Lade Inhalt...

Wellness in der Multioptionsgesellschaft

©2003 Diplomarbeit 111 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
In dieser Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit dem Phänomen Wellness in einer bestimmten Perspektive. Gründe dafür, wieso Wellness in unserer Gesellschaft so starken Anklang findet, lassen sich aus gegenwärtigen Gesellschaftsdiagnosen gewinnen. Insbesondere orientiere ich mich an der „Multioptionsgesellschaft“ von Peter Gross, der unsere Gesellschaft als Multioptionsgesellschaft beschreibt, in der die Devise in allen Lebensbereichen „Mehr“ lautet.
Die Absichten dieser Arbeit liegen darin, zu zeigen, dass auch ein Trend wie Wellness den Prinzipien der Multioptionsgesellschaft unterliegt. Anhand von zwölf Kennzeichen der Multioptionsgesellschaft wird gezeigt, dass diese Annahme zulässig ist. Ein Trend, der als ein Teil des Megatrends des 21. Jahrhunderts angesehen wird, kann sich kaum der Steigerungsdevise der Multioptionsgesellschaft - immer weiter, immer schneller, immer höher - entziehen. Viele andere Eigenschaften der Multioptionsgesellschaft sind verantwortlich für den Erfolg von Wellness. In dieser Gesellschaft rückte die Arbeit erstmals ein wenig in den Hintergrund und die Freizeit gewann relativ an Bedeutung. Es entstand ein Verlangen nach einer erfüllten und interessanten Freizeitgestaltung. Wellnessurlaube bieten dafür eine perfekte Lösung.
Ebenso änderten sich in der Multioptionsgesellschaft die Arbeitsverhältnisse: Einerseits ist Flexibilität gefragt und zum anderen ist die physische Belastung am Arbeitsplatz zwar gesunken, jedoch ist die psychische Belastung stark gestiegen. Ein sportlicher und seelischer Ausgleich wird daher immer wichtiger. Die Mitglieder der Multioptionsgesellschaft fühlen sich oft verloren und suchen nach mehr Lebenssinn, welchen sie immer öfter in Wellnesselementen finden. Zum Einen wird Sport zu einer Art Ersatzreligion, zum Anderen finden Menschen in asiatischen Traditionen wie Yoga oder Ayurveda ihre passende Religion. Die zunehmende Individualisierung unserer Gesellschaft begünstigt die Annahme von Wellness ebenso. Körperliche Attraktivität, Wohlbefinden und Gesundheit zählen zu den wichtigsten Bedürfnissen unserer Gesellschaft. Nur in einer individualistischen Gesellschaft ist es möglich, das eigene Wohlbefinden in den Mittelpunkt zu stellen.
Wellness wurde jedoch nicht nur durch die Kennzeichen dieser Gesellschaft begünstigt, sonder in Wellness selbst spiegeln sich die Eigenheiten der Multioptionsgesellschaft wieder. Der erste Punkt ist der Steigerungsimperativ. Gerade […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7615
Freidl, Claudia: Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Karl-Franzens-Universität Graz, Diplomarbeit, 2003
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

INHALT
1.
EINLEITUNG ... 3
2.
EINFÜHRUNG ... 6
2.1
W
AS IST
W
ELLNESS
?...6
2.2
W
AS IST DIE
M
ULTIOPTIONSGESELLSCHAFT
? ...14
3.
WELLNESS IN DER MULTIOPTIONSGESELLSCHAFT...17
3.1
D
ER
S
TEIGERUNGSIMPERATIV
...17
3.1.1
Die Unendlichkeit von Optionen...18
3.1.2
Der Mehrgott auf Wellness-Trip ...20
3.2
E
NTOBLIGATIONIERUNG UND
E
NTTRADITIONALISIERUNG
...24
3.2.1
Der Abbau von Traditionen und Obligationen...24
3.2.2
Enttraditionalisierung von Yoga und Co ...28
3.3
R
ATLOSIGKEIT VERSUS
S
INNSUCHE
...33
3.3.1
Der Verlust von Orientierungen ...33
3.3.2
Sinnsuche im Wellnessbetrieb ...37
3.4
D
YNAMISIERUNG DER
G
ESELLSCHAFT
...40
3.4.1
Das Prinzip der Beschleunigung ...41
3.4.2
Wellness für Rastlose ...44
3.5
F
LEXIBILISIERUNG DER
A
RBEIT
...48
3.5.1
Der flexible Mitarbeiter ...48
3.5.2
Wellness für die Arbeit, Wellness in der Arbeit ...51
3.6
E
RLEBNISSTEIGERUNG IN DER
F
REIZEIT
...54
3.6.1
Überbietungsdrang statt Erholung? ...54
3.6.2
Die Freizeitangebote des Wellnessmarkts ...56
3.7
Z
WISCHENMENSCHLICHE
B
EZIEHUNGEN
...59
3.7.1
Von den Familien zu den Nomaden?...60
3.7.2
Wellness als Egotrip? ...64
3.8
M
ULTIKULTURALITÄT UND
H
YBRIDITÄT
...68

3.8.1
Das gemischte Kulturangebot der Gesellschaft ...68
3.8.2
Kulturmix im Wellnessbereich...70
3.9
V
ERMARKTUNG
...75
3.9.1
Kommerzialisierung der Gesellschaft...75
3.9.2
Verkaufsförderung durch Wellness ...77
3.10
K
OMPLEXITÄT
...81
3.10.1
Erfahrungsüberlastung und Ich-Schwäche...81
3.10.2
Wellness-Vielfalt und Persönlichkeitsdesign...83
3.11
S
TRESS UND
U
NZUFRIEDENHEIT
...87
3.11.1
Belastungssteigerung durch das Überangebot ...87
3.11.2
Das Paradoxon des Wellnessstress ...91
3.12
E
NTSCHLEUNIGUNG
...95
3.12.1
Blick auf ein Kompensationselement ...95
3.12.2
Wellness-light...97
4.
RESÜMEE...100
5.
QUELLENVERZEICHNIS: ...102
5.1
B
ÜCHER
... 102
5.2
Z
EITSCHRIFTEN UND
B
ROSCHÜREN
... 106
5.3
I
NTERNET
... 107

