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Kinder in Trauer

Analyse einer Emotion

©2001 Diplomarbeit 120 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Stefan sitzt auf dem Sofa. Er ist in Zeitschriften oder in Bücher vertieft. Stefans Interesse gilt vor allen Dingen dem Weltall. Es scheint seine Welt, eine andere als die realistische, zu sein.
Stefan ist zehn Jahre alt. Auf Grund seiner introvertierten, schüchternen und ängstlichen Art fällt er kaum auf. Stefan spielt so gut wie nie mit anderen Kindern. Wenn man ihn fragt, ob er Lust auf ein Spiel hat, dann antwortet er in den meisten Fällen mit einem verlegenen, verschüchterten ‚Nein‘.
Stefan hat seinen Vater mit ca. acht Jahren erhängt aufgefunden.
„Alexandras Mutter ist gestorben. Letzte Woche bei einem Autounfall. Sie ist noch am Unfallort verstorben. Der Vater liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Alexandra hat, wie durch ein Wunder, so gut wie keine Verletzungen erlitten.“, sagte meine Kollegin tief betroffen. „Alexandra wird in zwei Wochen wieder in den Ganztag kommen.“, fuhr sie fort. „Ich weiß gar nicht, wie ich mit ihr umgehen soll?“, fragend richtete sie ihren Blick auf meine Person. Hilf- und Ratlosigkeit auch auf meiner Seite.
Zwei Wochen später steht Alexandra vor mir. Sie wirkt überhaupt nicht traurig. Sie spielt mit ihren Freundinnen. Sie lacht auch. Was habe ich erwartet?
Zwei Kinder mit schrecklichen Verlusterfahrungen. Zwei Kinder, die völlig unterschiedlich mit dem Verlust und mit ihrer Trauer umzugehen scheinen.
Was heißt es, wenn Kinder trauern? Ist Kindertrauer mit Erwachsenentrauer vergleichbar? Oder zeigen Kinder völlig andere Reaktionen im Umgang mit ihrer Trauer?
Motiviert durch diese lebensnahen Erfahrungen im pädagogischen Alltag der Übermittagsbetreuung war mein Interesse an dem Thema: ‘Kinder in Trauer’ geweckt.
Zugleich wurde ich mit mir selbst konfrontiert. Eine Art Selbstbeobachtung gesellte sich der Literatur- und Informationssuche hinzu.
Es stellten sich mir zahlreiche Fragen, unter anderem solche, die nach meinem persönlichen Umgang mit Trauer fragten. Wie gehe ich beispielsweise mit meiner eigenen Trauer um?
Oder im Hinblick auf meine pädagogische Arbeit: wie verhalte ich mich Kindern gegenüber, die traurig erscheinen? Sind Kinder nur dann traurig bzw. in Trauer, wenn sie bedrückt oder niedergeschlagen wirken? Woran erkenne ich letztlich, dass Kinder in Trauer sind? Was müssen Erwachsene über Kindertrauer wissen? Und bedingt mein Umgang mit Trauer die kindliche Trauer? Was bedeutet es, den Trauerweg der Kinder mitzugehen? Welche Möglichkeiten bestehen für […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Thematisierung von Tod in der Moderne – ein Überblick
1.1 Die abschiedliche Existenz oder ‘abschiedlich‘ leben
1.2 Die Privatisierung des Todes

2 Das kindliche Todeskonzept
2.1 Die Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes
2.2 Selbstwerden und Trennungsangst
2.3 Die Rolle der Erwachsenen: Wie Erwachsene Kindern den Tod erklären
2.3.1 Erklärungsversuche der Erwachsenen und deren Auswirkungen auf die kindlichen Todesvorstellungen
2.3.2 ‘Klarheit schafft Klarheit‘ oder wie Erwachsene Kindern den Tod erklären können

3 Trauer – Beschreibung einer komplexen Emotion
3.1 Trauer – was ist das eigentlich?
3.2 Die Phasen der Trauer
3.3 Problematisches Trauerverhalten oder wie Erwachsene mit Trauer umgehen
3.3.1 Die Privatisierung der Trauer oder man trauert im Privaten
Exkurs: Trauer als soziale Angelegenheit – die Funktion von Trauerritualen
3.3.2 Das Trauerverhalten der Erwachsenen
3.3.2.1 Trauern heisst Erinnern
3.3.2.2 Leidensverachtung oder die Unfähigkeit zu leiden
3.4 Trauer kann krank machen
3.5 Pathologische oder komplizierte Trauer
3.6 Kinder übernehmen die Trauermodelle der Erwachsenen

4 Tod eines geliebten Menschen als traumatische Erfahrung – wenn Kinder trauern
4.1 Tod als traumatische Erfahrung
4.2 Kindliche Trauerreaktionen
4.3 Bedingungen, die den Trauerprozess beeinträchtigen
4.3.1 Die Todesumstände
4.3.2 Unerwarteter Tod
4.4 Die Trauer wird abgewehrt
Exkurs: Abwehrmechanismen
4.5 Zur Situation trauernder Kinder

5 Begleitung von trauernden Kindern - Möglichkeiten pädagogischer Hilfestellungen
5.1 „Ich möchte, daß man sich so fühlt, wie man sich fühlen möchte“ - Trauerbegleitung von Kindern
5.1.1 Von der Schwierigkeit, zu trösten
5.1.2 Kinder brauchen Rituale
5.1.3 Erinnerungen und ihre Bedeutung für das trauernde Kind
5.2 Kinderliteratur zum Thema „Sterben, Tod und Trauer“ als unterstützendes Hilfsmittel zur Trauerbewältigung
5.2.1 Tod und Sterben in der Kinderliteratur – ein kurzer Überblick
5.2.2 Bücher – sinnvolle Begleiter von trauernden Kindern?
5.2.2.1 Die Bedeutung und Funktion von Bildern für Kinder
5.2.2.2 Illustrativ unterstützte Textbücher
5.2.2.3 Kriterien zur Beurteilung von Kinderbüchern
5.3 Lebens- und Trauerumwandlungskreativ Workshop für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern (Seminar- und Forschungsprojekt)
5.3.1 Die Konzeption
5.3.2 Gestaltung und Ablauf des Modells Myropädie
5.4 Zentrum für trauernde Kinder e.V
5.4.1 Konzeption
5.4.2 Zielvorstellungen
5.4.3 Arbeitsweise
5.4.3.1 Rolle und Aufgabe der pädagogischen Leitung
5.4.3.2 Rolle und Aufgaben der freiwilligen HelferInnen
5.4.3.3 Bezugspersonen

Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Einleitung

Stefan sitzt auf dem Sofa. Er ist in Zeitschriften oder in Bücher vertieft. Stefans Interesse gilt vor allen Dingen dem Weltall. Es scheint seine Welt, eine andere als die realistische, zu sein.

Stefan ist zehn Jahre alt. Auf Grund seiner introvertierten, schüchternen und ängstlichen Art fällt er kaum auf. Stefan spielt so gut wie nie mit anderen Kindern. Wenn man ihn fragt, ob er Lust auf ein Spiel hat, dann antwortet er in den meisten Fällen mit einem verlegenen, verschüchterten ‚Nein‘.

Stefan hat seinen Vater mit ca. acht Jahren erhängt aufgefunden.

„Alexandras Mutter ist gestorben. Letzte Woche bei einem Autounfall. Sie ist noch am Unfallort verstorben. Der Vater liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Alexandra hat, wie durch ein Wunder, so gut wie keine Verletzungen erlitten.“, sagte meine Kollegin tief betroffen. „Alexandra wird in zwei Wochen wieder in den Ganztag kommen.“, fuhr sie fort. „Ich weiß gar nicht, wie ich mit ihr umgehen soll?“, fragend richtete sie ihren Blick auf meine Person. Hilf- und Ratlosigkeit auch auf meiner Seite.

Zwei Wochen später steht Alexandra vor mir. Sie wirkt überhaupt nicht traurig. Sie spielt mit ihren Freundinnen. Sie lacht auch. Was habe ich erwartet?

