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Die Intervention der USA in Vietnam

Erklärungsmuster in westdeutschen und britischen Zeitungen 1964-1969

©2003 Magisterarbeit 206 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Die Arbeit untersucht die Wahrnehmung der US-Vietnampolitik in westdeutschen Zeitungen und zieht zum Vergleich die britische Perspektive hinzu. Sie konzentriert sich dabei darauf, wie westdeutsche und britische Journalisten zwischen 1964 und 1969 die Frage beantworten: Warum führen die USA Krieg in Vietnam? Der Krieg in dem südostasiatischen Land war ein bedeutendes Ereignis in der westdeutsch-amerikanischen Beziehungsgeschichte. Je stärker das militärische Engagement der USA wurde, desto tiefer wurde in der westdeutschen Öffentlichkeit die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern des Kriegs.
Obwohl die Sechziger in der Bundesrepublik wie in Großbritannien eine Zeit der Expansion audiovisueller Medien waren, konzentriert sich diese Untersuchung auf Zeitungen, denn sie hatten als „Leitmedien“ oder „Meinungsführermedien“ einen hohen Einfluss auf die anderen Medien und auf die Gesellschaft. (Wilke, Jürgen 1999)
Diese Arbeit fragt sowohl nach expliziten Erklärungsversuchen deutscher Zeitungen für die Intervention in Vietnam als auch nach unausgesprochenen Annahmen über die Beweggründe der Vereinigten Staaten. Dabei wird auch auf die Erkenntnisse anderer wissenschaftlicher Disziplinen zurückgegriffen, insbesondere der Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie der sozialwissenschaftlichen Kognitionsforschung. Neben der Suche westdeutscher und britischer Journalisten nach fest umrissenen, eindeutig fassbaren und explizit angesprochenen Gründen für das amerikanische Vorgehen – als Beispiel sei die „Domino-Theorie“ genannt – wird das manifest oder latent aufgebaute Image der USA und ihrer Bürger im Zentrum der Arbeit stehen, sofern dieses in Zusammenhang mit der Intervention in Vietnam gebracht wird. Es geht hierbei also auch um Erklärungsversuche nach folgendem Schema: Die Amerikaner betreiben diese Politik und keine andere, weil ihnen bestimmte Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften zu eigen sind.
Die leitende Frage, nämlich die nach westdeutschen und britischen Antworten auf die Frage „Warum führen die USA Krieg in Vietnam?“, schließt weitere ein: Welchen Quellen wird am meisten Vertrauen geschenkt? Wie verändern sich die Erklärungsmuster im Kriegsverlauf? Wie unterscheiden sich die Zeitungen in den vorgebrachten Ansätzen voneinander? Wie werden aktuelle Entscheidungen und konkretes militärisches Vorgehen in Vietnam beschrieben? Wie verhalten sich die Aussagen der Journalisten über die Intentionen der USA zu […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7844
Fraune, Burkhard: Die Intervention der USA in Vietnam - Erklärungsmuster in
Westdeutschen und Britischen Zeitungen 1964-1969
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Justus-Liebig-Universität Gießen, Universität, Magisterarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I
I. EINLEITUNG ... 1
1. Einführung ...2
1.1 Fragestellung ...2
1.2 Abgrenzung des Themas ...4
1.3 Forschungsstand ...4
2. Grundlagen der Arbeit...6
2.1 Gang der Untersuchung ...6
2.2 Methodische
Überlegungen ...8
2.3 Informationen zu den Quellen
und Begründung der Auswahl ...11
2.4 Definition der Grundbegriffe...15
3. Konflikte um Vietnam bis 1964 ...21
II. UNTERSUCHUNG DES QUELLENMATERIALS ... 25
4. Die Krise im Golf von Tonking ...26
5. Die Entsendung amerikanischer Bodentruppen
und die Operation ,,Rolling Thunder" ...40
6. Johnsons Friedensoffensive und ihr Ende, 1966...52
7. Operation ,,Cedar Falls"...67
8. Die Tet-Offensive ...78
9. Der Bombenstopp und Johnsons Verzicht ...102
10. Die Entscheidung zum Abzug...123
11. Exkurs: Bilaterale Beziehungen mit den USA
und der Krieg in Vietnam ...131

Einführung
II
III. AUSWERTUNG UND EINORDNUNG ... 149
12. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse...150
12.1 Entwicklungslinien in den untersuchten Zeitungen...150
12.2 Vergleich der Entwicklungen und weitere Ergebnisse...160
13. Mögliche Ursachen dieser Ergebnisse ...164
13.1 Vergleich mit den bilateralen Beziehungen der USA
mit der Bundesrepublik und Großbritannien ...164
13.2 Quellen und Perspektiven der Berichterstattung ...166
13.3 Amerikabilder ...168
13.4 Journalistische Kultur in beiden Ländern ...171
13.5 Biografische Stationen der Autoren ...173
IV. SCHLUSSBETRACHTUNG ... 178
Abkürzungsverzeichnis...182
Anhang: Quantitative Erhebungen...183
Literaturverzeichnis ...195

I. E
INLEITUNG

Einführung
2
1. Einführung
1.1 Fragestellung
Ausgehend von einem allgemeinen Interesse an der Rolle der Massenme-
dien in den deutsch-amerikanischen Beziehungen im Verlauf der Neueren
Geschichte, insbesondere der Zeitgeschichte, untersucht diese Arbeit die Wahr-
nehmung der US-Außenpolitik in westdeutschen Zeitungen und zieht zum
Vergleich die britische Perspektive hinzu. Sie konzentriert sich dabei darauf,
wie westdeutsche und britische Journalisten zwischen 1964 und 1969 die Frage
beantworten: Warum führen die USA Krieg in Vietnam? Der Krieg in dem
südostasiatischen Land war ein bedeutendes Ereignis in der westdeutsch-
amerikanischen Beziehungsgeschichte. Je stärker das militärische Engagement
der USA wurde, desto tiefer wurde in der westdeutschen Öffentlichkeit die
Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern des Kriegs.
1
Ein wichtiger Teil dieser Öffentlichkeit waren die Zeitungen. Der enge Zu-
sammenhang von Journalismus und Gesellschaft ist seit langem unbestritten.
So hat schon 1845 Robert Eduard Prutz in seiner ,,Geschichte des deutschen
Journalismus" beobachtet:.,,Der Journalismus überhaupt (...) stellt sich als
Selbstgespräch dar, welches die Zeit über sich selber führt."
2
In den Sechziger
Jahren des 20. Jahrhunderts sind die Medien, vor allem durch die Ausbreitung
des Fernsehens, neben anderen Akteuren ,,zu gleichberechtigten Mitspielern im
politischen Geschäft" geworden.
3
Obwohl die Sechziger in der Bundesrepublik
wie in Großbritannien eine Zeit der Expansion audiovisueller Medien waren,
konzentriert sich diese Untersuchung auf Zeitungen, denn sie hatten als
,,Leitmedien" oder ,,Meinungsführermedien" einen hohen Einfluss auf die
anderen Medien und auf die Gesellschaft.
4
1
Arenth, Joachim: Johnson, Vietnam und der Westen. Transatlantische Belastungen 1963-
1969, München 1994, S. 191.
2
Prutz, Robert Eduard: Geschichte des deutschen Journalismus. Faksimiledruck nach der 1.
Auflage, Göttingen 1971, S. 7.
3 Hoffmann, Jochen und Ulrich Sarcinelli: Politische Wirkungen der Medien, in: Jürgen
Wilke (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 720-750.
4
Wilke, Jürgen: Leitmedien und Zielgruppenorgane, in: Jürgen Wilke (Hrsg.): Medienge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 302-329.
Zur Auswahl des Quellenmaterials vgl. Kap. 2.3.

Einführung
3
Diese Arbeit fragt sowohl nach expliziten Erklärungsversuchen deutscher
Zeitungen für die Intervention in Vietnam als auch nach unausgesprochenen
Annahmen über die Beweggründe der Vereinigten Staaten. Dabei wird auch
auf die Erkenntnisse anderer wissenschaftlicher Disziplinen zurückgegriffen
werden, insbesondere der Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie
der sozialwissenschaftlichen Kognitionsforschung.
5
Neben der Suche west-
deutscher und britischer Journalisten nach fest umrissenen, eindeutig fassbaren
und explizit angesprochenen Gründen für das amerikanische Vorgehen ­ als
Beispiel sei die ,,Domino-Theorie"
6
genannt ­ wird das manifest oder latent
aufgebaute Image der USA und ihrer Bürger im Zentrum der Arbeit stehen,
sofern dieses in Zusammenhang mit der Intervention in Vietnam gebracht wird.
Es geht hierbei also auch um Erklärungsversuche nach folgendem Schema: Die
Amerikaner betreiben diese Politik und keine andere, weil ihnen bestimmte
Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften zu eigen sind.
Die leitende Frage, nämlich die nach westdeutschen und britischen Ant-
worten auf die Frage ,,Warum führen die USA Krieg in Vietnam?", schließt
weitere ein: Welchen Quellen wird am meisten Vertrauen geschenkt? Wie
verändern sich die Erklärungsversuche im Kriegsverlauf? Wie unterscheiden
sich die Zeitungen in den vorgebrachten Ansätzen voneinander? Wie werden
aktuelle Entscheidungen und konkretes militärisches Vorgehen in Vietnam
beschrieben? Wie verhalten sich die Aussagen der Journalisten über die Inten-
tionen der USA zu den Erkenntnissen der neueren historischen Forschung?
Diese Arbeit analysiert somit wesentliche Aspekte der Zeitungsberichter-
stattung über die amerikanische Vietnampolitik, die als Erklärung für das
Vorgehen der USA fungiert haben könnten. Sie will sie herausfiltern, einord-
nen und vergleichen.
5
Vgl. dazu Kap. 2.2.
6
Ausführlicher dazu S. 23.

Einführung
4
1.2 Abgrenzung des Themas
Diese Untersuchung dient nicht der Verknüpfung zwischen Medieninhal-
ten und öffentlicher Meinung in der Bundesrepublik oder in Großbritannien
herzustellen. Eine Analyse des Medieninhaltes allein, um die es sich bei dieser
Untersuchung handelt, lässt das nicht zu. Es wird zwar davon ausgegangen,
dass die Massenmedien im Untersuchungszeitraum und gerade auch vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass die meisten Menschen keine Möglichkeit hat-
ten, sich ein eigenes Bild von den weit entfernt liegenden Kriegs- bzw. Ent-
scheidungsschauplätzen Vietnam und Washington zu machen, ein wichtiger
Faktor in der Bildung der öffentlichen Meinung waren. Doch waren sie bei
weitem nicht der einzige meinungsprägende Faktor ­ eigene Erfahrungen und
soziale Kontakte seien nur als zwei weitere Variablen genannt ­, und zudem
können dieselben Inhalte je nach Rezipient vollkommen verschieden wahrge-
nommen und verarbeitet werden,
7
so dass sich lineare Wirkungshypothesen
verbieten.
Was für die Wirkung von Medieninhalten gilt, ist auch bei Aussagen über
ihr Zustandekommen zu berücksichtigen. Von journalistischen Selbstverständ-
nissen über Informationsquellen bis hin zu bestimmten Ereignismerkmalen
reicht die Spannbreite der zahlreichen Faktoren, die die Berichterstattung
bestimmen und über nicht wenige von ihnen ist die Forschung uneins. Wenn
Kapitel 13 also der Frage nachgeht, warum Journalisten die amerikanische
Vietnampolitik so erklärten, wie sie sie erklärten, so sind die Erwägungen
Hinweise über eine Reihe von Einflussfaktoren, die keinen Anspruch auf Voll-
ständigkeit erhebt.
1.3 Forschungsstand
Der Vietnamkrieg an sich ist ausgiebig erforscht worden ist, vor allem
durch US-amerikanische Historiker. Auch zu den deutsch-amerikanischen
Beziehungen sind zahlreiche Einzeluntersuchungen und Gesamtdarstellungen
7
Kunczik, Michael: Die manipulierte Meinung. Nationale Image-Politik und internationale
Public Relations, Köln/Wien 1990, S. 3.

