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Probleme der Übersetzung bei Boris Vian anhand ausgewählter Beispiele

©1999 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bei dieser Arbeit handelt es sich zum einen um eine Untersuchung der deutschen Übersetzung von Boris Vians Roman L’Ecume des jours und zum anderen um eine Einleitung in Alfred Jarrys Wissenschaft der Phantasielösungen: der Pataphysik.
In der Übersetzungswissenschaft gibt es keine festgelegten Kriterien, nach denen ein übersetzter Text sich untersuchen ließe, deshalb müssen sie für jeden Text individuell erarbeitet werden. Vian, von dessen Werk es in der einschlägigen Sekundärliteratur zumeist heißt, dass es sich in keine der gängigen literarischen oder philosophischen Strömungen seiner Zeit einordnen lasse, war Mitglied des Collège de `Pataphysique, denn dort sah er seine Auffassungen von Sprache und Gesellschaft vertreten. Die Pataphysik ist eine moderne, spielerische Form des Nominalismus. Bezeichnungen sind nur Etiketten, dank derer wir unsere Umwelt strukturieren können. Es entspricht ihnen keine außersprachliche Realität, die Bedeutung von Zeichen existiert nur, weil sich eine Gruppe von Sprechern auf eben diese geeinigt hat. Die Beziehung von Zeichen und außersprachlicher Realität, die Gesetze der Realität, die Gesetze der Sprache, sie alle sind charakterisiert durch ihre Willkürlichkeit. Sprache ist somit ein Lieferant von Illusionen: Sie macht den Menschen glauben, mit ihr lasse sich ein Abbild der Wirklichkeit liefern, in Wahrheit entzieht sie dem Menschen jedoch den Zugang zum natürlichen Chaos.
Vian bedient sich in seinen Romanen ganz bewusst der Sprache als Lieferant von Illusionen, er führt seinen Leser durch Wortfallen in die Irre, die dieser aufgrund seiner sprachlichen beziehungsweise gedanklichen Konventionierung nicht sofort erkennt. Um den Roman verstehen zu können, muss der Leser sein Verhältnis zur Sprache neu überdenken, denn der übliche Verweischarakter von Sprache wird zerstört, wodurch eine unendliche Bedeutungsvielfalt entsteht. Wie aber lässt sich ein Text übersetzen, dessen Sinn nicht festzulegen ist?
Um die Problematik einer solchen Übersetzung zu verdeutlichen, wird hier mit Hilfe der Pataphysik ein Schlüssel zum Verständnis des Romans geliefert. Eine pataphysische Literatur existiert (noch) nicht in dem Sinne, in dem es eine symbolistische, surrealistische, dadaistische oder existentialistische Literatur gibt. Pataphysische Grundprinzipien liefern jedoch die Grundlage für eine ganze Reihe von literarischen Experimenten der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts; Mitglieder des Collège de […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 2874
Brockhaus, Sibylle: Proleme der Übersetzung bei Boris Vian anhand ausgewählter
Beispiele / Sibylle Brockhaus - Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Düsseldorf, Universität, Diplom, 1999
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Printed in Germany


Die literarische Forschung selber ist zweifellos nur eine Phantasielösung.
Subsidia Pataphysica 24/25

Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS 6
1.
EINLEITUNG 5
1.1.
A
LLGEMEINES
5
1.2.
V
ORGEHENSWEISE
6
1.3.
S
TAND DER WISSENSCHAFTLICHEN
F
ORSCHUNG
8
2.
DIE PATAPHYSIK
10
2.1.
Z
U
T
HEORIE UND
E
NTWICKLUNG DER
P
ATAPHYSIK
10
2.1.1. A
M
A
NFANG WAR DAS
,,C
LINAMEN
" 10
2.1.2. F
AUSTROLLS
D
EFINITION
11
2.1.3. P
ATAPHYSIK UND
S
PRACHE
12
2.1.4. F
ÜNF CHARAKTERISTISCHE
M
ERKMALE DER
P
ATAPHYSIK
15
2.2.
P
ATAPHYSISCHE
I
NSTITUTIONEN
15
2.2.1. D
AS
C
OLLÈGE DE
`P
ATAPHYSIQUE
15
2.2.2. D
ER
O
RDEN DER GROßEN
G
IDOUILLE
20
2.3.
B
ORIS
V
IAN UND DIE
P
ATAPHYSIK
21
2.4.
M
ERKMALE PATAPHYSISCHER
L
ITERATUR
25
3.
L'ECUME DES JOURS
28
3.1.
E
INSTIEG IN DEN
R
OMAN
28
3.1.1. A
LLGEMEINES ZU
L'E
CUME DES JOURS
28
3.1.2. K
URZE
I
NHALTSANGABE
28
3.1.3. D
AS
V
ORWORT
­
EIN PATAPHYSISCHES
R
AHMENPROGRAMM
29
3.2.
P
ATAPHYSISCHES AUF INHALTLICHER
E
BENE
31
3.2.1. I
NDIVIDUALISMUS UND PERSÖNLICHE
F
REIHEIT
31
3.2.2. P
HANTASIELÖSUNGEN
35
3.2.3. G
IDOUILLEN UND
L
ICHTMETAPHORIK
41
3.3.
P
ATAPHYSISCHES
G
EDANKENGUT AUF SPRACHLICHER
E
BENE
47
3.3.1. S
PRACHLICHE
B
ESONDERHEITEN
47
3.3.2.
S
PRACHE ALS
L
IEFERANT VON
I
LLUSIONEN
50
3.3.3. Ü
BERWINDUNG DER
B
EGRENZTHEIT VON
S
PRACHE
54
4.
PROBLEME DER ÜBERSETZUNG
57
4.1.
L'E
CUME DES JOURS
IN
D
EUTSCHLAND
57

4.1.1. A
LLGEMEINES ZU DEN DEUTSCHEN
A
USGABEN
57
4.1.2. Ü
BERSETZBARKEIT UND
Ü
BERSETZUNGSKRITIK
57
4.2.
A
NALYSE DER ERSTEN UND ZWEITEN
F
ASSUNG DER
Ü
BERSETZUNG
60
4.2.1. D
IE
Ü
BERSETZUNG DES
V
ORWORTS
60
4.2.2. D
IE
Ü
BERSETZUNG DER INHALTLICHEN PATAPHYSISCHEN
E
LEMENTE
65
4.2.2.1. Darstellung der ,,foule"
65
4.2.2.2. Phantasielösungen
68
4.2.2.3. Gidouillen
71
4.2.3. D
IE
Ü
BERSETZUNG DES PATAPHYSISCHEN
U
MGANGS MIT
S
PRACHE
74
4.2.3.1. Abweichungen auf der Wortebene
74
4.2.3.2. Spiele mit der Polyvalenz von Zeichen
77
4.2.3.3. Sprachrätsel und Wortfallen
81
4.3.
Ü
BERSETZERISCHE
T
ENDENZEN
83
5.
ZUSAMMENFASSUNG 85
LITERATURLISTE 88
P
RIMÄRLITERATUR
88
S
EKUNDÄRLITERATUR
88
Z
EITSCHRIFTEN
91
V
ERWENDETE
A
BKÜRZUNGEN
91
ANHANG
I