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 3
1800
1850
1900
1950
1990
20XX
Dampfmaschine
Baumwolle
Stahl
Eisenbahn
Elektrotechnik
Chemie
Petrochemie
Automobil
Informations-
technik
Psychosozial
Gesundheit
1.
KONDRATIEF
2.
KONDRATIEF
3.
KONDRATIEF
4.
KONDRATIEF
5.
KONDRATIEF
6.
KONDRATIEF
1. Einleitung
Gesundheit wird als der Megatrend des 21. Jahrhunderts gesehen. In den 20er Jahren hat
der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff die so genannte ,,Langwellen-
Ökonomie" entwickelt. Die nationale Ökonomie entwickelt sich nicht nur in kurzen und
mittelfristigen Konjunktur-Zyklen, sondern es gibt auch Basisinnovationen, die über einige
Jahrzehnte andauern. Den ersten Kondratieff löste die Erfindung der Dampfmaschine am
Anfang des 19. Jahrhunderts aus. Der sechste Kondratieff soll nach Leo Nefiodow in
Gestalt der Megabranche Gesundheit auftreten.
1
Einen Hauptbestandteil dieses Megatrends bildet mit Sicherheit der Wellnesstrend. Die
Tourismusindustrie, die Kosmetikindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und viele andere
Wirtschaftsbereiche profitieren vom Wellnessphänomen. Vieles lässt sich mit dem
Schlagwort Wellness leichter vermarkten.
Österreich war in der touristischen Erfassung des Wellnesstrends besonders erfolgreich.
Als eines der ersten europäischen Länder nahm Österreich das Wellness-Konzept auf, und
es gelang eine rasche Umsetzung. Dem Relax Guide 2002 zufolge gibt es in Österreich
1
Vgl. Huber 1997, S. 51 ff.
Abbildung 1 ,,Kondratieff-Zyklen" (Vgl. Huber
1997, S. 52)

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 4
mittlerweile 550 Wellnesshotels und ­resorts. In keinem anderen Land ist diese Dichte
vorhanden. Dies war einer der Gründe für die führende Position Österreichs in puncto
Lebensqualität im Competiveness Yearbook 2002.
2
In den letzten Monaten gab es zwar
Meldungen, dass in der steirischen Thermenregion ein Rückgang der Nächtigungen
verzeichnet wurde
3
, aber wenn man bedenkt, dass in den letzten sieben Jahren ein
Nächtigungsplus von 66 % verzeichnet werden konnte, wird klar, dass es irgendwann zu
einer Sättigung kommen muss.
4
In Ferienzeiten ist es nach wie vor der Fall, dass die
Thermen ausgebucht sind und Tagesgäste, die erst am späteren Vormittag kommen, wegen
Überfüllung vertröstet werden müssen. Man setzt in Zukunft darauf, mit den ausländischen
Konkurrenten in Slowenien und Ungarn noch besser zusammenzuarbeiten.
In dieser Diplomarbeit möchte ich mich mit dem Phänomen Wellness in einer bestimmten
Perspektive beschäftigen. Gründe dafür, wieso Wellness in unserer Gesellschaft so starken
Anklang findet, lassen sich aus gegenwärtigen Gesellschaftsdiagnosen gewinnen.
Insbesondere orientiere ich mich an der ,,Multioptionsgesellschaft" von Peter Gross, der
unsere Gesellschaft als Multioptionsgesellschaft beschreibt, in der die Devise in allen
Lebensbereichen ,,Mehr" lautet. Er versucht, viele Aspekte einer Multioptionsgesellschaft
zu veranschaulichen, klammert aber einen der wichtigsten Trends unserer Gesellschaft
praktisch aus: Der Gesundheits- und Wellnessbereich wird in diesem Werk nicht
behandelt, obwohl es gute Gründe gibt, diesen Lebens- und Wirtschaftsbereich als einen
Megatrend des 21. Jahrhunderts zu betrachten. Gerade in einer Gesellschaft, in der die
Menschen gehetzt durch das Leben rennen und versuchen, sich im ,,Optionen-Dschungel"
zu orientieren, wird ein Ausgleich immer wichtiger.
In dieser Arbeit möchte ich zeigen, dass sich die Kennzeichen der Multioptionsgesellschaft
auch auf Wellness anwenden lassen. Die breite Palette der Wellnessprodukte und ­
dienstleistungen bietet für jeden etwas. Die negativen Eigenschaften, die mit diesem
Phänomen verbunden sind, werden natürlich nicht ignoriert. Den gewünschten Ausgleich
zu erreichen, gelingt nicht immer, zum Teil ist man mit den Angeboten weit überfordert
und setzt sich selbst unter Druck. Nicht alle schaffen es mit Yoga oder Walking, die
2
Vgl. Location Austria ­ Standort Österreich, S. 38
3
Vgl. Kleine Zeitung und Die Presse Juni/Juli 2003
4
Vgl. Die Steirische, S. 7

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 5
Balance zwischen Körper und Geist zu finden, nicht zuletzt eben deshalb, weil sich auch
das Wellnessprogramm den Devisen der Multioptionsgesellschaft nicht entziehen kann.
Wellness selbst ist durch Multioptionalität gekennzeichnet und unterliegt den
Eigenschaften der Multioptionsgesellschaft, wie etwa der Steigerungsdevise, dem
ständigen Verlangen nach Mehr, der Enttraditionalisierung und Vermischung von der
kulturellen Elementen.
Um möglichst aktuelle Informationen zu erhalten, habe ich in meine Recherche diverse
Zeitungen, Zeitschriften und Reisemagazine einbezogen. Die Zeitschrift ,,Shape"
5
habe ich
über einen längeren Zeitraum (Juni 2002 bis Juni 2003) zu Recherchezwecken verwendet.
Natürlich handelt es sich bei diesen Bezugnahmen nicht um eine repräsentativ gemeinte
empirische Untersuchung; eine solche ließe sich angesichts der Heterogenität des
Wellness-Marktes nicht durchführen. Das empirische Material hat ­ ganz wie in den
Darstellungen der Multioptionsgesellschaft durch Peter Gross ­ illustrativen Charakter. Es
geht um die Explizierung einer zeitdiagnostischen Beschreibung anhand eines
Lebensbereichs, in dem sich die entsprechenden Phänomene plausibel vorführen lassen.
5
Diese Zeitschrift erscheint monatlich und die Themenbereiche sind Fitness, Gesundheit, Wellness und
Mode.

