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Die politökonomischen Perspektiven des Internet

©1998 Diplomarbeit 131 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Nachdem das Internet aktuell ein erstaunliches, nur von wenigen Experten vorhergesehenes Wachstum aufweist, und nachdem die US-amerikanische Politik dieses "Kind des Kalten Krieges" zum Modell für die Nationale Informations-Infrastruktur erklärt hat, hat auch die deutsche Politik das "Netz der Netze" als Objekt entdeckt. Die einen sehen die Gefahr zügelloser, unmoralischer, kindergefährdender Netzangebote und wollen dagegen einschreiten, die anderen sehen durch staatliche Eingriffe die gewachsene, freiheitliche Netzkultur in Gefahr, wieder andere behaupten, das Netz sei überhaupt nicht zu regulieren. Die Geschäftswelt schließlich wittert das heraufdämmernde Zeitalter der minimierten Transaktionskosten und eine beträchtliche Ausweitung ihrer Absatzchancen - es gilt, rechtzeitig die claims abzustecken.
Gang der Untersuchung:
In dieser Arbeit wird das universell nutzbare Kommunikationsnetz Internet, das in seiner mittel- bis langfristigen Ausprägung sich erst ansatzweise abzeichnet, als Prototyp einer künftigen Kommunikationsinfrastruktur verstanden. Einleitend wird eine Klärung des Begriffs "Politische Ökonomie" vorgenommen. Eine Schilderung der Evolution der technisch vermittelten Kommunikation in Kapitel 2 soll deren sozio- und medienökonomische Bedeutung verdeutlichen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken sind besonders komplex, da sie zugleich "Maschinen" und Medien sind.
In Kapitel 3 wird gezeigt, welch wichtige Rolle Kommunikationsnetze wie das Internet in der Neukonstitution von Märkten und bei ökonomischen Transaktionen zunehmend spielen können. Infolge des weltweiten Wettbewerbs kann dieser technologisch möglich gewordene Anwendungspfad vermutlich nur bei Gefahr der massiven Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit längerfristig ignoriert werden.
Die vor allem in den USA häufig diskutierten Möglichkeiten des Internet für den politisch-gesellschaftlichen Diskurs werden in Kapitel 4 herausgearbeitet. Kapitel 5 beleuchtet internationale Aspekte des Internet-Ausbaus und kommt zu dem Ergebnis, daß die von den USA sehr klug initiierte, weltweite Öffnung der Informations- und Kommunikationsmärkte eine maßgeblich treibende Kraft auch beim Siegeszug des Internet ist. Kapitel 6 faßt die Analyse zusammen und stellt einige Thesen über die künftige Entwicklung auf. So dürfte das Internet den Trend zum Individualismus fördern und einen intensiveren Dialog zwischen Bürgern und Staat ermöglichen, den […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Mannhart, Alois B.: Die politökonomischen Perspektiven des Internet / Alois B. Mann-
hart.- Hamburg: Diplomarbeiten Agentur, 1999
Zugl.: München, Univ., Dipl., 1998
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tung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Dipl. Kfm. Dipl. Hdl. Björn Bedey, Dipl. Wi.-Ing. Martin Haschke & Guido Meyer GbR
Diplomarbeiten Agentur, http://www.diplom.de, Hamburg 1999
Printed in Germany


