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Internationale Konfliktsituation in der Kaukasus-Region in Bezug auf Erdölressourcen

©2004 Diplomarbeit 102 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Nach fast 90 Jahren weltpolitischer Abstinenz ist der Kaspische Raum, und Kaukasien als integraler Bestandteil desselben, schlagartig ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zurückgekehrt.
Spätestens seit die US- Amerikaner 1994 den gesamten kaspischen Raum als eigene Interessenzone deklarierten , begann das Ringen um Einfluss in dieser Region. Mächtige weltpolitische Akteure streiten seit fast zehn Jahren um die Kontrolle der enormen energetischen und mineralischen Lagerstätten. Akteure sind international operierende Staaten welche in weltweiten Handels- und Wirtschaftsregimen, etwa der OECD, zusammengeschlossen sind, INGOs/ NGOs, regionale Eliten, Warlords und Clans. Aber auch staatliche Lokalmächte wie die Türkei und der Iran versuchen ihre Machtpositionen zu errichten, zu bewahren und auszubauen. Die den eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfene, dem gesamten Prozess innewohnende Dynamik erbrachte den Vergleich mit dem „Great Game“ der imperialistischen Epoche Großbritanniens und Russlands. Dieses „Spiel“ um Macht, Einfluss und Kontrolle über Rohstoffressourcen ereignet sich zudem vor dem Hintergrund grausam ausgetragener ethnischer Konflikte und brutal erzwungener Bevölkerungstransfers.
Die prekäre sozioökonomische Situation, die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung und die schwierige politische und wirtschaftliche Lage auf der einen, sowie die Interessen der Akteure in Bezug auf monetäre Aspekte auf der anderen Seite stehen in extremen Widerspruch zueinander und verschärfen die Gewaltspirale zusätzlich . Die hieraus resultierende Beschleunigung konfliktreicher Prozesse, welche unter anderem durch die Radikalisierung des islamischen Glaubens kanalisiert wird, erzeugt eine ungeheure soziale und ethnische Sprengkraft. Der komplexe Ereignishorizont macht es schwierig, bei diesem hochaktuellen Thema bestimmte Kristallisationspunkte und Schemata zu erkennen und restlos alle relevanten Vorgänge angemessen zu berücksichtigen.
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass wesentliche Prozesse gegen Ende des Jahres 2003 erneut aktiviert, beziehungsweise nochmals intensiviert wurden . Die anhaltenden Demonstrationen in Aserbaidschan und die Entmachtung des georgischen Präsidenten Schewardnadse stellen somit vorläufige Höhepunkte einer nicht absehbaren Entwicklung dar. Hinzu kommt eine scheinbar wachsende Terrorgefahr, welche vom Mittleren- und Nahen Osten in diesen Raum getragen wird und dem latent […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

Nach fast 90 Jahren weltpolitischer Abstinenz ist der Kaspische Raum, und Kaukasien als integraler Bestandteil desselben, schlagartig ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit zurückgekehrt.

Spätestens seit die US- Amerikaner 1994 den gesamten kaspischen Raum als eigene Interessenzone deklarierten[1], begann das Ringen um Einfluß in dieser Region. Mächtige weltpolitische Akteure streiten seit fast zehn Jahren um die Kontrolle der enormen energetischen und mineralischen Lagerstätten. Akteure sind international operierende Staaten welche in weltweiten Handels- und Wirtschaftsregimen, etwa der OECD, zusammengeschlossen sind, INGOs/ NGOs, regionale Eliten, Warlords und Clans. Aber auch staatliche Lokalmächte wie die Türkei und der Iran versuchen ihre Machtpositionen zu errichten, zu bewahren und auszubauen. Die den eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfene, dem gesamten Prozeß innewohnende Dynamik erbrachte den Vergleich mit dem „Great Game“ der imperialistischen Epoche Großbritanniens und Rußlands. Dieses „Spiel“ um Macht, Einfluß und Kontrolle über Rohstoffressourcen ereignet sich zudem vor dem Hintergrund grausam ausgetragener ethnischer Konflikte und brutal erzwungener Bevölkerungstransfers.

Die prekäre sozioökonomische Situation, die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung und die schwierige politische und wirtschaftliche Lage auf der einen, sowie die Interessen der Akteure in Bezug auf monetäre Aspekte auf der anderen Seite stehen in extremen Widerspruch zueinander und verschärfen die Gewaltspirale zusätzlich[2]. Die hieraus resultierende Beschleunigung konfliktreicher Prozesse, welche unter anderem durch die Radikalisierung des islamischen Glaubens kanalisiert wird, erzeugt eine ungeheure soziale und ethnische Sprengkraft. Der komplexe Ereignishorizont macht es schwierig, bei diesem hochaktuellen Thema bestimmte Kristallisationspunkte und Schemata zu erkennen und restlos alle relevanten Vorgänge angemessen zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß wesentliche Prozesse gegen Ende des Jahres 2003 erneut aktiviert, beziehungsweise nochmals intensiviert wurden[3]. Die anhaltenden Demonstrationen in Aserbaidschan und die Entmachtung des georgischen Präsidenten Schewardnadse stellen somit vorläufige Höhepunkte einer nicht absehbaren Entwicklung dar. Hinzu kommt eine scheinbar wachsende Terrorgefahr, welche vom Mittleren- und Nahen Osten in diesen Raum getragen wird und dem latent existierenden Potential gewaltbereiter Aktivisten erneuten Auftrieb gab und noch gibt. Im November 2003 erreichte diese Welle die Türkei und offenbarte sehr eindringlich das Gefährdungspotential für Europa. Doch auch staatliche Akteure wie beispielsweise Rußland befinden sich seit Jahren in permanentem Kriegszustand in den Republiken der Russischen Föderation beziehungsweise Rußländischen Föderation. Die Konflikte in Tschetschenien und Dagestan sind bei weitem noch nicht beendet, und auch der ruhende Krieg zwischen den Azeri und den Armeniern ist nicht beigelegt worden.