Einführung
5
erschienen,
8
in denen auch gelegentlich Vietnam als Problem auftauchte. Die
deutsch-amerikanischen Beziehungen vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs
sind jedoch relativ unerforscht. Insbesondere die Rolle der Medien ist bisher
kaum systematisch untersucht und gewürdigt worden. Hervorzuheben ist einzig
Joachim Arenths detaillierte Untersuchung zum Einfluss des Vietnamkriegs auf
die Beziehungen der USA zu Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepu-
blik.
9
Arenth zieht bei der Beurteilung der gegenseitigen Einschätzung der vier
Länder immer wieder Artikel aus vielen unterschiedlichen Zeitungen zurate,
jedoch häufig als Sekundärquelle, bei wechselnder Tiefe und Intensität der
Auswertung, und gelegentlich einzig, um einen Eindruck von der Atmosphäre
im Umfeld von Großereignissen zu verschaffen.
Untersuchungen, die Zeitungen als Primärquellen auswerten und sich ihrer
Berichterstattung über die amerikanische Vietnampolitik zuwenden, gibt es nur
wenige. Neben einer Magisterarbeit über den Vietnamkonflikt und die west-
deutsche Öffentlichkeit zur Amtszeit Kennedys
10
, ist die einzige noch erwäh-
nenswerte Arbeit, die sich bei der Untersuchung der Öffentlichkeit vor allem
auf Zeitungen stützte, bereits recht alt. Am Beispiel des Magazins Der Spiegel
ging Anita Eichholz in ihrer 1979 erschienen Studie der Frage nach, wie die
Rezeption des Krieges bei deutschen Journalisten durch die Verarbeitung der
eigenen Nachkriegserfahrung verlief, und kam zu dem Ergebnis, dass die
Autoren des Spiegel, abgesehen von Rudolf Augstein, sich bis etwa 1971
scheuten, den Krieg zu kommentieren, weil sie Rücksicht auf die Abhängigkeit
der Bundesrepublik von den USA nehmen wollten. Das Problem, das ihr Er-
gebnis zur Monokausalität tendierte, räumte Eichholz implizit ein, als sie im
Schluss auf die ,,Pentagon Propaganda Machine"
11
als möglichen weiteren
Einflussfaktor hinwies. Darin wird die oben (Kap. 1.2) angedeutete Schwierig-
keit deutlich, alle Faktoren zu benennen und zu untersuchen, die die Berichter-
8
Es sei hier stellvertretend auf die umfangreiche Anthologie verwiesen, die Detlef Junker
vor zwei Jahren herausgegeben hat. Junker, Detlef (Hrsg.): Die USA und Deutschland im
Zeitalter des Kalten Krieges. Ein Handbuch, Bd. 1: 1945-1968, Bd. 2: 1968-1990, Stutt-
gart/München 2001.
9
Arenth: Johnson.
10
Hölzer, Tanja: Vietnam ­ Prüfstein amerikanischer Glaubwürdigkeit? Der Vietnamkonflikt,
die Regierung Kennedy und westdeutsche Öffentlichkeit 1961-1963, Magisterarbeit, Gie-
ßen 1995.
11
Eichholz: Vietnamkrieg, S. 218.

Grundlagen der Arbeit
6
stattung bestimmen. Winfried Scharlaus noch aus der Zeit des Krieges stam-
mender Essay zeigte das andere in Kap. 1.2 beschriebene Problem. Er sugge-
riert Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zwischen Medienberichterstattung
und Publikumsmeinung.
12
2. Grundlagen der Arbeit
2.1 Gang der Untersuchung
Die Untersuchung orientiert sich in ihrem Aufbau an Verfahrensschritten,
die der Hermeneutiker Helmut Danner vorgeschlagen hat, und stützt sich zu-
dem auf Empfehlungen der Kommunikationswissenschaftler Carey und Chris-
tians.
13
Danner unterscheidet zwischen (1) vorbereitender, (2) textimmanenter
und (3) koordinierender Interpretation.
(1) Im ersten Schritt ist die Überprüfung der Authentizität der Quellen er-
forderlich. Sie wird bei dem vorliegenden Material, Zeitungen aus den Jahren
1964 bis 1969, vorausgesetzt und muss nicht mehr, wie von Dauner gefordert,
bei jeder einzelnen Zeitung untersucht werden. Die Fragestellung ist zentral für
12
Scharlau, Winfried: Vietnam in der deutschen Presse, in: J. William Fulbright: Das Penta-
gon informiert oder Der Propaganda-Apparat einer Weltmacht, Reinbeck bei Hamburg
1971, S. 7-27. Zwar ist es beispielsweise sicher möglich, dass die Mehrheit der Westdeut-
schen bis zu einem gewissen Zeitpunkt überzeugt war, dass ihre Sicherheit in Indochina
verteidigt werde (S. 20), oder dass sie Vietnam als ,,Brückenkopf der Freiheit" (S. 15) und
Teil der westlichen Welt verstanden. Derartige Überzeugungen aber als direktes Produkt
und gelegentlich wiederum als Faktor der Presseberichterstattung erscheinen zu lassen, oh-
ne den entsprechenden Beweis anzutreten, ist nicht möglich.
13
Danner, Helmut: Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik, München
4
1998, S. 93 ff.
stellt allgemeine Regeln zur Interpretation (nicht nur pädagogischer) Texte auf. Die Vorbe-
reitende Interpretation (A) umfasst danach: Text- und Quellenkritik hinsichtlich der Au-
thentizität, Klärung von Vormeinung und Fragestellung und die Bestimmung eines allge-
meinen Sinns eines Textes. Die textimmanente Interpretation (B) beinhaltet die semanti-
sche und syntaktische Analyse in hermeneutischen Zirkeln. Die Koordinierende Interpreta-
tion (C) schließlich fordert die Einordnung in den Kontext (hier der Berichterstattung) und
die Bildung von Hypothesen.
Carey, James W. und Clifford G. Christians: The Logic and Aims of Qualitative Research,
In: Guido H. Stempel III. und Bruce Westley (Hrsg.): Research Methods in Mass Commu-
nication, Englewood Cliffs 1981, S. 342-362, haben derartige Verfahrensschritte speziell
auf Zeitungen als historische Quellen angewandt und in die Operationen ,,naturalistic ob-
servation", ,,contextualization", ,,maximized comparisons" und ,,sensitzed concepts" um-
gewandelt. Dabei entsprechen die beiden letztgenannten Vorgänge im Wesentlichen Dan-
ners drittem Schritt; Carey und Christians trennen darin lediglich den Vergleich im Kontext
verschiedener Ausgaben des Blattes und die Einordnung in größere Zusammenhänge, die
politisches Umfeld, Redaktionsstrukturen und Arbeitsweisen, etc. einschließt.

Grundlagen der Arbeit
7
das gesamte zugrunde liegende Material in der Einleitung angegeben (Kap.
1.1), so dass nach Danner für den ersten Teil der Untersuchung nur noch die
Bestimmung eines ,,allgemeinen Sinns"
14
, einer Kernaussage der Texte zu
leisten wäre. Um den möglicherweise sehr unterschiedlichen Bewertungen der
Artikel besser gerecht werden zu können, wird dieser Schritt hier allerdings
nicht allgemein, sondern auf der Ebene der einzelnen Zeitungstexte vorge-
nommen und damit in den zweiten Teil der Untersuchung, die textimmanenten
Interpretation (Kap. 4-11), integriert.
(2) In der textimmanenten Interpretation werden Wortbedeutungen, gram-
matikalische Zusammenhänge und globale Sequenzierung der Texte sowie
manifeste und latente Erklärungsversuche für die US-Intervention in Vietnam
untersucht. Ein Schwerpunkt wird auf die angewandeten Argumentationsstra-
tegien gesetzt, aber auch auf die Semantik. Auch Carey/Christians betonen die
Wichtigkeit von Wortbedeutungen:
,,Vocabulary provides worthwhile clues to the way people define their situation;
words indicate levels of trust, the nature of cohesiveness, status categories, authority
structures, and personal bias."
15
Die Kapitel über die Untersuchung des Quellenmaterials sind untergliedert.
Sie beginnen jeweils mit einer Einführung in den historischen Kontext, dann
wird die Berichterstattung dazu Zeitung für Zeitung untersucht. Jedes Kapitel
schließt mit einer Zusammenfassung. Zur besseren Orientierung beginnen
diese Abschnitte in den Kapiteln 4 bis 10 jeweils mit Zwischenüberschriften.
Weil ihre Reihenfolge in jedem dieser Kapitel die gleiche ist, wird aus Grün-
den der Übersichtlichkeit darauf verzichtet, die einzelnen Abschnitte der Un-
tersuchungskapitel im Inhaltsverzeichnis aufzulisten.
(3) Im dritten Teil der Untersuchung (Kap. 12-14), nach Danner die koor-
dinierende Interpretation, werden die Ergebnisse der textimmanenten Interpre-
tation zusammengefasst und miteinander verglichen, um sie zunächst taxono-
misch, auf Grundlage des Materials selbst, zu erklären (Kap. 12). Sodann
werden die Ergebnisse in den Kontext der Zeit gesetzt, um mögliche Gründe
für die Gestalt der vorgefundenen Medieninhalte festhalten zu können. Dabei
14
Danner: Methoden, S. 94.
15
Carey/Christians, S. 348.

Grundlagen der Arbeit
8
ist die Zeitabhängigkeit zu berücksichtigen. Leser in den sechziger Jahren des
letzten Jahrhunderts haben den Medieninhalt unter Umständen anders verstan-
den als heutige.
16
Obwohl es hier auch um semantische Bedeutungen geht,
stehen doch die Sinngehalte der Texte im Vordergrund.
2.2 Methodische Überlegungen
Die Arbeit ist hermeneutisch angelegt, gleichwohl müssen alternative Me-
thoden gewürdigt werden. Von den Sozialwissenschaften sind Presseinhalte
zumeist unter Zuhilfenahme quantitativer Verfahren untersucht worden. Lehr-
bücher zur Inhaltsanalyse verzichten seit den siebziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts in ihren Titeln in der Regel auf den Zusatz ,,quantitativ", so
selbstverständlich ist dieser Zugriff geworden, besonders seit die Entwicklung
der Computertechnologie die Erfassung, Bearbeitung und Auswertung immer
größerer Datenmengen erlaubt. Diese Arbeit verschließt sich dieser Entwick-
lung nicht und geht bei Teilfragen quantitativ vor. Dabei wird davon ausgegan-
gen, dass kein Verfahren rein quantitativer Natur ist. Vielmehr stehen am
Anfang (Fragestellung, Begriffs- und Kategorienbildung, Aufbau des Analyse-
instrumentariums) und am Ende (Rückbezug der Ergebnisse auf die Fragestel-
lung, Interpretation) jeder derartigen Untersuchung qualitative Schritte.
17
Der Gegenstand dieser Arbeit ist Kommunikation, ihr Erkenntnisinteresse
geisteswissenschaftlich bestimmt. Das ist, wie David P. Nord, einer der füh-
renden amerikanischen Kommunikationshistoriker, festhält, typisch für die
Mediengeschichtsschreibung.
18
Entsprechend geht es auch dieser Untersu-
chung nicht um weitreichende Generalisierungen oder gar das Feststellen von
Gesetzmäßigkeiten. Ihr Vorgehen ist in erster Linie hermeneutisch bestimmt.
So ist es möglich, einen Inhalt in seinem Gesamtzusammenhang und seinem
jeweiligen kulturellen und situationellen Kontext zu betrachten. Selbst in der
Germanistik, deren Erkenntnisse auf dem Feld der Zeitungsanalyse hier nicht
16
Carey/Christians, S. 350 ff.
17
Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse, Weinheim
7
2003.
18
Nord, David Paul: The Nature of Historical Research, in: Guido H. Stempel III und Bruce
Westley (Hrsg.), Research Methods in Mass Communication, Englewood Cliffs, New Jer-
sey, 1981, S. 290-315.

Grundlagen der Arbeit
9
außer Acht gelassen werden, fordern Presse-Experten eine zusammenhängende
Analyse, die den Kontext der Äußerungen berücksichtigt.
19
Diese Arbeit
macht sich zudem aber Nords Kernanliegen zu eigen:
,,If journalism historians will at last recognize the value of social science, and com-
munication scientists the value of history, we will be able to give to journalism the
kind of history it deserves."
20
Dabei muss beachtet werden, welche quantitativen Verfahren brauchbar und
praktikabel sind. Um auf die Kritik zu antworten, dass Bewertungen und laten-
te Inhalte nicht erfasst werden können, haben sozialwissenschaftliche Inhalts-
analytiker Valenz-, Intensitäts- und Kontingenzanalysen entwickelt.
21
Dabei
wird beispielsweise Nuancen von Bewertungen durch Skalierung begegnet.
Das pragmatische Problem, dass Codierer weiterhin ihre Wertmaßstäbe ein-
bringen können, da der erste Schritt weiterhin ein qualitativer ist, konnte auch
durch die neuen Methoden nicht gelöst werden.
22
So nutzbringend diese Ver-
fahren trotz aller Vereinfachungen bei der Untersuchung großer Datenmengen
zuweilen sein mögen, so ist es doch fragwürdig, ob der zusätzliche Aufwand,
den die quantitative Auswertung bedeutet, tatsächlich durch ein Plus an Aussa-
gekraft gerechtfertigt ist. Deshalb werden hier ­ neben der den Schwerpunkt
bildenden hermeneutischen Vorgehensweise ­ lediglich einige klassische
Häufigkeitserhebungen vorgenommen, und zwar auf der Grundlage relativ
grober Codiereinheiten.
Ein Manko vieler medienhistorischer Untersuchungen beruht darauf, dass
Erkenntnisse der Medien- und Kommunikationswissenschaft nicht einbezogen
wurden.
23
So entwickelte sich beispielsweise auf der Grundlage linearer Wir-
kungshypothesen die Annahme, die Medien hätten die Antivietnamkriegsbe-
19
Bucher, Hans-Jürgen und Gerd Fritz: Sprachtheorie, Kommunikationsanalyse, Inhaltsana-
lyse, in: Dieter Baacke und Hans-Dieter Kübler (Hrsg.): Qualitative Medienforschung.
Konzepte und Erprobungen, Tübingen 1989, S. 135-160, warnten vor der Konzentration
auf isolierte Textmerkmale, v.a. in quantitativen Inhaltsanalysen. Sie verbanden Sprachwis-
senschaft und Inhaltsanalyse am Beispiel der Presseberichterstattung und forderten, sprach-
liche Handlungen als kleinste Einheiten einer Analyse anzusetzen, und damit eine zusam-
menhängende Betrachtungsweise von Beitragszusammenhang, Zusammenhang im Rahmen
der übrigen Berichterstattung und historischem Zusammenhang. Nur diese kommunikative
Gesamtbetrachtung führe zum Verständnis journalistischer Äußerungen.
20
Ebd., S. 315.
21
Vgl. Mayring.
22
Vgl. Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis, Opladen
2
1995.
23
Nord: The nature, S. 310.

