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Der Begriff des Grundes bei Meister Eckehart

Erkenntnistheoretische Modelle und ihre pragmatisch-ethische Bedeutung in Eckehart von Hochheims spekulativer Mystik

©2000 Magisterarbeit 109 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die philosophische Beschäftigung mit Problemen der Erkenntnistheorie umfasst ein weites Feld. Das verwundert kaum, ist doch die Frage, was wir erkennen und folglich was wir wissen können, eine der wichtigsten philosophischen Fragen. Sie ist umso bedeutender, als, von ihr ausgehend, andere philosophische Fragen beantwortet werden können. Sie ist die Prämisse zu weiteren Fragestellungen. Von ihrer Beantwortung hängt es ab, in welcher Richtung darauf aufbauende Thesen weitergedacht werden. Die Frage nach dem, was wir wissen können, ist selbst nicht tendenziös, bringt aber eine Tendenz in die Folgeüberlegungen. Selbst wertneutral, legt sie den Grund für Wertüberlegungen.
Wenn wir uns heute mit erkenntnistheoretischen Problemen beschäftigen, tun wir das nicht oder nicht mehr aus der Motivation heraus, vorgegebene gesellschaftliche Denkschemata, seien diese nun konfessioneller, politischer oder naturwissenschaftlicher Art, zu bestätigen oder zu verneinen. Jene Arbeit kann gegenwärtig viel effektiver von den entsprechenden Fachleuten geleistet werden, die die Fülle des sich ständig vergrößernden Materials ihrer Forschungsrichtung besser überblicken. Neurobiologen, Psychologen, Physiker und Religionswissenschaftler können Theorien über die Mechanismen des Erkennens entwickeln, diskutieren und verifizieren. Unsere Aufgabe als Philosophen ist es aber vielmehr, gerade vor dem Hintergrund unseres enorm angewachsenen Partikularwissens in einzelnen Forschungsbereichen die Grundfragen der Erkenntnistheorie neu zu stellen. Unsere Aufgabe ist es, Erkenntnismodelle als solche kritisch zu untersuchen. Unser Beitrag zu einer immer komplexer werdenden und pluralistischen Gesellschaft kann insbesondere darin bestehen, jene Mechanismen des Erkennens selbst, die mitunter die Grundlagen für so viele unterschiedliche Meinungen und Werturteile vermitteln, zu hinterfragen.
Epochen sind ein Spiegel der in ihnen vorherrschenden und sozial geteilten Vorstellungen über Werte. Werte waren aber zuerst Wissenswertes, Wissbares, und dann Gewusstes. Wenn wir also eine Epoche verstehen wollen, sei es die klassische Antike oder das Cyberzeitalter, müssen wir lernen, ihren Wertekanon nachzuvollziehen, denn durch kaum etwas anderes wird sie – innerlich und äußerlich – deutlicher gestaltet als eben durch ihre gesellschaftlich akzeptierten Auffassungen vom guten und gerechten Leben, von dem, was erstrebenswert ist und von dem, was vermieden werden sollte. […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 2638
Altmeyer, Claudia: Der Begriff des Grundes bei Meister Eckehart: Erkenntnistheoretische
Modelle und ihre pragmatisch-ethische Bedeutung in Eckehart von Hochheims spekulativer
Mystik / Claudia Altmeyer - Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 2000
Zugl.: Saarbrücken, Universität, Magister, 2000
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Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 2000
Printed in Germany


1
To his heart, bidding it have no fear
Be you still, be you still, trembling heart;
Remember the wisdom out of the old days:
Him who trembles before the flame and the flood,
And the winds that blow through the starry ways,
Let the starry winds and the flame and the flood
Cover over and hide, for he has no part
With the lonely, majestical multitude.
William Butler Yeats

2
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS
2
VORWORT
4
TEIL 1: ERKENNBARES: DER GRUND UND SEINE ERKENNTNIS-
THEORETISCHEN IMPLIKATIONEN
8
1.1 Mystische Erkenntnistheorie
10
1.1.1 Erkenntnistheoretische Prämissen Eckeharts
10
1.2.2. Das Erkennbare als Gestalt
18
1.2.3. Die erkenntnistheoretische Bedeutung des Todes
25
1.2. Die mystische Rede vom Grund
30
1.2.1. Selbstvergewisserung und Gotteserfahrung
31
1.2.2. Gott ist ohne Qualität
35
1.2.3. Gott ist reines Erkennen
38
TEIL II: ERKENNTNISPROZESSE: KOMMUNIKATION MIT DEM GRUND
47
2.1. Mystagogie oder die Hinleitung zum Grund
48
2.1.1. Der mystische Tod
49
2.1.2. Eckeharts Todesverständnis
53
2.1.3. Das Sein im Nichtsein
56
2.2. Der Mensch als Erkennender
59
2.2.1. Erkenntniskräfte im Modell der Seele
60
2.2.2. Die Rolle der Vernunft
67
2.2.3. Ein Erkenntnismodell
71

3
TEIL III: GELEBTE ERKENNTNIS: DER GRUND UND SEINE
PRAGMATISCHE DIMENSION
76
3.1. Der Grund im Hinblick auf moralische Polarisierungen
77
3.1.1. Das Gute ­ eine dynamische Konzeption
78
3.1.2. Kontemplation und Tätigsein
82
3.1.3. Der Kampf um das Gute
85
3.2 Gerechtes Handeln, gerechtes Sein
89
3.2.1 Modelle ethischer Tendenzen
91
3.2.2 Die Konzeption des Gerechten
98
3.2.3 Ethik ohne Gott?
102
VERZEICHNIS DER VERWENDETEN LITERATUR
104

4
Vorwort
"Das wissenschaftliche Erkenntnisstreben hat im 19. Jahrhundert zur Grenzvorstellung einer
objektiven, von aller Beobachtung unabhängigen materiellen Welt geführt, und am Ende des
mystischen Erlebnisses steht als Grenzzustand die von allen Objekten völlig abgelöste, mit der
Gottheit vereinigte Seele. Zwischen diesen beiden Grenzvorstellungen sieht Pauli das
abendländische Denken gleichsam ausgespannt."
WERNER HEISENBERG, Schritte über Grenzen
"Von Natur aus strebt er (der Philosoph, A.d.A.) zum Sein. Er kann nicht bei dem vielen Einzelnen
verweilen, von dem man nur meint, es sei. Er geht vielmehr weiter und wird nicht entmutigt, noch
lässt er vom Eros ab, ehe er die Natur von Jeglichem, das ist, erfasst hat...Hat er sich nun dem
wahrhaft Seienden genähert und sich mit ihm verbunden und hat er so Wahrheit und Vernunft
gezeugt, dann ist er zur Erkenntnis gelangt."
PLATON, Der Staat
"Was man erkennen will, muss man in seiner Ursache erkennen."
MEISTER ECKEHART, Deutsche Predigten
Die philosophische Beschäftigung mit Problemen der Erkenntnistheorie umfasst ein weites Feld. Das
verwundert kaum, ist doch die Frage, was wir erkennen und folglich was wir wissen können, eine der
wichtigsten philosophischen Fragen. Sie ist umso bedeutender, als, von ihr ausgehend, andere philosophi-
sche Fragen beantwortet werden können. Sie ist die Prämisse zu weiteren Fragestellungen. Von ihrer Be-
antwortung hängt es ab, in welcher Richtung darauf aufbauende Thesen weitergedacht werden. Die Frage
nach dem, was wir wissen können, ist selbst nicht tendenziös, bringt aber eine Tendenz in die Folgeüber-
legungen. Selbst wertneutral, legt sie den Grund für Wertüberlegungen
1
.
Wenn wir uns heute mit erkenntnistheoretischen Problemen beschäftigen, tun wir das nicht oder nicht
mehr aus der Motivation heraus, vorgebene gesellschaftliche Denkschemata, seien diese nun konfessio-
1
Platons Ausführungen zum Problem des Wissbaren finden sich insbesondere im Staat ( über moralische Polar-
isierungen: Erstes Buch, 351 ff. und 353 f., über den Wert der moralischen Wahl: Zweites Buch, 357 ff., über die
Fragbarkeit eines göttlichen Erkenntnisgrundes: Drittes Buch, 386 ff., und viele andere Textstellen) und im Pro-
tagoras ( über die Lehrbarkeit der Tugend: explizit in den Textstellen 313 ff., 331 ff., 350 ff), wo es einmal um
allgemeine Fragen zum Ablauf von Erkenntnisprozessen, im anderen Fall um die Validierung von Werturteilen
als den Ergebnissen dieser Prozesse geht. Beide Dialoge bestechen durch ihre ausgesprochen pragmatische Aus-
richtung: handelt es sich in der politischen Utopie des Staates um eine Realisierung von Bedingungen, die den
Erkenntnisgewinn und das kollektive Wohl gleichermassen positiv beeinflussen sollen, macht sich die zeitlos
aktuelle Streitfrage um die Lehrbarkeit von Tugend ­ Gegenstand des Streitgesprächs zwischen Sokrates und
Protagoras ­ eine individuelle Nutzung von erkenntnistheoretischen Parametern und deren Mitteilbarkeit zum
Thema.

