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Vertrauensbeziehungen in Unternehmen

Zum spezifischen Vertrauensverhältnis zwischen Top-Management und hochqualifizierten Angestellten

©2001 Diplomarbeit 116 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Zentrales Thema dieser Arbeit ist die Frage nach den Grundlagen kooperativer und auf Vertrauen basierender Arbeitsbeziehungen zwischen hochqualifizierten Angestellten und dem Top-Management. Diesbezüglich werden zum einen die spezifischen Funktionen von persönlichem Vertrauen und Systemvertrauen in Organisationen erläutert. Zum anderen wird der Zusammenhang von Reorganisationsprozessen, firmenkulturellem Wandel und der Stabilität von Vertrauensbeziehungen am Beispiel von empirischen Fallstudien analysiert.
Das erste Kapitel knüpft zunächst an die innerhalb der britischen und deutschen Industriesoziologie geführte Debatte um die Kontrolle des Arbeitsprozesses an und erweitert den Diskurs um die Kategorie des Vertrauens. Nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch, sondern auch in der managementorientierten sowie industriesoziologischen Literatur findet sich häufig ein diffuser bzw. missverständlicher Vertrauensbegriff.
Im Zentrum des zweiten Kapitels steht deshalb zunächst eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Vertrauen aus kultur-, system- und handlungstheoretischer Perspektive. Mithilfe der unterschiedlichen Ansätze wird der Frage nachgegangen, wie persönliche Vertrauensbeziehungen entstehen und inwieweit dadurch eine vorteilhafte Kooperation ermöglicht wird. Es wird verdeutlicht, dass Vertrauen auch eine „bindende“ oder „sozialintegrative“ Kraft auf die beteiligten Akteure ausübt. Grundlegende Aspekte der Genese und Stabilisierung von Vertrauen in persönlichen Beziehungen und sozialen Systemen werden herausgestellt. Sie bilden eine solide theoretische Grundlage, um die Literatur zum Stellenwert und der Funktion von Vertrauensbeziehungen in Organisationen kritisch zu reflektieren.
Kapitel drei beleuchtet den organisatorischen und unternehmenskulturellen Handlungskontext, in den die Vertrauensbeziehungen zwischen Top-Management und hochqualifizierten Angestellten eingebettet sind. Zunächst werden relevante Aufgaben und Funktionen beider Akteure berücksichtigt. Es wird veranschaulicht, dass der hohe Stellenwert gegenseitigen Vertrauens nicht nur aus dem spezifischen Charakter der Arbeit von betrieblichen Experten und Führungskräften, sondern auch aus deren beruflichem Selbstverständnis resultiert. Wesentliche Elemente einer vertrauensbasierten Mitarbeiterführung werden dabei ebenso behandelt wie firmenkulturelle Aspekte, die eine wichtige Grundlage des „implizit psychologischen Vertrags“ zwischen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6063
Kels, Peter: Vertrauensbeziehungen in Unternehmen - Zum spezifischen Vertrauensverhältnis
zwischen Top-Management und hochqualifizierten Angestellten
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Frankfurt am Main, Universität, Diplomarbeit, 2001
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

1
I
NHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS ...1
EINLEITUNG ...3
1. INDUSTRIELLE BEZIEHUNGEN ALS GEGENSTAND SOZIOLOGISCHER
THEORIEBILDUNG ...8
1.1
Der kontrolltheoretische Ansatz ... 8
1.2
Betriebliche Einbindung durch Konsens ... 10
1.3
Legitimation von Herrschaft als Mechanismus sozialer Integration ... 12
1.4
Vertrauen und Misstrauen zwischen Management und Arbeitnehmern ... 14
2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN ZUM VERSTÄNDNIS DER KONSTITUTION
UND FUNKTION VON VERTRAUEN ...20
2.1
Kulturtheoretische Thematisierung des Vertrauensbegriffs bei Simmel ... 22
2.2
Vertrauen aus handlungstheoretischer Sicht: Colemans ,,Sozialtheorie"... 23
2.2.1
Theoretische Vorannahmen des Vertrauensmodells...23
2.2.2
Zur Konstitution von Vertrauen...25
2.3
Vertrauen aus systemtheoretischer Perspektive: die Reduktion von sozialer
Komplexität bei Luhmann ... 26
2.3.1
Zum Verhältnis von Vertrauen und Vertrautheit ...27
2.3.2
Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität...28
2.3.3
Aufbau und Funktion persönlicher Vertrauensbeziehungen...30
2.3.4
Aufbau und Funktion von Systemvertrauen ...31
2.3.5
Vertrauen als Moment der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen ...32
2.3.6
Zum Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen...33
2.3.7
Zur Rationalität von Vertrauen und Misstrauen in der Arbeitsorganisation...34
2.4
Zusammenfassung... 35
2.4.1
Konstitution und Stabilisierung von persönlichen Vertrauensbeziehungen ...36
2.4.2
Bedingungen der Etablierung und Stabilisierung von Vertrauenssystemen ...37
3. VERTRAUEN ALS MECHANISMUS DER SOZIALEN EINBINDUNG VON
ANGESTELLTEN UND EXPERTEN IN ORGANISATIONEN ...39
3.1
,,Top-Management" und ,,hochqualifizierte Angestellte" als betriebliche Akteure... 39
3.1.1
Aufgaben und Funktionen des ,,Top-Managements"...40
3.1.2
Zur Gruppe der ,,hochqualifizierten Angestellten"...44
3.1.2.1
Aufgaben und Funktionen...45

2
3.1.2.2 Berufliches
Selbstverständnis ...46
3.2
Zum Konzept ,,hoher Vertrauensbeziehungen" zwischen Angestellten und
Management ... 48
3.2.1
Konstitution von Vertrauen durch sozialen Austausch...48
3.2.2
Sozialer Austausch und Vertrauen zwischen Management und hochqualifizierten
Angestellten ... 49
3.2.3
Mitarbeiterführung im Rahmen ,,hoher Vertrauensbeziehungen" ...51
3.2.4 Interessenhandeln
innerhalb
,,hoher Vertrauensbeziehungen" ...53
3.3
Vertrauensbeziehungen als Bestandteil der ,,betrieblichen Sozialordnung" ... 54
3.3.1
Vertrauen, Kooperation und soziale Kontrolle als Teil der Arbeitkultur von
,,hochqualifizierten Angestellten"...54
3.3.2 Das
Mitarbeiter-Vorgesetzten-Verhältnis ...56
3.3.3
Vertrauensbeziehungen zwischen ,,Top-Management" und ,,hochqualifizierten
Angestellten"...57
3.3.4
Muster des Interessenhandelns ,,hochqualifizierter Angestellter" ...61
3.4
Zusammenfassung... 63
4. VERTRAUENSBEZIEHUNGEN IM WANDEL ­ EROSION VON
SOZIALINTEGRATION?...68
4.1
Führungskräfte im Wandel der ,,Firmenkultur" ... 69
4.1.1
Auswirkungen des Personalabbaus auf die Vertrauensbeziehungen zwischen
,,hochqualifizierten Angestellten" und ,,Top-Management"...71
4.1.2
Reorganisation und Vertrauen ­ ein ambivalentes Verhältnis...72
4.1.3
Zum Wandel des ,,Sozialcharakters" des Top-Managements...76
4.1.4
Auswirkungen auf soziale Integration und Loyalität...80
4.1.5
Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ...82
4.2
Interpretation der empirischen Ergebnisse aus Perspektive der unterschiedlichen
Vertrauenstheorien ... 85
4.3
Die These der Transformation traditioneller Vertrauensbeziehungen ... 91
5. FAZIT UND AUSBLICK ...96
5.1
Kritische Würdigung der Konzepte ,,hoher Vertrauensbeziehungen" und der
,,betrieblichen Sozialordnung" ... 97
5.2
Zum Verhältnis von Vertrauen und ,,ideologischer Kontrolle"... 99
5.3
Ausblick ... 103
LITERATURVERZEICHNIS ...107

3
E
INLEITUNG
,,Wer Vertrauen erweist, nimmt die Zukunft vorweg.
Er handelt so, als ob er der Zukunft sicher wäre."
N
IKLAS
L
UHMANN
(2000: 9)
,,Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen,
der völlig Nichtwissende kann vernünftigerweise nicht
einmal vertrauen."
G
EORG
S
IMMEL
(1983: 263)
Ein Blick in die jüngere industrie- und organisationssoziologische Literatur zeigt, dass der klassi-
schen, auf Taylorismus und dem Bürokratiemodell beruhenden Arbeitsorganisation kaum noch
Chancen für die Bewältigung des gegenwärtigen Strukturwandel eingeräumt werden. In dem durch
Globalisierung, intensivierten Wettbewerbsdruck und Krisenerfahrungen geprägten Wirtschafts-
standort Deutschland vollzieht sich seit Beginn der 90er Jahre eine umfassende Reorganisation aller
Unternehmensbereiche. Erklärtes Ziel ist die Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfä-
higkeit. Die gesellschaftlichen und individuellen Folgen dieser im wesentlichen auf Dezentralisie-
rung und Vermarktlichung zurückzuführenden Restrukturierung
1
sind allgemein bekannt und allge-
genwärtig: der Verlust von Arbeitsplätzen infolge eines massiven Hierarchie- und Personalabbaus
und die damit einhergehende Verabschiedung vom Prinzip der Arbeitsplatzsicherheit. Ein von staat-
licher Seite betriebener Abbau der sozialstaatlichen Sicherungssysteme folgt einem ähnlichen Mus-
ter und trägt zu einer weiteren Schwächung des Arbeitnehmerstatus bei.
2
In Anbetracht dieses durch
Irritation und Verunsicherung geprägten Klimas der Arbeitsbeziehungen überrascht es, dass das
Thema Vertrauen im Zusammenhang mit neuen Organisationskonzepten
3
ebenso eine ,,fröhliche
Konjunktur" feiert wie in den öffentlichen Bekenntnissen einiger Manager, die alte Kontrollformen
für obsolet halten und für die Einrichtung einer auf Vertrauen basierenden Unternehmenskultur plä-
dieren. Hierzu einige Beispiele:
,,Vertrauen ist ein ganz zentraler Grundsatz unserer Unternehmenskultur. Ohne Vertrauen können wir
nicht arbeiten". Heinrich Flik, Geschäftsleiter der deutschen Gore GmbH.
4
,,Wenn es Vertrauen gibt, sind die Mitarbeiter engagierter. Dadurch kann ein Unternehmen schneller auf
Veränderungen reagieren." Unternehmensberater Strasser
5
1
Vgl. Sauer / Döhl (1996)
2
Vgl. Kaufmann (1997); Offe (1995)
3
So z.B. der Unternehmenskulturansatz, Konzepte des organisationalen Wandels oder die auf zwischenbetrieblichen
Kooperationsbeziehungen beruhenden ,,virtuellen" Unternehmensstrukturen. Vgl. u.a. Nieder (1997), Ripperger (1998)
und Kahle (1999)
4
Wientgen, Karin: ,,Die Mitarbeiter durch Vertrauen motivieren. Klassische Kontrollformen in den Unternehmen grei-
fen nicht mehr oder sind zu teuer / Vorreiter Gore, Ford und Hewlett Packard." , Tagesspiegel am 12. April 1998.
5
Ebd.

