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Der Hauptschulabschluss an der Schule für Lernbehinderte

Vergleich zwischen Hauptschule und Sonderschule

©1999 Examensarbeit 200 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Eingliederung behinderter und sozial benachteiligter Jugendlicher in die Berufswelt stellt zweifellos das brennendste Problem der Sonderpädagogik dar. Von der Gesamtproblematik sind in hohem Maße Personen mit einer Lernbehinderung betroffen. Sie sind – zumindest vorübergehend, wenn nicht auf Dauer – von Arbeitslosigkeit bedroht.
Die Umbrüche in unserer Gesellschaft im Zuge der dritten industriellen Revolution stellen an Sonderschüler, an schwache Hauptschüler, an Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen und an Abbrecher höherer Bildungsgänge Anforderungen, denen sie heute kaum noch genügen können. Die allgemeine Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erschwert es den Jugendlichen zunehmend, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Die Arbeitslosigkeit wird weiter zunehmen, da die Industrie rationalisiert oder verlagert, derzeit nicht ausgelastet ist, der Markt weiterhin gesättigt ist und wir uns eine Fortsetzung der Wegwerfgesellschaft aus Gründen der Umwelterhaltung nicht mehr leisten dürfen.
Personalabbau und höhere Qualifikationen verlangt nicht nur die Industrie, sondern auch der tertiäre Sektor. Parallel zum rückläufigen Ausbildungsangebot steigt die Zahl der gemeldeten Bewerber deutlich an. Laut Bundesanstalt für Arbeit (1997) ist die Zunahme der Bewerber in erster Linie bedingt durch demographische Veränderungen: „Bis zum Jahr 2006 wird die Zahl der Schulabgänger bundesweit insgesamt bis zu 30 Prozent zunehmen“.
Schlagzeilen, wie „ Lehre statt Studium“, „Abiturienten verdrängen Hauptschüler von den Ausbildungsplätzen“ usw. sind immer öfter in Zeitungen zu finden. Immer weniger Abiturienten entscheiden sich für ein Studium. Stattdessen bemühen sie sich um einen Platz im dualen System – meist mit gutem Erfolg. Darüber hinaus zeigt der Trend zur Doppelqualifikation (erst Ausbildung, dann Studium) seine Auswirkungen. Laut Bundesanstalt für Arbeit (1997) stellen Schulabgänger ohne Schulabschluss mit Abstand den größten Teil (ca. 75 %) der jungen Menschen ohne Berufsausbildung dar. Rund 14 % der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 25 Jahren bleiben in den alten Ländern ohne Berufsbildungsabschluss, in den neuen Ländern sind es etwa 9 %; etwa drei Viertel dieser Personen beginnen von vornherein keine Berufsausbildung, die übrigen brechen ihre Ausbildung vorzeitig ab oder scheitern an den theoretischen Anforderungen der Berufsschule.
Diese statistisch leicht nachweisbare und immer wieder bestätigte Feststellung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7876
Sinambari, Susan: Der Hauptschulabschluss an der Schule für Lernbehinderte - Vergleich
zwischen Hauptschule und Sonderschule
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Universität Koblenz-Landau, Abt. Koblenz, Staatsexamensarbeit, 1999
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG...1
II. HAUPTTEIL...6
A
THEORETISCHER TEIL
1. PRO UND KONTRA: HAUPTSCHULABSCHLUSS ... 6
2. DIE STELLUNG DER SCHULE FÜR LERNBEHINDERTE IM
SCHULSYSTEM ... 8
3. ZUR BILDUNGSFÄHIGKEIT DER ,,LERNBEHINDERTEN" ...10
4. HISTORISCHER ÜBERBLICK ...13
4.1 Z
UM BILDUNGSPOLITISCHEN
H
INTERGRUND
...13
4.2 Z
UR
A
USGANGSSITUATION
...13
4.3 D
ER
S
CHULVERSUCH
,,F
REIWILLIGES
10. S
CHULJAHR AN DER
S
CHULE FÜR
L
ERNBEHINDERTE ZUM
E
RWERB DES
H
AUPTSCHULABSCHLUSSES
"
IN
RLP ...15
5. ALTERNATIVEN ZUR ERLANGUNG DES
HAUPTSCHULABSCHLUSSES ...19
5.1 R
ÜCKSCHULUNG MIT NACHFOLGENDEM REGULÄREM
H
AUPTSCHULABSCHLUSS
...19
5.2 S
CHULFREMDENPRÜFUNG
(N
ICHTSCHÜLERPRÜFUNG
)...20
5.3 E
RWERB DES
H
AUPTSCHULABSCHLUSSES IM
R
AHMEN DES
B
ERUFGRUND
(
BILDUNGS
)
SCHULJAHRES
(BGJ)...22
5.4 D
IE
Z
UERKENNUNG DES
H
AUPTSCHULABSCHLUSSES NACH
ABGESCHLOSSENER
B
ERUFSAUSBILDUNG
...24
6. DIE LÄNDERSPEZIFISCHEN REGELUNGEN FÜR DIE...
ERLANGUNG DES HAUPTSCHULABSCHLUSSES FÜR
LERNBEHINDERTE ...25

Inhaltsverzeichnis
II
7. DIE RECHTSLAGE IN RHEINLAND-PFALZ ZUM ERWERB DES
HAUPTSCHULABSCHLUSSES AN SCHULEN FÜR
LERNBEHINDERTE ...32
7.1 D
ER
A
UFBAU DES FREIWILLIGEN
10. S
CHULJAHRES FÜR
S
CHÜLER DER
S
CHULE FÜR
L
ERNBEHINDERTE
...32
7.1.1 Die Aufgabe... 32
7.1.2 Die Vorbereitung auf die erhöhten Anforderungen des 10. Schuljahres ... 32
7.1.3 Die Aufnahmekriterien ... 33
7.1.4 Der Stundenplan im 10. Schuljahr... 33
7.1.5 Der Lehrplan für das freiwillige 10. Schuljahr an der Schule für
Lernbehinderte ... 35
7.1.6 Didaktische und methodische Grundsätze der Unterrichtsgestaltung
im 10. Schuljahr der SfL... 39
7.2 S
CHULABSCHLUSS UND
Z
EUGNIS
...41
7.2.1 Die Feststellung des Hauptschulabschlusses in Rheinland-Pfalz... 41
7.2.2 Abgangs- und Abschlusszeugnis ... 42
8. STATISTISCHE DATEN...45
8.1 S
CHULEN FÜR
L
ERNBEHINDERTE
,
DENEN EIN FREIWILLIGES
10.
S
CHULJAHR ANGEGLIEDERT IST
...45
8.2 D
IE GESCHLECHTLICHE
V
ERTEILUNG IM FREIWILLIGEN
10. S
CHULJAHR
47
8.3 D
ER
A
USLÄNDERANTEIL IM FREIWILLIGEN
10. S
CHULJAHR
...50
8.4 S
CHULABGÄNGERSTATISTIK
...51
B EMPIRISCHER TEIL
9. ZUR ORGANISATION DER LOKALEN
VERGLEICHSUNTERSUCHUNG ...55
9.1 G
ENEHMIGUNG DER LOKALEN
V
ERGLEICHSSTUDIE
...55
9.2 I
NTENTIONEN UND
S
CHWIERIGKEITEN
...56
9.3 Z
UR
D
URCHFÜHRUNG
...58
9.3.1 Die planmäßige Gestaltung des Leistungsvergleichs in Deutsch ... 60
9.3.2 Die planmäßige Gestaltung des Leistungsvergleichs in Mathematik ... 63
9.3.3 Die planmäßige Gestaltung des Leistungsvergleichs in Arbeitslehre ... 64

Inhaltsverzeichnis
III
9.4 B
ESCHREIBUNG DER STATISTISCHEN
M
ETHODE
...67
9.4.1 Allgemeine messtheoretische Grundlagen für die statistische
Untersuchung der Schülerleistungen beider Klassen ... 67
9.4.2 Parameter einer Stichprobe ... 69
10. BESCHREIBUNG DER AUSGEWÄHLTEN SCHULEN UND DER
POPULATIONEN...76
10.1 D
IE
S
ITUATION DER
S
CHUBERT
-S
CHULE
(S
F
L)
IN
N
EUSTADT
A
.
D
. W
EINSTRAßE
...
.
76
10.2 D
IE
K
LASSE
10
DER
S
CHUBERT
-S
CHULE
...85
10.3 D
IE
H
AUPTSCHULE
-O
ST IM
S
CHULZENTRUM IN
N
EUSTADT
A
.
D
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EINSTR
. ...92
10.4 D
IE
K
LASSE
9
B DER
H
AUPTSCHULE
-O
ST IM
S
CHULZENTRUM
...95
10.5 V
ERGLEICH DER
L
EISTUNGSVORAUSSETZUNGEN DER
10. K
LASSE DER
S
CHUBERT
-S
CHULE UND DER
K
LASSE
9
B DER
H
AUPTSCHULE
-O
ST IM
S
CHULZENTRUM
...96
11. ERGEBNISSE DER VERGLEICHSUNTERSUCHUNG ...100
11.1 D
IREKTER
L
EISTUNGSVERGLEICH IM
F
ACH
D
EUTSCH
...100
11.1.1 Rechtschreibung...100
11.1.2 Grammatik...106
11.1.3 Arbeit am Text ...109
11.1.4 Der Bezug der Rechtschreibung zu den sonstigen Leistungen in Deutsch.113
11.1.5 Vergleich bestimmter Schülergruppen im Fach Deutsch...116
11.2 D
IREKTER
L
EISTUNGSVERGLEICH IN DEM
F
ACH
M
ATHEMATIK
...118
11.2.1 Kopfrechnen/ schriftliches Rechnen ...118
11.2.2 Dreisatz, Prozent- und Zinsrechnung ...122
11.2.3 Geometrie ...125
11.2.4 Bestimmte Schülergruppen im Vergleich...128
11.3 Z
USAMMENFASSENDE
V
ERGLEICHSERGEBNISSE
...130
11.4 ...D
IREKTER
L
EISTUNGSVERGLEICH IN DEM
F
ACH
A
RBEITSLEHRE IM
B
EREICH
T
ECHNISCHES
W
ERKEN
...138
12. BEFRAGUNG EHEMALIGER SCHUBERT-SCHÜLER AUS DER
10. KLASSE...142

Inhaltsverzeichnis
IV
III. SCHLUSS...148
ANLAGEN...154
Anlage 1: Anschriften der 16 Kultusministerien und
Senatsverwaltungen...154
Anlage 2: Zeugnisformulare...156
- Abschlusszeugnis der freiwilligen
10. Klasse (SfL)
- Abschlusszeugnis der 9. Klasse (HS)
Anlage 3: Anschriften der Schulen für Lernbehinderte in
Rheinland-Pfalz mit freiwilligem 10. Schuljahr...158
Anlage 4: Aufgaben- und Lösungsblätter der durchgeführten
Klassenarbeiten und Tests...160
Anlage 5: Fragebogen für die ehemaligen Entlassschüler aus der
10. Klasse...181
QUELLENNACHWEISE...184

Abkürzungsverzeichnis
V
Abkürzungsverzeichnis
Neben den üblichen Abkürzungen wie usw., v. a. oder z. B. werden in dieser Ar-
beit folgende Abkürzungen verwendet:
a. a. O.
am angegebenen Ort
AG
Arbeitsgemeinschaft
BGJ
Berufsgrund(bildungs)schuljahr
BLK
Bund-Länder-Kommission
BVJ
Berufsvorbereitungsjahr
HAWIK
Hamburg-Wechsler-Intelligenztests für Kinder
HS
Hauptschule
IQ
Intelligenzquotient
ITG
Informationstechnische Grundbildung
KM
Kultusministerium
KMK
Kultusministerkonferenz
LF
Lernfächer
L-Schule
Lernbehindertenschule
L-Schüler
Lernbehinderte Schüler
MF
Musische Fächer
NRW
Nordrhein-Westfalen
RLP
Rheinland-Pfalz
SchulG
Schulgesetz
SfL
Schule für Lernbehinderte
V-Schule
Verhaltensbehinderteschule
V-Schüler
Verhaltensbehinderteschüler
Die Kürzel der Unterrichtsfächer
M
Mitarbeit
V
Verhalten
RE
Religion
DE
Deutsch
EN
Englisch
MA
Mathematik
EK
Erdkunde
GE
Geschichte
SO
Sozialkunde
PC
Physik/ Chemie
BI
Biologie
AL
Arbeitslehre
SP
Sport
MU
Musik
BK
Bildende Kunst

