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"Viel Theater ums Theater"

Theaterpädagogik in der sozialen Arbeit unter besonderer Berücksichtigung des problemorientierten Rollenspiels

©2003 Diplomarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem gezielten Einsatz des problemorientierten Rollenspiels in der Sozialen Arbeit.
Durch das Rollenspiel bekommt man ein effektive Möglichkeit affektive Seelenhygiene zu betreiben und so, soziale und psychische Defizite zu verarbeiten, bzw. neu soziale Kompetenzen zu erlangen. Daher werden in dieser Arbeit auch gezielte Techniken dargestellt, mit denen leicht gearbeitet und die gut umgesetzt werden kann. Außerdem bietet das Thema eine kleine Exkursion in die Theaterepochen der Antike und Neuzeit. Zudem werden theaterpädagogische Entwicklungen beschrieben und anhand von bedeuteten Theaterreformern und -pädagogen dargestellt.
Die Arbeit wird mit einem Praxisteil abgeschlossen. Dabei wird die gesamte Thematik der Arbeit, also psychische, pädagogische und soziale Inhalte verarbeitet und schlüssig wiedergegeben.
Man kann sich diese Arbeit wie eine Rechenaufgabe vorstellen. Jedes Kapitel stellt einen Summanden dar, so dass zusammengerechnet alle Kapitel ein Endprodukt ergeben. Nebenbei zeichnet sich diese Arbeit durch Empathie und Wertschätzung aus, so dass das Thema spannend und mit immer wieder neu zu entdeckenden Möglichkeiten zu lesen ist.
Viel SPASS!!


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
A.Einleitung1
B.Einblick in die Welt des Theaters6
I.Faszination Theater und Theaterspiel6
I.1Theoretische Überlegungen zum Begriff Theater6
I.2Theaterspielen - Wozu? Kulturpädagogische Aspekte des Theaterspiels8
II.Das Theater der Vergangenheit! Zur Geschichte des Theaters10
III.Das Theater in Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert14
C.Die künstlerische, subjektive und soziale Dimension des Theaters17
I.Die künstlerische Dimension des Theaters17
II.Die subjektive Dimension des Theaters20
III.Die soziale Dimension des Theaters23
III.1Zur Aussagekraft der Wirklichkeit23
III.2. Theater und Interaktion24
IV.Implikation von subjektiver und sozialer Dimension in das Theaterspiel27
D.Psychosoziale Erfahrungen in der Theaterpädagogik31
I.Theaterpädagogik32
I.1Zum Begriff der Theaterpädagogik32
I.2Geschichtlicher Hintergrund34
I.3Theaterpädagogische Ansätze37
I.3.1Theater des Einfühlens: K. Stanislawski37
I.3.2Verfremdung und Distanz: B. Brecht38
I.3.3Theater der Unterdrückung: J. Boal40
I.3.4Improvisationstheater: K. Johnstone44
I.4Ziele der Theaterpädagogik47
II.Theaterpädagogik zwischen Kunst, Pädagogik und Therapie49
II.1Theaterspielen und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7674
Omlor, René: "Viel Theater ums Theater" - Theaterpädagogik in der sozialen Arbeit unter
besonderer Berücksichtigung des problemorientierten Rollenspiels
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Fachhochschule Düsseldorf, Fachhochschule, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... 1
Vorwort... 4
A. Einleitung ... 6
B. Einblick in die Welt des Theaters ... 10
I. Faszination
Theater
und Theaterspiel ... 10
I.1. Theoretische Überlegungen zum Begriff Theater und Theaterspiel ... 10
I.2. Theaterspielen - Wozu? Kulturpädagogische Aspekte des
Theaterspiels ... 12
II. Das Theater der Vergangenheit! Zur Geschichte des Theaters ... 13
III. Das Theater in Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ... 16
C.
Die künstlerische, subjektive und soziale Dimension des Theaters... 18
I. Die künstlerische Dimension des Theaters... 18
II. Die subjektive Dimension des Theaters... 21
III. Die soziale Dimension des Theaters ... 23
III.1. Zur Aussagekraft der Wirklichkeit ... 23
III.2. Theater und Interaktion... 24
IV. Implikation von subjektiver und sozialer Dimension in das Theaterspiel ... 26
D. Psychosoziale
Erfahrungen
in der Theaterpädagogik ... 29
I. Theaterpädagogik... 29
I.1. Zum Begriff der Theaterpädagogik ... 29
I.2. Geschichtlicher Hintergrund ... 31
I.3. Theaterpädagogische Ansätze ... 33
I.3.1. Theater des Einfühlens: Konstantin Stanislawski ... 33
I.3.2. Verfremdung und Distanz: Bertolt Brecht ... 34
I.3.3 Theater der Unterdrückten: Augusto Boal ... 35
I.3.4. Improvisationstheater: Keith Johnstone... 38
I.4. Ziele der Theaterpädagogik... 40
II. Theaterpädagogik zwischen Kunst, Pädagogik und Therapie ... 42
II.1. Theaterspielen und Pädagogik ... 42
II.1.1. Zur Begründung der Verwandtschaft von Theaterspielen und
Pädagogik zum Erwerb sozialen Verhaltens und Lernens... 42
II.1.2. Prinzipien der Theaterpädagogik ... 46

