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Industrietourismus in Deutschland

Grundlagen, Vermarktung und Zielgruppenanalyse dargestellt am IBA-Projekt F 60 in der Niederlausitz

©2004 Magisterarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Besonders die altindustrialisierten Regionen in Deutschland stehen heutzutage vor großen strukturellen Problemen. Ihr ehemaliger Entwicklungsmotor, die (Schwer-) Industrie, ist nicht mehr in der Lage, zur Weiterentwicklung in der Region beizutragen, sondern steht vor umfangreichen Betriebsschließungen. Für die Bevölkerung in diesen Regionen ist dies mit einem tiefgreifenden Wandel ihres bisherigen Lebens verbunden. Arbeitsplatzverlust und damit der Verlust der ökonomischen Sicherheit können zu Abwanderungen führen. Die Region gerät in eine Art Schwebezustand zwischen zwei möglichen weiteren Zukunftsszenarien: Einerseits besteht die Gefahr eines Resignierens, was starke Abwanderungserscheinungen, Überalterung, keine Neuinvestitionen und einen Verlust der Lebensqualität der Bevölkerung zur Folge hätte. Andererseits besteht die Möglichkeit, die eigene Zukunft aktiv zu gestalten, indem man das Image der Region verbessert, Innovationen in die Region holt und damit die Standortattraktivität für Unternehmen und die Lebensqualität der Bevölkerung erhöht.
Alte Industrieanlagen, die als scheinbar wertlos gewordene Hüllen im Raum stehen, prägen das Landschaftsbild dieser Räume. Vom Großteil der Bevölkerung werden sie als Schandflecken und Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs angesehen und ihnen wird keinerlei Wert zugemessen. Eine Möglichkeit, diese alten Industrieanlagen und damit auch die Region dennoch zu neuem Leben zu erwecken, besteht in der touristischen Nutzung. Obwohl dieser touristischen Nutzung vielfältige Hindernisse entgegenstehen, besteht in ihr die Möglichkeit, in einer Region zum Strukturwandel beizutragen.
Herauszufinden, inwiefern dies möglich ist, welche Merkmale Besucher industrie-touristischer Projekte aufweisen und wie die industrietouristischen Angebote gestaltet werden müssen, damit sie in das Bewusstsein der Menschen rücken und sich erfolgreich auf dem Tourismusmarkt positionieren können, war Ziel dieser Arbeit.
Ausgegangen wurde von den in der Literatur dargestellten theoretischen Grundlagen zum Thema Industrietourismus. Die Arbeit beschäftigt sich vordergründig mit Tourismus in stillgelegten aber auch in noch aktiven Industriebetrieben stattfindet, wird dieser mit seinen Merkmalen im theoretischen Teil ebenfalls erläutert. Nach einer kurzen Vorstellung ausgewählter industrietouristischer Angebote und Institutionen soll an einem konkreten Projekt in der Niederlausitz, der stillgelegten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8549
Schramm, Anja: Industrietourismus in Deutschland -
Grundlagen, Vermarktung und Zielgruppenanalyse
dargestellt am IBA-Projekt F 60 in der Niederlausitz
Hamburg: Diplomica GmbH, 2005
Zugl.: Universität Potsdam, Magisterarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2005
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I Einleitung ... 5
II Theoretischer Teil ... 7
1 Begriffsklärung ... 7
1.1 Kultur und Kulturtourismus ... 7
1.2 Industrietourismus ... 8
2 Entwicklung des Industrietourismus ... 9
3 Formen des Industrietourismus ... 10
3.1 In Betrieb befindliche Industrien ... 10
3.2 Stillgelegte Industriebetriebe ... 11
4 Umgang mit Industriedenkmälern ...11
4.1 Erhalt in ihrer ursprünglichen Form ... 12
4.2 Inszenierung und Inwertsetzung ... 12
5 Barrieren von Industrietourismus ...13
5.1 Mental-kognitive Barrieren ... 13
5.2 Ökonomische Barrieren ... 14
5.3 Rechtliche, organisatorische und physische Barrieren ... 15
6 Beitrag des Industrietourismus zur Entwicklung von Regionen ... 16
6.1 Endogene Regionalentwicklung ... 16
6.2 Nachhaltigkeit ... 18
6.3 Auswirkungen von Industrietourismus ... 19
Exkurs: Situation auf dem Tourismusmarkt in Deutschland ... 21
7 Alleinstellungsmerkmale industrietouristischer Angebote ... 22
8 Zielgruppen von Industrietourismus ... 23
9 Erfolgsfaktoren der Vermarktung industrietouristischer Angebote ... 24
9.1 Vermarktungsstrategien ... 24
9.2 Profilbildung ... 26
9.3 Orientierung an verändertem Nachfrageverhalten ... 27
9.4 Angebotsgestaltung ... 28
9.4.1 Präsentation der Angebote ... 28
9.4.2 Events im Tourismus ... 29
9.4.3 Industrietouristische Routen ... 31
9.4.4 Kombination mit anderen Angeboten... 32
2

Inhaltsverzeichnis
9.5 Werbung im Industrietourismus ... 33
9.6 Kooperation ... 33
III Industrietourismus an Beispielen ... 34
1 Ausgewählte Projekte und Routen ... 34
1.1 Die Alte Völklinger Hütte ... 34
1.2 Das Bergische Städtedreieck ... 36
1.3 Die Route der Industriekultur im Ruhrgebiet ... 39
1.4 Die Europäische Route der Industriekultur ... 40
2 Netzwerke zur Profilierung und Vermarktung von Industriekultur ... 41
2.1 Deutsche Gesellschaft für Industriekultur ... 41
2.2 NEKTAR: Das Netzwerk zu Industriekultur und Tourismus in Europa .. 42
IV Empirischer Teil ... 44
1 Charakteristik des Untersuchungsgebietes ... 44
1.1 Lage und Landschaftsbild ... 44
1.2 Strukturmerkmale ... 45
1.3 Bergbaugeschichte der Niederlausitz ... 49
2 Die Abraumförderbrücke F 60 ... 49
2.1 Geschichte der Förderbrücke F 60 ... 49
2.2 Der Förderverein F 60 und die F 60 Concept GmbH ... 51
2.3 Die F 60 als Bestandteil der Internationalen Bauausstellung
Fürst-Pückler-Land ... 51
2.4 Touristisches Potenzial der F 60 und ihrer Umgebung ... 55
2.4.1 Niederlausitz ... 55
2.4.2 Das direkte Umfeld der F 60 ­ Der Bergheider See ... 56
2.4.3 Die Alleinstellungsmerkmale der F 60 ... 58
3 Die Vermarktungsstrategie der F 60 ... 58
3.1 Präsentation der F 60 ... 58
3.2 Inszenierung der F 60 ... 59
3.2.1 Licht-Klang-Installation ... 59
3.2.2 Events an der F 60 ... 60
3.3 Werbung für die F 60 ... 60
3.4 Vernetzung mit anderen Angeboten ... 62
3