Auf der anderen Seite steht die EU vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die Osterweiterung wird ab dem Jahr 2004 beginnen, und mit ihr rückt der kaukasische Raum stärker in den Blickwinkel der Europäer. Die politische und wirtschaftliche Brisanz für die EU offenbart sich somit in einer wahrscheinlich instabilen Außengrenze im Osten. Der im Bereich des möglichen liegende Beitritt der Türkei zur EU, welcher ein potentielles Hineinziehen dieser in die Konfliktsituation des Nahen Ostens bedeuten könnte, problematisiert diese Erweiterung nicht unerheblich. Die zusätzlichen energiepolitischen Präferenzen der EU in Bezug auf den kaukasischen Raum und die Konfliktsituationen zwischen den anderen Akteuren erzwingen eine umsichtige europäische Politik, um nicht selbst destabilisiert zu werden.

1.1. Eingrenzung und Definition des Diskussionsgegenstandes

Die internationale Konfliktsituation in Bezug auf die Erdölressourcen des kaukasischen Raumes, kann kaum unbeeinflußt von den sie umgebenden Konflikten und den Geschehnissen der Weltpolitik betrachtet werden. Insofern wird diese Konfliktsituation im erweiterten Kontext verortet und als Bestandteil mehrdimensionaler analytischer Ebenen, welche aus den vielfältigen Interessenlagen und den sich daraus ergebenden Konfliktlinien resultieren, impliziert.

Staatsgrenzen können hierbei keine analytische Trennlinie darstellen, weil die Konfliktentwicklungen miteinander korrespondieren. Insofern sind die kaukasische Sezessionsdynamik auf der einen und die staatliche Bündnispolitik auf der anderen Seite durch ethnoterritoriale, sozialökonomische und kulturellreligiöse Konflikte beeinflußt und wirken dabei unter anderen als Katalysator[4].

Die im Laufe der Zeit verstärkt hervorgetretene und durch das Engagement internationaler Akteure beschleunigte Artikulation der sozialökonomischen Komponente dieses „Great Game“ grenzt die vielfältigen weiter vorherrschenden und mehr oder weniger stark betonten Bestandteile des Krisenpotentials weitestgehend aus diesen Betrachtungen aus. Das Augenmerk des Diskussionsgegenstandes wird also von den mehrdimensionalen Konfliktursachen ausgehend auf die inzwischen dominierenden wirtschaftlichen und geostrategischen Elemente gelenkt. Hieraus resultieren politische Ambitionen und weitergehendes Engagement aller Akteure und generiert wiederum eine internationale Konfliktsituation, mit all ihren facettenreichen Ausprägungen. Aus diesem Grund ist eine Konfliktsituation in Bezug auf Erdölressourcen tatsächlich gegeben. Mit der Zeit hat sich allerdings eine Verschiebung der Primärinteressen der Akteure ergeben, welche weiterführend analysiert werden soll.

So ist unter anderem durch das Wirken der Konsortien, welche aus multinationalen Explorationsgesellschaften bestehen, die Konfliktschwelle im Bereich der Ölgewinnung überwiegend gesunken. Auf der anderen Seite ist die, ursächlich natürlich ebenso aus den Rohstoffressourcen der kaukasischen Staaten resultierende, Konfliktsituation in Bezug auf die Erstellung neuer Transportwege und sonstiger Infrastruktur sukzessive gewachsen und damit Grund genug, diese Problematik mit allen Konsequenzen für die Welt als eigentlichen Diskussionsgegenstand zu definieren. Konkretisiert werden soll diese Problematik durch einen Rückgriff auf die energiepolitischen Interessen der EU, die Darstellung handlungspolitischer Optionen und sachpolitischer Zwänge, sowie möglicher Gefahren, welche sich für die EU daraus ergeben könnten.

1.2. Bemerkungen zum Erkenntnisinteresse und zur Quellenlage

Von besonderem Interesse erscheint die Analyse der europäischen Politik im kaukasischen Raum, weil sie Ausfluß politischer Entscheidungen im Rahmen der Gesamtkonfliktsituation ist. Diese Politik wird bestimmt vom Bemühen um Nachhaltigkeit im energiepolitischen Bereich, der Vermittlung westlicher Wertvorstellungen und gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien, sowie einer an sicherheitspolitischen Aspekten ausgerichteten Außenpolitik, welche den zukünftigen Anforderungen der Erweiterung der EU Rechnung tragen soll. Andererseits ist es sicherlich unmöglich, von den Betrachtungen dieses Raumes auf einen globalen Kontext europäischer Politik zu schließen. Nichts desto trotz ist allerdings gerade die exponierte Lage Kaukasiens sehr gut dafür geeignet, die bisherigen politischen Offerten an oben genannten Maßstäben zu bewerten und die Politik somit eventuell als Grundlage einer sich etablierenden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie Energiepolitik, zu begreifen. Insofern sind die europäische Kaukasienpolitik und ihre Ergebnisse in Bezug auf Erdölressourcen wichtiger Bestandteil einer zukünftigen Weltordnung und bedürfen aus diesem Grund einer entsprechenden Aufmerksamkeit.

Die Quellenlage hat sich vor allem im Zuge des Irakkrieges und der Überprüfung seiner Auswirkungen auf die muslimischen Nachbarstaaten im Jahr 2003 erheblich verbessert. Ein Großteil der in dieser Arbeit verwerteten Informationen ist der aktuellen Presse und dem weltweiten Datennetz entnommen. Auch kurzfristig werden diese Medien weiterhin die adäquaten und aktuellen Quellen sein. Nur sporadisch gab es in den letzten Jahren vereinzelte Veröffentlichungen und Beiträge in der deutschen Fachliteratur. Vor allem deutsche Beiträge nahmen erst am Ende des letzten Jahrtausends zu und ihre Anzahl ist weiterhin im Anstieg begriffen. Ein Großteil dessen ist gleichwohl nur über das weltweite Datennetz zu beziehen und erscheint erst in naher Zukunft in Form gedruckter Lektüre.