Grundlagen der Arbeit
10
wegung provoziert, ,,eine Art amerikanische Dolchstoßlegende".
24
Medienwis-
senschaftlicher Sachverstand muss also in jedem Fall bei dem Versuch, die
Ergebnisse der Untersuchung einzuordnen, herangezogen werden, um einem
falschen oder eindimensionalem Verständnis vorzubeugen. Diese Arbeit wird
das in ihrem dritten Teil leisten.
Ferner wird auf politikwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen
werden, wenn es darum geht, die Medienrealität mit den tatsächlichen ameri-
kanisch-britischen und amerikanisch-deutschen Beziehungen zu vergleichen
und Vermutungen über das wechselseitige Verhältnis der Systeme Politik und
Medien anzustellen.
25
Dabei wird es allerdings bei Annahmen auf Grundlage
der Fachliteratur bleiben, denn Hinweise auf das Verhältnis Politik ­ Medien
werden sich aus den Medieninhalten allein nur in äußerst begrenztem Maße
ablesen lassen. Hinzu kommen die Schwierigkeiten der Politikwissenschaft,
dieses Verhältnis wirklich gesichert zu definieren.
26
24
Dominikowski, Thomas: ,,Massen"medien und ,,Massen"krieg. Historische Annäherungen
an eine unfriedliche Symbiose, in: Löffelholz, Martin: Krieg als Medienereignis. Grundla-
gen und Perspektiven, Opladen 1993, S. 33-48. Vgl. dazu auch Hammond, William M.:
The Press as Agent of Defeat. A Critical Examination, in: Reviews in American History,
Nr. 17/2 (Juni 1989), S. 312-323.
25
In der Forschung ist Journalismus entweder als System von Akteuren oder als System von
Regeln betrachtet worden. Die erste Richtung, vor allem beheimatet an der Universität
Mainz, geht davon aus, dass die individuellen Einstellungen und Selbstverständnisse der
Journalisten einen starken Einfluss auf die Medienaussage haben, die andere behauptet, sie
werde stärker von Strukturen, etwa der Medieninstitution und des Mediensystems geprägt,
vgl. Löffelholz, Martin: Theorien des Journalismus. Entwicklungen, Erkenntnisse, Erfin-
dungen ­ eine metatheoretische und historische Orientierung, in: Ders. (Hrsg.): Theorien
des Journalismus. Ein diskursives Handbuch, Opladen 2000, S. 15-60. An dieser theoreti-
schen Konkurrenzlage ist kritisiert worden, durch sie werde das ,,Schisma von Akteur- und
Systemtheorien" der Soziologie in die Kommunikationswissenschaft fortgepflanzt, und die
Forderung wurde erhoben, verbindende Ansätze zu entwickeln, vgl. Neuberger, Christoph:
Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation. Vorschläge für eine Verbindung
von Akteur-, Institutionen- und Systemtheorie, in: Löffelholz: Theorien des Journalismus,
S. 275-291. Diese Kritik aufgreifend, werden bei der Auswertung der Befunde dieser Un-
tersuchung sowohl Untersuchungen über die strukturellen Bedingungen der journalistischen
Arbeit im Untersuchungszeitraum und in den beiden Ländern als auch biographisch mögli-
cherweise relevante Daten der einzelnen Journalisten herangezogen.
26
Hoffmann, Jochen und Ulrich Scarcinelli: Politische Wirkungen der Medien, in: Medienge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Jürgen Wilke, Bonn 1999
(=Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 361), S. 720-748, nennen
als Hauptprobleme bei der Bestimmung der Kausalität die dritte Variable neben Medien-
und politischer Entwicklung sowie die Rekonstruktion der zeitlichen Abfolge.

Grundlagen der Arbeit
11
2.3 Informationen zu den Quellen und Begründung der
Auswahl
Die große Bedeutung der Ausbreitung des Fernsehens in den sechziger
Jahren ist unbestritten. Hinsichtlich des Einflusses auf die öffentliche Meinung
zur Außenpolitik und die internationalen Beziehungen hat es allerdings bis in
die achtziger Jahre gedauert, bis es zu einer ernsthaften Herausforderung für
das gedruckte Wort wurde.
27
Die sechziger Jahre waren eine Zeit beispielloser
Pressekonzentration und wachsender Konkurrenz durch den Rundfunk,
28
der
Vietnamkrieg der erste ,,television war".
29
Dennoch ist von einer großen Be-
deutung der Zeitungen auszugehen. Denn Printmedien bestimmen als analyse-
starke Medien den öffentlichen Diskurs, weil sie werden bevorzugt von Ent-
scheidungsträgern gelesen werden, und nach dem Thomas-Theorem ist ihr
Einfluss schon deshalb hoch, weil ein solcher ihnen zugesprochen wird.
30
Als
,,Leitmedien" (oder ,,Meinungsführermedien") richten sich die großen Zeitun-
gen auch an andere Medien, indem sie Themen frühzeitig und nach Möglich-
keit exklusiv aufgreifen.
31
Wegen ihres Einflusses sollen in dieser Arbeit daher
Leitmedien untersucht werden.
Der Medienwissenschaftler Jürgen Wilke zählt zu den Leitmedien die
Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Wochenzeitung Die Zeit. Einige,
aufgrund ihrer vorwiegenden Verbreitung in Bayern jedoch nicht alle Kriterien
für ein Leitmedium erfüllt zudem die Süddeutsche Zeitung.
32
In Großbritannien
erfüllen unter anderem die Tageszeitungen The Times und The Guardian sowie
27
Monaco, Paul: The Changing Role of the Media in German-American Relations, In: Lothar
Bredella (Hrsg.): Mediating a Foreign Culture. The United States and Germany, Tübingen
1991, S. 147-157.
28
Schütz, Walter J.: Entwicklung der Tagespresse, in: Wilke, Jürgen (Hrg.): Mediengeschich-
te der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 109-134.
29
Mandelbaum, Michael: ,,Vietnam: The Television War", in: Daedalus, Nr. 111 (1982), S.
157-168.
30
Hoffmann/Scarcinelli: Politische Wirkungen. Eine detaillierte Umfrage im Rahmen einer
sehr systematisch angelegten Magisterarbeit an der Universität Mainz hat zuletzt ermittelt,
dass Entscheidungsträger die seriösen überregionalen Printmedien nicht nur stark nutzen,
sondern ihnen auch einen Einfluss beimessen. Sie schätzten den Einfluss von Zeitungen auf
ihre eigenen Entscheidungen als stärker ein als den des Fernsehens. Vgl. Peter, Susanne:
Expertenurteile über die redaktionelle Linie ausgewählter Print- und TV-Medien,
Magisterarbeit, Mainz 1998.
31
Wilke: Leitmedien, S. 303.
32
Ebd.

Grundlagen der Arbeit
12
die Sonntagszeitung The Observer die von Wilke aufgestellten Kriterien.
33
Diese sechs deutschen und britischen Organe ­ jeweils zwei Tageszeitungen
und eine Wochen- bzw. Sonntagszeitung ­ stehen im Mittelpunkt dieser Unter-
suchung.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, Frankfurter Allgemeine)
34
zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass ihr ein weltweites Korrespondenten-
netz ein hohes Maß an Unabhängigkeit erlaubt.
35
Sie ist insbesondere durch
ihre Leserschaft, in der Führungskräfte überwiegen, ,,zum Leitmedien prädesti-
niert".
36
Ihr wichtigster Mitbewerber war schon in den sechziger Jahren die
Süddeutsche Zeitung (SZ, Süddeutsche), die in München erscheint und die in
ihrem politischen Teil liberaler auftritt als die konservative FAZ.
37
Diese politi-
sche Orientierung wird beeinflusst auch die Auswahl der britischen Quellen für
diese Untersuchung, denn der Vergleich soll auch eine konservative und eine
liberalere britische Zeitung einschließen. Die erfolgreichste politische Wo-
chenzeitung in Deutschland ist Die Zeit (Zeit). Das in Hamburg erscheinende
Blatt ist für unterschiedliche Standpunkte offen. Es entwickelte sich im Laufe
der 60er Jahre zum Leitmedium.
38
Die vorliegenden englischen Blätter haben durchweg eine deutlich längere
Geschichte als die deutschen. Politiker sahen den jeweiligen Chefredakteur der
1785 gegründeten Zeitung The Times (Times) schon in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts als ,,the most powerful man in the country" an.
39
,,The British
press was a casualty of the the Second World War", urteilte der Journalist
Louis Heren, ,,and it took a long time to recover."
40
Doch auch nach dem Krieg
33
Dazu gehören eine starke Verbreitung bzw. Reichweite, eine größere Zahl von Entschei-
dungsträgern und Journalisten unter den Lesern, ein frühzeitiges Aufgreifen von Themen
und ein erhöhter Qualitätsbegriff.
34
In Klammern stehen jeweils die Abkürzungen, die fortan verwendet werden.
35
Meyn, Hermann: Massenmedin in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1996, S. 77 f.
36
Wilke: Leitmedien.
37
Meyn: Massenmedien, S. 81.
38
Wilke: Leitmedien.
39
Art. ,,The Times", in: Dennis Griffiths (Hrsg.): The Encyclopedia of the British Press 1422-
1992, London 1992, S. 562 f.
40
Heren, Louis: The post-war press in Britain, in: Grifiths, Dennis (Hrsg.): The Encyclopedia
of the British Press 1422-1992, London 1992, S. 56-64.

Grundlagen der Arbeit
13
äußerten Beobachter die Ansicht: ,,Politically, the most important papers are
probably The Times, Observer, and Manchester Guardian."
41
Die Times, die früh ein dichtes Korrespondentennetz aufbaute, wurde nach
einer Krise zu Beginn des 20. Jahrhunderts bald wieder zu einem bestimmen-
den Organ in der britischen Presselandschaft.
42
Insbesondere Politiker und
höhere Beamte lasen die Tageszeitung.
43
Traditionell ein ,,Sprachrohr des
britischen Establishments", gibt sie in der Regel konservative Positionen wie-
der.
44
Die liberale Zeitung The Guardian tendierte zum linken Spektrum der bri-
tischen Politik. Ihre Vorliebe für die dort führende Labour-Partei teilte parado-
xerweise aber nur etwa ein Drittel der Leser des Blattes, das bis 1959 den Titel
The Manchester Guardian trug, bevor es 1961 nach London umzog.
45
Seinem
Selbstverständnis nach legte es einen hohen Wert auf neutrale Nachrichtenbe-
richterstattung, getreu dem Motto des langjährigen Herausgebers C.P. Scott:
,,Comment is free, but facts are sacred."
46
The Observer (Observer) erlebte in den Sechziger Jahren des zwanzigsten
Jahrhunderts unter Hersausgeber David Astor seine Blütezeit.
47
Mit seinem
Dienstantritt 1948 hatte der Observer seine Loyalität gegenüber der konserva-
tiven Tory-Partei aufgegeben und war liberal geworden. Durch diesen neuen
Kurs wurde der Observer bis zur Mitte der sechziger Jahre zur erfolgreichsten
,,quality paper" am Sonntag.
48
Die Arbeit konzentriert auf die in Folge einscheidender Ereignisse erschie-
nenen Ausgaben ­ bei täglicher Periodizität auf die nächsten fünf bis sieben
Ausgaben ­ je nach Dauer der Aufmerksamkeit einer Zeitung für das jeweilige
Ereignis. Bei wöchentlicher Erscheinungsweise werden die nächsten zwei bis
41
So der bekannte Herausgeber Kingsley Martin 1947. Zit. nach Koss: The Rise and Fall, S.
634.
42
Griffiths: Encyclopedia, S. 562 f.
43
Koss: The Rise and Fall, S. 659.
44
Gellner, Winand: Medien im Wandel, in: Hans Kastendiek, Karl Rohe und Angelika Volle:
Länderbericht Großbritannien. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1998 (=
Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 354), S. 543-561.
45
Koss: The Rise and Fall, S. 664.
46
Art. ,,The Guardian", in: Griffiths: Encyclopedia, S. 280 f.
47
Art. ,,The Observer", in: Griffiths, Encyclopedia, S. 444.
48
Pritchard, Stephen: ,,Astor and the Observer", in: The Observer, 9.12.2001.