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 6
2. Einführung
2.1 Was ist Wellness?
Eine allgemein gültige Definition für Wellness zu finden, ist eine unlösbare Aufgabe. Der
Begriff ,,Wellness" stammt aus den USA und wurde als Gegenbegriff zum englischen
Wort für Krankheit (Illness) entwickelt. Hinter Wellness steckt jedoch viel mehr als das
Gegenteil von Krankheit. Günter Samitz unterscheidet zwei Definitionsmöglichkeiten für
Wellness:
Erste Definition:
,,Wellness als die Wissenschaft und Kunst, Menschen
dahingehend zu helfen, ihren Lebensstil in Richtung eines Zustandes optimaler
Gesundheit und optimalen Wohlbefindens auszurichten
."
6
Zweite Definition:
,,Wellness als ein Lebensstilansatz, der auf optimale Gesundheit
für Körper, Geist und Seele abzielt und es ermöglicht, ein höheres Maß an
Kompetenz und Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit zu erlangen
."
7
Die Mitglieder der modernen Gesellschaft sind einen höheren Stress ausgesetzt denn je.
Nicht nur die Arbeitsbelastung steigt ständig an, auch in der unmittelbaren
Lebensumgebung besteht eine permanente Zunahme von Stressfaktoren. Ein zeitweises
Abschalten ist daher unumgänglich. In einer Gesellschaft, in der Jugend und Attraktivität
mehrfach als Voraussetzung für Glück und Erfolg gelten, spielt das Bedürfnis, etwas für
ein gutes Aussehen und Jugendlichkeit zu tun, immer häufiger eine wichtige Rolle.
Wellness bildet für diese beiden Kennzeichen der modernen Gesellschaft Lösungen.
Eine weitere Grundlage für die Akzeptanz von Wellness in unserer Gesellschaft bildet der
Wertewandel. Hedonismus und Individualismus sind charakteristische Merkmale unserer
Gesellschaft. Wellness spricht vor allem Menschen an, die sich selbst etwas Gutes tun
6
Samitz nach Wimmer, www.wimmer-partner.at/pdf.dateien/gesundheit.pdf
7
Samitz nach Wimmer, www.wimmer-partner.at/pdf.dateien/gesundheit.pdf

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 7
wollen und sich selbst somit in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen. Die Suche nach
Genuss, Abwechslung, Spannung, Abenteuer und Selbstverwirklichung ist bezeichnend für
die Menschen der Multioptionsgesellschaft.
In dieser Arbeit geht es um ein Phänomen, das in viele Bereiche des alltäglichen Lebens
fließt. Der Grundgedanke von Wellness ist, die Balance zwischen Körper und Geist zu
finden, also ein ausgeglichenes Leben zu führen. Wellness fängt bereits in den eigenen vier
Wänden an: Sobald man sich gemütlich mit einer Tasse Tee oder einem Glas Wein in seine
Leseecke zurückzieht, betreibt man in gewisser Weise Wellness, man tut sich etwas Gutes.
Sowohl sportliche Aktivitäten als auch weniger sportliche Tätigkeiten fallen also unter das
Phänomen Wellness. Das eigene Wohlbefinden steht aber immer im Vordergrund, daher
sind der Leistungssport oder Extremsportarten nicht in die Wellnessdefinition mit
einzubeziehen. Wellness wird als eine ,,ganzheitliche Lebensrezeptur" angesehen.
Für die Wirtschaft hat das Schlagwort Wellness zahlreiche neue Möglichkeiten geboten.
Unter diesem Schlagwort lässt sich so gut wie alles vermarkten. Zahllose Produkte tragen
Etiketten mit der Aufschrift ,,Wellness" oder ,,Vital" und finden gerade dadurch reißenden
Absatz. Erst kürzlich stolperte ich über eine Anzeige eines ,,Wellnesstischlers". Auch der
Besuch beim ,,Wellnessfriseur" ist bereits möglich. Noch überraschender ist, dass es für
unsere vierbeinigen Freunde ebenso ,,Wellnessangebote" gibt. Ich möchte in dieser Arbeit
gesundheitliche Wellnessaspekte, zum Teil medizinische Behandlungsweisen wie etwa
Akupunktur, ebenso mitbehandeln wie rein sportliche oder kosmetische Wellnessaspekte.
Eine Trennung in einzelne Gruppen wäre für diese Arbeit nicht sinnvoll, die hier
angesprochenen Wellnessfaktoren treffen großteils auf jede Alters-, Bildungs- und
Einkommensklasse zu.
Schon in der griechischen Antike beschäftigten sich die Gelehrten mit der menschlichen
Gesundheit. Die Gesundheitsorientierung geht jedoch noch weiter zurück. In Indien wurde
mit der Lehre Buddhas auch das indische Joga übermittelt.
,,Die Joga-Lehre und die Joga-
Übungen bilden das Zentrum einer Körper- und Bewegungskultur, die Körper und Geist
als Einheit betrachtet hat."
8
Dieses indische Joga beeinflusste viele Systeme der
8
Größing 1999, S. 27