Zwei Kinder mit schrecklichen Verlusterfahrungen. Zwei Kinder, die völlig unterschiedlich mit dem Verlust und mit ihrer Trauer umzugehen scheinen.

Was heißt es, wenn Kinder trauern? Ist Kindertrauer mit Erwachsenentrauer vergleichbar? Oder zeigen Kinder völlig andere Reaktionen im Umgang mit ihrer Trauer?

Motiviert durch diese lebensnahen Erfahrungen im pädagogischen Alltag der Übermittagsbetreuung war mein Interesse an dem Thema: ‘Kinder in Trauer’ geweckt.

Zugleich wurde ich mit mir selbst konfrontiert. Eine Art Selbstbeobachtung gesellte sich der Literatur- und Informationssuche hinzu.

Es stellten sich mir zahlreiche Fragen, unter anderem solche, die nach meinem persönlichen Umgang mit Trauer fragten. Wie gehe ich beispielsweise mit meiner eigenen Trauer um?

Oder im Hinblick auf meine pädagogische Arbeit: wie verhalte ich mich Kindern gegenüber, die traurig erscheinen? Sind Kinder nur dann traurig bzw. in Trauer, wenn sie bedrückt oder niedergeschlagen wirken? Woran erkenne ich letztlich, dass Kinder in Trauer sind? Was müssen Erwachsene über Kindertrauer wissen? Und bedingt mein Umgang mit Trauer die kindliche Trauer? Was bedeutet es, den Trauerweg der Kinder mitzugehen? Welche Möglichkeiten bestehen für Erwachsene, Kinder in ihrer Trauer zu begleiten? Viele Fragen, die nach Antworten suchen.

Diese Arbeit soll zu einer Beantwortung beitragen und ein Bewusstsein für Kinder in Trauer entwickeln helfen.

Mein Interesse gilt den sichtbaren und den versteckten Reaktionen der Kinder und dem Hinterfragen ihrer Verhaltensweisen. Nur wenn man sich in das subjektive Erleben einfühlen und Kinder mit ihrem Verhalten verstehen lernt, können Angebote für Krisenzeiten entwickelt werden.

Ziel dieser Arbeit ist es daher herauszufinden, wie Kinder auf den Verlust eines geliebten Menschen reagieren[1], wodurch dieses Reaktionen beeinflusst werden und wie Hilfestellungen für Kinder in Trauer aussehen können.

Die Arbeit steigt in die Thematik ein, indem sie zunächst einen Blick auf den Tod wirft. Tod als absurdes Phänomen betrifft bzw. trifft jeden Menschen. Doch was heißt es, mit dem Bewusstsein der Vergänglichkeit zu leben? Wie gehen Menschen mit ihrer abschiedlichen Existenz um? Wird Tod überhaupt gelebt bzw. ins Leben integriert?

Nach diesem Überblick soll das Verhältnis zwischen Kindern und Tod in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Es ist notwendig, die Entwicklung des kindlichen Todesverständnisses zu kennen, um einschätzen zu können, wie Kinder dem Tod begegnen. Wie verstehen Kinder den Tod? Sind sie überhaupt in der Lage nachzuvollziehen, was es heißt, tot zu sein? Was beeinflusst das kindliche Todesverständnis?

Um diese Fragen klären zu können, soll im zweiten Kapitel sowohl die Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes skizziert als auch die Rolle der Erwachsenen im Besonderen beleuchtet werden.

Es soll verdeutlicht werden, inwieweit erwachsene Erklärungsversuche bezogen auf das Thema Tod und Sterben sinnvoll, aufklärend oder irritierend sein können.

Textauszüge aus ausgewählten Kinderbüchern werden als methodisches Hilfs- und Darstellungsmittel genutzt, um die Entwicklung des kindlichen Todesverständnisses als auch die Erklärungsversuche der Erwachsenen in literarischer Form erklärend zu beschreiben.[2]

Dem Tod, dem Verlust folgt die Trauer. Trauer als eine komplexe Emotion verlangt nach Erklärungen. Das dritte Kapitel soll Einblick verschaffen, indem es klärt, was Trauer bedeutet und wie sie verlaufen kann. Darüber hinaus wird der Fokus auf das Trauerverhalten der Erwachsenen gelegt, da sie Kindern ein wichtiges Vorbild sind und das Trauerverhalten der Kinder maßgebend beeinflussen.

Im Anschluss daran soll nachgezeichnet werden, inwieweit die Todeserfahrung auf Kinder traumatisierend wirken kann. Zudem werden die Besonderheiten kindlichen Trauerns und mögliche Bewältigungsmechanismen der Kinder vorgestellt. Wie bereits in Kapitel Zwei werden Textpassagen aus einem Kinderbuch zur Verdeutlichung der kindlichen Trauerreaktionen eingesetzt.

Das fünfte Kapitel schließt die theoretische Auseinandersetzung, indem es mögliche pädagogische Hilfestellungen darstellt. Der Kinderliteratur als besonderem Hilfsmittel zur Trauerbewältigung wird Aufmerksamkeit geschenkt, bevor zwei Projekte vorgestellt werden, die die theoretischen Grundlagen der Trauerforschung in die Praxis umsetzen.

1 Thematisierung von Tod in der Moderne – ein Überblick

1.1 Die abschiedliche Existenz oder ‘abschiedlich‘ leben

Das Erleben von Verlusten unterschiedlichster Art gehört zu den kindlichen Erfahrungen, die nicht immer einfach zu bewältigen sind. Und doch: Abschiede, Trennungen, Verlust, Tod und Trauer gehören elementar zum Leben. Sie sind gleichsam ‘Urerfahrungen‘, die unser Leben von der Geburt bis zum Tod begleiten.

Abschiede, Verluste, Trennungen und Tod sind keine Erfahrungen, die an ein gewisses Alter oder an einen bestimmten Wissensstand gebunden sind.[3] Sie ragen in das Leben von Kindern ebenso wie in das von Erwachsenen. Es ist eine Herausforderung, mit Abschieden und Verlusten umzugehen. Das meint, Verluste und Abschiede individuell betrauern zu können, damit jedes Kind und jeder Erwachsene gestärkt sein Leben trotz dieser schmerzhaften Erfahrungen weiterleben kann. Voller Lebensleidenschaft.

Leben und Sterben sind untrennbar miteinander verbunden. Der Tod als endgültiger Abschied macht vielen Menschen Angst, löst Hilflosigkeit und Verzweiflung aus.

„Da Tod wirklich eine Realität ist, geht es in unserem Leben immer auch um Trennung, um Abschiednehmen.“[4]

Das Leben beinhaltet viele Trennungen, Abschiede und Neuorientierungen.[5] Abschiede von liebgewonnenen Menschen, von Gewohnheiten, Träumen oder Hoffnungen. Wir müssen Aspekte von uns sterben lassen, deren Zeit um sind. Wir Menschen müssen viele „kleine Tode“[6] sterben. Den wenigsten Menschen ist jedoch bewusst, dass zahlreiche Abschiede – kleine und große – im Leben notwendig sind, um den eigenen Lebensweg überhaupt gehen zu können.[7]

Existentielle Lebensübergänge, die uns wenig oder gar keine Wahl lassen, wollen bewältigt sein: von der Schwangerschaft und Geburt über Krankheit und Tod. Diese geben nur begrenzten Spielraum und verlangen Anpassung und innere Auseinandersetzung. Abschiede müssen eingeplant werden, um nicht an ihnen zu zerbrechen.[8]

Es geht darum, die abschiedliche Existenz des Menschen als Herausforderung zu sehen. Nicht als individuellen Leidensweg, sondern als Gestaltungsaufgabe, als Entwicklungschance. „Das Leben, was abläuft, gibt uns die Gelegenheit, gerade durch die vielen Veränderungen unser Wesen aufzufalten, zu entfalten.“[9]

Der Tod als großer und endgültiger Abschied reiht sich in eine dichte Folge von mehr oder weniger bewusst gelebten und gestalteten Abschieden. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich auf das endgültige Loslassen im Sterben vorzubereiten. Indem er sich auf die kleinen Abschiede im Leben einlässt, kann der Mensch letztendlich lernen loszulassen.