4
,,Vorgesetzte mussten sich von Aufsicht und Kontrolle früheren Zuschnitts lösen, Verantwortung und
Kompetenzen delegieren und ein Klima der Zusammenarbeit schaffen, das von gegenseitigem Vertrauen
gekennzeichnet ist. Dazu gehört - in kontrolliertem finanziellem Rahmen - auch Toleranz gegenüber
Fehlern der Mitarbeiter, sofern sie nicht die Betriebssicherheit tangieren."
6
Als Referenzpunkt dieser Arbeit dient die innerhalb der britischen und deutschen Industriesoziolo-
gie geführte Debatte um die Kontrolle des Arbeitsprozesses durch das Management. Eine zentrale
Erkenntnis dieser Debatte lautet, dass das Festhalten an einem rein funktionalistisch orientierten
Kontrollbegriff zahlreiche Erklärungsdefizite verursacht. Erstens kann der Entwicklungsprozess
industrieller Beziehungen nicht angemessen analysiert werden. Zweitens werden Beschäftigte nicht
in ihrer Subjektivität wahrgenommen; Aspekte der sozialen Integration können demnach nicht kon-
zeptionell erfasst werden
Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, das Kontrollparadigma um die Kategorie des Vertrauens zu erwei-
tern. Durch die Fokussierung von Vertrauensbeziehungen zwischen Management und Angestellten
kann die Frage nach der Kontrolle des Arbeitprozesses aus einer neuen Perspektive diskutiert wer-
den. Für den Bereich hochqualifizierter Angestelltenarbeit wurden bereits Mitte der 80er Jahre hohe
Vertrauensbeziehungen postuliert.
7
Arbeitssoziologische Studien haben den hochqualifizierten An-
gestellten aufgrund ihres Expertenwissens und ihren Fähigkeiten eine Sonderstellung auf dem Ar-
beitsmarkt und innerhalb der Großbetriebe attestiert. Aufgrund des besonderen Loyalitätsverhältnis-
ses zum Management wird diese Arbeitnehmergruppe auch als ,,Unternehmensbourgeoisie" be-
zeichnet.
8
Vertrauen wird oftmals entweder als Vorprodukt oder Resultat gegenseitiger Kooperation
betrachtet. Innerhalb kooperativer Arbeitsbeziehungen verzichtet das Management auf eine zwang-
hafte Durchsetzung eigener Interessen und vertraut der freiwilligen Leistungserbringung seiner An-
gestellten.
Da Vertrauensbeziehungen aber auf Wechselseitigkeit beruhen, erwarten die Angestellten neben
einem entsprechenden Interessenausgleich ein partnerschaftliches Verhältnis zum Management.
Interessenkonflikte werden unter Ausschaltung des Betriebsrats mit dem unmittelbaren Linienvor-
gesetzten geregelt.
6
Http: //www.bahn.de/db_holding/personalbericht/#1: ,,Von der Verordnungs- zur Vertrauenskultur", 2. April 2001
7
Vgl. Heisig (1986: 249-250, 252ff.)
8
Vgl. Kotthoff (1997: 18-23), Kern (1996, 1998) sowie Baethge / Denkinger / Kadritzke (1995: 11-12)

5
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ,,Vertrauensbeziehungen zwischen Top-Management und
hochqualifizierten Angestellten" setzt einen klar umrissenen Vertrauensbegriff voraus.
Innerhalb der zugrundegelegten industriesoziologischen Literatur wird der Vertrauensbegriff oft-
mals nicht explizit definiert. In einigen Fällen erfolgt ein Rückgriff auf unterschiedliche Vertrau-
enskonzepte, die auf z.T. widersprüchlichen Akteurskonzeptionen beruhen. Wie schwierig diese
Forderung nach einer einheitlichen und in sich homogenen Vertrauenstheorie ist, zeigt allein schon
die Pluralität der Begriffsverwendung.
9
Im Zentrum des zweiten Kapitels steht deshalb eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Ver-
trauensbegriff. Mithilfe von unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätzen wird der Frage
nachgegangen, wie persönliche Vertrauensbeziehungen entstehen und inwieweit dadurch eine vor-
teilhafte Kooperation ermöglicht wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Vertrauen eine ,,bin-
dende" oder ,,sozialintegrative" Kraft auf die beteiligten Akteure ausübt. Zunächst erfolgt eine
knappe Darlegung des kulturtheoretisch orientierten Ansatzes von Georg Simmel, der die Konstitu-
tion von Vertrauen auf ein an moralischen Normen orientiertes Verhalten der Akteure zurückführt.
Gegensätzlich dazu ist der im Rahmen von James Colemans Sozialtheorie entfaltete Vertrauensbeg-
riff zu verstehen. Nach Coleman beruht die Vertrauensentscheidung nicht auf dem Glauben an die
Ehrlichkeit und Verlässlichkeit des Menschen, sondern auf dem rationalen Kalkül eines ,,homo oe-
conomicus", der Vertrauen nur unter der Voraussetzung eines antizipierten Kooperationsgewinns
schenkt.
Geht man davon aus, dass innerhalb der ,,industriellen Beziehung" zwischen Top-Management und
hochqualifizierten Angestellten sowohl zweckrationale als auch lebensweltlich verankerte gegensei-
tige Erwartungen existieren, dann scheint die Auswahl der genannten theoretischen Perspektiven
fruchtbar. Eine sehr differenzierte Analyse der Funktionen von persönlichen Vertrauensbeziehun-
gen und Systemvertrauen liefert Niklas Luhmann. Er zeigt, dass das Überlebenspotential sozialer
Systeme wesentlich von der Fähigkeit abhängt, soziale Komplexität zu reduzieren.
9
Die ursprünglich Bedeutung von (Ver-) Trauen ist ,,fest, treu (in seinem Verhalten, seiner Meinung) sein". Aus dem
Geläufigen ,,glauben, hoffen, zutrauen" entwickelt sich ,,vertrauen, Glauben schenken". ,,Zuversichtlich hoffen" geht
bei reflexivem Gebrauch über zu ,,wagen, riskieren". Anvertrauen (seit dem 13. Jh. im Sinne von ,,ehelich verbinden",
im 17.Jh. ,,jemandem die Ausführung und Angelegenheit vertrauensvoll übertragen". Vertrauen als Verb im Sinne von
,,sich worauf verlassen, fest glauben", ,,versprechen, geloben" (im Sinne der Vermählung). Vertraut als Adjektiv im
Sinne von ,,beherzt, zuversichtlich, zuverlässig" (16. Jh.), ,,eng befreundet, gut bekannt" (17. Jh.). Vertrauen als ,,fester
Glaube an jmds. Zuverlässigkeit und Treue, Zuversicht (15. Jh.). Vertraulich als ,,nicht für die Allgemeinheit bestimmt,
offenherzig, vertraut" (16. Jh.). Anvertrauen als Verb im Sinne ,,vertrauensvoll übergeben, in Obhut nehmen, vertrau-
lich, im geheimen mitteilen", ,,sich vertrauensvoll an jemanden wenden" (16. Jh.), zuerst im Sinne von ,,zutrauen, ver-
trauen". Zutrauen als Verb im Sinne ,,von jemandem glauben, dass er die Fähigkeiten, Eigenschaften für etwas besitzt"
(16. Jh.), früher auch ,,anvertrauen"; Zutrauen als ,,Glaube an jmds Fähigkeiten und Zuverlässigkeit" (18. Jh.). Vgl.
Pfeifer (1999: 1451-1452)