Inhaltsverzeichnis
4 Auswertung der Befragung ... 63
4.1 Untersuchungsdesign ... 63
4.2 Demographische Daten ... 64
4.3 Reisebegleitung und Anreiseverkehrsmittel ... 65
4.4 Herkunftsregion der Befragten ... 66
4.5 Dauer des Aufenthalts in der Region ... 68
4.6 Interessenlage der Befragten ... 69
4.7 Werbewirksamkeit ... 70
4.8 Differenzierte Zielgruppenbetrachtung ... 72
4.8.1 Zielgruppenbetrachtung nach Altersklassen ... 72
4.8.2 Vergleich Urlauber/Kurzurlauber und Tagesausflügler ... 73
4.8.3 Vergleich der Besucherstruktur in der Woche und am
Wochenende ... 74
4.8.4 Zielgruppenabgleich IBA und F 60 ... 75
4.9 Bewertung der F 60 aus Besuchersicht ... 76
5 Entwicklung der Besucherzahl ... 78
V Zusammenfassung ... 80
1 Bewertung der Förderbrücke F 60 als industrietouristisches Angebot ... 80
1.1 Hinweise für die Angebotsgestaltung ... 80
1.2 Erfolgschancen der F 60 ... 81
1.3 Die Einordnung der F 60 in industrietouristische Angebote ... 82
2 Erfolgsaussichten von Industrietourismus ... 82
Literatur- und Quellenverzeichnis ... 84
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ... 90
Anhang ... 91
4

I Einleitung
I Einleitung
Besonders die altindustrialisierten Regionen in Deutschland stehen heutzutage vor
großen strukturellen Problemen. Ihr ehemaliger Entwicklungsmotor, die (Schwer-)
Industrie, ist nicht mehr in der Lage, zur Weiterentwicklung in der Region
beizutragen, sondern steht vor umfangreichen Betriebsschließungen. Für die
Bevölkerung in diesen Regionen ist dies mit einem tiefgreifenden Wandel ihres
bisherigen Lebens verbunden. Arbeitsplatzverlust und damit der Verlust der
ökonomischen Sicherheit können zu Abwanderungen führen. Die Region gerät in
eine Art Schwebezustand zwischen zwei möglichen weiteren Zukunftsszenarien:
Einerseits besteht die Gefahr eines Resignierens, was starke
Abwanderungserscheinungen, Überalterung, keine Neuinvestitionen und einen
Verlust der Lebensqualität der Bevölkerung zur Folge hätte. Andererseits besteht die
Möglichkeit, die eigene Zukunft aktiv zu gestalten, indem man das Image der Region
verbessert, Innovationen in die Region holt und damit die Standortattraktivität für
Unternehmen und die Lebensqualität der Bevölkerung erhöht.
Alte Industrieanlagen, die als scheinbar wertlos gewordene Hüllen im Raum stehen,
prägen das Landschaftsbild dieser Räume. Vom Großteil der Bevölkerung werden
sie als Schandflecken und Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs angesehen und
ihnen wird keinerlei Wert zugemessen. Eine Möglichkeit, diese alten
Industrieanlagen und damit auch die Region dennoch zu neuem Leben zu erwecken,
besteht in der touristischen Nutzung. Obwohl dieser touristischen Nutzung vielfältige
Hindernisse entgegenstehen, besteht in ihr die Möglichkeit, in einer Region zum
Strukturwandel beizutragen.
Herauszufinden, inwiefern dies möglich ist, welche Merkmale Besucher industrie-
touristischer Projekte aufweisen und wie die industrietouristischen Angebote gestaltet
werden müssen, damit sie in das Bewusstsein der Menschen rücken und sich
erfolgreich auf dem Tourismusmarkt positionieren können, war Ziel dieser Arbeit.
Ausgegangen wurde von den in der Literatur dargestellten theoretischen Grundlagen
zum Thema Industrietourismus. Die Arbeit beschäftigt sich vordergründig mit
Tourismus in stillgelegten Industriebetrieben und -objekten. Da Industrietourismus
5

I Einleitung
aber auch in noch aktiven Industriebetrieben stattfindet, wird dieser mit seinen
Merkmalen im theoretischen Teil ebenfalls erläutert.
Nach einer kurzen Vorstellung ausgewählter industrietouristischer Angebote und
Institutionen soll an einem konkreten Projekt in der Niederlausitz, der stillgelegten
Abraumförderbrücke F 60, die zu einem Besucherbergwerk umgestaltet wurde,
gezeigt werden, ob die im theoretischen Teil gewonnenen Erkenntnisse bezüglich
einer erfolgreichen Vermarktung und Angebotsgestaltung dort bereits Anwendung
finden und welche Merkmale und Interessen die Besucher der F 60 kennzeichnen.
Dazu wurde Ende August/Anfang September 2003 eine Besucherbefragung an der
Förderbrücke durchgeführt. Der Fragebogen ist im Anhang beigefügt.
Aus den Ergebnissen der Befragung werden Schlussfolgerungen für die
Angebotsgestaltung der Förderbrücke F 60 gezogen und Prognosen für die Zukunft
dieses Projektes gegeben.
Ob Industrietourismus auch in Zukunft ein kleines touristisches Segment bleiben wird
oder ob die Besichtigung stillgelegter Industrieanlagen künftig sich stärker auf dem
Tourismusmarkt etablieren wird und inwiefern Industrietourismus zum Strukturwandel
in altindustrialisierten Regionen beitragen kann, soll abschließend in dieser Arbeit
geklärt werden.
Es gibt bisher wenig Literatur, die sich ausschließlich mit Industrietourismus
beschäftigt. Ein Großteil der Literatur ist dem Kulturtourismus, dessen Unterform
Industrietourismus ist, zuzuordnen
1
. Aus diesen Quellen wurde versucht, die jeweils
für den Industrietourismus relevanten Punkte herauszufiltern und auf ihn
anzuwenden. Eine wichtige Quelle, besonders bezüglich einzelner Projekte und
Institutionen, war das Internet. Internetquellen werden aufgrund der Länge einiger
Links zur besseren Lesbarkeit der Arbeit zum Teil in Fußnoten angegeben. Steht
eine Quellenangabe vor dem schließenden Satzzeichen bezieht sie sich nur auf den
jeweiligen Satz, sonst gilt sie für den voranstehenden Abschnitt.
1
Genauer dazu: II 1.1 und II 1.2.
6