5
1. Einleitung
1.1. Allgemeines
Die literarischen Werke Boris Vians, insbesondere seine Romane, zu etikettieren, sie
einem Genre oder einer literarischen Strömung zuzuordnen, ist anscheinend kein leichtes
Unterfangen. Wirft man einen Blick in die Sekundärliteratur, stellt man fest, daß seine
Romane häufig mit dem Surrealismus in Zusammenhang gebracht werden, oder sie werden
zwischen Surrealismus und Anarchismus eingeordnet, ebenso taucht der Begriff des Existen-
tialismus auf. Vian gehörte jedoch nie der Gruppe der Surrealisten an, ebensowenig war er
Existentialist, auch wenn seine Wege die einiger Mitglieder dieser Gruppierungen kreuzten.
Clouzot stellt hierzu fest: ,,Le seul ,isme` qu'il aurait sans doute accepté sans protester aurait
été celui d'individualisme. Car, individualiste, Vian l'a été avec fierté, ostentation et
courage[...]."
1
Hätte er der Gruppe um André Breton oder jener um Sartre angehören wollen,
man hätte ihm den Zutritt sicherlich nicht verweigert, er scheint sich selber jedoch diesen
Zirkeln nicht nahe genug gefühlt zu haben, er war, wie Clouzet betont, zu sehr Individualist,
um zu einem festen Mitglied einer dieser philosophisch-literarischen Gruppierungen zu
werden. Desweiteren untersucht man seine Romane unter dem Aspekt des Absurden, des
Phantastischen oder auch des Grotesken, stellt Gemeinsamkeiten mit der amerikanischen
Science-Fiction-Literatur heraus oder sucht nach surrealistischen Elementen, um dann festzu-
stellen, daß die Viansche Literatur facettenreicher ist, als all diese Ansätze es erlauben
beziehungsweise es erfassen können und sich somit weiterhin einer Etikettierung entzieht.
Und dennoch gibt es einen Begriff, der im Zusammenhang mit seiner Person und seinen
Werken immer wieder auftaucht: den der Pataphysik: ,,[...], Vian fut pataphysicien avant la
lettre, et ses personnages avec lui."
2
Vian wurde 1952 - mit zweiunddreißig Jahren - in das Collège de `Pataphysique aufge-
nommen und blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1959 eines der engagiertesten Mitglieder
dieser Vereinigung. In dieses Collège wurde aufgenommen, wer sich ­ bewußt oder unbewußt
1
Clouzet, Jean, Boris Vian, Poètes d'aujourd'hui, Paris: Seghers, 1966, S. 62.
2
Ebenda, S. 58.

6
- durch eine pataphysische Lebensweise oder durch die Kreation pataphysischer Werke
ausgezeichnet hatte. Vians Aufnahme erfolgte nach der Aufführung seines Theaterstücks
L'Equarrissage pour tous
3
, welches von den Mitgliedern des Collèges als pataphysisch
empfunden worden war. Warum Vian sich in dieser Gruppe zu Hause fühlte, läßt sich schon
ansatzweise mit folgender Charakterisierung des Collèges erklären: ,,In dieser Individua-
listengruppe gibt es keine Einschränkungen außer dem Einhalten pataphysischer Grund-
prinzipien, die jedoch wiederum ein hohes Maß an Freiheit garantieren."
4
In dieser Arbeit soll nun anhand ausgewählter Textbeispiele die deutsche Übersetzung
des bekanntesten Romans von Boris Vian, L'Ecume des jours
5
,
untersucht werden. Um zu
verdeutlichen, wo die Problematik einer solchen Übersetzung liegt, soll mit Hilfe der Pata-
physik ein Schlüssel zum Verständnis dieses Romans geliefert werden. Zwar existiert eine
pataphysische Literatur in dem Sinne, in dem es eine symbolistische, surrealistische, dada-
istische oder existentialistische Literatur gibt, nicht ­ oder existiert vielleicht heute noch nicht
unter diesem Begriff. Daß die pataphysischen Grundprinzipien in L'Ecume des jours jedoch
zu finden sind, daß sie sogar die Grundlage für diesen Roman bilden und von daher auch eine
wichtige Rolle für die Übersetzung spielen, soll diese Arbeit zeigen. Insgesamt gesehen soll
hier folgendes versucht werden: ,,[...] Pataphysik von außen betrachten [zu] und sie auf andere
Erscheinungsformen von Philosophie und Kunst [zu] beziehen, ohne ihr Spiel mitzuspielen
oder sie als Skurrilität abzutun."
6
1.2. Vorgehensweise
Um mit Hilfe der Pataphysik einen Zugang zu L'Ecume des jours zu finden, muß hier
zunächst ein theoretischer Einblick in diese ,,Wissenschaft" gegeben werden. Das Problem,
das sich dabei stellt, läßt sich so zusammenfassen: ,,Die `Pataphysique als Wissenschaft der
Phantasielösungen und der Ausnahmen ist kaum faßbar und mit nicht-pataphysischen Mitteln
nur schwer darstellbar."
7
Um dennoch zu verdeutlichen, um was es der Pataphysik geht, soll
3
Boris Vian, ,,L'équarrissage pour tous" in: Théâtre, Paris: Christian Bourgeois Éditeur, 1970.
4
Ulla Westerweller, Surrealitstische Elemente bei Boris Vian, Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1992,
S. 208.
5
Vian, Boris, L'Ecume des jours, Paris: Christian Bourgois, 1963.
6
Thomas M. Scheerer, Phantasielösungen, Kleines Lehrbuch der Pataphysik, Rheinbach-Merzbach: CMZ-
Verlag 1983, S. 27.
7
Westerweller, Surrealitstische Elemente ... S. 185.