I. EINLEITUNG

Einleitung
1
Zur Problemlage
Die Eingliederung behinderter und sozial benachteiligter Jugendlicher in die Be-
rufswelt stellt zweifellos das brennendste Problem der Sonderpädagogik dar.
Von der Gesamtproblematik sind in hohem Maße Personen mit einer Lernbehinde-
rung betroffen. Sie sind ­ zumindest vorübergehend, wenn nicht auf Dauer ­ von
Arbeitslosigkeit bedroht.
Die Umbrüche in unserer Gesellschaft im Zuge der dritten industriellen Revolution
stellen an Sonderschüler, an schwache Hauptschüler, an Jugendliche in berufsvor-
bereitenden Maßnahmen und an Abbrecher höherer Bildungsgänge Anforderun-
gen, denen sie heute kaum noch genügen können.
Die allgemeine Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erschwert es den Jugendlichen
zunehmend, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Die Arbeitslosigkeit
wird weiter zunehmen, da die Industrie rationalisiert oder verlagert, derzeit nicht
ausgelastet ist, der Markt weiterhin gesättigt ist und wir uns eine Fortsetzung der
Wegwerfgesellschaft aus Gründen der Umwelterhaltung nicht mehr leisten dürfen.
Personalabbau und höhere Qualifikationen verlangt nicht nur die Industrie, son-
dern auch der tertiäre Sektor.
Parallel zum rückläufigen Ausbildungsangebot steigt die Zahl der gemeldeten Be-
werber deutlich an. Laut Bundesanstalt für Arbeit (1997) ist die Zunahme der Be-
werber in erster Linie bedingt durch demographische Veränderungen: ,,Bis zum
Jahr 2006 wird die Zahl der Schulabgänger bundesweit insgesamt bis zu 30 Pro-
zent zunehmen" (S.60).
Schlagzeilen, wie ,, Lehre statt Studium", ,,Abiturienten verdrängen Hauptschüler
von den Ausbildungsplätzen" usw. sind immer öfter in Zeitungen zu finden. Im-
mer weniger Abiturienten entscheiden sich für ein Studium. Stattdessen bemühen
sie sich um einen Platz im dualen System ­ meist mit gutem Erfolg. Darüber hin-
aus zeigt der Trend zur Doppelqualifikation (erst Ausbildung, dann Studium) seine
Auswirkungen.
Laut Bundesanstalt für Arbeit (1997) stellen Schulabgänger ohne Schulabschluss
mit Abstand den größten Teil (ca. 75 %) der jungen Menschen ohne Berufsausbil-
dung dar. Rund 14 % der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 25 Jahren bleiben
in den alten Ländern ohne Berufsbildungsabschluss, in den neuen Ländern sind es
etwa 9 %; etwa drei Viertel dieser Personen beginnen von vornherein keine Be-
rufsausbildung, die übrigen brechen ihre Ausbildung vorzeitig ab oder scheitern an
den theoretischen Anforderungen der Berufsschule (vgl. Bundesanstalt für Arbeit,
1997).
Diese statistisch leicht nachweisbare und immer wieder bestätigte Feststellung
muss sehr ernst genommen und darf nicht unterschätzt werden.

Einleitung
2
Die Folgen:
Die genannten Entwicklungen verschärfen die Konkurrenzbedingungen auf dem
Ausbildungsstellenmarkt. Von einem Verdrängungswettbewerb sind vor allem
Schulabgänger unterer Bildungsgänge betroffen. Selbst Schüler, die ,,nur" einen
Hauptschulabschluss haben, bleiben häufig auf der Strecke und ohne Schulab-
schluss sind die Chancen der Schulabgänger auf dem Arbeitsmarkt ganz gering.
Als Folge des Drucks und der Misere auf dem Ausbildungsstellenmarkt können
beim Übergang von der Schule zur Lehre sogenannte ,,Warteschleifen" entstehen:
Immer mehr Jugendliche nehmen an Förderlehrgängen teil, besuchen das Berufs-
vorbereitungsjahr (BVJ) oder Berufsfachschulen. Beck (1986, zitiert nach Hiller,
1997) ist der Auffassung, dass berufsvorbereitende Maßnahmen wie Förder- und
Eingliederungslehrgänge keine echte berufsqualifizierende Funktion haben, son-
dern aus arbeitsmarktpolitischen Gründen vorrangig die Funktion eines Auffang-
beckens zu haben scheinen.
Den Politikern aller Parteien ist der Ernst der Lage mittlerweile bekannt. Sie wis-
sen: Ausbildungsmisere, Jugendarbeitslosigkeit und wachsende Kriminalität
(rechtsradikale Vereinigungen, Drogenkonsum usw.) stehen in engem Zusammen-
hang. Armut alleine macht nicht kriminell. Doch wer keine Lehrstelle und keine
Arbeit findet, immer zuschauen muss, wie sich einige scheinbar alles leisten kön-
nen, der gerät leicht in Gefahr, sich das zu nehmen, was er braucht, notfalls auch
auf kriminelle Weise. Die zunehmende Gewaltbereitschaft unter Heranwachsen-
den ist jedenfalls besorgniserregend: Diebstähle, Sachbeschädigungen, aber auch
Erpressungen und Körperverletzungen sind häufig genannte Delikte.
Eins steht fest: Wo die soziale Integration junger Menschen gelingt, gibt es weni-
ger Täter. Klaffen die sozialen Gegensätze auseinander, ist zwangsläufig eine stei-
gende Jugendkriminalität vorprogrammiert.
Abgrenzung des Themas, Nennung und Begrün-
dung der gewählten Vorgehensweise
Auf dem Ausbildungs- und Arbeitsstellenmarkt ist die Position der Schulabgänger
ohne Hauptschulabschluss deutlich schlechter als die der erfolgreichen Hauptschü-
ler. Der fehlende Hauptschulabschluss bedeutet eine Barriere für das berufliche
Fortkommen.
In der SfL muss man mit Schülern rechnen, für die das Regelschulkonzept zu an-
spruchsvoll ist, die aber dennoch über das Niveau der L-Schule hinaus förderbar
sind, so dass sie einen weiterführenden Schulabschluss erreichen können.

Einleitung
3
Viele L-Schulen haben bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, dem
Wandel in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt Rechnung zu tragen, indem sie
ihren Schülern einen Hauptschulabschluss an der SfL ermöglichen. Damit sind
diese Schüler auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger als früher gegenüber de-
nen mit (,,normalem") Hauptschulabschluss.
Die Lernbehinderten haben in RLP genau wie die Regelschüler eine 9-jährige
Schulpflicht. Darüber hinaus gibt es in RLP eine flächendeckende Regeleinrich-
tung des freiwilligen 10. Schuljahres an ausgewählten L-Schulen. Schüler der SfL
haben die Möglichkeit, in einem weiteren freiwilligen 10. Schuljahr zum Haupt-
schulabschluss geführt zu werden.
Meine Arbeit besteht aus einem Theorie- und einem Praxisteil.
Das Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die Institution des freiwilligen 10. Schul-
jahres an der SfL zum Erwerb des Hauptschulabschlusses in RLP umfassend zu
beschreiben und anschließend zu bewerten.
Meinen eigentlichen Ausführungen über diese Einrichtung stelle ich eine Erörte-
rung über die Bedeutung des Hauptschulabschlusses voran (Kap. 1). Anschließend
gehe ich auf die Stellung der SfL im Schulsystem (Kap. 2) und auf die Bildungs-
fähigkeit der L-Schüler (Kap. 3) ein.
Die theoretische Darstellung meiner Arbeit beinhaltet einen historischen (Kap. 4),
rechtlichen (Kap. 7) und statistischen Überblick (Kap. 8).
Die Frage nach dem 10. Schuljahr außerhalb der Sonderschule ist nicht ausdrück-
lich gestellt, dennoch zeige ich in Kap. 5 Alternativen zum Erwerb des Haupt-
schulabschlusses auf. In Kap. 6 werden von mir die Besonderheiten der einzelnen
Bundesländer zusammengestellt, der Schwerpunkt meiner Arbeit bezieht sich aber
auf die Regelungen in RLP.
Schwierigkeiten, die sich bei der Beschaffung der Informationen ergaben, werden
gegebenenfalls in den entsprechenden Kapiteln angesprochen.
Erst nachdem die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss an der SfL zu absolvie-
ren, vorgestellt ist, soll die Frage nach der tatsächlichen Gleichwertigkeit gestellt
werden.
Dabei möchte ich in meiner Arbeit aber nicht auf der Stufe der theoretischen Dar-
stellung des freiwilligen 10. Schuljahres an der SfL stehenbleiben. Wichtig ist mir
eine praktische, wenn auch nur punktuelle, Vergleichsstudie zwischen einer
10. Klasse aus der SfL und einer 9. Klasse aus der HS. Nach erfolgreichem Be-
such der 10. Klasse der SfL bzw. der 9. Klasse der HS wird den Schülern die glei-
che Qualifikation verliehen, nämlich der Hauptschulabschluss (Berufsreife).

Einleitung
4
Die Frage nach der Gleichwertigkeit des angeblich gleichen Abschlusses an zwei
verschiedenen Schularten liegt geradezu auf der Hand.
Mittels Klassenarbeiten und praktischen Aufgaben möchte ich das Leistungsni-
veau einer 9. Klasse der Hauptschule mit dem Leistungsniveau einer 10. Klasse
der SfL vergleichen.
Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um eine Genehmigung für eine derartige
Untersuchung vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung zu
erhalten, werden zu Beginn des empirischen Teils der Arbeit beschrieben, ebenso
weitere organisatorische Maßnahmen, die die Vergleichsuntersuchung erfordert
(Kap. 9). Nach der Planung der Durchführung des Versuchs schließt sich eine Be-
schreibung der ausgewählten Schulen und Populationen an (Kap. 10). Die Ergeb-
nisse der Untersuchungen werden vergleichend zusammengestellt und interpretiert
(Kap. 11).
Da der Leistungsstand nur punktuell überprüft werden kann, kann er nur Tenden-
zen erkennbar werden lassen und nicht die volle Breite der Hauptschulbildung
repräsentieren.
Die lokale Studie in zwei Klassen an zwei verschiedenen Schularten in Neustadt
erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Vielmehr bietet sie Anregungen, die
Gleichwertigkeit des Hauptschulabschlusses an der SfL auf landesweiter oder gar
bundesweiter Basis zu prüfen und zu konstatieren, was im Rahmen (der recht eng
befristeten Zeit) einer wissenschaftlichen Prüfungsarbeit nicht durchführbar ist.
Nach der Darstellung der theoretischen und empirischen Daten werde ich versu-
chen, die Ergebnisse aufeinander zu beziehen und zusammenzufassen. Dabei wer-
de ich Schlussfolgerungen sowohl aus den theoretischen Darstellungen als auch
aus den Untersuchungsergebnissen ziehen und versuchen, die oben aufgeworfene
Frage nach der Gleichwertigkeit des Hauptschulabschlusses an der SfL zu dem
regulären Hauptschulabschluss zu beantworten. Für die abschließende Bewertung
des freiwilligen 10. Schuljahres werden auch Aussagen ehemaliger Entlassschüler
aus der 10. Klasse der SfL (Kap. 12) hinzugezogen.
Mit einer Gesamtreflexion und einem Ausblick schließe ich meine Arbeit ab.
Zur Bezeichnung von Personengruppen wähle ich aus Gründen der Einfachheit
und besseren Lesbarkeit im gesamten Text die maskuline Form.

