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Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft

Der Ausschluss ausländischer Tochtergesellschaften als Organgesellschaften im Spannungsfeld der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV

©2006 Diplomarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Organschaft ist „die steuerliche Lehre von der wirtschaftlichen Einheit mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen“. Doch die Einheit endet an der Grenze. Der doppelte Inlandsbezug für Organgesellschaften und das Erfordernis eines Ergebnisübernahmevertrages im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG machen eine grenzüberschreitende Organschaft unmöglich. Aus steuerlicher Sicht verringert dieser Umstand die Attraktivität eines Auslandsengagements deutscher Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit über eine ausländische Tochtergesellschaft erweitern wollen: Die ausländischen (Anlauf-)Verluste können nicht mittels Organschaft mit dem Gewinn der deutschen Muttergesellschaft verrechnet werden. Da eine ertragsteuerliche Ergebniskonsolidierung somit ausbleibt, führt die Auslandsinvestition gegenüber einer Konzernerweiterung im Inland zu einer insgesamt höheren Steuerbelastung. Im Fehlen einer grenzüberschreitenden Verlustverrechnung sieht auch die Europäische Kommission schon lange ein Hindernis auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt.
Diese Schlechterstellung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit steht in einem Spannungsverhältnis zur Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages und bedarf daher der Überprüfung. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus aktuellem Anlass. Erst jüngst am 13.12.2005 hatte der EuGH in der Rs. Marks & Spencer speziell über die Beschränkung einer britischen Regelung über den konzernweiten Verlusttransfer („group relief“) auf Verluste inländischer Konzergesellschaften zu entscheiden. Das Gericht befand, dass es sich bei dieser Beschränkung nicht um einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit handele, soweit die Verluste ausländischer Tochtergesellschaften in deren Sitzstaaten genutzt werden könnten.
Damit hat der EuGH einer grenzenlosen Verlustberücksichtigung zwar eine Absage erteilt. Trotzdem wird nach Meinung des BMF „zu prüfen sein, ob wegen möglicher Parallelen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft die deutschen Steuerregelungen entsprechend anzupassen sind“. Wegen der Unterschiede zum „group relief“ ist zudem die Vorlage der Verlustverrechnungsbeschränkung bei der Organschaft in eigener Sache beim EuGH denkbar. Vor dem Hintergrund einer möglichen Europarechtswidrigkeit hat Österreich seine der deutschen entsprechenden Organschaft bereits letztes Jahr angepasst.
Dass das Thema der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung mit dem Urteil in der Rs. Marks & Spencer noch nicht […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 9574
Hofer, Andreas: Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft - Der
Ausschluss ausländischer Tochtergesellschaften als Organgesellschaften im
Spannungsfeld der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV
Druck Diplomica GmbH, Hamburg, 2006
Zugl.: Universität Lüneburg, Diplomarbeit, 2005
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http://www.diplom.de, Hamburg 2006
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... I
Abkürzungsverzeichnis ...V
A. Einleitung...1
B. Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen...3
I. Die deutsche körperschaftsteuerliche Organschaft ...3
1. Der Organträger...4
2. Die Organgesellschaft...5
3. Finanzielle Eingliederung ...5
4. Gewinnabführungsvertrag...6
a) Regelungsgehalt und Anforderungen an den
Gewinnabführungsvertrag...6
b) Wirksamkeit von grenzüberschreitenden
Ergebnisübernahmeverträgen...7
5. Verlustverrechnung als wesentliches Merkmal der Organschaft...8
6. Grenzüberschreitende Organschaft ...9
II. Gemeinschaftsrechtlicher Schutz im Bereich der direkten Steuern...10
1. Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Steuerrecht ...10
2. Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im Wege der
Vorabentscheidung ...11
3. Zweck und Auslegung der Grundfreiheiten...12
4. Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundfreiheiten...13
5. Die prinzipiellen Anforderungen der primärrechtlichen Grundfreiheiten.13
a) Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote...14
b) Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote ...16
6. Rechtfertigungsmöglichkeiten ...18
a) Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses ...19
aa) Die Kohärenz des Steuersystems...20
bb) Das Territorialitätsprinzip ...22
b) Verhältnismäßigkeit...24

Inhaltsverzeichnis
II
7. Sekundärrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende
Verlustnutzung ...25
C. Vereinbarkeit der Benachteiligung des Auslandsengagements
mit der Niederlassungsfreiheit...27
I. Keine Berücksichtigung von Verlusten ausländischer Tochtergesell-
schaften bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers ...27
1. Zweck und Stellenwert der steuerlichen Verlustverrechnung ...27
2. Stand der Rechtsprechung des EuGH im Bereich der
Verlustverrechnung ...29
a) Berücksichtigung ausländischer Verluste ­
Die Rs. Marks & Spencer...30
b) Weiterer Klärungsbedarf ­ Die Rs. Oy Esab ...31
3. Die Bindungswirkung von EuGH-Urteilen ...32
II. Die Überprüfung des Ausschlusses ausländischer Tochtergesellschaften
als Organgesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit...33
1. Eröffnung des Schutzbereichs...34
a) Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ...34
b) Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes...34
c) Keine abschließende Harmonisierungsvorschrift...35
d) Keine missbräuchliche Inanspruchnahme der
Niederlassungsfreiheit...35
e) Übrige Voraussetzungen ...36
f) Zwischenergebnis ...36
2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs ...36
a) Die Niederlassungsfreiheit als Freiheits- und Gleichheitsrecht ...36
b) Diskriminierung...39
aa) Vergleichspaarbildung ...39
(i) Vertikale Vergleichspaarbildung ...39
(ii) Horizontale Vergleichspaarbildung...45
bb) Offene Diskriminierung ...47
cc) Versteckte Diskriminierung...48
c) Beschränkung ...48
d) Zwischenergebnis ...50

Inhaltsverzeichnis
III
3. Rechtfertigung der Beeinträchtigung...50
a) Vermeidung von Steuermindereinnahmen...51
b) Vermeidung der Steuerflucht ...51
c) Begrenzung der Steuerhoheit ­ Das Territorialitätsprinzip ...53
aa) Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der
Besteuerungsbefugnis ...54
bb) Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung ...55
(i) Vergleichbarkeit von Verlustausgleich und
Verlustverrechnung ...59
(ii) Untergang des Verlustvortrags ...60
d) Kohärenz des Steuersystems ...60
aa) Kohärenz bei staatenübergreifendem Vorteilsausgleich ...61
bb) Kohärenz bei innerstaatlichem Vorteilsausgleich...63
e) Zwischenergebnis ...66
4. Verhältnismäßigkeit...66
5. Ergebnis ...67
D. Regelungsalternativen für die deutsche körperschaftsteuerliche
Organschaft ...68
I. Abschaffung der Organschaft ...68
1. Verfassungsrechtliche Bedenken ...68
2. Europarechtliche Bedenken ...69
II. Anpassung der Organschaftsvoraussetzungen ...70
1. Änderung der Ansässigkeitsvoraussetzungen für Organgesellschaften ...70
2. Abschaffung des Ergebnisübernahmevertrages ...70
III. Die grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung ...72
1. Grundprinzipien der Gruppenbesteuerung...73
a) Einheitskonzept ...73
b) Zurechnungskonzept...74
c) Einzelbilanzkonzept...74
2. Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung im europäischen Ausland ...75
a) Dänemark ...75
aa) Voraussetzungen der Gruppenbesteuerung ...75
bb) Rechtsfolgen der Gruppenbesteuerung ...76

Inhaltsverzeichnis
IV
b) Frankreich ...78
aa) Voraussetzungen der Gruppenbesteuerung ...79
bb) Rechtsfolgen der Gruppenbesteuerung ...79
c) Italien ...80
aa) Voraussetzungen der Gruppenbesteuerung ...80
bb) Rechtsfolgen der Gruppenbesteuerung ...81
d) Österreich ...82
aa) Voraussetzungen der Gruppenbesteuerung ...82
bb) Rechtsfolgen der Gruppenbesteuerung ...83
3. Mögliche Ausgestaltung einer neuen deutschen Gruppenbesteuerung ...84
a) Voraussetzungen der Gruppenbesteuerung...84
aa) Allgemeine formelle Voraussetzungen ...84
bb) Gruppenantrag und finanzielle Eingliederung...85
b) Rechtsfolgen der Gruppenbesteuerung ...86
aa) Beibehaltung des Zurechnungskonzepts ...86
bb) Grenzüberschreitende Gewinn- und Verlustverrechnung ...86
cc) Isolierte Verlustverrechnung und Nachversteuerung...88
dd) Zwischenergebniseliminierung...90
4. Die Societas Europeae ...92
5. Ergebnis ...92
IV. Die langfristigen Regelungskonzepte der Europäischen Kommission ...93
1. Die Sitzlandbesteuerung ...94
2. Die einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage...95
3. Die obligatorische einheitliche harmonisierte Bemessungsgrundlage ...96
E. Schlussbetrachtung ...97
I. Fazit und Ausblick...97
II. Thesenförmige Zusammenfassung...98
F. English Summary ...100
Anhang ...IX
Literaturverzeichnis ...XIII
Rechtsprechungsverzeichnis...XXI