Grundlagen der Arbeit
14
drei Ausgaben herangezogen. Die Berichterstattung über herausragende Ereig-
nisse und Etappen des Krieges bzw. der amerikanischen Politik bezüglich
Vietnams wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet; das ist das erste Aus-
wahlkriterium Als zweites kommt der Anspruch hinzu, in jedem Jahr von 1964
bis 1969 zumindest eine Untersuchung zu platzieren. Daraus folgt die Auswahl
folgender Ereignisse: die Tonking-Krise 1964, die Entsendung der ersten ame-
rikanischen Bodentruppen nach Südvietnam 1965 (bei etwa zeitgleichem Be-
ginn des anhaltenden Bombardierungsprogramms für Nordvietnam, ,,Rolling
Thunder"), Johnsons Friedensoffensive zum Jahresbeginn 1966, die Operation
,,Cedar Falls" 1967, die Tet-Offensive, Johnsons Stopp der Bombardierungen
im April 1968 (und sein zeitgleicher Verzicht auf die Kandidatur für eine
weitere Amtszeit) sowie der Abzug der ersten amerikanischen Verbände im
Sommer 1969. Die Arbeit spannt damit also einen Bogen vom ersten (offiziel-
len) Kampfeinsatz amerikanischer Bodentruppen in Vietnam 1965 bis zu dem
Zeitpunkt, an dem der Höhepunkt der Eskalation überschritten wird und der
graduelle Rückzug aus Vietnam seinen Anfang nimmt.
In einem Exkurs soll zudem auf bedeutungsvolle Vorkommnisse in der
bilateralen Beziehungsgeschichte der USA mit Westdeutschland und Großbri-
tannien, wie Staatsbesuche, eingegangen werden. Es ist zu erwarten, dass
Journalisten anlässlich derartiger Ereignisse die Politik der USA verstärkt
thematisieren und hinterfragen. Den größten Ertrag hinsichtlich der Fragestel-
lung wird die Untersuchung von Meinungsbeiträgen ­ Leitartikel, Kommenta-
re, Karikaturen, Glossen ­ bringen. Aber auch nachrichtliche Darstellungsfor-
men ­ Meldungen, Berichte, Reportagen, Features ­ müssen berücksichtigt
werden. Denn schon durch Vorgänge wie Nachrichtenauswahl, Schwerpunkt-
setzung und Überschriftenformulierung werden Gewichtungen und Wertungen
vorgenommen, die Hinweise darauf geben können, wie sich Journalisten ame-
rikanisches politisches Verhalten erklären. Hinzu kommt, das die Trennung
von Nachricht und Meinung in der Mediengeschichte entgegen aller Grundsät-
ze nicht immer ausnahmslos vollzogen wurde: ,,Opinion often has masquer-

Grundlagen der Arbeit
15
aded as news in the media."
49
Insgesamt liegen dieser Untersuchung 849 Arti-
kel, Bilder und Zeichnungen zugrunde.
2.4 Definition der Grundbegriffe
Ein wichtiger Gegenstand dieser Arbeit ist das Image der USA und der
US-Amerikaner in deutschen und britischen Zeitungen, das Amerikabild. Viele
Arbeiten auf diesem Gebiet vertreten die Auffassung, dass es der Forschung
bisher nicht gelungen sei, den Begriff Image näher zu definieren und verwen-
den daher in der Regel einen Imagebegriff, der dem von Wirtschaft und Wer-
bung nahe kommt, ohne darüber näher zu reflektieren.
50
Die Aussagekraft ihrer
Ergebnisse ist deshalb beschränkt, da im Untersuchungsprozess die Funktion
der Images wenig systematisch hinterfragt wurde und eine Abgrenzung gegen-
über Stereotypen und anderen kognitiven Konstrukten nicht erfolgt ist.
Diese Autoren übersehen, dass sich die Sozialwissenschaften seit langem
um einen wissenschaftlich anwendbaren Imagebegriff bemühen. Images sind
eine Form von Wahrnehmungsantizipationen. In ihnen wird ,,eine komplexe
Wirklichkeit auf wenige, überschaubare und eingängige Andeutungen redu-
ziert".
51
Walter Lippmann sprach von ,,pictures in our minds" und ,,mental
images", die, obwohl nicht äquivalent zur Realität, menschliches Handeln
leiten und Meinungen prägen.
52
Kenneth Boulding, einer der führenden Vertre-
ter des Strukturalismus, bezeichnete das Image als ,,what I believe to be true,
my subjective knowledge. It is this image that largely governs my behavior."
53
Das Image ist ein organisierendes Element, das zwischen Beobachtung und
Wahrnehmung geschaltet ist. Jede Wahrnehmung ist damit von den Images des
Subjekts beeinflusst. Boulding definiert:
,,The image (...) must be thought of as the total cognitive, affective, and evaluative
strutcture of the behavior unit, or its internal views of itself and its universe."
54
49
Sloan/Startt: Historical methods, S. 63.
50
vgl. bspw. Willis, Jim (Hrsg.): Images of Germany in the American Media, Westport 1999.
51
Kleinsteuber, Hans: Stereotype, Images und Vorurteile ­ Die Bilder in den Köpfen der
Menschen, In: Günter Trautmann (Hrsg.), Die hässlichen Deutschen? Deutschland im
Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, Darmstadt 1991, S. 60-68.
52
Lippmann, Walter: Public Opinion, New York 1922, S. 3 ff.
53
Boulding, Kenneth: The Image. Knowledge in Life and Society, Ann Arbor 1961, S. 6.
54
Ebd., S. 9.

Grundlagen der Arbeit
16
Nach Boulding sind es vor allem Images, die die Geschichte vorantreiben,
entweder latent oder manifest.
55
Dabei sind Images nicht konstant, sondern der
,,stock of images" eines Menschen und damit auch einer Gesellschaft ist sehr
dynamisch.
56
Images, die in Massenmedien auftreten, sind daher von großer Bedeutung.
Galtung und Ruge, Pioniere in der Erforschung von Nachrichtenfaktoren,
haben in ihrer Studie über internationale Nachrichten festgestellt, dass die
Nachrichtenmedien ,,first-rate competitors for the number-one position as
international image-former" sind.
57
Ihr Wissen über fremde Länder und ihre
Bewohner bezieht der größte Teil der Menschen fast ausschließlich als Sekun-
därerfahrung, vermittelt durch die Nachrichtenmedien, bei deren Themenaus-
wahl und Themenführung die Images der Journalisten eine große Rolle spielen,
denn sie stellen eine gegenüber den vielfältigen Zwängen ihres Arbeitsalltags,
insbesondere des Zeitdrucks, notwendige Komplexitätsreduktion dar.
58
Inwieweit die Images des Publikums dabei den in den Medien dargestellten
entsprechen, ist jedoch noch nicht hinreichend untersucht worden. Da es sich
um ein Zusammenwirken von vier Faktoren ­ der Image-Produzenten, der
Image-Rezipienten, der medialen Formen und des Berichtsgegenstands ­ han-
delt, erwies sich der Nachweis einfacher Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge
als schwierig. Beispielsweise nutzt das Publikum die Medien entsprechend
seiner eigenen Images, was zur Folge hat, dass es geneigt ist, sich gegen In-
formationen, die diesen Images widersprechen, zu sperren.
59
Klar scheint indes
zu sein, dass medienvermittelte Images von Nationen in einem Schritt vom
Fremdenbild zum Selbstbild der Eigendefinition dienen.
60
Entscheidungsträger
können sich öffentlich verbreiteten Images nicht entziehen, da in der Demokra-
55
Ebd., S. 115 f.
56
Ebd., S. 56.
57
Galtung, Johann und Mari Holmboe Ruge: The Structure of Foreign News, In: Jeremy
Tunstall (Hrsg.), Media Sociology, Urbana 1970, S. 259-298, dort S. 260.
58
Wilke, Jürgen: Imagebildung durch Massenmedien, In: Völker und Nationen im Spiegel
der Medien, hrsg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1989, S. 11-21.
59
Bentele, Günther: Images und Medienimages, in: Werner Faulstich (Hrsg.), Image ­
Imageanalyse ­ Imagegestaltung, Bardowick 1992, S. 152-176.
60
Böhme-Dürr, Karin: Perspektivensuche. Das Ende des Kalten Krieges und der Wandel des
Deutschlandbildes in der amerikanischen Presse (1976 ­ 1998), Konstanz 2000, S. 40 ff.

Grundlagen der Arbeit
17
tie Machtausübung auf Zustimmung beruht.
61
Der Schluss vom Bild eines
Landes in den Medien auf die bilaterale Politik ist wegen einer Vielzahl ande-
rer Einflüsse dennoch schwierig.
62
Als Grund dafür, dass sie ihren Imagebegriff nicht näher definieren, dient
vielen Autoren der Hinweis darauf, das Image ließe sich nicht von anderen
Wahrnehmungsantizipationen unterscheiden. In ihrer Untersuchung des
Deutschlandbildes in der amerikanischen Presse hat Karin Böhme-Dürr jedoch
mit einer detaillierten Einordnung den Stand der Forschung zusammenge-
fasst.
63
Da die Grenzen bei dieser Unterscheidung fließend sind, lässt sie sich
vereinfacht am besten in einem Koordinatesystem darstellen.
(komplex)
Image Vorurteil
(veränderbar) (fix)
Einstellung Stereotyp
(individuell)
Abbildung: Verhältnis des Images zu anderen Wahrnehmungsantizipationen (nach
Böhme-Dürr: Perspektivensuche.)
Images sind ihrem Charakter nach komplex und ganzheitlich und im Ge-
gensatz zum Vorurteil, das in der Regel auch sehr komplex, aber eher konstant
ist, veränderbar. Das Vorurteil ist darüber hinaus üblicherweise negativ und
61
Wilke: Imagebildung, S. 18.
62
Das zeigt beispielsweise die Arbeit von Jürgen Große: Amerikabild und Amerikapolitik der
DDR 1974-1979, Bonn 1999, der einen Kausalzusammenhang zwischen den als sehr ähn-
lich befundenen Amerikabildern in Politik und Medien sowie anderen sozialen Systemen
anhand nur zweier Meinungsumfragen zu belegen sucht, von denen eine sogar erst nach
dem Zusammenbruch der DDR durchgeführt wurde.
63
Böhme-Dürr: Perspektivensuche, S. 40 ff.

Grundlagen der Arbeit
18
von starken Affekten begleitet.
64
Images können indes Vorurteile transportie-
ren.
65
Im Gegensatz dazu bezieht sich der Stereotyp (Klischee) für gewöhnlich
auf ein ,,Einzelcharakteristikum, das in bestimmten (einander ähnlichen) Kon-
texten geradezu zwanghaft assoziiert wird." Der Stereotyp ist wenig veränder-
bar. Die Einstellung (Attitüde) hingegen ist es. Sie drückt individuelle Vorlie-
ben und Abneigungen aus, hat somit vor allem affektiv-evaluativen Charaker.
66
Von diesen Formen der Wahrnehmungsantizipation nehmen insbesondere
Stereotypen eine wichtige Rolle für die Bildung und den Bestand sozialer
Gruppen ein.
67
Diese Arbeit benutzt auch den Begriff ,,öffentliche Meinung". Diese um-
fasst nach landläufiger Definition grob den Ausdruck der Einstellung einer
Mehrheit der Bevölkerung eines Landes zu einem oft kontroversen Thema.
68
Die Forschung geht zudem davon aus, dass die öffentliche Meinung ein von
vielen unterschiedlichen Faktoren (wie Zeitumstände und Personen) abhängi-
ger, weder statischer noch exakt feststellbarer Vorgang ist.
69
,,Öffentliche Meinung ist gegründet auf das unbewusste Bestreben von in einem Ver-
band lebenden Menschen, zu einem gemeinsamen Urteil zu gelangen, zu einer
Übereinstimmung, wie sie erforderlich ist, um handeln und wenn notwendig ent-
scheiden zu können",
heißt es bei Elisabeth Noelle-Neumann, die sogleich einen Zusammenhang mit
Politik in der Massendemokratie herstellt:
,,Die öffentliche Meinung zwingt sowohl die Regierung als auch das einzelne Glied
der Gesellschaft, sie zu respektieren. Wenn die Regierung die öffentliche Meinung
nicht beachtet, nichts tut, um eine feindselige öffentliche Meinung für sich zu gewin-
nen, droht ihr der Sturz, der Machtentzug."
70
Mit dem Hinweis, dass es auch von freien Wahlen abhängigen Regierung
eine gewisse Zeit lang möglich sein kann, gegen die öffentliche Meinung zu
64
Ebd.
65
Kleinsteuber: Stereotype.
66
Böhme-Dürr: Perspektivensuche, S. 40 ff.
67
Hahn, Hans Henning: Stereotypen in der Geschichte und Geschichte im Stereotyp, In: Ders.
(Hrsg), Historische Stereotypenforschung. Methodische Überlegungen und empirische Be-
funde, Oldenburg 1995, S. 190-204.
68
Weiner, Richard: Webster's New World Dictionary of Media and Communications, New
York 1990, S. 325.
69
Kunczik: Meinung, S. 89.
70
Noelle-Neumann, Elisabeth: Öffentliche Meinung, in: Dies., Winfried Schulz und Jürgen
Wilke (Hrsg.): Das Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, vollständig überar-
beitete Neuausgabe, Frankfurt 1994, S. 366-382, dort S. 367 f.