Einleitung
5
Beweggründe/ Motivationen
Aus früheren Erhebungen (s. Kap. 3) ist bekannt, dass sich die Streubreite der Er-
gebnisse der Intelligenztests Lernbehinderter mit den Werten der Hauptschüler,
insbesondere mit den Werten der schlechten Hauptschüler, überlappt.
Die Ursachen für die Überschneidungsbereiche bei den Schülergruppen aufzude-
cken, soll kein primäres Anliegen in dieser Arbeit darstellen. Vielmehr soll ermit-
telt werden, ob solche ,,Grenzfälle", die, aus welchen Gründen auch immer, die
Sonderschule besuchen, im freiwilligen 10. Schuljahr an der SfL den
Hauptschulabschluss erwerben können. Ferner ist zu prüfen, ob dieser
Hauptschulabschluss dem ,,echten" Hauptschulabschluss, abgesehen vom Fach
Englisch, vom Leistungsniveau her in etwa gleichwertig ist.
Bei vielen Menschen existiert nämlich die Vorstellung eines ,,zweitklassigen"
Hauptschulabschlusses, den die Schüler der SfL erwerben können.
Einwände, die Zweifel an der Qualität des im freiwilligen 10. Schuljahr an der SfL
erworbenen Hauptschulabschlusses nähren, sollen einer kritischen Prüfung unter-
zogen und auf ihre Berechtigung hin überprüft werden.
Im Blockpraktikum II bekam ich die Chance, an eine SfL mit der Institution eines
freiwilligen 10. Schuljahres zu kommen.
Mit den o. g. Gedanken im Hinterkopf absolvierte ich das Blockpraktikum II in
der 10. Klasse der Schubert-Schule (SfL) in Neustadt. Während einer Klassenar-
beit in Mathematik stellte sich mir die Frage, ob diese Arbeit den Anforderungen
einer 9. Klasse in der HS entsprechen würde. Wären Hauptschüler damit unter-
oder gar überfordert?
In einer 9. Klasse der HS befinden sich Schüler unterschiedlichen Leistungsstan-
des. Die 10. Klasse der SfL wird nur von einer ,,Elite" aus verschiedenen Schulen
aus dem Umkreis der SfL besucht. Die 9. Klasse der HS muss im zweiten Schul-
halbjahr auf ihre besten Schüler verzichten, weil diese in einer gesonderten Vor-
laufklasse auf das 10. Schuljahr an der HS vorbereitet werden, das sie zum Erwerb
der mittleren Reife führt.
Zu dieser Arbeit motiviert mich v. a. die Frage nach der Lern- und Bildungsfähig-
keit ,,lernbehinderter" Schüler. Des Weiteren ist es für mich von großem Interesse,
wie man die erfolgreiche Teilnahme am freiwilligen 10. Schuljahr, die zum Er-
werb des Hauptschulabschlusses (Berufsreife) führt, feststellen kann.
Die Antwort auf diese Fragen liegt nicht auf der Hand, da es in RLP keine einheit-
liche Abschlussprüfung, weder an Haupt- noch an Sonderschulen gibt, die den
Hauptschulabschluss objektiv feststellt.
Zweifel an der Gleichwertigkeit des Hauptschulabschlusses an der SfL und des
Hauptschulabschlusses an der HS sind demnach berechtigt und sollen in dieser
Arbeit kritisch geprüft werden.

II. HAUPTTEIL
A. THEORETISCHER TEIL

Kapitel 1: Pro und Kontra: Hauptschulabschluss
6
1.
Pro und Kontra: Hauptschulabschluss
Meine wissenschaftliche Prüfungsarbeit möchte ich mit einer Erörterung über die
heutige
Bedeutung und Funktion des Hauptschulabschlusses eröffnen.
Die Hauptschule stellt für alle Schüler, die nicht auf eine höhere weiterführende
Schule wechseln, die Pflichtschule dar, die mit dem 9. bzw. 10. Schuljahr endet
und den Einstieg in die Ausbildungs- und Berufswelt sichern soll.
Ein besonderes Anliegen der Hauptschule ist es, die Schüler auf den Einstieg in
den Beruf vorzubereiten. Schüler mit Hauptschulabschluss sollen ­ früher als
Schüler anderer weiterführender Schularten ­ zur Arbeitswelt hingeführt werden,
um eine Lehre in Handwerk, Handel und Industrie zu ergreifen.
Generell gilt, dass die schulischen Voraussetzungen und die Qualität des Schulab-
schlusses die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt erheblich mitbestimmen. Heut-
zutage ist ein guter Hauptschulabschluss sozusagen die Mindestvoraussetzung, um
an die v. a. im unteren Qualifikationsbereich liegenden, knappen Arbeitsstellen zu
gelangen. Arbeitsplätze für Ungelernte haben durch den Personalabbau infolge der
Automatisierung drastisch abgenommen. Schlecht ausgebildete Schulabgänger
werden meist auf Ausbildungsplätze mit geringer beruflicher Attraktivität und/
oder niedriger Entlohnung verwiesen.
Deshalb werden den Personen, die nach Absolvierung ihrer Schulpflicht den
Hauptschulabschluss nicht erreicht haben, viele Möglichkeiten angeboten, einen
zumindest gleichwertigen Abschluss zu erlangen, um ihre Konkurrenzfähigkeit
und Einstiegschancen zu verbessern (vgl. Bundesanstalt für Arbeit, 1997). Dies
betrifft u. a. auch den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses an der
SfL.
Negativ gewendet: Problem ­ Hauptschulabschluss
Die forcierenden Bemühungen um den Erwerb des Hauptschulabschlusses werden
in der Fachdiskussion keineswegs uneingeschränkt begrüßt.
Der Hauptschulabschluss verliert mehr und mehr an Bedeutung. Der Abschluss
der Hauptschule nach 9 Jahren wird (ohne Zusatzqualifikation) nicht mehr allge-
mein als qualifizierter Abschluss angesehen.
Durch die gesellschaftlichen Entwicklungen (s. Einleitung, Problemlage) geraten
selbst Absolventen der Hauptschule in ein prekäre Lage.
Schulabgänger mit einem Hauptschulabschluss, der an der SfL erworben wurde,
laufen erst recht Gefahr ins gesellschaftliche Abseits zu trifften. Dort befinden sie
sich zwar am oberen Rand des unteren Fünftels unserer Gesellschaft, aber dennoch
wird der Besuch von Haupt- sowie Sonderschulen künftig immer mehr zum Krite-
rium dafür, dass man aus dem Beschäftigungssystem ausgeschlossen und nicht
mehr zu ihm hingeführt wird (vgl. Hiller, 1997).

Kapitel 1: Pro und Kontra: Hauptschulabschluss
7
Wie Hiller im gleichen Werk ausführt, haben sich Hauptschulen auf die Negativ-
auslese derer beschränkt, denen jeder berufliche Status vorenthalten werden soll.
Mit dieser ,,Marginalisierungsfunktion" verwandelt sich die HS, laut Hiller, in
einen Aufbewahrungsort. ,,Ihr Funktionsgehalt verschiebt sich in Richtung Be-
schäftigungstherapie" (S. 61). Unsere leistungsorientierte Gesellschaft produziert
in diesem Sinne ein ,,Quasi-Analphabetentum" junger Menschen mit niedrigem
Bildungsabschluss.
Hiller vergleicht die Hauptschule mit ,,einem sinkenden Schiff" und Schulen, die
sich unter der Bildungsstufe der Hauptschule bewegen, ,,verlieren", seiner Mei-
nung nach, ,,jede Daseinsberechtigung, wenn sie den Anspruch erheben, im vollen
Umfang am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben partizipierende Indivi-
duen heranbilden zu wollen" (Hiller, 1997, S.63).
So gesehen wird der Hauptschulabschluss für Lernbehinderte als rein formale
Qualifikation als ,,unnötiger Umweg im Bildungsgang" abgewertet.
FAZIT
Mit diesem Hintergrund muss man sich ernsthaft die Frage stellen, wieso Anstren-
gungen unternommen werden, Schüler der SfL in einem zusätzlichen 10. Schuljahr
zum Hauptschulabschluss zu führen, wenn Hauptschulen bereits in ,,Sackgassen"
enden? Wäre es folglich nicht sinnvoller, Schüler mit ungünstigen schulischen
oder sozialen Voraussetzungen, aber praktischen Fähigkeiten, in Form von direk-
ten berufsvorbereitenden Maßnahmen zu fördern, anstatt ihnen zu einer formalen
Qualifikation zu verhelfen?
Vom theoretischen Ansatz her ist die Abwertung des Hauptschulabschlusses nach-
vollziehbar, man muss jedoch auf die praktische Bedeutung dieses Qualifikations-
papiers hinweisen, die ihm durch die Gesellschaft verliehen wurde und auch heute
noch seine Berechtigung hat.
Trotz dieser Bedenken sollte jede Maßnahme, die den Schülern der SfL die Mög-
lichkeit einer Statusverbesserung und der Kompensation ihrer Bildungslücken er-
öffnet, als Schritt nach vorne angesehen werden.
Darüber hinaus ist der Hauptschulabschluss insofern für die SfL relevant, da er der
nächsthöhere und vorläufig für L-Schüler der einzig erreichbare Bildungsabschluss
­ abgesehen vom Abschluss der SfL ­ darstellt.
Man sollte aber nicht vergessen: Die bloße Bescheinigung des Hauptschulab-
schlusses kann tatsächliche Verhaltens- und Leistungsqualifikationen für den Be-
rufseinstieg natürlich nicht ersetzen.

Kapitel 2: Die Stellung der Schule für Lernbehinderte im Schulsystem
8
2.
Die Stellung der Schule für Lernbehinderte im
Schulsystem
Um die Stellung und Perspektiven der Sonderschulen, insbesondere der Schule für
Lernbehinderte, besser zu verstehen, muss man sich zunächst die dem allgemeinbil-
denden Schulsystem innewohnende Begabungshierachie verdeutlichen.
Das derzeitige Schulsystem gliedert sich nach Schularten und Schulstufen (die Pri-
marstufe, die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II).
Es wird zwischen allgemeinbildenden Schulen (Grund-, Haupt-, Mittel-, höheren
Schulen und Sonderschulen) und berufsbildenden Schulen (Berufs-, Berufsfach-, Be-
rufsaufbau-und Fachschulen) unterschieden.
Die Sonderschule für behinderte Kinder und Jugendliche, die nicht oder nur unzurei-
chend in allgemeinen Schulen gefördert werden können, gehört zu den allgemeinbil-
denden Pflichtschulen. Dazu gehören die Sonderschulen für Sehbehinderte und Blin-
de, für Hörbehinderte und Gehörlose, für Körperbehinderte, Sprachbehinderte, Lern-
behinderte, Verhaltensbehinderte, Geistigbehinderte sowie die Schulen im Jugend-
strafvollzug und für Kranke.
Die leistungsmäßige Abgrenzung der SfL nach unten erfolgt durch die Schule für
Geistigbehinderte, die unter dem Aspekt der Intelligenz die vorläufig unterste Stufe
der etablierten allgemeinbildenden Schulen einnimmt.
Für Schulen werden Ziele angegeben und Abschlüsse definiert, die die Eingangsvor-
aussetzung für weitere Bildung oder Ausbildung darstellen. Insofern sind allgemein-
bildende Schulen zugleich eine notwendige Vorstufe für die Ausbildung bestimmter
Berufsfelder:
Das Gymnasium als Voraussetzung für die akademische Ausbildung, die Realschule
mit dem Abschluss der mittleren Reife (im Sekundarbereich II) als Eingang in mittle-
re kaufmännische, technische Berufe und Verwaltungsberufe (vorwiegend im Ange-
stelltenstatus) und die Volksschule als allgemeinbildende Pflichtschule der Arbeiter
und Handwerker ohne ausdrücklich qualifizierten Abschluss. Mit der Einrichtung der
Hauptschule wurde auch dieser ein qualifizierter Berechtigungsabschluss zuerkannt:
die Berufsreife als Abschluss der Sekundarstufe I. Der erfolgreiche Abschluss der L-
Schule bietet in keiner Weise ein gleichwertiges Zertifikat.
Mit dieser schulischen Abstufung verbindet die Gesellschaft bis heute ein entspre-
chendes Begabungsverständnis.
,,Diese Schul- und Begabungshierarchie wurde nach Durchsetzung der Hilfsschule
(seit 1961 zunehmend Schule für Lernbehinderte genannt) und dem Siegeszug des
Intelligenztests zur Absicherung der Umschulung in eben diese Sonderschule zu-
gleich auch einseitig als Intelligenzhierarchie gesehen" (Begemann, 1982, S. 47).
Ausgehend von der These, dass es eigentlich gar keine Lernbehinderten gibt, sondern
nur Unzulänglichkeiten des Schulwesens und intolerante Stigmatisierungsprozesse
der Gesellschaft, die die vermeintliche ,,Behinderung" erst schaffen, muss die SfL

Kapitel 2: Die Stellung der Schule für Lernbehinderte im Schulsystem
9
auch erhebliche Anstrengungen unternehmen, die stigmatisierende Ausgrenzung und
Etikettierungsprozesse zu überwinden. Ein Ansatzpunkt wäre, die Akzeptanz der L-
Schüler in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Dazu muss zunächst das Selbst- und
Leistungsvertrauen der Betroffenen gestärkt werden. Für L-Schüler stellt es einen
echten motivierenden Anreiz dar, den Hauptschulabschluss an der SfL absolvieren zu
können. Diese Strukturmaßnahmen, die u. a. auch gesamtgesellschaftliche Einstel-
lungen korrigieren müssen, sind nur langsam durchführbar. Bei den heutigen Schul-
verhältnissen wird eine eigenständige Sonderschule für die lernbeeinträchtigten und
soziokulturell benachteiligten Schüler ihren Platz behalten müssen.
Mit dem Einblick in Regelungen des Schulsystems sollte verdeutlicht werden, welch
schwierige Position die SfL in unserer leistungsorientierten Gesellschaft einnimmt.
Aussichtslos ist ihre Stellung heute nicht. Im Gegenteil der Abstand, der noch vor
einigen Jahrzehnten zwischen der SfL und der HS immer weiter auseinander klaffte
(s. Kap. 4.1), wird heute wieder geringer.