7
zuerst auf den Kontext ihrer Entstehung, das heißt auf den Autor Alfred Jarry und dessen
Schriften eingegangen werden. Anhand einer von ihm gelieferten Definition sowie eines von
ihm herangezogenen Beispiels soll erklärt werden, welche Weltsicht sich hinter dem Begriff
der Pataphysik verbirgt. Dabei ist es wichtig, auf das Verhältnis von Pataphysik und Sprache
einzugehen. Anschließend werden fünf charakteristische Merkmale, die sich aus den vorigen
Erklärungen ergeben, aufgelistet, um so einen systematischeren Einblick in die Wissenschaft
der Pataphysik zu gewähren. Dann sollen Aufbau und Funktion des 1948 gegründeten
Collège de `Pataphysique sowie die Rolle, die der Sprache in diesem Zusammenhang zufällt
dargestellt werden. Desweiteren wird ein Blick auf den sogenannten ,,Orden der großen
Gidouille" geworfen, dessen spiralförmiges Ordenszeichen das grafische Symbol der
Pataphysik darstellt. Im nächsten Punkt dieser Arbeit soll erörtert werden, was Vian dazu
veranlaßte, Mitglied des Collège de `Pataphysique zu werden und mit welchen pata-
physischen Themen sich Vian sowohl in seinen Werken als auch allgemein in seinem Leben
auseinandersetzte. Um eine ausreichende Untersuchungsbasis für die folgende Romananalyse
zu schaffen, werden außerdem die charakteristischen Eigenschaften der Veröffentlichungen
des Collège sowie der Texte Jarrys als Merkmale pataphysischer Literatur angeführt.
Der zweite Teil der Arbeit beginnt mit einigen allgemeinen Angaben zu L'Ecume des
jours
und einer Zusammenfassung des Inhalts. Der Einstieg in die Romananalyse erfolgt
durch einen Blick auf das Vorwort zu L'Ecume des jours, das insofern eine wichtige Rolle
spielt, als das Vian darin bereits kommentierend vorführt, was den Leser seines Romans
erwartet: eine durch unkonventionelle Sprachgestaltung verzerrte Darstellung der Wirklich-
keit. Im folgenden wird untersucht, wie Vian sich im Roman mit bestimmten für die Pata-
physik charakteristischen Themen und Elementen auseinandersetzt. Anhand ausgesuchter
Textbeispiele wird so die Bedeutung von Individualismus, Phantasielösungen und Gidouillen
für die Aussage des Romans deutlich. Im nächsten Punkt geht es um die sprachliche Gestal-
tung von L'Ecume des jours. Hier gilt es, herauszuarbeiten, wie im Roman mit Sprache umge-
gangen wird, welche Wirkung dieser Umgang mit Sprache auf den Leser hat und was die Art
der sprachlichen Gestaltung für den Roman und seine Aussage insgesamt bedeutet.
Im dritten Teil der Arbeit soll zunächst, nach einigen allgemeinen Angaben zu Ver-
öffentlichung und Rezeption von L'Ecume des jours in Deutschland, die Frage diskutiert
werden, inwieweit dieser Roman - insbesondere seine Mehrdeutigkeit und ungewöhnliche
sprachliche Gestaltung - überhaupt übersetzbar ist und welche Konsequenzen sich daraus für
die Vorgehensweise des Übersetzers ergeben. Die Untersuchung der ersten sowie der zweiten,

8
überabeiteten Fassung der deutschen Übersetzung findet im Hinblick auf die vorigen Ergeb-
nisse statt, das heißt, anhand ausgesuchter Textbeispiele wird untersucht, inwieweit die
pataphysischen Elemente und Merkmale - sowohl inhaltliche als auch den Umgang mit
Sprache betreffende - in den beiden deutschen Fassungen übernommen oder verändert wurden
und welche Auswirkungen etwaige Veränderungen auf die Aussage des deutschen Textes und
somit auf dessen Rezeption haben können. Abschließend sollen die bei der Untersuchung der
Textbeispiele deutlich gewordenen übersetzerischen Tendenzen zusammengefaßt und
kommentiert werden.
1.3.
Stand der wissenschaftlichen Forschung
Zum Stand der wissenschaftlichen Forschung läßt sich sagen, daß zwar in fast allen
Arbeiten zu Boris Vian das Thema der Pataphysik
8
angeschnitten wird, meist geht es dabei
jedoch um Vians Rolle im Collège de `Pataphysique, der inhaltliche und sprachliche Zusam-
menhang zwischen seinen Werken und dieser Wissenschaft wird allenfalls sehr oberflächlich
untersucht. Was die Wissenschaft der Pataphysik betrifft, so gibt es einige hauseigene Publi-
kationen des Collège de ´Pataphysique über dieselbe, die allerdings für Nicht-Pataphysiker
gar nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind. Aus diesem Grund war Thomas M. Scheerers
Kleines Lehrbuch der Pataphysik
9
hier sehr hilfreich, bei dem es sich um eine ausgewählte
Sammlung von Texten aus den Heften des Collèges handelt, die mit einigen erklärenden
Anmerkungen versehen wurden. Es ersetzt somit in dieser Arbeit die anders nicht einzu-
sehenden Veröffentlichungen des Collèges. Zudem gibt es einige Publikationen, die sich mit
der Pataphysik in Leben und Werk Alfred Jarrys beschäftigen ­ hier ist der 1998 erschienene
Artikel ,,`Pataphysique point zéro" von Christian Prigent
10
hervorzuheben - sowie zwei neuere
Veröffentlichungen, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Rolle der Sprache
innerhalb des Collège de `Pataphysique befassen. Es handelt sich zum einen um den 1999 in
der Zeitschrift Poétique erschienen Artikel ,,Langage pataphysique et discours humoristique"
8
In dieser Arbeit erscheint das deutsche Wort Pataphysik teilweise mit, teilweise ohne Apostroph. Im
Französischen ist dieser Apostroph ein Muß, um einen Kalauer zu vermeiden (Vgl. Scheerer, S. 32; leider wird
nirgendwo angegeben, um welchen Kalauer es sich handelt, vielleicht ,,pas ta physique"?). Im deutschen
dagegen hat der Apostroph keine Funktion und sollte daher besser weggelassen werden, was jedoch nicht alle
Verfasser der betreffenden Sekundärliteraturen konsequent durchführen. Der Apostroph vor dem deutschen
Pataphysik
ist in dieser Arbeit also nur in bestimmten Zitaten zu finden.
9
Scheerer, Phantasielösungen...

9
von Jean-François Jeandillou
11
, zum andern um die 1996 erschienene Arbeit Métadiscours et
déceptivité
von Jean Wirtz
12
. Eine der aktuellsten Publikationen zu Vian-Romanen ist die
1992 in Deutschland veröffentliche Dissertation von Ulla Westerweller mit dem Titel Surrea-
listische Elemente bei Boris Vian
13
, die für diese Arbeit von besonderem Interesse war.
Westerweller geht darin kurz auf pataphysische Aspekte in Vians Romanen ein und am Ende
ihrer Dissertation heißt es: ,,Vians Texte müssen zwischen Surrealismus und `Pataphysique
situiert werden, jedoch mit einem deutlichen Schwerpunkt im pataphysischen Bereich."
14
Das
mit `Pataphysique betitelte Kapitel dieser Dissertation kann somit als Ausgangspunkt für
diese Arbeit angesehen werden.
Eine andere in Deutschland verfaßte Dissertation beschäftigt sich mit der Rezeption der
Werke Boris Vians in Deutschland
15
, wobei der Verfasser dieser Arbeit auch kurz auf die
Schwierigkeiten eingeht, denen die deutschen Übersetzer der Texte Vians begegneten. Einge-
hendere Untersuchungen zu deutschen Übersetzungen von Vians Werken existieren jedoch
bislang nicht. Eine weitere deutschsprachige Dissertation mit dem Titel Annäherung an das
Namenlose
16
war für diese Arbeit ebenfalls von besonderem Interesse, da sie sich mit sprach-
lichen Eigenarten in L'Ecume des jours sowie mit der daraus resultierenden Bedeutungs-
vielfalt des Romans beschäftigt, was für dessen Übersetzbarkeit ein besonderes Problem
darstellt.
10
Christian Prigent, ,,`Pataphysique point zéro" in: Poésie 98, Nr. 75, Dez. 1998, S. 46-53.
11
Jean-François Jeandillou, ,,Langage pataphysique et discours humoristique" in: Poétique Nr. 118, April 1999,
S. 239 ­ 254.
12
Jean Wirtz, Métadisocurs et déceptivité, Julien Torma vu par le Collège de `Pataphysique, Frankfurt am Main;
Paris; New York: Peter Lang, 1996.
13
Westerweller, Surrealitstische Elemente... .
11
Ebenda, S. 214.
15
Alfred Hahn-Birkner, Boris Vian in Deutschland, eine Rezeptionsanalyse, Dissertation der Philosophischen
Fakultät der Universität Kiel, 1989.
16
Gabriella Borter-Scuichetti, Annäherung an das Namenlose, Eine Interpretation von Umberto Eco ,,Il nome
della rosa" und Boris Vian ,,L'Ecume des jours", Zürich: Zentralstelle der Studentenschaft, 1987.