Grundlagen der Arbeit
19
regieren,
71
ist dies der Sinn, in dem auch diese Arbeit den Begriff verwendet.
Das geschieht zudem in dem Bewusstsein, dass Journalisten, wenn sie öffentli-
che Meinung in den USA als Faktor der amerikanischen Vietnampolitik dar-
stellen, nur ihre eigene Einschätzung der öffentlichen Meinung anwenden,
gleichsam Hypothesen über sie, die aber einer wissenschaftlichen Überprüfung
nicht notwendigerweise standhalten.
Diese Arbeit geht in einem Exkurs auf der Grundlage von Zeitungsartikeln
auch auf Aussagen über die Einschätzung der Blätter über die Beziehungen der
Bundesrepublik zu den USA und über Verhältnis des Vereinigten Königreichs
zu den Vereinigten Staaten ein. Eine Standortbestimmung im Geflecht der
verschiedenen Großtheorien der internationalen Beziehungen wird dabei nicht
notwendig sein, da es sich hier weniger um eine politikwissenschaftliche, denn
um eine medienhistorische Untersuchung handelt.
72
Die Feststellung soll genü-
gen, dass der Begriff ,,internationale Beziehungen" umschreibt, was als ver-
standen wird als
,,Geflecht der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Beziehun-
gen, wie es in der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, den staatlichen und nicht-
staatlichen Akteuren geformt wird."
73
Internationale Beziehungen haben also unterschiedliche Bereiche und Ak-
teure. In dieser Arbeit richtet sich der Begriff der internationalen Beziehungen,
der hier die Gestalt bilateraler Beziehungen beschreibt, danach, welche Aspek-
te Journalisten hervorheben ­ ähnlich wie beim Begriff der öffentlichen Mei-
nung. Die Beziehungen der Bundesrepublik und Großbritanniens zu den USA
71
Jacobs, Lawrence R. und Robert Y. Shapiro: Lyndon Johnson, Vietnam, and public opini-
on. Rethinking realist theory of leadership, in: Presidential Studies Quarterly 29/3 (1999),
S. 592-616, erklären, dass der Präsident die öffentliche Meinung prägen kann (a), dass aber
auch die öffentliche Meinung den Präsidenten zu führen in der Lage ist (b). Je mehr Zeit
verstreicht, desto stärker wird dabei Prozess (b) zu Ungunsten des Vorgangs (a). Je besser
ein Präsident die öffentliche Meinung zu beeinflussen zu versteht, so die Meinung der rea-
listischen Schule, desto weiter kann er den Zeitpunkt herauszögern, an dem (b) stärker wird
als (a) Johnson, so Lawrence und Shapiro, verfügte über eine Menge an Daten zur jeweils
aktuellen öffentlichen Meinung wie kein Präsident zuvor. Sie vertreten die kontroverse
These, Johnson habe sich nicht von der öffentlichen Meinung leiten lassen, bestätigen aber
gleichzeitig die Ansicht der Realisten, der Präsident habe darin versagt, die öffentliche
Meinung für seine Politik zu gewinnen. Das sei jedoch keine Schwäche Johnsons oder sei-
ner Berater, sondern eine Schwäche ihrer Politik gewesen.
72
Zum aktuellen Stand der Theoriedebatte vgl. Meyers, Reinhard: Theorien der internationa-
len Beziehungen, in: Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik,
Opladen
8
2000, S. 416-448.
73
Klein, Martina und Klaus Schubert: Internationale Beziehungen, in: Dies.: Das Politiklexi-
kon, Bonn 1997, S. 141 f.

Grundlagen der Arbeit
20
werden deshalb hauptsächlich auf der Ebene des politischen, intergouverne-
mentalen Verhältnis und der staatlichen Akteure betrachtet werden.
Insbesondere in der quantitativen Auswertung der Quellen wird der Begriff
des Westens eine wichtige Rolle spielen. Unter dem Sammelbegriff ,,der Wes-
ten" fasst diese Arbeit die Vereinigten Staaten von Amerika und diejenigen
Staaten zusammen, die im Untersuchungszeitraum mit den USA durch das
Nordatlantische Verteidigungsbündnis und/oder durch die SEATO verbündet
waren. Dazu zählten Frankreich, Großbritannien, Belgien, die Niederlande,
Luxemburg, Norwegen, Dänemark, Island, Portugal, Italien, Kanada, die Tür-
kei, Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland, sowie Australien,
Neuseeland und die Philippinen.
74
Im Zusammenhang dieses Teils der Auswertung wird auch nach der Be-
richtsperspektive gefragt werden. Es geht dabei nicht darum, wer im Mittel-
punkt der Berichterstattung steht; man kann auch aus der Perspektive der USA
allein über Nordvietnam schreiben. Mit Perspektive ist vielmehr gemeint,
wessen Sichtweise in der Berichterstattung eingenommen wurde. Das lässt sich
praktisch an verschiedenen Merkmalen festmachen: Die Wortwahl ähnelt der,
die auch eine der beiden Konfliktparteien verwendet. Oder die Zeitung distan-
ziert sich sprachlich von der einen Seite weniger als von der anderen ­ bei-
spielsweise durch weniger strikte Verwendung von Anführungszeichen. Auch
die Unterscheidung, wer in den Berichten als der aktiv Handelnde und wer als
passiv erscheint, kann bei der Bestimmung der Perspektive hilfreich sein. Bei
Bildern ist im unmittelbaren Wortsinn danach zu fragen, aus wessen Perspekti-
ve beobachtet wird. Sieht der Betrachter beispielsweise ein Hubschrauberge-
schwader von vorn auf sich zukommen oder ist aus einem der Helikopter in
Richtung des Fluges fotografiert worden, so dass der Betrachter sich als Teil
des Geschwaders fühlen kann?
74
Woyke, Wichard: NATO, in: Ders. (Hrsg.): Handwörterbuch der internationalen Politik,
Opladen
8
2000, S. 317-327. Ders.: Militärbündnisse, in: Ders (Hrsg.): Handwörterbuch, S.
278-285.

Konflikte um Vietnam bis 1964
21
3. Konflikte um Vietnam bis 1964
Die Geschichte Vietnams ist geprägt vom Widerstand gegen Fremdherr-
schaft; fast 1000 Jahre chinesischer Dominanz schufen in dem Land einen
,,spirit of resitance".
75
Auch nach dem Sieg über China im Jahr 939 blieb Viet-
nams Geschichte ein Kampf um die nationale Eigenständigkeit. Überfälle
durch die Nachbarn, erneute Fremdherrschaft durch die Chinesen und ihre
wiederholte Vertreibung förderten bei den Vietnamesen die Ausbildung eines
Patriotismus, der unter den Völkern Südostasiens einzigartig war. Als Frank-
reich in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann, Vietnam zu erobern, besaß das
Volk die sozialen und kulturellen Merkmale einer Nation.
In den letzten zwei Dekaden des 19. Jahrhunderts konnte Frankreich seine
Kontrolle über Indochina festigen; die Kolonie wurde ausgebeutet, ihre Ein-
wohner unterdrückt. Ein Aufstand nationalistischer Gruppen im Jahr 1930
wurde brutal niedergeschlagen. In der Folgezeit bauten Kommunisten erfolg-
reich auf den antifranzösischen Nationalismus und den Wunsch nach sozialer
Gerechtigkeit und schufen so eine breite nationalistische Bewegung. Die deut-
sche Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg hatte zur Folge, dass die
Franzosen nicht mehr in der Lage waren, ihr Kolonialreich in Südostasien zu
verteidigen. Davon profitierte der Verbündete des Deutschen Reiches, Japan,
der 1941 Indochina besetzte, die französische Verwaltung aber intakt beließ.
Während der japanischen Besatzung entstand die Bewegung ,,Viet Minh"
aus moderaten und radikalen vietnamesischen Nationalisten. Ihr Programm war
zwar nicht kommunistisch, doch in ihrer Führung fanden sich zahlreiche
Kommunisten, unter anderem Ho Chi Minh.
76
Bald begann die Vereinigung,
die großen Rückhalt auf dem Land gewann, Guerillatruppen unter General Vo
Nguyen Giap für Angriffe auf die Japaner zu bilden. Als Japan 1945 im Welt-
krieg kapitulierte, ergriffen die Viet Minh in der August-Revolution die Macht.
75
Der kurze historische Abriss folgt im Wesentlichen der Arbeit des Südostasienexperten
Hess, Garry: Vietnam and the United States. Origins ans Legacy of War, New York 1998,
S. 1 ff. Liegen andere Quellen zugrunde, ist das durch Fußnoten kenntlich gemacht.
76
Stockwell, A.J.: Southeast Asia in War and Peace. The End of European Colonial Empires,
in: The Cambridge History of Southeast Asia, Bd. 4: From World War II to the present,
hrsg. von Nicholas Tarling, Cambridge ²1999, S. 1-58.

Konflikte um Vietnam bis 1964
22
Am 2. September erklärte Ho Chi Minh in Hanoi die Unabhängigkeit seines
Landes und proklamierte die Demokratische Republik Vietnam.
Nach seiner Befreiung suchte Frankreich, sein Kolonialreich zu bewahren.
Es konnte bald die Kontrolle über den Süden des Landes wiedergewinnen,
doch im Norden behielten die Viet Minh die Macht. Basierend auf ihrer großen
Unterstützung in ländlichen Gebieten begannen sie einen Guerillakrieg gegen
die Franzosen, deren Chancen, Vietnam zu halten um 1950 nur noch äußerst
gering waren.
77
Unter dem Eindruck der Revolution in China 1949 und dem
Ausbruch des Koreakriegs 1950 unterstützten schließlich die USA, die bei
Kriegsende unter Franklin D. Roosevelt noch antikolonialistische Positionen
vertreten hatten, Frankreich mit Ausrüstung, Waffen und Munition. Nach einer
vernichtenden Niederlage bei dem abgelegenen Dorf Dien Bien Phu, nahe der
Grenze zu Laos, im Mai 1954 schien es wahrscheinlich, dass die Viet Minh
den Krieg gewinnen würden.
Doch der Konflikt konnte kurz darauf in Genf mit einem Abkommen be-
endet werden, das dem Norden weniger ließ, als er auf dem Schlachtfeld ge-
wonnen hatte. Vietnam wurde am 17. Breitengrad geteilt, und es wurden Wah-
len zu einer gemeinsamen Regierung der beiden Landesteile für das Jahr 1956
vereinbart. US-Präsident Dwight D. Eisenhower hatte kurz zuvor die ,,Domino-
Theorie" verkündet, der zufolge nach einem Sieg der kommunistischen Kräfte
in Südvietnam weitere südostasiatische Länder automatisch, nach und nach
unter kommunistische Herrschaft fallen würden ­ wie eine Reihe fallender
Domino-Steine.
78
Schon zu Präsident Trumans Zeiten war Washington über-
zeugt, in Südostasien vor einer ähnlichen Situation wie in Europa zu stehen.
79
Nun erkannten die USA, dass das Abkommen von Genf wegen der breiten
Unterstützung in der Bevölkerung im Falle von freien Wahlen zugunsten der
Kommunisten arbeitete. Sie gründeten mit Thailand, den Philippinen und
Pakistan als Vertreter aus der Region, und mit Großbritannien, Frankreich,
Australien und Neuseeland die Southeast Asia Treaty Organization (SEATO)
77
Stockwell: Southeast Asia, S. 40.
78
Hacke, Christian: Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J. F.
Kennedy bis G. W. Bush, Bonn ²2002, S. 69.
79
Stockwell: Southeast Asia, S. 40.

Konflikte um Vietnam bis 1964
23
und demonstrierten so seine Entschlossenheit, die Ausbreitung des Kommu-
nismus am 17. Breitengrad einzudämmen.
80
Um nicht eine Wiedervereinigung Vietnams unter kommunistischer Herr-
schaft zu riskieren, war es in der Folgezeit das Ziel der USA, die Teilung des
Landes aufrechtzuerhalten; die vereinbarten Wahlen fanden nicht statt. Mit
amerikanischer Unterstützung verdrängte Ngo Dinh Diem den von Frankreich
eingesetzten unpopulären Herrscher Bao Dai. Diems Regierung war finanziell
fast vollständig von den USA abhängig, die Südvietnam von 1954 bis 1959 mit
etwa 1,2 Milliarden Dollar unterstützten. Viele Mitglieder der Regierung Diem
hatten jedoch vor 1945 mit der französischen Kolonialmacht kolaboriert, so
dass die meisten Vietnamesen die Regierung Diem mit ihrer korrupten Verwal-
tung ablehnten. Im Gegensatz dazu hatten alle Spitzenfunktionäre des Nordens
ihre Karrieren im Kampf für Vietnams Unabhängigkeit verbracht.
81
Auch die
Kommunisten im Süden des Landes erhielten Zulauf, nicht nur wegen ihrer
Opposition gegen die Regierung in Saigon, sondern auch, weil sie den Bauern
eine Umverteilung des Landes versprachen.
82
1960 gründeten sie die Nationale
Befreiungsfront, deren Ziel der gewaltsame Sturz des Regimes Diems war, das
Ende der militärischen Hilfe Amerikas für die Truppen Südvietnams, die Bil-
dung einer breiten Koalitionsregierung und die schrittweise Wiedervereinigung
des Landes. In dieser Zeit begannen US-Amerikaner und Südvietnamesen für
die Viet Minh eine Abkürzung anstelle von ,,Vietnamese Communists" zu
verwenden: ,,Vietcong".
Die Regierung Kennedy änderte schließlich Amerikas Strategie in Viet-
nam. US-Unterstützung galt fortan nicht nur Südvietnams Fähigkeit, sich ge-
gen einen Angriff aus dem Norden zu verteidigen, sondern sie zielte auf offen-
sives Vorgehen der südvietnamesischen Armee gegen die Vietcong in den
ländlichen Gebieten (,,counterinsurgency"). Die Zahl militärischen Personals
80
Hatte das Abkommen von Genf beiden Teilen Vietnams untersagt, internationalen Militär-
allianzen beizutreten, so umgingen die USA mit der SEATO-Gründung dieses Verbot, in-
dem Südvietnam zwar nicht Mitglied in dem Bündnis wurde, dessen Schutzzone jedoch auf
Südvietnam (sowie Laos und Kambodscha) ausgedehnt wurde.
81
Cheong, Young Mun: The Political Structure of the Independent States, in: The Cambridge
History of Southeast Asia, Bd. 4: From World War II to the present, hrsg. von Nicholas
Tarling, Cambridge ²1999, S. 59-138.
82
Ebd.