„Sich einlassen auf etwas, wieder loszulassen, und erneut sich einzulassen, scheint (...) ein Grundrhythmus menschlicher Aktivitäten und menschlicher Beziehungen zu sein.“[10]

Das Wissen darum, dass der Tod immer in unser Leben hinein ragt, schärft den Blick für unsere abschiedliche Existenz. „Wir können den Tod sehen als jene Macht, die uns ständig antreibt, uns zu wandeln. Der Gedanke der Wandlung kann ein faszinierender

Gedanke sein, aber der Preis der Wandlung ist Trennung, ist Verlust.“[11]

1.2 Die Privatisierung des Todes

Obwohl der Tod real ist, macht er Probleme. „Er ist ein Problem der Lebenden“, schreibt Norbert Elias.[12] Problematisch erscheint der Tod, weil er „über den institutionalisierten, intersubjektiv zugänglichen Sinn moderner Gesellschaften“[13] nicht mehr integriert werden kann.

Der Tod wird zu einem „ privaten“ Problem[14], „die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit kennt ihn kaum“.[15] Man spricht auch von der Verdrängung des Todes.[16]

Der Tod ist aus der Öffentlichkeit in die Privatheit abgedrängt worden. Nassehi und Weber sehen den „Ort der Sinngebung des Todes“[17] deshalb in der „intrasubjektive(n) Ebene des Ichs“.[18]

Der Tod als letztes Lebensereignis ist ein Rätsel. Er entzieht sich jeder Definition. Zygmunt Bauman schreibt dazu: „Der Tod ist undefinierbar, steht er doch für jene letzte Leere, für jene Nicht-Existenz, die absurderweise allem Sein Existenz verleiht.“[19]

Letztlich wissen die Menschen nicht, worüber sie sprechen, wenn sie vom Tod reden.[20] Der Tod kann nicht wirklich vorgestellt werden. Er „ist die Grenze des Sinns und der Bedeutung; er ist eine Metapher, und er wird mit Metaphern aufgefüllt.“[21]

Es erscheint absurd. Der Tod, der nicht gedacht werden kann, ist der Grund dafür, nach dem Sinn des Daseins zu fragen.

Da das menschliche Leben als zeitliches konstituiert ist[22], erhält jeder Mensch durch den Tod eine Gegenwart. Der Mensch besitzt Lebenszeit, die zur eigenen Geschichte ausgestaltet werden kann.[23] Tod als das unvermeidbare Ende kann Angst hervorrufen, weil er das vernichtet, was jeder Einzelne als seine Geschichte ansieht. Das, was Angst macht, wird schnell verdrängt. Doch es ist illusorisch zu glauben, dass der Tod durch die Verdrängung überwunden wäre. Nassehi und Weber schreiben deshalb zu Recht, dass sich eigentlich nicht der Tod verdrängen lässt, „sondern nur der Gedanke an ihn!“[24]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Tod eine Realität ist. Tod bedeutet immer auch Trennung und Abschied. Die Gesellschaft scheint diese Gewissheit zu negieren, wenn sie dem Tod keinen sinnvollen Platz einräumt. Der Tod wird ausgespart, in die Privatheit abgedrängt, jedem einzelnen selbst überlassen. Der Tod wird zu einem privaten Problem, der die individuelle Lebensgeschichte bedroht.

„Das eigene Leben endet mit sich selbst“,[25] schreibt Beck, und das macht Angst. Die Folge ist, dass viele erwachsene Menschen ihren Tod aus der Hand geben, in dem sie sich nicht mit dem Abschiednehmen auseinandersetzen.

2 Das kindliche Todeskonzept

2.1 Die Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes

Alle Kinder machen die Erfahrung von Vergänglichkeit, Abschied und Tod. So sehen sie beispielsweise Blumen erblühen und auch wieder verwelken. Kindergartenfreunde ziehen in eine andere Stadt. Ein überfahrener Igel liegt tot am Straßenrand.

Was wissen Kinder vom Tod? Haben sie eine Vorstellung davon, was tot sein bedeutet?

Leist schreibt, dass Kinder über „kein inneres Wissen, daß das Leben des Menschen, daß alles Leben begrenzt ist“[26] verfügen. Das Wissen um die Endgültigkeit des Todes entwickelt sich mit dem Kind. „Kinder erleben den Tod nicht wie wir Erwachsenen. Je nach ihrem psychischen Entwicklungsstand nehmen sie dieses Ereignis sehr verschieden auf.“[27] Die Vorstellungen vom Tod sind so unterschiedlich wie die Kinder selbst.[28]

In der aktuellen Literatur findet man entwicklungspsychologisch ausgerichtete Phasenschemata.[29] Jene sind hilfreich, da sie einen Überblick über die mögliche Entwicklung des kindlichen Todesverständnisses verschaffen.[30]

Im Folgenden soll der Entwicklungsprozess[31] skizziert werden. Einzelne Textpassagen aus verschiedenen Kinderbüchern[32] werden exemplarisch als darstellendes Hilfsmittel eingesetzt.

„»Tja, jetzt haben sie Oma eingebuddelt«,sagt Malva.

»Warum?«, fragt Max und erschlägt eine blöde Ameise mit seiner Schaufel.

»So macht man das auf Beerdigungen. Zuerst singt man dem, der gestorben ist, ein bißchen vor und dann buddelt man ihn ein. Hast du das noch nicht kapiert?«

»Aber warum macht man das?«, bohrt Max weiter.“[33]

Kinder sind neugierig und vor allen Dingen wissbegierig. Sie sind gute Beobachter. Sie erleben die Erwachsenenwelt, sehen diese mit ihren eigenen, kindlichen noch unbefangenen Augen. Kinder stellen viele Fragen, suchen nach Erklärungen, versuchen sich die Welt, in der sie leben, begreifbar zu machen. Der Tod gehört dazu.

Kinder integrieren das Thema Tod in ihr Spiel. Sie spielen beispielsweise Beerdigung, begraben Tiere.

„Aber bevor sie nach Hause gehen, graben sie neben der großen Sandburg, die Malva ganz allein gebaut hat (und die Max gar zu gern kaputtgemacht hätte), ein Loch und legen die blöde Ameise hinein. Dann singen sie ‘Alle meine Entchen‘ (weil sie kein gutes Lied über eine Ameise kennen) und decken das Loch mit Sand zu.

»Jetzt hat sie wenigstens eine ordentliche Beerdigung gekriegt«, sagt Malva. So was sagt man nämlich, das hat sie schon mal gehört.“[34]

Kinder geben das wieder, was sie in ihrem sozialen Umfeld erfahren bzw. erleben. Die kindlichen Vorstellungsbilder vom Tod und der Umgang mit demselbigen findet man im Spiel der Kinder.

Der Tod im Spiel der Kinder zeigt nicht nur, inwieweit sie die Todeserfahrung verarbeitet haben. Im Spiel können sie den Umgang mit der Todeswirklichkeit üben. Plieth spricht in diesem Zusammenhang vom „antizipatorischen Umgang mit Todeswirklichkeit“.[35] Das Begräbnisspiel der Kinder wiederholt sich einige Male und dann scheint das Interesse zu erlöschen. Die Tatsache, dass die Lebenszeit weder umkehrbar noch ihre Dauer gewiss ist, scheint sich klar im kindlichen Bewusstsein manifestiert zu haben.[36]

„»Hat Opa einen Anzug an?«, fragte Bruno und reckte sich auf die Zehenspitzen, um in den Sarg sehen zu können. »Opa ist von uns gegangen«, hatte Xaver gesagt, aber das stimmte gar nicht. Opa war kein bisschen davongegangen. Er lag da, schon seit vielen Stunden, ganz ruhig, ohne sich zu bewegen. Die ganze Zeit hatte Bruno nur die Sohlen der schwarzen Schuhe sehen können, die zur Hälfte über den Rand des Sarges ragten. Wenn Opa die schwarzen Schuhe trug, dann hatte er auch einen Anzug an. Die schwarzen Schuhe waren die Anzugschuhe, sonst trug der Opa Schnürstiefel.