2
II.2. Theaterpädagogik und Therapie... 48
III.2.1. Das Psychodrama ... 50
III. Theaterpädagogisches Rollenspiel... 51
III.1. Chance und Ziele des theaterpädagogischen Rollenspiels in
Anlehnung an die vier Dimensionen der Kulturpädagogik ... 51
III.1.1. Beschäftigung mit der eigenen Person ... 52
III.1.2. Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ... 52
III.1.3. Erlernen sozial ­ kommunikativer Fähigkeiten... 52
III.1.4. Entwickeln von Kreativität und instrumentellen Fähigkeiten ... 53
III.2. Grenzen des theaterpädagogischen Rollenspiels... 54
E.
Rollenspiel und Rollenarbeit: Ein Vergleich zwischen zwei
psychosozialen Erfahrungsfelder ... 56
I. Das Rollenspiel... 56
I.1. Zum Begriff des Rollenspiels ... 56
I.2. Das Rollenspiel als Primat der psychosozialen Erfahrungen... 58
I.3. Das problemorientierte Rollenspiel ... 60
II. Die
Rollenarbeit ... 62
II.1. Zum Begriff der Rollenarbeit... 62
II.2. Rollenarbeit: Ästhetische und psychosoziale Erfahrungen ... 64
II.3. Die gesellschaftsorientierte Rollenarbeit... 65
III. Zusammenfassung beider Erfahrungsfelder und Schlussfolgerung
für die Sozialarbeit ... 67
F.
Das problemorientierte Rollenspiel im Einsatz der Sozialarbeit ... 70
I. Der Bezug des problemorientierten Rollenspiels zur Sozialarbeit ... 70
II. Ziele, Formen und Phasen des problemorientierten Rollenspiels in der
Sozialarbeit... 72
II.1. Formen des Rollenspiels ... 72
II.1.1. Das spontane Rollenspiel ... 72
II.1.2. Das gelenkte Rollenspiel ... 73
II.2. Lernziele des problemorientierten Rollenspiels ... 74
II.2.1. Selbstdarstellung ... 75
II.2.2. Einsicht in das eigene Rollenhandeln ... 76
II.2.3. Empathielernen als Voraussetzung für soziales Handeln... 77
II.2.4. Kommunikation und Interaktion ... 78
II.2.5. Kreative Konfliktlösung im Rollenspiel ... 79
II.3. Phasen innerhalb des problemorientierten Rollenspiels ... 80
III. Das methodische Vorgehen im problemorientierten Rollenspiel ... 82
III.1. Rollentausch... 83
III.2. Spiegelmethode... 84
III.3. Doppelgängermethode ... 84
III.4. Rollenwechsel... 85
III.5 Feed-back-Methode... 85
VI. Das problemorientierte Rollenspiel im Rahmen der Arbeitsformen
der Sozialarbeit... 86

3
IV.1. Das problemorientierte Rollenspiel im Rahmen der sozialen
Einzelhilfe ... 87
IV.2. Das problemorientierte Rollenspiel im Rahmen der Sozialen
Gruppenarbeit... 88
IV.3. Das problemorientierte Rollenspiel im Rahmen der
Familienbehandlung ... 89
IV.4. Das problemorientierte Rollenspiel im Rahmen der
Gemeinwesenarbeit... 90
G. Zusammenfassung und Bewertung ... 92
H. Anwendungsmöglichkeit in der Praxis... 95
I. Schlußwort ... 101
J. Anhang ... 104
Anhang 1 ... 104
Anhang 2 ... 106
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS ... 108

4
Vorwort
Theaterspielen dient sicherlich der Unterhaltung und des Fortbestandes unserer
und anderer Kulturen. Aber Theaterspielen ist mehr als Unterhaltung und Kulturer-
halt. Theaterspielen ermöglicht eine Reise in die Phantasie und zugleich eine Ver-
arbeitung der Realität. Erst jetzt, da die Arbeit abgeschlossen ist, wird mir bewußt,
wie wichtig mir das problemorientierte Rollenspiel in der Sozialarbeit geworden ist.
Das problemorientierte Rollenspiel, dessen Grundlage das Theaterspiel ist, stellt
eine Möglichkeit dar, psychosoziale Erfahrungen zu erleben, die wiederum für das
Handeln in der Sozialarbeit genutzt werden können. Sicherlich war es des öfteren
schwierig, genügend signifikante Literatur zu finden und zu verarbeiten, da dieses
Feld der Sozialarbeit noch nicht den verdienten Stellenwert hat, bzw. historische
Gegebenheiten den überwiegenden Teil der Literatur stellen. Ich möchte daher mit
dieser Arbeit die Akzeptanz und den Einsatz des problemorientierten Rollenspiels
in der Sozialarbeit vorantreiben und alte Stereotypen gegenüber dem Theaterspiel
in Bezug zur Sozialen Arbeit abbauen. An dieser Stelle möchte ich meinem Erstre-
ferent, Herrn Armin Kaster, herzlich dafür danken, mir das Thema überlassen zu
haben und die Arbeit trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen bis zum Ende betreut
zu haben. Auch Herrn Prof. Dr. phil. habil. Hans-Ernst Schiller gilt mein Dank als
Koreferent. Danken möchte ich auch all denen, die mir für Gespräche zur Verfü-
gung standen und mir halfen meine Vorstellungen und Ideen zu verwirklichen. Da-
zu zähle ich besonders meine Eltern, die mich auch in den dreieinhalb Jahren des
Studiums tatkräftig unterstützten und nie an meinen Vorhaben und Ideen zweifel-
ten. Außerdem möchte ich den Menschen danken, die mich spielen ließen und mir
damit einen wichtigen Abschnitt des Erwachsenenwerdens erleichtert und ermög-
licht haben. Diese Arbeit widme ich allen, die die Spiele meiner Kindheit und Ju-
gend begleitet haben und danke ihnen dafür, dass sie meiner Phantasie Raum lie-
ßen, besonders meiner Mutter, Helene Omlor. Ich wünsche zudem allen Menschen
dieser Erde viel Spaß und viel Nutzen im Spiel, vor allem im Theaterspiel. Mein
herzlichstes Dankeschön gilt schließlich meiner Lebensgefährtin Karen Pistoor, die

5
alle Höhen und Tiefen im Laufe der Anfertigung der Arbeit geduldig ertragen hat
und immer für mich da war.
Düsseldorf, den 14.12.2002
René Omlor