10
2. Die Pataphysik
2.1. Zu Theorie und Entwicklung der Pataphysik
2.1.1. Am Anfang war das ,,Clinamen"
Alfred Jarry (1873 ­ 1907
)
, der Autor des ,,pataphysischen Manifestes" Gestes et opinion
du Dr. Faustroll, pataphysicien
17
, gilt als der erste bewußte Pataphysiker. Als Begründer
dieser Wissenschaft kann man ihn insofern jedoch nicht bezeichnen, da die Pataphysik
eigentlich immer schon existiert hat: ,,Der pataphysische Geist selbstverständlich existierte
schon lange vor Jarry; er wird auch lange weiterexistieren, [...]."
18
Der Begriff ,,Pataphysik"
stammt ursprünglich aus dem von Jarry besuchten Gymnasium von Rennes. Jarry und seine
Klassenkameraden bezeichneten damit den von einem gewissen Monsieur Hébert geleiteten
Chemie- und Physikunterricht, der aufgrund ständig fehlschlagender Versuche eher einer
Persiflage als ernstzunehmendem Unterricht ähnelte. Diese somit aus dem Schülerjargon
stammende Bezeichnung griff Jarry, nachdem er in Paris eine Laufbahn als Schriftsteller
eingeschlagen hatte, in seinen Werken wieder auf. Zunächst verlieh er seiner bekanntesten
Figur, dem ,,Père Ubu", als dessen Vorbild ihm kein geringerer als sein ehemaliger Chemie-
und Physiklehrer Monsieur Hébert diente, den Titel ,,docteur en pataphysique". Dann ent-
wickelte Jarry nach und nach die vollständige Bedeutung des Begriffs. So hörte er beispiels-
weise in den von ihm in Paris besuchten Philosophievorlesungen von der Atomtheorie
Epikurs, die besagt, daß eine willkürliche ,,[...]Abweichung der Atome vom vertikalen Fall;
[...]"
19
existiert. Gäbe es diese Unregelmäßigkeit im Fall der Atome nicht, könnten diese nicht
aufeinanderstoßen, was wiederum dazu führen würde, daß keine Materie entstehen könnte:
,,Dieses minimale ,Clinamen` läßt die Atome durcheinanderwirbeln und führt zur Formen-
vielfalt der wahrnehmbaren Materie."
20
Diese Theorie macht Jarry sich zu eigen, und das
17
Jarry, Alfred, Gestes et opinions du docteur Faustroll, pataphysicien, Paris, Gallimard, 1980.
18
Boris Vian während eines Radiointerviews, das am 25. Mai 1959 von France 3 ausgestrahlt wurde, hier zitiert
nach Klaus Völker, Boris Vian: der Prinz von Saint-Germain, ein Lese- und Bilderbuch von Klaus Völker,
Berlin: Wagenknecht, 1989, S. 127.
19
Westerweller, Surrealistische Elemente... S. 186.
20
Scheerer, Phantasielösungen... S. 16f.

11
Clinamen wird zu einer der Grundsäulen der Pataphysik: auch an deren Anfang steht der
Zufall, das Willkürliche. Dieser Zufall erscheint im Faustroll sogar als Lebewesen, als ,,[...] la
bête imprévu Clinamen [...]"
21
. Die Pataphysik wird zur Wissenschaft der Abweichungen, des
Besonderen, der Ausnahmen: ,,[...] la pataphysique sera surtout la science du particulier,
quoiqu'on dise qu'il n'y a de science que du général. Elle étudiera les lois qui régissent les
exceptions et expliquera l'univers supplémentaire à celui-ci; ou moins ambitieusement décrira
un univers que l'on peut voir et que peut-être l'on doit voir à la place du traditionnel [...]."
22
Die Pataphysik soll also ein Universum beschreiben, welches anders ist als das, welches der
Mensch ,,traditionellerweise", das heißt aufgrund von Überlieferungen, sieht.
2.1.2. Faustrolls Definition
Ihre endgültige Definition findet die Pataphysik im ersten Kapitel des zweiten Buches
des Faustroll. Hier heißt es: ,,La pataphysique est la science des solutions imaginaires, qui
accorde symboliquement aux linéaments les propriétés des objets décrits par leur
virtualité.
"
23
Diese Definition könnte man etwa wie folgt übersetzen: Die Pataphysik ist die
Wissenschaft der imaginären Lösungen. Sie bringt die Eigenschaften der nach ihren poten-
tiellen Möglichkeiten beschriebenen Objekten symbolisch in Übereinstimmung mit ihren
Umrissen. Die ,,Umrisse" sind das ,,[...] was wir als Realität wahrzunehmen glauben."
24
Diese
,,Realität" ist jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten, die Objekte, die uns umgeben, wahr-
zunehmen, sie ist eine Phantasielösung. Die Pataphysik will nun Objekte in all ihrer Vielfalt
wahrnehmen und dadurch unsere ,,Wirklichkeits"-Lösung durch andere Phantasielösungen
erweitern. Seine Definition macht Jarry schließlich anhand eines Beispiels deutlich:
La science actuelle se fonde sur le principe de l'induction: la plupart des hommes ont vu le plus
souvent tel phénomène précéder ou suivre tel autre, et en concluent qu'il en sera toujours ainsi.
D'abord ceci n'est exact que le plus souvent, dépend d'un point de vue, et est codifié selon la
commodité, et encore! [...] Le consentement universel est déjà un préjugé bien miraculeux et
incompréhensible. Pourquoi chacun affirme-ti-il que la forme d`une montre est ronde, ce qui est
manifestement faux, puisqu'on lui voit de profil une figure rectangulaire
étroite, elliptique de trois quarts, et pourquoi diable n'a-t-on noté sa forme qu'au moment où l'on
regarde l'heure? Peut-être sous le prétexte de l`utile. [...] Il faut donc bien nécessairement
21
Jarry, Gestes et opinions... S. 89.
22
Jarry, Gestes et opinions... S. 31.
23
Ebenda, S. 32.
24
Westerweller, Surrealistische Elemente... S. 223.