Kapitel 3: Zur Bildungsfähigkeit der ,,Lernbehinderten"
10
3. Zur Bildungsfähigkeit der ,,Lernbehinderten"
Wer ist ,,lernbehindert"?
Nach den Empfehlungen der KMK (1977) gelten in Deutschland solche Kinder und
Jugendliche als lernbehindert, die nicht vorrangig sinnesgeschädigt und ohne geistig
behindert zu sein, ,,umfänglich" und ,,langandauernd" in ihrem Lernvermögen beein-
trächtigt sind. Sie weisen dadurch deutlich von der Altersnorm abweichende Leistun-
gen (häufig auch Verhaltensformen) auf.
Sie können in der Grund- und Hauptschule, trotz besonderer Hilfen, nicht oder nicht
hinreichend gefördert werden.
Lernbehinderte gelten in ihrer Lern- und Leistungsfähigkeit als beeinträchtigt. Zur
traditionellen Feststellung einer Lernbehinderung gehörte ein Intelligenztest.
Ihre herabgesetzte schulische Lernleistung muss aber nicht zwangsläufig mit einem
messbaren Intelligenzrückstand verbunden sein. Häufig entstehen Lernbeeinträchti-
gungen bei ungünstigen sozio-kulturellen Voraussetzungen.
Der Auftrag der Schule für Lernbehinderte:
Aus der Schulordnung für die öffentlichen Sonderschulen (1991) lassen sich folgende
Aufgaben und Ziele für die SfL ableiten:
Die SfL versucht, ihre Schüler zur Selbstständigkeit, Verantwortung und zur Wahr-
nehmung ihrer persönlichen Belange zu erziehen, um ihnen eine bessere Teilnahme
am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Die Förderungsbemühungen knüpfen an die
Bedürfnisse und Interessen der Schüler an und berücksichtigen die individuellen
Lernvoraussetzungen. Die Anforderungen werden auf das Notwendige begrenzt und
geeignete Lernhilfen bereitgestellt. Der Unterricht findet in kleinen Gruppen statt und
legt einen Schwerpunkt auf das soziale Lernen. Besonderes Augenmerk gilt der Be-
rufsvorbereitung bzw. der beruflichen Eingliederung der Jugendlichen.
Aus der Schülerschaft der 9. Klassen der SfL
1
ist eine Gruppe auszusondern, die über
das Klassenniveau hinaus förderbar ist. Das muss nicht heißen, dass diese Schüler
sich fälschlicherweise in der Sonderschule befinden, sondern sie sind erst nach son-
derpädagogischer Förderung auf der Stufe angelangt, auf der sie den Hauptschulab-
schluss erwerben können. Es ist anzunehmen, dass diese Schüler in größeren Lern-
gruppen in Regelschulen versagt hätten, da sie dort nicht in dem Maße wie in der SfL
individuelle Hilfe und Zuwendung bekämen. Häufige Umschulungsgründe sind
Schulangst und Unlust infolge des Leistungsdruckes in Regelschulen.
1
In manchen Bundesländern erfolgt das Auswahlverfahren bereits in der 7. oder 8. Klasse der SfL
(s. Kap. 6)

Kapitel 3: Zur Bildungsfähigkeit der ,,Lernbehinderten"
11
Mangelnde Intelligenz ­ ein Kriterium für Lernbehinderung?
Während meines Studiums wurde in Vorlesungen immer wieder darauf hingewiesen,
dass mangelnde Intelligenz nicht zwangsläufig ein Kriterium für eine Lernbehinde-
rung sein muss.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, ist aus früheren Erhebungen bekannt, dass sich
die Streubreite der Ergebnisse der Intelligenztests Lernbehinderter mit den Werten
der Hauptschüler, insbesondere mit den Werten der schlechten Hauptschüler, überla-
gern.
Ein Beispiel einer ,,Intelligenz-Studie" sei kurz aufgeführt:
Nach den Untersuchungsergebnissen von Schmalohr (1962) bei einer Überprüfung
mit dem HAWIK von Hilfsschülern und Volksschülern aus NRW lagen die IQ-Werte
der Lernbehinderten zwischen 35 und 110, bei Hauptschülern zwischen 65 und 135.
,,Die Überschneidung geht soweit, dass die Hälfte der IQ-Werte bei Volksschülern
(IQ 100 bis unter 80) und bei Hilfsschülern (77 bis über 100) jeweils in der Gegen-
gruppe vorkommen kann" (Schmalohr, 1962, zitiert nach Begemann, 1970, S.183).
Absolut ausgedrückt, bedeutet dies, dass sich in der Hauptschule genauso viele Schü-
ler mit einem IQ unter 80 befinden, wie sie auch in der SfL vorkommen.
Die Streubreite der Intelligenzwerte belegt, dass es zwischen beiden Schülergruppen
große Überschneidungsbereiche gibt.
Die Ursachen hierfür sind vielfältig und sollen hier nicht weiter diskutiert werden.
Bedenklich und daher erwähnenswert ist nur, dass teilweise Schüler in die Sonder-
schule ein- bzw. umgeschult werden, die aufgrund ihrer intellektuellen Leistungsfä-
higkeit normalerweise nicht in diese Schule gehören. Über die Ursachen lässt sich nur
spekulieren: Eventuell handelt es sich dabei um Schüler mit Verhaltensauffälligkei-
ten, die man in Regelschulen nicht beschulen kann. Oft verweist man diese Schüler
an die nächst gelegene Sonderschule, die meist eine L-Schule ist, weil es diese Schule
viel häufiger gibt als die V-Schule, die diese Schüler eigentlich besuchen müssten.
Hinzu kommt, dass Verhaltensauffälligkeiten häufig Lernschwierigkeiten nach sich
ziehen und ein V-Schüler deshalb oft als L-Schüler zunächst in eine L-Schule einge-
stuft wird.
Es muss mit Nachdruck betont werden, dass es nicht nur beim heutigen Stand der
Begabungsforschung, sondern auch schon vor mehr als zwei Jahrzehnten nahezu un-
möglich gewesen ist, für den Grenzbereich zwischen Lernbehinderten und
Regelschülern Kriterien zu finden, die langfristige Prognosen erlauben. Es ist also
theoretisch und diagnostisch nicht möglich, einen Schülertyp einer bestimmten
Schulform zuzuordnen (vgl. Begemann, 1982).
Wie die Untersuchung von Schmalohr zeigt, sind die Ergebnisse der Intelligenztests
der Schüler der SfL sehr breit gestreut, vom Niveau Geistigbehinderter bis hin zum

Kapitel 3: Zur Bildungsfähigkeit der ,,Lernbehinderten"
12
Hauptschülerniveau. Daraus ergibt sich, dass sich die SfL auf eine inhomogene Schü-
lergruppe einstellen und das Recht auf Individualisierung und Differenzierung, auch
im Hinblick auf unterschiedliche Abschlüsse, realisieren muss.
Die Möglichkeit, im Anschluss an die Pflichtschulzeit, den Hauptschulabschluss zu
erwerben, sollte für Lernbehinderte stets möglich sein, aber nicht zu Lasten ursprüng-
licher sonderpädagogischer Zielsetzungen gehen.

Kapitel 4: Historischer Überblick
13
4.
Historischer Überblick
4.1
Zum bildungspolitischen Hintergrund
Im 19. Jahrhundert, im Zuge des beginnenden industriellen Zeitalters, wurde die Re-
alschule mit dem Abschluss der mittleren Reife gegründet.
Mit der Einrichtung der Hauptschule (seit dem Hamburger Abkommen, Okt. 1964)
wurde auch der Volksschule ein qualifizierter Berechtigungsabschluss zuerkannt: die
Berufsreife.
Mit der Einführung der Hauptschule (früher: Volksschule) wurde der Abstand zur
Schule für Lernbehinderte (früher Hilfsschule) vergrößert, weil die HS einen qualifi-
zierten Abschluss vermittelt, die SfL nicht.
Das Hamburger Abkommen vom Oktober 1964 enthält u. a. Regelungen über die
Vollzeitschulpflicht von 9 Jahren.
Ein 10. Schuljahr ist nach dem Hamburger Abkommen zulässig und wird allgemein
angestrebt. Auf diese Klausel konnte man sich bei dem Schulversuch, Lernbehinderte
in einem 10. Schuljahr zum Hauptschulabschluss zu führen, berufen (vgl. Begemann,
1982).
4.2 Zur Ausgangssituation
2
Der erste Versuch, Lernbehinderte zum Hauptschulabschluss zu führen, fand in NRW
statt, führte aber nicht zum erhofften Erfolg.
In Köln wurden im Schuljahr 1968/69 für Schüler der SfL nach der 7. Klasse dreijäh-
rige Sonderklassen in der HS eingerichtet. Der Unterricht erfolgte nach den Richtli-
nien und der Stundentafel der HS (einschließlich Englisch).
Bernart, einer der Initiatoren des Schulversuchs in NRW, erwartete zunächst, nach
den Leistungen der Schüler, dass dieser Versuch gelingen werde. ,,Die Klassen wur-
den jedoch nach einiger Zeit wieder aufgelöst, weil die Schüler alle jene psychosoma-
tischen und psychosozialen Störungen erneut aufwiesen, die in der Schule für Lern-
behinderte zuvor beseitigt worden waren" (Bernart, 1976, zitiert nach Begemann,
1982, S. 37).
2
Weitere Schulversuche zum Erwerb des Hauptschulabschlusses für Lernbehinderte aus
verschiedenen Bundesländern sind in Begemann (1982) beschrieben. Hier sind nur die, in Bezug
auf die heutige Situation in RLP, wichtigsten Pionierversuche aus NRW zusammengefasst
aufgeführt.

Kapitel 4: Historischer Überblick
14
Der Gedanke, lernbehinderte Schüler zum Hauptschulabschluss zu führen, war mit
dem Scheitern dieses Versuchs aber nicht begraben.
Im Schuljahr 1972/73 trat an die Stelle des erwähnten Versuchs in Köln ein neues
Schulmodell. Nach einjähriger Erprobung an einer Schule in Bielefeld wurde der
Schulversuch für drei Jahre genehmigt.
Die Bezeichnung des Schulversuchs lautete: Ein freiwilliges 10. Schuljahr an der
Schule für Lernbehinderte zum Erwerb des Hauptschulabschlusses.
Die Vorlaufklassen und die 10. Klassen befanden sich nun nicht mehr an der HS,
sondern an den L-Schulen selbst. Auf Englisch wurde verzichtet; ansonsten wurde
nach den Plänen der 9. Klasse der HS unterrichtet.
Dieser zweite Schulversuch, Lernbehinderte zum Hauptschulabschluss zu führen,
wurde in Berichten der Versuchsschule und vom zuständigen Referenten des Kultus-
ministeriums ,,sehr positiv" bewertet (Schreiben vom 21. 3. 1975), sodass nach dem
Auslaufen des Versuchs die 10. Klassen an den entsprechenden Schulen weiterge-
führt wurden (vgl. Begemann.1982).
Die landläufige Meinung, Schüler der SfL könne man nicht zum Hauptschulabschluss
führen, galt auf einmal nicht mehr. Aus Schulberichten ging hervor, dass die Eltern
nunmehr ihrem Kind den Besuch der Sonderschule nicht unbedingt verwehren woll-
ten; auch die Schüler wurden freier, weil durch das freiwillige 10. Schuljahr mit
Hauptschulabschluss die SfL aufgewertet wurde und die Jugendlichen nicht mehr
diskriminiert waren.
Vom Schuljahr 1975/76 an dienten die o. g. 10. Klassen aber ,,nur" noch als Vorbe-
reitung auf den Hauptschulabschluss, der in Form einer Schulfremdenprüfung
(s. Kap. 5) zu erwerben ist.
Dieser Beschluss stieß bei den Eltern, Lehrern und Schülern der SfL selbstverständ-
lich auf heftige Gegenwehr.
Die Gründe des Kultusministers wurden offiziell in einem Erlass vom 17.3.1976
(in: Begemann, 1982, S.38) wie folgt sinngemäß angegeben:
Der ausschließlich formell erworbene Hauptschulabschluss der Sonderschüler berge
die Gefahr in sich, dass er im Vergleich zu dem ,,normalen" Hauptschulabschluss in
der Öffentlichkeit generell abgewertet werden könne.
Die Verfahrensweise der Schulfremdenprüfung würde hingegen allgemein anerkannt
werden und wäre ,,formal unangreifbar". Darüber hinaus sei die Schulfremdenprü-
fung für die Betroffenen noch günstiger, weil sie sich nur auf sechs Hauptschulfächer
einzustellen hätten und in Kursen direkt darauf vorbereitet würden.
Außerdem sei das Fach Englisch, nach dem Beschluss der KMK vom 3.7.1969, obli-
gatorischer Bestandteil der Hauptschule und damit auch des Hauptschulabschlusses.
Schüler könnten folglich den Hauptschulabschluss nur unter Einbeziehung der
Fremdsprache Englisch erlangen oder aber den Weg der Schulfremdenprüfung gehen,
ohne die Fremdsprache Englisch.