Abkürzungsverzeichnis
V
Abkürzungsverzeichnis
a.A.
anderer Ansicht
a.F.
alte Fassung
ABl. EG
Amtsblatt der EG
Abs.
Absatz
AG
Aktiengesellschaft
AktG
Aktiengesetz
Anm.
Anmerkungen
AO
Abgabenordnung
Art.
Artikel
AStG
Außensteuergesetz
Aufl.
Auflage
BB
Betriebs-Berater (Zeitschrift)
Beschl.
Beschluss
BFH
Bundesfinanzhof
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen
BMF
Bundesministerium der Finanzen
BStBl.
Bundesteuerblatt
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
CFC
Controlled Foreign Companies
DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
DBA
Doppelbesteuerungsabkommen
ders.
derselbe
Diss.
Dissertation
DStJG
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft
DStR
Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
DStRE
DStR Entscheidungsdienst (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis
VI
EG
Europäische Gemeinschaft
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
Einl.
Einleitung
endg.
endgültig
EStG
Einkommensteuergesetz
ET
European Taxation (Zeitschrift)
EU
Europäische Union
EUR
Euro
EUV
Vertrag über die Europäische Union
f.
folgende
ff.
fortfolgende
Fn.
Fußnote
FR
Finanzrundschau (Zeitschrift)
GA, GAin
Generalanwalt, Gerneralanwältin
GewStG
Gewerbesteuergesetz
GewStR
Gewerbesteuerrichtlinien 1998
GG
Grundgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHR
GmbHRundschau (Zeitschrift)
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
i.S.d.
im Sinne des
ICTA
Income and Corporations Taxes Act (UK) 1988
IStR
Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)
IWB
Internationale Wirtschafsbriefe (Zeitschrift)
KGaA
Kommanditgesellschaft auf Aktien
KStG
Körperschaftsteuergesetz
KStR
Körperschaftsteuerrichtlinien 2004

Abkürzungsverzeichnis
VII
lit.
Buchstabe
m.E.
meines Erachtens
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
Nr.
Nummer
NZG
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)
o.g.
oben genannt
OECD-MA
OECD-Musterabkommen
zur
Vermeidung
der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen; Stand: Januar 2003
R
Richtlinie
RIW
Recht
des
internationalen
Wirtschaftsverkehrs
(Zeitschrift)
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
s.a.
so auch
s.o.
siehe oben
SE
Societas Europeae
SE-VO
Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001
über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und
des Gerichts erster Instanz
sog.
so genannt
Stbg
Die Steuerberatung (Zeitschrift)
StuW
Steuer & Wirtschaft (Zeitschrift)
SWI
Steuer & Wirtschaft International (Österreich)
(Zeitschrift)
Tz.
Textziffer

Abkürzungsverzeichnis
VIII
u.a.
unter anderem
Urt.
Urteil
v.
vom
verb.
verbunden
vgl.
vergleiche
WPg
Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)
Die mit n.n.v. gekennzeichneten EuGH-Entscheidungen und Schlussanträge der
Generalanwälte wurden noch nicht in der Sammlung der Rechtsprechung des
Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz veröffentlicht. Sie sind der Internet-
Seite des EuGH entnommen: http://www.curia.eu.int
Mitteilungen und Veröffentlichungen der Europäischen Kommission, die ohne
Angabe eines Amtsblatts zitiert werden, sind der Internet-Seite der Kommission
oder der Datenbank EUR-LEX entnommen: http://www.europa.eu.int/comm,
http://www.europa.eu.int/eur-lex/lex/de/index.htm

Einleitung
1
A. Einleitung
Organschaft ist ,,die steuerliche Lehre von der wirtschaftlichen Einheit mehrerer
rechtlich selbständiger Unternehmen".
1
Doch die Einheit endet an der Grenze. Der
doppelte Inlandsbezug für Organgesellschaften und das Erfordernis eines
Ergebnisübernahmevertrages im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG machen eine
grenzüberschreitende Organschaft unmöglich. Aus steuerlicher Sicht verringert
dieser Umstand die Attraktivität eines Auslandsengagements deutscher
Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit über eine ausländische Tochter-
gesellschaft erweitern wollen: Die ausländischen (Anlauf-)Verluste können nicht
mittels Organschaft mit dem Gewinn der deutschen Muttergesellschaft verrechnet
werden. Da eine ertragsteuerliche Ergebniskonsolidierung somit ausbleibt, führt
die Auslandsinvestition gegenüber einer Konzernerweiterung im Inland zu einer
insgesamt höheren Steuerbelastung. Im Fehlen einer grenzüberschreitenden
Verlustverrechnung sieht auch die Europäische Kommission schon lange ein
Hindernis auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt.
2
Diese Schlechterstellung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit steht
in einem Spannungsverhältnis zur Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages und
bedarf daher der Überprüfung. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus aktuellem
Anlass. Erst jüngst am 13.12.2005 hatte der EuGH in der Rs. Marks & Spencer
3
speziell über die Beschränkung einer britischen Regelung über den konzernweiten
Verlusttransfer (,,group relief") auf Verluste inländischer Konzergesellschaften zu
entscheiden. Das Gericht befand, dass es sich bei dieser Beschränkung nicht um
einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit handele, soweit die Verluste
ausländischer Tochtergesellschaften in deren Sitzstaaten genutzt werden könnten.
Damit hat der EuGH einer grenzenlosen Verlustberücksichtigung zwar eine
Absage erteilt. Trotzdem wird nach Meinung des BMF
4
,,zu prüfen sein, ob wegen
möglicher Parallelen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft die deutschen
Steuerregelungen entsprechend anzupassen sind". Wegen der Unterschiede zum
,,group relief" ist zudem die Vorlage der Verlustverrechnungsbeschränkung bei
1
Witt in: D/E/J/P/W, KStG n.F. § 14, Rn. 1
2
Vgl. ausführlich in: Europäische Kommission, Unternehmensbesteuerung im Binnenmarkt,
S. 277 ff. Zuletzt: Mitteilung der Kommission v. 24.11.2003, KOM(2003)726 endg., S. 10,
ABl. EG 2004, C 96/29
3
EuGH Urt. v. 13.12.2005, Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), n.n.v.
4
Frau Dr. Hendricks, Parlamentarische Staatssekretärin, Pressemitteilung des BMF, Nr. 135/2005
v. 13.12.2005