6
Vertrauen ist aus systemtheoretischer Perspektive ein geeigneter Mechanismus, um die Orientie-
rungs- und Handlungsfähigkeit sozialer Akteure sicherzustellen und damit zu einer Erhaltung und
Stabilisierung des Handlungssystems beizutragen.
Auf Basis dieser Konzepte wird ein Modell entwickelt, welches grundlegende Aspekte der Vertrau-
ensbildung und ­Stabilisierung herausstellt. Zudem liefert es eine solide theoretische Grundlage,
um die industriesoziologisch ausgerichtete Literatur zum Stellenwert und der Funktion von Ver-
trauensbeziehungen zu reflektieren.
Im Kapitel 3 werden der organisatorische und unternehmenskulturelle Handlungskontext beleuch-
tet, in den die Vertrauensbeziehungen zwischen Management und Angestellten eingebettet sind.
Zunächst werden relevante Aufgaben und Funktionen beider Akteure berücksichtigt. Wie noch zu
zeigen ist, ergibt sich der hohe Stellenwert gegenseitigen Vertrauens nicht nur aus dem spezifischen
Charakter der Arbeit von betrieblichen Experten und Führungskräften, sondern auch aus deren be-
ruflichem Selbstverständnis. Auf der Grundlage des bis dahin erreichten Erkenntnisstandes soll ein
spezifisches Modell konstruiert werden, das die Konstitution und Funktion der Vertrauensbezie-
hungen zwischen Management und hochqualifizierten Angestellten angemessen erklärt. Die zentra-
len Aspekte der besprochenen Ansätze ,,hoher Vertrauensbeziehungen"
10
und ,,betrieblicher Sozial-
ordnung"
11
werden dabei mit den vertrauenstheoretischen Grundlagen verbunden.
Das vierte Kapitel thematisiert das wechselseitige Verhältnis von betrieblichen Transformations-
prozessen und vorhandenen Vertrauensbeziehungen. Am Beispiel der Führungskräftestudie von
Hermann Kotthoff
12
werden die Auswirkungen eines durch Reorganisation, Personalabbau und per-
sonellen Austausch des Top-Managements ausgelösten ,,firmenkulturellen" Wandels auf die ge-
wachsenen Vertrauensbeziehungen untersucht. Es wird deutlich, dass vorhandene Vertrauensbezie-
hungen unter bestimmten Voraussetzungen die Chancen einer erfolgreichen Bewältigung von Reor-
ganisationsprozessen für beide Seiten entscheidend verbessern. Möglichkeiten eines Erhalts von
Vertrauensbeziehungen angesichts der gegenwärtigen Entwicklung von Reorganisation und Unter-
nehmenspolitik werden abschließend diskutiert.
Es stellt sich die Frage, ob Vertrauensbeziehungen eine Emanzipation der Beschäftigten aus den
betrieblichen Herrschaftsbeziehungen ermöglichen oder vielmehr ,,letzte Finte des Kapitals" zu be-
10
Vgl. Gondek / Heisig /Littek (1992), Heisig (1989, 1992, 1997) sowie Heisig / Littek (1986,1995)
11
Vgl. Kotthoff (1992, 1996, 1997, 1998)
12
Vgl. Kotthoff (1997)

7
trachten sind. Im Fazit erfolgt deshalb eine ideologiekritische Reflexion des Vertrauenskonzepts. Es
kann allerdings schon vorweggenommen werden, dass die spezifische Arbeits- und Sozialbeziehung
zwischen Top-Management und hochqualifizierten Angestellten letztlich doch in einer differenzier-
teren Weise betrachtet werden muss, als es die polemische Zuspitzung dieser Frage suggeriert.

8
1.
Industrielle Beziehungen als Gegenstand soziologischer Theoriebildung
1.1
Der kontrolltheoretische Ansatz
Den Ausgangspunkt der Wiederentdeckung des Kontrollproblems bildet Henry Bravermans Werk
,,Labour and Monopoly Capital", das 1974 erschienen ist
13
. Er sieht die zentrale Aufgabe des Ma-
nagements in Übereinstimmung mit Marx darin, als Repräsentant des Kapitals die Kontrolle über
den Arbeitsprozess zu erlangen und ein bestimmtes Arbeits- und Leistungsverhalten - notfalls durch
Anwendung von Zwangsmaßnahmen - durchzusetzen.
14
Nach Braverman kann die Leistung, zu der sich der Arbeitende verpflichtet, nicht eindeutig arbeits-
vertraglich definiert werden. Aus der Unbestimmtheit des Arbeitsvertrages leitet er die Notwendig-
keit einer manageriellen Kontrolle des Arbeitsprozesses ab. Folglich müssen die konkreten Aus-
tauschbedingungen im Arbeitsprozess selbst festgelegt werden. Der Arbeitsvertrag kann die diver-
gierenden Interessen zwischen Kapital und Arbeit nicht auflösen.
15
Während das Management im
Sinne der Gewinnmaximierung an möglichst niedrigen Lohnkosten bei einer maximalen Arbeits-
leistung interessiert ist, streben die Arbeitnehmer eine hohe Entlohnung an, die in einem angemes-
senen Verhältnis zur aufgewendeten Arbeitsmühe steht.
16
Braverman betrachtet die Methoden und Prinzipien des von Taylor geprägten ,,Scientific Manage-
ment"
17
als historisch erfolgreichste und effizienteste Form der Arbeitsorganisation
18
. Mit dem Tay-
lorismus verbinden sich folgende Aspekte der Gestaltung des Arbeitsprozesses:
1.
Loslösung des Arbeitsprozesses von Fertigkeiten und Wissen der Arbeitenden.
2.
Eine Trennung von dispositiver und ausführender Arbeit.
3.
Eine ,,Monopolisierung" des Wissens über den Arbeitsprozess zum Zweck einer umfassen-
den manageriellen Kontrolle.
19
13
Die Rezeption und kritische Auseinandersetzung mit Braverman löste die sog. ,,Labour Process Debate" aus. Sie
nahm in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zunächst in Großbritannien ihren Anfang und wurde im Rahmen eines über-
wiegend in der deutschen Industriesoziologie geführten Diskurses fortgesetzt. Ab Mitte der 80er Jahre kündigte sich
schließlich eine Perspektivenerweiterung an: Aspekte der Konsensbildung, Legitimation von Herrschaft, Kultur und
Ideologie traten verstärkt ins Zentrum der Diskussion. Vgl. Hofbauer (1993: 146-147, 152, 168-170)
14
Vgl. Schienstock (1993: 277) sowie Weitbrecht / Braun (1999: 80)
15
Vgl. Schienstock (1993: 276-277)
16
Vgl. Müller-Jentsch (1986: 30)
17
Vgl. Taylor, F.W.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München 1913
18
Vgl. Schienstock (1993: 277-278)

9
Die Anwendung tayloristischer Prinzipien führt nach Braverman zur Dequalifizierung und Degra-
dierung von Arbeitskräften und bewirkt eine vollständige Unterwerfung menschlicher Arbeit durch
das Kapital. Der Taylorismus sichert demzufolge eine höchst effiziente Nutzung der Arbeitskraft
und entzieht einem möglichen Widerstandshandeln jegliche Grundlage.
20
Andrew Friedman widerspricht Bravermans Annahme, dass die tayloristische Form der Kontrolle
des Arbeitsprozesses als einzig denkbare und wirksame Methode betrachtet werden muss.
21
Neben
der innerhalb kapitalistischer Produktion hervorgebrachten ,,direkten Kontrolle", die dem tayloristi-
schen Kontrollmodell entspricht, hat sich eine darüber hinaus gehende Kontrollform entwickelt. Im
Rahmen einer ,,verantwortlichen Autonomie" erhalten die Beschäftigten nicht nur den Status von
Mitarbeitern, sondern verfügen über Handlungs- und Entscheidungsspielräume innerhalb der Ar-
beitsausführung. Diese Kontrollform zielt jedoch nicht auf eine Humanisierung menschlicher Ar-
beit, sondern auf die Herstellung der Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten. Das Management
vermeidet so den Widerstand der Beschäftigten und kann subjektive Ressourcen, d.h. ,,ihre organi-
satorischen Kompetenzen, ihr Produktionswissen, ihre Fähigkeit zu eigenverantwortlichem unter-
nehmerischen Handeln", effizienter nutzen.
22
Dahinter steht das Leitbild einer (wenn auch vermeintlichen) Partnerschaft zwischen Management
und Beschäftigten. Hofbauer unterstreicht, dass sich ,,verantwortliche Autonomie" in erster Linie
für höher qualifizierte Angestellte als effektiver Integrations- und Koordinationsmechanismus er-
weist, da sich deren Tätigkeit einer tayloristischen Kontrolle entzieht und ihre Fähigkeiten nicht
ohne weiteres ersetzbar sind. Aufgrund des hohen Stellenwerts dieser Personengruppe kann die
,,verantwortliche Autonomie" als Managementstrategie betrachtet werden. Sie wird eingesetzt, um
die Loyalität, Motivation und ideologische Einbindung der Mitarbeiter durch Zugeständnisse an
Eigenverantwortung und einen Rückzug direkter Kontrollen sicherzustellen.
23
Neben Friedman distanziert sich auch Richard Edwards von der Vorstellung einer universal gülti-
gen und wirksamen Kontrollform. Aus dem historischen Verlauf der Industrialisierungsgeschichte
rekonstruiert er die Evolution unterschiedlicher Kontrollformen des Managements.
19
Vgl. Hofbauer, Johanna (1993: 155)
20
Vgl. Schienstock (1993: 277-278) sowie Hofbauer, Johanna (1993: 155-156)
21
Vgl. Friedman, A.: Industry and Labour: Class Struggle at Work and Monopoly Capitalism. London 1977
22
Hofbauer (1993: 156-157)
23
Vgl. Hofbauer (1993: 157)