Kapitel 4: Historischer Überblick
15
Hierzu einige persönliche Anmerkungen, in Anlehnung an Begemann (1982):
Als äußerst fragwürdig empfinde ich, dass den durch eine Schullaufbahn des
Versagens demotivierten Schülern nun eine angeblich objektive Überprüfung zur Er-
mittlung ihres Leistungsstandes zugemutet werden soll, die selbst Hauptschülern er-
spart bleibt.
Streng genommen kann man im Falle einer Schulfremdenprüfung auch nicht von ei-
nem gleichwertigen Hauptschulabschluss sprechen. Sie besteht aus punktuell abfrag-
barem Wissen. Die Allgemeinbildung der Hauptschule in voller Breite in wesentlich
mehr Fächern wird den Sonderschülern vorenthalten. ,,Die förderbare Begabungs-
breite der Lernbehinderten wird eingeschränkt" (S.38).
Zur Diskussion um das Fach Englisch ist in Erwägung zu ziehen, dass Englisch schon
damals nicht Bedingung des Hauptschulabschlusses war.
In den siebziger Jahren wurden nur in fünf Bundesländern (NRW, RLP, Hamburg,
Niedersachsen, Schleswig-Holstein) Versuche mit 10. Schuljahren für Absolventen
der SfL durchgeführt.
In anderen Ländern, wie z. B. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und das Saarland,
wurden die bereits vorhandenen Möglichkeiten (Rückschulung, Schulfremdenprü-
fung) als ausreichend angesehen.
4.3 Der Schulversuch ,,Freiwilliges 10. Schuljahr an der
Schule für Lernbehinderte zum Erwerb des Haupt-
schulabschlusses" in RLP
In diesem Unterkapitel soll lediglich ein grober Überblick über den rheinland-
pfälzischen Schulversuch, Lernbehinderte zum Hauptschulabschluss zu führen, gege-
ben werden. Genauere Angaben über die Anfangsschwierigkeiten, Durchführungs-
probleme und Ergebnisse des Schulversuchs in RLP findet man im Abschlussbericht
des ,,Schulversuches Hauptschulabschluss an der Schule für Lernbehinderte" von
Ernst Begemann (1982).
Folgende Informationen sind aus dem Abschlussbericht zu diesem Modellversuch
entnommen und zusammenfassend aufgeführt.
Der Start des Schulversuchs erfolgte auf Initiative des Kultusministeriums von
RLP und wurde im Rahmen der BLK für Bildungsplanung und Forschungsförderung
auch aus Bundesmitteln gefördert.
Der Schulversuch in RLP begann ­ wie die Pilotklasse in Bielefeld ­ mit dem Schul-
jahr
1972/73. Er unterschied sich allerdings durch seine wissenschaftliche Beglei-
tung von den bisherigen Modellversuchen, sodass durch objektive Leistungsfeststel-

Kapitel 4: Historischer Überblick
16
lungen, mittels standardisierter und normorientierter Schulleistungstests, eine formale
Überweisung an die Hauptschule oder der Notweg über die Schulfremdenprüfung,
wie im Falle NRW, nicht erforderlich wurden.
Der Projektgruppe zur wissenschaftlichen Begleitung gehörten an: neben den Mit-
gliedern des Kernteams, die Rektoren der Versuchsschulen, die Klassenlehrer der
Versuchsklassen und die Sonderschulreferenten der zuständigen Bezirksregierung
sowie zwei Schulverwaltungsbeamte, die als Schulräte bzw. Oberschulräte für die
Hauptschulen der Versuchsregion zuständig waren. Die
Leitung der Projektgruppe
oblag Dr. Ernst Begemann, die des Schulversuchs insgesamt dem Kultusministeri-
um. Das Kernteam, das sich aus Sonderschullehrern zusammensetzte, war für die
eigentliche wissenschaftliche Arbeit zuständig. Es musste ein detailliertes Konzept
für den Schulversuch erarbeiten, die Untersuchungen durchführen und auswerten. Die
Ausarbeitung des Lehrplanentwurfes und der Schulleistungstests wurden teilweise
auch von Mitarbeitern der Projektgruppe, von Hauptschulvertretern, übernommen
oder überprüft.
Es musste
von März bis Mai 1972 ein Lehrplanentwurf erarbeitet werden, der noch
vor Schuljahresbeginn (01.08.1972) genehmigt werden musste.
Die Lernvoraussetzungen konnten zu diesem Zeitpunkt nur theoretisch bedacht wer-
den, da die Schulen, Schüler und Klassen noch nicht feststanden.
Nach Begemann (1982) standen folgende Fragestellungen bei der Entwicklung des
Lehrplanentwurfes zunächst im Vordergrund:
Wie ist der Lehrplan zu gestalten, wenn jener der HS (9. Klasse) wegen anderer
Lernvoraussetzungen der Schüler und kürzerer Lernzeit nicht übernommen wer-
den kann?
Auf welche Weise lässt sich eine Konzentration der Ziele und Inhalte bei der
Vermittlung erreichen, ohne das Niveau zu senken und das Wissen zu sehr zu
verdünnen?
Wie kann ein Wochenstundenplan aussehen, ohne die Schüler zu sehr zu belasten,
aber genügend Raum für das Fundamentum
3
, die individuelle Förderung und Dif-
ferenzierung zu behalten?
Die Projektgruppe ging davon aus, dass nicht einfach, wegen der unterschiedlichen
Lernvoraussetzungen, der Plan des 9. Schuljahres des HS übernommen werden konn-
te. Zu Beginn des ersten Versuchsjahres wurde ein Plan vorgelegt, der die Aufgabe
des 10. Schuljahres in Form von Intentionen und Zielen formulierte.
3
,,Fundamentum, das [lat. = Grund, Grundlage]: die Grundlehrziele, die mit Blick auf einen
bestimmten Lehrstoff alle Schüler erreichen sollen. Für schneller lernender Schüler wird, ...,
noch zusätzlich ein Additum [ zusätzliches Pensum an Lernstoff] angeboten"
(Schülerduden ­ Die Pädagogik ­ 1989).

Kapitel 4: Historischer Überblick
17
Bei den Zielen kamen formalen, methodischen Qualifikationen ein höherer Rang zu
als dem Erwerb von Einzelinhalten. Exemplarisch erworbene Fähigkeiten waren ei-
nem angelernten Orientierungswissen vorzuziehen.
Mehr war in dieser knappen Zeit nicht zu leisten. Der erste Lehrplanentwurf war in
der Hinsicht unbefriedigend, weil die Zielformulierungen viel zu abstrakt waren. Er
musste konkretisiert, durch Medien ergänzt und durch exemplarische Unterrichtskon-
zepte vervollständigt werden. Diese Aufgaben wurden vom ersten Versuchsjahr an in
monatlichen Sitzungen der Projektgruppe gelöst. Hierzu wurden didaktische Materia-
lien und Literaturlisten zusammengestellt, sodass schon im ersten Versuchsjahr die
beteiligten Lehrer fundiert unterrichten konnten. Im Hinblick auf den Versuchsab-
schluss musste der Lehrplanentwurf noch einmal überarbeitet werden, damit die Aus-
gabe den inzwischen gelaufenen didaktischen Diskussionen entsprach und die neuen
Lehrpläne der HS und SfL mit berücksichtigte. Der endgültige Lehrplan der Projekt-
gruppe wurde vom Kultusministerium RLP als Lehrplanentwurf für das freiwillige
10. Schuljahr 1979 als Regeleinrichtung eingeführt.
Der überprüfbare Bereich der
Schulleistungstests sollte repräsentativ für die Anfor-
derungen des Lehrplanentwurfes in dem jeweiligen Schulfach bzw. Lernbereich sein
und somit das Anforderungsniveau für Hauptschüler im 9. Schuljahr objektiv wider-
spiegeln.
,,Bei den Sonderschulen im Einzugsbereich der Versuchsklassen waren die
Reaktio-
nen auf den Versuch auch nach einer ausführlichen Information unterschiedlich. [...]
Manche Schule schickte keine Schüler ins 10. Schuljahr. Andere wollten möglichst
vielen die Chance zum Hauptschulabschluss geben" (a. a. O., 1982, S.102). Das tradi-
tionelle Verständnis der L-Schüler und das ,,bewährte" Unterrichtskonzept wurden
infrage gestellt. Der Versuch reizte zum Widerspruch. Es sprach aber auch vieles
dafür, sodass sich der Einsatz lohnte.
Die Ergebnisse des Modellversuchs waren so überzeugend, dass die Versuchs-
klassen vom Schuljahr 1978/79 an, mit Erlass des Kultusministeriums vom
2.11.1978, in Regeleinrichtungen überführt und vom folgenden Schuljahr an als
flächendeckendes Netz weiter ausgebaut wurden.
An dieser Stelle soll lediglich auf die
Schwierigkeit der Formulierung des Zeug-
niskopfes hingewiesen werden. Es bedurfte einer langen Entwicklung und zahlrei-
cher Änderungen, bis die diskriminierenden Erläuterungen des 10. Schuljahres weg-
gelassen wurden.
Ein Beispiel einer diskriminierenden Bemerkung:
,,Er (Sie) besuchte im Schuljahr 1972/73 ein freiwilliges 10. Schuljahr an der Son-
derschule für Lernbehinderte, dessen Abschluss dem der Hauptschule gleichwertig
ist" (a. a. O., 1982, S.112).

Kapitel 4: Historischer Überblick
18
,,Die Zeugnismisere hat den gesamten Schulversuch belastet" (a. a. O., 1982, S.114).
Obwohl in dem nach dem 10. Schuljahr ausgegebenen Zeugnis zwar ausdrücklich
hervorging, dass dieser Abschluss dem Hauptschulabschluss gleichwertig ist, äußer-
ten viele Außenstehende, insbesondere Berufsberater und Arbeitgeber, ihre Zweifel.
Mit dem Zusatz ,,Schule für Lernbehinderte (Sonderschule)" wurden wieder alle
Vorurteile geweckt, die es schon früher gegenüber den Schülern der Hilfsschule gab
(vgl. Begemann, 1982).
Mit der Einführung des freiwilligen 10. Schuljahres als Regeleinrichtung konnte nun
nach dem damaligen Schulgesetz ein Zeugnis ohne jede Diskriminierung ausgestellt
werden. Nachdem diese Regelung endlich erreicht ist, bleibt zu hoffen, dass der Ab-
schluss des 10. Schuljahres auch künftig in der Öffentlichkeit ohne Abstriche aner-
kannt wird.