12
admettre que la foule [...] est trop grossière pour comprendre les figures elliptiques, et que ses
membres s'accordent dans le consentement dit universel parce qu'ils ne perçoivent que les
courbes à un seul foyer, étant plus facile de coïncider en un point qu'en deux.
25
Jarry rückt hier die Tatsache ins Bewußtsein, daß ein Phänomen nicht in seiner Ganzheit
erfaßt werden kann, wenn man es nur aus einer Perspektive betrachtet. Man kann eine Uhr,
wie das gewöhnlich der Fall ist, als rund wahrnehmen. Man kann sich aber auch zusätzlich
noch vor Augen führen, daß eine weitere Möglichkeit der Wahrnehmung darin besteht, eine
Uhr, betrachtet man sie von der Seite, als eine elliptische Figur zu sehen. Die meisten
Menschen machen sich jedoch nicht die Mühe, eine einmal angenommene, gewohnheits-
mäßige Sichtweise zu hinterfragen, was Jarry zu der Schlußfolgerung kommen läßt, daß die
Masse in der Wahrnehmung ihrer Umwelt nicht feinsinnig genug ist. Die Mehrheit der
Menschen übernimmt einfach ein einmal gegebenes Denkschema, verallgemeinert einmal
oder mehrmals festgestellte Sachverhalte und glaubt, wenn ein Phänomen mehrmals einem
anderen gefolgt ist, müßte dies nun immer so sein - und ist darum nicht mehr dazu in der
Lage, die Dinge vorurteilslos zu betrachten.
2.1.3. Pataphysik und Sprache
Wie bereits beim Uhrenbeispiel deutlich wurde, hält Jarry die Pataphysik, seine neue
Wissenschaft, aus folgendem Grund für nötig: ,,Il s'agit [...] d'une remise en cause de l'image
que nous avons du monde, de la paresse mentale qui nous fait croire le saisir et le connaître,
quand nous sommes prisonniers d'une vision réductrice, que nous manquons une dimension
(au moins!)."
26
Das Bild, das wir uns von der Welt machen, basiert zum größten Teil auf
Sprache: ,,[...] la réalité, c'est-à-dire cet ensemble de représentations articulées en discours et
en récits et par le vecteur desquelles le réel se dérobe à nous à mesure qu'elles semblent nous
donner accès à lui en l'organisant et en pacifiant son chaos."
27
Anhand von Sprache versuchen
wir, das uns umgebende Chaos zu ordnen, mittels Sprache bringen wir unsere Sinnes-
eindrücke in eine Struktur. Wir unterscheiden zwischen belebten und unbelebten Dingen,
zwischen Mensch und Tier, oben und unten und hierarchisieren auf diese Weise unsere
Umwelt. Dabei entsteht der ­ falsche ­ Eindruck, unsere Sprache sei ein Abbild der uns
25
Jarry, Gestes et opinions... S. 32f.
26
Patrick Besnier, Alfred Jarry, Paris: Plon 1990, S. 85.
27
Prigent, ,,`Pataphysique... S. 50.

13
umgebenden Realität, tatsächlich entzieht sie uns jedoch den direkten Zugang zu dieser, denn
sprachliche Zeichen sind lediglich abstrakte Artikulationen, deren Bezug zur außer-
sprachlichen Realität vollkommen arbiträr ist. Sprache ist zunächst nichts anderes als ein
Zufallsprodukt, sie ist nicht natürlich motiviert. Sowohl das Verhältnis von ,,signifiant" und
,,signifié"
28
, also das Verhältnis vo Lautbild des sprachlichen Zeichens und inhaltlicher
Vorstellung, als auch jenes von Zeichen und außersprachlicher Realität ist willkürlich. Somit
ist das Clinamen auch die Grundsäule von Sprache. Der Formenvielfalt der wahrnehmbaren
Materie, die aufgrund der Abweichung der Atome entstehen kann, entspricht die Sprachen-
vielfalt der Welt. Eine der Kommunikation dienende Sprache ist nur eine von vielen Mög-
lichkeiten, unsere Umgebung zu organisieren, die sonst in ihrem chaotischen Durcheinander
auf unsere Wahrnehmung einstürzen würde. Der einzige Unterschied zwischen einer realen
Sprache und der Vielfalt aller anderen möglichen Sprachen, zwischen unserer sogenannten
Realität und allen anderen möglichen Wahrnehmungslösungen, liegt darin, daß wir uns auf
diese eine Möglichkeit der Ordnung geeinigt haben. Der Zufall will es, daß man einen Tisch
einen Tisch zu nennen pflegt, dies ist eine von vielen Phantasielösungen, auf die sich einige
Menschen ­ jene, die deutsch sprechen ­ geeinigt haben. Andere Phantasielösungen sind zum
Beispiel ,,[...] der Glaube an Objektivität, an Konventionen, Moral, Ästhetik usw. [...]."
29
Es
gilt zu berücksichtigen, ,,[...] daß jede Denkart auf den Konsens der Denkenden angewiesen
ist."
30
Der Mensch nimmt also seine Umgebung anhand bereits existierender sprachlicher
Konzepte wahr, was bedeutet, daß der Einzelne seine Sinneseindrücke nicht mehr vorurteils-
frei auf sich wirken lassen kann. Sprache betrügt somit unsere Wahrnehmung, sie läßt uns
denken, sie würde ein Abbild der Realität liefern, sie ist jedoch nur Fassade, hinter ihr ist
nichts. Worte wie ,,das Schöne", das ,,Wahre" oder ,,das Gute" lassen uns beispielsweise
glauben, das, was sie bezeichnen, würde an sich existieren. Für die Pataphysik existieren diese
Universalien jedoch nicht außerhalb der Sprache. Es handelt sich hier nur um Etiketten,
Abstraktionen, die wir durch Sprache kreieren, um die auf uns einströmenden einzelnen
Sinneseindrücke zu ordnen, zu klassifizieren und zu generalisieren. Dieser durch Sprache
entstehenden Illusion bedienen Pataphysiker sich bewußt, im Gegensatz zu anderen
28
Vgl. Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique générale, Hrsg. von Charles Bally und Albert Sechehaye,
Lausanne; Paris: Librairie Payot Cie, 1916, S. 99 ff.
29
Westerweller, Surrealistische Elemente... S. 187.
30
Scheerer, Phantasielösungen... S. 19.