10
Edwards unterscheidet zwischen persönlicher und einfacher Kontrolle, technischer Kontrolle und
bürokratischer Kontrolle.
24
Der Beitrag von Friedman und Edwards für die Weiterentwicklung des Kontrollparadigmas kann
darin gesehen werden, dass die Kontrolle des Arbeitsprozesses systematischer und historisch diffe-
renzierter betrachtet wird. Subjektive Dimensionen sind in die Konzeption mit aufgenommen wor-
den. Allerdings ist auch hier die schon bei Braverman geäußerte Vorstellung eines allmächtigen
Managements zu kritisieren, welches den Arbeitsprozess uneingeschränkt und ohne Einflussmög-
lichkeiten der Beschäftigten kontrolliert.
25
1.2
Betriebliche Einbindung durch Konsens
Michael Burawoy ist einer der entschiedensten Kritiker des von Braverman formulierten Kontroll-
konzepts. Seine Vorstellung von der Gestaltung des Arbeitsprozesses
26
hebt sich von Edwards inso-
fern ab, als er die Vorstellung eines zwingenden Interessengegensatzes zwischen den Kontrollstra-
tegien des Managements und den Beschäftigten in Frage stellt. Burawoy schreibt den Beschäftigten
eine mitstrukturierende Funktion in der Ausgestaltung des Arbeitsprozesses zu. Die Herstellung von
Konsens betrachtet er ,,als ein universales Moment der Arbeitsprozessgestaltung", als aktiven Bei-
trag der Beschäftigten ,,zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse".
27
Bu-
rawoy führt die hohe Leistungsbereitschaft der Beschäftigten nicht auf die Effizienz materieller und
ideologischer Herrschaftsstrukturen zurück. Als Ursache sieht er vielmehr den Wunsch, selbst unter
restriktiven Bedingungen mit zur Gestaltung des Arbeitsprozesses beizutragen und aus der Arbeit
ein Moment der Befriedigung zu ziehen. Die Herstellung von Konsens vollzieht sich in der Arbeits-
praxis in Spielen des ,,making out". Diese stellen aber letztlich keine Opposition zu den Profitinte-
ressen des Managements dar, sondern stehen in Einklang mit ihnen. Da die Spiele letztlich doch den
Profitinteressen des Managements dienen und zu einer Legitimierung der Herrschaftsverhältnisse
beitragen, kann das Management seine Machtposition festigen.
Burawoy interpretiert den Konsens der Beschäftigten über die Gestaltung des Arbeitsprozesses als
strategisches Handeln, in dem ihr Interesse an Profitabilität und Fortbestand der Unternehmung zum
24
Vgl. Edwards, Richard: Die Herrschaft im modernen Produktionsprozess. Campus-Verlag. Frankfurt am Main; New
York, 1982 (im Original 1979). Zitiert aus: Hofbauer, Johanna (1993: 157-159)
25
Vgl. Hofbauer (1993: 158-159)
26
Vgl. Burawoy, M.: Manufacturing Consent: Changes in the Labour Process under Monopoly Capitalism. University
of Chicago Press. Chicago, 1979. Zitiert aus: Hofbauer, Johanna (1993: 159-162)

11
Ausdruck kommt.
28
Schienstock gibt jedoch kritisch zu Bedenken, dass die Frage, ob es in den be-
schriebenen Spielsituationen zu Konsens kommt, von der Situationsdeutung der Beschäftigten ab-
hängt:
,,Wird die Gewährung eines begrenzten Ausmaßes an Autonomie im Arbeitsprozess von den Beschäftig-
ten als rein ökonomisch motiviert angesehen, steht zu erwarten, dass sie eine Konfliktorientierung beibe-
halten, auch wenn ein zugestandener Handlungsspielraum von ihnen zur Verfolgung ihrer eigenen Inte-
ressen genutzt werden kann. Das bedeutet aber auch, dass Widerstand und Opposition wahrscheinlich
werden, sobald die Beschäftigten in der Verfolgung ihrer eigenen Interessen eingeschränkt werden."
29
Burawoy postuliert einen Wandel in der Organisation des Arbeitsprozesses von Zwang zu Formen
hegemonialer Kontrolle
30
. Hegemoniale Kontrolle kann verstanden werden als
,,Versuch einer ideologischen Einbindung der Beschäftigten", die sich nun ,,als Partner in einer Betriebs-
gemeinschaft verstehen" sollen, ,,so dass sich jeder Gedanke an Opposition oder Widerstand verbietet.
Reines Jobdenken soll durch ein Gefühl der Verantwortung für den gesamten Betrieb ersetzt werden."
31
In Anlehnung an Wood hält Hofbauer fest, dass die Gestaltung des Arbeitsprozesses eher als Ko-
operation von Management und Beschäftigten anzusehen ist, als das ,,Ergebnis managerieller Will-
kür oder Rationalitätsüberlegungen".
32
Demzufolge kann die Weiterentwicklung der Kontrolltheo-
rie zum einen auf die kritische Rezeption von Bravermans Ansatz, zum anderen aber auch auf einen
gesellschaftlichen Wandel bzw. Umwälzungen in der Gestaltung von Produktions- und Arbeitspro-
zessen zurückgeführt werden.
Weitbrecht und Braun sehen den Erkenntnisgewinn der ,,Labour Pro-
cess Debate" darin, herausgearbeitet zu haben, dass
1. unterschiedliche Kontrollkonzepte manageriellen Handelns wirksam sind,
2. Konsens und Konflikt nebeneinander existieren und
3. das Management kein allmächtiger Herrscher im Unternehmen ist.
33
Die bis dahin strukturtheoretisch orientierte Diskussion bleibt aber insgesamt der kapitalistischen
Verwertungslogik verpflichtet. Aufgrund der Ausklammerung historischer und kultureller Aspekte
der Beziehung zwischen Management und Arbeitnehmern ermöglicht sie aber keine Prozessanalyse
27
Hofbauer (1993: 160)
28
Vgl. Hofbauer (1993: 160-162)
29
Schienstock (1990: 183)
30
Der Begriff hegemonialer Kontrolle geht auf Gramsci zurück. Er vertritt die These, das sich die gesellschaftliche
Vorherrschaft im Kapitalismus nicht notwendigerweise auf Zwang und Gewalt stützen muss. Vielmehr kann dadurch
Konsens aufbauen werden, dass eine kulturell überlegene Klasse ihre Sichtweisen und Deutungsmuster als gültig durch-
setzt und so Konformität erzeugt. Vgl. Gramsci, A.: The Prison Notebooks. London 1971. Zitiert aus: Schienstock
(1990: 182)
31
Schienstock (1990:182)
32
Vgl. Wood, St.: Neue Technologien, Arbeitsorganisation und Qualifikation: Die britische Labour-Process-Debate. In:
Prokla, Nr. 62: S. 74-104. Zitiert aus: Hofbauer (1993: 162)

12
industrieller Beziehungen
34
. Schienstock sieht einen weiteren Schwachpunkt der Debatte in der
funktionalistischen Konzeption des Managements. Interessengeleitete politische und strategische
Aspekte manageriellen Handelns werden ausgeblendet; zudem wird das Management als ,,neutraler
Transmissionsmechanismus" einer sich entfaltenden Kapitallogik betracht. Zudem, so argumentiert
er weiter, leisten technisch-organisatorische Strukturen alleine keine hinreichende Integration der
Beschäftigten.
35
Festzuhalten bleibt, dass aus der Unbestimmtheit des Arbeitsvertrags nicht nur die Notwendigkeit
zur Kontrolle, sondern ebenso auch eine prinzipielle Zustimmung der Beschäftigten zur Nutzung
ihrer Arbeitskraft resultiert. Mit anderen Worten: die Kontrollfunktion des Managements muss
durch eine generelle Bereitschaft bzw. den Konsens der Beschäftigten gestützt werden, an der eige-
nen Ausbeutung mitzuwirken.
36
1.3
Legitimation von Herrschaft als Mechanismus sozialer Integration
Neben funktionalistischen Ansätzen sind in der Diskussion um die Kontrolle des Arbeitsprozesses
auch akteurs- und handlungszentrierte Konzepte aufgegriffen worden. In Max Webers Analyse der
sozialen Begründung von Herrschaft als Verhältnis von Befehl und Gehorsam stellt die Legitimität
eine der zentralen Kategorien dar. Legitimität meint den Glauben des Beherrschten an die Recht-
mäßigkeit des Befehls sowie eine Anerkennung der Befehlsinstanz als Autorität. Nach Weber müs-
sen Herrschaftsverhältnisse im Gegensatz zu Machtbeziehungen grundsätzlich legitimiert werden,
d.h. sie benötigen bestimmte Formen einer innerlichen Abstützung durch die Beherrschten.
37
33
Vgl. Weitbrecht / Braun (1999: 80-81)
34
Der Begriff der industriellen Beziehungen umfasst die prinzipiell konfliktreichen Beziehungen zwischen Kapital und
Arbeit sowie Institutionen und Regelungssysteme, die die wirtschaftlichen Austauschverhältnisse zwischen Arbeitneh-
mer und Arbeitgeberseite regeln (Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmervertreter). Gegenstand des eher verdeckt als
offen zu Tage tretenden Konflikts sind Fragen der Gestaltung und Kontrolle von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen
und Beschäftigungsverhältnissen. Daneben existierten interne Beziehungen zwischen Management und direkten Vorge-
setzten bzw. Führungskräften, die untereinander Interessen, Strategien und Maßnahmen abstimmen. Industrielle Bezie-
hungen bzw. Arbeitsbeziehungen sind nicht nur wirtschaftlicher und politischer, sondern auch sozialer Natur, da die
beteiligten Akteure eine Vermeidung von Konflikten sowie die Herstellung und Stabilisierung kooperativer Austausch-
verhältnisse anstreben. Vgl. Müller-Jentsch (1986: 9-18)
35
Vgl. Schienstock (1991: 355)
36
Vgl. Müller-Jentsch (1986: 209-213)
37
Der Herrschaftsbegriff wird üblicherweise im Sinne Max Weber Definition als ,,Chance, für einen Befehl bestimmten
Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden" verwendet. In Abgrenzung davon meint Macht die ,,Chance,
innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen". Macht unterscheidet
sich insofern von Herrschaft, als dass die Durchsetzung von Interessen nicht an Konsens gebunden ist, sondern notfalls
per Zwang erfolgt. Herrschaft hingegen ist ein institutionalisiertes Machtverhältnis der Über- und Unterordnung mit
Anweisung und Kontrolle, beruht aber gleichzeitig auf einer sinnhaften Orientierung der Beteiligten an den Befehlen.
Vgl. Endruweit / Trommsdorff (1989: 273-275), Korte (1995: 112-114) sowie Hofbauer (1993: 150-151)