5
neller, politischer oder naturwissenschaftlicher Art, zu bestätigen oder zu verneinen. Jene Arbeit kann ge-
genwärtig viel effektiver von den entsprechenden Fachleuten geleistet werden, die die Fülle des sich stän-
dig vergrössernden Materials ihrer Forschungsrichtung besser überblicken. Neurobiologen, Psychologen,
Physiker und Religionswissenschaftler können Theorien über die Mechanismen des Erkennens entwik-
keln, diskutieren und verifizieren. Unsere Aufgabe als Philosophen ist es aber vielmehr, gerade vor dem
Hintergrund unseres enorm angewachsenen Partikularwissens in einzelnen Forschungsbereichen die
Grundfragen der Erkenntnistheorie neu zu stellen. Unsere Aufgabe ist es, Erkenntnismodelle als solche
kritisch zu untersuchen. Unser Beitrag zu einer immer komplexer werdenden und pluralistischen Gesell-
schaft kann insbesondere darin bestehen, jene Mechanismen des Erkennens selbst, die mitunter die
Grundlagen für so viele unterschiedliche Meinungen und Werturteile vermitteln, zu hinterfragen.
Epochen sind ein Spiegel der in ihnen vorherrschenden und sozial geteilten Vorstellungen über Werte.
Werte waren aber zuerst Wissenswertes, Wissbares, und dann Gewusstes. Wenn wir also eine Epoche
verstehen wollen, sei es die klassische Antike oder das Cyberzeitalter, müssen wir lernen, ihren Werteka-
non nachzuvollziehen, denn durch kaum etwas anderes wird sie ­ innerlich und äusserlich ­ deutlicher
gestaltet als eben durch ihre gesellschaftlich akzeptierten Auffassungen vom guten und gerechten Leben,
von dem, was erstrebenswert ist und von dem, was vermieden werden sollte. Dieser Versuch ist aber un-
trennbar mit einem Nachvollzug der erkenntnistheoretischen Mechanismen, die zur Gründung der zeitge-
schichtlich bestimmenden Werte führten, verbunden. Die Prozesse des Wissensgewinns in ihrer epochal
unterschiedlichen Ausprägung verstehen heisst folglich, ihre Ergebnisse, die kulturellen Werte, und somit
die Epoche selbst, zu verstehen.
Aus einer prämoralischen Perspektive heraus können wir heute als Philosophen Verständnisarbeit leisten,
indem wir diese Erkenntnisprozesse transparent machen. Wir fördern damit nicht nur ein historisches
Verständnis für verschiedene Zeitalter, sondern vor allem auch einen Einblick in aktuelle Probleme des
Werturteils und der Normbegründung. Ein Epochenvergleich ist oft sinnvoll, um erkenntnistheoretische
Diskussionen der Gegenwart zu kontrastieren. Jenseits von Gut und böse geht es darum, zu hinterfragen,
welche Mechanismen des Erkenntnisgewinns Voraussetzung für bestimmte Werturteile sind
2
.
Die Hinterfragung erkenntnistheoretischer Prozesse hat einen essentiellen Charakter. Der Erkennende
ist, als Erkennender, Mensch, und er ist als Handelnder, folglich als der, der das Erkannte realisiert,
Mensch. Ob Wertethik oder Zweckrationalität das Bild einer Kultur prägen, hängt insbesondere davon ab,
zu welchem gesellschaftlichen Konsens es über den Menschen als solchen kommt. Erkenntnismodelle
und, von ihnen aus entwickelt, ethische Konzepte, korrellieren immer mit Vorstellungen von dem, was
der Mensch ist. Die cartesianische Maxime führt hier zu weit ­ es geht an dieser Stelle nicht darum, zu
überlegen, ob die Fähigkeit des Erkennens das konstitutive Kriterium des Menschen ist, oder ob die Er-
kenntnisfähigkeit in einer anderen, nichtkausalen Weise mit dem Menschsein einhergeht
3
. Wichtig ist es
2 Wir brauchen Nietzsches Ehrgeiz, verbindlich geltende Gesetze über die Prinzipien des Daseins aufzustellen, wie
er ihn im gleichnamigen Pamphlet verwirklichen wollte, natürlich nicht zu teilen. Dennoch kann sein Spätwerk,
insbesondere auch Zur Genealogie der Moral, in seiner gänzlichen Distanzierung von tradierten Normbegriffen
einen wertvollen Kontrast zu unserer Diskussion von Eckeharts Erkenntnismodellen darstellen, die noch tief im
überkommenen abendländisch- neuplatonischen Denken verwurzelt sind. S.a. Georgio Colli (Hg): Nietzsche,
Kritische Studienausgabe, Bd. V, Berlin, S.415 ff. Der Nihilismus Nietzsches ist, in seiner radikalen Absage an
ein theologisch verstandenes erkenntnistheoretisches Apriori, gleichsam die Asymptote der Mystik. Ich werde
innerhalb der folgenden Untersuchung noch mehrfach darauf zurückkommen.
3
Zur Frage der gegenseitigen Bedingung von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisprozess vgl. René Descartes, Me-
ditationen über die Grundlagen der Philosophie, Zehntes Axiom: "In der Vorstellung oder dem Begriff jeder Sa-
che ist das Sein enthalten, weil man etwas nur als seiend auffassen kann..." ­ Meister Eckeharts Konzeption der
scintilla animae, des ,,Seelenfünkleins", kommt einer Vermittlungsinstanz zwischen Begrifflichkeit und Sein nahe
(vgl. Predigt 51, DW, S. 393, 35 ff, hier wie im Folgenden zitiert nach: Josef Quint (Hg): Meister Eckehart ­
Deutsche Predigten und Traktate, Zürich 1979, jeweils DW, Seiten- und Zeilenzahl. Die im Zuge der Untersu-
chung immer wieder vorkommenden Hinweise auf DW beziehen sich nicht auf Gesamtvolumina Eckehartischer

6
jedoch, im Rahmen dieser Untersuchung festzuhalten, dass die menschliche Fähigkeit, sich vermittels Er-
kenntnisprozessen selbst zu definieren und das Handeln durch rechtfertigbare Vernunftentscheidungen zu
strukturieren, von grosser Bedeutung für die erkenntnistheoretische Diskussion ist. Vor der Frage nach
dem Handeln steht, von einer einflussreichen abendländischen Tradition ausgehend, die schon bei den
Vorsokratikern ihren Anfang nahm und immer noch diskutierfähig ist, die Frage nach dem Sein
4
.
Meister Eckehart schliesslich, dessen Erkenntnismodelle Gegenstand der folgenden Untersuchung sein
werden, plädiert dafür, Ethik im Sinne einer Wertethik mit ausgesprochen autonomen Charakter als eine
Art gelebte Selbsterkenntnis aufzufassen. Wer richtig handeln will, meint er, muss zuerst erkennen, was
er ist. Damit verschiebt sich die ursprünglich erkenntnistheoretisch formulierte Frage also ganz deutlich
auf eine ontologische Ebene. Das ist nicht unproblematisch, denn eine Ontologie im Verständnis dieses
grossen deutschen Mystikers schliesst ein ­ streitbares ­ primordiales Eins mit dem Erkenntnisursprung,
dem sogenannten"Grund" als einer göttlich interpretierten Erstursache, ein. Inwiefern diese Erstursache
Erkenntnisprozesse initiiert und ihren Ablauf und ihre Ergebnisse beeinflusst, soll hier nun untersucht
werden. Da die Fragestellung nach der Ursache des Erkennens bei Eckehart auf eine geradezu exemplari-
sche Art ontologisch gefärbt ist, wird hier auch der Tod in seiner Bedeutung für das Wissbare und Be-
wertbare thematisiert. Der mystische Tod ist dabei eine Metapher für einen bestimmten Erkenntnisweg in
die Erstursache zurück; ein Weg, dessen Beschreiten für den Lehr- und Lebemeister Eckehart die Bedin-
gung für eine umfassende Wissens- und Wertereflexion ist.
Die Rezeption von klassischen Autoren wirft oft nicht nur ein Licht auf die Autoren, sondern auch auf
die rezipierende Epoche. Die Fragen, die die Eckehartforschung gestellt hat, legten lange Zeit den
Schwerpunkt auf metaphysische und erkenntnistheoretische Probleme als solche und entfalteten diese vor
einem theologisch- philosophischen Hintergrund
5
. Jene zum grossen Teil ausgezeichnete und fundierte
Forschungsarbeit ist auf dieser Ebene kaum zu übertreffen. Allerdings sind die Fragen, die wir als Philo-
sophen heute stellen, und die realen Konflikte, mit denen wir konfrontiert sind, mittlerweile andere, und
die Antworten, die wir uns durch die Rezeption klassischer Autoren erhoffen, ebenfalls. Ich denke, wir
sollten der veränderten Gesamtsituation in unserer Forschung Rechnung tragen, um die Philosophie vor
einem Ausschluss ins gesellschaftliche Ghetto der Wirkungslosigkeit zu bewahren. Wir sollten es wagen,
gerade auch angesichts der gesteigerten sozialen Nachfrage nach Wertethik, erkenntnistheoretische Fra-
gen weiterzudenken und uns mit ihren konkreten Folgen und insbesondere ihren moralischen Implikatio-
nen auseinandersetzen.
Werke, sondern, sofern nicht anders angegeben, ebenfalls auf Quints Studienausgabe). Das jedoch nur als kurzer
Vorgriff; die Fragestellung ist insgesamt natürlich wesentlich komplexer.
4
Ähnliche Denkansätze sind bereits bei Parmenides verwirklicht, der in seinem Lehrgedicht der Göttin die Worte
in den Mund legt, die Nichterkenntnis des Seins mache die Menschen zu ohnmächtig herumgetriebenen, blinden
Geschöpfen (VI/5). Zur Rolle des Seins im Zusammenhang mit verschiedenen Weltauslegungsprinzipien vgl.
u.a. auch Hanspeter Padrutt: Und sie bewegt sich doch nicht. Parmenides im epochalen Winter, Zürich 1992.
Selbstverständlich würde eine ausführliche Analyse des überaus schwierigen Lehrgedichts, sei es auch nur in die-
ser Hinsicht, den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.
5
Hier ist insbesondere die Arbeit des Eckehartkenners Alois M. Haas hervorzuheben ( exemplarisch für viele sei-
ner Werke hier nur eine kurze Erwähnung: Nim dîn selbes war, Studien zur Lehre der Selbsterkenntnis bei Mei-
ster Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, Freiburg/ Schweiz 1971, zu theologisch-philosophischen
Grenzfällen, Gottleiden ­ Gottlieben, Frankfurt 1989 zum Kulturvergleich mystischer Erfahrungsberichte). Sein
Schwerpunkt liegt, ähnlich wie der von Werner Beierwaltes, Hans Urs von Balthasar oder Josef Quint, vornehm-
lich auf der Positionierung der eckehartschen Erkenntnistheorie innerhalb der komplexen philosophischen und
theologischen Tradition seiner Epoche. ­ Wenn diese hervorragenden historisch-systematischen Analysen für
heute fruchtbar gemacht werden sollen, müsste man, denke ich, ihre Ergebnisse konsequent mit Gegenwartsfra-
gen in Bezug setzen.
Ich versuche das im dritten Teil dieser Arbeit, in der es um die Konzeption des gerechten Menschen und die Fra-
ge nach dem richtigen Handeln als einem Handeln aus dem Grund heraus geht.

7
Erkenntnistheoretische Modelle reflektieren unser Selbstbild als Individuen und Kulturen; als Individuen
und Kulturen reflektieren wir unser Selbstbild mittels erkenntnistheoretischer Modelle. Wir müssen nicht
nur, im Eckehartischen Sinn, verstehen, was wir sind, um erkennen zu können, wie wir uns kulturell inte-
grieren sollen, sondern wir müssen es andererseits auch verstehen, uns kulturell zu integrieren, um wissen
zu können, was wir sind. Beide Richtungen sind eigentlich nur dann möglich, wenn die Erkenntnisprozes-
se als solche, in Theorie und Praxis, transparent und damit befragbar gemacht werden. Letztlich hilft uns
dieser Vorstoss vielleicht, zu dem zu gelangen, was gewissermassen doch das eigentliche Ziel vieler an-
sonsten noch so stark divergierender Philosophen ist: sich schliesslich selbst, als denkender, handelnder
Mensch, ein bisschen besser zu verstehen.