Irgendjemand hob Bruno hoch. Endlich konnte er Opa genau ansehen. Opa trug tatsächlich einen Anzug. Er hatte die Hände gefaltet und die Augen geschlossen. »Er ist gar nicht tot, er schläft ja nur!«, rief Bruno aus.“[37]

Kleine Kinder besitzen kein Vorverständnis darüber, dass das Leben zeitlich mit dem Tod begrenzt bzw. beendet ist. Für sie bedeutet die Konfrontation mit dem Tod ein vorübergehendes Weggehen, eine Art Reise. Jemand ist weggegangen oder schläft nur. Der ‘schlafende‘ Mensch kann jedoch zu jederzeit wieder aufwachen. Für das Kind ist der Tod reversibel.[38]

Diese Überzeugung hat ihre Grundlage darin, dass Kinder im voroperativen Stadium davon ausgehen, dass Tote nur teilweise ihrer Lebenskraft beraubt sind. Kleine Kinder erleben den Tod als Abwesenheit. Jene wird von den noch jungen Kindern als bedrohlich empfunden. „Auf den Verlust (...) durch Tod reagieren Kleinkinder in gleicher Weise wie auf Verlust durch vorübergehende Trennung.“[39]

Man spricht hier von der sogenannten Trennungsangst.[40] Zlotowicz erklärt: „Die Furcht, von denen verlassen zu werden, die man liebt, ist eines der wichtigsten Motive der Trennungsangst.“[41] Jene wird verständlich, wenn man um die psychische Entwicklung des Kindes weiß.[42]

Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren denken prälogisch. Das bedeutet, sie sind an die konkrete Wahrnehmung gebunden. All das, was das Kind mit-erleben, mit-begreifen oder mit-hören kann, hat Wirklichkeitscharakter. So werden etwa Veränderungen an Dingen oder Menschen nur akzeptiert, wenn das Kind auch Zeuge dieser Umwandlung war.[43]

Kinder erschließen sich die Welt nach anderen Merkmalen als Erwachsene. Demzufolge sehen sie im Vergleich noch keinen Unterschied zwischen belebten und unbelebten Gegenständen. Kleinkinder glauben, dass Menschen und Gegenstände genauso beschaffen sind wie sie selbst. Für sie sind die Gegenstände ebenso beseelt und lebendig wie Menschen.[44]

Diese Tendenz zur Vermenschlichung wird sehr gut erfahr- und sichtbar, wenn sich Kinder etwa an der Tischkante stoßen. Sie beschimpfen dann häufig den Tisch als böse und gemein. Der Tisch besitzt ebenso wie das Kind Lebendigkeit.

So wie nun unbelebte und bewegungslose Dinge problemlos mit Leben erfüllt werden können, derart unproblematisch können auch Tote wieder erweckt werden, so die kleinkindliche Überzeugung.

„Die Erde ist schwer und nass. Max‘ kleine Schaufel nützt nicht viel, obwohl er so sehr schaufelt, wie er kann. Malva schafft mehr mit Papas großem Spaten, aber das Graben ist anstrengend. (...)

Malva hat geplant, dass sie Oma so schnell wie nur irgend möglich ausgraben. Das ist schon schwer genug. Dann kommt das Allerschwerste. Oma wieder zum Leben zu erwecken.“[45]

Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren glauben daran, dass sie mit Hilfe ihrer Gedanken unerfüllbare Dinge verändern können. Sie hegen den Wunsch, das Schicksal nahestehender, geliebter Menschen zu beeinflussen. Es liegt in ihrer Macht, so die kindliche Vorstellungskraft, dass sie beispielsweise die Oma wieder zum Leben erwecken können.

Auch Malva und Max wollen ihre Oma wiederbeleben. Sie haben die kluge Idee, ihrer Oma Lebensmittel ins Grab zu bringen. Aus diesem Grund versuchen die beiden Kinder, sie auszubuddeln. Malva erklärt ihrem kleinen Bruder: „»Erstmal müssen wir versuchen, die Lebensmittel in sie reinzukriegen. Irgendwie müssen wir das schaffen, und wenn es klappt, dann ist sie nicht mehr tot. Verstanden?«“[46]

Für Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren ist Tod gleichbedeutend mit ‘kaputt‘. Das, was kaputt ist, lässt sich auch wieder reparieren.[47] Es scheint ganz einfach zu sein. Der Tote lässt sich mit einfachen Mitteln wieder zum Leben erwecken.

Kinder dieser Altersstufe zeigen kaum Angst hinsichtlich des Todes, da sie die Bedeutung des Todes noch nicht voll begreifen.[48] Der Tod ist vielmehr ein Ereignis, das anderen Menschen zustößt.[49]

Das Leben, das nicht ohne den Tod gedacht werden kann, scheint auf Kinder eine besondere Faszination auszuüben. Sie erleben mit allen Sinnen eine aufregende Welt, die den Tod als realistische Begebenheit in sich trägt.

»Warum?« - scheint eine der häufigst gestellten Kinderfragen zu sein. Darin zeigt sich das zunehmende Interesse an der Kausalität, das mit der kognitiven Entwicklung der Kinder in Verbindung steht.

Kinder erfahren in ihrer Umwelt das Sterben (beispielsweise bei Tieren) und sehen den Tod. »Wie lange muß sie da liegen?« und »...was passiert, wenn man gestorben ist?«[50] sind Fragen, mit deren Hilfe sich Kinder den Tod erklären wollen. Das Interesse der Kinder liegt im Verstehen der Wirklichkeit.

Während Erwachsene oft peinlich berührt oder überfordert sind, weil sie selbst eine unklare und Angst machende Vorstellung vom Tod haben, sind Kinder in ihren Fragen direkt, klar und ohne Scham. Kinder verspüren noch nicht die Angst vor dem Tod, die viele Erwachsene oftmals nur verstummen lässt. Ohne große Scheu wenden sie sich den Fragen des Lebens und des Sterbens zu, sofern ihnen ihre Umwelt dies ermöglicht.

Norbert Elias schreibt: „Nicht eigentlich der Tod, sondern das Wissen vom Tode ist es, das für Menschen Probleme schafft.“[51] Die Denkstrukturen der Kinder sind denen der Erwachsenen noch nicht vollständig angepasst. Ihr kindliches Wissen vom Tod macht ihnen folglich noch keine Probleme.

In der Alterszeitspanne zwischen fünf und neun Jahren beginnt eine gewisse Furcht vor dem Tod.[52] Häufig tritt in dieser Zeit die äußerst bedrohlich wirkende Angst vor dem Tod der Eltern im Bewusstsein der Kinder auf. Es ist die Extremform der Trennungsangst.[53]

Kinder gleichen diese angsterfüllten Gefühle durch Wunschphantasien aus. So stellen sie sich beispielsweise vor, dass die Verstorbenen für immer in gleicher Gestalt fortbestehen.[54] Kognitiv sind die Kinder dieser Altersphase in der Lage, den Tod als Tatsache zu erfassen. Doch das emotionale Akzeptieren fällt den Kindern schwer. Aus diesem Grund pendeln sie zwischen Phantasievorstellungen und realistischen Einschätzungen hin und her.

„»Hoffentlich hat Oma jetzt auch Hunger«, sagt Max und kratzt ein bisschen mit seiner Schaufel in der Erde.

»Natürlich hat sie keinen Hunger«, faucht Malva. »Sie ist doch tot!« »Aber wozu soll sie denn das ganze Essen kriegen?«

»Weil das Lebensmittel sind! Gute Lebensmittel für eine Oma, das hat die Tante in dem Laden doch auch gesagt!«[55]

Im Alter von ungefähr sieben Jahren werden sich Kinder darüber bewusst, dass der Tod etwas Endgültiges ist. Sie kennen die physischen Aspekte von Tod, wie die Bewegungsunfähigkeit eines Toten. „Als wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen belebt und unbelebt wird die Bewegung herangezogen.“[56] Tot-Sein bedeutet: nicht mehr essen, nicht mehr atmen u.a..