13
Allerdings ist davon auszugehen, dass die Legitimation managerieller Entscheidungen niemals voll-
ständig und dauerhaft gesichert ist, sondern einer stetigen Erneuerung bedarf.
38
Infolgedessen ist die
Vorstellung einer fließenden Kontrollgrenze plausibler als eine statische Kontrolle. Managerielle
Strategien der Organisation betrieblicher Arbeitsprozesse können nicht problemlos durchgesetzt
werden, sondern müssen in einem Prozess argumentativer Aushandlung legitimiert werden.
39
Da
Legitimationsprinzipien wie die Vertretung von Eigentumsinteressen, Profit, technische Effizienz
oder fachliche Kompetenz im gesellschaftlichen Wertegefüge fest verankert und demzufolge auch
bei den Beschäftigten unumstritten sind, kann das Management darauf berufend seine Interessen
wirksamer durchsetzen.
40
Beschäftigte sind also nicht der Willkür managerieller Entscheidungen ausgesetzt. Sie verfügen
über Machtressourcen (Fachkenntnisse, Experten- und Erfahrungswissen, technische Fertigkeiten,
Organisationskompetenzen), die sie strategisch in den Strukturbildungsprozess einsetzen können.
41
Das Management muss Schienstock zufolge aufgrund der generellen Durchsetzungsproblematik an
der Vermeidung von betrieblichen Konflikten orientiert sein. Zur Rechtfertigung geplanter Reorga-
nisations- und Strukturbildungsprozesse bedient sich das Management einer ,,secondary structure of
supportive arguments"
42
. Neben Profitabilität und Konkurrenzfähigkeit werden Restrukturierungs-
projekte häufig mit Versprechen einer ,,Humanisierung" der Arbeitsbedingungen, dem Zuwachs
von Entscheidungsautonomie, einer deutlichen Arbeitsentlastung oder Qualifizierungsmaßnahmen
verknüpft.
Die in Aussicht gestellten Zugeständnisse erlangen nach Schienstock den Status legitimierender
Prinzipien, werden Teil der Betriebskultur und dienen dann als Maßstab der Beurteilung manage-
riellen Handelns. Dies hat zur Folge, dass Beschäftigte sich in Verhandlungen zur Wahrung ihrer
Interessen ebenso auf diese Prinzipien und Versprechen berufen wie auf allgemeine, lebensweltlich
38
Vgl. Schienstock (1990: 185; 1991: 359)
39
Hildebrandt und Seltz reflektieren in ihrem Konzept der ,,Sozialverfassung" die Bedeutung der Legitimierungspflicht
managerieller Entscheidungen gegenüber den Beschäftigten. Die Einführung einer neuen Technologie, die bestehende
Kontrollstrukturen tangiert, muss mit den ,,sozialverfassungsmäßig gerahmten Vorstellungen über die Zumutbarkeit der
Form und Intensität der Leistungskontrolle" in Einklang gebracht werden. Die Autoren verabschieden sich damit von
der funktionalistischen Annahme, dass Management würde über eine uneingeschränkte Autonomie in der Gestaltung
und Veränderung betrieblicher Kontrollstrukturen verfügen. Vgl. Hildebrandt / Seltz (Hrsg.): Managementstrategien
und Kontrolle. Eine Einführung in die Labour Process Debate. Berlin (Sigma) 1987. In: Hofbauer (1993: 167-168)
40
Vgl. Schienstock (1990: 185-186)
41
Minssen (1990: 366) unterstreicht, dass die Belegschaft trotz der hierarchisch legitimierten Verteilung von ungleichen
Machtressourcen über Ungewissheitszonen (,,Störmacht", ,,Dienst nach Vorschrift") verfügt. Insofern ist sie der formel-
len Machtposition des Managements nicht einfach ausgeliefert. Aus der unterschiedlichen Verteilung von Machtres-
sourcen sowie dem Interessengegensatz zwischen Arbeitenden (nach Erhalt ihrer Arbeitskraft) und dem Betrieb (nach
Vernutzung der Arbeitskraft) resultiert eine permanente, wenn auch latente Konflikthaftigkeit. Formen des Konsenses
werden notwendig.
42
Vgl. Bendix, R.: Work and Authority in Industry. Ideologies of Management in the Course of Industrialization. New
York, 1956. Zitiert aus: Schienstock (1990: 186)

14
gestützte Legitimitätsprinzipen, wie Gleichbehandlung, Fairness oder Gerechtigkeit. Auch wenn
dieses Pluralismuskonzept die politischen Elemente der Aushandlung um betriebliche Strukturen
und Machtverteilung überbetont, hält es Schienstock für realistischer als die Vorstellung einer prob-
lemlosen Durchsetzung managerieller Interessen und Strategien.
43
1.4
Vertrauen und Misstrauen zwischen Management und Arbeitnehmern
Bravermans Konzeption einer universell gültigen und hoch effizienten tayloristischen Arbeitskon-
trolle ist innerhalb der Debatte um die Herstellung von Konsens in Frage gestellt worden. Mit der
Erweiterung der industriesoziologischen Kontrolldebatte durch handlungstheoretische Ansätze ist
das restriktive und konzeptionelle verkürzte Kontrollparadigma ,,von allen Seiten gesprengt wor-
den".
44
Burawoy sieht ein grundlegendes Defizit der tayloristischen Arbeitsorganisation darin, Arbeitneh-
mern zu misstrauen und deren Handlungsspielräume derart einzuschränken, sodass eine Koordinie-
rung gegenseitiger Interessen nur noch über zwanghafte Mittel möglich ist.
45
Schienstock sieht die
entscheidende Schwäche des Taylorismus darin, Beschäftigte nur als Arbeitskräfte, nicht aber in
ihrer Subjektivität als Personen wahrzunehmen. Er ermöglicht deshalb nur eine Systemintegration
der Beschäftigten, aber keine Sozialintegration.
46
Auch Fürstenberg hebt die Relevanz sozialer In-
tegration hervor:
,,Wir müssen also feststellen dass die Betriebe ein hinreichendes Ausmaß sozialer Integration aller Be-
legschaftsmitglieder brauchen, um die beabsichtigte Wirtschaftsleistung kontinuierlich erbringen zu
können. Als soziale Integration soll hierbei das am Interessenausgleich orientierte sinnvolle Zusammen-
wirken aller Beteiligten verstanden werden. Nur unter dieser Voraussetzung wird die betriebliche Rah-
menordnung [...] von den Beteiligten bejaht."
47
43
Vgl. Schienstock (1990: 185-187; 1991: 356-361)
44
Hofbauer (1993: 168)
45
Vgl. Burawoy, Michael: The Politics of Production. Verso: London 1985. Zitiert aus: Littek / Heisig / Gondek (1992:
35)
46
Vgl. Lockwood, D.: Social Integration and System Integration. In: Zollschan, G.K. / Hirsch, W. (Hrsg.): Exploration
in Social Science. London 1964, S. 244-257. In: Schienstock (1993: 280)
47
Fürstenberg (1974: 81). Die Funktionen sozialer Integration aus systemtheoretischer Sicht beschreiben Endruweit und
Trommsdorff (1989: 308): ,,Der Integrationsgrad eines Systems wird u.a. durch das Ausmaß des Konsenses festgestellt.
Integration dient der Systemstabilität, bestimmt zugleich auch das Ausmaß zulässiger Abweichung und damit mögli-
chen Wandels. Zunahme von Arbeitsteilung, ideologischer Pluralität, administrativer Dezentralisierung usw. verlangen
Integrationsmaßnahmen, um Desintegration zu vermeiden. Wird dagegen Integration durch soziale Kontrolle zu stark,
verliert das System die Fähigkeit zum Wandel. Je größer Systeme werden, desto problematischer wird die Austarierung
der Integration."