ii
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung... 1
1.1 Vorbemerkungen... 1
1.2
Was ist ,,Politische Ökonomie"? ... 4
2
Die Genese des Internet als Prototyp einer künftigen
Kommunikationsinfrastruktur ... 9
2.1
Geschichte und Bedeutung technisch vermittelter
zwischenmenschlicher Kommunikation ... 9
2.1.1 Technologische
Entwicklung... 9
2.1.2 Soziologische
Aspekte ... 13
2.2
Die Evolution des Internet ... 16
2.2.1
Das Internet als ,,Kind des Kalten Krieges" ... 16
2.2.2
Die NII-Initiative und das World Wide Web ... 20
2.3
Die heutigen Leistungsmerkmale des Internet ... 24
2.4
Die neue Qualität und die Kommerzialisierung des Internet ... 33
2.5
Zum Begriff ,,Informationsgesellschaft" ... 38
3
Die wirtschaftliche Bedeutung der ,,Informationsgesellschaft"43
3.1
Die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) als
Basisinnovation... 43
3.2
Ist Information ein Produktionsfaktor? ... 46
3.3
Auswirkungen der IKT auf das Bruttosozialprodukt ... 52
3.4
Strukturwandel und Konsequenzen für den Arbeitsmarkt ... 56
3.4.1
Implikationen für Wirtschaft und Verwaltung... 56
3.4.2
Konsequenzen für die Arbeitsmärkte... 59
3.4.3
Das Projekt ,,Bayern Online"... 62
3.5 Anwendungsbeispiel:
Telearbeit... 63
3.6
Internationale Wirtschaftsverflechtungen und Globalisierung... 67
4
Das Internet und die Demokratie ... 73

iii
4.1
Allgemeines zur Interdependenz zwischen Politik und Medien ... 73
4.2
Das Internet und der politisch-demokratische Prozeß... 74
4.2.1
Das Problem der ,,Politikverdrossenheit" ... 74
4.2.2 Mehr
Bürgerbeteiligung? ... 77
4.2.3
Hin zur ,,Electronic Democracy"? ... 80
5
Internationale Aspekte des Internet-Ausbaus... 83
5.1
Die Politik und ihr Versuch der Förderung der
,,Informationsgesellschaft" ... 83
5.1.1 Rückblick ... 83
5.1.2
Die Stärken der NII-Initiative... 87
5.2
Das Internet als US-amerikanische Erfolgsstory... 89
5.2.1
Strategisch kluge Technologiepolitik... 89
5.2.2
Die längerfristigen Folgen... 93
5.3
Der vergebliche Versuch der Zensur... 95
5.4
Homogensierung und Fragmentierung... 97
6
Zusammenfassung und Schluß ... 99
6.1 Zusammenfassung... 99
6.2
Die Zukunft des Internet: einige Thesen ... 101
Abbildungen und Tabellen:
Abb. 1
Medienentwicklung nach Löffler/Wagner
Abb. 2
Entwicklung des Internet
Abb. 3
Die regionale Ungleichverteilung der Internet-Anschlüsse
Abb. 4
Das Vier-Sektoren-Modell 1882-2010
Abb. 5
Weltmarkt Informationswirtschaft 1993
Abb. 6
Anteil der Transaktionskosten am BSP der USA
Abb. 7
Informations- und Kommunikationstechnik in Japan
Abb. 8
Diffusionspfad elektronischer Unterstützung
Abb. 9
Entwicklung der Raumüberwindungskosten
Abb. 10
Demokratie und Internet-Anschlußdichte
Tab. 1
Fehlprognosen in der Mediengeschichte

iv
Tab. 2
Einsparpotential von Arbeitsplätzen
Tab. 3
Initiativen zur Informationsgesellschaft
Literaturverzeichnis
Ergänzende Materialien
Skripten des Kongresses Internet & Politik (19.-21.2.97, München)
Eidesstattliche Versicherung

v
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O.
am angegebenen Orte
ADSL
Asymetrical Digital Subscriber Line
A.M.
Alois B. Mannhart (Verfasser)
ATM
Asynchronous Transfer Mode
ARPANet
Advanced Research Project Agency Network
Bio.
Billion
BMI
Bundesministerium des Innern
BMWi
Bundesministerium für Wirtschaft
Btx
Bildschirmtext
CD
Compact Disc
CD-ROM
Compact Disc - Read Only Memory
CERN
Centre Européen de la Recherche Nucléaire
CSN
Computer Science Network
DFG
Deutsche Forschungsgemeinschaft
DGT
Direction Générale des Télécommunications
ebd.
ebenda
ECU
European Currency Unit
EDI
Electronic Data Interchange
Edifact
Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and
Transport
E-Mail
Electronic Mail
EU
Europäische Union
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FOIA
Freedom of Information Act
FTP
File Transfer Protocol
GII
Global Information Infrastructure
HB
Handelsblatt
HTML
Hypertext Markup Language
HTTP
Hypertext Transfer Protocol
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
i.d.R.
in der Regel
ISDN
Integrated Services Digital Network
ISOC
Internet Society
IT
Informationstechnik