Zudem wissen die Kinder nun, dass der Körper zerfällt. So schreibt Tobias Brocher in einer seiner Kindheitserinnerungen: „Mein neues Wissen war damit realistisch. Ich wußte nun, daß Tote im Grabe mit der Zeit verfallen und in der Gestalt, in der sie gelebt hatten, nur in unserer Erinnerung existierten. Es war kein Schrecken, wie viele Erwachsene meinen, sondern Verstehen, daß Tod Vergehen des Lebens ist...“.[57]

Tod und Leben gehören in der Kinderwelt zusammen. So wie alles, was sich in der Wirklichkeit abspielt. Für Kinder, die nicht persönlich, nah von einem Todesfall betroffen sind, ist der Tod aus diesem Grunde auch äußerst spannend.[58] Sie fragen mit großer Neugierde nach Sterben, Tod und Beerdigung. Das Interesse an diesem Themenbereich zeigt sich z.B. deutlich darin, dass viele Kinder im Alter von ca. sieben Jahren beginnen den Friedhof zu erforschen oder Todesanzeigen in den Zeitungen studieren. Auch erste Gedanken zum Leib-Seele-Problem tauchen auf. Kinder fragen nach dem ‘danach‘, danach, wo die Toten hingehen.

„Am nächsten Morgen, als Max gerade sein zweites Glas Milch umgekippt hat, fragt Malva Mama, was passiert, wenn man gestorben ist.

»Wie meinst du das?«, fragt Mama mit ganz freundlicher Stimme, obwohl sie eine Sekunde lang ausgesehen hat, als wollte sie Max anbrüllen.

»Na, muss Oma immer nur so daliegen?« (...)

»Ich finde es langweilig«, sagt Max. »Langweilig und doof. Sie kann doch nicht nur so rumliegen!«[59]

Jüngere Kinder sind der Meinung, dass Tote Gefühlsregungen entwickeln und Aktivitäten ausüben können. Aufgrund eingeschränkter Bewegungsfreiheit im Grab müssen sich Tote langweilen, so die kindliche Ansicht.[60]

Aus den Fragen nach dem Danach, die auf Kinder bedrohlich wirken, entwickeln sich erste Unsterblichkeitsgedanken, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Bis zum Alter von vierzehn Jahren verstärkt sich diese Vorstellung.[61] Danach wird sie in der Regel von religiös überformten Vorstellungen abgelöst.

Die Vorstellungen, Gefühle und Bilder vom Tod gleichen sich mit zunehmendem Alter denen der Erwachsenen an. Kinder von etwa zehn Jahren zeigen ein großes Interesse an Dingen, die sie noch nicht kennen, von denen sie weder gehört noch gelesen haben. Fiktive oder realistische Erzählungen aus der Vergangenheit beeindrucken Kinder. Dieses Interesse hängt mit dem kindlichen Zeitverständnis zusammen. Jenes spielt eine wesentliche Rolle für den Reifegrad des jeweiligen Todeskonzeptes. Erst wenn das Kind einen Begriff von Vergangenheit und Zukunft entwickelt hat, kann es den Tod als endgültige Trennung verstehen.

Mit Hilfe der Geschichten spannen sie einen Bogen zwischen Gegenwart und Vergangenheit und bekommen somit ein Gespür für Anfang und Ende.

Kinder in der Vorpubertät beschäftigen sich darüber hinaus mit Fragen nach der Identität. »Wer war ich?«, »Wer bin ich?« oder »Wer werde ich sein?« sind Fragen der Auseinandersetzung, die den Tod mitdenken, miteinschließen.[62]

Die neun bis zehnjährigen Kinder haben ein realistisches Verständnis vom Tod. Sie sind sich darüber im Klaren, dass jedermann sterben muss. Auch sie selbst. Der Tod ist allgemeingültig und unabwendbar. Das Todeskonzept gleicht sich dem der Erwachsenen an. Nichtsdestotrotz sehen sie sich „als unendlich weit entfernt von Alter, Krankheit und Tod.“[63]

„Die Mama zuckt zusammen, als sie mich sieht. Der Papa legt ihr sacht den Zeigefinger auf die Lippen.

»Jetzt hat der Opa keine Schmerzen mehr, Michi«, sagt Papa. »Ja«, antworte ich. »Ja.«

Stimmt. Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht ist es für Opa viel schöner, tot zu sein als immer Schmerzen zu haben. Bestimmt sogar.

Mir wird plötzlich ganz leicht ums Herz. »Dann geht es dem Opa ja gut!«, sage ich laut und ein bisschen erstaunt.

Die Mama schluchzt. »Ja, hoffentlich, jetzt, wo er heimgegangen ist.«

»Das mag der Opa nicht, wenn man so was Dummes sagt!«, rufe ich. »Das hat er mir auf dem Friedhof erklärt. Der Opa ist gestorben! Einfach gestorben!« (...)

Ich muss den Opa immerfort anschauen. Einfach gestorben. So schnell geht das. Gestern hat er noch geatmet. Heute bewegt er sich nicht mehr. Mein Opa ist tot.“[64]

Wie der zehnjährige Michi in Elfie Donnellys Roman sehen Kinder dieses Alters den Tod sehr realistisch und sachlich. Man stirbt halt. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Einfach gestorben – eine Einsicht in die Lebensnotwendigkeit. Die Akzeptanz der Endgültigkeit des Todes.

Es kann festgehalten werden, dass sich das Todeskonzept mit der kognitiven Entwicklung weiter entwickelt. Mit der Einsicht in die Aspekte Nonfunktionalität, Irreversibilität, Universalität und Kausalität[65] kann eine realistische Einschätzung hinsichtlich des Todes gelingen.

Doch „das entwicklungsbedingte Wachsen des Begriffsvermögens von Tod“[66] ist nicht ausschließlich an der kognitiven Entwicklung auszumachen. Die mit den Todesvorstellungen untrennbar verbundenen Emotionen spielen eine ebenso große Rolle. Das Todeserlebnis löst einen kognitiven Prozess aus. So wollen Kinder beispielsweise wissen, was mit einem toten Lebewesen geschieht. Gleichzeitig sind sie aber emotional betroffen, da der Tod starke Ängste hervorruft.

Die bedeutendste Emotion, die bei einer Konfrontation mit dem Thema Tod entsteht, ist die Todesangst.“[67] Jene ist äußerst komplex. Sie kann sich als Angst vor dem Alleingelassenwerden, vor Trennung, Einsamkeit oder vor dem finanziellen Ruin zeigen.[68]

Die kognitive Entwicklung und die emotionalen Bewältigungsstrategien müssen zusammen gedacht werden. Je mehr Kinder über den Tod wissen, umso stärker entwickeln sich damit zusammenhängende negative Gefühle. So kann beispielsweise das Wissen um die Tatsache, dass der Tod nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, zu erhöhter Todesangst führen.

Die Todesvorstellungen und die damit verbundenen Gefühle modifizieren sich im Laufe der Kindheit. Das Begreifen von Tod darf in keiner Weise als Nebenprodukt der kindlichen bzw. menschlichen Entwicklung gesehen werden. Die Akzeptanz der Tatsache Tod gehört vielmehr zu den zentralen Herausforderungen des persönlichen und emotionalen Wachstums.[69]

2.2 Selbstwerden und Trennungsangst

Trennung und Verlust mit all den körperlichen und seelischen Schmerzen, die damit verbunden sind, sind aus dem Leben nicht wegzudenken. Kinder verlieren gerade erst Vertrautes. Sie müssen gerade erst Erobertes wieder aufgeben, um neue Schritte auf dem Weg der Entwicklung zu gehen. Der Tod/Verlust eines geliebten Menschen verändert das Leben der Kinder schlagartig und gewaltig. Er löst existentielle Ängste aus.