Konflikte um Vietnam bis 1964
24
aus den USA wuchs immens. Unter Eisenhower waren es nie mehr als 685
,,Adviser" gewesen, nach dem ersten Jahr Kennedys im Weißen Haus waren es
bereits 2.000, ein Jahr später sogar 11.000 ,,Adviser". Schon in dieser Zeit
kamen Kampfflugzeuge und Napalm zum Einsatz. Die Vietcong erhielten nach
US-Schätzungen zur gleichen Zeit, von 1961 bis 1963, etwa 26.000 Nordviet-
namesen als Verstärkung. Zwei von den USA unterstützte Putsche destabili-
sierten die Lage in Südvietnam zusätzlich, wo die Opposition gegen die Regie-
rung vom Land in die Städte gelangt war und in Selbstverbrennungen buddhis-
tischer Mönche gipfelte.

II. U
NTERSUCHUNG DES
Q
UELLENMATERIALS

Die Krise im Golf von Tonking 26
4. Die Krise im Golf von Tonking
Waren US-amerikanische ,,Militärberater" schon seit einigen Jahren in ste-
tig wachsender Zahl in Südvietnam aktiv,
83
so brachte eine Krise im Golf von
Tonking vor der Küste Nordvietnams den ersten direkten militärischen Einsatz
der USA gegen Nordvietnam. Der im Rahmen einer Mission zur Auskund-
schaftung der nordvietnamesischen Küstenverteidigung im Golf kreuzende
amerikanische Zerstörer ,,Maddox" wurde am 2. August 1964 von nordvietna-
mesischen Patrouillenbooten mit Torpedos beschossen, ohne getroffen zu
werden. Die Patrouillen waren nach eigenen Angaben davon ausgegangen,
dass die Maddox an Angriffen Südvietnams auf zwei nordvietnamesische
Inseln zwei Tage zuvor beteiligt gewesen sei.
84
Es folgte eine Warnung Präsident Johnsons an die Adresse Nordvietnams,
weitere Angriffe würden ,,schwerwiegende Konsequenzen" haben. Außerdem
ordnete er an, einen weiteren Zerstörer zur Begleitung der ,,Maddox" in den
Golf zu senden.
85
In der Nacht des 4. August kam es dann zu einem weiteren
Zwischenfall: In der Annahme, von nordvietnamesischen Booten verfolgt zu
werden, eröffneten die Amerikaner das Feuer.
86
Auch wenn der Kommandeur
der ,,Maddox" selbst zunächst auf eine umgehende Untersuchung des Vorfalls
drängte,
87
erklärte Johnson noch in derselben Nacht im amerikanischen Fern-
sehen, US-Schiffe seien insgesamt zweimal von Torpedobooten Nordvietnams
angegriffen worden. Im Sinne des Friedens sei nun Festigkeit im Recht gebo-
83
Hess: Vietnam and the United States, S. 174, spricht von 900 Beratern im Jahr 1960. Die
Zahl steigt in der folgenden Zeit bis zum Ende des Jahres 1964 auf 23.200 amerikanische
Soldaten, die die Armee Südvietnams im Kampf gegen den Vietcong unterstützen sollten.
84
Hess: Vietnam, S. 77f.
85
Ebd.
86
Beweise für eine Verfolgung der amerikanischen Schiffe durch nordvietnamesische Schiffe
gibt es nicht. In der Historiographie sind die Meinungen über das seinerzeitige Wissen der
Regierung unterschiedlich. Die gegensätzlichen Positionen sind bei Barrett, David M.: Un-
certain Warriors. Lyndon Johnson and his Vietnam Advisers, Lawrence/Kansas 1993, S.
205, zusammengefasst. Demnach geht die eine Meinung davon aus, dass die amerikanische
Regierung über den zweiten Vorfall im Golf von Tonking nicht die Wahrheit gesagt habe,
um so den Kongress zu einer weitreichenden Ermächtigung der Regierung für den Einsatz
militärischer Gewalt in Vietnam zu bringen. Die Gegenseite glaubt zwar genauso wenig,
dass es tatsächlich einen zweiten Angriff auf die amerikanischen Boote gegeben hat, vertritt
aber die Ansicht, dass führende Vertreter von Pentagon und State Department in diesen Ta-
gen ernsthaft glaubten, es habe einen zweiten Angriff gegeben ­ auch wenn Johnson Zwei-
fel gehabt haben mag.
87
Hess: Vietnam, S. 78.

Die Krise im Golf von Tonking
27
ten. Kurze Zeit später bombardierten amerikanische Flugzeuge nordvietname-
sische Marinebasen und Raffinerien.
88
Als bedeutenderes Ereignis dieser Tage wird jedoch die nach kurzer Debat-
te verabschiedete Resolution des Kongresses vom 10. August angesehen.
89
Einer Initiative der Regierung folgend
90
, erlaubte sie Johnson,
,,to take all necessary measures to repel any armed attack against the forces of the
United States and to prevent further aggression (...) to take all necessary steps, in-
cluding the use of armed force, to assist any member of protocol states of the South
East Asia Collective Defense Treaty requesting assistance in defense of his free-
dom."
91
Die Resolution gewährte Johnson also, in den Worten eines Historikers, ,,an
awesome grant of power" ­ wenngleich Johnson sich bemühte, nicht den An-
schein zu erwecken, er plane einen Krieg.
92
Von den Berichten über die ersten Schüsse an war die Krise in den deut-
schen Zeitungen Titelseitenthema. Erhöhte Aufmerksamkeit, die sich in Auf-
macher- und Leitartikeln äußert, kam den Ereignissen in Nordvietnam dann vor
allem nach den amerikanischen Luftschlägen zu, insbesondere in der FAZ, die
im Untersuchungszeitraum vom 3. bis zum 8. August fünf mal mit der Ton-
king-Krise aufmachte und ihr außerdem zwei Leitartikel widmete.
Süddeutsche Zeitung
Die SZ folgte in ihren Leitartikeln der amerikanischen Argumentation, wo-
nach Washington mit den Angriffen auf Nordvietnam einer Provokation ge-
antwortet hat. Johnson habe ,,glaubhaft" dargestellt, ,,dass Amerika (...) sich
nichts gefallen läßt."
93
Diese Deutung spiegelt auch die wiederholte Bezeich-
nung der amerikanischen Angriffe als ,,Vergeltungsschlag" in Meldungen und
88
Gardner, Lloyd C.: Pay any price. Lyndon Johnson and the wars for Vietnam, Chicago
1995, S. 134.
89
Vgl. z.B. Barrett: Uncertain Warriors, S. 15.
90
Noch im Mai desselben Jahres hatten Außenminister Dean Rusk, Verteidigungsminister
McNamara und Sicherheitsberater McGeorge Bundy in einem gemeinsamem Memorandum
eine derartige Resolution als vorweggenommene Entscheidung zum Krieg abgelehnt. Vgl.
Gardner, Pay any price, 121 f.
91
Department of State Bulletin 61, Washington, D.C. 24.8.1964.
92
Berman, Larry: Planning a tragedy. New York 1982, S. 33.
93
Proebst, Hermann: ,,Von Krieg und Kriegsgeschrei", in: SZ, 8.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
28
Berichten wieder, während gleichzeitig der sowjetische Vorwurf einer ,,US-
Aggression" in Anführungszeichen gesetzt wurde.
94
Außer durch die Provokation sah der Autor der Zeitung aus München das
Handeln Präsident Johnsons durch den amerikanischen Wahlkampf bestimmt.
Johnsons Gegenkandidat, Senator Barry Goldwater (Republikaner), sei mit
seinem ,,Verlangen nach einer Außenpolitik der Stärke (...) zum sehr ernst zu
nehmenden Konkurrenten geworden" ­ daher ,,Johnsons Entscheidung, auf
scharfen Kurs zu gehen", so Wilhelm Saekel in der Ausgabe vom 6. August.
95
Saekels Kollege und Chefredakteur
96
Hermann Proebst meinte zwei Tage
später aber auch erkennen zu können, dass die Amerikaner in Vietnam einen
,,wirklichen Krieg" nicht zulassen wollten.
97
Damit lag die SZ mit ihren Erklä-
rungsversuchen auf der Linie Johnsons, der im US-Fernsehen verkündet hatte:
"Firmness in the right is indispensable today for peace"
98
, sich aber im Wahl-
kampf auch als Kandidat des Friedens in Vietnam präsentierte.
99
Den Konflikt, dem sich die USA in Vietnam ausgesetzt sahen, begriff die
SZ als Konflikt mit China, der ,,Gegenseite".
100
Und obwohl Washington noch
nicht wisse, was China bezwecke, habe es eine ,,ruhig-überlegene Reaktion"
gezeigt.
101
Auch eine Karikatur verweist auf die Pekinger Dimension: Sie zeigt
einen zerknirscht blickenden Ho Chi Minh in zerfetzter Hose, der sich, wäh-
rend er mit den Händen sein Gesäß hält, bei Mao Tse-tung beschwert: ,,Aber
beißen kann der Papiertiger schon."
102
Mit Genugtuung führt der Zeichner
94
,,Vorgehen der USA gerechtfertigt", in: SZ, 6.8.1964; ,,Zeit zum Überlegen", in: SZ,
7.8.1964; ,,Moskau: Gefahr eines Krieges", in: SZ, 8.8.1964.
95
Saekel, Wilhelm: ,,Johnson lässt bombardieren", in: SZ, 6.8.1964.
96
Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv, 38/70, K 9265.
97
Proebst: ,,Von Krieg und Kriegsgeschrei".
98
Zit. nach Gardner: Pay Any Price, S. 134.
99
Ebd., S. 129 ff.
100
,,Im Golf von Tonking", in: SZ, 4.8.1964. Die Sicht der Tonking-Vorfälle im Licht der
Blockkonfrontation zeigt auch die Bebilderung des Artikels: ,,Die Vietnam-Krise vor der
UNO", in: SZ, 7.8.1964. Darin ist von der ,,Auseinandersetzung zwischen den USA und
Nordvietnam" die Rede, während die Bebilderung den amerikanischen Deligierte Adlai
Stevenson und den sowjetischen Vertreter Platon Morosow mit zwei Fotots perspektivisch
gegenüberstellt, beide mit dem abwartend-nachdenklichen Gesichtsausdruck eines Taktie-
rers und Spielers.
101
Saekel: ,,Johnson läßt bombardieren".
102
Leger, P.: ,,Aber beißen kann der Papiertiger schon!", in: SZ, 7.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
29
Maos Propaganda ad absurdum, der die Vereinigten Staaten wiederholt als
,,Papiertiger" abqualifiziert hatte.
103
Die SZ folgte also nicht nur in der Begründung des Vorgehens der USA
der offiziellen Linie Washingtons, sie nahm auch Partei für die Amerikaner (s.
o. Formulierungen wie ,,die Gegenseite" oder die Karikatur). Diese Partei-
nahme ging übrigens einher mit einer unverhohlenen Bewunderung der militä-
rischen Macht des Landes, die mit einem Vergleich der Angriffe der Nordviet-
namesen mit Mückenstichen in einem Leitartikel begann und in der Übernah-
me eines vom Pentagon herausgegebenen Textes über die gewaltige Über-
macht der USA im Nachrichtenteil gipfelte.
104
Die SZ benutzte in diesen Tagen gerne das Wort ,,Schutzmacht" synonym
für ,,Vereinigte Staaten" und baute ein Image der USA als Beschützer Europas
und Südostasiens auf, durch das ihr Vorgehen legitimiert wurde.
,,Solchen Mut und solche Stärke sollten wir, die wir auf Amerikas Schutz angewie-
sen sind, zu schätzen wissen. Eine Haltung, die heute dem bedrängten Südvietnam
zugute kommt, könnte irgendwann einem bedrängten Westeuropa zugute kommen,"
hieß es beispielsweise in einem Leitartikel.
105
Erwähnenswert ist bei der Be-
richterstattung der Süddeutschen schließlich, dass ­ wie schon in den Mei-
nungsbeiträgen ­ auch in den Nachrichtenspalten die ,,blitzschnelle"
106
, aber
besonnene Reaktion der USA auf die Tonking-Vorfälle hervorgehoben wurde.
Es entstand so das Bild einer wachsamen und entschlossenen Schutzmacht:
,,Der Präsident wurde sofort geweckt und berief ­ noch im Pyjama, wie zuver-
lässig informierte Kreise mitteilen ­ die erste Besprechung ein."
107
Eine Kari-
katur, auf der ein US-Soldat seinem Kameraden, der sich aus einem Hub-
schrauber in den vietnamesischen Dschungel abseilt, zum Abschied zuruft,
,,Und ärgere den Häuptling nicht und laß die Frauen in Ruhe und koch das
103
So in seinem berühmten Interview im August 1946 mit der US-amerikanischen
Korrespondentin Anna Louise Strong: ,,Alle Reaktionäre sind Papiertiger. Dem Aussehen
nach sind sie furchterregend, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so mächtig. Auf lange
Sicht haben nicht die Reaktionäre, sondern das Volk eine wirklich große Macht. (...)
Tschiang Kai-schek und seine Stützen, die USA-Reaktionäre, sind auch Papiertiger". Vgl.
Mao Tse-tung: Ausgewählte Werke, Band IV, Peking 1969, S. 97-102.
104
Saekel: ,,Johnson läßt bombardieren"; ,,Die Schüsse im Golf von Tonking", in: SZ,
6.8.1964.
105
Saekel: ,,Johnson läßt bombardieren".
106
,,Vergeltung gegen Nordvietnam", in: SZ, 6.8.1964.
107
Vgl. auch: ,,Torpedoboote waren aus Nordvietnam", in: SZ, 4.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
30
Wasser ab und vergiß die Malariatabletten nicht ­ und viel Vergnügen!", kann
im Gegensatz dazu ­ auch ohne Wissen um den weiteren Verlauf des Krieges ­
als erster Ausdruck der Sorge verstanden werden, dass die Amerikaner Viet-
nam aus Unkenntnis nicht ausreichend ernst nehmen.
108
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Jürgen Tern von der Frankfurter Allgemeine Zeitung sah dieselben Gründe
als ausschlaggebend für die amerikanischen Angriffe an wie ihre Münchener
Wettbewerber. Sie kommentierte:
,,Der amerikanische Präsident konnte dem Zwang der Vergeltung nicht länger aus-
weichen, zumal nicht in dieser Wahlzeit, da der Gegenkandidat Goldwater mehr Här-
te gegenüber den Kommunisten zu versprechen scheint."
109
Zwei Aspekte also motivierten in Terns Leitartikel ­ genauso wie bei Sae-
kel und Proebst von der SZ ­ das amerikanische Vorgehen: eine Provokation
durch Nordvietnam und der US-amerikanische Wahlkampf. Lyndon Johnson
sei so zu einer ,,Politik der Festigkeit" gezwungen, schrieb Nikolas Benckiser,
Johnson zitierend, zwei Tage später an selber Stelle, und er erörterte auch einen
weitereren Grund für das amerikanische Vorgehen, das als begrenzt und ent-
schlossen zugleich begriffen wurde: Um die Entspannungspolitik nicht zu
gefährden, durften die amerikanischen Angriffe nicht härter ausfallen.
110
Das
Spannungsfeld aus Provokation und Wahlkampf wurde also durch die Block-
konfrontation erweitert, die Johnson in das ,,Dilemma" führte, ,,nach einem
Weg zu suchen, der weder auf der einen noch auf der andern Seite zum Ab-
sturz führt."
111
Das heißt, dass dieser Weg weitgehend genug war, um in der
amerikanischen Öffentlichkeit Stärke zu demonstrieren, dass er gleichzeitig
aber auch begrenzt genug war, um nicht einen Konflikt mit den kommunisti-
schen Führungsmächten Peking und Moskau heraufzubeschwören.
Wie die SZ übernahm auch die FAZ sprachlich die Argumentation der
USA. In Nachrichtenbeiträgen werden die Angriffe auf Nordkorea als ,,Strafak-
tion" und ,,Vergeltungsangriffe" bezeichnet, ohne dass es sich dabei um Zitate
108
,,Dschungelkrieg", in: SZ, 6.8.1964.
109
Tern, Jürgen: ,,Provokation und Vergeltung", in: FAZ, 6.8.1964.
110
Benckiser, Nikolas: ,,Zwischen Washington und Moskau", in: FAZ, 8.8.1964.
111
Ebd.