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
19
5.
Alternativen zur Erlangung des Hauptschulab-
schlusses
Für die Erlangung des Hauptschulabschlusses, außer dem Besuch eines freiwilligen
10. Schuljahres mit Hauptschulabschluss an der SfL, bieten sich noch prinzipiell vier
Wege an:
die Rückschulung mit nachfolgend regulärem Hauptschulabschluss,
die Schulfremdenprüfung,
der Erwerb des Hauptschulabschlusses im Rahmen des Berufsgrund(bildungs)-
schuljahres und
die Zuerkennung des Hauptschulabschlusses nach abgeschlossener Berufsausbil-
dung.
Kritische Anmerkungen meinerseits habe ich in diesem Kapitel kursiv geschrieben.
5.1 Rückschulung mit nachfolgendem regulärem Haupt-
schulabschluss
Über die Rückschulung aus der SfL in die Regelschulen ist bisher kein umfassendes
differenziertes Material veröffentlicht. Die veröffentlichten Zahlen des Statistischen
Landesamtes RLP (Bad Ems) der Rückgeschulten von der Sonder- in die Hauptschule
beziehen sich auf alle Sonderschularten, nicht speziell auf L-Schulen.
Lernbehinderte, deren intellektuelle und leistungsmäßige Entwicklung besonders
günstig verläuft, können durch eine rechtzeitige und gut vorbereitete Rückschulung in
(seltenen Fällen in Grund- oder) Hauptschulen integriert werden. Auf diesem Wege
können sie den regulären Hauptschulabschluss erreichen. Um diesen Schülern den
Übergang zu erleichtern, können für sie Förderkurse an der SfL eingerichtet werden.
Von der KMK ist die Durchlässigkeit des Schulsystems zwar unbestrittene Forde-
rung, die durch gesetzliche Regelungen in allen Ländern Deutschlands erlassen ist,
dennoch wird von der Rückschulungsmöglichkeit kaum Gebrauch gemacht. Früher
lag die Ursache dafür vermutlich in dem Vorurteil begründet, dass Lernbehinderung
als unveränderliches Merkmal aufgefasst wurde, die meist an Hand eines Intelligenz-
tests festgestellt wurde.
Demnach kam eine Rückschulung nur dann zustande, wenn eindeutig nachgewiesen
werden konnte, dass bei der Aufnahme des Schülers in die Sonderschule ein Fehler
unterlaufen war.
Aber selbst durch eine veränderte Einstellung zu L-Schülern, werden sie in RLP nur
in Ausnahmefällen in Regelschulen umgeschult.

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
20
Mehrere Erklärungen können dafür in Frage kommen:
Die Rücküberweisung kann ebenso wie der Besuch eines freiwilligen 10. Schuljahres
an der SfL als vollzogene Rehabilitation noch während der Schulzeit angesehen wer-
den. Selbst wenn die Rückschulung als volle Rehabilitation und Integration in das
Regelschulsystem angesehen werden kann, sind mit ihr noch lange nicht alle Proble-
me gelöst.
In die Hauptschule umgeschulte Sonderschüler müssen, wenn die Hauptschullehrer
und ­schüler über ihre schulische Herkunft Bescheid wissen, mit Vorurteilen rech-
nen. Bestimmte Einstellungsfaktoren (Vorurteile, Stereotype, Stigmatisierungen usw.)
der Schüler, Lehrer, Eltern und der weiteren Gesellschaft sowie curriculare und kon-
zeptionelle Probleme der Schularten können den Schulwechsel erheblich beeinträch-
tigen.
Ein weiteres Problem der Rückschulung in eine Regelschule ist, dass eine erfolgrei-
che Mitarbeit im Englischunterricht für ehemalige Schüler der SfL wohl kaum zu er-
reichen ist, weil dieses Fach in der L-Schule in der Regel nicht unterrichtet wird. Der
Hauptschulabschluss wäre somit nur über eine mehrfache Schulzeit-verlängerung zu
erreichen. Die Überalterung der in die Regelschule Zurück-geschulten gegenüber
den Regelschülern würde erhebliche soziale Konflikte mit sich bringen. Davon einmal
abgesehen, ist es auch nicht einfach, die Schüler so lange für den Schulbesuch zu
motivieren.
Der Ort, an dem der Hauptschulabschluss erworben wird, ist nicht mehr die SfL,
sondern die HS. Die evtl. noch notwendige sonderpädagogische Förderung ist in der
HS aber nicht mehr gewährleistet. Es besteht die Gefahr, dass die Rück-schulung
Misserfolge bei den Schülern nach sich zieht, da die Hauptschullehrer nicht sonder-
pädagogisch ausgebildet sind. Es ist somit zweckmäßiger, die Betroffenen an der SfL
zu belassen und ihnen dort die Möglichkeit einzuräumen, in einem freiwilligen
10. Schuljahr zum Erwerb des Hauptschulabschlusses zu kommen.
5.2 Schulfremdenprüfung (Nichtschülerprüfung)
Schüler, die während ihrer Schulpflichtzeit nicht in Hauptschulen zurückgeführt wur-
den, erhalten durch die Schulfremdenprüfung die Möglichkeit, den Hauptschulab-
schluss zu erlangen. Mit der Prüfung soll festgestellt werden, ob der Bewerber - ge-
messen am Lehrplan für die HS ­ das Ziel der Abschlussklasse der HS erreicht hat.
Häufig werden Schüler in Förderklassen in L-Schulen oder in Kursen der Volkshoch-
schulen auf die Prüfung vorbereitet. Man kann nur zugelassen werden, wenn man die
Schulpflicht seit mindestens drei Monaten beendet hat und kein gleichwertiges Zeug-
nis besitzt.

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
21
In jedem Bundesland besteht die Schulfremdenprüfung als Einrichtung zum Erwerb
des Hauptschulabschlusszeugnisses nach Beendigung der Schulpflicht.
Für die jeweilige Prüfungsordnung der Schulfremdenprüfung sind die einzelnen Bun-
desländer verantwortlich.
Von der Schulfremdenprüfung wird insbesondere in den Bundesländern Gebrauch
gemacht, in denen die Institution eines 10. Schuljahres an der SfL nicht besteht.
Rechtsgrundlage für die Nichtschülerprüfung in RLP ist § 91 des Landesgesetzes
über die Schulen in Rheinland-Pfalz (1996)
,,§ 91
Prüfungen von Nichtschülern
(1) Die Schulbehörde kann zu den Prüfungen an öffentlichen Schulen Nichtschüler
zulassen. Sie kann für Nichtschüler auch Prüfungen einrichten, mit denen Ab-
schlüsse erworben werden können, die den Abschlüssen der öffentlichen Schulen
entsprechen.
(2) Der Minister für Bildung und Kultur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung
Prüfungsordnungen zu erlassen; § 42 Abs. 3 gilt entsprechend. Bei der Zulassung
und Prüfung von Nichtschülern sind ihre Lebens- und Berufserfahrungen ange-
messen zu berücksichtigen."
Auf der Grundlage der hessischen Verordnung über Prüfungen für Nichtschüler zum
Erwerb des Hauptschulabschlusses oder des Mittleren Abschlusses (Realschulab-
schluss) vom 7. Juli 1995
4
lässt sich Folgendes über das Prüfverfahren ableiten, was
exemplarisch für die Prüfverfahren in anderen Bundesländern stehen soll:
Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Sie ist be-
standen, wenn die Gesamtnote in jedem Prüfungsfach mindestens ,,ausreichend" ist.
Es wird nur ein Teil der Fächer der Hauptschule geprüft. Neben den verbindlichen
Fächern Deutsch und Mathematik bestehen Wahlmöglichkeiten innerhalb der soge-
nannten Sachfächer, aus denen ein Fach gewählt werden muss.
Englisch wird in der Regel nicht als obligatorische Prüfungsleistung, sondern nur als
Wahlmöglichkeit vorgesehen.
5
Der schriftliche Prüfungsteil beschränkt sich auf drei
Fächer. Für die Klausuren stehen in Deutsch und Mathematik jeweils drei Stunden
und im Wahlpflichtfach 30 Minuten zur Verfügung. Es werden mehrere Themen an-
geboten.
Die mündliche Prüfung umfasst in der Regel fünf Fächer (Deutsch, Mathematik, ein
Fach aus dem Lernbereich Gesellschaftslehre, ein Fach aus dem Lernbereich Natur-
wissenschaften, Arbeitslehre oder Englisch). Sie soll pro Fach 10 ­ 15 Minuten dau-
4
Ausführlichere Informationen sind a. a. O. nachzulesen.
5
Außer im Freistaat Sachsen (s. u.) sind in den Bundesländern Englischkenntnisse zum Erwerb
eines Hauptschulabschlusszeugnisses durch eine Schulfremdenprüfung nicht erforderlich.

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
22
ern und insgesamt eine Zeitstunde nicht überschreiten. Die mündliche Prüfung wird
entweder einzeln oder in Kleingruppen bis zu drei Prüflingen durchgeführt. Die Prü-
fung wird von einer staatlichen Kommission abgenommen, die für einen bestimmten
Schulaufsichtsbezirk bestellt wird.
Im Falle einer Wiederholung der Nichtschülerprüfung wird eine Gebühr in Höhe von
150 DM erhoben.
Das Verfahren der Schulfremdenprüfung und die damit verbundene Vorbereitung auf
die Hauptschulabschlussprüfung gibt Anlass zum Nachdenken, ob die SfL damit ih-
rem Auftrag (s. Kap. 3) gerecht wird. Die Hinführung auf die Schulfremdenprüfung
konzentriert die Unterrichtsarbeit in den oberen Klassen zu sehr auf die Prüfungsan-
forderungen.
5.3 Erwerb des Hauptschulabschlusses im Rahmen des
Berufgrund(bildungs)schuljahres (BGJ)
Das BGJ kann als Alternativkonzept zum allgemeinbildenden 10. Schuljahr an der
SfL gesehen werden. Es vermittelt denjenigen den Hauptschulabschluss, die ihn nicht
in der HS oder in der SfL erwerben konnten.
Das BGJ ist durch Schulgesetze und Lehrpläne der Länder geregelt. In der Ausgestal-
tung kann es deshalb auch, wie bei der Regelung der Schulfremdenprüfung, in den
einzelnen Ländern Unterschiede geben.
,,Das BGJ ist eine schulische Form der Berufsvorbereitung und wird überwiegend an
Berufsschulen angeboten" (Bundesanstalt für Arbeit, 1997, S. 108).
Das BGJ ist ein vor Beginn der Ausbildung liegendes freiwilliges Jahr, in dem eine
allgemeine, fachtheoretische und fachpraktische berufliche Grundbildung (Berufs-
grundbildung) vermittelt wird.
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, im Rahmen des BGJs, den Hauptschulab-
schluss und bei entsprechender Zusatzprüfung sogar den Realschulabschluss zu er-
werben.
Das BGJ umfasst mehrere Berufe mit gemeinsamen Grundlagen und hat das Ziel, den
Teilnehmern Grundqualifikationen mehrerer verwandter Berufe zu vermitteln, um
ihnen einen Einblick in ein bestimmtes Berufsfeld zu ermöglichen.
Der berufsfeldbezogene Unterricht gliedert sich in folgende Berufsfelder:
Wirtschaft und Verwaltung
Metalltechnik
Elektrotechnik
Bautechnik, Holztechnik

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
23
Textil und Bekleidung
Chemie, Physik, Biologie
Drucktechnik
Farbtechnik und Raumgestaltung
Gesundheit, Körperpflege
Ernährung und Hauswirtschaft
Agrarwirtschaft
Laut Bundesanstalt für Arbeit (1997) existiert das BGJ in zwei organisatorischen
Grundformen:
a) Integratives System (schulisches BGJ
6
):
Das BGJ verlängert die Schulzeit um ein Jahr. Ursprünglich sollte es der Berufs-
orientierung dienen. Heute besuchen Jugendliche oft das BGJ, weil kein Ausbil-
dungsplatz zur Verfügung steht.
b) Kooperative Lösung:
Ein Ausbildungsvertrag besteht schon. Ein Nebeneinander von Betrieb und über-
betrieblicher Ausbildung besteht.
Wenn das absolvierte Berufsfeld und der Ausbildungsberuf einander entsprechen,
kann das BGJ, nach erfolgreichem Besuch, nach der Berufsgrundbildungsjahr-
Anrechnungsverordnung, auf die Berufsausbildung angerechnet werden.
Jugendliche, die zu Beginn der Berufsschulpflicht weder ein Berufsausbildungsver-
hältnis nachweisen können noch am BGJ teilnehmen, werden im Berufsvorberei-
tungsjahr (BVJ) auf eine Berufsausbildung vorbereitet.
Für das BGJ spricht, dass die schulmüden Sonderschüler durch die praktischen Tä-
tigkeiten und berufsfeldorientierten Angebote besser motiviert und auch später leich-
ter in die Arbeitswelt integriert werden können. Das BGJ verbessert nicht zwangsläu-
fig die Berufsfähigkeit der Jugendlichen.
Gegen das BGJ spricht, dass es zu sehr berufsorientiert ist. Eine allgemeine Bildung
wird nicht in dem Maße vermittelt wie in der HS. Einige Schulfächer werden im BGJ
gar nicht mehr unterrichtet (vgl. Begemann, 1982).
Begemann (1982) betont: ,,Ein Vergleich der bisher vorliegenden Lehrpläne der
Hauptschule mit denen von Sonder- oder Berufsgrundschuljahren zeigt so erhebliche
Abweichungen, daß von einer Gleichwertigkeit kaum gesprochen werden kann"
(S.19).
Hinzu kommt, dass die Berufsschule zu wenig auf die Abgänger aus Sonderschulen
eingeht.
6
Wird es in rein schulischer Form absolviert, spricht man vom Berufsgrund
schuljahr.