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 8
chinesischen Heilgymnastik, sogar das persische System Zurchâna
9
wurde von den
indischen Bewegungsübungen geprägt. Man vereinigte in diesen Systemen sportliche
Anstrengung mit anschließend entspannenden Maßnahmen wie Massagen und Bädern.
Auch die heilenden Kräfte des Tees waren in der chinesischen Antike weitverbreitete
Naturheilmethoden. Die heutigen Aromatherapien finden ihre Vorgänger ebenso in der
asiatischen Antike.
10
Die griechische Antike beschäftigte sich ausgiebig mit der menschlichen Gesundheit und
gesundheitsfördernden Maßnahmen. Die Erfindung der Heilgymnastik geht auf Herodikos
von Selymbria zurück. Er sorgte dafür, dass die Gymnastik in die Heilkunst mit
eingegliedert wurde. Es entwickelte sich damit eine ganzheitliche Medizin, die man mit
den heutigen Naturheilmethoden vergleichen könnte. Zu den Bestandteilen dieser Methode
gehörten: die Gymnastik, die Ernährung, das Bad, die Massage, der Schlaf und die
Einnahme von Medikamenten.
Galen, ein Nachfolger Herodikos von Selymbria, formulierte ein System der
gesundheitsbestimmenden Faktoren (Abbildung 2), welches bis ins 19. Jahrhundert
hineindrang.
11
9
Eine Mischung aus Gesundheitsübungen und Kampfsport
10
Vgl. Größing 1999, S. 27 f.
11
Vgl. Größing 1999, S. 27

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 9
res naturales
res non naturales
res contra naturales
anatomische
Luft (aer)
Krankheiten
und physiologi-
Klima, Wetter, Jahreszeit,
sche Gegeben-
Gegend
heiten
(Anlage)
Bewegung / Ruhe
(motus et quies)
Arbeit, Leibesübung, Bad,
Massage, Ölung
Schlaf / Wachen (somnus et
vigilia)
Füllung und Entleerung
(secreta et excreta)
Stoffwechsel, Ernährung,
Ausscheidung
Aderlaß, Sexualität
Gemütsbewegungen (affec-
tus animi)
Leidenschaft, Stimmungen,
Wirkung von Musik, Geistesschöpfung
Auch die Römer übernahmen die Gesundheitsmotive der Griechen. Den bedeutendsten
Beitrag der römischen Kultur zum Gesundheitswesen leistete die römische Badekultur. Die
antiken römischen Bäder könnte man als Vorgänger der heutigen Wellnessoasen und
Thermalbäder bezeichnen. Es gab kalte, laue und warme Bäder, Schwitzgrotten,
Gymnastikräume und vieles mehr. Auch beim römischen Gesundheitskonzept ging es um
ein ganzheitliches Konzept, man versuchte außerdem, individuell auf die zu behandelnden
Personen einzugehen.
12
In der ägyptischen Hochkultur gab es ebenfalls Erscheinungsformen des heutigen
Wellness. Vor allem im kosmetischen Bereich waren die ägyptischen Damen sehr
12
Größing 1999, S. 30
Abbildung 2
,,
Gesundheitsbestimmende Faktoren" (Vgl. Größing 1999, S.

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 10
fortschrittlich, sie pflegten sich mit ätherischen Ölen, und so manch anderes
Kosmetikprodukt, wie etwa der Kajalstift, hatte seinen Vorgängern in der ägyptischen
Hochkultur. Zu den bekanntesten Überlieferungen zählen jedoch die Bäder in Eselsmilch
von Kleopatra.
Diese frühen Vorgänger von Wellness haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren nur einer
privilegierten Klasse zugänglich.
,,In der Entspannung und der Selbstverwöhnung
zelebrierte die kleine Schicht der Herrschenden ihre Privilegien. Sklaven, Niedere,
Handwerker hatten keinen Zutritt."
13
Heute wird der Zugang zu Wellness jedem gewährt,
der die gewünschte Summe zahlt, je nach Wellnessanwendung. Gewisse Wellnessangebote
sind noch immer für eine privilegierte Klasse bestimmt, da sie für andere unerschwinglich
sind.
Das Mittelalter brachte wenige Fortschritte für das Gesundheitsbewusstsein der
mittelalterlichen Gesellschaft, erst die italienischen Humanisten beschäftigten sich wieder
verstärkt
mit
diesem
Thema.
Der
Arzt
Hieronymus
Merkuriales
verfolgte
sozialmedizinische Absichten und schrieb für das Volk ein Buch über die
Bewegungsheilkunde, wobei er sich stark an den antiken Gesundheitsvorstellungen
orientierte. Im Barockzeitalter verlor man abermals das Interesse an einer ausgeglichenen
Bewegungsheilkunde, einzig moderate Bewegungen waren geduldet, anstrengende
Sportarten waren verpönt, die körperliche Anstrengung überließ man dem arbeitenden
Volk.
14
Jean-Jaques Rousseau beeinflusste das individualistische Gesundheitsdenken des 18.
Jahrhunderts stark. In seinem Erziehungsroman ,,Émile oder Über die Erziehung" ist die
Gesundheitserziehung ein wesentlicher Faktor. Dieser Gesundheitsbegriff wurde im 19.
und 20. Jahrhundert bereits vergessen, aber in der heutigen Zeit als alternative Heilkunst
wieder aufgenommen.
15
Ebenso entstand Ende des 18. Jahrhundert das Werk ,,Versuch
einer Encyclopädie der Leibesübungen" (1795) von Anton Veith. Behandelt wird hier die
13
Horx-Strathern; Horx 2000, S. 5
14
Größing 1999, S. 30
15
Vgl. Größing 1999, S. 31