8
Teil 1:
Erkennbares: Der Grund und seine erkenntnistheoretischen Im-
plikationen
Das gelingende Leben ­ zeitlos aktuelles Ziel der philosophischen Rechtfertigungsarbeit ­ kann auf vie-
lerlei Arten interpretiert werden: als Glück, als Seelenfrieden, oder einfach als Abwesenheit von
Schmerz. Allen Interpretationen, unabhängig von ihrer weiten kulturellen und epochalen Streuung, ist je-
doch gemeinsam, dass sie moralische Parameter voraussetzen, mittels derer das gelingende Leben als
solches verwirklicht werden kann.
Um aber Handlungsnormen aufzustellen, die etwa im Sinne einer Wertethik ein substantielles Gutes
realisieren und ein Übel vermeiden wollen, oder im zweckrationalen Verständnis grösstmöglichen Nut-
zen gewährleisten sollen, ist es zunächst wichtig, die Begriffe von Gütern selbst zu klären. Ist das Gute
nutzbringend, ist das Nützliche gut? Ferner, was ist überhaupt das Gute? Ist das Gute für den Einzelnen
dasgleiche wie für die Gemeinschaft? Wer entscheidet über Güter, und welche Instanz kontrolliert ihre
Verwirklichung?
Alle diese Fragen können nur vor dem Hintergrund unserer Vorstellung dessen, was der Mensch wissen
kann, beantwortet werden. Der ethischen Frage geht die erkenntnistheoretische voraus. Wenn wir es also,
wie gerade heute, mit einem Aufeinandertreffen kulturell verschiedener Normen zu tun haben, verbirgt
sich dahinter immer auch eine kulturell unterschiedliche Auffassung von dem, was in der Wissens- und
Entscheidungskompetenz des Menschen liegt
1
.
Die menschliche Kompetenz, moralische Fragen zu lösen und über Güter zu entscheiden, hängt aber
wiederum wesentlich mit dem Substanzkonzept des Menschen zusammen. Unterschiedliche Meinungen
über das, was der Mensch ist, zeitigen unterschiedliche Meinungen über das, was er wissen kann, und
diese begründen schliesslich unterschiedliche Meinungen über das, was er tun soll. Kompetenz im mora-
lischen Urteil zu erringen bedeutet folglich, die Kompetenz, erkenntnistheoretische Prozesse zu vollzie-
hen, auf ethische Problemstellungen gerichtet zu haben. Inwiefern das möglich ist und wie diese Prozesse
verlaufen, lässt Rückschlüsse auf das Substanzkonzept des Menschen zu. Das jeweilige philosopische
Konzept über die Natur des Menschen, ,,what we most fundamentally are
2
", bestimmt die Art und Wei-
1
Die philosophische Diskussion um das Dilemma zwischen rationaler Gründung von ethischen Normen und ihrer
pragmatischen Umsetzung ist sehr alt, wird gegenwärtig jedoch mit neuen Akzenten geführt. Insbesondere im
Hinblick auf transkulturell akzeptable Normen stellt sich das Problem, wie ein konsensfähiger moralischer
Beschluss verwirklicht werden soll und kann, oder ob nicht vielmehr Normgründung und ­realisierung separate
Prozesse darstellen, die so einfach nicht zu verbinden sind. Jürgen Mittelstrass drückt diese Bedenken wie folgt
aus: "Die Antriebe des Stammhirns sind stärker als die Kontrolle des Grosshirns." (J.Mittelstrass, Die Leonardo-
Welt, Frankfurt 1996, S. 135). Ein Biologismus dieser Art verdeutlicht, dass auch in der modernen Diskussion
die Frage nach dem richtigen Handeln in letzter Konsequenz eine Frage nach dem Substanzkonzept des Men-
schen ist. Allerdings weigere ich mich ausdrücklich, einen Biologismus dieser Art zu akzeptieren. Der Mensch
als cerebrumschwache Marionette des ältesten Teils seines Gehirns scheint mir nicht nur ein Homunculus mate-
rialistischer Gelehrtenfantasien aus dem späten 19. Jahrhundert und somit ein Anachronismus zu sein, er ist
mithin auch kein Subjekt ethischer Urteilsgründung, ja nicht einmal Subjekt erkenntnistheoretischer Prozesse.
2
E.T. Olson, The human animal ­ personal identity without psychology, Oxford 1997, S. 30. Der Autor plädiert
für eine strikte Trennung von Substanzkonzept (das er biologistisch versteht) und erkenntnistheoretischer Kom-
petenz (die seiner Ansicht nach nicht zum Substanzkonzept des Menschen gehört, sondern eine zeitweilige Er-
gänzung der rein biologischen Basis darstellt). Eine solche Position ist insbesondere für den Platoniker oder
Scholastiker interessant, der sich daran gleichsam abarbeiten kann; und insbesondere Olsons Argumente sind
sehr tricky und nicht so leicht zu widerlegen. Ohne vorwegzugreifen oder allzu weit ausführen zu wollen meine
ich aber, dass das Problem eines Substanzkonzeptes ohne erkenntnistheoretische Parameter grossenteils ein se-
mantisches ist. Die Sprachlichkeit versagt oft vor dem Problem, ein ontologisches Apriori zu bestimmen ­ Ecke-

9
se des Austauschverhältnisses zwischen dem Menschen als dem Subjekt des Erkenntnisprozesses im all-
gemeinen und des ethischen Erkenntnisprozesses im besonderen und dem Objekt des Erkenntnisprozes-
ses, dem Erkenntnisgegenstand oder hier, der Güter- und Wertefrage.
Die Frage nach dem glücklichen Leben und seinen moralischen Implikationen stellt also, wenn man sie
zum Gegenstand des Erkenntnisprozesses macht, gleichfalls auch eine Frage der Standortbestimmung des
Menschen als dem Erkenntnissubjekt dar. Die Verortung des menschlichen Urteils im ethischen Diskus-
sionsfall ist also eine doppelte: eine erkenntnistheoretische und eine ontologische.
Das Problem der doppelten Verortung des menschlichen Urteils macht die Verständigung in ethischen
Konfliktfällen besonders komplex. Wir haben es interkulturell, ja oft sogar schon innerkulturell, mit ganz
unterschiedlichen Vorstellungen über das, was der Mensch als Entscheidungsträger tun soll, was er wis-
sen kann und was er ist, zu tun. Bei Fragen wie der Geschlechterintegration, der Medienfreiheit oder dem
Abtreibungsrecht werden zudem häufig konfessionelle Argumente ins Feld geführt, was die Verständi-
gung ­ ganz zu schweigen von der Konsensfindung ­ zusätzlich erschwert. Konfessionelle Argumente
haben aber letztlich einen ontologischen Kern: es geht, auf einer höheren Abstraktionsebene, nicht mehr
darum, was lokales Brauchtum nahelegt, sondern welche rational nachvollziehbaren Argumente für ein
Substanzkonzept des Menschen bestehen. Nicht Christbaum oder Ramadan, Ashramtempel oder Chanuk-
ka ist letztlich entscheidend, sondern freier Wille oder Determinismus.
In diesem Zusammenhang ist auch die mystische Erkenntnistheorie interessant. Mystik, nach philoso-
phischer Definition die Erfahrung der Versenkung des Erkenntnissubjektes in seinen göttlich verstande-
nen Grund
3
, erwächst aus diesem, sprachlich meist nur unzureichend transportierbaren, Einheitserleben.
Die potentielle Einheit des Menschen mit dem höchsten Seienden, dem Urgrund, dem bleibend Wirken-
den oder Gott schliesst einen vordergründigen Determinismus, wie ihn gegenwärtige biologistische Kon-
zepte oft vorsehen, aus. Der potentiell mit dem höchsten Seienden verbundene Mensch ist keine Puppe,
die an den Fäden stammhirnlicher Triebe, sozialer Konditionierungen oder exoterisch-konfessioneller
Vorurteile tanzt, sondern ein autonomes Subjekt von Erkenntnis- und Urteilsprozessen. Allerdings hat der
Grund als mystischer Einigungsort verschiedene Implikationen, die den Standpunkt des Individuums als
Entscheidungsträger mitbestimmen.
Um diese Implikationen soll es im ersten Teil der Untersuchung gehen. Ich möchte zu Beginn folgende
Fragen diskutieren: Welche systematischen Parameter benutzt eine mystische Erkenntnistheorie, wie baut
sich ihre Argumentation auf? Welche besondere Rolle hat der Grund bei Eckehart, und wie definiert er
ihn und das Einigungsverhältnis mit ihm?
hart spricht hier, wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive, von der "Unzulänglichkeit" der Sprache (DW,
S.242, 15). Auch Nietzsche hat Recht mit seiner bekannten Kritik, dass Gott und Grammatik zu eng verflochten
sind, als dass man das eine mittels des anderen beweisen oder negieren könnte (Über Lüge und Wahrheit im
aussermoralischen Sinn, 1886).
3
vgl. Herders Philosophisches Wörterbuch, Freiburg 1967, Stichwort Mystik, S.112. ­ Hans Urs von Balthasar
weist darauf hin, dass Irene Behn zwischen der Mystik als Erfahrung und Reflexion deutlich unterscheidet
(Spanische Mystik, Düsseldorf 1957). Er betont, dass zu der sog. Mystologie noch die Mystagogie hinzukäme:
die systematische Hinführung zur Erfahrung der Mystik durch jene, die bereits diese Erfahrung erlebt haben (
Zur Ortsbestimmung christlicher Mystik, in: W. Beierwaltes, Hans Urs von Balthasar, Alois M. Haas, Grund-
fragen der Mystik, Einsiedeln 1974, S.50). Inwiefern Eckeharts deutsche Predigten sich in die Kategorien Mys-
tologie oder Mystagogie einordnen lassen ­ und ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Trennung
überhaupt sinnvoll erscheint ­ wäre ein ergiebiges und vielschichtiges Aufgabengebiet für weitere Forschung.
Ich werde diese komplexe Problematik später noch kurz angehen, ohne mir anzumassen, sie lösen zu können. ­
Übrigens möchte ich an dieser Stelle, einmal ganz abgesehen von dem inhaltlichen Vorhaben meiner Untersu-
chung, noch etwas eher Nebensächliches und Formelles anmerken: es gibt, wie so oft bei mittelhochdeutschen
Namen, mehrere Schreibweisen für Eckehart (Ekkehart, Eckhart, Eckart), die in der Forschung synonym ver-
wendet werden. Ich habe mich für die Schreibweise ,,Eckehart" entschieden und sie um der Einheitlichkeit wegen
durchgängig verwendet; das ist nur eine persönliche Präferenz.

10
1.1 Mystische Erkenntnistheorie
Mystik ist ein ganz bestimmtes Phänomen geistiger Arbeit. Sie ist nicht Mystifizierung, wenn sie auch oft
damit verwechselt wird, und sie ist auch keine obskure Art der Kontemplation, die ein Gepräge von Welt-
flucht hat. Gerade das verurteilt Eckehart:
" Denn, wahrlich, wenn einer wähnt, in Innerlichkeit, Andacht, süsser Verzückung und in besonderer
Begnadigung Gottes mehr zu bekommen als beim Herdfeuer oder in dem Stalle, so tust du nicht anders,
als wenn du Gott nähmest, wändest ihm einen Mantel um das Haupt und schöbest ihn unter eine
Bank
4
."
Mystische Erkenntnistheorie beschreibt einen Zugang zu einem aprioristischen Ursprung der Erkenntnis
­ Gott, in mystischer Terminologie. Sie ist ,,nichts anderes als cognitio dei experimentalis, erfahrungs-
haftes Erkennen Gottes
5
." Alle kategorisierenden Prozesse, Urteilsfindungen, Wertbegründungen, neh-
men hier, im Einswerden des Erkennenden mit dem Erkenntnisgrund, ihren Anfang. Gerade jenes Eins-
werden ist jedoch sprachlich äusserst schwer zu vermitteln, weswegen viele Mystikkenner und -forscher
zu bedenken geben, dass der mystischen Erfahrung, bzw. ihrer Rezeption durch Dritte, oft etwas von Ir-
rationalität und Schwärmerei anhaftet.
Das ist allerdings nicht Eckeharts Standpunkt. Als ein sehr gedanklicher Mystiker beschreibt er den Zu-
gang zum Grund und diesen selbst zwar oft mit Paradoxien, die, wie Beierwaltes bemerkt, als eine ,,ne-
gative Dialektik"
6
der Inadäquatheit der Sprache in Bezug auf den Erkenntnisgrund gerecht werden. An-
dererseits schöpft er aus einer reichen Quelle von Metaphern, farbigen Beschreibungen und leiden-
schaftlich-persuasiven Redewendungen. Sein Ziel ist es möglicherweise weniger, lediglich persönliche
Erfahrungsberichte über die Kommunikation mit dem Grund zu vermitteln ­ ein Thema, das uns im zwei-
ten Teil noch ausführlich beschäftigen wird ­ sondern vielmehr, überpersönliche Einblicke in die
Grundlagen des Erkennens zu transportieren. Er geht dabei von bestimmten gedanklichen Prämissen aus,
die, auf eine bestimmte Weise mit dem Evidenzproblem umgehend, bestimmte vorläufige Ergebnisse be-
wirken.
1.1.1 Erkenntnistheoretische Prämissen Eckeharts
Eine Annäherung an Meister Eckeharts Erkenntnistheorie ist ein schwieriges Unterfangen, da sie in be-
sonderem Masse zwischen den philosophischen Parametern ihrer Entstehungszeit, der Spätscholastik,
aufgespannt ist und gleichfalls auch eigene Akzente setzt. Die Forschung gelangt hierbei oft ­ trotz
langfristiger und ambitionierter Bemühungen ­ an den Punkt, an dem sie sich ihre eigene Unzulänglich-
keit eingestehen muss, zu gross sind die Unterschiede in den Interpretationen, zu weit gefächert die Mei-
4
DW, S.180, 11ff. ­ Das Missverständnis von Mystik als Weltflucht scheint ein zeitlos aktueller Irrtum zu sein.
Mystik als eine erfahrungsgegründete Erkenntnisweise des primordialen Eins von Erkenntnissubjekt und Erk-
enntnisgrund drängt aus sich selbst heraus zur Verwirklichung des Erkannten. Die mystische Erfahrung selbst ist
dabei nur ein Vehikel, das zwischen tätigem und beschauendem Leben vermitteln und keineswegs, etwa mit
einem erkenntnistheoretischen Motorschaden, in letzterem stehenbleiben soll. Eckeharts Appell hat nichts von
seiner Gültigkeit verloren, insbesondere im Hinblick auf den modischen New-Age-Mystizismus und Esoterikkult
unserer Zeit (der sich übrigens durchaus exoterisch präsentiert).
5
Alois M. Haas, "Die Problematik von Sprache und Erfahrung in der deutschen Mystik", in: W. Beierwaltes,
Hans Urs von Balthasar, Alois M. Haas, "Grundfragen der Mystik", Einsiedeln 1971, S. 75.
6
W. Beierwaltes, " Reflexion und Einung zur Mystik Plotins", ebenda, S. 25ff.