Kapitel 5: Alternativen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses
24
5.4 Die Zuerkennung des Hauptschulabschlusses nach
abgeschlossener Berufsausbildung
In einigen Bundesländern wird nach erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung in
der Regel ein dem Hauptschulabschluss gleichwertiger Bildungsabschluss zuerkannt.
In RLP besteht diese Möglichkeit nicht.
Baden-Württemberg, eines der Bundesländer, in dem auf diese Weise nach der Be-
rufsausbildung der Hauptschulabschluss erworben werden kann, begründet die Maß-
nahme wie folgt:
In den Förderschulen haben die berufliche Eingliederung sowie die Begleitung des
Übertritts in die berufliche Phase einen außerordentlich hohen Stellenwert. Gegen-
über dem Erreichen formaler Abschlüsse zielt das pädagogische Programm der Vor-
bereitung auf Beruf und Leben darauf ab, die Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung zu
stärken. In diesem Zusammenhang ist dafür zu sorgen, dass auf dem Weg über eine
berufliche Vorbereitung oder auf direktem Weg eine berufliche Ausbildung aufge-
nommen werden kann.
Wegen der Gewichtung formaler Abschlüsse in unserer Gesellschaft wurde nach er-
folgreich abgeschlossener Lehre die Zuerkennung des Haupschulabschlusses be-
schlossen (vgl. Schreiben vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-
Württemberg, vom 23. März 1999).
Es bleibt zu fragen, inwieweit Schulabgänger der SfL direkt in eine berufliche Ausbil-
dung vermittelt werden können, bevor sie die Berufsreife erlangt haben.
Ähnlich wie beim BGJ liegt auch hier die zentrale Problematik vor, dass, bei
Vermittlung einer beruflichen Qualifikation in Verbindung mit dem nachträglichen
Hauptschulabschluss, die Schwerpunkte zu sehr auf den beruflichen Inhalten liegen
und die Allgemeinbildung in den Hintergrund tritt.

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
25
6.
Die länderspezifischen Regelungen für die
Erlangung des Hauptschulabschlusses für
Lernbehinderte
Nach dem 2. Weltkrieg wurde in der BRD eine Reihe länderübergreifender Empfeh-
lungs- und Beschlussgremien eingerichtet, die eine Vereinheitlichung des auf Län-
dergrundlage unterschiedlich aufgebauten Schulwesens
7
sicherstellen sollten. Wich-
tigstes Organ ist in diesem Zusammenhang seit 1948 die ,,Ständige Konferenz der
Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland" (KMK).
Ein Gegenwartsbeispiel für die schulorganisatorische Variationsbreite wären die län-
derspezifischen Regelungen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses für Lernbe-
hinderte, die von der Schulfremdenprüfung über Sonderprüfungen bis hin zum Ange-
bot eines freiwilligen 10. Schuljahres mit Hauptschulabschluss-möglichkeit an der
SfL reichen.
In allen Bundesländern zeigt sich das Problem einer Teilgruppe der Schule für Lern-
behinderte, die über den Sonderschulabschluss hinaus bildungsfähig ist.
Seit mehreren Jahren sind daher in allen Bundesländern Bestrebungen im Gange, den
Absolventen der Lernbehindertenschule den Hauptschulabschluss zu ermöglichen.
Die in Länderverantwortung geschaffenen Angebote weichen dabei erheblich vonein-
ander ab.
Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Informationen über die länderspezifi-
schen Angebote und Bemühungen:
Bei der Beschaffung der Informationen über aktuelle länderspezifische Möglichkei-
ten, die sich Lernbehinderten bieten, den Hauptschulabschluss zu erwerben, stieß ich
auf Grund der förderalistischen Struktur Deutschlands auf erhebliche Schwierigkei-
ten.
Die Hauptschwierigkeiten ergaben sich bei der Materialbeschaffung dadurch, weil
diese Informationen an keiner zentralen Stelle in Deutschland gesammelt werden.
Über das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
Bundesrepublik Deutschland konnte man in diesem Zusammenhang lediglich eine
Übersicht zur Dauer der Vollzeitschulpflicht in den einzelnen Ländern und zu den
Möglichkeiten eines freiwilligen 10. Bildungsjahres erhalten, welches sich aber nur
auf Hauptschulen bezieht, nicht auf das freiwillige 10. Schuljahr an Sonderschulen.
7
Die Gleichschaltung des früheren Schulwesens war für den Nationalsozialismus ein wichtiges
Mittel zur Erreichung seiner Ziele. Die Alliierten einigten sich darauf, auf keinen Fall mehr den
Nationalsozialismus in Deutschland zuzulassen. Deshalb untersteht das Bildungs- und
Schulwesen seit damals, wie alle kulturellen Einrichtungen, der Kulturhoheit der Länder und
weist infolgedessen eine erhebliche schulorganisatorische Variationsbreite auf.

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
26
Das Sekretariat der KMK sandte mir eine Anschriftenliste der 16 Kultusministerien
und Senatsverwaltungen der BRD zu, über die ich weitere Information anfordern
konnte. Leider gaben manche Kultusministerien und Senatsverwaltungen nur lücken-
hafte Informationen über die rechtlichen Regelungen und gesetzlichen Verankerun-
gen des freiwilligen 10. Schuljahres an der SfL bzw. der Alternativen dazu heraus.
Insofern ist es möglich, dass die nachfolgenden Ausführungen nicht immer vollstän-
dig die vielschichtigen Bedingungen und Sachverhalte erfassen.
8
Um Gemeinsamkeiten, bezogen auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses, nicht
immer wieder bei jedem einzelnen Bundesland zu erwähnen, sei folgender Abschnitt
den eigentlichen Ausführungen vorangestellt:
In allen Bundesländern (gleich welche Institutionen sich zum Erwerb der Berufsrei-
fe für Lernbehinderte bieten)
besteht für Schüler der SfL mit hervorragenden Leis-
tungen während der Schulzeit grundsätzlich die Möglichkeit der Rückschulung in die
Regelschule. Die Integration in Regelschulen endet meist spätestens nach dem Be-
such der Klasse 8. In welchem Umfang von dieser Maßnahme Gebrauch gemacht
wird, variiert von Bundesland zu Bundesland und ist abhängig von weiteren Mög-
lichkeiten, den Hauptschulabschluss zu erwerben.
Weiterhin besteht in allen Bundesländern die Gelegenheit, im Anschluss an die
Schulzeit den Hauptschulabschluss im Rahmen des beruflichen Bildungssystems
nachträglich zu erwerben und zwar durch den erfolgreichen Besuch des Berufs-
grund(bildungs)schuljahres.
Außerdem wird sogar in einzelnen Ländern (z. B. Bayern, Baden-Württemberg, Saar-
land u. a.) nach erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung (Abschluss der Lehre)
in der Regel ein dem Hauptschulabschluss gleichwertiger Bildungsabschluss zuer-
kannt.
Die tabellarische Übersicht auf der nächsten Seite soll einen schnellen Überblick
über die länderspezifischen Möglichkeiten, für Schüler der SfL den Hauptschulab-
schluss zu erlangen, geben.
8
Gesetzliche Regelungen sind in den Landesschulgesetzen und Erlässen der jeweiligen
Kultusministerien und Senatsverwaltungen genau nachzulesen. Eine Anschriftenliste der
16 Kultusministerien und Senatsverwaltungen zur Beschaffung vertiefender Informationen
liegt der Anlage 1 bei.

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
27

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
28
Anmerkungen zur tabellarischen Übersicht (Tabelle 1) auf Seite 27:
Aus der oben aufgeführten Auflistung geht hervor, dass der Hauptschulabschluss für
Schüler der SfL nicht in allen Bundesländern über ein 10. Schuljahr an L-Schulen
erreichbar ist. In diesen Ländern wird vorrangig angestrebt, den Hauptschulabschluss
für L-Schüler über die Schulfremdenprüfung zu vermitteln.
In folgenden Bundesländern haben L-Schüler die Möglichkeit, ein (freiwilliges)
10. Schuljahr an der SfL zum Erwerb des Hauptschulabschlusses zu besuchen:
Brandenburg,
Berlin,
Bremen
Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz,
Sachsen,
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein und
(Thüringen).
Nicht in allen dieser zwölf Bundesländer ist das 10. Schuljahr an L-Schulen auf frei-
williger Basis, da in einigen Bundesländern (s. u.) die allgemeine Vollzeitschulpflicht
derzeit anstatt neun, zehn Schuljahre umfasst (vgl. KMK, 1998).
Durch den Vergleich der Informationen, die ich von den jeweiligen Kultusministerien
und Senatsverwaltungen erhielt, lässt sich folgendes zusammenfassend festhalten:
Die Regelungen der Einrichtung des freiwilligen 10. Schuljahres und die leistungsbe-
zogenen Eingangsbedingungen, die die Schüler der SfL erfüllen müssen, um in das
10. Schuljahr aufgenommen zu werden, sind keineswegs in diesen zwölf Bundeslän-
dern einheitlich, aber trotzdem im Großen und Ganzen miteinander vergleichbar.
Lediglich die gravierenden Differenzen werden hier kurz aufgeführt, bevor die
Rechtsgrundlage für das freiwillige 10. Schuljahr an der SfL zum Erwerb des Haupt-
schulabschlusses in RLP eingehend behandelt wird.
Die Regelungen über das freiwillige 10. Schuljahr an der SfL in
Mecklenburg-
Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein kommen
den rheinland-pfälzischen Regelungen (s. u.) sehr nahe und werden, um Wiederho-
lungen zu vermeiden, hier nicht näher erläutert.
Das
freiwillige 10. Schuljahr der SfL in Hamburg und in Sachsen schließt mit einer
Abschlussprüfung an den jeweiligen Sonderschulen ab. Beim Bestehen dieser Prü-
fung erhalten die Schüler einen der Hauptschule gleichwertigen Abschluss. In der

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
29
Abschlussprüfung soll nachgewiesen werden, dass das Ziel der Hauptschule erreicht
ist.
Im Freistaat Sachsen ist die Fremdsprache Englisch Bestandteil des Hauptschulab-
schlusses, auch für L-Schüler. Gemäß § 36 (5) der Verordnung des Sächsischen
Staatsministeriums für Kultus über Förderschulen im Freistaat Sachsen (1996), veröf-
fentlicht im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 9, S. 167, wird Englisch
mit der Maßgabe unterrichtet, ,,dass das Ziel der Klasse 7 der Mittelschule am Ende
der Klasse 10 erreicht wird."
In
Berlin, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen umfasst die allgemei-
ne Schulpflicht derzeit, statt neun, wie in allen anderen Bundesländern, zehn Schul-
jahre (vgl. KMK, 1998).
Der Schüler kann entsprechend seinen Fähigkeiten und Neigungen wählen, ob er im
10. Vollzeitschuljahr in der SfL verbleiben oder eine berufsbildende Schule besuchen
will. Das Gesetz soll den Schülern der SfL die Möglichkeit bieten, den gestiegenen
Anforderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft gerecht zu werden. Das schuli-
sche Angebot zur Anhebung der Allgemein- und Mindestbildung beabsichtigt die
Verbesserung der Berufsreife und die Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt.
Schülern der SfL, die das Ziel der Klasse 9 erreicht haben und sich für den Besuch
des 10. Vollzeitpflichtschuljahres an der SfL entschieden haben, wird die Möglichkeit
eröffnet, den Haupschulabschluss zu erwerben, wenn sie bestimmte Voraussetzungen
erfüllt haben. Wer diese erfüllt, erhält ein Zeugnis mit dem Vermerk über den erteil-
ten Abschluss. Werden die Voraussetzungen nicht erfüllt, erhalten die Schüler ein
Abgangszeugnis. Gesonderte Abschlussprüfungen werden in diesen vier Bundeslän-
dern nicht verlangt.
In Berlin ist die Möglichkeit des 10. Schuljahres an L-Schulen noch nicht gesetzlich
fest verankert. Ein entsprechender Schulversuch besteht, nach Auskunft der Berliner
Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, seit dem Schuljahr 1993/94. Davor
konnten Schüler der SfL nur über berufsbefähigende Lehrgänge im 10. Schuljahr
(BB10) an Berufsschulen einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Bildungs-
abschluss erwerben.
Wie bereits erwähnt, ist die Vergabe des Hauptschulabschlusses durch die SfL nicht
in allen Bundesländern möglich.
Thüringen nimmt unter den Bundesländern, die eine 10. Klassenstufe an der SfL
anbieten, eine Sonderstellung ein. Schüler der SfL beenden in der Regel nach dem
Besuch der 9. Klassenstufe ihre allgemeinbildende Vollzeitschulpflicht. Eine
10. Klassenstufe ist möglich (vgl. § 10 (2) des Gesetzes über die Förderschulen in
Thüringen, 1992).
Aber selbst mit erfolgreichem Besuch der Klassenstufe 10 wird lediglich ein Ab-
schluss im Bildungsgang zur Lernförderung erreicht, welcher aber auch nach Klas-