vi
IKT
Informations- und Kommunikationstechnik
ITU
International Telecommunication Union (United Nations)
KMU
kleine und mittlere Unternehmen
MIT
Massachusetts Institute of Technology
Mio.
Million
Mrd.
Milliarde
NASA
National Aeronautics and Space Administration
NCSA
National Center for Supercomputer Applications
NGO
Non-Governmental Organization
NII
National Information Infrastructure
NSF
National Science Foundation
NSFnet
National Science Foundation Network
NTT
Nippon Telephon and Telegraph
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OECD
Organisation for Economic Corporation and Development
o.V.
ohne Verfasser
p.a.
pro anno
PC
Personal Computer
PTT
Post, Telephonie und Telegraphie
RAM
Random Access Memory
SONET
Synchronous Optical Net
SZ
Süddeutsche Zeitung
TCP/IP
Transmission Control Protocol/Internet Protocol
URL
Universal Resource Locator
VDI
Verein Deutscher Ingenieure
VPN
Virtual Private Network
VDMA
Verband Deutscher Maschinen- und -Anlagenbau e.V.
WIPO
World Intellectual Property Organization
WSJE
Wall Street Journal Europe
WTO
World Trade Organization
WWW
World Wide Web
W3C
World Wide Web Consortium
ZVEI
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.
ZögU
Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen
z.T.
zum Teil

1
1
Einleitung
,,Today, commerce rolls not just on asphalt highways but
along information highways."
Al Gore 1993
1
1.1
Vorbemerkungen
Beschäftigt man sich mit Entwicklung und Perspektiven des weltumspannen-
den Computernetzes Internet, so fällt vor allem dessen erstaunliches, nur von
wenigen Experten vorhergesehenes Wachstum auf
2
: Dreistellige Wachstums-
raten in einer Zeit, in welcher der sekundäre Sektor der entwickelten Volks-
wirtschaften stagniert, der tertiäre Sektor nicht zum oft prognostizierten Höhen-
flug ansetzt. Und dieses Wachstum, also auch diese offensichtliche Akzeptanz,
findet statt vor dem Hintergrund einer - zumindest in Deutschland bis vor eini-
gen wenigen Jahren - weitverbreiteten Skepsis gegenüber informationstechni-
schen Innovationen aus Angst vor Entwicklungen hin zum ,,allmächtigen
Staat" oder ,,gläsernen Menschen" oder auch wegen der zweifellos festzustel-
lenden Tendenz zum ,,jobless growth" der Volkswirtschaften, zumindest in
Europa.
Nachdem die US-amerikanische Politik das Internet zum Modell für die Natio-
nale Informations-Infrastruktur erklärt hat und die ,,alten Medien den neuen
Konkurrenten zum Thema machen"
3
, hat auch die deutsche Politik das Netz
der Netze als Objekt entdeckt. Die einen sehen die Gefahr zügelloser, unmora-
1
Zit. nach: Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.): Der ,,Information Superhighway", Opladen 1996, S. 9. Al Gore hat den
Ausdruck Information Highway unter die Leute gebracht; sein Vater stand 1956 beim Gesetz über den Federal Aid
Highway Act Pate; vgl. Bill Gates: Der Weg nach vorn: die Zukunft der Informationsgesellschaft. Hamburg
3
1995,
S. 21
2
Noch 1993 und 1994 erwarteten alle den Massenmarkt für den Information Superhighway beim interaktiven Fernse-
hen mit Video-on-Demand, Online-Video-Spielen u.ä. Vgl. Peter Wilke: ,,The Virtual Internet Economy", in: Klein-
steuber (Hrsg.), a.a.O., S. 152
3
Herbert Kubicek: ,,Das Internet auf dem Weg zum Massenmedium? - Ein Versuch, Lehren aus der Geschichte alter
und anderer Medien zu ziehen." in: Raymund Werle/Christa Lang (Hrsg.): Modell Internet? Entwicklungsperspektiven
neuer Kommunikationsnetze. Frankfurt a.M./New York 1997, S. 213