Grundlagenliteratur und Konfliktbetrachtungen über längere Zeiträume hinweg sind jedoch weiterhin rar und offenbaren das marginale Interesse, zumindest der Medien in der Vergangenheit. Dies bewirkte, daß „[...] die unübersichtliche Quellenlage und sehr fragmentarische Fakten zu einer undifferenzierten Sichtweise und propagandistischer Färbung vieler Aussagen und Handlungen beitrugen, [...] die allgemeinen Ursachen der internen oder zwischenstaatlichen Konflikte im Kaukasus ([sic!] Anm. des Verfassers) sehr unterschiedlich gelagert und daher schwer auf eine Formel zu bringen sind. Es überschneiden sich diverse ethnische, politische, und militärische Einflüsse im Konfliktspektrum.“[5].

Die oben genannte Quellenlage ermöglichte aber auch eine hohe Aktualität einer Vielzahl von Informationen. Durch die inzwischen zahlreich stattfindenden Diskussionen im akademischen Bereich und die dieser Region gewidmeten Aufmerksamkeit in den Medien nach dem Irakkrieg konnte gerade die Subjektivität bestimmter Quellen relativiert werden. Sie trug ebenso dazu bei, bisher noch unveröffentlichtes oder schwer zugängliches Material für diese Arbeit zu erschließen sowie Fachpersonal aus der Politik und Wirtschaft persönlich zu konsultieren.

1.3. Aufbau und Methodik dieser Arbeit

In dieser Arbeit wird sich eines gut nachvollziehbaren akteurbezogenen Identifikationsmodells bedient, welches die Unterscheidung in „key actors“ und „regional actors“ möglich macht[6]. Ausgehend von den machtpolitischen Ambitionen, der militärischen und wirtschaftlichen Potenz und den energiepolitischen sowie geostrategischen Interessen wurden auf diese Weise im Rahmen dieser Arbeit drei „key actor“ und fünf „regional actor“ identifiziert. So werden die USA, die EU und Rußland als internationale Akteure, welche global agieren und durch ökonomische und militärische Macht die Regularien dieses „Spiels“ weitestgehend dominieren, als wesentliche „key actors“ bezeichnet. Selbstverständlich sind in der letzten Zeit noch neue Akteure hinzugekommen oder über die Konsortien schön länger involviert. Der Grad an Betroffenheit, welcher aus den oben dargelegten Parametern resultiert, ist allerdings bei diesen drei Globalakteuren am stärksten ausgeprägt. Die Perspektiven Chinas werden in dieser Hinsicht ebenfalls kurz angeschnitten. Dies stellt aber noch keinen hinreichenden Grund dafür dar, zum Zeitpunkt dieser Arbeit diesem Land die Rolle eines „key actors“ zuzuerkennen.

Die drei transkaukasischen Republiken sowie die Türkei und der Iran als Anrainer werden als „regional actors“ begriffen und durch ihr vielschichtiges Beziehungsgeflecht untereinander und in Bezug auf die „key actors“ dargestellt. Eine Konfliktsituation läßt sich durch diese Unterscheidung hinreichend erläutern. Aus diesem Grund werden die kaukasischen Republiken, welche zur Rußländischen Föderation gehören, als Bestandteil Rußlands aufgefaßt und nur bei relevanten Vorgängen im sicherheitspolitischen und ökonomischen Bereich gesondert herausgegriffen. Ebenso wird die Vernetzung des kaukasischen Raumes mit dem im Osten befindlichen Transformationsstaaten der ehemaligen Sowjetunion zwar diagnostiziert, eine Berücksichtigung dieses Beziehungsgeflechtes wird allerdings nur bei einer für das Bearbeitungsthema zwingend vorliegenden Relevanz vorgenommen. Des weiteren wird sich einer gängigen Definition des Zustandes „weder Krieg noch Frieden“ als „frozen instability“ beziehungsweise „frozen conflict“ bedient und die Bezeichnung „eingefrorene Konflikte“ verwandt[7].

Für diese Arbeit ergibt sich insgesamt eine Struktur, welche zunächst an den chronologischen Ereignissen der Geschichte orientiert ist und sich hernach zur Darstellung eines vielschichtigen Beziehungsgeflechtes auswächst.

Zunächst soll der kaukasische Raum klar benannt werden können, weil die geographische Abgrenzung dieses Gebietes im Allgemeinen höchst differenziert erfolgte. Der Begriff kaukasischer Raum wird insofern im weitesten Sinne als „regional- Terminus“ von geostrategischer Bedeutung benutzt. Nichts desto trotz sollen in diesem Zusammenhang ebenso ethnische Charakteristika herausgearbeitet und die Historie bis zum Zusammenbruch der SU erschöpfend dargelegt werden. Die Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Raumes schließt den ersten Teil ab. Auf diesen Grundlagen aufbauend werden das energetische und das daraus resultierende ökonomische Potential dieser Region herausgestellt. Mit Blick auf die internationale Konfliktsituation werden den bestehenden Pipelinerouten und der sonstigen neu zu errichtenden Infrastruktur besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Im daran anschließenden Abschnitt werden die Akteure und ihre Interessen detaillierter benannt und analysiert. Allein hierdurch wird eine bestehende Konfliktsituation in ihrer Intensität angemessen verdeutlicht und das starke Beziehungsgeflecht aufgrund bündnispolitischer Zuordnung, wirtschaftlicher Engagements und flankierender politischer Entscheidungen zwischen den Akteuren erkennbar.

In der dann folgenden Diskussion soll eben diese Konfliktsituation genauer analysiert werden, und zwar von den machtpolitischen Verschiebungen in Folge des „11. Septembers“ ausgehend. Während eine Verschärfung der Situation zunächst noch alle Akteure betrifft, soll im Verlauf der Diskussion die energiepolitische und geostrategische Relevanz der etablierten politischen Achsen für die Europäische Union untersucht werden. Des weiteren sollen danach ein „worst case“ und ein „optimal case“ Szenario entworfen werden, um die Brisanz der Energieversorgung, letztendlich nicht nur Europas, für eine langfristige Periode analysieren zu können, Chancen auszuloten und mögliche Gefahren aufzuzeigen.