11
nungen über die Systematisierbarkeit seiner Gedanken
7
. Auch die folgende Arbeit kann nicht mehr tun
als ein kleines Teil zum Forschungspuzzle beitragen. Ihr Schwerpunkt soll, wie bereits dargestellt, dar-
auf liegen, erkenntnistheoretische Modelle Eckeharts insbesondere auch im Hinblick auf ihre pragma-
tisch- ethische Dimension transparent zu machen.
Unabdingbar für jede ernsthafte Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Modellen, wie sie der grosse
deutsche Mystiker vorstellt, ist eine Analyse des Begriffes vom "Grund". Jener "Grund" als ein Schlüs-
selbegriff von Eckeharts mystischer Spekulation ist das Ziel und Ende des Erkenntnisprozesses, der als
ein systematisierbarer Ablauf der Selbstvergewisserung des Erkennenden verstanden wird. Die Verbin-
dung des Menschen als Erkenntnissubjekt mit dem Grund der Erkenntnis ist gleichfalls auch der Grund-
gedanke der deutschen Predigten, auf die ich im Folgenden zurückgreife
8
. Der Mensch ist hier als Er-
kenntnissubjekt autonom, aber diese Autonomie ist kein Ausdruck von Beliebigkeit oder Willkür, sondern
ein schwieriges Geflecht von Einsicht und Wahlmöglichkeit, Freiheit und Verpflichtung.
Wenn wir wissen wollen, wie sich der zentrale Gedanke des Einswerdens von Erkennendem und Er-
kenntnisgrund systematisieren lässt, müssen wir zwischen dem Grund des Erkennens und dem des Seins
differenzieren. Dies schliesst eine Vorbetrachtung zur philosophischen Problematik von Einheit und
Vielheit ein. Zudem ist es sinnvoll, auch den Erkenntnisgegenstand im mystischen Verständnis ­ das Bild
­ und die Bedeutung des Todes, der in der mystischen Terminologie eine grosse Rolle spielt und eine
Metapher für Erkenntnisprozesse ist
9
, genauer zu untersuchen, was hier zunächst kursorisch, in den fol-
genden beiden Unterkapiteln dann eingehender geschehen soll.
Eckeharts Rede vom Grund impliziert zwei Vorstellungen, die zu den wohl epochenübergreifenden Pa-
rametern mystischen Denkens gehören ­ die Vorstellung eines Antagonismus zwischen Unbewegt- Einem
und Wandelbar- Vielem und die Vorstellung eines menschlichen Substanzkonzeptes, das gerade durch die
sich zwischen diesen Polen entfaltende Spannung definiert ist.
7
"Auch heute noch sind wir, wie mir scheint, weit entfernt von einer eindeutigen und verbindlichen Interpretation
der spekulativen Grundlagen der Eckehartischen Mystik, und ich möchte nach wie vor bezweifeln, dass es je zu
einer allgemein verbindlichen Gesamtauffassung des spekulativen Systems des Meisters kommen wird,..."
(J.Quint, Meister Eckehart ­ Deutsche Predigten und Traktate, Zürich 1979, Einleitung, S.22 f.). Wenn ein ver-
sierter Eckehartkenner und ­übersetzer wie Quint einräumt "wie weit entfernt wir noch von einer sichern Bes-
timmung seines geistigen Ortes sind" (a.a.O., S.23), ist das wohl weniger Forschungspessimismus als vielmehr
eine Referenz gegenüber der Vielschichtigkeit des Denkens dieses so überaus gedanklichen Mystikers. Ta-
tsächlich präsentiert sich Meister Eckeharts Erkenntnistheorie gleichsam wie eine gotische Kathedrale: viel-
gestaltig, facettenreich, mit nur einem Blick gar nicht zu erfassen. Selbst der Kenner entdeckt hier immer noch
überraschend Neues.
8
Der "Grund" als die Präsenz des Gotthaften, Unwandelbar- Einen im Menschlichen, Vielheitlich- Wandelbaren
ist in der Tat auch "Grund"gedanke insbesondere der deutschen Predigten des Mystikers, weshalb er in dieser
Untersuchung auch im Vordergrund steht. Die Bestimmung des geistigen Ortes von Meister Eckehart kann ef-
fektiverweise nur durch eine Bestimmung des "Grundes" erfolgen, da alle andere Gedanken hiervon abgeleitet
sind. Quint sagt dazu: "Wer nicht erfasst hat, dass die Geburt des Sohnes durch den göttlichen Vater im Seelen-
funken den einzigen Anlass,den Inhalt und das Ziel der Predigten Eckeharts ausmacht und seinen Ausführungen,
fast möchte ich sagen, eine grossartige Eintönigkeit gibt, der hat Eckehart verkannt." (a.a.O., S.22).
9
Eine detaillierte Untersuchung dieser denkerischen Prämissen würde den Rahmen dieses Forschungsvorhabens
gleich mehrfach sprengen. Allein die Todesproblematik im Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen
Metaphern könnte Thema eines mehrbändigen Werkes sein. Tatsächlich hatte ich ursprünglich vor, den Schwer-
punkt meines Vorhabens auf die Darstellung und Deutung des Todes in Meister Eckeharts Predigten zu legen,
was insbesondere auch im Hinblick auf die bedeutende Rolle des Todes innerhalb der literarischen Struktur der
Predigten ­die grossenteils noch gänzlich unerforscht ist ­ interessant gewesen wäre. Ein rascher Wandel meiner
Arbeitsbedingungen, zusammen mit vielen äusserlichen Veränderungen, liess mich von diesem Vorhaben und
dem noch unausgereiften Prototyp Abstand nehmen. Dennoch halte ich ein solches Thema immer noch für
zweckmässig, förderungswürdig und erhellend.

12
Meister Eckehart spricht vom Grund
10
als einem in der Erkenntnisfähigkeit des Menschen implizit vor-
handenem Wissen um die Einheit mit dem göttlich apostrophierten Unwandelbar- Einen. Der grunt in
mittelhochdeutscher Terminologie ist ein Begriff, der sich von seiner metaphorischen Bedeutung noch
wenig gelöst hat. Ein grunt ist nicht gleich Ursprung oder Ursache ­ diese Begriffe verwendet Eckehart
zwar auch, allerdings aus einer anderen Perspektive heraus ­ und auch nicht ohne Weiteres mit lateini-
schen Abstraktbegriffen wie causa zu übersetzen. Eckeharts Redeweise vom grunt ist primär die Be-
schreibung eines Einungsverhältnisses, des Vorhandenseins des Unwandelbar- Einen im Wandelbar-
Vielen und sein Nachvollzug im mystischen Denken, und nicht, wie es die Rede von der Ursache wäre,
die eines Trennungsverhältnisses, des Ausgangs des Wandelbar- Vielen aus dem Unwandelbar- Einen
11
.
Das Unwandelbar- Eine, das göttlich apostrophierte Sein, ist als Erkenntnisgrund im Erkennenden imma-
nent.
Diese Vorstellung wird auch im Bildgedanken, einer weiteren erkenntnistheoretischen Prämisse Ecke-
harts, nochmals bedeutsam.
Ich verwende nun im Verlauf dieser Diskussion die polyvalenten Begriffe ,,Sein" und ,,Seiendes" (Onto-
logisches und Ontisches), wenn nicht ausdrücklich anders interpretiert, im Sinne von ,,Erkenntnis" und
,,Erkenntnissubjekt". Diese Deutungsmöglichkeit scheint mir der zentralen Aussage Eckeharts von der
Gleichheit von Sein und Erkennen
12
möglichst gerecht zu werden und darüber hinaus Spielraum für die
Rolle des Erkenntnissubjektes im Erkenntnisvorgang zu liefern.
10
Vgl. zur Redeweise Eckeharts vom "Grund" etwa "...süllen wir immer komen in den grunt gotes und in sîn inni-
gestez, sô müezen wir zuo dem êrsten komen in unsern eigenen grunt und in unser innigestez in einer lûtern
dêmüetikeit." ( Quint, Überl. S. 627 zu 225, 35 f./36; 226,1). ­ Hier wird vielleicht auch deutlich, weshalb ich
mich gegen eine Gleichsetzung von "Grund" und (Gott-) Sein sträube. Eckeharts Sprachgebrauch vermittelt eine
metaphorische Bedeutung des "auf den Grund kommen". Der "Grund" ist erklärtermassen das Ziel des
mystischen Versenkungsprozesses, aber er scheint mir, als Ziel, nicht identisch mit der nicht teleologisch aufge-
fassten allumfassenden Seinssynthese sein zu können. Jene anderslautende und in der Forschung oft geäusserte
Meinung, der "Grund" sei ohne Weiteres gleich mit dem Seinsganzen, kann meine Zustimmung nicht finden. Für
mich ist der "Grund" Einungsort, nicht das Eine selbst. Allein die Verwendung von Präpositionen ­ Eckehart
spricht fast immer von "im Grund", "durch den Grund", "in den Grund" ­ müsste hier doch stutzig machen.
Wäre der "Grund" tatsächlich begrifflich identisch mit dem Seinsganzen, könnte man nicht "im Grund stehen",
da dieses impliziert, dass auch ein Befinden ausserhalb des Grundes/ Seinsganzen möglich ist. Logischer er-
scheint mir, dass der Grundbegriff eine erkenntnistheoretische Bereitschaft und Bedingung zur unio mystica ist,
nicht jedoch diese selbst.
11
Eckeharts Gebrauch des Begriffes "Ursache" ist tatsächlich hochinteressant. "Als ich in meiner ersten Ursache
stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursache meiner selbst...dass Gott "Gott" ist, dafür bin ich die Ur-
sache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht "Gott". ( Quint, DW, S. 304, 34 ff. und 308, 6ff.). Der Mystiker spricht
hier eindeutig nicht von grunt! Warum nicht? Das Verhältnis der Begriffe "Grund" und "Ursache" scheint mir
ein stark asymmetrisches zu sein: eine Ursache kann sehr wohl einen Grund bedingen, der Grund jedoch keine
Ursache. Wenn Eckehart vom grunt des Menschen oder dem grunt gôtes spricht, bezeichnet er damit ein erk-
enntnistheoretisches Problem, dass für den Menschen in seiner Verkörperung, Weltlichkeit, Istigkeit von Be-
deutung ist und nur dort. Der Begriff der "Ursache" hingegen ist mit dem verbunden, was seit Platon die Ideen
heisst: mit der Vorstellung einer nichtkörperlichen Vorschöpfung. Hieraus wirkt der Mensch selbstschaffend
seinen "Grund". In diesen kann er durch Reflexion zurückgelangen, indem er die selbstgeschaffene Distanz zur
Einheitsprämisse auf Null und ins "Selbst" reduziert. Wir sprechen im Deutschen landläufig auch davon, einer
Sache "auf den Grund zu gehen". Hiermit ist ein ähnlicher Wahrnehmungs- und Reflexionsprozess gemeint, der
Nebensächliches, Unwesentliches substrahiert.
12
29. Sermo (n.301-304), Opus sermonum in der Übersetzung: "Und da er Intellekt oder Erkennen ist, und zwar
reines Erkennen ohne Beimischung irgendeines anderen Seins, so ruft dieser einzige Gott durch sein Erkennen
die Dinge ins Sein, eben weil in ihm allein das Sein Erkennen ist..." Im Genesiskommentar heisst es auch: " Er
wollte uns lehren, dass Gott reiner Intellekt ist, dessen ganzes Sein das Erkennen selbst ist." (In Gen. I n. 168).
Gott als Synonym für das Unwandelbar- Eine, das im "Grund" im Menschen vorhanden ist, ist Sein und Erken-
nen. Es umfasst alles, was ist, und mithin alles, was erkannt werden kann.