6
A. Einleitung
Auf meiner Uhr ist es jetzt 16.59 Uhr.
Fast völlige Dunkelheit in einem großen, überhitzten, goldgelbbraun gestrichenen
Raum. Nur ein schmaler Lichtkegel von hinten aus der halbgeöffneten Foyertür
schneidet die Silhouette von einigen Köpfen. Auf der rechten Seite des Raums be-
finden sich kirchentürgroße Glasfenster, an denen sich die Schneetropfen des kal-
ten Dezembernachmittages des Jahres 1988 abperlen.
Hinter mir werden noch Gummibärchen und kleine Schokoweihnachtsmänner ver-
teilt. Jetzt wird die Tür zum Foyer lautlos geschlossen - absolutes Schwarz. Vor
meinen Augen ist nichts zu sehen. Das Gebrummel verhallt wie auf ein unsichtba-
res Zeichen hin; alles ist still und der Raum ist von einer enormen Spannung gela-
den.
Auch in mir wird es ganz ruhig, und meine Gedanken fliegen davon - weit, weit
weg.
Vor meinen Augen erscheint aus dem Dunkel ein Bild: Ein kleines Mädchen taucht
ein in die Welt des Zauberers von Oz. In dieser märchenhaft verzauberten Atmo-
sphäre erhebt sich eine Stimme. In das Bild kommen Bewegung, Sprache, Span-
nung und Spiel, das bald den ganzen Raum erfüllt...
Vor meinen Augen schließt sich ein Vorhang, und ein Dröhnen erobert den Raum.
Es ist der Applaus des Publikums, und erst jetzt merke ich, dass es kein Traum
war, sondern Wirklichkeit - die verzaubernde Wirklichkeit des Theaters.
Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Eine neue Welt hat mich gepackt - die Welt
des Theaters und sie läßt mich nicht mehr los. Nur habe ich keine Lust, auf dem
Zuschauersessel festzukleben, sondern ich will selbst in diese Welt einsteigen, sie
selbst produzieren.
"Ich will Theater spielen und den Sprung auf die Bühne wagen!"
Herzlich Willkommen zu meiner Diplomarbeit!

7
Sicherlich verfolgen mich heute noch dieselben Gedanken wie damals, vor mehr
als 13 Jahren. Noch immer spiele ich mit Leidenschaft Theater und freue mich zu
sehen, welche Reaktionen bei den Menschen durch das Theaterspiel ausgelöst
werden können und welchen Einfluß sie auf die Menschen haben. Und eben dieser
beeindruckenden Erfahrungen erweitere ich heute, nach fast 13 Jahren, meine bis-
herige Aussage um folgendes:
"Ich will Theater spielen und den Sprung auf die Bühne wagen, aber ich
will nicht alleine springen, sondern mit den Menschen die meine Umwelt
prägen und ihnen eine Art Erfahrung über ihr Sein und eine Reflexion
über ihr Tun ermöglichen!"
Wahrscheinlich klingt diese Aussage auf den ersten Blick naiv und nicht leicht um-
setzbar, aber es war das Studium der Sozialarbeit, das mir gezeigt hat, dass solche
Gedanken umsetzbar sind und mit Begeisterung angenommen werden. Nach lan-
ger selbständiger Arbeit auf der Bühne und in der Theaterpädagogik und den vielen
Erfahrungen und Erkenntnissen, die ich mir durch die Theorie und Praxis des Stu-
diums der Sozialarbeit angeeignet habe, ist für mich klar geworden, dass die
ästhetische und hochsensible Dimension des Theaterspielens in der Sozialen
Arbeit eine Möglichkeit schafft, affektive Seelenhygiene zu betreiben. Da Pädago-
gik in der Sozialen Arbeit nicht nur kognitive Vorgänge ansprechen, sondern auch
den konkreten Umgang mit Emotionen und das Erlernen sozialer Beziehungen in
und durch Handlungsabläufe thematisieren soll, ist das Medium 'Theater', unter
Einbeziehung des problemorientierten Rollenspiels, eine adäquate Möglichkeit zur
Realisierung dieser Ziele.
Dieser Punkt war für mich ausschlaggebend das Thema "Viel Theater ums Theater
- Theaterpädagogik in der Sozialen Arbeit unter besonderer Berücksichtigung des
problemorientierten Rollenspiels"; für meine Diplomarbeit zu wählen. Ich möchte
mit meiner Arbeit auf die Anwendungsmöglichkeiten des problemorientierten Rol-
lenspiels aufmerksam machen und dadurch zum vermehrten Einsatz dessen in der
Sozialarbeit animieren.

8
In den vielen Gesprächen mit ehemaligen Sozialdienstleitern, Resozialisierungs-
mitarbeitern, Horterziehern und anderen Beschäftigten der Sozialen Arbeit erfuhr
ich viel Zustimmung darin, dass Theater mehr ist als Zeitvertreib und Belustigung:
Das Theaterspielen hat eine gewisse Aussage, eine bestimmte Macht und einen
klaren Einfluß, und es ist eine nichtvorhersehbare Dimension, die sich am Men-
schen orientiert.
Der Mensch und seine Emotionen stehen auch beim Theater im Mittelpunkt und es
dreht sich nichts mehr um ihn als seine Wahrnehmung, die gezielt gefördert wer-
den soll.
Schafft man es nun, soziale Probleme, Emotionen und Wahrnehmung zu kombinie-
ren, so hat man eine kraftvolle Anleitung zur Problembewältigung von der die Sozi-
alarbeit nur profitieren kann.
Dem Theater und der Pädagogik in der Sozialarbeit gilt mein Hauptinteresse, und
diese beiden Punkte sollen durch das problemorientierte Rollenspiel in der Sozia-
len Arbeit miteinander verbunden werden.
Daher sollen in dieser Diplomarbeit die Eigenschaften der Theaterpädagogik her-
ausgearbeitet und die soziale und objektive Dimension des Theaterspielens darge-
stellt werden. Zudem soll auch ganz klar erkennbar werden, dass das problemori-
entierte Rollenspiel wichtig in der psychosozialen Erfahrung des Menschen ist und
daher für den methodischen Einsatz in der Sozialarbeit verwendet werden kann.
Beginnen möchte ich mit einem kleinen Einblick in die Welt des Theaters, mit sei-
ner Geschichte, seinen Einflüssen und seinem momentanen Stand, bevor ich auf
die künstlerische, subjektive und soziale Erfahrungsmöglichkeit im Theaterspiel
kommen werde.
Im Anschluß daran werde ich die Eigenschaften der Theaterpädagogik herausar-
beiten. Hierbei soll deutlich werden, dass das theaterpädagogische Rollenspiel ei-
ne bestimmte Position einnimmt und sich inhaltlich und sachlich von der Rollenar-
beit unterscheidet.
Gerade das problemorientierte Rollenspiel dient vorrangig der Sozialen Arbeit. In-
wieweit das problemorientierte Rollenspiel eingesetzt werden kann, welche Mög-

9
lichkeiten dadurch geschafft und wie diese methodisch umgesetzt werden, soll im
darauffolgenden Kapitel näher zum Ausdruck gebracht werden.
Dazu wird ein ausgewähltes Praxisfeld herangezogen, das sich mit der tatsächli-
chen Umsetzung des problemorientierten Rollenspiels beschäftigt. Beziehen wird
sich dieses auf ein Präventionsprojekt der Theraterpädagogischen Werkstatt Os-
nabrück, die durch ihr Theaterstück 'Mein Körper gehört mir' Kinder und Jugendli-
che an die Thematik des sexuellen Mißbrauchs heranführen möchte.