15
Fehlende Sozialintegration führt zu einem von Entfremdung überschatteten Arbeitsengagement der
Beschäftigten. Dies impliziert nicht nur die Möglichkeit einer Zurückhaltung von Leistung, sondern
evoziert mögliches Widerstandshandeln.
48
Die Relevanz solidaritätsstiftender Arbeitsstrukturen
wurde auch von Emile Durkheim hervorgehoben. Er erkannte, dass eine zu weit getriebene Arbeits-
teilung zu unpersönlichen Arbeitsbeziehungen und sozialer Isolation führen kann, so die morali-
schen Bindungen und die soziale Integration am Arbeitsplatz aufhebt und letztlich Solidarität zer-
stört.
49
Nach Minssen können sich nicht-tayloristische Arbeitsformen unter bestimmten Voraussetzungen
als effizienter herausstellen:
,,Je weniger Arbeitshandeln aber auf der Grundlage exakter Vorausplanung und ­Bestimmung zu kon-
trollieren ist, um so mehr muss auf die konsensuelle und zweckdienliche Gestaltung der dadurch entste-
henden Handlungsspielräume durch die Arbeitenden vertraut [Hervorhebung d. Verf.] werden, um so
unterschiedlicher sind demzufolge auch die Formen von Kontrolle".
50
Infolge dessen widerspricht Minssen der Vorstellung eines einheitlichen, rein auf Misstrauen beru-
henden Kontrollparadigmas. Vielmehr existieren ,,kontrollfreie Räume" im Betrieb, die von den
arbeitenden Subjekten durch konsensuelles Verhalten zweckmäßig ausgefüllt werden.
51
Das Ver-
hältnis zwischen Kontrollierten und Kontrollierendem kann folglich als Tauschgeschäft verstanden
werden: die Fremdverfügung über Arbeitskraft wird gegen monetäre Gegenleistungen eingetauscht.
In einem Rückblick auf die Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte der tayloristischen Massen-
produktion zeigt Francis Fukuyama auf, dass die von Taylor explizierten Grundsätze wissenschaft-
licher Betriebsführung Ausdruck einer von Misstrauen geprägten, überreglementierten ,,Arbeitge-
ber-Arbeitnehmer-Beziehung" sind.
52
Er widerspricht Bravermans Behauptung, dass sich das taylo-
ristische Produktionsmodell ,,quasi naturwüchsig" aus der Entwicklung des kapitalistischen Sys-
tems ergibt und somit alle Formen vertrauensbasierter ökonomischer Kooperation eliminiert. Nach
Fukuyamas Darstellung konnte sich der Taylorismus vornehmlich in Gesellschaften mit niedrigem
Vertrauensniveau erfolgreich ausbreiten. Er war dort die einzige Methode, um die Arbeitsdisziplin
der Beschäftigten sicherzustellen.
Im Gegensatz zum amerikanischen System industrieller Arbeitsbeziehungen des 20. Jahrhunderts,
das aufgrund einer hohen Dichte bürokratischer und juristischer Regelungen wohl eher durch ge-
48
Vgl. Schienstock (1993: 280)
49
Vgl. Durkheim, Emile: Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt / Main 1977. In: Schienstock (1990: 187-188)
50
Vgl. Minssen (1990: 368)
51
Vgl. Minssen (1990: 366)
52
Vgl. Fukuyama (1997: 266-269)

16
genseitiges Misstrauen geprägt worden ist, haben sich Gesellschaften mit hohem Vertrauensniveau
(wie z.B. Deutschland oder Japan) für alternative Formen der Arbeitsorganisation entschieden.
Letztere basieren auf hohem Vertrauen und räumen ihren Mitarbeitern mehr Verantwortungs- und
Entscheidungsspielräume ein.
53
Bis in die 80er Jahre hinein dominierte eine marxistisch-funktionalistische Betrachtung der Arbeits-
organisation innerhalb der Industriesoziologie. Lange Zeit hielt man an der These einer zunehmen-
den Taylorisierung der Arbeitsstrukturen fest, was nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen ist, dass
Misstrauensbeziehungen sehr einseitig fokussiert wurden. Vertrauensbeziehungen zwischen Kapital
und Arbeit wurden als Instrument zur Verschleierung bestehender Macht- und Herrschaftsverhält-
nisse betrachtet.
54
Die Ergebnisse zweier Studien zur Situation der Angestelltenarbeit innerhalb der
elektrochemischen Branche, die 1989 von Ulrich Heisig
55
veröffentlicht wurden, sind mit dem
Vorwurf konfrontiert worden, zu einer Harmonisierung und Ideologisierung des betrieblichen All-
tags beizutragen. Entgegen der damals gängigen Auffassung von einer Dominanz tayloristischer
Organisationsformen und der daraus resultierenden ,,reellen Subsumtion" und ,,Dequalifizierung"
der Arbeitskraft wurden Vertrauen, sozialer Austausch und verantwortliche Autonomie als zentrale
Momente des speziellen Arbeitsverhältnisses zwischen Management und Angestellten bestimmt.
Diese Arbeitsbeziehung hat sich nach Heisig trotz technisch-organisatorischer Rationalisierungs-
maßnahmen als außerordentlich beständig erwiesen. Diese Aussage trifft insbesondere auf die jün-
geren hochqualifizierten Angestellten zu, die als Rationalisierungsgewinner bezeichnet werden.
Folgt man Heisigs These, so haben sich innerhalb der industriellen Organisation von Arbeit zwei
konträre Muster der Beziehungsgestaltung zwischen Management und Beschäftigten herausgebil-
det:
1. Hohe Vertrauensbeziehungen, die sozialen Austausch, verantwortliche Autonomie und ein indi-
vidualistisch-konkurrenzhaftes Verhalten beinhalten. Interessenkonflikte werden nicht kollekti-
vistisch ausgetragen, sondern können als Meinungsdivergenzen betrachtet werden, die auf per-
sönlicher Ebene zwischen Vorgesetzten und Untergebenen auszutragen sind.
53
Vgl. Fukuyama (1997: 267-273)
54
Vgl. Heisig (1997: 129-130)
55
Vgl. Heisig (1989: 11-15)

17
2. Niedrige Vertrauensbeziehungen, ökonomischer Tausch, enge Anweisungs- und Kontrollstruk-
turen sowie eine kollektive Aushandlung von Interessendivergenzen zwischen Management und
Institutionen der Interessenvertretung von Beschäftigten.
56
Heisig weist darauf hin, dass hohe Vertrauensbeziehungen und verantwortliche Autonomie in den
Bereichen qualifizierter Angestelltenarbeit keine Neuerscheinung darstellen, sondern Tradition ha-
ben. Die Ursache dafür, dass dieses charakteristische Merkmal der Arbeitsbeziehungen innerhalb
der industrie- und arbeitssoziologischen Diskussion lange Zeit nicht erkannt wurde, sehen Littek
und Heisig in einer Generalisierung der Aussagen über industrielle Produktionsarbeit auf den Be-
reich der Angestelltenarbeit.
57
Mit der Öffnung der industriesoziologischen Perspektive für nicht-
tayloristische Formen der Arbeitsorganisation sind Vertrauensbeziehungen wiederentdeckt worden.
Nach Kern und Schumanns Studie über die ,,Neuen Produktionskonzepte" sind sie auch im Bereich
der Produktionsarbeit existent.
58
An der prognostischen Gültigkeit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse von Kern und Schumanns
Untersuchung betrieblicher Rationalisierungsverläufe wurden Zweifel angemeldet. Ungeachtet des-
sen hat ihre Hauptthese von der Verabschiedung des Taylorismus und dem Trend zur Aufgabenin-
tegration und Reprofessionalisierung von Arbeit auch viel Beachtung innerhalb der Industriesozio-
logie erfahren.
59
Die Autoren betrachten vor allem die Teile der Belegschaft, die über betrieblich
relevante Qualifikationen und Produktionsintelligenz verfügen, als Rationalisierungsgewinner. Sie
profitieren aus der neuen Wertschätzung von Humanressourcen, die sich aus dem Einsatz neuer
Technologien und einer Zurücknahme der tayloristisch strukturierten Arbeitsorganisation ergibt.
Die Kontrolle des Arbeitsprozesses wird somit sukzessiv den Akteuren vor Ort überlassen. Es ent-
stehen neue Handlungs- und Verhandlungsspielräume gegenüber dem Management. Dessen Herr-
schaftsanspruch bleibt aber unangetastet und wird durch eine Art ,,Grundvertrauen" zwischen Ma-
nagement und Belegschaft gesichert.
60
56
Vgl. Heisig (1989: 16)
57
Aufgrund der langwährenden Fokussierung der sozialen Differenz ,,Arbeiter-Angestellte" (berühmte ,,Kragenlinie")
blieb in der industrie- und arbeitssoziologischen Forschung für die Analyse der Arbeitssituation und dem beruflichen
Verhalten von hochqualifizierten Angestellten und Managern wenig Raum. In Deutschland beschränkte sich diese Dis-
kussion vornehmlich auf Managementzeitschriften, Publikationen der betriebswirtschaftlichen Personalentwicklung und
die an ökologischen Fragen interessierten Organe der ,,neuen sozialen Bewegungen" Vgl. Heisig / Littek (1995: 282)
sowie Baethge / Denkinger / Kadritzke (1995: 15-16)
58
Vgl. Heisig, Ulrich (1989: 44)
59
Vgl. Kern, H. / Schumann, M.: Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion. C.H.
Beck. München 1984. Zitiert aus: Hofbauer (1993: 162-163)
60
Vgl. Hofbauer (1993: 164-165)