Die Krise im Golf von Tonking
31
oder zumindest indirekte Rede handelte.
112
Auch in einem weiteren Punkt
stimmten die beiden Tageszeitungen überein: Dass es sich bei beiden Vorfäl-
len, sowohl am 4. als auch am 8. August, um unprovozierte nordvietnamesi-
sche Angriffe auf die amerikanischen Zerstörer handelte, wurde nicht ange-
zweifelt, während Äußerungen Hanois infrage gestellt wurden, die Zerstörer
hätten sich in Hoheitsgewässern Nordvietnams und nicht in internationalen
Gewässern befunden.
113
Die Leitartikel aus Frankfurt entwarfen ein dezidiertes Image der USA, das
insbesondere durch die Gegenüberstellung mit den kommunistischen Staaten
an Prägekraft gewann. So war die Nato ,,ein aus freien Stücken zustande ge-
kommenes Schutzbündnis" mit den USA als herausragender Macht, der War-
schauer Pakt dagegen ,,der rote Zwangsverein kommunistischer Zwangsre-
gime."
114
Eine ausführliche Analyse der Hintergründe des Vorfalls bezeichnete
die seinerzeit in Südvietnam operierenden US-Einheiten allenfalls neutral,
wenn nicht amerikafreundlich als ,,amerikanische Militärberater", die Vietcong
dagegen als ,,[d]ie roten Rattenfänger aus dem Norden".
115
Was die Süddeut-
sche mit einer Karikatur verdeutlichte, betonte die FAZ mehrfach in ihren
Meinungsspalten: Dass die ,,Papiertiger-Theorie sich als nicht richtig erwiesen
hat", und dass der durch Peking gesteuerte Versuch, die USA als solchen bloß
zu stellen, gescheitert sei.
116
Vielmehr erschien ,,der amerikanische Verbünde-
te" als Herr der Lage: Eine UPI-Aufnahme von einer Sitzung des Nationalen
Sicherheitsrats zeigten die Politiker George Ball, Dean Rusk, Lyndon Johnson
und Robert McNamara in der FAZ als aufgeräumte, nüchterne und aufmerksa-
me Akteure, selbstsicher und entschlossen, aber nicht überheblich.
117
Diese
Darstellung fällt zusammen mit der häufigen, doch angesichts seiner Funktion
112
,,Begrenzter Vergeltungsangriff Amerikas gegen Nordvietnam", in: FAZ, 6.8.1964; ,,Die
ganze Nacht lang Beratung in Peking", in: FAZ, 7.8.1964; ,,China warnt Amerika vor neuen
Angriffen", in: FAZ 7.8.1964; ,,Nordvietnam schwächt ab", in: FAZ, 8.8.1964.
113
vgl. z.B. ,,Der amerikanische Zerstörer ,Maddox'", in: FAZ, 4.8.1964; ,,Amerikanische
Schiffe unterwegs zum Golf von Tonkin", in: FAZ, 5.8.1964; ,,Tern: Provokation und Ver-
geltung"; ,,Adlai Stevenson", in: FAZ, 7.8.1964; ,,Vorsichtiger Optimismus in Washing-
ton", in: FAZ, 8.8.1964.
114
Dechamps, Bruno: ,,Das große Thema", in: FAZ, 7.8.1964.
115
Natorp, Klaus: ,,Ein Jahrzehnt der Wirren in Vietnam", in: FAZ, 7.8.1964.
116
Benckiser: ,,Zwischen Washington und Moskau"; Tern: ,,Provokation und Vergeltung";
Natorp: ,,Ein Jahrzehnt der Wirren".
117
,,Der Nationale Sicherheitsrat", in: FAZ, 6.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
32
als Commander-in-Chief zum Verständnis meist nicht zwingend notwendigen
Betonung Präsident Johnsons als Entscheidungsträger bei militärischen Aktio-
nen
118
und der militärischen Überlegenheit der USA gegenüber Nordviet-
nam.
119
So entstand ein insgesamt Vertrauen erweckendes Bild der USA und
ihres Präsidenten (der ,,an Statur gewonnen" habe)
120
, das Zweifel an der Rich-
tigkeit amerikanischen Handels nicht zulässt. Die Bezeichnung der amerikani-
schen Angriffe als ,,Strafaktion" lässt die amerikanische Regierung geradezu
wie ein unabhängigen, über Zweifel erhabenen Richter erscheinen.
121
Die Zeit
Die Wochenzeitung Die Zeit bewegte sich bei der Suche nach Gründen für
den US-Einsatz in Nordvietnam auf der Linie der tagesaktuellen Blätter. Neben
die Tatsache der Provokation und den Imperativen des Präsidentschaftswahl-
kampfes trat die Dimension internationaler Glaubwürdigkeit. Johnson musste
sich, so schreibt das Blatt aus Hamburg, ,,immer mehr engagieren, damit die
USA in Asien nicht als unzuverlässig (...) abgestempelt werden."
122
So habe
der südvietnamesische Ministerpräsident Khan ein hartes Vorgehen gefor-
dert.
123
Die Zeit urteilte daher: ,,Johnson blieb keine Wahl."
124
Als Wochenzeitung ordnete die Zeit die Vorfälle auch in einen allgemeine-
ren Kontext ein:
,,Die amerikanische Repressalie war präventive und limitierte brinkmanship; sie ziel-
te nicht einmal auf die Zwischenfälle im Golf von Tonking, die eher einen willkom-
menen Vorwand boten."
125
Demzufolge war die Krise im Golf von Tonking Anlass für einen seit langer
Zeit notwendigen Hinweis, ,,daß die USA in den Bereichen ihrer jederzeit
aufstufbaren Überlegenheit ­ zur See und in der Luft ­ tätig werden würden."
Diese Politik des äußersten Risikos ­ des ,,brinkmanship" ­ mit dem Ziel,
118
Vgl. z.B. ,,Der amerikanische Zerstörer ,Maddox'", in: FAZ, 4.8.1964.
119
,,Washington wartet ab", in: FAZ, 7.8.1964.
120
,,Vorsichtiger Optimismus in Washington", in: FAZ 8.8.1964.
121
,,Begrenzter Vergeltungsangriff Amerikas gegen Nordvietnam", in: Die Zeit, 6.8.1964.
122
,,Krieg in Südostasien?", in: Die Zeit, 7.8.1964
123
,,Johnsons Antwort: Vergeltung in Vietnam", in: Die Zeit, 7.8.1964.
124
,,Krieg in Südostasien?", in: Die Zeit, 7.8.1964.
125
Schwelien, Joachim: ,,Heilsame Krise", in: Die Zeit, 14.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
33
Südvietnam zu halten, schloss das Risiko des Atomkriegs ein, suchte ihn aber
nicht.
126
Weitere angenommene Gründe für das amerikanische Vorgehen sind in
dem Image implizit angeführt, das Die Zeit von den Vereinigten Staaten ent-
warf. So hätten die USA einen hohen ,,Prestigeanspruch", dessen Berechtigung
das Blatt nicht infrage stellte.
127
Hinzu kam ein Hinweis auf Präsident Johnsons
sichere Stellung: ,,Die Öffentlichkeit und der Kongress waren nahezu geschlos-
sen hinter ihm."
128
Der Autor bemerkte aber auch, dass die Ziele der USA in
Indochina innerhalb Amerikas noch nicht hinreichend geklärt gewesen seien.
Gleichzeitig warnte Die Zeit vor einem ,,Dschungelkrieg", denn der sei nicht zu
gewinnen, und lässt so auch Zweifel an der amerikanischen Übermacht erken-
nen.
129
The Guardian
Deutlich kritischer äußerte sich die britische Zeitung The Guardian, die der
Begründung Johnsons für die Angriffe, der ,,official story", mit einem, in ihren
Worten, ,,good deal of scepticism" begegnete. Sie stellte fest,
,,that many people ­ and not only Communists ­ will be tempted to suspect that the
US air attacks, and the great movement now proceeding of military power into
South-east Asia, had long been planned and required only a suitable occasion (easily
manufactured) to set them off."
130
Nur der (nach dem Zitat möglicherweise sogar vorgetäuschte) Auslöser waren
nach ihrer Ansicht die Zwischenfälle von Tonking für einen Angriff der USA
auf Nordvietnam, nicht aber der eigentliche Grund. Diesen sah der Guardian,
für den der andernorts geäußerte Hinweis auf den amerikanischen Wahlkampf
126
Ebd.
127
Ebd. Zwei Monate zuvor schrieb die Zeitung in dem Artikel: ,,Wenn Johnson etwas zustie-
ße ...", in: Die Zeit, 12.6.1964, sogar Washington beanspruche ,,zu Recht ,die Führung der
freien Welt'." Der hohe Anspruch an die eigene Rolle und das eigene Ansehen in der Welt,
den Die Zeit bei den USA beobachtet hat, wurde also als legitim angesehen.
128
Schwelien, Joachim: ,,Heilsame Krise".
129
,,Krieg in Südostasien?", in: Die Zeit, 7.8.1964.
130
,,President Johnson extends the war", in: The Guardian, 6.8.1964. Seine Skepsis gegenüber
der Washingtoner Darstellung des Tonking-Zwischenfalls behielt der Guardian bei. So
vermied er noch 1968 eine Festlegung, von wem ein Provokation ausgegangen sei, wenn
Steel, Jonathan: ,,Along the Vietnam escalation trail", in: The Guardian, 3.4.1968, den Vor-
fall so umschrieb ,,the incidents in the Gulf of Tonking, when North Vietnamese torpedo
boats and US warships engaged each other" (Kursivsatz durch d.Verf.).