10
B. Einblick in die Welt des Theaters
I.
Faszination Theater und Theaterspiel
"Der Mensch der spielt, ist der Mensch der lebt."
L. Strasberg
Die Grundlage der Theaterpädagogik und des Rollenspiels liegt im Theaterspiel.
Dass das Theaterspiel wiederum ein fester Bestandteil des Theaters ist, ist allge-
mein bekannt. Welche theoretischen Überlegungen liegen aber diesem Phänomen
zugrunde?
Das folgende Kapitel soll anhand von theoretischen Überlegungen die Faszination
des Theaters und Theaterspiels veranschaulichen.
I.1. Theoretische Überlegungen zum Begriff Theater und Theaterspiel
Kaum ein anderer Begriff als der des Theaters verursacht bei den Menschen derart
viele unterschiedliche Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen. Die einen den-
ken dabei an Kultur, Melodie, Drama und Illusion, die anderen an Romeo und Julia,
Opern und Schulaufführungen. Und letztendlich versteht jeder unter dem Begriff
'Theater' etwas Anderes, etwas Eigenes. Interessant ist hierbei die Worterklärung
in einem Lexikon für Kinder. Dort steht: "Theater ist der Gesamtbegriff für die dar-
stellenden Künste: Schauspiel, Oper, Operette, Ballett, zugleich auch für das Ge-
bäude der Aufführungen."
1
Diese Definition ist passende für die Erklärung des
Theaters, wobei der Begriff 'Theater' von dem griechischen Wort ´thé` = 'schauen'
1
O.V.: Stichwort "Theater" in: Kinderlexikon, München 1987, S.295f.

11
kommt und von ´thétron` abgeleitet wurde, womit anfangs die Plätze der Zu-
schauer bezeichnet wurde"
2
Lehrreich ist hierbei auch, dass man in den älteren Theatern unter dem Begriff
'Szene' nicht ursprünglich Einzelpassagen aus einem Gesamtstück verstand, son-
dern ein Zelt mit dem Namen ´skene`, in dem sich die Gegenstände befanden, die
während der Vorstellung benötigt wurden. Diese ´skene` befand sich hinter dem
´orchestra`. Das ´orchestra`, von griechisch ´orchesthai` >>'tanzen, hüpfen, sprin-
gen'<<, stellte den ursprünglichen Spielplatz dar. Auf diesem Spielplatz fand der
Tanz und der Chorgesang statt, der eine wichtige Rolle im griechischen Theater
spielte.
Zum Theater gehört selbstverständlich das Theaterspiel, wobei stark vereinfacht
gesagt werden kann, dass die Person A eine Theaterfigur B verkörpert, während
Beobachter C zusieht. "Dazu kommt, dass 'Spielen' stets bedeutet, in eine imaginä-
re Welt einzutauchen, ohne dabei völlig aus der Wirklichkeit auszusteigen."
3
Das
Theaterspiel ist abhängig von innerer Spannung zwischen Scheinwelt und Realität.
Dadurch, dass die Spieler diese Spannung durchleben und von ihr abhängig sind,
bekommt der Zuschauer die Möglichkeit sie zu beobachten. Das klingt zunächst
einfach und selbstverständlich. Aber ein Theaterspiel wäre kein Theaterspiel, wenn
es keine Zuschauer gäbe. Die Scheinwelt, die produziert
wird, soll auch in der Realität beobachtet und nachvollzogen werden, denn auch,
wenn das Spiel ohne Zuschauer stattfände, wäre in dem darstellenden Spiel der
Zuseher oftmals identisch mit dem beobachtenden Mitspieler. Denn der Mitspieler
muß die gegenseitige Aktion beobachten und nachvollziehen, um agieren zu kön-
nen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, dass das gegenseitige Agieren der Personen
entscheidend für das Theaterspiel ist. Nur durch gegenseitiges Achten und Han-
deln kann ein Theaterspiel stattfinden.
Beim Theaterspiel gibt es keine Grenzen außer denen, die man sich selbst setzt.
Ein vierstündiges Theaterstück kann eine einzige Stunde im Leben eines Men-
2
Vgl. Gate H. und Hägglund K. in: Bühne frei, 2. Auflage, Mödling 1991, S. 12.
3
Grau M. u. Klingauf W. in: Theaterwerkstatt, 2. Aufl., München 1998, S.22.

12
schen behandeln. Es kann aber auch die Geschichte einer ganzen Kultur darstel-
len. Dabei ist es egal, ob das Stück drei Minuten oder zwei Stunden dauert.
Aber wozu spielt man Theater und welche kulturpädagogischen Aspekte lassen
sich mit dem Theaterspiel verbinden?
Dieser Frage soll im nächsten Abschnitt nachgegangen werden.
I.2. Theaterspielen - Wozu? Kulturpädagogische Aspekte des Theaterspiels
Dass das Theaterspielen einen pädagogischen Wert für den Zuschauer hat, ist un-
umstritten. Der Einfluß auf den Spielenden selbst wurde dagegen erst in den 60er
Jahren durch die Kulturpädagogik erfasst. Hauptmerkmal der Kulturpädagogik ist
es unter anderem, dem Menschen eine Möglichkeit zur Selbstentfaltung und Welt-
gestaltung zu schaffen. Eine Besonderheit ist hierbei die kulturpädagogische Thea-
terarbeit.
"Grundlage einer kulturpädagogischen Theaterarbeit, so wie sie auch wir verste-
hen, ist ein ganzheitlicher Ansatz, der versucht, den Menschen in all seinen Di-
mensionen und Lebenszusammenhängen zu sehen."
4
Daher wird bei der kulturpä-
dagogischen Theaterarbeit versucht, sich an den Bedürfnissen, Situationen und
komplexen Lebensfeldern der Menschen zu orientieren. "Das heißt, der einzelne
soll eine ausgewogene Balance zwischen sich, seinen Wünschen, Trieben, Be-
dürfnisse und seiner Umwelt finden, um auch in Zukunft handlungs- und überle-
bensfähig zu bleiben."
5
Daher arbeitet die Kulturarbeit in vier Dimensionen:
1. Beschäftigung mit der eigenen Person
2. Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit
3. Erlernen sozial - kommunikativer Fähigkeiten
4. Entwicklung von Kreativität und instrumenteller Fähigkeiten
Auf diese vier Dimensionen wird im Laufe meiner Arbeit noch stärker eingegangen
werden.
4
Grau M. und Klingauf W. in: Theaterwerkstatt, a.a.O., S.17.