18
Müller-Jentsch konstatiert ­ in Übereinstimmung mit Kern und Schumann - eine Abkehr vom taylo-
ristischen und fordistischen Produktionsmodell. Mit der Einführung neuer Produktionskonzepte
verändern sich Aufgabenzuschnitte. Eine umfassende und ganzheitliche Nutzung der menschlichen
Arbeitskraft wird notwendig, um wichtige Produktivitätspotentiale zu erschließen. Dazu bedarf es
der hohen Motivation, Qualifikation und Selbstständigkeit der Arbeitskräfte.
61
Die Sicherung einer hohen Arbeitsproduktivität sowie eines kontinuierlichen Produktionsprozesses
lässt sich nach Littek und Heisig nur durch Arbeitsbeziehungen ermöglichen, die eine wechselseiti-
ge Kooperation sowie einen Interessenausgleich anstreben.
62
. Demzufolge müssten die innerbetrieb-
lichen industriellen Beziehungen
,,nicht nur als ökonomische, sondern [...] auch als soziale Austauschbeziehungen [...], die auf Vertrauen
beruhen und Vertrauen stiften", betrachtet werden.
63
Im Bereich der Angestelltenarbeit ist eine Anwendung tayloristischer Arbeitsprinzipen nach Mins-
sen nicht möglich. Er begründet seine Auffassung mit Verweis auf die Unstetigkeit der Arbeitsab-
läufe sowie ein notwendiges Maß an Autonomiespielräumen. Da sich unterschiedliche Kontroll-
konzepte immer an der Gestaltung des Arbeitsprozesses orientieren, kann die Organisation von Ar-
beitsprozessen als Ausdruck einer betrieblichen Leistungspolitik verstanden werden, die das Ziel
verfolgt,
,,im Kontext extern gesetzter Anforderungen durch die Gestaltung von Arbeit und Technik mittels Orga-
nisierung und Technisierung auf bestimmte Leistungsbestandteile von Arbeitskraft zuzugreifen"
64
.
Die Einrichtung von Handlungsspielräumen ermöglicht eine verstärkte Nutzung kooperativer Po-
tenzen von Arbeitskraft, womit sich das Einsetzen von Kontrollmechanismen vom Arbeitsprozess
auf das Arbeitsprodukt verschiebt.
65
Hofbauer weist darauf hin, dass in der Debatte um die Bedeutung von Konsens nicht allein empiri-
sche Veränderungen diskutiert worden sind, sondern diese auch auf konzeptioneller Ebene ansetzt.
Das Management ist angesichts der Herausforderungen, die sich mit der Implementierung neuer
Technologien sowie betrieblicher Restrukturierungen stellen, auf die Akzeptanz der Beschäftigten
sowie deren Expertenwissen angewiesen, um mögliche Friktionen zu verhindern. Gleichsam muss
die Rolle der Beschäftigten als aktive und mitgestaltende Akteure des Rationalisierungsprozesses
61
Vgl. Müller-Jentsch (1986: 209-213)
62
Vgl. Heisig (1997: 129-130)
63
Vgl. Minssen (1990: 365)
64
Minssen (1990: 373)
65
Vgl. Minssen (1990: 374)

19
gestärkt werden.
66
Die Umsetzung von Managementstrategien, die auf eine umfassende Nutzung
menschlicher Kompetenzen und Fähigkeiten zielen (z.B. Kreativität und Innovationskraft), setzt
daher eine weitreichende Delegation von Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten an die Be-
schäftigten voraus.
67
Infolge einer Vielfalt an empirischen Belegen für die Existenz unterschiedlicher Kontrolltechniken
und Gestaltungsformen des Arbeitsprozesses ist die strukturdeterministische Position allmählich
theoretischen Konzepten gewichen, die den Betrieb als ,,Sozialgebilde" betrachten, in dem Konsens
und Einverständnishandeln stattfinden
68
. Fürstenberg greift diesem Erkenntnisgewinn schon vor-
weg:
,,Die Form, in der sich die soziale Integration im Betrieb vollzieht, hängt von dem jeweils erreichten kul-
turellen Niveau der betreffenden Gesellschaft ab. [...] Allmählich ist die Überzeugung Allgemeingut ge-
worden, dass die Betriebe in einer demokratischen Gesellschaft nicht Inseln der Fremdbestimmung sein
können. [...] Auf die betriebliche Wirklichkeit bezogen bedeutet dies, dass die Extrempositionen einer
rein herrschaftlichen Struktur etwa [...] in der Form des Herr-im-Hause-Standpunktes ebenso wenig heu-
te noch durchsetzbar sind, wie eine rein genossenschaftliche Struktur, bei der alle Belegschaftsmitglieder
mit gleichem Stimmrecht über alle wesentlichen Entscheidungen abstimmen."
69
Die Tatsache, dass sich moderne Arbeitsorganisationen primär auf die Selbstkontrolle bzw. Selbst-
steuerung der Beschäftigten stützen und sich damit von dem rigiden tayloristischen Kontrollregime
lösen, kann nach Hofbauer nicht als gelungene Emanzipation der Beschäftigten bzw. als uneigen-
nütziges Zugeständnis des Managements interpretiert werden. Vielmehr ist, in Anbetracht der vor-
getragenen Konzepte der Konsensbildung, Sozialverfassung und Sozialordnung davon auszugehen,
dass ,,im Laufe betrieblicher Sozialgeschichte [...] handlungs- und verhaltenswirksame Normen-
und Wertsysteme" sowie ,,Spielregeln des Umgangs miteinander"
70
geschaffen werden, die Ent-
scheidung- und Gestaltungsmöglichkeiten für die Beschäftigten eröffnen. Hofbauer warnt zugleich
davor, die Transformation der Arbeitskontrolle zur Selbst- bzw. sozialen Kontrolle zu unterschät-
zen. Es besteht die Gefahr, das betrieblich Erwünschte mit dem subjektiv Gewollten gleichzusetzen
und damit Prozesse der Selbstzensur und sozialen Kontrolle auszublenden.
71
66
Vgl. Hofbauer (1990: 165-166)
67
Vgl. Heisig (1997: 30-31)
68
Das von Kotthoff / Reindl vorgetragene Konzept der ,,Sozialordnung" konzipiert den Betrieb ,,als Sozialgebilde und
als Arbeits- und Lebensraum auf eine genuin handlungssoziologisch-interaktionstische Weise". Vgl. Kotthoff, H. /
Reindl, J.: Sozialordnung und Interessenvertretung in Klein- und Mittelbetrieben. In: Hildebrandt, E. (Hrsg.): Betriebli-
che Sozialverfassung unter Veränderungsdruck. Konzepte, Varianten, Entwicklungstendenzen. Berlin (Sigma) 1991, S.
115. Zitiert aus: Hofbauer, Johanna (1993: 170)
69
Fürstenberg (1974): 82
70
Hofbauer, Johanna (1993: 171)
71
Vgl. Hofbauer (1993: 172)

20
Schienstock sieht zukünftig nicht mehr die technisch-organisatorische als vielmehr die soziale und
ideologische Integration der Beschäftigten als zentrales betriebliches Problem. Es sei aber nicht
auszuschließen, dass die industriesoziologische Forschung das Problem der sozialen Integration in
der Vergangenheit einfach übersehen hat. Die Herstellung von betrieblichem Konsens beinhaltet
immer noch ein Kontrollmoment, welches nun aber nicht mehr auf das konkrete Arbeitsverhalten,
sondern auf Motivation und Bewusstsein zielt
72
. Die soziale Integration der Beschäftigten ist aber
nicht allein durch Konsens herstellen, sondern bedarf einer Absicherung auf der Ebene betrieblicher
Legitimationsprinzipien. Demzufolge ist eine betriebliche Sozialordnung notwendig, die von den
Beschäftigten nicht nur aus ökonomischen Gründen akzeptiert, sondern auch als moralisch gerecht-
fertigt angesehen wird.
73
Die Frage, inwieweit eine auf Vertrauen basierende Arbeitsorganisation
dieser Forderung gerecht werden kann, wird im Rahmen des Fazits beantwortet.
2.
Theoretische Grundlagen zum Verständnis der Konstitution und Funktion von Ver-
trauen
Die einseitige Ausrichtung der industriesoziologischen Forschung auf Formen einer misstrauensba-
sierten Kontrolle des Arbeitsprozesses hat lange Zeit den Blick auf kooperative Arbeitsbeziehungen
verstellt. Innerhalb dieses Forschungszweigs ist der Vertrauensbegriff insbesondere auf die spezifi-
sche Arbeitsbeziehung von Management und Angestellten angewendet worden. Allerdings werden
die theoretischen Grundlagen, auf die sich einzelne Autoren beziehen, in einem z.T. recht diffusen
und wenig differenzierten Zusammenhang dargestellt. Oft werden auch Begrifflichkeiten wie Loya-
lität, Kooperation, Konsens oder Legitimität in einer verwirrenden Weise mit einem eher unschar-
fen Vertrauensbegriff vermischt.
74
72
Auch Deutschmann teilt diese Einschätzung. Vor dem Hintergrund der Debatte um Organisationskulturen, Clan-
Organisation und Firmengemeinschaft befürchtet der Autor eine schleichende Renaissance des Unternehmenspaterna-
lismus. Statt einer direkten Kontrolle des Arbeitsprozesses zielten humanzentrierte Managementkonzepte, die ,,stärker
kommunikativ und partizipativ strukturierte Organisationsformen und Arbeitsbeziehungen" bevorzugen, auf eine indi-
rekte und zugleich subtilere Form managerieller Machtausübung. Normative Orientierungen der Beschäftigten sollen
über firmeninterne Sozialisationsprozesse im Sinne des Managements beeinflusst werden. Vgl. Deutschmann
(1989:391-392)
73
Vgl. Schienstock (1990: 191)
74
Diese Feststellung bezieht sich z.T. auf die in Kapitel drei zusammengefassten Beiträge der Autoren Littek, Heisig
und Gondek, aber auch auf die empirische Untersuchung zum Wandel der Firmenkultur von Kotthoff (1997).