Einleitung
2
der Organschaft in eigener Sache beim EuGH denkbar. Vor dem Hintergrund
einer möglichen Europarechtswidrigkeit hat Österreich seine der deutschen
entsprechenden Organschaft bereits letztes Jahr angepasst.
Dass das Thema der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung mit dem Urteil in
der Rs. Marks & Spencer noch nicht abschließend behandelt ist, zeigt u.a. das
Ersuchen des finnischen Obersten Verwaltungsgerichts um Vorabentscheidung in
der Rs. Oy Esab
5
. Hier soll die Nichtanerkennung des Abzugs von zum
Verlustausgleich geleisteter sog. Konzerbeiträge einer finnischen Gesellschaft an
ihre ausländische Muttergesellschaft überprüft werden.
Ausgehend von diesen Überlegungen ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, die
Versagung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung bei der deutschen
körperschaftsteuerlichen Organschaft auf Vereinbarkeit mit der Niederlassungs-
freiheit zu überprüfen und Regelungsalternativen für eine europarechtskonforme
Gruppenbesteuerung zu entwickeln.
6
Dazu werden in einem ersten Schritt (Teil B) die Voraussetzungen der
Organschaft sowie die Ursachen für deren Begrenzung auf das Inland aufgezeigt.
Dem folgt eine Darstellung der grundlegenden dogmatischen Zusammenhänge
und Wirkungsweisen der EG-Grundfreiheiten im Bereich der direkten Steuern.
In einem zweiten Schritt (Teil C) wird anschließend an eine Übersicht über den
Stand der EuGH-Rechtsprechung zur Verlustverrechnung ausführlich geprüft, ob
die Niederlassungsfreiheit dem Ausschluss ausländischer Tochtergesellschaften
als Organgesellschaften entgegensteht.
Die Entwicklung von Regelungsalternativen ist Gegenstand des dritten Teils der
Arbeit (Teil D). Nach einer kurzen Diskussion zur Abschaffung bzw. Änderung
der Organschaft werden die Gruppenbesteuerungssysteme von Dänemark,
Frankreich, Italien und Österreich, die jeweils eine grenzüberschreitende
Verlustverrechnung ermöglichen, dargestellt, um darauf aufbauend Vorschläge
für eine kollisionsfreie deutsche Gruppenbesteuerung zu erarbeiten. Abschließend
finden sich die wichtigsten Regelungskonzepte der Europäischen Kommission.
Die Arbeit endet mit einem Ausblick und einer Zusammenfassung (Teil E).
5
Vorlage des finnischen Korkein Hallinto-oikeus v. 23.5.2005, ABl. EG 2005, C 193/17; beim
EuGH anhängig in der Rs. C-231/05 (Oy Esab).
6
Die gesamte Arbeit beschränkt sich auf Kapitalgesellschaften.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
3
B. Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
I. Die deutsche körperschaftsteuerliche Organschaft
Das deutsche Ertragsteuerrecht kennt keinen Konzern und damit kein
eigenständiges einheitliches Konzernsteuerrecht. Stattdessen halten die §§ 14 ­ 19
KStG im zweiten Teil des KStG, der sich mit dem Einkommen befasst, mit der
Organschaft eine spezialgesetzliche Regelung bereit, die der Realisierung einer
,,Einkommensgemeinschaft"
7
gleichkommt. Verpflichtet sich nämlich eine
Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft)
durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren
ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen (Organträger)
abzuführen, so ist ihr Einkommen dem Organträger zuzurechnen, § 14 KStG.
Die Wirkung dieser Rechtsfolge wird durch die Zurechnungstheorie des BFH
8
präzisiert: ,,Organträger und Organgesellschaft bleiben zivilrechtlich und
steuerrechtlich verschiedene Rechtsträger, nur das Einkommen wird dem
Organträger zugerechnet. Die Zurechnung erfolgt nicht im Rahmen der
Gewinnermittlung, sondern als Zurechnung fremden Einkommens zur
Besteuerung des (Gesamt-)Einkommens beim Organträger."
Die Ermittlung des (Gesamt-)Einkommens erfolgt über die Bruttomethode, was
zu einer Abweichung von den allgemeinen Ermittlungsgrundsätzen führt. Gemäß
§ 15 Satz 1 Nr. 1 KStG ist ein Abzug vororganschaftlicher sowie laufender
Verluste im Sinne des § 10d EStG bei der Organgesellschaft nicht zulässig.
§ 15 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 KStG erklären die Beteiligungsertragsbefreiung des
§ 8b KStG auf Ebene der Organgesellschaft für nicht anwendbar. Eine solche
außerbilanzielle Korrektur ist von der Körperschaftsteuerpflicht des Organträgers
abhängig und erfährt erst bei diesem steuerliche Auswirkung. Die Organschaft
führt damit zu einer Abweichung von dem im deutschen Steuerrecht
vorherrschenden Steuersubjektprinzip, indem sie die rechtliche Trennung
zwischen zwei verschiedenen, steuerlich selbständigen Rechtsträgern
durchbricht.
9
Dadurch gelingt eine ertragsteuerliche Ergebniskonsolidierung.
7
Frotscher in: Frotscher/Maas, § 14 KStG, Rn. 13. Die Einkommensgemeinschaft ist wegen § 16
KStG allerdings nur partiell. Die Organgesellschaft kann in Höhe von 4/3 der gezahlten
Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter eigenes zu versteuerndes Einkommen haben.
8
BFH Urt. v. 14.4.1992, BStBl. II 1992, S. 817; Urt. v. 23.1.2002, BStBl. II 2003, S. 9
9
Vgl. Neumann in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 1 ff., insb. zur Rechtfertigung für diese Abweichung.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
4
1. Der Organträger
Nur gewerbliche Unternehmen können Organträger nach §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 14
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 18 KStG sein.
10
Da im Rahmen dieser Arbeit
ausschließlich Kapitalgesellschaften betrachtet werden, sind davon allein
- unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung
im Inland, sowie
- ausländische gewerbliche Unternehmen mit einer im Handelsregister
eingetragenen inländischen Zweigniederlassung von Interesse.
Doppeltansässige Kapitalgesellschaften
11
können Organträger sein, allerdings nur,
wenn sie ihren Sitz im Ausland und ihre Geschäftsleitung im Inland haben. Diese
Einschränkung ist wohl damit zu begründen, dass bei Doppeltansässigkeit mit Sitz
im Inland (was gleichwohl auch eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht
auslösen würde) und Geschäftsleitung im Ausland die meisten DBA wegen der
sog. ,,tie-breaker-rule" (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA)
12
Deutschland regelmäßig das
Besteuerungsrecht hinsichtlich des Einkommens des Organträgers entziehen.
Dieser Umstand hätte bei einer Anerkennung der Organschaft den Verlust des
Steuerzugriffs auf das zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft zur
Folge.
Korrespondierend mit der Zulassung von doppeltansässigen Kapitalgesellschaften
als Organträger verbietet § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG diesen Organträgern die
doppelte Verlustnutzung (sog. ,,double dip").
13
Das Verlustnutzungsverbot ist
dabei auf das eigene negative Einkommen des Organträgers beschränkt.
14
10
Ausführlich zur Organträgereigenschaft: Frotscher in: Frotscher/Maas, § 14 KStG, Rn. 16-79
11
Tauglicher Organträger mit Wegfall des Wortes ,,inländisch" im § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG durch
das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG) v. 20.12.2001, BStBl. I 2002, S. 35.
12
Ist eine Kapitalgesellschaft in zwei Staaten, die ein DBA abgeschlossen haben, unbeschränkt
steuerpflichtig, wird nur dem Staat das Besteuerungsrecht eingeräumt, in dem die
Kapitalgesellschaft nach dem DBA als ansässig gilt. Dabei ist auf den Ort der tatsächlichen
Geschäftsleitung abzustellen. Der Begriff ist abkommensrechtlich auszulegen und unterscheidet
sich vom Ort der Geschäftsleitung nach § 10 AO dadurch, dass er eine engere Bindung an den
Ansässigkeitsstaat aufweist als der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Das ist mitunter
dort, wo in regelmäßiger normaler Weise die für die laufende Geschäftsführung wesentlichen
Entscheidungen getroffen werden. Danach kann eine Gesellschaft mehrere Orte der Leitung
(z.B. bei mehreren, an verschiedenen Orten stationierte Geschäftsführer) aber nur eine
tatsächliche Geschäftsleitung haben, wenngleich in vielen Fällen die geschäftliche Oberleitung
im Sinne des § 10 AO mit der tatsächlichen Geschäftsleitung übereinstimmt. Vgl. Wassermeyer
in: Debatin/Wassermeyer, Art. 4 MA, Rn. 37 f., 91 ff.
13
Damit hatte der Gesetzgeber eine dem US-Steuerrecht (,,dual consolidated loss rules")
entsprechende Regelung im Sinn, BT-Drs. 14/6882. Das Thema Organschaft und
Verlustberücksichtigung im Ausland ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Vgl. ausführlich zu
Tatbestand und Rechtsfolge von § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG: Lüdicke in: Herzig (Hrsg.),

