred Fuhrmann, Die antike Rhetorik, Düsseldorf 2003, S. 17.

[27] Jean-Pierre Vernant, Die Entstehung des griechischen Denkens, Frankfurt am Main 1982, S. 134f.

[28] Platon, Gorgias oder Über die Beredsamkeit 14 (459d), Stuttgart 1989, S. 21.

[29] Platon, Phaidros oder Vom Schönen 62 (277bc), Stuttgart 1979, S. 90.

[30] Aristoteles, Drei Bücher der Rhetorik I,2,12 (1357a), Stuttgart 1999, S. 15.

[31] Aristoteles, Poetik 6 (1450b), Stuttgart 1994, S. 23.

[32] Manfred Fuhrmann, Die antike Rhetorik, Düsseldorf 2003, S. 9.

[33] Cicero, Orator 12, Düsseldorf 1998, S. 13.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783956360565
ISBN (Paperback)
9783832497125
Dateigröße
8.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften, Theaterwissenschaft
Note
1,0
Schlagworte
vortrag auftritt geschichte philosophie identität
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Titel: Rollenkonflikte
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