21
Allerdings besteht auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Vertrauensthe-
matik beschäftigen, eine erhebliche Unklarheit über die Verwendung und Definition des Vertrau-
ensbegriffs.
75
Aufgabe dieses Kapitels ist es deshalb, eine solide theoretische Grundlagen zu erarbeiten, die zu
einer Erklärung der Konstitution und Funktion von Vertrauen beiträgt. Die folgenden Ausführungen
begrenzen sich auf drei unterschiedliche soziologische Vertrauenskonzepte. Der erste Abschnitt
rekonstruiert den kulturtheoretisch orientierten Vertrauensbegriff aus der Perspektive von Georg
Simmel. Der Autor veranschaulicht die wechselseitige Verschränktheit von sozialen Austauschver-
hältnissen, die auf Vertrauen beruhen und Vertrauen stiften und gleichsam eine sozialintegrative
Kraft auf die Beteiligten ausüben. Aspekte der sozialen Integration vertrauender Akteure werden
von Simmel unter Rückgriff auf lebensweltlich gesicherte Moralprinzipen erklärt, die - wie noch
ausführlicher aufzuzeigen ist - auch im Handlungskontext von Arbeitsorganisationen gelten.
Im Anschluss daran wird das im Rahmen von James Colemans Sozialtheorie entwickelte Vertrau-
enskonzept besprochen. Coleman fokussiert strategische Aspekte der Vertrauensbildung und reflek-
tiert diese aus handlungstheoretischer Sicht. Sein Ansatz eines kalkulativen Vertrauens ist insbe-
sondere in der Diskussion um den ökonomischen Nutzen und die institutionellen Voraussetzungen
von vertrauensbasierter Kooperation aufgegriffen worden. Deshalb ist sein Ansatz für die hier zu
behandelnde Themenstellung relevant.
76
Zuletzt erfolgt eine ausführliche Besprechung der systemtheoretischen Analyse von Vertrauen
durch Niklas Luhmann. Die Reichhaltigkeit und Präzision seiner Vertrauenstheorie ermöglicht ein
tieferes Verständnis der Voraussetzungen und Funktionen von Vertrauen. Der Autor arbeitet auf
sehr differenzierte Weise die unterschiedlichen Entstehungsweisen und Funktionen von persönli-
chen Vertrauensbeziehungen und Systemvertrauen heraus. Damit liegt eine begriffliche Unterschei-
75
So interpretieren z.B. Spieltheoretiker Vertrauen als beobachtbares kooperatives Verhalten. In der Ökonomik wird
Vertrauen zwar einerseits zur Erklärung kooperativen Handelns herangezogen, stellt aber selbst nur selten den Gegens-
tand einer theoretischen Analyse dar. Psychologische Ansätze definieren Vertrauen über Persönlichkeitsmerkmale, wie
Verlässlichkeit oder Vertrauenswürdigkeit, Einstellungen (z.B. den Verzicht auf Kontrollmöglichkeiten) und Erwar-
tungshaltungen, die mit Verhaltensweisen auf der Handlungsebene verknüpft werden. Es wird aber auch auf der Ge-
fühlsebene verortet (Sicherheitsgefühl). Allerdings existieren bisher kaum integrative Modelle, die die genannten As-
pekte in einem interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatz berücksichtigen. Anhand der Vielzahl unterschiedlicher
Konzeptualisierungen und Vertrauensdefinitionen scheint die Entwicklung eines einheitlichen Schemas nicht möglich
zu sein. Vgl. Ripperger (1998: 6-7), Neubauer (1997: 105; 1999: 91), Petermann (1996: 11-14), Graeff (1998: 7-15)
sowie Koller (1997: 13-14)
76
Vgl. Bachmann / Lane (1997: 79-110) und Ripperger (1998)

22
dung vor, die im Bereich der Diskussion um Vertrauensbeziehungen in Organisationen häufig rezi-
tiert worden ist.
77
2.1
Kulturtheoretische Thematisierung des Vertrauensbegriffs bei Simmel
Nach Simmel bildet Vertrauen das Fundament menschlicher Entscheidungen und sozialen Handelns
innerhalb hochentwickelter moderner Gesellschaften. Er definiert den Vertrauensbegriff als Glau-
ben an die Ehrlichkeit des anderen bzw. die Vorstellung, nicht betrogen zu werden.
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Vertrauen
wagt eine Prognose des zukünftigen Verhaltens des anderen auf der Basis eines begrenzten Wissens
über ihn und ermöglicht so soziales Handeln. Das spezifische Mischungsverhältnis von Nichtwissen
und Wissen ist dabei ein konstituierendes Element der Vertrauensbildung:
,,Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen, der völlig Nichtwissende kann vernünftigerweise nicht
einmal vertrauen."
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Neben dem durch Erfahrung gewonnen Wissen über den anderen (Vertrautheit) bildet, so vermutet
Simmel, auch ein unbewusst-emotional vermittelter, ,,mystischer" oder ,,religiöser Glaube" an den
Menschen die Grundlage einer Vertrauensentscheidung.
80
Mit der Herausbildung und Stabilisierung
gesellschaftlicher Institutionen, die zu einer Versachlichung von ehemals traditionellen Interakti-
ons- und Austauschverhältnissen beigetragen haben (Recht, Öffentlichkeit, festdefinierte Rollen-
und Statusbeziehungen), vollzog sich eine Transformation des Charakters von Vertrauen. Dieses
beruht kaum noch auf persönlicher Vertrautheit und äußert sich im Glauben an die Zuverlässigkeit
gesellschaftlicher Institutionen.
81
Das Vertrauen in die Verlässlichkeit eines anderen hingegen ver-
dient nach Simmel eine hohe moralische Wertschätzung, da es freiwillig geschenkt wird. Diese ver-
trauensstiftende Vorleistung erzeugt zugleich einen hohen moralischen Druck auf den Vertrauens-
empfänger im Sinne einer Bestätigung des Vertrauens und reduziert so die Wahrscheinlichkeit eines
Vertrauensbruchs. Während die Person, die eine Vorleistung erbringt, sich frei dazu entschieden
hat, unterliegt derjenige, der diese Wohltat angenommen hat, unabhängig von äußeren Sanktions-
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Zucker unterscheidet - korrespondierend zu Luhmann - zwischen ,,Process-Based Trust" (persönliches Vertrauen)
und ,,Institutional-Based Trust" (Systemvertrauen). Vgl. Zucker, L.G.: Production of trust. Institutional sources of eco-
nomic structure 1840-1920. In: Research in Organizational Behaviour 8, S. 53-111. Zitiert aus: Bachmann / Lane (1997:
92). In ähnlicher Weise unterscheidet Neubauer (1999: 91-92) zwischen (inter-) personalem und institutionellem Ver-
trauen. Vgl. auch Zündorf (1986: 41-43) sowie Littek / Heisig / Gondek (1992: 40)
78
Vgl. Simmel (1983: 260)
79
Vgl. Simmel (1983: 263)
80
Vgl. Simmel (1983: 263)
81
Vgl. Simmel (1983: 263-264)

23
oder Zwangsmitteln einer inneren Verpflichtung, Dankbarkeit zu zeigen und die empfangene Wohl-
tat, wenn auch in einer anderen Form, zu erwidern.
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Dankbarkeit ist nach Simmel nicht nur ein menschlicher Affekt, sondern nimmt zugleich den Stel-
lenwert einer soziologischen Kategorie ein, mittels derer sich das Zustandekommen von sozialen
Austauschverhältnissen erklären lässt. Diese verzichten auf eine rechtliche Fixierung der auszutau-
schenden Leistungen sowie eine Durchsetzung gegenseitiger Ansprüche per Zwang. Soziale Aus-
tauschbeziehungen ergänzen die rechtliche Ordnung in ihrer Funktion einer Regulierung äquivalen-
ter Tauschprozesse
83
. Solange gleichwertige Güter gegeneinander eingetauscht werden, ist die sozi-
ale Beziehung zwischen den Tauschenden zunächst objektiviert. Werden zwei heterogene Dinge
oder Leistungen gegeneinander getauscht, spricht Simmel von einem Kauf, dem eine gewisse ,,Ina-
däquatheit oder Unwürdigkeit" innewohnt, sofern sich die gegenseitige Dankbarkeit nur auf die
Leistung oder Wohltat an sich begrenzt und nicht auf den Wohltäter ausweitet. Ist eine umfassende
Dankbarkeit das Resultat des sozialen Tauschs, dann bewirkt diese ein
,,ideelles Fortleben einer Beziehung, auch nachdem sie etwa längst abgebrochen und der Aktus des Ge-
bens und Empfanges längst abgeschlossen ist."
84
Der soziale Zusammenhalt zwischen den Individuen wird gefestigt und ermöglicht eine Erwiderung
gegenseitiger Wohltaten, die weniger auf Zwang beruht, sondern freiwillig erfolgt. Die Reziprozität
der sozialen Austauschverhältnisse ermöglicht aber nicht nur die soziale Integration tauschender
Akteure, sondern gibt der Gesamtgesellschaft erst ihre Kohäsionskraft.
2.2
Vertrauen aus handlungstheoretischer Sicht: Colemans ,,Sozialtheorie"
2.2.1 Theoretische Vorannahmen des Vertrauensmodells
Coleman betrachtet die Entscheidung, jemandem Vertrauen zu schenken, als eine ökonomische,
eigennützige und riskante Entscheidung bzw. Investition, die nicht blind, sondern kalkulierend vor-
genommen wird.
85
82
Vgl. Simmel (1983: 282-284, 446-447)
83
Tönnies betrachtet die Funktion von Vertrauen auf eine ähnliche Weise: erfolgt kein unmittelbarer Austausch gegen-
seitiger Leistungen, sondern bleibt der Zeitpunkt der Gegenleistung offen oder auf einen späteren Termin verschoben
(z.B. beim Kredit), dann beruhen diese Austauschverhältnisse auf Vertrauen und Glauben. Als Tauschobjekte dienen
nicht nur materiell-fassbare Gegenstände, sondern auch Tätigkeiten. Gegenseitige Leistung können entweder direkt
ausgeführt oder versprochen werden. Vgl. Tönnies (1935: 43, 169-171)
84
Simmel (1983: 434-444)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832460631
ISBN (Paperback)
9783838660639
Dateigröße
901 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Gesellschaftswissenschaften, Soziologie
Note
1,0
Schlagworte
betriebliche experten arbeitsbeziehungen unternehmenskultur führungskräfte reorganisation
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Titel: Vertrauensbeziehungen in Unternehmen
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