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
5
2. Die Organgesellschaft
Organgesellschaft kann jede AG, KGaA und GmbH
15
sein, §§ 14 Abs. 1 Satz 1,
17 KStG, die ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz im Inland hat. Dieser doppelte
Inlandsbezug geht über die Inlandsanknüpfung der unbeschränkten
Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 KStG (Ort der Geschäftsleitung oder Sitz)
hinaus. Er verhindert damit, dass ausländische Kapitalgesellschaften steuerlich
wirksam Organgesellschaften sein können, selbst wenn sie in Deutschland
unbeschränkt steuerpflichtig sind.
16
3. Finanzielle Eingliederung
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG muss der Organträger an der
Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres in einem solchen Maße
beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der
Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung).
17
Die maßgebliche
Vermittlung der Stimmrechte kann ohne Additionsverbot
18
(§ 14 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 Satz 2 KStG) über unmittelbare und mittelbare Beteiligungen, auch über
ausländische Tochtergesellschaften
19
, hergestellt werden. Eine finanzielle
Eingliederung und damit die Organschaft zwischen zwei Schwestergesellschaften
ist ausgeschlossen.
20
Zur Erfüllung der zeitlichen Voraussetzung muss die
finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft von Beginn an und ununter-
Organschaft, S. 442-454. Zusammenfassend: Orth, WPg-Sonderheft 2003, S. S13 (S23). Die
Vorschrift ist wegen unklarem Tatbestand und Rechtsfolge im Schrifttum heftig kritisiert
worden, vgl. (statt vieler) Lüdicke in: Herzig (Hrsg.), Organschaft, S. 442 f. m.w.N.
14
Vgl. Lüdicke in: Herzig (Hrsg.), Organschaft, S. 455 f. Im Ergebnis kommen dabei nur ein nicht
durch DBA freigestellter ausländischer Betriebsstättenverlust des Organträgers oder bereits in
einem ausländischen Organkreis verrechnete ausländische Verluste eines doppeltansässigen
Organträgers in Frage.
15
Zwar spricht § 17 KStG von einer ,,anderen als in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichneten
Kapitalgesellschaft". Im Ergebnis kommen aber nur die GmbH, sowie die Vorgesellschaft einer
GmbH in Betracht, vgl. Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, Rn. 31 ff.; Neumann in:
Gosch, KStG, § 14 Rn. 45 ff.
16
Diese Arbeit untersucht jedoch nur den Fall, bei dem die Gesellschaft im Ausland gegründet
wurde und ausschließlich dort ansässig ist (Für den Wegzugsfall vgl. in Ansätzen: Micker, DB
2003, S. 2734). Nach Ansicht von Frotscher, Der Konzern 2003, S. 98 (100) sei es
rechtspolitisch nicht recht einzusehen, warum für die Organgesellschaft alleinige Ansässigkeit
im Inland verlangt werde, wohingegen der Organträger doppelt ansässig sein kann.
17
Maßgebend ist das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den Anteilen. Die
Mehrheit der Stimmrechte bestimmt sich nach den § 47 Abs. 1 GmbHG, § 133 Abs. 1 AktG
und ist bei einfacher Mehrheit gewährleistet, vgl. Witt in: D/E/J/W/P, KStG n.F. § 14, Rn. 46 f.
Im Unterschied zur früheren Rechtslage sind neben der finanziellen Eingliederung die
wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung nicht mehr erforderlich.
18
BMF v. 26.8.2003, V A 2 ­ S 2770 ­ 18/03, BStBl. I 2003, S. 437, Tz. 13
19
Vgl. Neumann in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 149 f. m.w.N.; Schmidt/Müller/Stöcker, Die
Organschaft, Rn. 87
20
Vgl. Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, Rn. 86

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
6
brochen während ihres ganzen Wirtschaftjahres bestehen. Da die Eingliederung an
die rein faktische Voraussetzung der Mehrheitsbeteiligung anknüpft, kann auch
eine ausländische Tochtergesellschaft problemlos bei der inländischen Mutter-
gesellschaft finanziell eingegliedert sein.
4. Gewinnabführungsvertrag
a) Regelungsgehalt und Anforderungen an den Gewinnabführungsvertrag
Der Gewinnabführungsvertrag
21
ist ein spezieller gesellschaftsrechtlicher
Unternehmensvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, mit dem sich eine
Kapitalgesellschaft
22
(Untergesellschaft) verpflichtet, ihren Gewinn an ein anderes
Unternehmen (Obergesellschaft) abzuführen. Der Gewinnabführungsvertrag wird
mit Handelsregistereintragung wirksam, muss für seine steuerliche Anerkennung
auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und während der gesamten Dauer
durchgeführt werden, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG. Ebenso bedarf es für die
Anerkennung der Organschaft der Abführung des ganzen Gewinns, § 14 Abs. 1
Satz 1 KStG. Insofern ist die Höchstgrenze des § 301 AktG auszuschöpfen und als
Gewinn der entstandene Jahresüberschuss ohne die Gewinnabführung, vermindert
um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr und um den Betrag, der nach § 300
AktG in die gesetzliche Rücklage einzustellen ist, an die Obergesellschaft
abzuführen.
23
Als Kehrseite des Anspruchs auf Gewinnabführung hat die Obergesellschaft die
Pflicht zum Ausgleich von Jahresfehlbeträgen, § 302 Abs. 1 AktG. Wegen der
Verlustausgleichspflicht soll im Folgenden zweckmäßigerweise begrifflich der
Gewinnabführungsvertrag durch den Ergebnisübernahmevertrag ersetzt werden.
24
21
Ausführlich: Frotscher in: Frotscher/Maas, § 14 KStG, Rn. 161-232d
22
Dass neben AG und KGaA auch die GmbH wirksam Untergesellschaft sein kann, ist in der
Rechtsprechung und nach h.M. anerkannt und spiegelt sich auch im § 17 KStG wieder (s.o.
Fn. 15). BGH Urt. v. 24.10.1988, BGHZ 105, S. 324; Urt. v. 30.1.1992, GmbHR 1992, S. 253.
S.a. Neumann in: Gosch, KStG, § 14, Rn. 180 m.w.N.
23
Vgl. Witt in: D/E/J/P/W, KStG n.F. § 14, Rn. 86, 96. Die Einstellung weiterer Gewinnrücklagen
ist nur in den engen Grenzen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG zulässig. Vgl. Neumann in:
Gosch, KStG, § 14, Rn. 323
24
Der allgemein gebräuchliche Ausdruck ,,Ergebnisabführungsvertrag" ist m.E. unpassend.
Neben der Gewinnabführung macht eine Abführung von Verlusten keinen Sinn. Ein Verlust ist
ein negativer Saldo zwischen Aufwendungen und Erträgen, der nicht wie Gewinn in Form von
Geld oder Sachmitteln abgeführt werden kann. Ein solcher Ausgleich kann nur durch einen von
der Verlustgesellschaft losgelösten Rechtsträger durch Verlustübernahme erfolgen. Der Begriff
der Gewinnübernahme ist m.E sprachlich korrekt. Er bezeichnet die Gewinnabführung lediglich
aus der Perspektive der Obergesellschaft. Ebenso: Neumann in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 171;
Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, § 291, Rn. 143