13
Das Seiende in seiner Prozessualität, seiner Veränderung, seinem Entstehen und Vergehen wird inner-
halb tendenziell idealistischer Theorien (und Mystik ist stark idealistisch in dem Sinne, als dass sie das
innerweltlich Seiende als nachrangig gegenüber dem Sein betrachtet) meist als Gleichnis eines unbeweg-
ten, unveränderlichen Seins gedeutet, an dem das Seiende als solches in unvollkommener Weise teilhat.
Die Diskussion dieses Teilhaftigkeitsverhältnis stellt generell oft auch eine Scheidelinie der verschiede-
nen philosophischen Schulen dar. Den meisten gemeinsam ist jedoch die Vorstellung der Evidenz, des
sinnhaften, mikrokosmischen Abbildungsprozesses des Makrokosmos in der Empirie, der durch sinnlich
vermittelte Apperzeption nachvollziehbar ist.
Der Grund als die Bedingung zur Möglichkeit des Erkennens, wie ich ihn verstehen möchte, ist die im
Erkennenden vorhandene Einheit des Seins, die der Mystiker als Gott bezeichnet ­ der deus involutus im
Menschen, die innerste, unentfaltete Seinsgleichheit des Erkennenden mit dem Erkenntnisgrund. Diese
Seinsgleichheit ist auch die Bedingung der Wahrnehmung von etwas als Zeichen oder Gestalt, und sie ist
das Ende und gleichfalls für den teleologisch Denkenden auch das Ziel aller Erkenntnisprozesse. Er-
kenntnis wird im mystischen Verständnis aus dem vorursächlichen, allumfassenden Seinsganzen heraus
ermöglicht und fliesst dorthin zurück. Dieses ist, ganz ähnlich wie das parmenideische Sein, "ohne Her-
kommen und Vergehen
13
."
Es ist auch das, was, wie in der folgenden Bilddiskussion ausführlicher besprochen werden wird, der
Wahrnehmung eines Objektes als einer Gestalt zugrundeliegt und was über die Stufen Latenz, Evidenz
und Transzendenz erkannt werden kann. Das unveränderlich- unbewegte Sein, das im veränderlich- be-
wegten Seienden ist, bedingt alle Erkenntnisprozesse des Seienden, die letztlich in diese ihre Bedingung
zurückführen. Jener Gedanke der Rückführung des Erkennenden in den Erkenntnisgrund in ihm selbst ist,
in dieser knappen Darstellung, noch kein spezifisch Eckehartisches Konzept, sondern könnte auch plato-
nisch oder plotinisch sein. Es ist ein mystischer Schlüsselgedanke.
In der Katha Upanishad heisst es gleichfalls vom Sein:
" Gestaltlos selbst, wohnt jeglicher Gestalt er inne, im ewigen Wandel ist einzig er beständig.
Alldurchdringend, heilig ist der Atman (das Sein, A.d.A)
14
."
Beierwaltes betont hierbei allerdings, dass die Vielheit der ontischen Erscheinungsformen und das hypo-
thetische einheitliche Sein des Grundes in keinem echten Gegensatz stehen dürfen, um nicht diesen
Grundgedanken mystischer Philosophie ad absurdum zu führen
15
.
Ein Bezugsverhältnis von Erkennendem und Erkenntnisgrund, gleich ob statisch oder dynamisch gedacht,
kann also komplementär, aber nicht kontradiktorisch sein. Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch
kraft seines Menschseins in der Lage ist, Erkenntnisprozesse zu vollziehen, die ihn mit dem Erkenntnis-
grund verbinden (oder rückverbinden, wie es die etymologische Bedeutung von religio nahelegt), dann
muss folgerichtig eine potentielle und immer wieder aktivierbare Einung beider Instanzen aufgrund von
Ähnlichkeit angenommen werden.
Dieses Ähnlichkeitsprinzip ist es auch, das die Antworten des Erkennens in Theorie und Praxis rechtfer-
tigt: hat man etwas in seinem Grund erkannt, so ist dieses validierbar im Sinne einer substanziellen Wer-
tethik. Was man im Grund erkennt, sind keine ,,Mitursachen", wie sich Sokrates einmal abfällig äu-
13
Parm. VIII/1, VII/6
14
Kath. Up. 6, Vers 7, vgl. auch Kath. Up., Dritte "Ranke"­ Die Todesproblematik innerhalb der Kath. Up. scheint
grosso modo nicht geeignet zu sein, das Bild vom mystischen Tod zu erhellen; geht es hier vorrangig um die
Möglichkeit eines Auswegs aus dem notwendigen Wiedertod, so bezeichnet der Tod bei Eckehart eine rein geis-
tige Realität (die letzte geistige Realität, die Verbindung mit dem Gott- Sein, dem ens realissimum). Allerdings
ist die zugrundeliegende philosophische Fragestellung hier eine ähnliche, was u.a. auch R. Zaehner einräumt.
15
Werner Beierwaltes, "Reflexion und Einung zur Mytik Plotins", in: W. Beierwaltes, Hans Urs von Balthasar, A.
Maria Haas, "Grundfragen der Mystik", Einsiedeln 1979, S. 11 ff.

14
ssert
16
, sondern substanzielle Werte, Substanzen, letztlich das im Erkennenden auf seine Entfaltung har-
rende Seinseine als höchste Substanz.
Der grundlegende Gegensatz im mystisch-polaren Denken ist also der von Einheit (Sein und Erkennen,
insofern dieses als Sein definiert wird) und Vielheit (Seiendem, Erkennendem). Ich werde die Dynamik
dieses Spannungsgefüges im Anschluss noch im Vorgang der Wahrnehmung des Erkenntnisgegenstandes
als einem Bild oder einer Gestalt erörtern. Die Vorstellung von Einheit und Vielheit, die in ihrer erkennt-
nistheoretischen Synthese zur Gestaltwahrnehmung führt, zur Gestaltung, und umgekehrt durch die Ent-
staltung in die Einheit, ins, wie Eckehart sagt, "lautere Sein" zurück, ist auch die Basis des Erkennens
von Bildern, die ja gleichfalls Gestalten sind ­ Gestalten in imagine
17
.
Bilder sind, als Verschiedenheiten, auch voneinander unterschieden. Sie sind "Kleider" des Seins; Klei-
der, die zu unterschiedlichen Anlässen passen, festliche, aufwendige, einfache, und, im mystischen Sinne,
je einfacher und einheitlicher, umso besser. Aber noch das einfachste Bild ist, als Bild, ein vielheitliches
Eines. Die kleinstmögliche Vielheitlichkeit, aus der sich auch die kompliziertesten Vielheitlichkeiten ent-
falten können, ist die Zweiheit oder Polarität.
In der Polarität stehen alle Bilder und Begriffe, die der Mystiker verwendet: Himmel und Erde, Engel
und Mensch, Leben und Tod, Möglichkeit und Wirklichkeit, Tempel und Vorhof, Nacktheit und Kleid.
Diese Gegensätze bedingen sich als Polaritäten gegenseitig. Aus der Spannung, die zwischen ihnen,
gleichsam als ontologischen Plus- und Minuspolen, entsteht, entwickelt Eckehart seine Spekulationen.
Man muss also, wenn man einen seiner Gedanken recht erfassen will, das Polaritätsgefüge erkennen, aus
dem heraus er entstand. Eckeharts erkenntnistheoretische Aussagen sind so aufgebaut, dass zu jedem Bild
sein Gegenbild, zu jedem Pol sein Gegenpol vorgeführt wird. Die Endaussage besteht im Abgleich von
beidem, als ein Fazit von beidem. Das setzt aber voraus, dass die Polaritäten als solche genau erkannt und
miteinander in Bezug gesetzt werden, denn das ist unabdingbar, wenn Erkenntnis stattfinden soll. Wieder
einmal hat Eckehart Recht, wenn er meint, dass der ordnende Sinn, der sensus communis, geschult sein
muss, um die richtigen Schlüsse ziehen, sinn-voll die vielfältigen Sinnesdaten auf Eins hin reduzieren zu
können
18
. Und noch eins: in der Mitte der Verbindungsstrecke zwischen den Polaritäten steht immer der
Tod. Den Tod als Aussage zu verstehen heisst, von beiden Polen auszugehen und in ihre Mitte, in die
"stille Wüste" der Auflösung der eigenschaftlichen Gegenbezüglichkeit zu gelangen.
Eckehart versteht den Tod als Transformationspunkt zwischen dem Leben und dem Sein; im Tod wird das
Leben als bezügliches Sein, als Seiendes, auf seinen "Grund", der bezuglos ist, ein "lauteres Sein", hin
entstaltet. Der Tod nimmt, metaphorisch gesprochen, nicht, er gibt. Er wandelt um.
Genau das macht auch einen Teil der impliziten Logik des Polaritätsgedankens aus: ebensowenig, wie
die polar verstandene Dämmerung die Nacht nimmt, auslöscht, sondern vielmehr den Tag gibt, wandelt
auch der Tod lediglich um. Erkenntnis wird "gemacht", indem einer bestimmten Gestaltung die ihr ent-
16
Platon, Phaid. 99 ff., kommentiert in: Kurt Hildebrandt, Constantin Ritter und Gustav Schneider (Hg), Platon,
Sämtliche Dialoge (bd. II), Leipzig 1998, S. 102. Sokrates beschreibt hier seinen philosophischen Entwicklung-
sweg, der ihn von der Naturphilosophie, die ihm nur "Mitursachen" enthüllte, zur Ethik führte.
17
Hier greife ich meinen eigenen Gedanken etwas vor, was mir der Leser hoffentlich verzeiht. Die Theorie des
Bildes als einer Gestalt, sprich dem Resultat eines erkenntnistheoretischen Prozesses, der Einheit und Vielheit
der Erscheinung gegeneinander abwägt, erscheint mir gerade im Zusammenhang mit dem Eckehartischen
Bildgedanken als angemessen und effektiv.
18
Die fünf Sinne der physischen Wahrnehmung spielen in der mystischen, mehr noch in der mystologischen und
mystagogischen Rede, eine grosse Rolle. Nicht nur, dass Erfahrungsberichte der unio mystica oft synästhetisch
gefärbt sind, das göttlich verstandene Unwandelbar- Eine gesehen, gehört, ja sogar geschmeckt werden kann (sa-
pientia, Weisheit, abgeleitet von sapor, Geschmack, der "Geschmack Gottes", vgl. hierzu auch Alois M.Haas,
"Deum mistice videre...in caligine coincidencie", Basel 1989, S. 34 ff.), die fünf Sinne sind auch bei der Hin-
führung zum "Grund" selbst wichtig. Eckehart betont, dass die Schärfung der Sinneswahrnehmung als solche
dem mystischen Erlebnis mit Notwendigkeit vorausgeht (u.a. DW, S. 233, 20ff.).