Die diese Arbeit abschließende Zusammenfassung und der Ausblick sollen die prägnantesten Ergebnisse noch einmal rekapitulieren und das Entwicklungspotential und die letztendliche Bedeutung für die EU und anderer Akteure relativ objektiv einschätzen.

Die Schaubilder und sonstiges Kartenmaterial sind zur besseren Lesbarkeit den jeweiligen Kapiteln nachgeordnet. Am Ende dieser Arbeit befindet sich ein am 11. Dezember 2003 durchgeführtes Interview in Form eines Fragebogens. Das vollständige Interview ist auf einem Tonträger verfügbar. Ebenso sind Quellen wie unveröffentlichte Vorträge und Analysen des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in digitaler Form verfügbar.

2. Der kaukasische Raum

2.1. Geographische und ethnische Räumlichkeit

Sollen in klarer und nachvollziehbarer Art und Weise Konfliktlinien und ihre Brisanz im weltpolitischen Kontext benannt und in ihren Dimensionen vollständig ausgearbeitet werden, so muß der zu untersuchende geographische Raum genau festgelegt sein. Es sollen also bestimmte Parameter definiert werden, nach denen nicht nur eine geographische sondern auch eine ethnische Systematisierung des kaukasischen Territoriums möglich ist. Dies ist bei besagtem Gebiet um so schwieriger, als daß nach dem Zerfall der Sowjetunion (SU) frühere Definitionsmerkmale, wie beispielsweise politische Grenzen, stark verändert wurden. Außerdem stellt die deutsche Bezeichnung „Kaukasus“ nur einen kleinen Teil Kaukasiens dar und wird im allgemeinen auf die Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan bezogen. Somit greift diese Begrifflichkeit zu kurz, da wesentliche Gebiete des „Kavkas“, also Kaukasiens, außer Acht gelassen werden[8]. Diese sind allerdings zur umfassenden Betrachtung unerläßlich.

In dieser Arbeit wird als Kaukasien die sich südlich an die osteuropäische Ebene anschließende breite Landenge zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer bezeichnet. Sie umfaßt geographisch also das vollständige Gebirgssystem, welches sich von Nordwesten bis zum Südosten an das Iranische Hochland erstreckt[9]. Es besteht aus den Großeinheiten Nordkaukasusvorland, großer Kaukasus, transkaukasische Senke und transkaukasisches Hochland und schließt somit insgesamt vier Staaten und zehn autonome Provinzen oder Sezessionsgebiete ein[10]. Der Nordteil Kaukasiens, dem großen Kaukasus folgend, ist politisch und territorial Bestandteil der Rußländischen Förderation. Außer Rußland, welches im Nordosten Georgiens durch ehemals zum sowjet- kaukasischen Gebiet gehörende Provinzen eine gemeinsame Grenze hat (Novorossjisk), gehören so die autonomen Republiken und Gebiete Tscherkessien, Karbardino- Balkarien, Nordossetien und Dagestan innerhalb der Föderation zum Betrachtungshorizont. In gleichem Maße Tschetschenien und Inguschien, welche allerdings einen Sonderfall als „binationale Einheit“ und Krisengebiet darstellen. Der Süden gliedert sich in Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Dieses Gebiet wird als Transkaukasien bezeichnet und schließt Nachitschevan als aserbaidschanische Exklave und Berg-Karabach als, mittlerweile durch Korridore mit dem armenischen Mutterland verbundene, Provinzen mit ein.

Das so umrissene Kaukasien macht nur circa 2% des Territoriums der ehemaligen SU aus. Es existieren dort allerdings rund 60 verschiedene Völker, drei Sprachfamilien und zwei große Weltreligionen[11]. Auf einer Größe, welche der Deutschlands und Österreichs zusammen entspricht, leben etwa 28 Millionen Menschen. Das sind rund 10% der Gesamtbevölkerung der früheren SU[12]. Somit zeigt Kaukasien eine äußerst heterogene Struktur mit verschiedenen Kulturen, welche sich vor allem in der sprachlich- ethnischen Zusammensetzung und der Religionszugehörigkeit äußern.

2.2. Die historischen Grundlagen und Zusammenhänge bis ins zwanzigste Jahrhundert

Obwohl Kaukasien schon immer den Großmachtambitionen anderer Mächte ausgesetzt und immer Schnittstelle der christlichen und der islamischen Religion war, wurden die Kaukasier in ihrer Gesamtheit als tolerante aber wehrhafte Bergvölker beschrieben[13]. Das friedliche Zusammenleben, beziehungsweise nebeneinander Existieren, wurde erst in der jüngeren Vergangenheit gestört. Ursprünglich trafen in diesem Gebiet die Herrschaftsbereiche der osmanischen Türken, des Persischen Reiches und des Russischen Reiches aufeinander. Rußland setzte sich in jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht nur gegen die Türken und Perser sondern auch gegen die bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts um Unabhängigkeit kämpfenden Kaukasier durch. Das eroberte Gebiet wurde Rußland einverleibt, ohne allerdings in die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen einzugreifen. Im Zuge dieser Südausdehnung Rußlands und des Ausgreifens der Gebietsansprüche über den kaukasischen Raum hinaus in den kaspischen Raum hinein konkurrierten russische Interessen nun direkt mit den Ambitionen Großbritanniens in diesem Gebiet. Aus dieser Gegnerschaft rührte die Bezeichnung „Great Game“ her. Dieses Sinnbild sollte die kommende Verteilung der Einflußzonen und das implizierte Streben danach verdeutlichen. Das „Spiel“ war aber nicht allein auf die Beherrschung militärstrategischer Räume, sondern es war auch explizit auf eine Beherrschung der Ressourcen dieser Region ausgerichtet. Schon früh im 19. Jahrhundert wurden bei Baku erste Ölvorkommen entdeckt. Bis zum Ersten Weltkrieg engagierten sich bedeutende europäische Firmen und Staaten an der Exploration der fossilen Brennstoffe in einem weitestgehend zwischen den Großmächten fest aufgeteilten Gebiet und machten selbiges zu einem begehrten Investitions- und Spekulationszentrum der frühen Weltwirtschaft. Rothschild und Nobel waren die bekanntesten Magnaten. Außer ihnen waren bis 1917 insgesamt über 150 Firmen in Baku ansässig[14]. Während des Ersten Weltkrieges wurde erstmals versucht, die festgelegten Grenzen und Einflußzonen sowie die Bevölkerungsstruktur durch Zwangsmaßnahmen gewaltsam zu verändern. Bereits 1915 ermordeten die Türken über eine Million Armenier in einem bis dahin unvorstellbaren Völkermord[15]. Im Zuge dieser Morde wurden in den frei werdenden Gebieten des anatolischen Armeniens Kurden angesiedelt und die Gebiete selbst dauerhaft türkisch besetzt. Nach dem kommunistischen Putsch im zaristischen Rußland 1917 wurde auch Kaukasien kommunistisch infiltriert und Teile dieses Gebietes von der Roten Armee besetzt. Um diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten und eine neue Front gegen Deutschland aufzubauen, marschierten 1918 alliierte englische Truppen über Persien nach Aserbaidschan ein[16]. Deutschland hingegen wurde Schutzmacht des neuen Staates Georgien.