II Theoretischer Teil
II Theoretischer Teil
1 Begriffsklärung
1.1 Kultur und Kulturtourismus
Bevor man sich mit dem Thema Industrietourismus näher beschäftigt, ist es
notwendig, einen Blick auf den Kulturbegriff und den Kulturtourismus zu werfen, da
Industrietourismus als eine Sonderform des Kulturtourismus gesehen werden kann
(Schröder 2003, S. 214).
Der Begriff Kulturtourismus wurde erstmals Ende der 1980er Jahre in
Förderprogrammen der Europäischen Gemeinschaft
2
erwähnt und hat seitdem weite
Verbreitung gefunden. Trotzdem liegt keine allgemein anerkannte Definition vor.
(Steinecke 2002, S. 10) Entscheidend für eine Definition des Kulturtourismus ist die
Sichtweise von Kultur (Lindstädt 1994, S. 12). Im engeren, klassischen Sinn wird
unter Kultur das kunstgeschichtliche Angebot einer Region (z. B. Bauwerke, Museen)
verstanden (Lohmann 1999, S.63). Es ist jedoch notwendig, sich vom klassischen
Kulturbereich zu entfernen und sein Augenmerk vielmehr auf die Alltagskultur einer
Region zu richten (Lindstädt 1994, S. 7). Kultur durchdringt jeden Lebensbereich der
Menschen und sollte gerade unter dem Blickwinkel des Tourismus mehrdimensional
gesehen werden und nicht auf das Angebot von Musik, Theater, Ausstellungen,
Museen, Festspielen und denkmalgeschützten Bauten reduziert werden (Tötschinger
1991, S. 455-456 zit. in Lindstädt 1994, S. 9). Im weiteren Sinn wird heutzutage unter
Kultur ein breites Feld verstanden: die Besichtigung militärischer Anlagen, moderner
Bauten in Städten, Festivals, Kulturrouten, alter und neuer Industrieanlagen,
Schlösser und Burgen und schriller Events (Lohmann 1999, S.63).
Eine allen Facetten von Kultur gerecht werdende Definition des Kulturtourismus
formulierte Becker (1993, S. 8):
,,Der Kulturtourismus nutzt Bauten, Relikte und Bräuche in der Landschaft, in
Orten und in Gebäuden, um dem Besucher die Kultur-, Sozial- und
Wirtschaftsentwicklung des jeweiligen Gebietes durch Pauschalangebote,
Führungen, Besichtigungsmöglichkeiten und spezifisches Informationsmaterial
nahezubringen. Auch kulturelle Veranstaltungen dienen häufig dem
Kulturtourismus."
2
Heute: Europäische Union.
7

II Theoretischer Teil
Auch auf europäischer Ebene wird die wachsende Bedeutung der Bewahrung des
kulturellen Erbes erkannt (Lindstädt 1994, S. 13). So wird im Europäischen
Raumentwicklungskonzept der Schutz des Natur- und Kulturerbes neben der
Entwicklung eines polyzentrischen Städtesystems und einem gleichwertigen Zugang
zu Infrastruktur und Wissen als eines der drei raumentwicklungspolitischen Leitbilder
für die räumliche und siedlungsstrukturelle Entwicklung der EU genannt. Die Nutzung
des Kulturerbes als Entwicklungsgut und ein kreativer Umgang mit den
Kulturlandschaften und dem Kulturerbe einer Region werden als Zielsetzung
angesehen. (Tönnies 2001, S. 115-116)
1.2 Industrietourismus
Eine Voraussetzung für die Entwicklung eines Industrietourismus war ein Wandel in
der Auffassung des Kulturbegriffes (Boshold 1999, S. 71). Industrietourismus
,,ist Teil des Kultur-Tourismus,
geht er doch von der gewerblichen
Unternehmenskultur eines Raumes aus und versucht, Betriebe der Industrie
und des Gewerbes als Wurzeln regionaler Wirtschaft und Kultur den Gästen
dieses Raumes nahe zubringen." (Maier 1989, Vorwort)
Durch die Industrie wurden Räume stärker geprägt als durch andere anthropogene
Faktoren. Industrielle Relikte sind deshalb ebenso wie Denkmäler, Schlösser oder
Burgen ein wichtiger Informationsträger von hohem kulturellen Wert. (Schröder 2003,
S. 214)
,,Kulturtourismus in Industrielandschaften sei verstanden als eine
Tourismusform, deren wesentliches Zielobjekt Industriebetriebe selbst und die
von ihnen in charakteristischer Weise geprägten Räume sind." (Soyez 1993,
S. 41)
Diese Form wird seit etwa zwei Jahrzehnten in der deutschen, englischen und
französischen Literatur mit dem Terminus Industrietourismus bezeichnet (ebd.).
Soyez (1986, o. S. zit. in Soyez 1993, S. 41) versteht darunter solche
,,Formen der räumlichen Mobilität, die durch die Anziehungskraft ehemaliger
oder in Betrieb befindlicher Industrien auf externe Besucher ausgelöst werden
(ausgenommen sind solche Personen, die für das Funktionieren der Betriebe
erforderlich sind)."
8