13
Das Theater und das Theaterspiel bieten eine Möglichkeit, das Leben ganz neu zu
entdecken, es zu bereichern und damit als Teil in die Kultur einer Gesellschaft mit-
einfliessen zu lassen. Zu dieser Erkenntnis waren auch schon andere, längst ver-
gangene Kulturen gelangt. Daher hat das Theater und sein Spiel historisch gese-
hen immer wieder neue Entwicklungen durchlebt, und wurde somit ein Gegenstand
längst vergangener Kulturen.
Dies soll im folgenden ausführlicher beschrieben werden.
II.
Das Theater der Vergangenheit! Zur Geschichte des Theaters
"Der Schauspieler soll nie vergessen [...], dass man immer von seinem eige-
nen Wesen und nicht von der Rolle aus leben muß und von dieser nur die ge-
gebenen Umstände nimmt."
Konstantin S. Stanislawski
"Das Phänomen Theater wie es erst 1500 v. Chr. im alten Ägypten, tausend Jahre
später dann im europäischen Altertum und nach dessen Untergang im Fernen Os-
ten faßbar wird, hatte seinen Ursprung in magischen Ritualen"
6
, die man anhand
von Höhlenmalereien nachvollziehen kann.
Ich möchte in meiner Darstellung mit dem geschichtlichen Verlauf des Theaters bei
den alten Ägyptern beginnen, deren religiöse und mystische Spiele die Vorformen
des heutigen Theaters sind. Die daraus entstandenen Entwicklungen und Vertreter
sollen kurz genannt und dargestellt werden.
Begonnen hat das Theater, so wie es wir kennen, mit mystischen Spielen und reli-
giösen Riten bereits vor langer Zeit (ca. 2000 - 1500 v. Chr.). Ein Beispiel hierfür ist
der Osiriskult der alten Ägypter. Dieser Kult gilt als Beginn des Mimus (der Mimik)
und des Possenreissens (der Gestik). Es diente der Verehrung des Gottes Osiris
und als Dank für die Fruchtbarkeit der Ländereien.
5
Ebenda, S. 17f.
6
Vgl. Simhandel Peter in: Theatergeschichte in einem Band, Berlin 1996, S.14.

14
"Das für die abendländische Kultur bestimmende hellinistische Theater hat seine
Ursprünge in den Chorliedern und Altarrundtänzen zu Ehren des Gottes Diony-
sos."
7
Durch das einfache Heraustreten einer Person aus dem Chor und das Ge-
genüberstellen einer zweiten oder dritten Person, entstand die vereinfachte Kunst-
form der Tragödie, das Trauerspiel. Zu den bedeutesten Tragiker dieser Zeit gehö-
ren Aischylos, Sophokles und Euripiedes. "Aus dem jede Tragödie abschließenden
Satyrspiel entwickelte sich die Komödie als eigene Kunstgattung, deren bekanntes-
ter Vertreter Aristophanes ist und mit dem auch das klassische griechische Theater
sein Ende fand."
8
Weiterführend wirkte die griechische Kultur auf die römische ein.
"Man übernahm die Prinzipien ihrer Philosophie und ihrer Religion, ihrer Literatur
und ihres Theaters."
9
Im folgenden fand die Entwicklung des Theaters im christlichen Bereich statt. Der
Theaterstil des Mittelalters war gekennzeichnet von Krippen-, Oster- und Passions-
spielen, die das Leben Jesu für den Glauben der Menschen sichtbar machen soll-
ten.
Im 16. Jahrhundert spaltete sich das Theaterschaffen. Erste Opern wurden am Ho-
fe von Königen und Kaisern aufgeführt. Diese einzigartige Verbindung von Musik
und Schauspiel fand vor allem in den Adelsschichten große Begeisterung. Zu den
bedeutendsten Komponisten der Renaissance und Barockzeit gehören Claudio
Monteverdi und Georg Friedrich Händel.
Das Theater dieser Zeit entwickelte sich in verschiedenen Formen. In England und
Spanien zog man mit den Dramen vom Wirtshaushoftheater zu Schloß- und Frei-
lichtbühnen mit gewandten Mimen und Schauspielern. William Shakespeare und
Lope de Vega gehören zu den bekanntesten Vertretern dieser Zeit. Gerade für Wil-
liam Shakespeare brachte "die Thronbesteigung Jakobs I. in England glückliche
Zeiten für das Theater"
10
und "der König ernannte die Schauspieltruppe Burbage -
Shakespeare zu < King´s Men >"
11
, was soviel bedeutet wie die Truppe des Kö-
nigs.
7
Grau M. und Klingauf W. in: Theaterwerkstatt, a.a.O., S.14.
8
Ebenda., S.14.
9
Simhandel Peter in: Theatergeschichte in einem Band, a.a.O., S. 34.
10
Vgl. Orlandi E. (Hrsg.) in: Shakespeare und seine Zeit, Wiesbaden o.J., S. 56.
11
Vgl. ebenda, S. 56.