15
sprechende Entstaltung gegenübergestellt wird, und vervollkommnet sich im "Tod" dieser Gegenüberbe-
züglichkeit, die in Eins geglichen wird. Was für Erkenntnisprozesse gilt, gilt, so folgert der Mystiker,
auch für das Leben als Summe von Erkenntnisprozessen:
" Der Mensch soll sich willig in den Tod geben und sterben, auf dass ihm ein besseres Sein zuteil
werde.
19
"
Eine polare Auffassung ist hier insbesondere auch eine Auffassung, die eine Perpetuität der Bewegung,
die als solche wiederum eine Seins- Bewegung ist, vorsieht. Vor dem Hintergrund des perpetuellen Ein-
und Auswirkens des Seins in das Seiende ( hier: in das Leben des Menschen) und vom Seienden ins Sein
zurück, erscheint Eckeharts Appell gleich viel weniger martialisch. Die polare Gegenüberbezüglichkeit
von auswirkendem und einwirkendem Sein, "Ursache" und "Leben", dice in den Grund zurückführende
Vernunfterkenntnis, nimmt dem Tod als einem Transformationspunkt den Schrecken.
Der Mensch als ein Erkennender des Grundes ist todlos. Gar nicht so verschieden von dieser Auffassung
ist auch die Meinung von Sokrates, die dieser, auch ein Polarisierer wie der Dominikaner, im Gespräch
mit einem seiner Freunde kurz vor seiner Hinrichtung vertritt:
Sokrates.
Also gib nun auch du mir in dieser Weise Auskunft über Leben und Tod. Bist du nicht der An-
sicht, dass dem Leben der Tod entgegengesetzt ist?
Kebes.
Gewiss.
Sokrates.
Und dass sie auseinander entstehen?
Kebes.
Ja.
Sokrates.
Was wird also aus dem Lebenden?
Kebes.
Das Tote.
Sokrates.
Was aber aus dem Toten?
Kebes.
Das Lebende, wie man notwendigerweise einräumen muss.
Sokrates.
Aus dem Toten also entsteht das Lebende und die Lebenden?
Kebes.
Offenbar.
Sokrates.
Also kommt unseren Seelen im Hades ein Sein zu
20
.
Ein guter Dialog, der aber Fragen offenlässt. Kebes zögert, einzuräumen, dass aus dem Toten das Lebende
wird, dass der Tod also, wie ihn auch Eckehart versteht, das Sein erschliesst.
Die Zweifel, die man mit solchen idealistischen oder mystischen Beweisführungen leicht verbinden
kann, entstehen grossenteils aufgrund einer dualistischen Auffassung von Gegensätzen, also der Annah-
me, dass sich Gegensätze nicht nur ausschliessen, sondern auch gleichsam bekriegen. Jene Annahme setzt
voraus, dass Gegensätze als Entitäten, als zwei Prinzipien also, sind. Eckehart versteht das anders; für ihn
sind Gegensätze nicht, da das Sein nur dem ungeteilt-einen, durch den Grund erfahrbaren Seinsganzen
zukommt, sondern sie existieren lediglich in gegenseitiger Abhängigkeit.
Polarität bedeutet, im Gegensatz zu Dualismus, das ungewertete Nebeneinander zweier sich in ihrer Exi-
stenz gegenseitig bedingender Gegensatzprinzipien. Im Beispiel von Tag und Nacht mag es noch philoso-
phisch wenig ergiebig sein, ob man das Gegensatzpaar als polar oder dualistisch auffasst, aber spätestens
mit der Überschreitung der Grenze von der ontologischen zur ethischen Dimension darf die Auffassung
nicht mehr beliebig sein. Schliesslich macht es einen grossen Unterschied, ob die moralischen Kategorien
von "Lieb und Leid", Gut und Böse polar, das heisst existenziell voneinander abhängig und in einer wert-
freien Sicht einem grösseren Gesamt zugeordnet, das beide Polaritäten in sich fasst, oder dualistisch, also.
19
DW, S. 193, 10 f.
20
Platon, Phaid. 71 ff.

16
als zwei existenziell voneinander getrennte, sich fliehende oder bekämpfende Wesenheiten, die beide auf
Selbstbehauptung und Monopolisierung abzielen, betrachtet werden.
Eckehart kannte natürlich das Problem, dass sich ein begriffliches Polarisieren immer nah am Rand des
Dualismus bewegt. Und es war ihm auch klar, dass Wahrnehmung Wahrnehmung von gebrochenen
Ganzheiten ist, dass Gestalten als solche nicht Eins sind und auch nicht Eins sein können, wie es auch von
allen Lebewesen gilt:
" Es gibt keine Kreatur, die nicht etwas Gutes in sich hätte und zugleich etwas Mangelhaftes,...
21
"
Trotzdem: diese Mischung von Gutem und Mangelhaften beweist nur, dass es sich bei der "Kreatur" um
kein "lauteres Sein" handelt, also nicht um das Unwandelbar- Eine selbst, aber sie beweist nicht, dass
sich Gutes und Mangelhaftes gegenseitig ausschliessen; sie sind "zugleich", zumal in der Vernunfter-
kenntnis.
Der Mystiker vertritt also durchaus keine dualistische Position, sondern spricht sich im Gegenteil deut-
lich für das ungewertete Gegenüber der polaren Vorstellung aus:
" Was ist Gegensatz? Lieb und Leid, weiss und schwarz, das steht im Gegensatz, und der hat im Sein
keinen Bestand.
22
"
Der Unterschied zur dualistischen Auffassung liegt in der Verwendung des Wortes "steht". Der Dualist
würde niemals sagen, dass etwas im Gegensatz "steht", sondern viel eher, dass es ein Gegensatz ist.
Eckehart verwirft einen solchen Gedanken und sagt, dass Gegensätze nicht sind, das heisst keine von-
einander separierbaren Entitäten darstellen, sondern dass sie nur im Gegeneinanderbezug denkbar sind,
eben im Gegensatz stehen. Nun kommt aber das Wichtigste: der Gegensatz "hat im Sein keinen Bestand".
Hier verabschieden sich Dualisten und Manichäer, für die es keinen umfassenden, Gegensätze einenden
ontologischen Oberbegriff gibt, und zu denen der Mystiker ausdrücklich nicht gehört.
Eckehart erklärt, dass das Sein die Einungsinstanz von Polaritäten ist, dass im Grund Einigkeit herrscht.
Das ist mit logischer Zwangsläufigkeit so, denn folgt man dem zentralen Gedanken Eckeharts, dass sich
der Mensch in freier Selbstwahl aus dem Eins herauswand und sich derart selbst zur Ursache seiner Exi-
stenz wurde, die im Grund immer noch mit dem Eins verbunden ist, so ist klar ersichtlich, dass das Im-
Sein- Stehen der Vorursächlichkeit ­ aktualisierbar durch die Erfahrung der mystischen Versenkung ­ ein
ungeteiltes Eins ist.
Die Verneinung des Gegensatzes als einem Sein und die Betonung des Bildes als einer in der Polarität
gegründeten und deshalb vorläufigen Existenz, die im Sein transzendiert wird, ist generell ein zentraler
metaphysischer Gedanke. Sogar Nietzsche überlegt:
21
Zum Problem des Kreaturbegriffes vgl. DW, S. 191, 15 ff. Eckehart siedelt die "Kreatur" dort an, wo man in
herkömmlicher erkenntnistheoretischer Terminologie eher von "Gegenstand" sprechen würde: im Bereich des-
sen, was dem Erkenntnissubjekt gegenüberliegt und vermittels des Erkenntnisprozesses wahrgenommen wird.
Die "Kreatur" ist das potentiell Erkennbare, und, ähnlich wie das Bild, entfaltet sie sich aus Einheit und Vielheit.
Die Mangelhaftigkeit der "Kreatur", von der der Mystiker hier spricht, ist die Folge ihres Ausgangs aus dem
Unwandelbar- Einen. Die Gutheit ist nicht ihr göttlich apostrophierter "Grund" ­ der ist gar nicht gut, noch in
sonst einer Weise adjektivisch zu bestimmen, wie wir später noch erfahren werden ­ sondern ihr Vermögen,
vermittels der Vernunft in den "Grund" zurück zu gelangen. Gutsein ist kein Besitz, kein Haben, etwa im Sinne
einer Charaktereigenschaft, sondern ein Vermögen, ein Können.
22
DW, S. 194, 34 f. Hier ist bemerkenswert, dass Eckehart mit dem Schwarz- Weiss- Gegensatz auch dann operi-
ert, wenn es um die Unmöglichkeit einer adjektivischen Bestimmung des Gottesbegriffes, sofern er synonym mit
dem rein quantitativ gedachten Sein gebraucht wird, geht (vgl. Bulle Johanns XXII. "In agro dominico", zweiter
häresieverdächtiger Artikel, in: Quint,"Meister Eckehart ­ Deutsche Predigten und Traktate", Zürich 1979, S.
455). Gott respektive das ungeteilt-eine Sein, das im "Grund" des Menschen darauf harrt, dass dieser sich in es
zurückkehrt, ist präqualitativ.