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 11
gesundheitliche Nutzung der Leibesübungen, darin wird unter anderem der Arzt Tissot
zitiert:
,,Bewegung ist die Hauptquelle der Gesundheit; Trägheit das Grab
derselben; Bewegung kann oft an die Stelle der Arzeneyen gesetzt
werden; alle nur möglichen Arzeneyen hingegen können nie die Stelle
der Bewegung vertreten."
16
Auch an anderen Äußerungen merkt man, dass das Sport- und Gesundheitsbewusstsein im
18. Jahrhundert an Bedeutung gewann. So stellte Salzmann 1797 fest:
,,Wer den Himmel
schon diesseits genießen will, der muss notwendig auf seinen Körper mehr
Aufmerksamkeit verwenden."
17
Am Anfang des 20. Jahrhunderts spielte die körperliche Arbeit für einen Großteil der
Gesellschaft eine gewichtige Rolle. Die Ziele der Leibeserziehung lagen vor allem darin,
den Kindern und Jugendlichen nahe zu legen, ihre zukünftigen Alltags- und
Arbeitsbewegungen
gesundheitsbewusst
auszuführen.
Im
Zeitalter
des
Nationalsozialismus bekamen Leibesübungen und Gesundheitsbewusstsein einen
negativen Beigeschmack. Das Gesundheitsbewusstsein war zwar stark ausgeprägt, jedoch
diente es zur Heranbildung wehrfähiger Männer und stand im Dienste der
Rassenideologie.
18
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Sport und Gesundheit endgültig zu
einem Massenphänomen. Die Fitnesswelle schwappte als erster Gesundheitstrend über
den großen Teich, doch es dauerte nicht lange bis die rein körperbezogene Fitnesswelle
von der Wellnessbewegung abgelöst wurde. Ihre wissenschaftliche Grundlage fand die
Wellnessbewegung an der Universität Stevens Point (Wisconsin) im Jahr 1972. In
kürzester Zeit etablierten sich auch an anderen Hochschulen ähnliche Studiengänge, die
sich mit dem Wohlbefinden der Bevölkerungen beschäftigten.
19
Innerhalb weniger Jahren
entstanden Wellnessakademien und teilweise auch weniger renommierte Einrichtungen,
die ihre Teilnehmer zu Wellness- und Gesundheitscoaches ausbildeten.
16
Vieth nach Größing 1999, S. 31
17
Salzman nach Felix http://www.wellnessverband.de/journal.html
18
Größing 1999, S. 32
19
Vgl. http://www.optipage.de/ewu/html/methode.html

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 12
In Europa gründete man 1990 die EUROPÄISCHE WELLNESS UNION (EWU).
,,Im
Mittelpunkt aller Bestrebungen der EWU steht der Mensch ­ als Individuum wie auch als
soziales Wesen."
20
Die EWU bildete aus sechs Punkten ein ,,Wellness-Barometer",
welches zur Darstellung des Lebensgefühls einzelner Individuen dient. Zu diesen sechs
positiven und negativen Signalen gehören:
- Körperliches Fitsein
- Geistige Beweglichkeit
- Seelische Belastbarkeit
- Positive Arbeitseinstellung
- Harmonisches Privatleben
- Einklang mit der Natur
Die EWU verfolgt vor allem gesundheitliche Prävention und möchte sich vom
Werbefeldzug der Wellnessindustrie distanzieren.
21
Sie sieht in Wellness ein ganzheitliches
Lebenskonzept, welches der Sicherung der optimalen Lebensqualität dient.
20
http://www.optipage.de/ewu/html/methode.html
21
Vgl. http://www.optipage.de/ewu/html/methode.html
Körper
Umwelt
Pr
iv
a
te
B
e
zi
e
h
u
n
g
Be
ru
f/A
rb
e
it
Abbildung 3 ,,Wellness-Barometer"
(Vgl. http://www.optipage.de/ewu/html/methode.html )

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 13
Wellness 2
gesteigerte Selbstkompetenz
Lebensbalance
Lernkompetenz
Reifung
Wellness 1
Entspannung, Verwöhnung,
Verschönerung, Genuss- und
Gesundheitssteigerung
Abbildung 4 ,,Wellnessformen" (Vgl. Horx-Strathern; Horx 2000, S. 20)
In letzter Zeit geht man von einem Wandel des Wellnessphänomens aus. Der Trendforscher
Matthias Horx beschreibt zwei Wellnessformen. Bei der ersten handelt es sich eher um
körper- und gesundheitsbezogene Wellness, und in ihrem Mittelpunkt stehen aktive
Wellnessanwendungen. Die Tourismusindustrie profitiert insbesondere von diesem
Wellnessbereich: Man lässt sich verwöhnen und verschönern, und es geht vor allem um
Wellnessaktivitäten, die dem Körper gut tun. Bei der zweiten Form geht es um die eigene
Persönlichkeit und deren Entwicklung. Selbstverwirklichung und ein ausgeglichenes Leben
stehen hier im Vordergrund. Die Wellnessaktivitäten sind hier mehr auf den Geist als auf
den Körper ausgerichtet.