Die sogenannte Trennungsangst ist eine typische Folgeerscheinung. Die Bedeutung dieser spezifischen Angst erscheint mir erklärungsbedürftig. Das Wissen um die Trennungsangst macht es leichter, die Trauerreaktionen von Kindern nachzuvollziehen.

Aus diesem Grunde werde ich in Kürze die Entwicklungslehre von Margret Mahler nachzeichnen.

Margret Mahler hat Kinder in Interaktionen mit ihren Müttern in eigens dafür eingerichteten Kindergärten untersucht. Aufgrund ihrer Beobachtungen hat sie ein Konzept über die psychogenetische Entwicklung der Objektbeziehungen aufgestellt.

Der entscheidende Grundgedanke in ihrer Theorie ist der, dass die psychische Entwicklung – die Individuation – über Loslösung, Trennung und Differenzierung aus einem zunächst undifferenzierten Zustand erfolgt.

Die Persönlichkeitsentwicklung in den ersten Lebensjahren bedeutet Trennung und Loslösung einerseits und Individuation andererseits. Mahler spricht hier von der sogenannten Separations-Individuations-Phase.[70] Dieser Entwicklungsabschnitt wird von Mahler in verschiedene Phasen unterteilt.[71]

Der Zeitraum zwischen dem ersten halben und dem ersten Lebensjahr bezeichnet sie als Differenzierungsphase. Angst spielt in dieser Lebensspanne kaum eine Rolle. Die Acht-Monatsangst und die Fremdenfurcht treten in diesem Alter auf. Doch haben diese Erscheinungen nichts mit der Ablösung zu tun.

Die Säuglinge sind in der Lage, sich selbst etwas zu nehmen. Während sie sich zuvor noch auf das Aufnehmen beschränken mussten, machen sie nun die Erfahrung, dass sie selbst aktiv werden können. Die motorische Bewegungsfähigkeit nimmt zu. Die Umsetzung, die Expansion erfolgt über und mit dem Mund und den Händen.

Die Differenzierungsphase ist keine Trennungsphase. Vielmehr geht es darum, dass neue Beziehungsmöglichkeiten ausprobiert werden.[72]

Der Differenzierungsphase folgt im Alter zwischen zwölf und siebzehn Monaten die Übungsphase. Hierbei geht es vor allem um das Gesehen und Nicht-Gesehen-Werden. Das Kind übt, sich von der Bezugsperson zu entfernen. Das Kind begibt sich allein, ohne Bezugsperson, in die beängstigende Welt. Es kundschaftet die Umwelt aus. Doch kehrt es daraufhin gleich wieder in die vertraute Umgebung der Beziehungsperson zurück. Jene ist weiterhin als sichere Basis für das Kind notwendig, als Heimbasis zum emotionalen Auftanken. Das Kind erlebt nämlich auch den Schmerz der Trennung.[73].

Im Zuge dieses Trennungsabschnittes brauchen Kinder ein Übergangsobjekt. Etwas, an dem sich die Kinder in der unbekannten und angstmachenden Welt festhalten können, dem sie Liebe geben und über das sie verfügen können, etwas, was die Kinder unabhängiger von der Bezugsperson macht. Oftmals ist es ein Teddybär, der das nötige Vertrauen schenkt.

Odo Marquard beschreibt: „Kinder (...) tragen ihre eiserne Ration an Vertrautem ständig bei sich und überall mit herum: ihren Teddybären. Kinder kompensieren ihr Vertrautheitsdefizit durch Dauerpräsenz des Vertrauten (...).“[74]

Der Zeitraum zwischen dem 18. und 24. Monat ist die Phase der Wiederannäherung und der Wiederannäherungskrise. Mahler geht davon aus, dass das Kind nun zwischen gut und böse unterscheiden lernt. Es ist die Zeit, wo Angst deutlich zunimmt. Die Wiederannäherungsphase ist eine relativ kritische Periode. Sowohl für die Bezugsperson als auch für das Kind. Die erprobte Autonomie macht Angst. Das Kind wird in einer regressiven Tendenz wieder sehr anhänglich.

Im Gegensatz zum vorläufigen Stadium, in der das Kind glücklich und zufrieden zur Bezugsperson zurückgekehrt ist, erscheint es nun in seiner Stimmung sehr zu schwanken. Alles, was das Kind tut und was es erlebt, muss von der Beziehungsperson gesehen und geteilt werden. Das starke Bedürfnis nach Nähe und Aufmerksamkeit führt man auf ein erstes bewusstes Trennungs- und Verlusterlebnis zurück.

Die Wiederannäherungsphase bewirkt zuviel Nähe und eine Regression auf eine frühere Entwicklungsstufe. Daraufhin erfolgt der nächste entschiedene Trennungsschritt.

Damit das Kind in seiner Entwicklung zur Autonomie weiter gehen kann, muss es sich trennen können. Man vermutet, dass das Kind nun in einen Zwiespalt gerät. Es lebt den Widerspruch, sich von der Bezugsperson entfernen zu wollen, um eigenständig zu werden. Gleichzeitig hat es den Wunsch, auch weiterhin bei dem geliebten Menschen zu bleiben.

Die Spaltung in gut und böse tritt als notwendige Begleiterscheinung auf. Das Kind muss die Beziehungsperson auch als ‘böse‘ erleben, um dem Drang nach Autonomie nachgeben zu können. Die Loslösung wird so überhaupt erst möglich.

Dieser Zwiespalt wiederholt sich in späteren Trennungsphasen. So etwa in der Adoleszenz. In dieser Zeit kann beispielsweise ein 12jähriges Mädchen ihre Mutter als äußerst liebevolle Frau sehen und kurze Zeit später als böse Hexe erleben. Hier wird die Trennungsaggression, die das Mädchen als böse erlebt, auf die Mutter projiziert. Aus diesem Grund kann sich das Mädchen dann auch trennen.[75]

Die Internalisierung von gut und böse ist ein notwendiger Entwicklungsschritt. Hier kommt es zur Konsolidierung der Individualität und zur Ausbildung der emotionalen Objektkonstanz.[76] Die Basis für die Ambivalenz- und Beziehungsfähigkeit ist somit gelegt. Den Prozeß der Individuation und Loslösung nennt Mahler: Die psychische Geburt des Menschen.

Der kurze Abriss verdeutlicht, dass die Grundlage von Abschiedserfahrungen bzw. Trennungen in der frühesten Kindheit liegt. Das Pendeln zwischen Weggehen und Wiederkommen, zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit machen die menschliche Existenz aus. Es sind Lebensthemen, die von Geburt bis zum Tod wichtig sind.

„Sie sind ganz eng mit Verlust, Abschiednehmen und Loslassen verbunden und stellen uns somit lebenslänglich in ganz unterschiedliche Trauerprozesse.“[77]

2.3 Die Rolle der Erwachsenen: Wie Erwachsene Kindern den Tod erklären

Der Ernst des Lebens beginnt früh genug. Kinder sollen es doch gut haben, sorgenfrei leben können[78]. Auch wenn Erwachsene/Eltern ihre Kinder vor dem Tod beschützen wollen, Kinder erleben ihn im alltäglichen Leben. Die Oma eines Schulfreundes ist gestorben. Oder die zahlreichen Fernsehtoten zeigen dem Kind die Seite, die Erwachsene aussparen wollen. Kinder möchten von Erwachsenen wissen, was es heißt, tot zu sein. Sie verlangen nach Informationen und Aufklärung.

Doch was sind die Reaktionen der Erwachsenen? Wie vermitteln sie den Kindern Sterben und Tod?

In der Regel sind die Erwachsenen verunsichert was Kinderfragen hinsichtlich Tod und Sterben anbelangt, denn sie haben sehr oft nicht gelernt, über Sterben und Tod zu reden.

Die Erwachsenen vermitteln den Kindern eine Gehemmt- und Befangenheit hinsichtlich des Themas Tod. Die Folge ist, dass Kinder wiederum lernen, nicht über den Tod zu sprechen. Sie stellen keine Fragen mehr.