2
lischer, kindergefährdender Netzangebote und wollen dagegen einschreiten, die
anderen sehen durch staatliche Eingriffe die gewachsene, freiheitliche Netz-
kultur in Gefahr, wieder andere behaupten, das Netz sei überhaupt nicht zu
regulieren. Die Geschäftswelt schließlich wittert das heraufdämmernde Zeital-
ter der minimierten Transaktionskosten und eine beträchtliche Ausweitung ih-
rer Absatzchancen - es gilt, rechtzeitig die claims abzustecken.
Eine Technologie, die es ermöglicht, Informationen auch hoher Komplexität zu
geringen Kosten über beliebige Distanzen zu übertragen, wird in ihrer Nutzung
sicherlich die allgemeine gesellschaftliche Kommunikation widerspiegeln, aber
auch verändern. Weiterhin wird sie kaum ohne Einfluß auf Volkswirtschaften
sein, die komparative Kostenvorteile zu nutzen wissen und deren Marktteil-
nehmer idealtypisch umfassend informiert sein sollten. Und sie dürfte ebenfalls
Einfluß nehmen auf das Politisch-gesellschaftliche, das schon immer - seit ei-
nigen Jahren im Zuge der ,,Globalisierung" verstärkt - verknüpft war mit dem
Ökonomischen, und das darüber hinaus in hohem Maß auf Information und
Kommunikation angewiesen ist, vor allem in einer demokratisch-partizipativen
,,Teilhabe"-Gesellschaft. Die altbekannte, gleichwohl sehr wichtige Tatsache,
daß menschliche Beziehungen, Märkte, Unternehmen, Politik und Gesellschaft
sich wesentlich durch Information und Kommunikation konstituieren, wird
durch das rasant steigende Leistungsangebot von Informations- und Kommuni-
kationstechniken (IKT) und die damit verbundenen strukturellen Wandlungs-
potentiale vermehrt ins Bewußtsein gerückt.
Das Internet als bekannteste Nutzung der ,,Datenautobahn" in der ,,Infor-
mationsgesellschaft" ist ein sehr junges Medium. Ein damals ebenfalls relativ
junges Medium, nämlich die Schrift, wurde von einem der berühmtesten Philo-
sophen des Abendlandes einer vernichtenden Kritik unterzogen. Sie sei gefähr-
lich, und zwar aus viererlei Gründen: Erstens schwäche sie, verglichen mit der
mündlichen Überlieferung, das Gedächtnis, zweitens verschaffe sie Unbefugten
den Zugang zu Daten und Informationen. Des weiteren verführe sie zu läppi-
schen Spielchen, lenke von der Realität ab und führe schließlich dazu, diese
mit ihrem medialen Abbild zu verwechseln. Platon selbst allerdings, der in