II Theoretischer Teil
2 Entwicklung des Industrietourismus
Das Phänomen Industrietourismus ist nicht neu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
existierte in allen hochindustrialisierten Ländern ein Interesse an der Besichtigung
von Industrieanlagen wie alten Mühlen- und Hüttenwerken oder Besucher-
bergwerken. Bereits Christaller (1955, S. 2 zit. in Schröder 2003, S. 213) erkannte
1955 das touristische Potenzial technischer Bauten und führte wirtschaftliche
Anlagen und Einrichtungen wie Häfen, Talsperren, kühne Brücken und interessante
Gewinnungs- und Verarbeitungsstätten als Standorte des Fremdenverkehrs mit auf.
In den 1960er Jahren entstanden neue Interpretations- und Präsentationsmethoden
im Industrietourismus, die historische Zusammenhänge anschaulich darstellten und
auch die Sozialgeschichte der jeweiligen Epoche berücksichtigten. In den 1970er
Jahren verstärkte sich das Interesse an industrietouristischen Phänomenen. Vor
allem Industriedenkmale im Ruhrgebiet, Mittelengland, Harz, Österreich und der
Schweiz wurden vermehrt von Einzelreisenden und Besuchergruppen besucht.
(Wilhelm 2001, S. 37) Ausgelöst durch das Engagement ganzer Regionen wie z. B.
des Ruhrgebiets, ihre eigene Industriekultur zu schützen, wurde vermehrt
touristische Infrastruktur geschaffen (Schröder 2003, S. 213-214). Durch Initiativen
der Industriedenkmalpflege wurden zahlreiche Industrie-, Technik- und
Arbeitsmuseen gegründet.
In den USA sind unter einer einheitlichen Konzeptionierung sogar ganze Mittelstädte
mit ihren Umgebungen über Gesetze in den Status eines Nationalparks versetzt
worden. Die Zeugen der Textilindustrie, Verkehrswege und Siedlungen sind als
Ensemble und durch Museen als ,,National Heritage Corridors" erschlossen und
Bestandteil einer umfassenden und auch ökonomisch wirksamen
Tourismusentwicklung. Die Nutzung der industriellen Kulturlandschaft wird dort
schon seit mehr als 20 Jahren als Voraussetzung für einen erfolgreichen
Strukturwandel begriffen. (Wilhelm 2001, S. 37-38)
In den 1980er Jahren begannen dann auch verstärkt in West- und Mitteleuropa die
Umnutzung der Industrieanlagen und eine stärkere touristische Inwertsetzung.
Heutzutage beginnen Tourismusexperten weltweit zu erkennen, dass nicht nur
Natur-, Agrar- und Stadtlandschaften, sondern auch Industrielandschaften ein
9

II Theoretischer Teil
touristisches Potenzial haben. So gibt es bereits viele erfolgreiche Projekte in
England, Oberösterreich, USA, Schweden, Italien und nicht zuletzt in Deutschland.
(Boshold 1999, S. 71-72)
3 Formen des Industrietourismus
3.1 In Betrieb befindliche Industrien
Bei den in Betrieb befindlichen Industrien üben besonders diejenigen Betriebe eine
besondere Anziehungskraft auf Besucher aus, deren Produktionsablauf oder deren
Fertigprodukte von hohem Interesse sind, weil sie besonders spektakulär, von
hohem Gebrauchswert oder besonders schmackhaft sind (Maier 1989, S. 4).
Beispiele dafür sind die Glasproduktion im Bayrischen Wald, Autoproduktionen von
Volkswagen in Wolfsburg oder ganz allgemein die Produktion von Nahrungsmitteln.
Nach Maier (1989, S. 3) finden in produzierenden Betrieben beruflich veranlasste
Besuche, Besichtigungen durch Angehörige von Bildungseinrichtungen und sonstige
Besichtigungen statt. Bei produzierenden Anlagen überlagern und mischen sich
Freizeit- und Berufsbezogenheit. Der räumliche Einzugsbereich der Besucher ist
theoretisch sehr groß, meist jedoch beschränkt auf das regionale Umfeld. (ebd.) Die
Angebote produzierender Betriebe dienen hauptsächlich dem Ziel der
Absatzsteigerung, der unternehmerischen Zukunftssicherung und einer positiven
Imagebildung für das Unternehmen. Bei Besichtigungen besteht für die Betriebe die
Möglichkeit der direkten Kommunikation mit dem Markt und somit die Chance einer
sofortigen Rückkopplung. Der Betrieb wird ohne zwischengeschaltete Trägermedien
zum Empfänger der unmittelbaren Reaktion des Besuchers und kann neugewonnene
Informationen sofort für innerbetriebliche Entscheidungen nutzen. (Freiberger 1994,
S. 25-27) Der Marketing- und Publicitiy-Aspekt rechtfertigt meist auch den hohen
Personal-, Zeit- und Kostenaufwand (Schröder 2003, S. 216).
Die räumliche Verteilung produzierender Anlagen ist breit gestreut. Man findet sie
sowohl in Verdichtungsräumen (z. B. Bayer AG in Leverkusen) als auch in ländlichen
Gebieten (z. B. Bitburger Brauerei in der Eifel) (ebd.). Ein Anziehungsgrund, nach
Soyez (1993, S. 46) sogar der Hauptanziehungsgrund, produzierender Anlagen ist
die Möglichkeit des verbilligten Fabrikeinkaufs attraktiver Konsumwaren. Im
Gegensatz zu anderen Tourismusformen, die eindeutige Ferienaktivitäten darstellen,
10