Für alle beteiligten Staaten waren vor allem die Rohstoffe kriegswichtig. Mit der Beendigung des Krieges, schied Deutschland als Machtfaktor in dieser Region aus. Auch die Briten, welche den damals schon eskalierenden Konflikt um Berg- Karabakh nicht zu lösen vermochten, zogen ab und überließen den Bolschewisten die Regelung der aufgebrochenen ethnischen Konflikte und die bevorstehende innen- und außenpolitische Grenzziehung. Vor allem um den Süden dauerhaft zu befrieden, zwangen die Bolschewisten die Armenier, 1921 auf die ostanatolischen Gebiete zu Gunsten der Türkei zu verzichten[17]. Gleichzeitig wurde eine kurzlebige Transkaukasische Republik gegründet. Sie umfaßte die drei transkaukasischen Republiken und scheiterte an den ungelösten Nationalitätenkonflikten. Die Grenzziehung innerhalb der SU wurde allerdings im Hinblick auf die heutigen Grenzen im Wesentlichen schon damals vollzogen. Berg- Karabakh wurde der Verwaltung Aserbaidschans unterstellt, während Nachitschevan als Exklave desselben konstituiert wurde. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände wurden mit Hilfe des repressiven Verwaltungsapparates der SU zwar unterdrückt, gelöst werden konnten sie aber nicht. So erfuhr die gesamte Region eine nochmalige Bevölkerungsumschichtung durch Deportation und Zwangsumsiedlung in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter stalinistischen Gesichtspunkten. Bevölkerungspolitik wurde nun zur Machtpolitik und diente der Festigung der russischen Herrschaft in dieser Region[18]. Grenzen wurden nochmals zum Nachteil ganzer Bevölkerungsgruppen revidiert, bestehende Konflikte im Sinne einer endgültigen Regelung der ethnischen Vielfältigkeit[19] weiter angeheizt und ganze Völker nach Sibirien verbannt. Während Ersteres zum Massenexodus bestimmter Völker in einigen Gebieten Kaukasiens oder zur Vernichtung von Bevölkerungsanteilen führte, wurde mit den Deportationen sozialer und ethnischer Sprengstoff nach Rußland importiert und nach der politischen Rehabilitierung der verbannten Völkerschaften in den sechziger Jahren wiederum nach Kaukasien transportiert. Die Völker konnten Ende der sechziger Jahre in ihre angestammten Siedlungsgebiete zurückkehren, welche nun allerdings zerrissen in mehreren Sozialistischen Sowjetrepubliken lagen. Außerdem wurden nach der teilweisen Vernichtung der autochthonen Bevölkerungsanteile Einwanderer, vor allem Russen, angesiedelt. Somit beheimateten diese Gebiete bei der Rückkehr der rehabilitierten Völker ganz andere Bewohner.

Obwohl also die SU als in sich geschlossener, ethnisch homogener Staat vom Westen wahrgenommen wurde, existierten sämtliche Konflikte bis zum Zerfall der SU fort und konnten höchstens als „eingefroren“ mittels repressiver Politik bezeichnet werden. Insgesamt wurde ganz Kaukasien für rund sechzig Jahre aus der Weltwirtschaft heraus gehalten und dem Zugriff des Westens entzogen. Sieht man vom wiederholten kurzen deutschen Engagement im Zweiten Weltkrieg in dieser Region ab, war der kaukasische Raum nahezu die gesamte Zeit zwischen zwei politischen Systemen aufgeteilt worden, resultierend aus der endgültigen Abgrenzung der Einflußzonen nach dem II. Weltkrieg. Auf der einen Seite die SU, welche den Großteil des Kaspischen Meeres und ganz Kaukasien beherrschte und damit den alleinigen Zugang zu den Ressourcen besaß. Auf der anderen Seite der Iran mit einem kleinen Zugang zum südlichen Kaspischen Meer und wenigen Möglichkeiten der Ausbeutung von Schelfgebieten. Mit der SU war 1921, beziehungsweise 1940, eine gemeinsame Nutzung des Sees vertraglich vereinbart worden[20]. Dies schloß letztendlich aber nur eine Zone an der Nordküste des Irans ein. Die Bedeutung Kaukasiens als Rohstofflieferant für die SU und den gesamten Ostblock nahm im Verlauf der fünfziger Jahre rapide ab und ist seit den siebziger Jahren kaum noch relevant. Insgesamt wurde der kaspische Raum allgemein für die Energieversorgung der SU immer bedeutungsloser. Einzig Kasachstan erfüllte eine gewisse Versorgungsfunktion in Bezug auf fossile Rohstoffe[21]. Trotzdem ging man von einer stärkeren Präferenz sibirischen Öls aus. Ungeachtet des Bedeutungsverlustes im ökonomischen Sinne, war Kaukasien ab den achtziger Jahren wieder im Mittelpunkt des Interesses der Staatsführung in Moskau, welche gezwungen war die Zuspitzung der ethnisch begründeten Gewalttaten mit Waffengewalt zu unterdrücken[22]. Die Weltöffentlichkeit war über die realen Zustände in Kaukasien kaum informiert, welches sich spätestens seit 1986 in kriegsähnlichen Zustand befand.