17
" Alles, was tief ist, liebt die Maske; die allertiefsten Dinge haben sogar einen Hass auf Bild und
Gleichniss. Sollte nicht erst der Gegensatz die rechte Verkleidung sein, in der die Scham eines Gottes
einherginge? Eine fragwürdige Frage: es wäre wunderlich, wenn nicht irgend ein Mystiker schon
dergleichen bei sich gewagt hätte.
23
"
Recht hat der Nihilist: Eckehart ist derjenige Mystiker, für den das aus dem Gegensatz geborene vielheit-
liche Eine, die Gestalt, das Bild, nur das "Kleid" darstellt, in dem sich "Gott" verhüllt. Deshalb sagt der
Mystiker von der Polarität, dass sie im Sein "keinen Bestand" hat.
Das Sein selbst, wie es im Erkennen des Grundes vergegenwärtigt wird, ist, wie es ähnlich auch in der
Svetasvatara Upanishad heisst,
" Anfang und Grund, bewirkend die Verbindung (von Seele und Materie),
drei- Zeit- Erhaben ( über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), ohne Teile ist er.
Den allgestalt´gen Werdegrund, preiswürdig
Als Gott, der in uns wohnt, zuerst verehrend, -
Höher als Weltbaum, Zeit und alle Formen...
24
"
Das Seinseine als das Ziel des Erkennens ist "ungeteilt", Polarität ist also eine Vorläufigkeit, das Eins ei-
ne Endgültigkeit.
Der Gott dieses Philosophen ist kein versteckter, verhüllter Gott. Eckehart will seinen Gott "oberhalb"
der "Kreatur", die ihm nur "Kleidhaus", nur eine wandelbare Hülle ist, erfassen. Sein Gott, respektive
seine Vorstellung vom primordialen Sein, ist nicht latent, sondern evident: sie ist offenbar in jeder Gestalt
der Gegenüberwelt, die "Gottes voll" ist. Gestalten sind Kleider, Bilder des Seins. Insbesondere Ecke-
harts Mystik geht von diesem Gedanken des Bildcharakters der Sinnenwelt aus und ist gekennzeichnet
durch den systematischen Versuch, dieser Bilder ledig zu werden.
Das ist insbesondere Eckeharts Auffassung vom Soll der Mystik: sie ist eine stufenweise "Entkleidung"
des im bildhaften Seienden verhüllten Seinseinen, des im Erkennenden immanten Erkenntnisgrundes sein
und durch die Gestaltwahnehmung in ihrer Kreatürlichkeit und Vielheitlichkeit (Latenz) hindurch und
über die Erkenntnis der Einheitsprämisse in der Gestalt (Evidenz) zur Entstaltung und "Rückgabe der Bil-
der" (Transzendenz) hinführen. Der Philosoph wehrt sich dezidiert gegen Versuche nicht nur seiner Zeit-
genossen, in der idyllischen Bildhaftigkeit der Latenz zu verharren und den Gestaltungsprozess, der in
letzter Konsequenz ein Entstaltungsprozess ist, unter dem Vorwand der vita contemplativa nicht fortzu-
setzen
25
. Die Spannung zwischen Einheit und Vielheit, im Menschen als der sich selbst erkennenden
23
F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Zweites Hauptstück: der freie Geist, 40. ­ Interessant ist übrigens, dass
sich Nietzsche, Eckehart und Platon gegenseitig zitieren: Eckehart kannte Platon, Nietzsche Eckehart. Damit ist
freilich vorerst nichts bewiesen, aber es könnte sich eine Diskussion auf der Hypothese aufbauend entwickeln,
Platon, Eckehart und Nietzsche stellten als prominente Repräsentanten von Idealismus, Mystik und Nihilismus
eine Linie sich fortentwickelnder abendländischer Evidenzphilosophie dar. Dieser Versuch würde hier zu weit
führen, aber ich möchte anmerken, dass es für eine Überlegung, die in diese Richtung führt, Zeichen am Wege
gibt.
24
Svet. Up., Der Ursprung der Welt und der höchste Gott, 186 f. Wenngleich die Bezugnahme auf den indischen
Monismus nicht unproblematisch ist, gibt es, gerade aus der Diversität der Upanishadtexte und ihrer unter-
schiedlichen Behandlung des Brahman- Atman- Problems heraus, viele nicht nur oberflächliche Übereinstim-
mungen mit Eckehartischen Gedanken. Vgl. hierzu auch: W. Heinrich, Verklärung und Erlösung im Vedanta, bei
Meister Eckhart und bei Schelling, Salzburg- München 1962.
25
DW, S. 180, 11 ff. ­ Jener Gedanke ist häufiger vertreten, u.a. gerade auch in der vieldiskutierten Maria- Martha-
Predigt ( DW, Pr. 28, S.280 ff). Ich komme in Teil III darauf zurück.

18
,,Kreatur" maximal verwirklicht, soll durch beständige Selbstvergewisserung, die schliesslich im Grund
einkehrt, immer wieder erneuert werden.
Ich denke, man wird Eckehart kaum gerecht, wenn man die Reichweite dieses Postulates nicht richtig ein-
schätzt: was der Mystiker hierin ausdrückt, ist, dass der Prozess der mystischen Versenkung unbestreitba-
ren Selbstwert hat, ja dass er, so verstehe ich diese Stelle, sogar wertvoller, wesentlicher ist als sein Er-
gebnis. Der Erkennende reflektiert sein Sein, indem er sich auf den Grund einlässt, und der Prozess der
Hingabe an sein eigenes Apriori als solcher ist mehr wert als die aus ihm erwachsene Einungserfahrung.
Reflexion ist ein ,,Werk", dieses aber ist zweckfrei. Wenngleich alle erkenntnistheoretischen Prozesse,
die der Meister Eckehart in seinen Predigten vorstellt, zur Erkenntnis des Unwandelbar- Einen im Er-
kenntnisgrund des Menschen und mithin seiner Anteilschaft am Göttlichen hinleiten wie kleine Flüsse ins
Meer, so ist doch festzuhalten, dass ihm das Fliessen als genauso wichtig erscheint als das Sichverströ-
men, die Bemühung um Reflexion als genauso wichtig oder gar wichtiger als der gelungene Nachvollzug
des Prinzips.
1.2.2. Das Erkennbare als Gestalt
Die Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Modellen bringt die Aufgabe mit sich, über den Gegen-
stand der Erkenntnis als solchen zu reflektieren. Eine mystisch akzentuierte Erkenntnistheorie, in der
ontologischen Spannung zwischen Einheit und Vielheit, Erkenntnisgrund und Erkennendem wurzelnd und
zum Wiedereinswerden beider hinstrebend, versteht den Gegenstand der Erkenntnis als ein Bild. Im Bild
konvergieren Unwandelbar- Eines und Veränderbar- Vieles und stellen ein Vorletztes der mystischen co-
gnitio deis experimentalis dar. Jedoch ist der Charakter des Bildes, sein erkenntnistheoretischer Wert,
innerhalb verschiedener Ausrichtungen mystischer Erkenntnistheorie umstritten.
Der Erkenntnisgegenstand der Mystik ist das Bild. Es ist Gegenstand einer Erkenntnis, die auf bewuss-
ter und vorbewusster, logischer und vorlogischer Ebene stattfindet. Erkenntnis heisst Erkenntnis des Bil-
des, und das Bild als ontologische Vermittlungsinstanz sagt kraft der Vernunfterkenntnis etwas "Wesent-
liches", Wandelfähiges aber Unverlierbares, über das Sein aus. Eckehart meint hierzu:" ...denn Bild ist
etwas, was die Seele mit ihren Kräften von den Dingen schöpft.
26
" Es handelt sich ihm zufolge also um
einen dialektischen Gegenüberbezug von ontologisch Erkennendem ("Seele") und ontisch Erkennbarem
("Dinge"oder,,Kreaturen"), der in der Gestaltung und Entstaltung des "Bildes" verwirklicht wird.
Der Mystiker erklärt nun das "Bild" sehr ausführlich als ein gleichnishaft Seiendes, das sein Sein und
sein So- Sein der Abhängigkeit vom primordialen "Grund" und dem polaren Spannungsverhältnis zwi-
schen sich und ihm verdankt:
" Ein jegliches Bild hat zwei Eigenschaften: Das eine ist, dass es von dem, dessen Bild es ist, sein
Sein unmittelbar empfängt,...Die zweite Eigenschaft des Bildes sollt ihr in der Gleichheit des Bildes
erkennen. Und hier merkt in Sonderheit auf zwei Stücke. Das eine ist dies: Das Bild ist nicht aus
sich selbst, noch (zweitens) ist es für sich selbst.
27
"
26
DW, S. 417, 20 ff.
27
DW, S. 224, 30 ff, und S. 226, 5 ff. ­ Predigt 16, Quasi vas auri solidum ornatum omni lapide pretioso (Eccli.
50,10), ist ein aufschlussreicher Text über Fragen der Bildwahrnehmung und des Bildcharakters. Eckehart
spricht sich hier in gewohnter Skepsis gegen eine allzu naive, vorschnelle Bewertung des Bildes als eines ver-
lässlichen, objektivierbaren Erkenntnisgegenstandes aus und betont die Unzulänglichkeit des Bildes, die aus des-
sen Mischverhältnis von Vielheit und Einheit entsteht. Das Bild, betont er, ist in seiner erkenntnistheoretischen
Vorläufigkeit nur eine Hilfskonstruktion auf dem Wege zur einig-einen Erfahrung des "Grundes".

19
Hiermit kommt man der zentralen Bedeutung des Bildes sehr nahe: einerseits fungiert es als Abbild, als
ein Seiendes, das vom Sein "sein Sein unmittelbar empfängt", andererseits auch als ein "Sonderschein",
als ein Ausgang aus dem Sein. Hierbei handelt es sich aber wohlgemerkt nicht um Resultate unterschied-
licher Prozesse, sondern um denselben Prozess, das "Auswirken" des Seinseinen ins Sein, der aber auf
zwei Arten interpretiert wird. Das Bild als ein Gleichnis kann eine Chance für den Erkennenden sein, in-
dem es Evidenz eröffnet; es kann aber, als eine Verschiedenheit mit dem "Grund", auch ein Hindernis
der evidenzerkenntnis darstellen. Deswegen äussert sich Eckehart manchmal sehr kritisch über den Wert
der Bilder und empfiehlt, aller "Bilder ledig" zu werden, zu entstalten. Bilder sollen am Anfang eines Er-
kenntnisprozessen stehen (als Gestalten), jedoch nicht mehr am Ende, das eine Identität des Erkennenden
mit dem Grund vorsieht. Ein Bild als ein "Gleiches" ist niemals diese Identität, sondern es kann das le-
diglich durch die konsequente Entstaltung werden
28
.
Dieser Gedanke erklärt auch die Polyvalenz des Bildes im mystischen Sinne: es ist agent provocateur,
aber auch agent séducteur der Erkenntnis, da es zu einem voreiligen Verharren in der bildhaften Vor-
stellung des Seins (Evidenz) verleiten kann, die als solche aber keine vollständige Erkenntnis des Seinsei-
nen (Transzendenz) ist.
Was will der Philosoph erkennen?
Die Welt, könnte man sagen; aber das ist trivial. Was ist denn die Welt? Genauer: was ist das zu erken-
nende Gegenüber, über das sich der Philosophierende Meinungen bildet?
Man kann festhalten, dass das Letzte des zu erkennenden Gegenübers für eine mystische Erkenntnistheo-
rie das metaphysische Sein ist. Nun ist diese Aussage aber sehr weit gefasst und überdies tückisch, denn
dass das Sein als solches, der Grund, nur schwerlich erkannt werden kann, ist ein Problem, auf das Mei-
ster Eckehart an mehreren Stellen aufmerksam macht
29
. Andererseits muss es eine Erkennbarkeit des
Seins geben, wenn nicht ein Grundgedanke mystischer Erkenntnistheorie, die Aktualisierbarkeit der vor-
ursächlichen Einigkeit von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisgrund, ad absurdum geführt werden soll.
Worin liegt die Erkennbarkeit des Seins? Wenn man etwas erkennt, muss man zugeben, dass es ist, dass
ihm also ein Sein zukommt. Was erkennt man also, von dem man folgert, dass es ein Sein hat?
Fragen wir uns zunächst, was man überhaupt erkennt. Man erkennt das, was gegenüber liegt, weil es ge-
genüberliegt, weil das Gegenüberverhältnis von Erkennendem und zu Erkennendem die Basis des Er-
kenntnisprozesses ist. Was ist es aber, das gegenüberliegt? Ist es ein Stoff? Ein Bild? Eine Idee? Eine An-
sammlung von Molekülen? Eine Sinnestäuschung?
Es gibt in der philosophischen Diskussion gegenwärtig zwei konträre Möglichkeiten, um das Erkennen
des Gegenübers, das ich im Folgenden in Bezug auf seine Komplexität als Gegenüberwelt bezeichnen
werde, zu interpretieren: die konstruktivistische oder die phänomenologische Interpretationsart
30
.
28
vgl. hierzu auch Alois M. Haas, "Traum und Traumvision in der deutschen Mystik", in: "Gottleiden- Gottlie-
ben", Frankfurt 1989. Haas gibt zu bedenken, dass gerade Meister Eckehart der Vorstellung eines bildlich me-
dialisierten Gotterlebens kritisch bis ablehnend gegenübersteht: "Meister Eckehart ist gegenüber allen Formen
der konkret- gleichnishaften Theophanie von höchstem Misstrauen erfüllt...Wie sollte nämlich dem Unendlichen,
Unermesslichen, Unsichtbaren ein sichtbares Gleichnis und dem Unerschaffenen die Gestalt (sic! A.d.A.) eines
Bildes gegeben werden?" (ebenda, S.111).
29
DW, S. 226, 5 ff.; ebenda, S. 218, 15 ff., über die Verwirrung der Mannigfaltigkeit in der Erscheinung des
Bildes, und S. 242, 15 f., über die Problematik der sprachlichen Vermittlung von Bildern im Hinblick auf den
"Grund".
30
Während die phänomenologische Methode, sich dem Erkenntnisgegenstand zu nähern, von der Beantwortung
der Frage absieht, ob dieser auch unabhängig vom Erkennenden existiert (vgl. E. Husserl, M. Scheler), versucht
die konstruktivistisch orientierte Methode, vom dinghaft-vorhandenen Seienden ausgehend Rückschlüsse auf
dessen Apperzeption zu ziehen (vgl. auch empiristische, sensualistische und nominalistische Auswüchse dieses
speziellen"Baumes der Erkenntnis". F. Bacon und Hobbes sind als Begründer des Empirismus immer noch
diskussionswürdige Väter dieser Denktradition, die alle Erkenntnis unmittelbar aus der sinnlich transportierten