15
"In Italien entwickelte sich vor allem die 'Perspektive-Bühne', in der eine vollkom-
mene Illusion angestrebt wurde. Frankreich hatte seine Blüte mit Molière als
Schöpfer der französischen Charakterkomödie und mit Corneille als Meister der
klassischen Komödien des 17. Jahrhunderts."
12
Deutschland dagegen hinkte mit der Entwicklung des Theaters etwas hinterher.
Erst durch Lessings Lust- und Trauerspiel, durch die deutsche Klassik bei Johann
Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller bis zu den Realisten Hebbel, Ludwig und
Büchner entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert eine deutsche Theaterspitze,
die insbesondere durch den ständigen Ausgleich zwischen Ernsthaftigkeit des
Theaters in der Tragödie und heiteren Spielformen des Lebens in der Komödie ge-
prägt war.
Die Theaterformen des 20. Jahrhunderts sind hingegen vielseitiger. Zu den wich-
tigsten modernen Theaterformen gehört die Theaterreform aus der Zeit 1900, bei
die der Regisseur zum eigentlichen Schöpfer des Kunsthandwerks wurde (Stilbüh-
ne).
Aber auch Revolte und Experiment sind in dieser Zeit zu erkennen, etwa wenn der
Schauspieler zugunsten eines abstrakten Theaters der Gegenstände, des Lichts
und der Geräusche zum Teil von der Bühne verschwindet.
Neben diesen beiden modernen Theaterformen gibt es auch das Politische-, Epi-
sche- und Dokumentartheater, dass klare, politisch links orientierte Ziele beinhaltet.
Zu den wichtigsten Theaterformen des 20. Jahrhunderts gehört selbstverständlich
auch das Schauspieltheater des 20. Jahrhunderts.
"Diese Richtung verstand sich dem klassischen Theater verpflichtet und rückte die
Schauspielpädagogik in das Zentrum des Interesses."
13
Zu guter letzt darf man auch das 'Theater der Erfahrung - Freies Theater' nicht ver-
gessen. Bei dieser Form des Theaters löst man sich von den literarischen Rollen,
damit Emotionalität, Körperlichkeit und gruppendynamische Prozesse gebildet
werden können. Die hier zuletzt genannte Theaterform soll im weiteren Verlauf
12
Grau M. und Klingauf W. in: Theater Werkstatt, a.a.O., S.15.
13
Ebenda, S.16.

16
noch stärker verdeutlicht werden (Kapitel D.1.2. und D.1.3.), da sie die Grundlage
der Theaterpädagogik bildet und damit Bestandteil dieser Diplomarbeit wird.
Die derzeitigen Theaterformen sind sicherlich prägend für unsere Zeit und werden
zudem gerne für individuelle Bedürfnisse genutzt. Diese Bedürfnisse lassen sich
anhand der regelmäßigen Theaterbesuche und dem starken Zulauf der Zuschauer
messen.
Aufgrund dieser Aussage wird im nächsten Abschnitt auf die Veröffentlichung der
Theaterstatistik der Spielzeit 2000/2001 des Deutschen Bühnenvereins eingegan-
gen, da dies ein Anhaltspunkt für den enormen Einfluß des Theaters auf den Men-
schen darstellen kann.
III. Das Theater in Deutschland an der Schwelle zum
21. Jahrhundert
"Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel
für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf
und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen."
Max Reinhardt
Die Diskussion von Kunst und Kultur haben in der deutschen Öffentlichkeit einen
gleichzusetzenden Stellenwert mit der der Politik und der Wirtschaft. Sehr viele
Menschen nutzen das Medium 'Theater' um kultureller, ästhetischer und gesell-
schaftlicher Bildung nachzugehen.
Aus der Theaterstatistik der Spielzeit 2000/2001 des Deutschen Bühnenvereins
geht hervor, dass sich "die Anzahl der Besucher im Vergleich zum Vorjahr um mehr
als eine halbe Million auf 35,5 Millionen Zuschauer erhöht hat."
14
Betrachtet man sich diese enorme Besucherzahl genauer, so sieht man, dass 20,1
Millionen Menschen die öffentlichen Theaterbühnen aufsuchten, während sich 11,4
Millionen Menschen bei privaten Bühnen einfanden. Die restlichen Zahlen beziehen
sich auf Konzert- und Festsspielbesuche.

17
Deutlich wird hieraus, dass das Medium 'Theater' in unserer Gesellschaft wichtig ist
und dass die Bevölkerung ein reges Interesse für das Theater zeigt. "Folglich
investiert die Bundesrepublik Deutschland mehr als 2,12 Milliarden Euro"
15
in die
Theaterbedürfnisse der Menschen. Sicherlich können mit dieser Summe nicht alle
Bedürfnisse der Theaterbühnen in Deutschland gedeckt werden, da die Ausgaben
sehr hoch sind, doch der Sinn und die kulturelle Wichtigkeit des Theaters wird er-
halten und gefördert. Daher können immer wieder neue künstlerische Aspekte des
Theaterspielens gefördert werden und es kommt nicht zum Stillstand der Theater-
künste.
Aus dem Resümee heraus erkennt man, dass trotz leerer öffentlicher Haushalts-
kassen Theaterkunst gefördert wird, denn es ist wichtig den Erhalt unserer Kultur
zu sichern und zu fördern, damit sie für andere nicht verloren geht.
Die Daten des Bundesverbandes der Theaterbühnen beziehen sich allerdings nur
auf die Bühnen, die diesem Verband angehören. Nicht erwähnt werden die Bühnen
der Laienspieler und Theaterproduktionen anderer freier Bühnen, wie z.B. die der
Schulen oder Theaterwerkstätten. Addiert man diese Zahl dazu, so würde man auf
eine weitaus höhere Summe kommen. Folglich kann man sagen, dass Theater so-
wohl von den Besuchern als auch von den Spielern gerne genutzt wird, um ihren
individuellen Bedürfnissen nachzukommen. Diese These läßt sich aus den bereits
angesprochenen Daten ableiten.
Doch steckt hinter dieser individueller Bedürftigkeit ausschließlich Kunst und Kul-
turerhalt?
Diese Frage kann mit einem deutlichen 'Nein' beantwortet werden. Um dieses
'Nein' ausführlicher zu begründen, soll im nächsten Kapitel die künstlerische, sub-
jektive und soziale Dimension des Theaters dargestellt werden. Diese drei Dimen-
sionen beinhalten bestimmte Wirkungen, die eine evidente Bedeutung für das Phä-
nomen Theater darstellt und die nun einsichtiger dargestellt werden soll.
14
Vgl. Pressemitteilung vom Deutschen Bühnenverein, http://www. buehnenverein.de/publika vom
20.11.2002.
15
Vgl. Pressemitteilung vom Deutschen Bühnenverein, ebenda, vom 20.11.2002.