3
seinem Dialog Phaidros diese Befürchtungen den Sokrates äußern läßt, hat
seine Gedanken in schriftlicher Form festgehalten.
4
An dieser Stelle sei die Bemerkung erlaubt, daß neue Medien wie das Internet
auf fundierter Basis vernünftigerweise nur derjenige kritisieren oder bekämpfen
kann, der sie zumindest benutzt (oder Erfahrungen mit ihnen gesammelt) hat
und von daher ihre Leistungsfähigkeit, ihre Besonderheiten und auch ihre
Grenzen kennt.
5
Wohlbegründete Skepsis statt Euphorie und ,,blinde" Faszina-
tion, rationales Abwägen aus Wissen und Erfahrung heraus statt modeorien-
tiertes Mitmachen oder auch Ablehnen sind die angemessene Art des Umgangs
mit einem solchen neuen Medium. Die Maschinenstürmer des vergangenen
Jahrhunderts `verstanden' die damals neuen Technologien und konnten so ihre
,,Guerilla-Kriegführung" entsprechend gestalten; heutige Gegner des Internet
verstehen oft diese Technologie nicht ausreichend genug und sind deshalb nicht
in der Lage, erfolgreiche Gegenstrategien zu entwickeln.
6
Weder pro-utopische
noch gegen-utopische Visionen taugen dazu, uns eine Einsicht in die höchst-
wahrscheinlich kommenden Veränderungen und deren langfristig wirkende
Implikationen zu verschaffen; hier ist schlicht eine nüchterne Analyse ange-
bracht.
In diesem Sinne soll die vorliegende Diplomarbeit die ,,politökonomischen
Perspektiven des Internet" analysieren. Dabei wird eben dieses ,,Netz der Net-
ze", das in seiner mittel- bis langfristigen Ausprägung sich erst ansatzweise
abzeichnet, als Prototyp einer künftigen Kommunikationsinfrastruktur
verstanden. Einleitend wird eine Klärung des Begriffs ,,Politische Ökonomie"
vorgenommen. Eine Schilderung der Evolution der technisch vermittelten
4
Vgl. Walther Ch. Zimmerli: Einmischungen - die sanfte Macht der Philosophie. Darmstadt 1993, S. 86
5
Beispielsweise werden die schon immer gratis zu benutzenden Suchmaschinen des Internet als Informationsmakler
bezeichnet, die ,,...Informationen (kostenpflichtig) gezielt zur Verfügung stellen." in: Deutscher Bundestag (Hrsg.):
Meinungsfreiheit - Meinungsvielfalt - Wettbewerb. Rundfunkbegriff und Regulierungsbedarf bei den Neuen Medien/
Enquete Kommission ,,Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft; Deutschlands Weg in die Informationsge-
sellschaft" Bonn 1997, S. 18 sowie S. 75 (Entwurf der SPD-Fraktion)
6
Vgl. Michael W. Giles: ,,From Gutenberg to Gigabytes: Scholarly Communication in the Age of Cyberspace", in:
The Journal of Politics, Vol. 58, No. 3, August 1996, P. 619

4
Kommunikation in Kapitel 2 soll deren sozio- und medienökonomische Be-
deutung verdeutlichen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechni-
ken sind besonders komplex, da sie zugleich ,,Maschinen" und Medien sind.
7
In Kapitel 3 wird gezeigt, welch wichtige Rolle Kommunikationsnetze wie das
Internet in der Neukonstitution von Märkten und bei ökonomischen Transak-
tionen zunehmend spielen können. Speziell auf diesem Gebiet war die Quellen-
recherche nicht sehr ergiebig, obwohl solche Anwendungen künftig nach Über-
zeugung des Verfassers eine außerordentlich wichtige Rolle spielen werden. Es
wird gezeigt, daß infolge des weltweiten Wettbewerbs dieser technologisch
möglich gewordene Anwendungspfad vermutlich nur bei Gefahr der massiven
Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit längerfristig ignoriert werden kann.
Die, vor allem in den USA, häufig diskutierten Möglichkeiten des Internet für
den politisch-gesellschaftlichen Diskurs werden in Kapitel 4 herausgearbeitet.
Kapitel 5 beleuchtet internationale Aspekte des Internet-Ausbaus und kommt
zu dem Ergebnis, daß die von den USA sehr klug initiierte, weltweite Öffnung
der Informations- und Kommunikationsmärkte eine maßgeblich treibende Kraft
auch beim Siegeszug des Internet ist. Kapitel 6 faßt die Analyse zusammen und
stellt einige Thesen über die künftige Entwicklung auf.
1.2
Was ist ,,Politische Ökonomie"?
,,Politische Ökonomie" ist ein bereits im Hellenismus gebräuchlicher Begriff
8
,
der die Gesichtspunkte der Haus- oder Familienwirtschaft - des oikos - kritisch
auf das politische Gemeinwesen übertrug. Der politische Aristotelismus trennte
bekanntlich das politische Leben streng von der privaten und ökonomischen
Welt. Wird die polis gewaltsam unter die Kategorien des oikos gebracht, wird
die Herrschaft des Hauses auf die Stadt übertragen, wird das ökonomische In-
7
Vgl. Robin Mansell and Roger Silverstone: ,,Introduction", in: Dies. (Hrsg.): Communication by Design. The Poli-
tics of Information and Communication Technologies. Oxford/New York 1996, S. 9
8
etwa in der `Rhetorik' des Philodemos. Vgl. Friedrich Kambartel: ,,Politische Ökonomie", in: Jürgen Mittelstraß
(Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Mannheim, 1984, Band 2, S. 1074