II Theoretischer Teil
werden produzierende Anlagen größtenteils außerhalb der Ferienzeiten aufgesucht.
In den Ferienzeiten sind meist Einbrüche der Besucherzahlen zu verzeichnen.
(Schröder 2003, S. 215)
3.2 Stillgelegte Industriebetriebe
Das aktive Aufsuchen von stillgelegten Industriebetrieben (häufig auch mit dem
Begriff ,,Industrierelikte" bezeichnet) hat in Deutschland keine Tradition (Maier 1989,
S. 4). Von den meisten Menschen wird es als abwegig angesehen, dass solche
Reste der Industrialisierung einen ästhetischen, architektonischen oder kultur-
historischen Wert haben können. Eine Vorreiterfunktion in diesem Bereich hatte
Großbritannien, wo bereits seit Anfang der 1950er Jahre Industriearchäologie
betrieben wird (Freiberger 1994, S. 28). Wehdorn (1977, S. 1 zit. in Freiberger 1994,
S. 28) definiert sie als
,, ... systematische Erforschung aller dinglichen Quellen jeglicher industriellen
Vergangenheit und der Prähistorie bis zur Gegenwart".
Neben den Überresten gewerblicher Produktion werden hierbei auch Spuren
bestimmter alter Formen der landwirtschaftlichen Nutzung einbezogen. Nicht nur den
Industriebauten selbst, sondern auch den dazugehörigen Wohnbauten der Arbeiter
gilt das Interesse. Vorrang wird den Objekten selbst und nicht ihrer bildlichen
Darstellung gegeben. Das Verbreitungsmuster der Industriedenkmale sollte mit ihren
früheren Raumstrukturen übereinstimmen. (Maier 1989, S. 6) Die größte
Anziehungskraft bei den stillgelegten Industriebetrieben haben die großen Zeugen
der Montanindustrie in alten Montanregionen wie dem Saarland oder dem
Ruhrgebiet (Schröder 2003, S. 216). Stillgelegte Industriebetriebe sind im Gegensatz
zu produzierenden Betrieben nahezu ausschließlich das Ziel von klassischen
Besichtigungstouristen (Soyez 1993, S. 46).
4 Umgang mit Industriedenkmälern
Industrierelikte fungieren als Informationsträger vergangener Epochen und bieten ein
Kontrastprogramm zum herkömmlichen Erholungstourismus
(Schröder
2003,
S. 216). Daher bieten sie sich als neue touristische Ziele an. Die Zielsetzung beim
Erhalt stillgelegter Industriebetriebe sollte jedoch nicht vorrangig in der touristischen
Inwertsetzung, sondern vielmehr in der Aufgabe, Kulturgüter einer bestimmten
Wirtschafts- und Sozialepoche zu erhalten, bestehen (Freiberger 1994, S. 28). Wie
11

II Theoretischer Teil
soll man aber mit dem industrietouristischen Potenzial umgehen? Hierzu nennt
Schröder (2003, S. 216) zwei Ansätze: Einerseits den Erhalt der Industriedenkmäler
in ihrer ursprünglichen Nutzung oder andererseits eine Inszenierung und
Inwertsetzung des Industriedenkmals.
4.1 Erhalt in ihrer ursprünglichen Form
Die Denkmalpflege setzt sich dafür ein, dass Industriedenkmäler in ihrer
ursprünglichen Nutzung erhalten bleiben,
,,denn nur in der Funktion, für die sie geschaffen wurden, geben sie ein
uneingeschränktes Zeugnis für frühere Ausformungen einer bestimmten
Bauaufgabe." (Skalecki 1999, S. 27)
Jedoch können historische Industrieanlagen in den seltensten Fällen in ihren
ursprünglichen Funktionen unter veralteten technischen Bedingungen weiter genutzt
werden, da eine Unwirtschaftlichkeit die Folge wäre (ebd.). Daher müssen andere
denkmalpflegerische Strategien einsetzen, und eine Umnutzung muss stattfinden.
Die Pflege von Industriedenkmälern ist ein schwieriges Feld, da darauf geachtet
werden muss, dass Funktionszusammenhänge nicht verloren gehen.
,,Was kann denn zum Beispiel ein Fördermaschinenhaus eines Bergwerkes
noch aussagen, wenn die Fördermaschine, das Fördergerüst, die Seile, die
Kranbahn und der Maschinenstand verschwunden sind?" (Skalecki 1999,
S. 29)
Daher ist es für die Denkmalpflege und andere beteiligte Entscheidungsträger eine
schwierige Gratwanderung, die richtigen, auch wirtschaftlich noch vertretbaren
Entscheidungen, bei denen das Denkmal so authentisch wie möglich erhalten bleibt,
zu fällen.
4.2 Inszenierung und Inwertsetzung
Nahezu alle industrietouristischen Potenziale müssen inszeniert und belebt werden,
da eine bloße Zur-Schau-Stellung nicht immer das Interesse der Besucher trifft
(Fontanari/Weid 1999, S. 22). Unter Inszenierung im Tourismus versteht man die
marktorientierte Umsetzung eines tourismusrelevanten Themas mit
unterschiedlichen Einrichtungen, Akteuren, Partnern und Medien auf der Grundlage
einer klaren Handlungsanweisung (Steinecke 1997, S. 8). Gerade in der heutigen
schnelllebigen Zeit müssen Angebote durch Inszenierung belebt werden, um zu
12

II Theoretischer Teil
touristischen Destinationen zu werden (Steinecke 1999a, S. 46 zit. in Schröder 2003,
S. 216). Die Inszenierung von Industriedenkmälern kann auf zwei Arten erfolgen
(Schröder 2003, S. 216):
-
Inszenierung des Industriedenkmals: Durch Präsentationstechniken und
didaktische Aufarbeitung wird Geschichte erlebbar gemacht. So kann z. B. die
Beschallung mit Maschinengeräuschen den Eindruck der ehemaligen
Arbeitsbedingungen vermitteln.
-
Inszenierung in Industriedenkmälern: So können Industriedenkmäler als
Kulisse für Theateraufführungen, Konzerte (z. B. Rockkonzerte in
Ferropolis/Sachsen-Anhalt), Ausstellungen oder Opernaufführungen (z. B.
Nabucco an der Förderbrücke F 60 in der Lausitz) genutzt werden.
5 Barrieren von Industrietourismus
Der Weg hin zu einer touristischen Nutzung und Inwertsetzung von Industrierelikten
verläuft meist nicht geradlinig. Widerstände gegen die Inwertsetzung von
industrietouristischem Potenzial sind vielfältig und auf komplexe Weise miteinander
verknüpft. Bevor mit der Umsetzung einer touristischen Konzeption begonnen
werden kann, sind diese zu überwinden. Unabhängig von der betroffenen Region
spielen bestimmte Barrieren überall eine Rolle. Eine umfassende Übersicht dazu gibt
Soyez (1993, S. 49-56).
5.1 Mental-kognitive Barrieren
Die starke Polarisierung auf den engen Erholungsaspekt von Freizeitaktivitäten führt
bei vielen Menschen zu der Schlussfolgerung, dass Industrielandschaft keine
Erholungslandschaft sein kann. Die Auffassung, dass Industrielandschaften keinen
ästhetischen Wert haben, wenig interessant, schmutzig und gefährlich (Altlasten)
sind, ist weit verbreitet. ( ebd., S. 49) Auch die mangelnde historische Distanz zu den
Zeugen der Alltagswelt des Industriezeitalters verhindert oft, in ihnen etwas
Besonderes zu sehen. Für Menschen, die durch die Stilllegung der Betriebe mit dem
Verlust des Arbeitsplatzes direkt betroffen waren, ist es oft unverständlich, warum
gerade in die Symbole des wirtschaftlichen Niedergangs der Region Geld gesteckt
wird, anstatt in neue, zukunftsträchtigere Technologien zu investieren. Der Begriff
,,Museum" erzeugt bei den direkt Betroffenen häufig Ängste des ,,Abgestelltwerdens",
da Museen oft toten Dingen gewidmet sind und es ihnen somit erscheint, als ob ihre
13