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
7
b) Wirksamkeit von grenzüberschreitenden Ergebnisübernahmeverträgen
Wegen der gesellschaftsrechtlichen Natur des Ergebnisübernahmevertrages ist bei
der Bestimmung des anwendbaren Rechts für Unternehmensverträge von
grenzüberschreitenden vertraglichen Unterordnungskonzernen auf das Gesell-
schaftsstatut abzustellen, Art. 37 Nr. 2 EGBGB. Maßgeblich ist dabei das
Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft, da derartige Verträge deren
Gewinnverwendung beeinflussen und damit dem Rechtsverhältnis das typische
Gepräge geben.
25
In den Fällen, in denen eine Gesellschaft in demselben Staat
gegründet worden ist, in dem sie auch ihren Hauptverwaltungssitz hat, kommt für
das Gesellschaftsstatut das Recht dieses Staates in Betracht (Art. 4 EGBGB).
26
Obergesellschaft kann jedes rechtsfähige ausländische Unternehmen sein, da die
Obergesellschaft nicht Normadressat von § 291 Abs. 1 AktG ist.
27
Die Vorschrift
spricht lediglich rechtsformneutral von einem ,,Unternehmen" (vgl. § 15 AktG).
Sie enthält daher keine Beschränkung auf eine bestimmte Rechtsform oder auf
den Ort der Ansässigkeit. Für die steuerliche Anerkennung muss die
Obergesellschaft als Organträger jedoch die Geschäftsleitung im Inland haben
oder eine Zweigniederlassung im Inland betreiben (s.o. 1).
Zwischen einer ausländischen Untergesellschaft und einer inländischen
Obergesellschaft kann ein grenzüberschreitender Ergebnisübernahmevertrag
innerhalb der EU dagegen nicht zivilrechtlich wirksam abgeschlossen werden. Es
mangelt in allen Mitgliedstaaten bis auf Portugal und Österreich an den
gesellschaftsrechtlichen Grundlagen.
28
Ein Vertragskonzern im Sinne des § 291
Abs. 1 AktG ist außerhalb Deutschlands unbekannt. Die bloße Durchführung
einer Ergebnisübernahme reicht für Organschaftszwecke jedoch nicht aus.
29
Aber selbst wenn der Abschluss eines Ergebnisübernahmevertrags
gesellschaftsrechtlich zulässig und wirksam wäre, stünde dem § 14 KStG
entgegen, der einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG
25
Vgl. Scheunemann, Grenzüberschreitende konsolidierte Konzernbesteuerung, S. 106 ff. m.w.N.;
Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, Einl. §§ 291 ff., Rn. 36
26
In den Fällen der Sitzverlegung ist zu unterscheiden, ob der Bestimmungsstaat der Sitz- oder der
Gründungstheorie
folgt.
Vgl.
Scheunemann,
Grenzüberschreitende
konsolidierte
Konzernbesteuerung, S. 109 ff, 121
27
Vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, § 291, Rn. 21.
28
Vgl. Scheunemann, Grenzüberschreitende konsolidierte Konzernbesteuerung, S. 121 ff.; S. a.
Herzig/Wagner, DB 2005, S. 1 (5)
29
Vgl. Neumann in: Gosch, KStG, § 14, Rn. 208; Frotscher in: Frotscher/Maas, § 14 KStG,
Rn. 175 f.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
8
erfordert. Vergleichbare gesellschaftsrechtliche ausländische Vorschriften
könnten also nur anerkannt werden, wenn sie in Art und Umfang den §§ 301, 302
Abs. 1 AktG entsprächen. Damit kann ein steuerlich zulässiger
Ergebnisübernahmevertrag schließlich auch nicht mit in Portugal ansässigen
Tochtergesellschaften abgeschlossen werden, weil Portugal u.a. keine
Verlustausgleichspflicht verlangt. Allein das österreichische Gesellschaftsrecht
stünde als europaweit einziges einem Ergebnisübernahmevertrag nicht entgegen.
30
Die übrigen Mitgliedstaaten der EU lassen in ihrem Gesellschaftsrecht die
Gewinnübernahme durch einen anderen Rechtsträger bei gleichzeitiger
Verpflichtung zum Verlustausgleich nicht zu. Eben das sind aber die wesentlichen
erforderlichen Merkmale eines Ergebnisübernahmevertrags.
5. Verlustverrechnung als wesentliches Merkmal der Organschaft
Die Einkommensermittlung knüpft an das handelsrechtliche Jahresergebnis der
Organgesellschaft an.
31
Da der Organträger in seiner zivilrechtlichen Funktion als
Obergesellschaft mit Abschluss des Gewinnabführungsvertrages nicht nur zur
Übernahme der Gewinne der Organgesellschaft sondern auch zum Ausgleich
etwaiger Verluste verpflichtet ist, kann das zugerechnete Einkommen positiv wie
negativ sein. Ein negatives Einkommen kann sich ausgehend von einem
Jahresüberschuss aber auch durch die steuerbilanziellen und außerbilanziellen
Korrekturen auf der ersten und zweiten Stufe der Gewinnermittlung ergeben. Das
dem Organträger nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zuzurechnende negative
Einkommen der Organgesellschaft führt damit abweichend von dem Grundsatz,
dass Verluste nur mit Gewinnen desselben Steuerpflichtigen im Rahmen des
Verlustausgleichs nach § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG ausgeglichen werden
30
Vgl. Scheunemann, Grenzüberschreitende konsolidierte Konzernbesteuerung, S. 124. Selbst in
diesem Fall verbleibt das Risiko, dass der grenzüberschreitende Ergebnisübernahmevertrag
nicht anerkannt wird, weil die deutschen aktienrechtlichen Vorschriften nicht dem Schutz
ausländischer Gesellschaften dienen können, vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum
AktG, Einl. §§ 291 ff., Rn. 50
31
Bei der Organgesellschaft beträgt das handelsbilanzielle Jahresergebnis, welches Ausgang für
die Einkommensermittlung ist, immer 0,- EUR, weil die Gewinnabführung bzw. die
Verlustübernahme in der Bilanz der Organgesellschaft als Verbindlichkeit bzw. als Forderung
ertragswirksam einzubuchen ist. Der abgeführte Gewinn ist eine steuerlich unbeachtliche
Gewinnverwendung (§ 8 Abs. 3 Satz 1 KStG), der auf der zweiten Stufe der
Einkommensermittlung der Organgesellschaft dem Jahresergebnis von 0,- EUR wieder
hinzuzurechnen ist. Der übernommene Verlust stellt eine Einlage dar, die vom Jahresergebnis
außerbilanziell abzuziehen ist. Ein Gewinn führt damit in der Regel zu einem positiven, ein
Verlust zu einem negativen zuzurechnenden Einkommen. Zur Einkommensermittlung der
Organgesellschaft mit Berechnungsschema: Witt in: D/E/J/P/W, KStG n.F. § 14, Rn. 121. S.a.
zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens: R 29 Abs. 1 KStR 2004

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
9
können, zu einem Verlustausgleich zwischen zwei verschiedenen Rechtsträgern
und Steuersubjekten. Der Organschaft kommt daher nicht nur durch den
Gewinntransfer, sondern insbesondere bzw. gerade wegen der Verlustverrechnung
zwischen zwei verschiedenen Steuersubjekten besondere Bedeutung zu. Erst die
Verlustverrechnung ermöglicht eine ertragsteuerliche Ergebniskonsolidierung.
Ohne Organschaft ist ein Ausgleich von Verlusten zwischen Kapitalgesellschaften
grundsätzlich nicht bzw. nur eingeschränkt möglich. So können Verluste einer
Tochtergesellschaft nicht durch Ausschüttungen der Muttergesellschaft
ausgeglichen werden, weil die empfangenen Bezüge der Steuerbefreiung nach
§ 8b Abs. 1 KStG unterliegen und somit steuerlich keinen mit Verlusten
verrechenbaren Ertrag darstellen. Auch scheidet eine Teilwertabschreibung auf
die Beteiligung der Tochtergesellschaft als Verlustverrechnungsmöglichkeit aus;
und zwar nicht nur, soweit es sich um Anlaufverluste oder nur vorübergehende
Verluste handelt.
32
Gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG darf sie bei der Ermittlung
des Einkommens generell nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden.
6. Grenzüberschreitende Organschaft
Eine grenzüberschreitende Organschaft mit ausländischen Tochtergesellschaften
als
Organgesellschaften
ist
nicht
möglich.
Der
Abschluss
eines
Ergebnisübernahmevertrags ist im Ausland gesellschaftsrechtlich unzulässig bzw.
nach Art und Umfang den §§ 301, 302 Abs. 1 AktG nicht gleichwertig.
Schließlich wird steuerlich nur ein Ergebnisübernahmevertrag mit einer
inländischen
Untergesellschaft
anerkannt.
Denn
bei
der
deutschen
körperschaftsteuerlichen Organschaft muss die Organgesellschaft zwingend eine
im Inland doppelt ansässige Gesellschaft sein. Die finanzielle Eingliederung ist
für ausländische Tochtergesellschaften die einzig erfüllbare Organschafts-
voraussetzung. Zwar kann der Organträger im Ausland ansässig sein, sofern sein
Ort der Geschäftsleitung im Inland ist oder die Organschaft mit seiner
Zweigniederlassung begründet wird. Eine grenzüberschreitende körperschaft-
steuerliche Organschaft mit einer ausländischen Tochtergesellschaft als
32
Sollte eine Teilwertabschreibung i.S.d. § 6 Abs, 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, § 8 Abs. 2 KStG dennoch
möglich sein, ergeben sich weitere Einschränkungen durch § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a EStG, § 8
Abs. 2 KStG. Diese Einschränkungen stehen aber bereits seit dem Vorlagebeschluss des FG
Köln, Beschluss v. 15.7.2004, FR 2004, S. 1118 zur Überprüfung mit dem Gemeinschaftsrecht,
ABl. EG 2004, C 273/10; beim EuGH anhängig in der Rs. C-347/04 (REWE Zentralfinanz)

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
10
Organgesellschaft ist aber in keinem Fall möglich. Die Einkommens-
konsolidierung, insbesondere die in der Praxis so bedeutungsvolle steuerliche
Verrechnung von Verlusten einer Tochtergesellschaft mit Gewinnen der
Muttergesellschaft durch Zurechung eines negativen Einkommens ist auf
inländische Organkreise begrenzt.
Es sei noch angemerkt, dass auch im Fall der Gewinnabführung die Versagung
der grenzüberschreitenden Organschaft Nachteile mit sich bringt: Bei einfacher
Ausschüttung des Gewinns der (ausländischen) Tochtergesellschaft an die
(inländische) Muttergesellschaft entfällt die Nichtbelastung des Vermögens-
transfers. In diesem Fall unterliegt ein solcher Beteiligungsertrag bei der
Muttergesellschaft gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG einer Pauschalbelastung in
Höhe von 5% der empfangenen Dividende.
33
II. Gemeinschaftsrechtlicher Schutz im Bereich der direkten Steuern
1. Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Steuerrecht
Mit Unterzeichnung der Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
haben sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet, zur Erreichung der in Art. 2 EGV
genannten Ziele staatliche Hoheitsbereiche an die Gemeinschaft zu übertragen.
Zwar fallen die direkten Steuern weiterhin in die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
34
,,müssen diese
[aber] ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben".
Damit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihr Steuerrecht gemeinschaftsrechts-
konform auszugestalten. Ihnen sind ihre Besteuerungskompetenzen nicht
genommen, jedoch Grenzen für deren Ausübung gesetzt.
35
33
Bei der Gewinnabführung handelt es sich um Erträge und nicht um ,,steuerfreie" Gewinnaus-
schüttungen, vgl. Kessler in: Herzig (Hrsg.), Organschaft, S. 572 ff.; Frotscher in:
Frotscher/Maas, § 14 KStG, Rn. 264. Neben der Nichtbelastung des Vermögenstransfers bringt
die Organschaft weitere Vorteile mit sich: Dazu gehören u.a. der phasengleiche Gewinntransfer,
die Vermeidung von verdeckten Gewinnausschüttungen bei der Gesellschafter-Fremdfinanzie-
rung, die Vermeidung der hälftigen Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen gemäß § 8 Nr. 1
GewStG (A 41 Abs. 1 GewStR), sowie die Vermeidung des Einbehalts von Kapitalertragsteuer.
34
EuGH Urt. v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, S. I-225 ff., Tz. 21.
Zuletzt: EuGH Urt. v. 23.2.2006, Rs. C-471/04 (Keller Holding), n.n.v., Tz. 35.
Vgl. Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, vor. Art.
39-55 EGV, Rn. 209 ff.. Für diese Arbeit bedeutet Gemeinschaftsrecht das im EG-Vertrag
selbst niedergelegte und das durch die EuGH-Rechtsprechung entwickelte ungeschriebene
primäre EG-Recht, sowie das von den EG-Organen erlassene sekundäre EG-Recht. Insgesamt
geht es also um die ,,erste Säule" des Maastrichter Unionsvertrags vom 7.2.1992.
35
Vgl. Cordewener, DStR 2004, S. 6 (9)