18
C. Die künstlerische, subjektive und soziale
Dimension des Theaters
"Die Schauspielkunst ist aber zugleich die Befreiung von der konventionellen
Schauspielerei des Lebens, denn:
nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers,
sondern seine Enthüllung."
Max Reinhardt
Wie im vorherigen Kapitel bereits erwähnt worden ist, spricht das Theater und das
Theaterspiel verschiedene Dimensionen an.
Die Dimensionen, die hier dargestellt werden sollen, beziehen sich auf den ästheti-
schen, subjektiven und sozialen Bereich des Menschen. Alle drei Dimensionen zei-
gen eine individuelle Wirkung beim Theaterspiel, primär auf den Spieler selbst und
sekundär auf den Zuschauer.
Aufgrund dieser Wirkungen soll zunächst die künstlerische, danach die subjektbe-
zogene und zum Schluß die sozial - kommunikative Dimension des Theaterspie-
lens untersucht werden.
I.
Die künstlerische Dimension des Theaters
Die künstlerische Dimension des Theaters beschäftigt sich vorwiegend mit der
Theatralität eines Sachverhaltes, der vom Schauspieler durchlebt und ausgedrückt
wird und dabei die Zuschauer anspricht. Dadurch läßt sich bei der künstlerischen
Dimension des Theaters ein Verhältnis zwischen Darsteller und Publikum erken-
nen.
Die Darstellung der Theatralität eines Sachverhaltes ist die eigentliche Kunstform
des Theaters. Aufgabe dieser Kunstform ist es, die Theatralität entstehen zu las-
sen, sie auszuleben und anschließend wieder zu beenden. "Während Dichtung und
bildende Kunst auf Umwegen und mit einem Abstand zur Wirklichkeit ihre Visionen
in Medium Wort, Farbe oder Form 'verkörpern', geschieht dies bei der Darstellen-

19
den Kunst durch die Verkörperung im Menschen selbst; Subjekt und Objekt des
theatralischen Prozesses sind unlösbar miteinander verbunden."
16
Aufgrund dieser Aussage beruht Schauspielen auf ganzheitlichen, 'leibseelischen'
Einfühlungs-, Ausdrucks- und Darstellungsweisen, die in ästhetischer Art und Wei-
se vermittelt werden sollen. Die Spieler müssen den theatralischen Stoff durch ih-
ren subjektiven Filter gehen lassen und ihre Gedanken und Entwürfe für einen Au-
ßenstehenden sichtbar machen, um das Theaterspiel entstehen zu lassen. Dazu
gehören selbstverständlich und unverzichtbar künstlerische Techniken, um das
biographische Material erfahren und ausüben zu können. Eine Technik ist hierbei
die Improvisation. Bei dieser geht es nicht um ein perfektes Produkt, sondern um
die Erforschung subjektiver Ideen und Möglichkeiten.
"Der Kunstbezug des Schauspielens liegt darin begründet, dass der Akteur selbst
das Medium ist und seine eigene Leib-Seele-Identität in bildnerischer Absicht nutzt,
um ein erdachtes Anderes zu verkörpern, bzw. mit Hilfe kritischer Selbstbeobach-
tung formend darzustellen."
17
Doch dieser transformierende Prozeß beruht nicht
nur auf einer emotional-identifizierenden Auseinandersetzung mit einer Figur, son-
dern auch auf der Erwartung Außenstehender. Denn 'die künstlerische Konstrukti-
onsleistung' besteht auch darin, das gefundene Material (Empfindungen, Visionen,
bildhafte Ideen oder erste szenische Abläufe) auf berechnende Weise zu sondie-
ren, zu bündeln, zu verdichten und zu abstrahieren, damit das entstehende Kunst-
produkt auch Reaktionen und Erfahrung bei Außenstehenden auslösen kann."
18
So
wird aus den ehemals spontanen Impulsen allmählich ein strukturierter Spielvor-
gang. Dieser ist auch wichtig für den Darsteller, da er dadurch Distanz zu seiner
eigenen 'Betroffenheit' schaffen kann. "Bei der Erarbeitung der Rolle muß der
Schauspieler daher zu seinem eigenen Zuschauer werden."
19
M. Wekwerth, ein
bekannter Schauspielkünstler, Regisseur und Autor, spricht daher von der Doppe-
lung des Darstellers in "Teil der Wirklichkeit und Abbild der Wirklichkeit"
20
. Der
Schauspieler pendelt daher zwischen seiner Nähe und Distanz. Es entsteht ein
Wechselspiel zwischen Identifikation und Darstellung, und auch wenn der Schau-
16
Weintz, J. in: Theaterpädagogik und Schauspielkunst, Butzbach - Griedel 1999, S. 178.
17
Ebenda., S.179.
18
vgl. ebenda, S. 179.
19
Ebenda, S.180.

20
spieler versucht, sich so zu verhalten, als sei er eine Figur, so sehr er sich von sei-
ner Identität wegtäuscht, verliert er nie seine Realexistenz und hört nie auf, sein
Handeln zu planen oder zu kontrollieren.
Schauspielkunst vollzieht sich nun im Spannungsverhältnis zwischen der künstleri-
schen Idee und der Intimität des Akteurs und der dienenden Funktion gegenüber
den Zuschauern. Das das Schauspielen somit eine subjektive Wirkung auf den
Spieler selbst hat ist unwiderruflich. Theaterspielen soll Mut zu Tabubrüchen ma-
chen und abweichendes Verhalten und Parteieinnahme zu Tage bringen. Die hier
angedeuteten subjektiven Wirkungen des Theaters sollen im folgenden Kapitel ein-
gehender beleuchtet werden.
20
Wekwerth, M. in: Theater und Wissenschaften, Berlin 1975, S. 58.