5
teresse in der Politik dominant, dann wird die politische Sphäre korrumpiert:
Kersting schreibt: ,,Für den politischen Aristotelismus ist das Eindringen von
Oikos-Kategorien in die Welt des Politischen ein untrügliches Anzeichen der
Zersetzung des Politischen."
9
Im merkantilistisch orientierten absolutistischen Staat des 17. Jahrhunderts
bezeichnete der Terminus ,,politische Ökonomie" im wesentlichen die Staats-
und Fürstenhaushaltswissenschaft. Antoine de Moutchrétien schließt in seiner
1615 erschienenen merkantilistischen Schrift ,,Traité de l'économie politique"
die Lehre von der Staatsverwaltung mit ein. Bei den Physiokraten wird die po-
litische Ökonomie zur allgemeinen Theorie der Produktivität und der Güter-
und Geldbewegungen.
10
Der Begriff ,,politische Ökonomie" hat sich dann Ende des 18. Jahrhundert vor
allem in Folge der Schriften von Adam Smith durchgesetzt. ,,Politische Öko-
nomie" hieß für diesen bedeutenden Nationalökonomen die ,,Untersuchung des
Wesens und der Ursachen des Reichtums der Nationen"
11
. Damit war jener
Zweig der Staatswissenschaft benannt, der darauf gerichtet ist, den Reichtum
der Gesellschaft zu mehren. Smith unterschied sich damit von Rousseau, der
die ,,Economie politique"
12
noch ganz im merkantilistischen Sinn als Teil der
Regierungskunst auffaßte, und auch von James Steuarts, der 1767 in seinem
Werk ,,Inquiry into the Principles of Political Economy" die politische Öko-
nomie als gesellschaftliche Wirtschaftslehre faßte und zwar dergestalt, daß die
Politik die Befehlsgewalt inne hat, der die Ökonomie zu gehorchen hat. Für
Adam Smith dagegen bilden umgekehrt die ökonomischen Zielsetzungen jene
Normen, an denen sich die Politik orientieren muß.
13
Kolb spricht von einem
Bedeutungswandel des Begriffs seit Smith: Politische Ökonomie wurde nun
oftmals als Identifikation mit der liberalökonomischen Lehre verstanden; die
9
Wolfgang Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt
1
1994, S. 3
10
Vgl. Kambartel, a.a.O.
11
so der Titel seines Hauptwerkes: ,,Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations". London 1776
12
so der Titel seines Aufsatzes, der 1755 in der Grande Encyclopédie erschien
13
Vgl. Lothar Kramm: Politische Ökonomie: eine kritische Darstellung. München 1979, S. 21-22