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 14
2.2 Was ist die Multioptionsgesellschaft?
Peter Gross
22
veröffentlichte 1994 den Besteller ,,Die Multioptionsgesellschaft". Die 1999
erschienene ,,Ich-Jagd" steht in der Tradition der Multioptionsgesellschaft. Fasst man die
Kernthesen zur Multioptionsgesellschaft kurz zusammen, kommt man auf die folgende
Aussage: Die zeitgenössische Gesellschaft gehorcht einen anonymen Sog, der alle
herkömmlichen Arten von Verpflichtungen, alle Obligationen auflöst; an ihre Stelle treten
Optionen, denen man nunmehr als verwirklichbaren Wünschen gehorchen soll;
23
die
Realisierung möglichst vieler Optionen wird zum Inbegriff des Lebenssinns; es entwickelt
sich ein massiver gesellschaftlicher Druck in Richtung auf Optionenrealisierung; die
Menschen sind jedoch durch die Optionenvielfalt verwirrt und überfordert; und die
Multioptionalitität löst systematisch nicht ein, was sie verspricht.
Bis ins 19. Jahrhundert war ein Großteil der Bevölkerung damit beschäftigt, ihr Überleben
zu sichern. Sie musste sich um elementare Dinge, wie das tägliche Essen, die
Geldbeschaffung und ihre Unterkünfte kümmern. Vier Fünftel der Bevölkerung waren
Angehörige der Unterschicht.
24
Erst als die Grundversorgung gesichert war und sich die
Gesellschaft in eine Überflussgesellschaft wandelte, wandelte sich auch die
Überlebensorientierung in eine Erlebnisorientierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen
die expandierenden Möglichkeitsräume allen offen, die das nötige Kleingeld mitbrachten.
25
Bezeichnungen
wie
,,Multioptionsgesellschaft",
,,Erlebnisgesellschaft"
und
,,Risikogesellschaft"
,,sind sozialwissenschaftliche Labels, die neue gesellschaftliche
Entwicklungsdimensionen auf den Begriff zu bringen versuchen, welche zu den bereits
vorhandenen und weiter bestehenden Dimensionen hinzutreten."
26
Sie vermischen sich mit
den Begriffen ,,Konsumgesellschaft" und ,,Leistungsgesellschaft". Also wird eine
22
Er wurde 1941 in St. Gallenkappel geboren. Er studierte an den Universitäten Bern und Zürich Soziologie,
Nationalökonomie und Betriebswirtschaftslehre. Zur Zeit ist er an der Universität St. Gallen beschäftigt.
Unter seinen Forschungsschwerpunkten findet man Modernisierungstheorie, Kulturelle Dynamik,
Management und Religionstheorie.
23
Vgl. http://www.mypage.bluewin.ch/ueli.raz/Rezensionen/Gross.htm,
24
Vgl. Schulze 1993, S. 55
25
Vgl. Schulze 1993, S. 57
26
Hartmann; Haubl 1996, S. 15

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 15
Konsumgesellschaft nicht durch eine Multioptionsgesellschaft abgelöst, sondern es treten
weiterhin Aspekte einer Konsum- oder Leistungsgesellschaft auf, es sind nur neue
Phänomene hinzugekommen, die ebenso einer Bezeichnung bedürfen.
Menschen der modernen Gesellschaften stehen eine Vielzahl von Möglichkeiten zu
Verfügung, daher auch der Begriff der Multioptionsgesellschaft. Das Wort ,,Option" leitet
sich vom lateinischen Wort
optio
ab
,
was so viel wie freier Wille bedeutet. Der Drang zur
Optionalisierung ist einer der wesentlichen Vorgänge in der Multioptionsgesellschaft.
27
,,Die
Steigerung
der
Erlebens-,
Handlungs-
und
Lebensmöglichkeiten,
die
Optionssteigerung, ist der augenscheinlichste Vorgang der Modernisierung. Darum der
Begriff der Multioptionsgesellschaft."
28
Angehörige
der
Multioptionsgesellschaft
leben
höchstwahrscheinlich
in
der
technikbetriebenen westlichen Welt, wahrscheinlich in einer Metropole, asiatische Städte
natürlich eingeschlossen. Stets in Eile hetzen sie von einem Termin zum nächsten und
kommen kaum zur Ruhe. Die junge Generation genießt in gewisser Weise diese
Multioptions-Erlebniswelt. Sie nutzt die Vielfalt unserer Gesellschaft, so oft es geht.
,,Die Welt wird wie eine Speisekarte betrachtet, aus der sich jeder sein Menü
zusammenstellen kann ­ politisch motiviert genauso wie konsumorientiert. Im
Sommer aktiv mit Greenpeace gegen Walfischfang demonstrieren, im Winter
mit dem Snowboard die Piste ,runterbrettern'."
29
Optionen sind Wahlmöglichkeiten. Vaskovics meint, dass man gar nicht unbedingt von
diese Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen muss.
,,Die Tatsache, dass die Gesellschaft zahlreiche dieser Optionen bereithält,
bedeutet nicht, dass alle oder auch nur die Mehrzahl der Mitglieder in
verschiedenen Phasen des Lebensverlaufs tatsächlich davon Gebrauch
machen."
30
Lebt man in der Multioptionsgesellschaft, fällt es allerdings schwer, sich den vielen
Optionen, die einem geboten werden, zu entziehen. In allen Bereichen ist man mit
zahlreichen Wahlmöglichkeiten konfrontiert. Sie
nicht
anzunehmen fällt schwer.
27
Vgl. Bastian 2003, S. 49
28
Gross 1994, S. 15
29
Opaschowski 2002, S. 54
30
Vaskovics 2001, S. 232

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 16
Ehemalige Gegensätze wie jene von Konsumbefürwortern und Kapitalismusgegnern
existieren in der heutigen Gesellschaft friedlich nebeneinander.
,,Angebotsexplosion, Ausweitung der Konsumpotenziale, Wegfall von
Zugangsbarrieren, Umwandlung von vorgegebener in gestaltbare Wirklichkeit:
die Erweiterung der Möglichkeiten führt zu einem Wandel der
Lebensauffassungen."
31
Peter Gross gelang es mit der ,,Multioptionsgesellschaft" eine aufschlussreiche
Beschreibung unserer Gesellschaft zu liefern. Seine zeitdiagnostische Darstellung
greift einen ,,Megatrend" oder ,,Gigatrend" der modernen/postmodernen Welt auf,
und deshalb lässt sich dieses Instrumentarium auf zusätzliche Lebensbereiche und
Entwicklungen anwenden.
31
Schulze 1993, S. 58