14
Sprechern, die Sprache nicht als einen Lieferant von Illusionen verdächtigen: ,,L'intelligence
implique la tromperie comme la parole le mensonge. Il vaut mieux s'avouer franchement cette
règle du peu et faire sciemment ce que tous font sans le soupçonner."
31
Die Pataphysik will nun Objekte in all ihrer Vielfalt wahrnehmen, um der Gefahr von
Verallgemeinerungen entgegenzutreten, sie will sich von den durch abstrakte sprachliche
Konzepte bedingten ,,a priori" befreien. Für den Schriftsteller Jarry bedeutet das vor allem,
jedes einzelne Zeichen in seiner eigentlichen, unendlichen, nicht repräsentativen Bedeutungs-
vielfalt, also in seiner Materialität wahrzunehmen und nicht in der ausschnittsweisen, auf
Konventionen basierenden, herkömmlichen und somit die Illusion des Abbilds unterstüt-
zenden Bedeutung. Er wirft den meisten Menschen (der ,,foule grossière") eine einge-
schränkte Sichtweise vor, die diese unter dem Vorwand der Nützlichkeit einnehmen: Um sich
zu verständigen, übernehmen sie einmal gegebene Bedeutungsinhalte und meinen, daß, wenn
ein Wort, eine Bedeutung, ein- oder mehrmals aufeinander gefolgt ist, dies immer so sein
muß. Dies ist der Fall, weil die meisten Menschen der Illusion verfallen, es gäbe eine
Entsprechung von Bezeichnungen und Realität. Leichtgläubig lassen sie sich vom ,,Lock-
vogel" Sprache ködern: ,,Ils [les signes] posent cette croyance [de l'adéquation des signes et
du réel] comme leurre."
32
Sprachliche und von daher gedankliche Normen und Konventionen,
die doch durch nichts begründet sind, werden zu starren Regeln, die man nicht mehr hinter-
fragt, da man sich selber und alle anderen in dem Glauben läßt, sie wären natürlich motiviert,
es gäbe eine ,,Wahrheit", die ihnen enspricht. Deshalb richtet sich die Pataphysik gegen alle
Konventionen, gegen alles, was durch gesellschaftliche Vereinbarungen, ohne natürliche
Motivation festgelegt wurde, besonders gegen sprachliche Übereinkünfte.
Jarry möchte den Dingen frei und unvoreingenommen gegenübertreten, sich keiner
Illusion hingeben, er will seine Wahrnehmung durch nichts eingeschränkt sehen, vor allem
nicht durch bereits existierende sprachliche Konzepte. ,,Nie eine vorgegebene Meinung
akzeptieren, keiner Idee auf den Leim gehen, sie sofort in Stücke teilen, keinerlei Glauben,
keinerlei Überzeugungen haben."
33
31
Julien Torma, zitiert nach Jean Wirtz, Métadiscours..., S. XII.
32
Prigent, ,,`Pataphysique... S. 49.
33
Pollack, Phataphysik... S. 12.

15
2.1.4. Fünf charakteristische Merkmale der Pataphysik
Aus den obigen Erklärungen ergeben sich einige charakteristische Merkmale der Pata-
physik:
1. Die Pataphysik ist die Wissenschaft der Phantasielösungen. Da Sprache keine natürlichen
Grenzen hat, kein Abbild der Realität ist, kann mit ihr eine unendliche Vielfalt von Phanta-
sielösungen, von sogenannten ,,Realitäten" geliefert werden.
2. Regeln und Ausnahmen stehen in der Pataphysik gleichwertig nebeneinander. Hierarchien
und Gegensätze wie oben und unten, innen und außen gibt es nicht mehr, alles ist äquivalent.
3. Weil alle Lösungen gleichwertig sind, hat die Pataphysik keine Heilsbotschaft, sie bringt
keine Dogmen hervor, denn Realität läßt sich nicht verallgemeinern. Wahr ist, was der
einzelne als wahr (an)erkennt.
4. Pataphysiker bedienen sich bewußt der Tatsache, daß Sprechen nicht bedeutet, daß das
Gesagte in der außersprachlichen Objektwelt auch tatsächlich so existiert. Das durch Sprache
entstehende Bild ist also eine Illusion ­ und Pataphysiker sind sich dessen bewußt.
5. Die Pataphysik begreift das Universum in seiner chaotischen Totalität. Der Pataphysiker,
der alle Wahrnehmungen und Werte in sich vereint, kann deshalb nach seiner ganz indivi-
duellen Art leben, sich und seine Umgebung so organisieren, wie er will, ohne Rücksicht auf
irgendwie geartete Konventionen, auch in seiner Ausdrucksweise.
2.2. Pataphysische
Institutionen
2.2.1. Das Collège de `Pataphysique
Das Collège de `Pataphysique, in dem Jarrys Theorien zur Anwendung gelangen, wurde
am 11. Mai 1948 von Dr. Irénée-Louis Sandomir zur Erforschung pataphysischer Probleme
gegründet. Zu seinen bekanntesten Mitgliedern zählen neben Boris Vian unter anderem:
Raymond Queneau, Max Ernst, Joan Miró, Jacques Prévert und Eugène Ionesco. Die vom
Collège ernannten Mitglieder haben Forschungen über die Pataphysik durchgeführt oder
haben sich anderweitig im pataphysischem Sinne betätigt, haben - bewußt oder unbewußt -
eine pataphysische Tat begangen, ein Leben im Sinne der Pataphysik geführt. Es existiert eine
strenge Collège-Hierarchie, in der jedes Mitglied eine bestimmte Position innehat und die ­ so
wie jede Hierarchie ­ eine imaginäre Hierarchie ist.

16
So gibt es verschiedene Gruppen, Korporationen, Kommissionen und Unterkommis-
sionen, die mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sind wie beispielsweise Aufgaben im
administrativen Bereich (von der Paketverschickung bis hin zur Kreation von Regenten-Lehr-
stühlen) oder in der Forschung (zum Beispiel im Bereich der angewandten Pataphysik); es
gibt eine Unterkommission für mathematische Fragen sowie eine Unterkommission, die sich
mit der Herstellung von Uniformen für die Collège-Mitglieder befaßt. Jedes Mitglied hat
einen Titel, durch den seine Position in der Collège-Hierarchie festgelegt ist. An oberster
Stelle steht der ,,Curateur" (eine fiktive Person: Jarrys Romanfigur ,,Docteur Faustroll"),
darauf folgt der ,,Vice-Curateur". Desweiteren gibt es die ,,Provéditeure", die ,,Optimaten",
das ,,Corps des Satrapes", die ,,Regenten" (die Lehrbeauftragten des Collèges) sowie die
,,Dataires". Da für Pataphysiker die herkömmlichen Unterscheidungsmerkmale, nach denen
wir gewöhnlich unsere Umwelt klassifizieren ­ beispielsweise in Menschen, Tiere, fiktive und
nicht-fiktive Lebewesen ­ nicht gelten, gibt es neben dem fiktiven ,,Curateur" auch noch
einige Mitglieder, die nicht der Gattung ,,Mensch" angehören, wie einige Hunde, ein Krokodil
sowie eine Schildkröte.
34
Da es sich auch bei der christlichen Zeitrechnung um einen der Ordnung dienenden Akt
der Willkür handelt, verfügen die Mitglieder des Collèges über einen eigenen Kalender,
dessen Jahr Null mit dem der Geburt Alfred Jarrys zusammenfällt. Die Monatsnamen des
Kalenders stammen alle aus Werken Jarrys, so gibt es beispielsweise den Monat Merdre, ein
Ausdruck, der häufig von Jarrys Figur Ubu roi aus dem gleichnamigen Theaterstück
35
benutzt
wird.
Das Collège veröffentlicht außerdem regelmäßig eine Zeitschrift, deren Name sich in
bestimmten Abständen ändert. Hier findet man Beiträge zu pataphysischen Themen und
Persönlichkeiten. Die Nummer 12 der Dossiers
36
etwa sind dem Satrap Boris Vian gewidmet.
Diese ,,Hefte" beschreibt Scheerer wie folgt:
34
Vgl. Wirtz, Métadiscours... S. 34.
35
Alfred Jarry, Ubu roi ou les polonais, Paris: Booking international, 1995.
36
Dossier Nr. 12, Collège de `Pataphysique, 1960.