Tausch-Flammer und Bickel erklären diesen Kreislauf folgendermaßen: „Uns aber fällt das Sprechen meistens schwer – wir haben wahrscheinlich als Kind von unseren Eltern keine Antworten auf unsere Fragen bekommen, haben gespürt, daß die Erwachsenen mit Unsicherheit oder Unverständnis reagierten, durften Fragen nach dem Tod vielleicht nicht stellen und haben uns dann mit diesen unbeantworteten Fragen zurückgezogen.“[79]

Kinder erhalten von den Erwachsenen oftmalig nur spärliche Informationen. Hinzu kommt, dass diese weitgehend inhaltslos sind und viele Spekulationen erlauben. Kinder machen sich aber eine Vorstellung vom Tod. Sie sind deshalb auf klare, einfühlende und kindgerechte Erklärungen angewiesen. Denn „Eltern und andere Bezugspersonen tragen durch ihre Haltung maßgeblich dazu bei, daß ein Kind eine realistische Vorstellung von Tod und Sterben entwickeln kann und lernt, damit umzugehen.“[80]

2.3.1 Erklärungsversuche der Erwachsenen und deren Auswirkungen auf die kindlichen Todesvorstellungen

Die Erklärungen der Erwachsenen sind für die Entwicklung des Todesverständnisses beim Kind maßgebend. Ausweichende Antworten ziehen vielleicht auf den ersten Blick einen Schutzvorhang vor das Thema Tod. Doch die eigenen erworbenen Ängste werden an die Kinder weitergegeben. Diese können dann einen unbeschreiblichen Schaden und Schmerzen anrichten.[81] Kinder können angstbesetzte Vorstellungen entwickeln, die letztlich belastender sind als die Wirklichkeit.

Erklärungen, die Kinder eher verwirren und ihnen Angst machen können, möchte ich am Beispiel von Gahrtons und Frieds Kinderbüchern aufzeigen. Die Autoren stellen sehr gut die wohlmeinenden und unreflektierten Äußerungen von Erwachsenen dar. Die Hauptprotagonisten Malva, Max und Bruno haben, wie es bei Kindern auf Grund ihrer Neu- und Wissbegierde ist, sehr viele Fragen hinsichtlich des Todes.

„Malva und Max haben wirklich Pech. Sie haben keinen Großvater und keine andere Großmutter. Alles, was sie haben, ist eine dicke Oma, und jetzt ist sie einfach gestorben und sie dürfen nicht mal mit zur Beerdigung.

[...]


[1] Dass Kinder auch in anderen Situationen, zu anderen Anlässen trauern, ist selbstverständlich. Doch soll es in dieser Arbeit auschließlich um den Tod eines geliebten Menschen gehen.

[2] Kinderliteratur korrespondiert mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Todes- und Trauerforschung. Neben der darstellenden Funktion übernehmen Kinderbücher weitere wichtige Aufgaben. Siehe dazu Punkt 5.2.

[3] Vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 7.

[4] Kast 1986, S. 142.

[5] Wir müssen innerlich und äußerlich beweglich sein und können uns nicht auf die Stabilität der Lebens situation, in der wir uns jetzt befinden, verlassen. Wir sollen uns beispielsweise für den Beruf fortbilden und dafür monatelang in eine fremde Stadt ziehen, während die Familie und die Freunde in der alten Umgebung bleiben. Immer müssen wir Abschied nehmen und Schwierigkeiten überwinden. Immer wieder neue Aufgaben in Angriff nehmen. Doch wir nehmen nicht gern Abschied und sind nicht immer heiter, wenn sich in unserem Leben etwas ändert.

[6] Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 25.

[7] Vgl. ebd., S. 29.

[8] Vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 29.

[9] Kast 1986, S. 153.

[10] Kast 1994, S. 7.

[11] Kast 1986, S. 164.

[12] Elias 1982, S. 10.

[13] Nassehi/Weber 1989, S. 197; so hat die Kirche beispielsweise ihre Funktion und Position als sinnstift- ende Instanz verloren. (Vgl. ebd., S. 184).

[14] Ebd., S. 197.

[15] Ebd., S. 199; ein Indiz für die Verdrängung des Todes aus der Öffentlichkeit, ist der Jugendwahn. Von Diäten bis hin zu Schönheitsoperationen reichen die Versuche, jung, makellos und schön zu sein. „Altes, speziell alte Menschen, passen nicht in die ästhetischen Vorstellungen unserer Gesellschaft. Alterungsprozesse erinnern uns an unsere Endlichkeit.“ (Bruman/Knopff/Stascheit 1998, S. 16).

[16] N. Fischer merkt an, dass es nicht um eine Verdrängung des Todes geht, sondern um eine Enteignung. Der Tod ist „in ein System, das der Funktionalität größeren Wert beimißt als dem Recht auf Selbstbestimmung“ (Fischer, N. in: Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit 1999, S. 17) eingegliedert worden.

Der Tod wird dem Menschen aus der Hand genommen. Diesen Aspekt unterstreicht auch B. Spinnen, wenn er vom langsamen Sterben seines Vaters, dessen Tod mit Hilfe medizinischer Maßnahmen aufgeschoben wurde, berichtet. Spinnen sieht seinen Vater als Teil der medizinischen Maßnahme, und „es ging um das Funktionieren dieser Maßnahme“. (Vgl. Literaturen März/April, S. 44).

[17] Nassehi/Weber 1989, S. 198.

[18] Ebd., S. 198.

[19] Bauman 1994, S. 8.

[20] Die Tabuisierung des Todes zeigt sich auch in der Sprache. So wie der Tod aus dem Blickfeld jedes einzelnen Lebenden gerückt ist, so ist auch das Sprechen darüber ins Abseits gedrängt worden. Die Mehrzahl der Menschen reagiert hilflos, verunsichert oder ablehnend auf das Thema Sterben und Tod. Die Unfähigkeit, verbal das auszudrücken, was in diesen abschiedsvollen Momenten bewegt, wird zusätzlich durch ein gesellschaftlich gefordertes Verhalten untermauert. Es geht um „den Ausdruck einer starken emotionalen Anteilnahme ohne Verlust der Selbstkontrolle.“ (Elias 1982, S. 39) Das Recht und die Möglichkeit, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen hat man privat. Das heißt: im Verborgenen.

[21] Macho 1995, S. 294.

[22] Tod und Zeit hängen für den Menschen unlösbar zusammen. Zeit wird als abnehmende Lebenszeit begriffen. Jeder gelebte Tag ist ein Schritt in Richtung Lebensende. Die erfahrbare Zeitlichkeit macht dem Menschen seine Begrenztheit bewusst. Zeit wird dadurch kostbar. „Für Plessner ist der Tod am wenigsten problematisch, je sinnvoller die gelebte Zeit erscheint, d.h. je mehr die erlebte Zeit selbst als Hoffnung auf Sinn verweist.“ (Plessner, H. 1952 zit. in: Nassehi/Weber 1989, S. 197).

[23] Vgl. Jüngel 1985, S.148 in: Hennecke 1987, S. 56.

[24] Nassehi/Weber 1989, S. 207.

[25] Beck 1995, S. 249.

[26] Leist 1999, S. 15; Plieth macht ebenso darauf aufmerksam, dass das kindliche Wissen vom Tod nicht unveränderlich angeboren sei, sondern „im Wechselspiel von Erlebtem und Beigebrachtem und dessen jeweiliger Verarbeitung“ entsteht. (Plieth 2001, S. 38).

[27] Keyserkingk 1997, S. 11.

[28] Die Annahme, dass kindliche Todeskonstrukte ausschließlich durch den kognitiven Entwicklungsstand des Kindes bedingt seien, gilt mittlerweile als überholt. Unterschiedlichste Bedingungen werden für die Entstehung des kindlichen Todeskonzeptes verantwortlich gemacht. Specht-Tomann und Tropper verweisen beispielsweise auf den großen Einfluss von Kultur, Religion und Familie. (vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 59).