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 17
3. Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Grundintention der Arbeit ist die Anwendung des Modells der Multioptionsgesellschaft auf
die Bereiche Wellness, Gesundheit und Fitness. An zwölf Punkten habe ich wichtige
Eigenschaften und Eigentümlichkeiten der Multioptionsgesellschaft herausgearbeitet.
Jeweils im Anschluss daran werden diese Kennzeichen mit dem Wellnessphänomen in
Beziehung gesetzt. Ich möchte daran zeigen, dass auch Wellness den Prinzipien der
Multioptionsgesellschaft unterliegt: Optionssteigerung, Enttraditionalisierung, Komplexität
und viele andere Eigenheiten der Multioptionsgesellschaft sind im Wellness-Trend wieder
zu finden.
3.1 Der Steigerungsimperativ
,,Die Moderne beginnt mit dem Bewusstsein, daß das was ist auch anders sein
könnte. Und mit dem Willen, was anders sein könnte, anders zu machen, zu
verdreifachen und zu multiplizieren."
32
Die Angebote und Möglichkeiten in der westlichen Welt sind um ein Vielfaches gestiegen.
Noch nie vermehrten sich die Menschen auf diesem Planeten so schnell wie in den letzten
Jahrzehnten, noch nie konnte man so viele Waren käuflich erwerben, die Regale in den
Kaufhäusern sind längst unüberschaubar. Noch nie zuvor gab es so viele Optionen, sich
selbst zu verwirklichen, sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht. Schlägt man
die Tageszeitungen auf, überschwemmen einen die Möglichkeiten unserer Konsumwelt.
Die Zeitungen sind vollgestopft mit zahlreichen Werbeanzeigen, Wohnungsinseraten und
diversen Verkaufsanzeigen, es steht auch als Option zu Verfügung, den Partner über eine
Heiratsannonce zu finden.
Georg Simmel erwähnte in seiner Rede über ,,Die Krisis der Kultur", die er 1916 in Wien
hielt, bereits die problematische Lage des modernen Menschen: Der moderne Mensch wird
32
Gross 1999, S. 117

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 18
von einer Unzahl von Kulturelementen überschüttet, und weil er sie nicht einfach ablehnen
kann, kommt es zu einer gewissen Zwangslage.
33
Bedenkt man, dass schon er dies schon
am Anfang des 20. Jahrhunderts diagnostizierte, so ist es nicht verwunderlich, dass am
Anfang des 21. Jahrhunderts ein schier unüberschaubares Angebot von Optionen
vorhanden ist.
3.1.1 Die Unendlichkeit von Optionen
Unter Fortschritt wird Steigerung verstanden. Alles folgt dem Steigerungsimperativ der
Popgruppe 4 Non-Blondes
Bigger, Better, Faster, More.
Die Steigerung steht in enger
Verbindung mit der Zerstörung, Nivellierung und Relativierung des Bisherigen. Das
Fernsehprogramm überschüttet uns mit einer Vielzahl von Möglichkeiten, man hat in allen
Lebensbereichen sozusagen ­ ,,Die Qual der Wahl".
,,Und nicht nur das Fernsehprogramm: Kaffeesorten, Zeitschriften, Online-
Magazine, Senfsorten und Olivenöle, Parfums von Stars und Klatsch über
Stars, die Aufspaltung musikalischer Stile und mehr digitalisierte Aufnahmen
von Beethovens Fünfter Sinfonie als Beethoven in seinem Leben hätte anhören
können."
34
In sämtlichen Ritzen unserer Gesellschaft wird das Begehren nach mehr geweckt, und es
herrscht ein unglaublicher Realisierungsdruck. Das Bisherige muss ständig überboten
werden. Wir sind geleitet von der Formel, zu tun, was wir wollen, aber dabei jedenfalls das
Bisherige zu übertreffen. Das Überbieten des Bisherigen gilt für sämtliche Bereiche, auch
weniger tugendhafte Handlungen wie Verbrechen unterliegen dem allgegenwärtigen
Steigerungsimperativ.
35
Das Problem in der Entwicklung der heutigen Gesellschaft liegt darin, dass das
Fortschrittsprogramm durch Unendlichkeit gekennzeichnet ist, nicht aber das individuelle
Leben. Die grenzenlose Steigerung von Handlungsmöglichkeiten in räumlicher, zeitlicher
und sozialer Hinsicht wird mit der Globalisierung und Multikulturalisierung der modernen
Gesellschaft begründet.
Offenbart wird ein alle Lebensbereiche betreffendes Grundmuster,
33
Vgl. Simmel, GSG, Bd. 16
34
Gleick 2000, S. 18
35
Vgl. Gross 1994, S. 102

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 19
welches überall den gleichen Ablauf aufweist:
,,die Steigerung der Optionen und die
gleichzeitige Entkernung, Umschmelzung und Vernichtung von Traditionen."
36
Der ,,Mehrgott" ist überall, global. Niemand will weniger intensiv leben, weniger
nachdenken, weniger schaffen, sich weniger bilden. In der Multioptionsgesellschaft gibt es
so viele Menschen wie Lebensstile. Die Gesamtbevölkerung zu typisieren, ist ein eigener
Markt geworden, von ihm leben Autoren und Institutionen.
,,Je nachdem werden Lebensbereiche in den Vordergrund geschoben: der
Konsumbereich, der Arbeitsbereich, der Freizeitbereich, neuerdings der
Erlebnisbereich. Gerade in ihm zeigt sich, daß es nicht um das Erleben schönen
Lebens geht [...], sondern um die Steigerung des Erlebens und Lebens, die
Steigerung der Optionen."
37
In der heutigen technischen Entwicklung ist der Steigerungsimperativ besonders
ausgeprägt. In keiner anderen geschichtlichen Epoche lösten sich die einzelnen Produkte in
so kurzer Zeit ab wie heute. Der technische Fortschritt beinhaltet ein offenkundiges Mehr
an schneller, kleiner, größer, dichter, höher, tiefer.
Kaum hat man sich einen brandneuen
PC oder ein neues Mobiltelefon gekauft, ist das topaktuelle Modell schon wieder von
gestern. Kaum gekauft und in Gebrauch genommen, werden die Produkte, die einen
Moment vorher noch Verlangen verursachten, bereits blasser. Auch Achim Brosziewski
schreibt:
,,Eines der gesellschaftlich auffälligsten Phänomene ist zweifellos die
Hochschätzung von Neuheit, die Begeisterung für und die Feier von Innovationen."
38
Gross vergleicht die Welt mit einem gigantischen Stadion, in dem in allen Disziplinen
andauernd um ,,schneller-weiter-höher-schöner" gekämpft oder, je nach Position, gespielt
wird.
39
Das allbekannte Diktum aus Hegels Rechtsphilosophie:
,,Was wirklich ist, das ist
vernünftig, und was vernünftig ist, das ist wirklich",
ist für die moderne
Multioptionsgesellschaft umzuformulieren in den Satz:
,,Was möglich ist, ist oder wird
wirklich, und was wirklich ist, will Wirklichkeit für alle werden. [...] ... ist heutzutage
36
Gross 1994, S. 115
37
Gross 1994, S. 207
38
Brosziewski 2001, S. 70
39
Vgl. Gross 1994, S. 305