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
30
senstufe 9 erreichbar ist (vgl. a. a. O, § 15 (3)). Der Erwerb des Hauptschulabschlus-
ses ist somit im Bildungsgang zur Lernförderung in Thüringen nicht möglich.
9
Ein dem Hauptschulabschluss gleichwertiger Abschluss kann, gemäß § 15 (3) des
Gesetzes über die Förderschulen in Thüringen (1992), im Anschluss an die allgemei-
ne Schulpflicht nur im Rahmen eines Berufsvorbereitungsjahres mit abgeschlossener
besonderer Leistungsfeststellung (in Form von Klassenarbeiten) erreicht werden.
In
Baden-Württemberg, Hessen und Saarland besteht nicht die Möglichkeit eines
freiwilligen 10. Schuljahres an der SfL zum Erwerb des Hauptschulabschlusses, da in
diesen Ländern, laut Aussage der Ministerien, hierzu weder der Bedarf bestehe noch
die rechtlichen Voraussetzungen vorlägen.
Die direkte Eingliederung der L-Schüler in die Berufswelt und die Bewältigung ihres
Alltags steht in diesen Bundesländern über dem Erreichen formaler Abschlüsse.
Für lernbehinderte Schüler besteht aber trotzdem die Möglichkeit, den Hauptschulab-
schluss zu erwerben. Die drei Bundesländer machen dabei vorwiegend von der Schul-
fremdenprüfung (s. Kap. 5.2) Gebrauch. Zur Vorbereitung darauf werden von den L-
Schulen selbst, beginnend mit dem 7. oder 8. Schuljahr, Förderklassen angeboten.
Dies kann auch in Volkshochschulen oder anderen öffentlich geförderten Bildungsin-
stituten geschehen.
Da in Baden-Württemberg Hauptschüler generell eine Abschlussprüfung zur Erlan-
gung des Hauptschulabschlusses ablegen müssen, nehmen geeignete Schüler der SfL
als ,,Schulfremde" dieser Hauptschulabschlussprüfung, zusammen mit den Haupt-
schülern der Klasse 9, teil. Der Ort der Abschlussprüfung ist immer die HS. Über die
Zulassung zur Prüfung entscheidet das Staatliche Schulamt. Die Prüfungsaufgaben
werden vom Kultusministerium landeseinheitlich gestellt (vgl. Verordnung des Kul-
tusministeriums über die Abschlussprüfungen an Hauptschulen, 1994).
Eine weitere Variante stellt das Bundesland
Bayern dar, wo der SfL auch kein
10. Schuljahr angegliedert ist.
Bayern differenziert zwischen einem ,,einfachen Hauptschulabschluss" (erfolgreicher
Besuch der Hauptschule) und einem ,,qualifizierenden Hauptschulabschluss". Ab-
schlussprüfungen sind nur für den qualifizierenden Hauptschulabschluss eingerichtet.
Zur Prüfung für den qualifizierenden Hauptschulabschluss können sich die Haupt-
schüler nur melden, wenn sie bestimmte Voraussetzungen in der 9. Klassenstufe er-
füllt haben. Demnach haben Schüler der SfL nicht ohne weiteres die Möglichkeit als
Schulfremde an der Abschlussprüfung teilzunehmen. Nach Aussage des Bayrischen
Staatsministeriums für Unterricht und Kultus müssen Bewerber aus der SfL ihre
Vollzeitschulpflicht seit mindestens einem Jahr erfüllt haben, wenn sie an der Prü-
fung teilnehmen möchten. Anstelle des Faches Englisch kann der Bewerber auch das
Fach Physik/Chemie wählen.
9
Über die Funktion des freiwilligen 10. Schuljahres an L-Schulen in Thüringen liegt mir kein
Material vor.

Kapitel 6: Die länderspezifischen Regelungen
31
Geläufiger ist allerdings folgender Weg, L-Schüler zum Hauptschulabschluss zu füh-
ren: In Bayern besteht die Möglichkeit, Lernbehinderte nach dem Ende ihrer Sonder-
schulzeit bei gleichzeitiger Schulzeitverlängerung auf Antrag der Erziehungsberech-
tigten in die 9. Klasse der Hauptschule zu überweisen, wo sie dann nach einem Jahr
den Hauptschulabschluss erreichen können und somit ,,re-integriert" wären.
Rechtsgrundlage für den freiwilligen Besuch der HS ist Art. 38 des Bayerischen Ge-
setzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (1998).
Art. 38 lautet wie folgt:
,,Art. 38
Freiwilliger Besuch der Hauptschule
Ein Schulpflichtiger, der nach neun oder zehn Schulbesuchsjahren den erfolgreichen
Hauptschulabschluss oder den qualifizierenden Hauptschulabschluss nicht erreicht
hat, darf in unmittelbarem Anschluss daran auf Antrag seiner Erziehungsberechtigten
in seinem zehnten oder elften Schulbesuchsjahr die Hauptschule besuchen; in beson-
deren Ausnahmefällen kann die zuständige Schule auch den weiteren Besuch in ei-
nem zwölften Schuljahr genehmigen ..."
Um die Durchlässigkeit zwischen den Schularten zu fördern, arbeiten, nach Auskunft
des Bayerischen Staatsministeriums benachbarte Schulen, so auch die SfL und die
HS, häufig eng zusammen. Lernangebote, Lernverfahren sowie Lehr- und Lernmittel
der beteiligten Schulen würden dabei aufeinander abgestimmt werden. Dies diene der
gemeinsamen Grundbildung innerhalb der differenzierten Bildungsangebote.

Kapitel 7: Die Rechtslage in Rheinland-Pfalz
32
7.
Die Rechtslage in Rheinland-Pfalz zum Erwerb
des Hauptschulabschlusses an Schulen für
Lernbehinderte
In dem folgenden Kapitel sollen die gesetzlichen Grundlagen kenntlich gemacht wer-
den, die die Einrichtung des freiwilligen 10. Schuljahres an der SfL zum Erwerb des
Hauptschulabschlusses in RLP begründen, sie berechtigt erscheinen lassen und das
Konzept theoretisch verdeutlichen.
7.1 Der Aufbau des freiwilligen 10. Schuljahres für Schüler
der Schule für Lernbehinderte
Die Struktur des freiwilligen 10. Schuljahres an Schulen für Lernbehinderte zum Er-
werb des Hauptschulabschlusses wird an der Schulordnung für die öffentlichen Son-
derschulen für RLP vom 13. Dezember 1991 (GVBl 1992 S. 11, Amtsbl. 1992,
S. 157) aufgezeigt.
7.1.1 Die Aufgabe
Die Aufgabe des zusätzlichen 10. Schuljahres ist der Erwerb der ,,Qualifikation der
Berufsreife als ein Abschluß der Sekundarstufe I (Hauptschulabschluß)" (§ 27 (1)),
der bei erfolgreicher Teilnahme am freiwilligen 10. Schuljahr an der SfL ermöglicht
wird.
,,`Berufsreife` intendiert keine isolierte spezialisierte Berufsausbildung, sondern die
Befähigung, in der Sekundarstufe II eine berufliche Ausbildung als Facharbeiter ... im
dualen System ...und eine weiterführende allgemeine Bildung zu erwerben" (Bege-
mann, 1982, S.146).
7.1.2 Die Vorbereitung auf die erhöhten Anforderungen des
10. Schuljahres
Die Einrichtung eines 10. Schuljahres besteht nicht an allen rheinland-pfälzischen L-
Schulen; die Vorbereitung auf das 10. Schuljahr wird an allen L-Schulen in RLP vor-
genommen. Die Vorbereitungsdauer beträgt in der Regel ein Schuljahr.
RLP hat für Schüler der SfL, deren schulische Leistungen erwarten lassen, dass sie
zum Hauptschulabschluss geführt werden können, sogenannte Vorlaufklassen oder
Lerngruppen an L-Schulen eingerichtet, die die Schüler auf die erhöhten Anforderun-

Kapitel 7: Die Rechtslage in Rheinland-Pfalz
33
gen der 10. Klasse vorbereiten sollen. ,,Die Vorlaufklasse wird an der Schule, an der
ein freiwilliges 10. Schuljahr eingerichtet ist, die Lerngruppe an der bisher von dem
Schüler besuchten Schule gebildet" (§ 28 (1)).
Die Schüler haben auch die Möglichkeit, zu Beginn des 9. Schuljahres, an die ent-
sprechende Schule mit 10. Schuljahr zu wechseln, da die Vorlaufklassen auch ,,der
Angleichung des unterschiedlichen Leistungsstandes der Schüler auf den einzelnen
Schulen" (§ 28 (2)) dienen.
Nach § 28 (3) erfolgt die ,,Meldung der Schüler für die Vorbereitung auf Grund einer
dahingehenden Empfehlung der Klassenkonferenz und nach Zustimmung der Eltern.
Die Meldung wird zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres der Klassenstufe 8 von der
bisher besuchten Schule abgegeben."
7.1.3 Die Aufnahmekriterien
Schüler, die in das 10. Schuljahr aufgenommen werden wollen, müssen gewisse leis-
tungsbezogene Eingangsvoraussetzungen erfüllen.
Aufgenommen wird, wer die Vorbereitung (s. o.) erfolgreich abgeschlossen hat, d. h.
die Schüler müssen ,,von der Klassenkonferenz der Klassenstufe 9 eine entsprechende
Empfehlung erhalten haben. Die Empfehlung soll nur ausgesprochen werden, wenn
in den Fächern Deutsch und Mathematik gute Leistungen nachgewiesen werden und
zu erwarten ist, daß auf Grund des Lernverhaltens und Leistungsstandes der Haupt-
schulabschluss erreicht werden kann" (§ 29 (1)).
Die Schulen müssen die für den Besuch des 10. Schuljahres geeigneten Schüler bis
spätestens 20. Februar der L-Schule, an der das freiwillige 10. Schuljahr eingerichtet
ist, melden. Die Eltern müssen die Aufnahme ihres Kindes selbst beantragen. Der
Anmeldebogen zum freiwilligen 10. Schuljahr enthält persönliche Angaben zum
Schüler, die Einverständniserklärung der Eltern sowie das letzte Zeugnis und ein Be-
richt über das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten (vgl. § 29 (2)).
Gemäß § 29 (3) trifft letztendlich, nach Vorlage des Zeugnisses und nach Anhörung
der Eltern, der Schulleiter der Schule, an der das freiwillige 10. Schuljahr eingerichtet
ist, die Entscheidung über die Aufnahme des Schülers.
7.1.4 Der Stundenplan im 10. Schuljahr
Nach der Schulordnung für die öffentlichen Sonderschulen (1991) gehören zum
Schulfächerkanon des freiwilligen 10. Schuljahres zum Erwerb des Hauptschulab-
schlusses:
- die Pflichtfächer: Religion/ Ethik, Deutsch, Mathematik, Erdkunde, Geschichte,
Sozialkunde, Physik/ Chemie, Biologie, Arbeitslehre, Sport und Musik.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832478766
ISBN (Paperback)
9783838678764
DOI
10.3239/9783832478766
Dateigröße
5.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau – Erziehungswissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (April)
Note
1,0
Schlagworte
bildung förderung förderschwerpunkt lernen lernbehindertenpädagogik schulvergleich
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