21
II.
Die subjektive Dimension des Theaters
"Die Substanz des Mediums Theater ist der Schauspieler, seine Aktionen und was
er durch sie bewirken kann."
Jerzy Grotowski
Während des Theaterspiels teilen sich die Spieler einander und den Zuschauern
den zu spielenden Stoff mittels Bewegung, Mimik, Stimme und Objekten, wie Re-
quisiten und sonstigem, mit. Dabei durchleben sie eine gewisse Identität, bringen
Gefühlsregungen, Phantasien und Wünsche an den Tag und beziehen private Un-
tiefen, ausgesonderte Aspekte und tabuisierte Affekte mit ein. Der Mensch, der
spielt wird somit der Mensch, der lebt. "Die Bühne ermöglicht den Spielern im
Rahmen einer Quasi-Realität das aktive Ausloten, Erproben und Ausleben von I-
dentifikation mit anderen, also die intensive psychophysische Annäherung an eine
fremde, erfundene Person, die immer auch die möglichen (verdrängten) Facetten
der eigenen Persönlichkeit beinhaltet."
21
So wird der Spielraum z.B zur Möglichkeit
des Sterbens genutzt, um dem Spieler die Auseinandersetzung mit den Tod auf
seine Art und Weise zu ermöglichen.
Theater bietet demnach die Möglichkeit, innerhalb des Kunstraumes Bereiche des
Innenlebens, die ihm normalerweise verschlossen bleiben, zu erschließen, auszu-
probieren und zu erleben. Diese Identifizierung schafft es auf spielerische und
symbolhafte Weise, unterdrückte Gefühle zum Ausdruck zu bringen. So wird man
zu Bewunderten oder Gehaßten, zum Heiligen oder Bösen, zum Gleichgesinnten
oder Seelenverwandten. Theater ist demnach nicht nur ein Ort der Kunstprodukti-
on, sondern auch die theatralische Praxis für die Akteure, eine affektreinigende
Seelenhygiene zu betreiben. "Auf dem Weg von Einfühlung in Darstellung von frei
erfundenen Figuren oder Situationen kann sich die Auslösung, Auslebung und Be-
freiung von unterdrücktem tabuisierten Gefühlsregungen und eine Stabilisierung
und Differenzierung der spielenden Person vollziehen."
22
Zu dieser Ansicht kam auch der Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856 ­ 1939). In
einem Brief an die Schauspielerin Yvette Guilbert schrieb er, dass 'Stücke' von ihr,
21
Weintz, J. in: Theaterpädagogik und Schauspielkunst, a.a.O., S. 157.
22
Ebenda, S. 159.

22
zum Beispiel nicht zur Entwicklung gelangte Anlagen und unterdrückte Wunschre-
gungen, [...] verwendet werden und auf solche Art zum Ausdruck kommen, sondern
ihr dabei den Charakter der Lebenswahrheit aufprägen."
23
Mit dieser Aussage
machte Freud gezielt auf die psychische Wirkung des Theaterspiels aufmerksam
und kam ebenfalls zur Erkenntnis, das das Theaterspiel tiefpsychische Wirkungen
haben kann.
Die subjektive Auslebung im Theaterspiel hat aber auch noch eine ganz andere
Wirkung. Das Theater kann ein Ort der Wunscherfüllung sein, der Befreiung von
körperlich-seelischen Spannungen, der Steigerung von ungelebten Bedürfnissen in
Form von künstlerischen 'Ersatzbefriedigungen' sowie der Identifizierung mit den
unterschiedlichsten Charakteren und Personen. Zudem schafft es das Theater-
spiel, durch die Erfindung und Darstellung immer neuerer Bewegungsabläufe, see-
lisch-physische Blockierungen zu lösen.
Die subjektive Dimension schafft somit einen Raum um Korrekturen einer unbefrie-
digten Realität zu ermöglichen. Die Bühne wird zudem ein Ort, um den Rahmen
gesellschaftlicher Normen und Regelwerke zu überschreiten ohne Sanktionen mit
sich zu führen. Die Wirkung des Theaterspiels ist somit klar erkennbar und voraus-
sagbar, nicht aber, welchen Sozialbezug das Theater damit schafft. Daher soll sich
das nächste Kapitel ausführlicher mit der sozialen Dimension des Theaters be-
schäftigen.
23
S. Freud in: Gombrich E. H., Kunst und Kritik, Stuttgart o.J, S. 152.

23
III.
Die soziale Dimension des Theaters
"Alle sollen gemeinsam lernen, Zuschauer und Schauspieler, keiner ist mehr als
der andere, keiner weiß es besser als der andere:
gemeinsames Lernen, Entdecken, Erfinden, Entscheiden!"
A. Boal
III.1. Zur Aussagekraft der Wirklichkeit
Wie in den vorherigen beiden Kapiteln ( C.I. und C.II. ) erwähnt worden ist, erlangt
das Theaterspiel seine Bezüge aus der Realität des Spielers und aus den Reali-
tätserwartungen der Zuschauer. Die Ausführenden sind Angehörige der realen
Wirklichkeit und auch die auf der Bühne artikulierten Themen, Problemstellungen
und Überlegungen entstammen aus der realen Biographie und der realen Lebens-
welt. Dadurch besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Realität und Fiktion. "Es
ist indirekt Produkt aus der Wirklichkeit und aufgrund seiner realitätsenthobenen
Visionen immer auch eine Aussage über Wirklichkeit."
24
Theater ist aber auch ein
Produkt gesellschaftlicher Arbeit, gerade weil es seine Inhalte aus der Wirklichkeit
bezieht und sozial bestimmt ist.
Zudem können die Spieler und die Zuschauer ungewöhnliches und für das Regel-
und Normenwerk der Realität nicht zugängliches Material erleben, ohne größere
Folgen oder Sanktionen zu erwarten. Diese nicht direkt zugänglichen Inhalte der
Realität werden auf einer fiktiven Ebene während dem Spiel realitätsnah durchlebt.
"Das Theaterspiel ist aber auch symbolisches Geschehen, das soziale Prozesse
darstellt [...] und ist zugleich selbst ein sozialer Prozess"
25
. Die zwischen der Bühne
und dem Zuschauerraum stattfindenden Wechselwirkungen animieren die Zu-
schauer ihre im verborgenen liegenden blühenden Phantasien zum Vorschein zu
bringen. Dazu kommt, dass die Spieler durch die Rückmeldung der Zuschauer, z.B.
24
Weintz, J. in: Theaterpädagogik und Schauspielkunst, a.a.O., S. 161.
25
Vgl. Rapp, U. in: Rolle, Interaktion, Spiel, Wien und Köln 1993, S. 41.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832476748
ISBN (Paperback)
9783838676746
DOI
10.3239/9783832476748
Dateigröße
685 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Düsseldorf – Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2004 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
theaterspiel sozialpädagogik rolle kulturpädagogik sozialarbeit
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