17
Blättert man nur eines der [...] Hefte durch, so bemerkt man rasch, daß es sich an Eingeweihte
richtet, die mit sprachspielerischen Effekten ganze Bedeutungswelten verbinden und sich in der
verwirrenden Textmischung auskennen. [...] Rasch wechselt die Absicht der Verfasser: dem
Anfänger ist selten klar, wo er eine handfeste Nachricht und wo er ein Phantasieprodukt vor sich
hat. [...] er [...] lernt hier ein wissenswertes Faktum, entlarvt dort eine Spinnerei, entschlüsselt
eine graphische Assoziation und kämpft stets mit der gedrechselten Sprache aus Verdrehungen,
Neubildungen, Archaismen, Latinismen und Gräzismen.
37
Anhand dieser Beschreibung der Zeitschrift wird das der Pataphysik eigene systema-
tische Nebeneinander von Wirklichkeit und Fiktion sowie der besondere, pataphysische
Umgang mit Sprache deutlich. Es wird sowohl mit der Arbitrarität der Sprache als auch mit
jener der Gesetze der sogenannten ,,Realität" gespielt.
Auf den ersten Blick mögen die Aktivitäten des Collège etwas bizarr wirken und es mag
den Anschein haben, daß es den Mitgliedern nur um einen gewissen Unterhaltungswert geht,
tatsächlich jedoch wird innerhalb des Collège die Pataphysik ebenso seriös wie unseriös
betrieben, was aufgrund des Äquivalenzprinzips für Pataphysiker ein- und dasselbe ist: ,,Un
des principes fondamentaux de la Pataphysique est d'ailleurs celui de l`Equivalence. C'est
peut-être qui vous explique ce refus que nous manifestons de ce qui est sérieux, de ce qui ne
l'est pas, puisque pour nous, c'est exactement la même chose, c'est pataphysique."
38
Um was aber genau geht es den Mitgliedern des Collèges, wenn ihr ,,Institut" mehr sein
soll als eine unterhaltsame Huldigung an Jarry? Eine Antwort darauf findet man im Testament
des bereits weiter oben genannten Collège-Gründers und Vize-Kurators Irénée-Louis
Sandomir: ,,Le Collège de `Pataphysique apparaît comme une société intégralement
sociétaire. [...] Il porte jusqu'à l'Acrote suprême [...] les déterminations spécifiques de la
Socialité pure, qui, toutes, sont issues de la Fictivité."
39
Im Collège werden also fiktive gesell-
schaftliche Regeln auf die Spitze getrieben, wie das bei der bereits beschriebenen extremen
und absurden Hierarchisierung ­ Komissionen, Unterkomissionen usw. - der Fall ist. Absurd
ist dieser hierarchische Aufbau gerade aufgrund seines fiktiven und willkürlichen Charakters,
und obwohl ihn nichts legitimiert, wird er von allen Mitgliedern eingehalten, denn sie haben
sich auf diesen Aufbau geeinigt. Das Collège ähnelt somit einem bürokratischen Apparat, wie
man ihn auch in unserer ,,realen" Gesellschaft vorfinden kann, deren Apparate und Regeln ja
ebenfalls in der Fiktion ihren Ursprung haben:
37
Scheerer, Phantasielösungen... S. 13f.
38
Noël Arnaud, Henri Baudin (Hrsg.), Boris Vian: Colloque de Cérisy-la-Salle, Bd. II, Paris: Union Générale
d'Éditions, 1977, S. 388.
39
Irénée-Louis Sandomir, Opus pataphysicum, Collège de `Pataphysique, 1959, hier ­ da nicht anders erhältlich

18
L'institution ne fait ainsi qu'exemplifier, et magnifier, ,la nature fabulatrice des relations
sociales` qui règlent toute vie collective. Si les membres d'un groupe, quel qu'il soit, feignent de
croire à cette fiction sans que son caractère fictif leur échappe entièrement`, le pataphysicien
s'offre le privilège, y adhérant sciemment, d'en explorer avec rigueur et application les virtualités
[...]. Au sein du Collège, ,toutes les attributions de la socialité
peuvent être assumées` avec, dorénavant, une lucidité qui les transfigure [...]. La création,
l'organisation pérenne et jusqu'au fonctionnement rituel du Collège s'interprètent en somme
comme strictes effectuations de l'imaginaire social. L'implicite (ou l'inconscient) collectif
devient ici norme explicite [...].
40
Die Tatsache, daß unsere Welt, unsere Gesellschaft, nur eine aller möglichen Welten ist,
daß unsere Hierarchien, Regeln und Normen alle einen fiktiven Charakter haben, daß sie auch
ganz anders sein könnten, wir uns nur zufällig auf eben diese Regeln geeinigt haben, machen
sich die Mitglieder des Collèges stets bewußt, in dem sie bewußt eine soziale Fiktion leben.
Die Pataphysiker des Collèges greifen in ihrer ,,Weltsicht" Jarrys ,,Clinamen-Grundsäule"
wieder auf: ,,[...] (elle) semble servir à traduire tout ce qu'il y a d'arbitraire, de capricieux, de
sans-cause, d'aberrant dans l'univers."
41
Da es aufgrund des Clinamens keine feststehenden
Regeln, keine beständigen Gesetzmäßigkeiten von Ursache und Wirkung gibt, Kausalität und
Logik aufgehoben sind, kann man sie willkürlich neu erfinden. Die sogenannte objektive
Wirklichkeit und ihre bestehenden Gesetze sind nur Fiktion, sie existieren nur in unserem
Denken. Verändert man das Denken, schafft man gedanklich beziehungsweise sprachlich
etwas Neues, verändert man die Wirklichkeit, schafft sie neu. Was aber ist der Grund dafür,
daß der Mensch sich eine sogenannte Realität, eine solche Struktur schafft, in der alles in
einer bestimmten Ordnung existiert? Regiert der Zufall, herrscht Chaos. Unser gesamtes
gesellschaftliches System, unsere Apparate und Hierarchien sind somit eine Art verzweifelter
Versuch ,,[...]eine Ordnung in das ursprüngliche Chaos [...]"
42
zu bringen. Verzweifelt
deshalb, weil diese ,,Ordnung" nur oberflächlich bestehen kann, im Kern ist sie unerreichbar,
sie ist immer nur eine ,,aufgesetzte" Phantasielösung. Der hierarchische Aufbau des Collèges,
seine Struktur ­ vom Vorsitzenden der Unterabteilung des Auschusses für Schöne und Häß-
liche Künste über den Transzendenten Satrap bis zum Vize-Kurator ­ sind ein Spiegel unserer
ebenso aufgebauten Gesellschaft (allerdings weist das Spiegelbild aufgrund des ,,Auf-die-
- zitiert nach Jean-François Jeandillou, ,,Langage pataphysique et discours humoristique" in: Poétique, Nr. 118,
April 1999, S. 241.
40
Ebenda, S. 241.
41
Dieses Zitat stammt aus einer ,,Thèse" von Keith Beaumont, die in der Subsidia Pataphysica Nr. 7
veröffentlicht wurde, die, wie alle anderen Zeitschriften des Collège, leider nicht zugänglich war. Zitiert
wurde hier nach Pollack, Pataphysik... S. 164.
42
Ebenda, S. 165.