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
11
Kommt es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dennoch zu einer Kollision
des unmittelbar anwendbaren (gemeinschaftsrechtswidrigen) nationalen
Steuerrechts mit dem ebenfalls unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht
(besonders im Bereich der Grundfreiheiten), ist dem Gemeinschaftsrecht Vorrang
einzuräumen. Das hat zur Folge, dass das gemeinschaftsrechtswidrige nationale
Recht zwar gültig bleibt, aber insoweit nicht zur Anwendung kommt, als das
Gemeinschaftsrecht selbst unmittelbar anwendbar ist (Anwendungsvorrang).
36
Der EuGH begründet den Anwendungsvorrang damit, dass mit der Gründung der
Gemeinschaft eine eigenständige, von ihren völkerrechtlichen Grundlagen gelöste
Rechtsordnung mit eigenen Hoheitsrechten geschaffen worden sei, die den
Vorrang der Anwendung ihres Rechts beanspruchen müsse, wenn die
Rechtsgrundlagen der Gemeinschaft nicht in Frage gestellt werden sollen.
37
Da die Gemeinschaft kaum eigene Verwaltungskompetenzen hat und es auch kein
eigenes EG-Verfahrensrecht gibt, kann es ebenso zu Kollisionen zwischen
materiellem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfahrensrecht kommen. Um
diese Kollisionen insbesondere bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem
Gemeinschaftsrecht zu vermeiden, darf das nationale Verfahrensrecht für solche
Ansprüche keine geringeren Rechte gewährleisten als bei vergleichbaren
innerstaatlichen Sachverhalten (Äquivalenzgrundsatz). Es darf auch nicht derart
ausgestaltet sein, dass es die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung
eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Effektivitätsgrundsatz).
38
2. Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im Wege der Vorabentscheidung
Der EuGH und die nationalen Gerichte üben ihre rechtsprechenden Tätigkeiten
auf Grund unterschiedlicher Zuständigkeiten nebeneinander aus. Der
Rechtsschutz findet vorrangig vor den nationalen Gerichten statt.
39
Nur bei Fragen
zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts kann ein deutsches Finanzgericht und
muss der BFH diese Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen, Art. 234
36
Vgl. Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn. 9
37
EuGH Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, S. I-1251 ff. Das BVerfG leitet
einen Anwendungsvorrang aus nationalem Recht ab. Mit Übertragung von Hoheitsrechten auf
die EU (Art. 23 Abs. 1 GG) sei ein innerstaatlicher Anwendungsbefehl für primäres
Gemeinschaftsrecht erteilt worden. Dazu gehöre auch der Anwendungsvorrang als
ungeschriebene Norm des primären Gemeinschaftsrechts. Vgl. Kellersmann/Treisch,
Europäische Unternehmensbesteuerung, S. 37 f. m.w.N.
38
Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung, S. 39
39
EuGH Urt. v. 23.2.2006, C-253/03 (CLT-UFA), n.n.v., Tz. 35 f. m.w.N.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
12
EGV.
40
Im Steuerrecht sind Vorlagen über die Auslegung von Grundfreiheiten
oder Richtlinien häufig, von der die Anwendbarkeit einer steuerlichen Regelung
abhängt. Dabei ist das Vorabentscheidungsverfahren keine Verlängerung des
eigentlichen Streitverfahrens, sondern lediglich prozessuales Zwischenverfahren,
da das Urteil von dem nationalen Gericht gesprochen wird. Das Vorab-
entscheidungsverfahren hat nicht die Funktion eines Rechtsgutachtens.
41
Es darf
deshalb nicht dazu benutzt werden, um innerstaatliches Recht auszulegen oder die
Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Maßnahmen zu überprüfen.
42
Ziel der
Vorabentscheidung ist vielmehr sicherzustellen, dass das mit dem EG-Vertrag
geschaffene gemeinsame Recht auch gemeinsames Recht bleibt.
Sofern die Vorlagefrage offensichtlich nicht bereits vom EuGH in anderen
Verfahren hinreichend geklärt worden ist, ist das Vorabentscheidungsverfahren
nur zulässig, wenn die betroffene gemeinschaftsrechtliche Bestimmung für die
abschließende Würdigung des konkreten Falls erheblich ist und ernsthafte
Auslegungsbedürftigkeit bzw. Zweifelhaftigkeit der EG-Norm besteht.
43
3. Zweck und Auslegung der Grundfreiheiten
Die
fünf
Grundfreiheiten
des
EG-Vertrages
(Warenverkehrsfreiheit,
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und
Kapitalverkehrsfreiheit) bilden einen wesentlichen Teil der allgemeinen
Rechtsgrundsätze des primären Gemeinschaftsrechts, das auch als Europäisches
Verfassungsrecht bezeichnet werden kann.
44
Ihr Zweck ist die Realisierung eines
europäischen Binnenmarkts (Art. 3 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 2 EGV), der einen
40
Vgl. zur obligatorischen und fakultativen Vorlage: Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze
(Hrsg.), EUV, EGV, Art. 234 EGV, Rn. 38 ff. Der EG-Vertrag kennt mit der Aufsichts- und
Vertragsverletzungsklage (Art. 226, 227 EGV), der Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage (Art.
231, 232 EGV) und der Schadensersatzklage (Art. 235 EGV) noch weitere
Rechtsschutzmöglichkeiten, auf die aber nicht weiter eingegangen werden soll. Zwar besteht
insbesondere mit dem Vertragsverletzungsverfahren grundsätzlich eine mit dem Vorbentschei-
dungsverfahren gleichwertige Alternative zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Es gibt
der Europäischen Kommission die Möglichkeit, die Mitgliedstaaten der EU zu verklagen, wenn
sie einen von der Kommission gerügten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht beseitigen.
Vgl. Cordewener, DStR 2004, S. 6 (10). Im Bereich der direkten Steuern hat die Europäische
Kommission aber bisher nur wenig Gebrauch von dem Vertragsverletzungsverfahren gemacht.
41
EuGH Urt. v. 21.2.2006, Rs. C-152 /03 (Ritter-Coulais), n.n.v., Tz. 15 m.w.N.
42
Die nationalen Gerichte müssen daher besonders auf die abstrakte Formulierung der
Vorlagefrage achten, vgl. Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, EGV, Art.
234 EGV, Rn. 27 ff. Nach Auffassung von Cordewener, DStR 2004, S. 6 (10), habe das
Vorlageverfahren dennoch faktisch die Funktion einer konkreten Normenkontrolle.
43
Vgl. Oppermann, Europarecht, § 9, Rn. 59 ff.
44
Im Gegensatz dazu bildet das sekundäre Gemeinschaftsrecht mit seinen Verordnungen,
Richtlinien und Empfehlungen (Art. 249 Abs. 2-5 EGV) das Europäische Vertragsrecht.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
13
Teil der Maßnahmen zur Erreichung der Vertragsziele nach Art. 2 EGV darstellt.
Die Marktteilnehmer sollen ökonomisch rationale Entscheidungen unter
weitgehendem Ausschluss staatlicher Einflussnahme treffen können.
45
Zur Erreichung des Binnenmarktziels tendiert der EuGH zu einer sehr weiten
Auslegung des Schutzbereichs der Grundfreiheiten, deren Ansätze sich meist
nicht in dem Wortlaut der einzelnen Artikel wieder finden und nur durch die
umfangreiche Judikatur (,,case law") des EuGH erschlossen werden können. Der
EuGH genießt bei der Auslegung ausschließliche Zuständigkeit, und zwar nicht
nur hinsichtlich der allgemeinen Rechtsgrundsätze und damit der Grundfreiheiten,
sondern für das gesamte EG-Recht. Diese ,,autoritative Entscheidung von
Auslegungsfragen des EG-Rechts"
46
kommt vor allem im Vorabentscheidungs-
verfahren nach Art. 234 EGV, dem für die Geltung des Europarechts wichtigsten
Verfahren der EG, zum Ausdruck.
4. Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundfreiheiten
Ähnlich der Prüfung eines Verfassungsrechtsverstoßes nach deutschem Recht, ist
ein Verstoß gegen eine Grundfreiheit in einem zweistufigen Verfahren zu
ermitteln.
47
Zunächst muss der Schutzbereich der Grundfreiheit eröffnet und
beeinträchtigt sein, wobei es sich bei der Frage der Beeinträchtigung um den,
allerdings nur rechtsdogmatisch, schwierigsten Prüfungspunkt handelt. Wird ein
Eingriff in die Grundfreiheit festgestellt, schließt sich die Rechtfertigungsprüfung
an. Die Beeinträchtigung kann durch einen legitimen Zweck eines Mitgliedstaates
gerechtfertigt sein, sofern sie verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und
angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) ist, diesen Zweck zu erreichen.
5. Die prinzipiellen Anforderungen der primärrechtlichen Grundfreiheiten
Die Grundfreiheiten sind in erster Linie als Gleichheitsrechte zu verstehen, die
Diskriminierungen jeder Art aufgrund der Staatsangehörigkeit verbieten.
48
Sie
sind gleichermaßen aber auch als Freiheitsrechte ausgestaltet, die ein Verbot von
In- und Ausländer unterschiedslos betreffenden Beschränkungen enthalten.
49
Von
45
Vgl. v. Bogdany in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 14 EGV, Rn. 10
46
Oppermann, Europarecht, § 9, Rn. 54 f.
47
Vgl. Cordewener, DStR 2004, S. 6 (7)
48
Vgl. Lehner in: Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der
Unternehmensbesteuerung, S. 267 ff.
49
Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 322. Das
freiheitsrechtliche Verständnis der Grundfreiheiten befindet sich noch im Wandel und ist längst