Die Krise im Golf von Tonking
34
eine ,,oversimplification" war, in Auseinandersetzungen zwischen den auf
Frieden ausgerichteten ,,Tauben" und den kriegswilligen ,,Falken" innerhalb
der amerikanischen Regierung: Mit Blick auf Verstärkungen der amerikani-
schen Streitmacht in der Krisenregion vermutete er, dass sich die Falken gegen
die Tauben durchgesetzt haben. Endgültig sicher darüber ist sich der Guardian
jedoch nicht. Denn auch die Möglichkeit, dass die Tauben nun, zumal nach der
Ernennung des moderaten Generals Maxwell Taylor zum US-Botschafter in
Südvietnam, im Aufwind waren, wurde in Betracht gezogen. Dann wären die
Angriffe, so wurde gemutmaßt, lediglich eine Kompensation für die Falken
gewesen, ,,the price paid for the defeat of the ,hawks'."
131
In der Charakterisierung des Vorgehens Johnsons war der Guardian hin-
gegen nicht weit von den deutschen Zeitungen entfernt. Dieser habe mit ,,vi-
gour and promptness" reagiert. hieß es in einem Bericht, und die detaillierte
Beschreibung der Gespräche des Präsidenten mit amerikanischen Spitzenpoli-
tikern in einem anderen spiegelte Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit.
132
Vertei-
digungsminister McNamara wirkte auf einem Foto, das ihn, mit der US-Fahne
im Hintergrund, bei der Erklärung amerikanischen Vorgehens anhand einer
Vietnam-Karte und mit einem Zeigestock zeigte, nüchtern und kompetent.
133
Anders das Image der US-Regierung in einem Leitartikel: Die Erfahrung mit
Washingtons ,,news management" lehre, dass Vorsicht angebracht sei, hieß es
dort.
134
Die Glaubwürdigkeit der USA wurde also stark angezweifelt. Außer-
dem wurde zwar auf die ,,utter disparity of strength between the United States
and North Vietnam" verwiesen, sogleich aber konstatiert, dass militärische
Stärke Amerika in einem Krieg in Vietnam nicht den Sieg bringen werde.
135
In zwei wichtigen Punkten schloss sich der Guardian auf seinen Nachrich-
tenseiten der amerikanischen Position an: Die Zerstörer seien Ziel von ,,delibe-
rate North Vietnamese attacks" gewesen und die amerikanischen Angriffe
131
Ebd.
132
Richard Scott: ,,'Shoot to kill', US orders", in: The Guardian, 4.8.1964; ,,US destroyers
,sink torpedo boats'", in: The Guardian, 5.8.1964.
133
,,US planes shot down over N. Vietnam", in: The Guardian, 6.8.1964.
134
,,President Johnsons extends the war".
135
Ebd.

Die Krise im Golf von Tonking
35
seien Vergeltung dafür, ,,retaliation".
136
Darüber hinaus gab es Übereinstim-
mung in der Bewertung der strategischen Bedeutung Vietnams: ,,the demarca-
tion line (...) is, indeed, part of the iron curtain separating the Communist and
non-Communist worlds."
137
Gleichzeitig verwies jedoch die Bezeichnung des
Konflikts als ,,Vietnamese war" anstelle von ,,Vietnam war" darauf, dass man
eher von einem vietnamesischen Bürgerkrieg ausging als von einem Stellver-
treterkrieg.
138
Entsprechend folgte im Guardian während der Tonking-Krise
auch keine Unterstützung der amerikanischen Domino-Theorie.
The Times
,,Saving South Vietnam", das war in den Augen der Zeitung The Times das
ausschlaggebende Motiv allen amerikanischen Handelns in Vietnam.
139
Das
Blatt gab sehr dezidiert die Auskünfte der US-Regierung zu ihrer Motivation in
Vietnam wieder, und sie machte sich diese auch zu eigen. Nicht ,,aggression,
lying" oder ,,madcap adventurism"
140
hätten die Vereinigten Staaten angetrie-
ben, sondern der ,,cause of peace"
141
. Wenn die Times in einem Bericht von
Amerikas ,,commitment to the security of south-east Asia"
142
sprach, so han-
delte es sich offenbar um Worte aus Washington, denn sie fielen im Umfeld
von Zitaten Lyndon Johnsons und Dean Rusks. So zeigte sich in dieser Über-
nahme offizieller Formulierungen anstelle kritischer Distanzierung, etwa durch
Zitieren oder indirekte Rede, eine Unterstützung der amerikanischen Regie-
rung.
Entsprechend sprach die Times ­ auch im Nachrichtenteil ­ von den An-
griffen auf Nordvietnam als ,,retaliatory strikes"
143
und betonte auf den Mei-
nungsseiten die Angriffe Nordvietnams als Ursache dafür, nicht ,,a deliberate
136
,,US planes shot down over N. Vietnam"; Richard Scott: ,,Atmosphere of minor crisis", in:
The Guardian, 7.8.1964.
137
,,Briefing on Vietnam", in: The Guardian, 7.8.1964.
138
Auch die (nur scheinbar paradoxe) Bemerkung, es sei nicht die chinesische Armee, die die
Amerikaner fürchten müssten, sondern die Südvietnams, deutet darauf hin. Vgl. ,,Lips and
teeth in South-east Asia", in: The Guardian, 7.8.1964.
139
,,Saving South Vietnam", in: The Times, 7.8.1964.
140
Ebd.
141
,,Mr. Johnson speaks of ,open aggression against us'", in: The Times, 6.8.1964.
142
,,Vital U.S. interest", in: The Times, 6.8.1964.
143
vgl. z.B. ,,U.S. aircraft attack N. Vietnam bases", in: The Times, 6.8.1964.

Die Krise im Golf von Tonking
36
policy to step up war"
144
. Bei der Begründung des Ausmaßes der Angriffe, das
der Guardian als übertrieben kritisiert hatte,
145
schloss sich die Times, bei der
,,Overseas news" Mitte der Sechziger Jahre noch nicht auf der Titelseite, son-
dern nur im Innern des Blattes aufgeführt wurden, sogar ausdrücklich Johnsons
Begründung an: ,,It has been an operation conducted with the principle of
measured response well in mind: an action ,limited and fitting', in President
Johnson's words."
146
Dazu passt das Image, das die Times von der Lage in Amerika und von der
US-Regierung entwarf. Diese habe intensiv beraten, bevor sie ihre Entschei-
dungen traf, wie in mehreren Berichten betont wurde
147
, war also bedacht und
sorgfältig und auch ,,well aware of the dangers of escalation"
148
, handelte also
nüchtern und kompetent. Diesen Anschein erweckten auch weitere Artikel, in
denen von der Gründlichkeit der Beratungen Johnsons und der gleichzeitigen
Schnelligkeit seines Handelns die Rede war.
149
Johnson wusste dabei, laut der
Times, die Nation und den Kongress geschlossen hinter sich.
150
Anders als der Guardian, der die Möglichkeit nicht ausschloss, dass die
USA den Vorfall provoziert haben, ging die Times bei den Ereignissen im Golf
von Tonking von einem unprovozierten Angriff Nordvietnams auf die ameri-
kanischen Schiffe aus, die sich in internationalen Gewässern befanden, ,,where
they had every right to be."
151
Und während der Guardian in den Gegenangrif-
fen eine Ausweitung des Krieges sah, beharrte die Times, die USA hätten ihre
bisherige Strategie nicht verändert: ,,When ordering a special operation in
response to a special attack, he took no strategic decision to fight the war in the
north from now on."
152
144
,,Limited and fitting", in: The Times, 6.8.1964.
145
,,President Johnson extends the war", in: The Guardian, 6.8.1964. Darin hieß es: ,,why has
the reaction been so exaggerated? (...) the United States Administration is dangerously sta-
king its prestige (...)."
146
,,Limited and fitting".
147
,,U.S. aircraft attack N. Vietnam Bases"; ,,Limited and fitting"; ,,Wide Support for U.S.
action against N. Vietnam", in: The Times, 7.8.1964.
148
,,U.S. warships again attacked", in: The Times, 5.8.1964.
149
,,U.S. aircraft attack N. Vietnam Bases"; ,,Mr. Johnson in crisis talks with U Thant", in: The
Times, 7.8.1964.
150
,,U.S. strengthens its force off Vietnam", in: The Times, 4.8.1964; ,,Mr. Johnson in crisis
talks with U Thant"; ,,U.S. aircraft attack N. Vietnam bases".
151
,,Limited and fitting".
152
,,Saving South Vietnam".

Die Krise im Golf von Tonking
37
The Observer
Ähnlich wie die deutsche Wochenzeitung Die Zeit, befasste sich die Sonn-
tagszeitung Observer sehr eingehend mit den Gründen und den Zielen ameri-
kanischen Vorgehens ­ und kam zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Sie erkannte
ausdrücklich die Domino-Theorie und die Politik der Eindämmung als Motiv
amerikanischer Politik in Südostasien an, wenn sie schrieb:
,,If they [the Americans, d. Verf.] abandon Vietnam and so betray their policy of halt-
ing Communist expansion in its present tracks, the entire structure of ,free' nations in
Asia looking to Washington for protection may quickly collapse."
153
Zwar fiel das Wort ,,brinkmanship" nicht, doch den Zweck und das Ausmaß
der Angriffe auf Nordvietnam bewertete der Observer wie die Zeit: ,,The Ame-
ricans want no war with the Soviet bloc, yet are bound to risk it."
154
Als Vertre-
ter der Domino-Theorie entlarvte den Autor des Observer auch seine Einschät-
zung, auf der anderen Seite des Konflikts stände der sowjetische Block. Die
Domino-Theorie, so der Historiker Christian Hacke, war die ,,Zwillingsschwes-
ter der Theorie vom monolithischen Kommunismus"
155
.
Als unmittelbaren Zweck des Angriffs auf Nordvietnam, der als ,,almost
inevitable" bezeichnet wurde, nannte der Observer zum einen die Demonstra-
tion amerikanischer Macht als Versicherung an die Machthaber in Südvietnam,
zum anderen auch den amerikanischen Wahlkampf, wo die Gegnerschaft
Goldwaters eine Politik der Stärke von Johnson gefordert habe.
156
Ein reines
Wahlkampfmanöver sei der Angriff aber nicht gewesen.
Ohne Kritik an den USA war der Observer trotz aller Zustimmung aber
nicht. Es fehlte, so schrieb der Kolumnist Patrick O'Donovan, ein klarer Plan
und eine umfassend formulierte Zielsetzung, die über das Bestreben hinaus
ging, eine Niederlage zu vermeiden.
157
Die Aktivitäten der USA in Vietnam
sah er als ,,endeavour to keep an inadequate South-East Asian country afloat
and independent".
158
153
,,Khrushchev's power dwindles in Hanoi", in: The Observer, 9.8.1964.
154
Ebd.
155
Hacke: Zur Weltmacht verdammt, S. 131.
156
,,Stakes in the Asian poker game", in: The Observer, 9.8.1964.
157
,,How the Americans took the news", in: The Observer, 9.8.1964.
158
Ebd.

Die Krise im Golf von Tonking
38
Die Sonntagszeitung entwirft ein sehr konsistentes Image von den USA
und ihrem Präsidenten, das man mit der Zuschreibung hoher Kompetenz und
Nüchternheit auf der Regierungsebene, herausragender militärischer Macht und
großer nationaler Geschlossenheit umschreiben kann. So erkannte das Blatt
,,wide acclaim for his [Johnon's, d. Verf] fearless, precisely judged gamble"
159
,
und ein Land ,,united in approval"
160
. Seiner beispiellosen Stärke bewusst,
verharre es in bewundernswerter, selbstbewusster Gelassenheit.
161
Dieses
Selbstbewusstsein habe sich in der Vergangenheit auch mit Rassismus geparrt,
als sich die USA in vielen Ländern als ,,'white protectors'"
162
präsentiert hät-
ten, wie der Observer zitiert.
Dennoch, so stellte der Observer fest, habe Amerika Mao Gelegenheit ge-
geben, Amerika weiter als ,,Papiertiger" zu verspotten, da es die Ausweitung
des Konflikts scheute.
163
Und mit Blick auf den aus US-Perspektive schlecht
laufenden Krieg in Südvietnam äußerte der Observer die Erwartung, dass
Amerika seine große technologische Überlegenheit in dem ,,Asian poker ga-
me" nur wenig von Vorteil sein würde.
164
Die Zeitung sprach hier explizit von
,,war" und nicht, wie häufig in den anderen zu untersuchenden Zeitungen von
,,conflict", ,,crisis" oder ,,guerilla struggle",
165
Zusammenfassung
Die Berichtsperspektive der untersuchten deutschen Zeitungen über die
Krise im Golf von Tonking war essentiell westlich. Das äußerte sich beispiels-
weise in der größeren Neigung, die offizielle amerikanische Wortwahl in die
eigene Sprache zu übernehmen, bei gleichzeitiger Distanzierung von Äußerun-
gen aus Hanoi, Moskau oder Peking durch penible Verwendung der Anfüh-
rungszeichen oder konsequenten Vorschub von Distanz signalisierenden Wor-
ten wie ,,angeblich". Weiterhin wurde eine westliche Perspektive durch um-
159
,,Asia shooting stops and shouting begins", in: The Observer, 16.8.1964.
160
,,How the Americans took the news".
161
Ebd.
162
,,Khrushchev's power dwindles in Hanoi".
163
,,Asia shooting stops and shouting begins".
164
,,Stakes in the Asian poker game", in: The Observer, 9.8.1964.
165
Die deutschen Bezeichnungen gelten entsprechend.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832478445
ISBN (Paperback)
9783838678443
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen – Geschichts- und Kulturwissenschaften
Note
1
Schlagworte
medien krieg journalismus golfkrise berichterstattung
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Titel: Die Intervention der USA in Vietnam
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