19
Spitze-Treibens" ein paar kleine Verzerrungen auf, Wirtz bezeichnet das Collège deshalb
auch als ,,machine à mystifier"
43
).
Sprache ist die Grundlage des Gebildes ,,Collège", sie schafft willkürlich Ämter und
Funktionen, indem sie ihnen einen Namen gibt: ,,En tant qu'institution administrative, le
Collège est par excellence un édifice langagier dont la hiérarchie, les titres honorifiques, les
actes et, au premier chef, les Status sont tout de mots et de syntaxe tissus."
44
Mittels Sprache
wird aus dem Nichts eine Institution geschaffen, deren Funktionäre existieren, weil man ihnen
einen Namen gegeben hat: ,,Le système des noms propres contribue à cette mise en forme du
vide."
45
Jean-François Jeandillou vergleicht in seinem Aufsatz über pataphysische Sprache die
generellen Eigenschaften von Sprache mit den Eigenschaften des Collège und kommt zu
folgendem Schluß:
Sa particularité, celui-ci la doit à la constitution tout arbitraire des éléments qui le composent;
seule les détermine une convention pure, dénuée de motivation naturelle comme de fondement
rationnel ou subjectif. [...]l'arbitrarité absolue des signes leur confère une dimension exceptio-
nellement exemplaire. Or, on aura compris que le Collège de'Pataphysique, à l'instar de la langue
selon Saussure, ,,n'existe qu'en vertu d'une sorte de contrat passé entre les membres de la
communauté"; en tant que système social entièrement immotivé, il réalise aussi comme la langue
et ,,mieux que les autres, l'idéal du procédé sémiologique".
46
So wie Sprache wegen der ihr eigenen Arbitrarität als Kommunikationsmittel nur auf-
grund von bestimmten Übereinkünften funktioniert, existiert der Collège-Aufbau aufgrund
der Übereinkünfte der Mitglieder. Auf diese Weise führt das Collège sich selbst und anderen
vor Augen, daß die Systeme unserer Gesellschaft so, wie sie sind, auch nur aufgrund solcher
Übereinkünfte funktionieren ­ um Ordnung ins Chaos zu bringen - und von daher ohne
weiteres in Frage gestellt werden können. Sprache erfüllt also im Collège ­ so wie auch in
unserer realen Gesellschaft - die Rolle eines Strukturwerkzeugs, anhand von Sprache wird
spielerisch eine fiktive Hierarchie aufgebaut, Sprache erschafft das Gebilde ,,Collège". Und
so, wie sie dieses Gebilde erschafft, kreiert sie die gesamte pataphysische Welt, in der Realität
und Imagination eins werden, sie ist "[...] Lieferant von Phantasielösungen und Objekt
pataphysischer Experimente.[...] Dem Erfindungsgeist sind in der Sprache keine Grenzen
gesetzt."
47
. Wirtz bezeichnet die Pataphysik als einen ,,nominalisme ludique"
48
, einen spiele-
43
Wirtz, Métadiscours... S, 30.
44
Jeandillou ,,langage pataphysique... S. 240.
45
Wirtz, Métadiscours... S. 70.
46
Ebenda, S. 241.
47
Westerweller, Surrealistische Elemente... S. 200.
48
Wirtz, Métadiscours... S. 34.

20
rischen Nominalismus: Bezeichnungen sind die einzige Wahrheit, die der Mensch kennt.
Pataphysiker von Jarry über Vian bis hin zu Queneau schöpfen ihre Kreativität aus der Tat-
sache, daß Sprache nur eine Maske ist: ,,[...] tout discours [...] n'est qu'une ,façade sans rien
derrière.`"
49
Sie zertrümmern die althergebrachte Fassade und entwerfen sie neu. Sie betrach-
ten und kombinieren Zeichen losgelöst von ihren alltäglichen Bedeutungen in ihrer ursprüng-
lichen Vieldeutigkeit. Nur durch Abweichungen von den Regeln läßt sich etwas Neues
schaffen. Wer Sprache durch Regeln beschränkt, beschränkt sein Denken, seine Sichtweise,
beschränkt die Vielfalt der Welt. Pataphysiker aber wehren sich ­ mit unterschiedlicher
Heftigkeit - gegen diese Limits ,,Die meisten Menschen akzeptieren Ideen und Ideenverbin-
dungen, so wie sie in Gebrauch sind."
50
und übernehmen ebenso Worte und Wortverbin-
dungen, so wie sie in Gebrauch sind und limitieren damit ihre Vorstellung. Pataphysiker
überwinden diese Grenze, sie erlangen ihre sprachliche und gedankliche Autonomie zurück,
es gilt. ,,[...] ce qui est à partir de ce qui est dit."
51
2.2.2. Der Orden der großen Gidouille
Neben dem Collège gibt es eine weitere Verbindung von Pataphysikern, die Ordre de la
Grande Gidouille
(OGG), deren Statuten von Alfred Jarry selbst verkündet wurden. Oft sind
Mitglieder des Collèges zugleich Mitglieder dieses Ordens, der zudem eine ähnlich kompli-
zierte Hierarchisierung wie das Collège aufweist. Die Mitglieder tragen an ihrer Kleidung das
Zeichen der ,,Gidouille", einer Spirale, die in Jarrys Theaterstücken schon den Bauch des
,,Père Ubu" zierte. Die Spirale ist die grafische Darstellung der Pataphysik, eine nicht endende
Kreisbewegung, die eine ewig währende Annäherung (oder Abschweifung) versinnbildlicht.
In der Spirale gibt es keinen Stillstand, keinen festen Halt, nichts ist definitiv. Ihre Bewegung
strebt einem Ziel zu, daß sie nie endgültig erreicht, es ist ein ständiges Unterwegs-Sein: ,,Der
Kreis, ein Bild für die stete Wiederkehr des Gleichen, drückt dieses nie aufgegebene, immer
wieder mißlingende Bestreben aus."
52
, das heißt das Bestreben, Wirklichkeit einzufangen.
Boris Vian entwarf für den Orden der großen Gidouille einen ,,Gidouillographen", einen
Apparat, mit dem man Gidouillen zeichnen könnte:
49
Ebenda, S. 67.
50
Pollack, Pataphysik ... S. 170.
51
Wirtz, Métadiscours... S. 46.
52
Borter-Scuichetti, Annäherung an das Namenlose..., S. 141.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832428747
ISBN (Paperback)
9783838628745
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – unbekannt
Note
1,7
Schlagworte
pataphysik strukturalismus wortspiele individualismus
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Titel: Probleme der Übersetzung bei Boris Vian anhand ausgewählter Beispiele
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