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
14
dieser (rechtsdogmatischen) Unterscheidung darf die Tatsache nicht ablenken,
dass der EuGH insbesondere in seinen neueren Urteilen immer eine Beschränkung
annimmt, auch wenn der Sache nach eine Diskriminierung vorliegt.
50
Grundvoraussetzung für die Anwendung der Grundfreiheiten im Hinblick auf eine
zu schützende Tätigkeit ist in allen Fällen ein grenzüberschreitender Bezug.
51
a) Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote
Die Grundfreiheiten konkretisieren das allgemeine Diskriminierungsverbot auf
Grund der Staatsangehörigkeit des Art. 12 EGV. Weil sie besondere
Bestimmungen für die jeweils zu schützenden Markttätigkeiten enthalten, gehen
sie Art. 12 EGV als lex specialis vor.
52
Das allgemeine Diskriminierungsverbot,
wie auch das der Grundfreiheiten, verhilft dem Inländergleichbehandlungs-
grundsatz zur Anwendung, der besagt, dass es dem Bestimmungsstaat verboten
ist, EG-Ausländer schlechter zu behandeln als seine eigenen Angehörigen.
53
Es
liegt dabei in der gleichheitsrechtlichen Natur der Grundfreiheiten, dass diese dem
grenzüberschreitend wirtschaftlich tätigen Marktteilnehmer (,,free mover") nicht
nur die Abwehr einer Belastung, sondern auch die Teilnahme an Vorteilen
gewähren, die in einem entsprechenden inländischen Sachverhalt Berück-
sichtigung finden.
54
Die Inländergleichbehandlung in den Fällen, bei denen es sich aus Sicht des
Bestimmungsstaates um wirtschaftliche Aktivitäten bzw. Investitionen von
EG-Ausländern im Inland handelt (,,inbound"-Sachverhalte), stellt aber nur den
Mindestschutz der Grundfreiheiten dar. Nach der sich entwickelnden
nicht so gefestigt wie das gleichheitsrechtliche. Dennoch wird es vom EuGH anerkannt und die
Grundfreiheiten in diesem Sinne geprüft (s.u. B.II.5.b). Zur Umstrittenheit eines allgemeinen
freiheitsrechtlichen Charakters der Grundfreiheiten: Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische
Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn. 25 m.w.N.
50
Die Verwendung des Begriffs durch den EuGH bedeutet in den meisten Fällen, dass eine
Beeinträchtigung einer Grundfreiheit gegeben ist. Rechtstatsächlich kann es sich aber auch um
eine Diskriminierung handeln. Da in den überwiegenden Fällen ein Grundfreiheitsverstoß auf
der Rechtfertigungsebe entschieden wird, kommt einer sprachlichen Differenzierung kaum
große rechtspraktische Bedeutung zu. Für eine rechtsdogmatische Einordnung der
Grundfreiheiten ist die Unterscheidung aber erheblich. S.a. Fn. 69.
51
So der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV, nach dem die Realisierung eines gemeinsamen
Binnenmarktes, die Beseitigung von Freihverkehrshindernissen zwischen den Mitgliedstaaten
erfordert. Vgl. Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn.
20, 24; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 200 ff., 249 ff.
52
EuGH Urt. v. 13.4.2000, Rs. C-251/98 (Baars), Slg. 2000, S. I-2787 ff., Tz. 23 ff.; Urt. v.
8.3.2001, verb. Rs. C-397/98, C-410/98 (Metallgesellschaft/Hoechst), Slg. 2001, S. I-1760 ff.,
Tz. 38 ff.
53
Vgl. Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn. 19 ff.
54
Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 227 ff.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
15
Rechtsprechung des EuGH und nach einer auf die Verkehrsströme innerhalb des
Binnenmarktes ausgerichteten Interpretation der Grundfreiheiten verbieten die
Diskriminierungsverbote schon die bloße Schlechterstellung grenzüber-
schreitender Wirtschaftsprozesse.
55
Damit trifft auch den Herkunftsstaat in den
Fällen, in denen einer seiner Marktteilnehmer in einem anderen Mitgliedstaat tätig
werden will (,,outbound"-Sachverhalte), ein Verbot der Benachteiligung von
Auslands- gegenüber vergleichbaren Inlandsaktivitäten.
56
Diskriminierungen können offen oder versteckt sein.
57
Offen ist eine
Diskriminierung dann, wenn eine nationalstaatliche Regelung eine ausdrückliche
Ungleichbehandlung von Ausländern vorsieht. Versteckt ist sie, wenn eine
Regelung typischerweise zu einer Schlechterstellung von Ausländern führt.
58
Eine offene Diskriminierung mag sich häufig bereits aus dem Wortlaut der zu
betrachtenden nationalen Regelung ergeben. Tatsächlich bedarf die Feststellung
einer jeden Diskriminierung aber zunächst der Bildung eines geeigneten
Vergleichpaars zwischen dem grenzüberschreitenden Sachverhalt und einer
vergleichbar gelagerten rein hypothetischen inländischen Konstellation.
59
Dabei
dürfen sich keine objektiven Unterschiede ergeben, da diese eine ungleiche
Behandlung rechtfertigen würden.
60
Behandelt ein Staat dagegen zwei objektiv
vergleichbare Situationen ungleich oder zwei nicht vergleichbare Situationen
gleich, liegt eine (versteckte) Diskriminierung vor.
61
Von der Frage der
Vergleichbarkeit hängt damit der Fortgang der Prüfung nach einem möglichen
Grundfreiheitsverstoß einer mitgliedstaatlichen Maßnahme ab. Gleichwohl ist
eine Vergleichspaarbildung nicht wertfrei und damit problemlos möglich.
62
55
Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 227 ff.
56
Erstmals: EuGH Urt. v. 27.9.1988, Rs. C-81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, S. I-5505 ff., Tz. 16;
Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 227 ff.;
Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung, S. 146 ff.
57
Vgl. Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn. 22
58
Grundlegend: EuGH Urt. v. 12.2.1974, Rs. C-152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, S. 153 ff.
59
Vgl. Vanistendael, EC Tax Review 2003, S. 136 (136 f.)
60
EuGH Urt. v. 12.7.2005, Rs. C-403/03 (Schempp), n.n.v., Tz. 28 ff.; Urt. v. 5.7.2005, Rs.
C-376/03 (D.), Slg. 2005, S. I-6795 ff., Tz. 21 ff.; Urt. v. 29.4.1999, Rs. C-311/97 (Royal Bank
of Scotland), Slg. 1999, S. I-2651 ff., Tz. 26 ff.
61
EuGH Urt. v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, S. I-225 ff., Tz. 30; Urt. v.
12.9.2002, Rs. C-431/01 (Mertens), Slg. 2002, S. I-7075 ff., Tz. 32
62
Vgl. Tietje in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 10, Rn. 51;
Rendelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 39-55
EGV, Rn. 230. S.a. GA Maduro, Schlussanträge v. 7.4.2005 in der Rs. C-446/03 (Marks &
Spencer), n.n.v, Tz. 32, nach dessen Auffassung die Feststellung einer Vergleichbarkeit zu
,,heiklen Beurteilungen" führe.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
16
Welches Vergleichspaar schließlich objektiv richtig ist und zum Tragen kommt,
ist Ergebnis der Analyse der Normen, die die steuerliche Situation des
Betroffenen bestimmen, nicht zuletzt aber gründlicher Argumentation.
63
b) Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote
Die Grundfreiheiten haben zusätzlich freiheitsrechtliche Funktion und wirken
damit auch als Beschränkungsverbote.
64
Die Tatsache, dass drei der fünf
Grundfreiheiten bereits nach ihrem Wortlaut Beschränkungen (Art. 43, 49, 56
EGV) verbieten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in erster Linie
Diskriminierungsverbote enthalten.
Als Beschränkungsverbote verhindern sie, dass unterschiedslose, also In- und
Ausländer gleichermaßen betreffende mitgliedstaatliche Regelungen die
Inanspruchnahme und Ausübung von Grundfreiheiten behindern.
65
Das
Beschränkungsverbot ergänzt und erweitert den Schutzbereich der
Grundfreiheiten in den Fällen, wo es nicht um eine vom Bestimmungs- oder vom
Herkunftsstaat ausgehende Schlechterstellung (Diskriminierung) des ,,free
movers" geht, sondern, wo es diesem faktisch unmöglich gemacht wird, in den
Genuss der Grundfreiheiten zu kommen.
66
Das ist immer dann der Fall, wenn die
Grenzüberschreitung (Grundvoraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs
jeder Grundfreiheit) selbst behindert wird.
67
Im Verhältnis zum Diskriminierungs-
verbot greifen die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Beschränkungsverbote
also dann ein, wenn sie als Diskriminierungsverbote zwar die Gleichbehandlung
der Marktteilnehmer und damit Marktgleichheit ermöglichen, jedoch den
Marktzugang versperren. Erst dort, wo durch die Inländergleichbehandlung allein
63
Vgl. Kellersmann/Treisch, Europäische Unternehmensbesteuerung, S. 154 ff.
64
Vor allem mit seinem Urt. v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, S. I-4165 ff. hat der
EuGH allen Grundfreiheiten eine Wirkung auch als Beschränkungsverbot bescheinigt.
65
Vgl. Ehlers in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten § 7, Rn. 24
66
Etwas deutlicher wird der Unterschied, wenn man sich die Diskriminierung als rechtliche und
die Beschränkung als faktische Ungleichbehandlung vorstellt. Nach diesem Verständnis
verbieten die Grundfreiheiten nicht nur eine steuerliche Ungleichbehandlung aufgrund der
Staatsangehörigkeit oder der Ansässigkeit, sondern auch aufgrund aller sonstigen in der
Ausübung der Grundfreiheiten begründeten Besteuerungsmerkmale, vgl. Thömmes in: Herzig
(Hrsg,), Organschaft, S. 525. Das Beschränkungsverbot zielt darauf ab, insbesondere bei
,,outbound"-Sachverhalten alle Hindernisse zu beseitigen, die Marktteilnehmer bei ihrer
Betätigigung im Binnenmarkt einschränken. Vgl. Vanistendael, EC Tax Review 2003, S. 136
(139). Ihren Ursprung findet das freiheitsrechtliche Verständnis der Grundfreiheiten in dem
EuGH Urt. v. 11.7.1974, Rs. C-8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837 ff., in dem der EuGH nicht
nur mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, sondern auch alle Maßnahmen gleicher Wirkung
verboten hat. Darunter fallen jene Maßnahmen, ,,die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen
Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern".
67
Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 288 ff.