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 20
nicht die Vernunft, sondern das Mögliche zu verwirklichen. [...] Das Mögliche ist das
Gesteigerte, die zu verwirklichende Steigerung."
40
Industrie und Wirtschaft verfolgen das Steigerungsprinzip schon seit langem. Die
Produktpalette steigert sich mit jedem Tag. Vor dreißig Jahren gab man sich mit
Schokoladen-, Vanille- und Erdbeereis zufrieden, heute findet man in einer einzigen
Eisvitrine zwanzig Eissorten, vom Kürbiskerneis bis zum Holunderblüteneis, und nächstes
Jahr wird eine noch ausgefallenere Sorte hinzukommen.
3.1.2 Der Mehrgott auf Wellness-Trip
Im Wellnessbereich taucht der Steigerungsimperativ
Bigger, Better, Faster, More
in den
unterschiedlichsten Facetten immer wieder auf. Pauschalreisen versprechen noch mehr
Erholung und ein noch besseres All-Inklusiv-Programm. In Fitness-Zeitschriften findet
man Artikel, die über ein noch besseres und effizienteres Training berichten. Die
Nahrungsmittelindustrie verspricht uns Produkte, in denen noch mehr Mineralien und
Vitamine enthalten sind, und in psychologischen Ratgebern sind noch bessere Wege
beschrieben, ein erfülltes Leben zu führen.
Auch die Wellnessanwender streben nach dem Mehr. Gesundheit und Wohlbefinden
unterliegen demselben Steigerungsimperativ: Einfaches Yoga wird zum ,,Poweryoga"
umfunktioniert, das traditionelle Wandern wird zum ,,Powerwalking" und die klassische
Entspannungsmassage wird durch eine ,,Esalen-Massage"
41
abgelöst. Das Überbieten des
Bisherigen gilt auch dann für den Wellnessbereich, wenn alte Ideen nur neu verpackt
werden, und sie finden gerade durch ihre neue Verpackung großen Anklang. Was neu ist,
ist eben interessanter. Selbst bei Beate Uhse wurde bereits eine ,,Wellness-Sex-
Produktserie" angekündigt.
40
Gross 1994, S. 309
41
Aus China stammende Massagemethode

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 21
In keinem anderen Bereich werden die Bücherregale so oft aufgefrischt, die
Bestsellerlisten sind voll von Wellnessratgebern und Gesundheitsratgebern. Fitness- und
Wellness-Päpste versprechen mehr Natürlichkeit, mehr Gesundheit, mehr Lebensfreude,
ein längeres Leben, mehr Fitness, mehr Schlankheit und mehr Wohlbefinden. Wer kann da
noch Nein sagen? Nichts wird in der westlichen Gesellschaft mehr angestrebt als ein
junges und gesundes Aussehen. Manche wollen die ewige Jugend mit Sport und
Kosmetikprodukten erhalten, andere wiederum schrecken auch vor dem Weg zum
Schönheitschirurgen nicht zurück. Beide Gruppen haben das gleiche Ziel vor Augen:
einfach noch besser auszusehen und länger jung zu bleiben.
In einem Artikel stellen zwei Autorinnen die brisante Frage:
,,Geht es Ihnen gut? Wie
schön! Es wird Ihnen aber gleich noch besser gehen ­ wenn Sie das Richtige essen."
42
In
diesem Artikel werden Wohlfühlrezepte für mehr Energie, mehr Lebenslust, mehr
Konzentration und mehr Entspannung geschildert. Hunderte andere Artikel versprechen
ein noch besseres Leben oder das ultimative Wohlbefinden, wenn man den richtigen Sport
betreibt, das Richtige isst oder den richtigen Urlaub macht. Selbst Personen, die einen
relativ hohen Fitnesslevel erreicht haben, wollen noch mehr.
,,Mein Problem: Ich bin an
einem toten Punkt angelangt. ... Die Figur verändert sich nicht und meine Leistungen
werden sogar schlechter."
43
Der gegenwärtige Zustand ist in den seltensten Fällen
zufriedenstellend. Ist eine noch perfektere Figur und eine noch gesündere Ernährung
möglich, so muss sie auch realisierbar sein. Und wo ist das Ende dieser Perspektive
erreicht? Die westliche Gesellschaft ist eine äußerst unzufriedene Gesellschaft, da ständig
eine Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes angestrebt wird. Fast zwanghaft sind wir
auf der Suche nach mehr Wohlbefinden.
42
Ullmann, Szwillus 2002, S. 57
43
Wibihal 2002, S. 30

Wellness in der Multioptionsgesellschaft
Seite 22
Abbildung 5 ,,MEHR" (Shape Nr. 9, September 2002)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832476151
ISBN (Paperback)
9783838676159
Dateigröße
3.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz – Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
Note
2,0
Schlagworte
gegenwartsdiagnose freizeitgestaltung gesundheit freizeitgesellschaft
Zurück

Titel: Wellness in der Multioptionsgesellschaft
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
111 Seiten
Cookie-Einstellungen