20
Der Unterschied beider Interpretationsarten liegt in der Konkretisierung des Seinsortes: während das
Konstrukt das Seiende als eine mentale Repräsentation, etwas durch konstruktiv- logische Folgerung Er-
dachtes versteht, bedeutet das Phänomen das Seiende in seiner dinghaften Augenscheinlichkeit, in der
Beschaffenheit des materiellen Gegenübers, die sinnlich affiziert. Beiden gemeinsam ist die Prämisse der
Form: Seiendes wird aufgrund seiner Form als Seiendes erkannt. Diese Form ist im Verständnis des Kon-
struktivismus gemacht, im Sinne der Phänomenologie vorgefunden. Dieser Gegensatz scheint unaufheb-
bar zu sein: Gemachtes ist nicht vorgefunden, Vorgefundenes nicht gemacht. Konstruktivistische und
phänomenologische Aussagen über das Seiende gelangen nicht zur Übereinstimmung, weil sie den Form-
begriff unterschiedlich auffassen.
Es gibt ein Drittes. Der Widerspruch ist lösbar, wenn man die Form neu interpretiert. Die Form ist; ohne
sie gäbe es keine Wahrnehmung von etwas. Was ist sie aber?
Wenn man Formen als Konstrukte betrachtet, ist das unzureichend: man sieht mehr. Wenn man Formen
aber als Phänomene betrachten, stehen wir auch vor einem Problem: man weiss mehr. Es genügt nicht,
Formen nur als ein Gemachtes zu betrachten, gleichfalls ist es mangelhaft, sie als etwas nur Vorgefun-
denes anzusehen. Unser Erkennen, das eine sinnlich- perzeptionelle und eine kognitiv- Apperzeptionelle
Komponente hat, verbindet das Vorgefundene mit dem Gemachten. Ich denke, es gibt einen Ausweg aus
diesem erkenntnistheoretischen Dilemma, der möglicherweise gut zum Eckehartischen Gedanken über die
Ambivalenz des Bildes passt
31
, und den ich nun vorstellen möchte.
Unsere Gegenüberwelt besteht aus Formen, man erkennt, wenn man erkennt, Formen. Formen sind aber
weder Konstrukte noch Phänomene. Sie sind beides zugleich; dieses Zugleich hat aber einen anderen
Namen. Formen sind Gestalten. Was man überhaupt erkennt, erkennt man als Gestalt. Die Gegenüberwelt
besteht aus Gestalten. Gestalt ist der Begriff, der Konstrukt und Phänomen zusammenfliessen lässt. Der
Gestaltbegriff meint die Konstruktion eines Phänomens.
Was heisst das?
Phänomene haben ein Manko: sie sind nicht, wenn sie nicht erkannt werden. Konstrukte haben auch ein
Manko: sie tragen nicht zur Erkenntnis bei, wenn sie sich nicht auf etwas beziehen, das ist.
Die Gestalt meint den Prozess, mittels dessen etwas, das ist, erkannt wird. Sie ist, richtiggesehen, Ge-
staltung. Erkennen heisst dabei, etwas im Grund seiner formhaften Gegenüberbezüglichkeit zu erfassen.
Die Gestalt ist dabei Voraussetzung und Konsequenz des Erkennens. Sie ist Voraussetzung, da sie Form-
haftes antizipiert. Sie ist Konsequenz, da sie als Ergebnis des Erkenntnisprozesses schliesslich als form-
haft wahrgenommen wird. Gestalt ist ein unterscheidbares, vielheitliches Eines; das also, was der Mysti-
ker ein "Bild" nennt
32
. Gestalt meint vornehmlich ein So- Sein des Erkenntnisgegenstandes. Gestalt als
Gestaltung konstruiert aus Einheit und Vielheit ein Phänomen.
Ist die Gestalt der Voraussetzung und der Konsequenz dieselbe?
Angenommen ja: dann wäre der Erkenntnisprozess als solcher leer, ergebnislos. Das widerspricht aber
der Vorstellung von Erkenntnis als Informationsgewinn. Angenommen nein: dann wäre der Erkennt-
nisprozess ein profunder Umwandlungsprozess. Das lässt sich einräumen.
Erfahrung abgeleitet wissen will). ­ Interessanterweise wird die Streitfrage Phänomenologie- Konstruktivismus
heute oft in der psychologischen Forschung gestellt, wobei sich bei den Kontrahenten jedoch nicht selten ein
Mangel an philosophischer Grundlagenkenntnis und Kritikfähigkeit zeigt.
31
DW, S.224, 30 ff. ­ Das Bild ist für Eckehart hier ein "Vermittelndes der Weisheit", was aber keine unproblem-
atische Bedeutung hat, denn als ein Transportmedium des Unwandelbar- Einen, mit dem der Mensch in seinem
"Grund" existenziell verbunden ist, hat es zwar eine hervorragende Rolle als Propädeutikum, aber es ist eben
nicht identisch mit dem, was es vermittelt. Als Mittlerinstanz hat es einen im Vergleich zum Unwandelbar- Einen
untergeordneten Charakter. Das Bild vermittelt zwar, drängt sich durch die Vermittlung selbst aber zwischen den
Erkennenden und die "stille Wüste" der Gottheit, die bildlos ist.
32
In der philosophischen Terminologie der Upanishaden käme dem Bildbegriff von Eckehart wohl "rupa" nahe.

21
Gleich stellt sich aber die Frage: welche Veränderung macht die Vorstellung der Gestalt während des
Erkenntnisprozesses durch? Um diese Frage zu beantworten, muss man überlegen, was die Gestalt in der
Voraussetzung und in der Konsequenz des Erkenntnisprozesses bedeutet. Man erfasst das leichter von der
Konsequenz
ausgehend: Gestalt meint hier das Gesamt sinnlich erfahrener Teileindrücke, die mittels un-
seres Erfahrungswissens kognitiv repräsentiert werden. Man erkennt eine Vielheit als etwas, das einheit-
lich aufgefasst werden kann. Jener Gedankengang bewegt sich natürlich wieder in der spannungsreichen
Nähe des Eckehartischen Konzeptes vom Grund, von dessen Ungeteiltheit er aussagt, dass dort ,,nichts
ein- noch ausgebildet
33
" wird.
Woher kommt aber diese Auffassung der Einheitlichkeit? Was hindert uns daran, etwa einen Baum nur
als eine Vielheit von Wurzeln, Stamm, Ästen, Zweigen und Blättern? Hier begibt man sich schnell auf
das Gebiet vieler verschiedener Hypothesen, letztlich auf das der Mutmassungen. Die Kognitionspsy-
chologie betont die Rolle des Erfahrungswissens, der kognitiven Konditionierung; ein umständlicher Be-
griff, den man spasseshalber mit "gelerntem Denken" deuten könnte ­ man nimmt demgemäss einen
Baum als ein Gesamt wahr, weil man gelernt hat, ihn so wahrzunehmen. Das klingt plausibel, erschöpft
die Problemstellung aber nicht. Gegen das Gelernte kann man Widerspruch einlegen, man kann sich wei-
gern, es anzuerkennen, man kann es willentlich wieder verlernen.
Kann man aber einen Baum nicht als Gesamt wahrnehmen? Ja und nein. Man kann ihn logisch in seine
Bestandteile zerlegen, kann ihn auch als Vielheit wahrnehmen, kann ihn aber nicht ausschliesslich als
Vielheit wahrnehmen. Das, wovon wir ausgehen, wenn wir eine Vielheit differenzieren, ist eine Einheit.
Wir differenzieren bereits vom Baum ausgehend. Unser Spontaneindruck ist der einer Einheit.
Die Kritik an der Lernhypothese der Gestaltwahrnehmung besteht darin, dass die Wahrnehmung, zumin-
dest was ihre Spontanität betrifft, nicht verlernt werden kann. Schliesst man die Lernhypothese aus, wel-
ches Erklärungsmodell gibt es noch?
Platon und später auch sein Schüler Aristoteles legen in der Ideenlehre dar, dass Formen aus zwei Grün-
den gestalthaft wahrgenommen werden: erstens, weil sie auf einen "Eidos" rückschliessen lassen, auf ein
Urbild, dessen Abbilder sie sind, und zweitens und hauptsächlich, weil diese Urbilder der Seele als dem
Ort des Erkenntnisprozesses bekannt sind. Wie kommt die Seele überhaupt zu dieser Kenntnis?
Im "Phaidon" erörtert Sokrates, dass der Seele, die als unsterblich gedacht wird, eine Präexistenz vor ih-
rer Verkörperung zukommt. Während dieser Präexistenz schaut sie die Urbilder:
" Wenn dem, was wir immer im Munde führen, dem Schönen und dem Guten und jeder solchen
Wesenheit ein wirkliches Sein zukommt und wir sie auf alle sinnlichen Erscheinungen beziehen,
indem wir sie als in einem früheren Leben uns angehörig wiedererkennen, und das Sinnenfällige mit
ihr in Vergleich stellen, so ist die unabweisliche Folgerung die, dass, so gewiss als jenes ist, auch
unserer Seele ein Dasein vor der Geburt zukommt...
34
"
Auch im "Phaidros" ist die Rede von einer bildlich verstandenen Fahrt der Seele im Himmelsgewölbe,
wo sie die Ideen als Urbilder alles Wirklichen erblicken :
" (Die Seelen) fahren, wenn sie zur Höhe gekommen sind, hinaus und betreten den Rücken des
Himmelsgewölbes. Wenn sie dort anhalten, führt sie der Umschwung herum, und sie schauen, was
ausserhalb des Himmelsgewölbes ist. ... (Der Geist) einer jeglichen Seele, die in sich aufnehmen
will, was ihr gemäss ist, sieht so von Zeit zu Zeit das Sein. Er liebt und schaut das Wahre, nährt sich
von ihm und geniesst es, bis der Umschwung im Kreise wieder an dieselbe Stelle zurückgekehrt ist.
Während des Umlaufs aber betrachtet er die Gerechtigkeit selbst, betrachtet die Besonnenheit,
betrachtet die Erkenntnis... und das übrige wahrhaft Seiende und labt sich daran. Dann taucht die
Seele wieder ein in den Bereich unterhalb des Himmelsgewölbes und fährt nach Hause.
35
"
33
DW, S.203, 15 ff.
34
Platon, Phaid., 76 ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783832426385
ISBN (Paperback)
9783838626383
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität des Saarlandes – Philosophische Fakultät
Note
1,0
Schlagworte
religion ethik selbstbestimmung grenzbereich philosophie praktische erkenntnistheorie
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Titel: Der Begriff des Grundes bei Meister Eckehart
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