Nationale Regelungen und gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
17
die Marktöffnung noch nicht erreicht werden kann, tritt das Beschränkungsverbot
als absolutes Recht hinzu, um Behinderungen, die der Realisierung eines
Binnenmarktes entgegenstehen, dennoch beseitigen zu können.
Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen der nicht diskriminierenden
Beschränkung und der versteckten Diskriminierung ist jedoch nicht immer
möglich, u.a. schon deshalb nicht, weil eine Beschränkung mit einer
Diskriminierung verbunden sein kann. So verliert in der Praxis das Erfordernis
einer Abgrenzung zusehends an Bedeutung.
68
Die Rechtsprechung rückt von einer
noch im weitesten Sinne materiell verstandenen Ungleichbehandlung aus Gründen
der Staatsangehörigkeit und damit von einer differenzierten Diskriminierungs-
prüfung immer mehr ab und untersucht stattdessen gleich, ob eine
mitgliedstaatliche Regelung die Ausübung der Grundfreiheiten ,,unterbindet,
behindert oder weniger attraktiv macht".
69
Nach diesem Verständnis der
Beeinträchtigung wird aber nahezu jede mitgliedstaatliche Regelung, die
68
Vgl. Kokott/Henze in: Lüdicke (Hrsg.), Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung,
S. 93 f. Das erklärt auch die undifferenzierte Verwendung des Beschränkungsbegriffs in den
Urteilen des EuGH.
69
EuGH Urt. v. 31.3.1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, S. I-1663 ff., Tz. 32. Vgl. GA Maduro,
Schlussanträge v. 7.4.2005 in der Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), n.n.v. Tz. 25 ff. m.w.N.
S.a. Vanistendael, EC Tax Review 2003, S. 136 (138 f.). Darin spiegelt sich letztlich die
freiheitsrechtliche Ausweitung der Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote wieder, deren
Schutzbereich sehr viel weiter reicht als der des Diskriminierungsverbotes. Denn das Verbot der
Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit reicht allein nicht aus, um alle Ziele zu
schützen, die die Einführung eines Binnenmarkts mit sich bringt. Den Marktteilnehmern sollen
vielmehr alle mit der tatsächlichen Ausübung der Grundfreiheiten verbunden Vorteile
gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund mag es zwar insbesondere in den jüngeren
Entscheidungen des EuGH den Anschein haben, dass generell ein allgemeines
Beschränkungsverbot gilt und der EuGH auch eine Beschränkung annimmt, obwohl es sich um
eine Diskriminierung handelt. Das ist aber nur insoweit richtig, als der Frage der Reichweite
eines solchen Beschränkungsverbotes keine besondere Wirkung zukommt. Da die Anerkennung
der Grundfreiheiten auch als Beschränkungsverbote mittlerweile unstrittig ist, kommt allein der
Frage herausragende Bedeutung zu, wie weit der grundfreiheitliche Schutz reichen darf, ohne
dass er über das Ziel der Verwirklichung eines Binnenmarktes hinausschießt. Die
Grundfreiheiten sollen ja die nationalstaatlichen Rechtsordnungen nicht ablösen und dürfen
daher keinen willkürlichen Schutzbereich entfalten. Vgl. Rendelzhofer/Forsthoff in:
Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 39-55 EGV, Rn. 86 ff. In diesem
Zusammenhang ist auch die von Englisch, StuW 2003, S. 88 (89 f.) vertretene Auffassung zu
sehen, die den Grundfreiheiten eine freiheitsrechtliche Ausprägung sogar gänzlich abspricht.
Danach sei ein Freiheitsrecht ein absolut wirkendes Recht, wodurch eine bestimmter ,,Lebens-
oder Betätigungsbereich [...] von staatlicher Regulierung prinzipiell freigestellt" würde,
Englisch, StuW 2003, S. 88 (89). Als Freiheitsrecht wirkten die Grundfreiheiten dann absolut
und ohne Einschränkung ihrer Reichweite ,,vor bestimmten sich für die wirtschaftliche
Betätigung nachteilig auswirkenden nationalen Regelungen", Englisch, StuW 2003, S. 88 (90).
Die begriffliche Differenzierung zwischen Beschränkungs- und Diskriminierungsverboten ist
folglich nicht unbedingt ein rechtspraktisches Problem. Deshalb soll zur dogmatischen
Abgrenzung der freiheitsrechtlichen von der gleichheitsrechtlichen Funktion der
Grundfreiheiten an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Eine genaue Analyse findet
sich bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 175-340

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783832495749
ISBN (Paperback)
9783838695747
DOI
10.3239/9783832495749
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg – Wirtschaftsrecht
Erscheinungsdatum
2006 (Mai)
Note
1,3
Schlagworte
steuerrecht vergleichspaarbildung marks spencer gruppenbesteuerung territorialitätsprinzip
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