II Theoretischer Teil
Kultur und ihr Alltagsleben als nicht mehr lebendig gelten. Bei einer Minderheit der
Bevölkerung stehen ideologische Gründe einer Inwertsetzung oder Öffnung
industrietouristischer Potenziale entgegen. Von ihnen wird die Industrie als Symbol
der Ausbeutung gesehen und bei produzierenden Unternehmen besteht der
Vorbehalt, die Öffnung des Unternehmens diene allein der Propaganda des
Unternehmens. (ebd., S. 50) Hinderlich ist, dass oft auch Verwalter industrieller
Anlagen und Entscheidungsträger und Akteure in den Regionen Opfer mental-
kognitiver Barrieren sind und demzufolge eine Inwertsetzung des Potenzials lange
Zeit blockieren oder zum Teil sogar ganz verhindern (ebd., S. 52).
5.2 Ökonomische Barrieren
Besonders schwierig ist die wirtschaftliche Abwägung einer Inwertsetzung
industrietouristischer Potenziale. Einerseits sind hierbei die Kosten für die
Inwertsetzung, andererseits eventuelle Veräußerungsgewinne, die durch den
Verkauf der Bauten, Grundstücke oder Schrott erzielt werden könnten, zu beachten
(ebd., S. 52). Es kommt hierbei auf die lokalen Rahmenbedingungen an, die sehr
unterschiedlich sein können. Alte Backsteinbauten sind relativ einfach und
kostengünstig in Museen oder Hotels umzuwandeln. Bei Anlagen der
Schwerindustrie hingegen ist dies vielfach schwieriger. Die Nutzung als
Freilichtmuseum oder historische Kulisse ist meist die einzig realistische Möglichkeit.
Eine Inwertsetzung gilt besonders dann als ökonomisches Risiko, wenn Fragen des
Korrosionsschutzes ungeklärt sind. Häufig wird davon ausgegangen, dass die
Erhaltung solcher Anlagen unbezahlbar ist. Es gibt jedoch Beispiele,
,,dass freistehende Apparaturen aus Eisen selbst in aggressiven Klimaten
noch Jahre nach der Stilllegung in der Substanz gesund und
renovierungsfähig sind". (ebd., S. 53)
Bei einem Abriss alter Industrieanlagen sind auch die Altlasten auf dem Gelände, wie
z. B. Hohlräume, zu beachten. Hiermit verbundene Probleme sind teilweise der
Grund für eine integrale Erhaltung oder Inwertsetzung.
Auch wenn bei produzierenden Unternehmen durch eine Öffnung der Produktion für
die Besucher vorrangig positive ökonomische Werte wie z. B. Umsatzerhöhungen
entstehen, ist der Industrietourismus auch für sie ein Kostenfaktor. So werden z. B.
teure Besucherführer benötigt. (ebd., S. 54-55)
14

II Theoretischer Teil
5.3 Rechtliche, organisatorische und physische Barrieren
Bei stillgelegten Anlagen liegt die Verfügungsgewalt über die Anlage häufig noch bei
dem alten Unternehmen. Rechtliche Probleme, wie z. B. die Sicherheit der Besucher
und der Versicherungsschutz, verhindern eine schnelle Inwertsetzung. Ungeklärte
Eigentumsverhältnisse nach der Stilllegung blockieren Sicherungsmaßnahmen
ebenso wie unklare rechtliche, wirtschaftliche und organisatorische Zuständigkeiten.
Auch kann es sein, dass die Fläche aufgrund großer Nachfrage für andere Projekte
benötigt wird und somit eine touristische Nutzung nicht möglich ist. (ebd., S. 55-56)
Bei produzierenden Betrieben können inner- und außerbetriebliche Ziele und
Zuständigkeiten kollidieren. Oft gibt es Abstimmungsschwierigkeiten zwischen dem
örtlichen Fremdenverkehrsbüro, das möglichst viele Besucher in den Betrieb lassen
möchte, und dem Betrieb selbst, dessen vorrangiges Ziel die Produktion ist. Dort, wo
keine eigene Abteilung für den Besucherverkehr besteht (und dies ist meist der Fall),
können innerbetriebliche Abläufe durch die Präsenz der Besucher gestört werden.
Für manche Betriebsteile kann die Besichtigung störend sein, sodass der Zugang
zum eigentlichen Betrieb auf Fachbesucher beschränkt ist und für
Besichtigungstouristen Kapazitäten abseits der produzierenden Anlagen geschaffen
wurden.
3
(ebd., S. 55)
Um diesen Widerständen entgegenzuwirken, ist es wichtig, Aufklärungs- und
Bildungsarbeit zu leisten. Nur weil man selbst Industrielandschaften nicht mit den
Begriffen ,,schön", ,,ästhetisch" oder ,,erholsam" beschreiben würde, darf nicht davon
ausgegangen werden, dass dies bei allen Menschen der Fall ist. Für Touristen sind
Landschaften dann attraktiv, wenn sie einen Erlebniswert aufweisen. Die Bewertung
ist individuell, da Attraktivität und Schönheit subjektive Begriffe sind. (Nolte 2003, S.
475) Einen Erlebniswert können Industrielandschaften mit großer Sicherheit
aufweisen.
3
So z. B. bei dem Keramikunternehmen Villeroy & Boch.
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II Theoretischer Teil
6 Beitrag des Industrietourismus zur Entwicklung von Regionen
6.1 Endogene Regionalentwicklung
Neuere Ansätze in der Regionalentwicklung besonders auf europäischer Ebene und
ein sich stark veränderndes Urlaubs- und Freizeitbewusstsein bieten traditionellen
Industrie- und Gewerbegebieten neue Marktchancen, sich touristisch zu positionieren
(Fontanari/Weid 1999, S. 11). Tourismus kann dabei als Motor für kommunale oder
regionale Entwicklungsprozesse dienen. Die sich auflösenden traditionellen
Wirtschaftsstrukturen können durch die Förderung des Tourismus kompensiert
werden. (ebd. S. 15) Industrietourismus kann eine Revitalisierungsfunktion für alte
Industrieregionen übernehmen. Er bietet die Chance, Touristen in Gegenden zu
ziehen, die bislang abseits von bekannten Tourismusrouten liegen. (Boshold 1999,
S. 73)
Besonders für Regionen, in denen die Anziehungskraft natürlicher Attraktionen
begrenzt ist, bietet der Industrietourismus ebenso wie der Kulturtourismus eine
Chance (Becker 1993, S. 7). Nach Soyez (1987, o. S. zit. in Soyez 1993, S. 42-43)
hat jeder Industrieraum in Landschaften, Ensembles und Einzelobjekten ein hohes
touristisches Anziehungspotenzial, das auf seiner Geschichtlichkeit und seinem Wert
als Informationsträger für vergangene und aktuelle Lebens- und Arbeitsverhältnisse
und damit verbundene Wirtschaftsweisen beruht. Die Inwertsetzung dieses
Potenzials kann Stabilisierungseffekte aus regionalwirtschaftlicher und
regionalpsychologischer Sicht bewirken, besonders in problembelasteten
Altindustrieräumen.
Durch ihre spezielle geschichtliche Entwicklung weisen industriell geprägte Regionen
besondere regionale Identitäten und endogene Besonderheiten auf. Daher bietet es
sich an, Industrietourismus als mögliches Instrument eigenständiger
Regionalentwicklung einzusetzen. Materielle und immaterielle endogene
industrietouristische Potenziale können bewusst aktiviert werden, um die intra- und
extraregionale Attraktivität einer Region zu steigern und dadurch positive
Entwicklungsimpulse auszulösen. (Freiberger 1994, S.19)
16