2.3. Die Entwicklung Kaukasiens nach 1990

Mit dem Politikwechsel Gorbatschows hin zu Perestroika und Glasnost brachen auch alle ungelösten Konflikte erneut mit bislang unbekannter Qualität und Intensität wieder auf. Nationalismus in bis dahin ungeahntem Ausmaß steigerte die Ressentiments zu zügellosem Haß und die bisherige politische Apathie der Bevölkerung schlug um in offene Feindseligkeit und brutale Gewaltanwendung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Konflikte langsam internationalisiert und verschärften sich zunehmend. Ein weiteres Problem stellte die schleichende Radikalislamisierung des Gebietes nach 1989 dar. Zwar gab es einen regional verwurzelten muslimischen Glauben, dieser erhielt allerdings radikale Impulse durch die schubhafte Infiltration mit extremistischen Koranauslegungen. Vor allem aus Afghanistan und dem Iran rekrutierten sich diese Kräfte. Die sich rapide verschlechternde gesamtwirtschaftliche Lage und die damit einhergehende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung Kaukasiens begünstigten diese Entwicklung, weil Bedürftige besonders empfänglich für religiöse Heilslehren waren und sind. Das stetig steigende Konfliktpotential trug unter anderem dazu bei, daß bis zum Jahr 2003 nahezu alle Völkerschaften in mindestens eine Krise involviert waren. Die meisten Krisen eskalierten mit der Zeit zu bewaffneten Konflikten. Mittlerweile geben die Republiken Kaukasiens durch die jahrelangen Kriege und Bürgerkriege ein höchst differenziertes Bild ab. Indikativ verläßliche demographische und wirtschaftliche Zahlen existieren aus dem Jahr 1995. Auf der einen Seite fand im Rahmen der Bevölkerungspolitik eine Homogenisierung zu Gunsten der Titularnationen statt. Armenien, welches 1990 formal unabhängig wurde und mit einer Fläche von 29800 km² der kleinste Nachfolgestaat der SU war, verfügte schon damals über eine zu 96% homogene armenische Bevölkerung (von 3,6 Millionen)[23]. Der Anteil anderer Bevölkerungsgruppen ist inzwischen auf null gesunken. Das schiitische Aserbaidschan, es wurde 1991 unabhängig und war rund 86600 km² groß, erhöhte den Anteil der Azeri in der Gesamtbevölkerung ab 1992 von 7,4 Millionen ausgehend ebenfalls[24] auf über 83%. Der enorme Anteil von zu beherbergenden azerischen Flüchtlingen und die Vertreibung von Armeniern trugen hierzu bei. Der größere Anteil russischer Bürger an der Gesamtbevölkerung verhinderte allerdings eine ähnliche Entwicklung wie in Armenien[25]. Auch Georgien erhöhte den Homogenisierungsgrad seiner Bevölkerung. Dies geschah allerdings zu Lasten der Georgier, welche aus Abchasien und Ossetien vertrieben wurden. Georgier stellten etwa 70% der rund 5,4 Millionen Einwohner des gesamten Landes. Es war 69700 km² groß und wies bedeutende Minderheiten an Russen, Armeniern, Azeri und sogar Griechen auf[26].

Die genannten Bevölkerungsproportionen haben sich also zunehmend unterschiedlich verschoben. Allen Staaten gemein ist aber der ökonomische Zusammenbruch nach 1990 und die Überstrapazierung der Ressourcen für Kriege[27]. Die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung steht in scharfem Kontrast zu den entdeckten und vermuteten Ressourcen in dieser Region und dem gigantischen finanziellen Potential, welches durch die Pipelinerouten für sie erschlossen werden könnte. Die Konflikte nach 1990 stellten die größte Herausforderung für die Kaukasier dar und sind von besonderer Härte geprägt. Am längsten dauerten die Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Fast 10 Jahre wurde um Berg- Karabakh (auch Arzach [arm.]) gekämpft. Erst nachdem Armenien 1994 nahezu 25% des Territoriums Aserbaidschans besetzt hatte und die angestammte Bevölkerung vertrieben worden war, griffen die Vereinten Nationen ein[28]. Der Status quo ist allerdings bis heute nicht wieder hergestellt worden. Nach wie vor ist Berg- Karabakh nun Bestandteil Armeniens. Die zu Beginn der Unabhängigkeitserklärung der Bevölkerung Berg- Karabakhs beanspruchten Korridore nach Armenien sind inzwischen größer als die Enklave selbst. Wie die azerische Bevölkerung Berg- Karabakhs wurde in gleichem Maße die armenische Bevölkerung Nachitschevans vertrieben. Die Türkei, als Schutzmacht der Azeri[29], verhinderte ein Übergreifen des Krieges auf dieses Gebiet, indem es Armenien mit Waffengewalt („Casus Belli“ [Anm. des Verf.]) drohte.

Die Internationalisierung des Konfliktes nahm weitere Ausmaße an, als der Iran seine Armee an der Grenze zu Aserbaidschan verstärkte[30]. Eine Konfliktexpansion auf das Territorium des Iran wäre jederzeit möglich gewesen. Die Azeri stellen nämlich eine bedeutende Minderheit im Norden des Irans dar, welche sogar die Bevölkerung Aserbaidschans übersteigt[31]. Der Konflikt gilt seit Mitte der neunziger Jahre als eingefroren.