[29] Vgl. Brocher 1980, S.32ff.; Orbach 1990, S. 100ff.; Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 68ff. u.a.

[30] Doch sollte man diese Orientierungshilfe nicht allgemeingültig und pauschalisierend anwenden. (Vgl. Plieth 2001, S. 39).

[31] Orbach macht auf die Bedeutung der allgemeinen kognitiven Entwicklung hinsichtlich des Begreifens von Tod aufmerksam. Er hält Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung für geeignet, „die Veränderungen im Begreifen von Tod in einem größeren Zusammenhang zu sehen“. (Orbach 1990, S. 104ff.). Hier eine Kurzfassung der kognitiven Theorie:

Nach Piaget lässt sich die geistige Entwicklung des Kindes in vier Hauptstadien zusammenfassen. Die größte Leistung des Kindes in der sensumotorischen Phase (0 bis 2 Jahr) ist die Entwicklung der Motorik und die Fähigkeit, die Umwelt wahrzunehmen. Das Kind besitzt noch nicht das Wissen um die Beständigkeit von Dingen. Das Bewusstsein, dass Gegenstände oder Menschen weiter existieren, obwohl sie nicht zu sehen sind, entwickelt sich zwischen dem sechsten und achten Lebensmonat. Piaget spricht hier von der sogenannten Objektpermanenz. Diese Verinnerlichung charakterisiert den Übergang zu einer neuen Form des Denkens.
Das präoperationale Stadium beginnt mit dem Erlernen der Sprache und dem einsetzenden symbolischen Denken. Zwischen dem zweiten und vierten Jahr ist das Kind noch besonders egozentrisch. Es sieht sich selbst als Mittelpunkt der Welt. Das Kind ist noch nicht in der Lage, die Sichtweise eines anderen Menschen einzunehmen. Die kindlichen Gedanken sind durch Magie und egozentrischem Animismus gekennzeichnet.
Die zweite Hälfte dieser Phase (4 bis 7 Jahr) zeichnet sich durch einen zunehmenden und verfeinerten Spracherwerb aus. Obwohl Kinder dieser Altersstufe verstärkt abstrakt denken, basieren ihre geistigen Funktionen noch auf prälogischem Denken. Das Kind ist an die konkrete Umwelt gebunden. An das, was das Kind mit allen Sinnen wahrnehmen kann. Das Lernen erfolgt nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Probleme werden auf praktische Art gelöst.
‘Warum-Fragen‘ spiegeln das zunehmende Interesse des Kindes an der Kausalität wider. In dieser Zeitspanne verliert das Kind zusehends seinen Egozentrismus.
Im weiteren Verlauf beginnen Kinder mit logischen Problemlösungen und besitzen eine weitaus größere Vorstellungskraft, was das konkret-operationale Stadium (7 bis 12 Jahr) kennzeichnet. Allerdings sind sie noch nicht in der Lage, abstrakte Hypothesen zu entwerfen.
Mit etwa neun Jahren sind Kinder fähig, unabhängige moralische Beurteilungen zu entwickeln; die Ansichten der Eltern beispielsweise werden hinterfragt.
Mit dem formal operationalem Stadium ab ca. zwölf Jahren erreichen Kinder die vollständige Reife des Denkens. Allerdings können Kinder diese Entwicklungsstufe auch schon frühzeitiger erreichen.
Es ist wichtig, die individuelle kognitive Entwicklung jedes Kindes zu sehen. Auf diese Weise lässt sich auch das Wissen um den Tod leichter nachvollziehen. (Vgl. Oerter/Montada 1995, S. 519ff. ; Gudjons 1995, S. 124ff.).

[32] Vgl. Donnelly 1999; Fried 1997; Gahrton 1999.

[33] Gahrton 1999, S.8.

[34] Gahrton 1999, S. 8/9.

[35] Plieth 2001, S. 48.

[36] Vgl. Brocher 1980, S. 33.

[37] Fried 1997, S.1/2.

[38] Spölgen 1996, S. 23.

[39] Spölgen/Eichinger 1996, S. 23.

[40] Die Trennungsangst wird als Äquivalent menschlicher Todesangst eingestuft. (Vgl. Plieth, 2001, S. 49).

[41] Zlotowicz 1983, S. 60.

[42] Vgl. Mahler u.a. 1978: Die psychische Geburt des Menschen.

[43] Vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 61.

[44] Vgl. Spölgen/Eichinger 1996, S. 22.

[45] Gahrton 1999, S. 28.

[46] Gahrton 1999, S.30.

[47] Vgl. Schindler 1993, S. 64.

[48] Gedanken machen Gefühle.

[49] Vgl. Brocher 1980, S.32.

[50] Ebd., S.12.

[51] Elias 1982, S. 12.

[52] Orbach weist daraufhin, dass Kinder im Alter von sieben Jahren „Einsicht in alle Aspekte von Tod“ haben. (Orbach 1990, S.102).

[53] Vgl. Spölgen/Eichinger 1996, S. 23.

[54] Ebd., S. 32/33.

[55] Gahrton 1999, S. 29/30.

[56] Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 75.

[57] Brocher 1980, S. 11.

[58] Vgl. Schindler 1993, S. 64.

[59] Gahrton 1999, S. 12.

[60] Brocher stellt folgendes Beispiel vor: „Im Sarg, glaube ich, müssen meine Oma und mein Opi auf den lieben Gott warten, weil der noch so viel arbeiten muß mit den anderen toten Menschen. Weil er die Seelen zählt.“ (Brocher 1980, S. 22). Langeweile also infolge einer Passivierung. Die Äußerung stammt von einem bereits neunjährigen Jungen. Das macht deutlich, dass die altersbezogenen Angaben hinsichtlich der Entwicklung kindlicher Todesvorstellungen relativ einzustufen sind.

[61] Vgl. ebd., S. 33.

[62] Vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 78.

[63] Ebd., S. 33.

[64] Donnelly 1999, S. 133.

[65] Der Begriff der Nonfunktionalität beschreibt das Verständnis für „den Zusammenhang zwischen Leben und funktionierenden Körperfunktionen einerseits und Tod und dem Aussetzen dieser lebenswichtigen Funktionen andererseits.“ (Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 66).
Irreversibilität meint, dass der Tod nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Einsicht, dass alle Menschen sterben müssen, umfasst der Begriff der Universalität. Dass der Tod biologische Ursachen hat wird unter dem Stichwort Kausalität verstanden. (Vgl. ebd.).

[66] Orbach 1990, S.109.

[67] Spölgen/Eichinger 1996, S. 25.

[68] Vgl. Leist 1999, S. 18.

[69] Vgl. Orbach 1990, S. 110.

[70] Mahler u.a. 1978.

[71] Vgl. Kast 1996, S. 73ff.

[72] Ebd., S. 74.

[73] Vgl. Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 55.

[74] Marquard 2000, S. 72.

[75] Vgl. Kast 1996, S. 75.

[76] Objektkonstanz meint, dass ein Objekt auch bei realer Abwesenheit konstant innerlich präsent ist. Und zwar mit all seinen unterschiedlichen guten und bösen, liebens- und hassenswerten Aspekten. (Vgl. Kast 1996, S. 77).

[77] Specht-Tomann/Tropper 2000, S. 55.

[78] Im (pädagogischen) Alltag mit Kindern und den verantwortlichen Erwachsenen kann man häufig ein Gefühl von Gleichgültigkeit auf Seiten der Erwachsenen erleben. Gleichgültigkeit hinsichtlich der Sorgen und Ängste der Kinder.

[79] Tausch-Flammer/Bickel 1998, S.19.

[80] Reitmeier/Stubenhofer 1998, S. 13.

[81] Vgl. Kübler-Ross 2000, S. 87.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832474898
ISBN (Paperback)
9783838674896
DOI
10.3239/9783832474898
Dateigröße
847 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster – 6, Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (Dezember)
Note
1,8
Schlagworte
todesverständnis trauer emotion trauerreaktion trauerbegleitung kindern erwachsene trauervorbild
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Titel: Kinder in Trauer
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