II Theoretischer Teil
Erfolgsstrategien für eine endogene Regionalentwicklung werden von Scheer (1993,
S. 127 ff) genannt
4
:
Es muss bei den vorhandenen Ressourcen und Potenzialen angesetzt
werden. Wichtig ist eine zukunftsorientierte Analyse der eigenen Stärken,
Potenziale und Talente.
Es muss eine aktive Einbeziehung aller lokalen und regionalen Aktionsträger
erfolgen. Eigenständige Regionalentwicklung ist ein breiter, aktivierender,
partizipierender Ansatz, bei dem lokale, betriebliche, berufliche und
parteipolitische Grenzen hinter einer gemeinsamen Situationsanalyse und
Zielfindung zurücktreten.
Wichtig bei der Umsetzung industrietouristischer Potenziale ist die Herstellung
eines breiten Konsens in der Anbieterregion über die regionalen Leitziele.
Dies ist meist ein langwieriger Prozess, der durch Konflikte gekennzeichnet
ist. Die Einheimischen müssen davon überzeugt werden, dass den von ihnen
für alltäglich gehaltenen Objekten ein hoher Wert zukommt. (Soyez 1993,
S. 44) Nur so ist es möglich, sich auch Besuchern gegenüber glaubhaft zu
präsentieren.
Es sollte eine Erarbeitung von integrierten Entwicklungsleitbildern erfolgen.
Diese fassen die wichtigsten strategischen Zielsetzungen und Werte der
Region zusammen. Sie sollen alle relevanten Lebensbereiche umfassen
sowie Wechselwirkungen berücksichtigen.
Entwicklungsprogramme und Entwicklungsförderung sind zu schaffen.
Entwicklungsprogramme sind strategische und operative Maßnahmenpakete
zur Verwirklichung des Leitbildes. Wichtig sind hierbei vor allem verschiedene
Projekte. Die Entwicklungsprogramme sollen Fördermittel mobilisieren.
Neue Formen der öffentlich-privaten Partnerschaft sind zu entwickeln. Die
Abstützung auf nur einen Sektor ist unzureichend.
In der Region muss das Klima für Innovation und Kooperation verbessert
werden.
,,Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen, dass eine kooperative
Verbindung zwischen Industrie und Fremdenverkehr für die
Industriebetriebe und die Regionen durchaus positive Effekte mit sich
bringen kann." (Maier 1989, S.1)
4
Wenn bei den folgenden Punkten keine anderen Quellen genannt werden, beziehen sie sich auf Scheer 1993,
S. 127 ff.
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II Theoretischer Teil
Unterstützungsstrukturen müssen aufgebaut werden. Nur mit Organisationen,
die Informationen und Know-how geben, die Prozesse in Gang bringen und
koordinieren, die eine Brückenfunktion in der Region und von der Region zur
Länder- und Bundesebene herstellen, die Finanzmittel organisieren und
Einrichtungen aufbauen, die die Projektträger beraten und das Projekt- und
Prozessmanagement übernehmen, ist eine eigenständige Regionalentwick-
lung möglich.
6.2 Nachhaltigkeit
Bei jeder Regionalentwicklung ist immer auch die Nachhaltigkeit der Maßnahmen im
Blick zu behalten. Es sind besonders die langfristig ausgerichteten,
zukunftsträchtigen Entwicklungsprojekte und Angebote zu fördern. Sie müssen
attraktiv und vielfältig sein und mit Angeboten der Nachbarorte vernetzt werden.
(Becker 1995, S. 28) Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit verlangt, dass eine
Partizipation breiter Schichten der einheimischen Bevölkerung an der
Wohlfahrtswirkung durch den Tourismus, an touristischen Entscheidungsprozessen
und an der Entwicklung entsprechender Leitbilder und Planungen erfolgt. Erhalt und
Förderung der kulturellen Eigenständigkeit sowie das Bewahren überkommener
Elemente der Regionalkultur und eine behutsame Nutzung des baulichen kulturellen
Erbes müssen erfolgen. (ebd., S. 29) Aus ökologischer Sicht ist bereits das
Wiederaufbereiten alter Bausubstanz nachhaltig (Ebert 2001, S. 119).
,,Darüber hinaus bedeutet Industrietourismus auch ökologischen Nutzen durch
die alternative Nutzung vorhandener (städtischer) ehemalig industrieller
Flächen für touristische Zwecke, statt des weiteren Verbrauchs
naturräumlicher Gebiete durch die Tourismusindustrie." (ebd.)
Ob Industrietourismus jedoch im länderübergreifenden größeren europäischen
Kontext die ökologisch bedenkliche Zahl der Fernreisen reduzieren kann, wie Ebert
(ebd.) behauptet, ist zu bezweifeln.
Aus deutscher Sicht sind als problembelastete Altindustrieräume, die das Potenzial
zu einer eigenständigen Regionalentwicklung mit Hilfe des Industrietourismus haben,
das Ruhrgebiet, das Saarland und die Lausitz zu nennen. Im Ruhrgebiet und im
Saarland wurden die industrietouristischen Potenziale bereits in den 1980er Jahren
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II Theoretischer Teil
erkannt und in industrietouristische Konzeptionen umgesetzt.
5
In der Lausitz wird seit
Ende der 1990er Jahre versucht, eine ähnliche Entwicklung mit Hilfe der
Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land herbeizuführen.
6
6.3 Auswirkungen von Industrietourismus
Die Auswirkungen des Industrietourismus auf die jeweilige Region ähneln denen des
Kulturtourismus (Steinecke 1993, S. 247; auch zit. in Weissenborn 1997,
S. 150-151):
-
Mit dem Besuch von Kulturveranstaltungen (oder eben auch von
Industrielandschaften) werden oft andere Aktivitäten verknüpft. Damit wird
auch bei Anbietern von komplementären Gütern zu einer Umsatzerhöhung
beigetragen.
-
Der Industrietourismus leistet einen positiven Beitrag zur Imagebildung des
Zielgebietes.
-
Da eine Nutzung bereits beschriebener endogener Potenziale erfolgt, ist meist
nur ein behutsamer Ausbau der Infrastruktur erforderlich.
-
Industrietourismus kann einen Beitrag zum Bewusstwerden der eigenen Kultur
der Bevölkerung und zum Entstehen eines neuen Regionalbewusstseins
leisten.
-
Es entstehen vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten für Reiseleiter und
Gästeführer.
Besonders die ökonomischen Effekte des Industrietourismus erweisen sich für
Regionen als positiv. Zu den primären Effekten des Tourismus kommen aufgrund
von Vorlieferverflechtungen und steigender Kaufkraft der Bewohner der Region noch
Sekundär- und Tertiäreffekte hinzu. Dieser Multiplikatoreffekt liegt im Tourismus bei
1,4. Somit kommen auf zehn Arbeitsplätze im Tourismus vier weitere in anderen
Wirtschaftsbereichen. (Becker 1988, S. 385 ff zit. in Becker 2002, S. 6)
Industrietouristen sind zu einem großen Teil Tagesausflügler (Hücherig 1999,
S. 280). Die Abschätzung des Tagestourismus ist jedoch schwierig. Die aktuellsten
Daten stammen aus einer bundesweiten Repräsentativbefragung von 1993 und
basieren auf 36.000 Befragungen. 1993 unternahmen die Deutschen 2,1 Mrd.
5
Vgl. III 1.1 und III 1.3.
6
Vgl. IV 2.3.
19