Etwa zu dieser Zeit kam es zum Massenexodus der georgischen Bevölkerung aus Abchasien. Die Abchasen wurden von den Russen unterstützt und erklärten sich für unabhängig. Dies stellte die territoriale Integrität Georgiens in Frage. Obwohl mehr Georgier als Abchasen in besagtem Gebiet, mit der wichtigen Hafenstadt Suchumi, lebten, wurden etwa eine Viertelmillion Georgier nach Süden vertrieben. Heute leben keine Georgier mehr in Abchasien. Erst als Georgien 1993 der GUS beitrat, neutralisierte Rußland durch Entsendung einer Schutztruppe diesen Konflikt[32]. Vergleichbar wurde in dem zu Georgien gehörenden Südossetien verfahren, welches ebenfalls gegen die Regierung in Tiflis opponierte und sich lossagte. Diesen Schritt erkannte Rußland allerdings nie an und unterstützte ihn auch nicht, da es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis Ansprüche auf Nordossetien angemeldet worden wären. Nordossetien ist der Russischen Föderation zugehörig. Ein Konflikt, welcher bis heute ungelöst ist, betrifft die abtrünnige Provinz Adscharien im Süden Georgiens. Hier handelt es sich allerdings nicht um ein eigenes Volk sondern um muslimische Georgier. Die politische Lage kann indes als stabil bezeichnet werden, was nicht selbstverständlich ist. Die Türkei war nämlich in der Vergangenheit durch diese muslimische Bevölkerungsgruppe in die Lage versetzt worden, diesen Konflikt für ihre politischen Ziele nutzen zu können[33]. Von den westlichen Medien wird allerdings der Konflikt im kaukasischen Teil der Rußländischen Föderation mit größtem Interesse verfolgt. Von allen bewaffneten Konflikten ist zweifellos der Krieg in Tschetschenien der am meisten beachtete. Die Inguschen, welche eine nicht lebensfähige Republik errichteten, traten innerhalb der „binationalen Einheit“ Tschetscheniens als Machtfaktor auf Seiten der Russen auf[34]. Gleichzeitig wurde der Konflikt in Form von terroristischen Gewaltakten aus Tschetschenien nach Rußland transportiert. Die zunehmende Radikalislamisierung trifft vor allem auf Tschetschenien zu und begünstigt das Ausgreifen des Konfliktes auf Nachbarstaaten. So ist Dagestan ein Konfliktherd, welcher seit geraumer Zeit nur mit Mühe unter Kontrolle gebracht und gehalten werden kann[35]. Zwar befindet sich Dagestan unterhalb der Sezessionsschwelle. Die miserablen ökonomischen Bedingungen, Flüchtlingswellen aus anderen Gebieten und das Wirken des islamischen Guerillakommandeurs Bassajew untergraben die Autorität Rußlands[36].

Darüber hinaus entstehen immer wieder regionale, beziehungsweise lokale Krisen und Konflikte. Die genannten und ausgeführten Konflikte sind im Rahmen diese Arbeit aber von besonderem Interesse, da sie zwar „eingefroren“ aber nicht gelöst sind. Das heißt die Region bleibt potentiell instabil. Ihnen kommt eine entscheidende Rolle beim Bau der Öltransportwege beziehungsweise der zukünftigen Trassenführung für Pipelines zu. Deshalb ist die Beschränkung auf diese Konflikte für eine Analyse des Engagements anderer Mächte völlig ausreichend, auch wenn sie grenzüberschreitende Wirkungen haben.

3. Rohstoffvorkommen und Pipelines

3.1. Das energetische und ökonomische Potential Kaukasiens

Der kaspische Raum und in ihm die kaukasische Region als Bestandteil des „Great Game“ erlangten erst Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine zunehmende Beachtung aus Sicht der Rohstoffkonzerne und der Weltöffentlichkeit. Grund hierfür waren die entdeckten, vor allem aber die vermuteten, Öl- und Gasvorkommen in dieser Region. Die wenigsten Rohstoffvorkommen sind wirklich vollständig erschlossen. Das Engagement von Konzernen basiert im wesentlichen auf den Schätzungen über Öl- und Gasvorkommen in neu zu erschließenden Schelfgebieten. Insgesamt betrachtet sind der Osten des kaspischen Meeres und die mittelasiatischen Republiken nach den zu Grunde liegenden Kalkulationen über Rohstoffvorkommen noch weitaus interessanter und in Zukunft sicherlich Austragungsort konfliktreicher Spannungen. Insofern dürften sich wesentliche Elemente der Auseinandersetzungen im Religiösen, Ethnischen oder Ökonomischen, welche kennzeichnend für Kaukasien sind, in dieser Region auf ähnliche Art und Weise wiederholen. Dies macht diesen Raum für weitergehende Untersuchungen zu einem späteren Zeitpunkt außergewöhnlich attraktiv.

Aber auch die Bodenschätze im westlichen kaspischen Meer, so in beinahe dem gesamten Festlandsockel und in den riesigen vermuteten Schelfgebieten zentraler Seelage, sind in ihren Mengen nicht zu unterschätzen oder gar vernachlässigbar. Eine beginnende engere Verzahnung zentralasiatischer und kaukasischer Wirtschafts- beziehungsweise Rohstoffexplorationsräume durch die zu bauenden Pipelines machen absolut trennende Betrachtungen zunehmend schwieriger und somit teilweise unsinnig[37].

[...]


[1] Vgl. Baraki, Martin: Goldgräberstimmung in Transkaukasien; in: http://www.kalaschnikow.net/de/archiv/a16/a16Baraki.shtml, Ausg. 16H- 3/2000, vom 05.10.2003, S. 51 ff.

[2] Vgl. Halbach, Uwe: Erdöl und Identität im Kaukasus – Regionalkonflikte zwischen ethnischer Mobilisierung und ökonomischem Interesse; in: Internationale Politikanalyse/ International Policy Analysis Unit der Friedrich Ebert Stiftung, Bonn 2002, S. 4 ff.

[3] Kirchner, Henner: Internationale Konfliktsituation in der Kaukasusregion in Bezug auf Erdölressourcen, persönliches Interview am 11.12.2003- 9 Uhr- Institut für Orientalistik/ Universität Giessen, 37.06 min ( Interview mit Herrn Kirchner liegt dem Verf. als Audio- CD vor)

[4] Vgl. Halbach, Uwe: Der Irakkrieg und der Kaspische Raum; in: http://www.swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/irak_kasp1.htm, vom 15.11.2003

[5] Ruge, Rainer: Humanitäre Aspekte und Prävention von Konflikten; in: Auch, Eva- Maria: Lebens- und Konfliktraum Kaukasien – 1. Deutsche Kaukasustagung des Arbeitskreises für gegenwartsbezogene Kaukasusforschung vom 12. – 14. Juni 1994 in Hannover, Kiel 1995, S. 194

[6] Vgl. Menzel, Marcus: Doomed to cooperate?: American foreign policy in the Caspian region, Frankfurt/ M. 2003, S. 103

[7] Vgl. Halbach, Uwe: a.a.O. (Anm. 2), S. 5 ff.