II Theoretischer Teil
Tagesausflüge. (Harrer u.a. 1995, S. 80 zit. in Schnell 2003, S. 279) Die
Tagesausgaben von Ausflüglern liegen durchschnittlich bei 20 EUR (Feige/Feil/
Harrer 2000, S. 116 zit. in Widmann 2003, S. 403). Wie Schnell und Potthoff (1999,
S. 50 zit. in Schnell 2003, S. 281) am Beispiel des Münsterlandes zeigen, variiert die
Ausgabenhöhe jedoch in Abhängigkeit von der Ausflugsart. Endogene
Tagesausflügler, die innerhalb des Münsterlandes wohnten, gaben weniger aus als
exogene, die außerhalb des Münsterlandes wohnten. Diese wiederum gaben
weniger aus als sekundäre Ausflügler, die als Übernachtungsgäste von ihrem
Übernachtungsstandort aus einen Tagesausflug machten. (ebd.) Die Ausgaben der
Tagesausflügler kommen vor allem dem Gastgewerbe und dem Einzelhandel zu
Gute. Die Tagesausgaben von Übernachtungsgästen betragen durchschnittlich 61
EUR (Feige/ Feil/Harrer 2000, S 116 zit. in Widmann 2003, S. 403). Da diese die
Tagesausgaben von Ausflüglern deutlich übertreffen, sollte es das Ziel jedes
(industrie-) touristischen Marketings sein, mehr Übernachtungsgäste in die jeweilige
Region zu ziehen.
Für die Bevölkerung bedeutet die touristische Entwicklung ehemaliger
Industriegebiete die Chance für einen Neubeginn. Neue Beschäftigungs-
möglichkeiten entstehen, die den Verlust der industriellen Arbeitsplätze zumindest
teilweise kompensieren können. Die Aufwertung ihrer Region in der Öffentlichkeit
kann zu einem neuen Selbstbewusstsein führen, was sich wiederum positiv auf die
Weiterentwicklung der Region auswirkt. Wenn den Bewohnern der Region die
Potenziale ihrer Region bewusst werden, kann erreicht werden, dass sich die
Bevölkerung aktiv am Umbau der ehemaligen problembelasteten Altindustriegebiete
beteiligt (Lindstädt 1994, S. 38). Durch die damit einhergehende Verbesserung der
weichen Standortfaktoren wie z. B. dem Image einer Region können neue Investoren
und damit neue Innovationen angezogen werden. Gerade Innovationen in den
zukunftsträchtigen Branchen sind wichtig.
Ob es einer Region jedoch gelingt, sich durch industrietouristische Angebote auf dem
Tourismusmarkt zu behaupten, ist abhängig von der allgemeintouristischen Situation
eines Raumes. Als alleinige touristische Attraktion zur Steigerung des
wirtschaftlichen Gewinnes in touristisch unterentwickelten Räumen ist der
Industrietourismus möglicherweise nicht ausreichend. (Maier 1989, S. 5) Durch
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832485498
ISBN (Paperback)
9783838685496
DOI
10.3239/9783832485498
Dateigröße
883 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam – Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Geographie
Erscheinungsdatum
2005 (Januar)
Note
2,0
Schlagworte
tourismus industriedenkmal kulturtourismus events internationale bauausstellung
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Titel: Industrietourismus in Deutschland
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