[8] Vgl. Pietzonka, Barbara: Ethnisch- territoriale Konflikte in Kaukasien: Eine politisch- geographische Systematisierung, Baden- Baden 1995, S. 26 ff.

[9] Vgl. Stadelbauer, Jörg: Die Krisenregion Kaukasien: Geographische, ethnische und wirtschaftliche Grundlagen; in: Kappeler, Andreas/ Halbach, Uwe: Krisenherd Kaukasus, Baden- Baden 1995, S. 15 ff.

[10] Vgl. zur territorialen Gliederung Abbildung 2.I.

[11] Vgl. zur ethnisch- sprachlichen Gliederung Abbildung 2.II.

[12] Vgl. Pietzonka, Barbara: a.a.O., S. 15

[13] Vgl. Ruge, Rainer: a.a.O., S. 195

[14] Vgl. Baraki, Matin: Profithaie und Kriegstreiber – Mittelasien im Rahmen der Geostrategie der Großmächte; in: Butenschön, Rainer/ Spoo, Eckart (Hrsg.): Töten – Plündern- Herrschen; Wege zu neuen Kriegen, Hamburg 2003, S. 86 ff.

[15] Vgl. Reiseblatt – Der Ararat ist eine Wunde; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 134, Donnerstag, 12. Juni 2003, S. R 7

[16] Vgl. Hofmann, Tessa: Die armenisch- aserbaidschanische Gegnerschaft; in: Armenische Kolonie Berlin (Hrsg.): Panzer gegen Perestrojka, Bremen 1989, S. 11

[17] Vgl. Hofmann, Tessa: a.a.O., S. 17 ff.

[18] Vgl. Pietzonka, Barbara: a.a.O., S. 80 ff.

[19] Vgl. Timmermann, Heinz/ Timmermann, Barbara: Das konfliktträchtige Erbe der Sowjetunion; in: Informationen zur politischen Bildung 246 – Internationale Beziehungen II, I. Quartal 1995, München 1995, S. 36

[20] Vgl. Eckert, Klaus: Kaspisches Meer – Wassergrenze, Ressourcen (Erdöl, -gas), internationale Macht; in: http://www.hiik.de/de/barometer2002/texte/kaspisches_meer.htm, vom 02.06.2003, S. 1

[21] Vgl. International Petroleum Encyclopedia – The official survey 1981: USSR/ IPE Atlas, Tulsa, OK, S. 95 ff.

[22] Vgl. Hofmann, Tessa: a.a.O., S. 28

[23] Vgl. Götz, Roland/ Halbach, Uwe: Entwicklung und aktuelle Lage der Mitgliedsstaaten; in: Informationen zur politischen Bildung 249 – Gemeinschaft unabhängiger Staaten, 4. Quartal 1995, München 1995, S. 14

[24] Vgl. Rempel, Hilmar: Caspian Region: Basic Data; in: The Role of the Caspian Region in the Future Oil and Gas Supply to Europe and Asia (EAGE/ASPG International Conference of the Caspian and Black Sea Region), Baku/ Aserbaidschan 24. – 26. 09. 2002, S. 6 (Vortrag von

Herrn Hilmar Rempel liegt dem Verf. als CD- Rom vor)

[25] Vgl. Götz, Roland/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 17 ff.

[26] Ebd., S. 23

[27] Vgl. Freitag- Wirminghaus, Rainer: Der Transkaukasus und die großen Mächte: Die Einflußnahme der Türkei, Rußlands und Irans in Aserbaidschan; in: Kappeler, Andreas/ Halbach, Uwe: Krisenherd Kaukasus, Baden- Baden 1995, S. 285

[28] Vgl. Ruge, Rainer: a.a.O., S. 194 ff.

[29] Vgl. Freitag- Wirminghaus, Rainer: a.a.O. (Anm. 27), S. 276

[30] Vgl. Pietzonka, Barbara: a.a.O., S. 127 ff.

[31] Vgl. Motika, Raoul: Ideologische Elemente der iranischen und der türkischen Kaukasusperzeption; in: Kappeler, Andreas/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 266

[32] Vgl. Halbach, Uwe: Politische Entwicklung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten; in: Informationen zur politischen Bildung 249, 4. Quartal 1995, München 1995, S. 4

[33] Vgl. Pietzonka, Barbara: a.a.O., S. 131 ff.

[34] Vgl. Tscherwonnaja, Swetlana: Der ossetisch- inguschische Konflikt: Eine Fallstudie; in: Kappeler, Andreas/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 253

[35] Vgl. Halbach, Uwe: Moskaus Südpolitik – Rußland und der Westen im kaspischen Raum; in: Berichte des Bundesinstitutes für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien, Köln 1999/ 30, S. 7 ff.

[36] Vgl. Bimboes, Detlef: Konfliktregion Kaspisches Meer, Der Kaukasus und Mittelasien- zwischen Erdöl, Krieg und Krisen; in: http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/science/Kasp-Meer.html, vom 30. 06. 2003, S. 6

[37] Vgl. Halbach, Uwe/ Friedemann Müller: Persischer Golf, Kaspisches Meer und der Kaukasus – Entsteht eine Region vitalen europäischen Interesses?; in: 01_01_halbach.pdf; in: http://www.swp-berlin.org/pdf/aps, vom 30. 06. 2003, S. 2

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832479961
ISBN (Paperback)
9783838679969
Dateigröße
3.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Politikwissenschaft
Note
2,0
Schlagworte
terror sicherheitspolitik osterweiterung energiepolitik fossile brennstoffe
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Titel: Internationale Konfliktsituation in der Kaukasus-Region in Bezug auf Erdölressourcen
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