6
Politik selbst, also das staatliche Macht- und Gestaltungselement, blieb weitge-
hend außerhalb des Interessenbereichs der wirtschaftswissenschaftlichen Theo-
rie. Politische Ökonomie war damit als im großen und ganzen ,,unpolitische"
Ökonomie das Kennzeichen der Klassischen Schule der Nationalökonomie.
14
Smith' Nachfolger verwenden den Begriff lange Zeit in ähnlicher Weise. So
schreibt J.B. Say über die politische Ökonomie als die ,,Art und Weise, wie der
Reichtum gebildet, verteilt und konsumiert wird" - nach heutigen Maßstäben
eine recht moderne Definition. Ähnlich waren auch die Definitionen von
McCulloch, Senior und J.St. Mill. Die Förderung der Wirtschaftstätigkeit als
zentrale Aufgabe des Staates soll die ökonomischen Probleme lösen helfen, die
der Zerfall des Lehenswesens im Gefolge des Zusammenbruchs der mittelal-
terlichen Einheit von Kirche und Reich geschaffen hat: Geld ist nötig, um das
Söldnerheer und die Beamten zu entlohnen
15
, Geld setzt sich endgültig als der
Maßstab des privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Reichtums durch. Die
Ökonomie wird nicht länger durch die Politik eingegrenzt, sondern ist jetzt
deren zentrales Hilfsmittel und bekommt so eine eigene politische Qualität.
David Ricardo wird im Gegensatz zu A. Smith als Pessimist der Klassik be-
zeichnet. Seine Theorie der Faktoreinkommen ist Grundlage für sozioökonomi-
sche Analysen der aufkommenden ,,großen Industrie". An seine pessimisti-
schen Prognosen von sinkendem Bodenertrag, fallendem Unternehmergewinn
und gleichbleibendem Arbeitslohn knüpften verschiedene sozialkritische Theo-
retiker an.
16
Der bekannteste ist Karl Marx, dessen Hauptwerk ,,Das Kapital"
den Untertitel ,,Kritik der politischen Ökonomie" trägt, womit er diesen Begriff
offensichtlich der von ihm abgelehnten klassisch-liberalen Wirtschaftsanalyse
und -konzeption seiner Zeit zurechnet.
14
Vgl. Gerhard Kolb: Geschichte der Volkswirtschaftslehre: dogmenhistorische Positionen des ökonomischen Den-
kens. München 1997, S. 81
15
Vgl. Kramm, a.a.O., S. 23
16
Vgl. Jiri Kosta: ,,Politische Ökonomie", in: Dieter Nohlen: Wörterbuch Staat und Politik. München 1990, S. 521

7
Im Unterschied zur englischen klassischen Nationalökonomie und zur
Marxschen Kapital-Kritik begann mit der ,,subjektiven" Wertlehre eine Hin-
wendung von der Gesellschaft zum Individuum. Mit der an Thesen von Gossen
anknüpfenden Grenznutzenschule bildete sich die Basis für verschiedene neo-
klassische Wirtschaftstheorien, wobei der Ausdruck political economy be-
zeichnenderweise durch den Begriff economics ersetzt wird.
17
Das Ökonomi-
sche repräsentiert in diesem marktbezogenen Verständnis einen eigenständigen
Bereich, der ganz eigenen, quasi ,,natürlichen" Gesetzmäßigkeiten folgt und
deshalb am besten dann funktioniert, wenn er von der Politik möglichst wenig
beeinflußt wird. Man ist versucht, diese Auffassung schon als früh-system-
theoretisch zu bezeichnen.
Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann geht bei seinem Gesellschaftsverständ-
nis eindeutig von getrennten Funktionssystemen für Politik und Wirtschaft aus,
die für jeweils spezifische Funktionen ausdifferenziert sind und ,,daher weder
Vorrang noch übergeordnete Bedeutung ... in Anspruch nehmen können". Die
Funktion der Politik kann nur noch von der Politik, die der Wirtschaft nur noch
von der Wirtschaft erfüllt werden.
18
Was also ist, vor dem Hintergrund dieses kurzen historischen Exkurses, ,,poli-
tische Ökonomie"? Für diesen Begriff liegt ganz offensichtlich kein einheitli-
ches Verständnis vor
19
, sondern sein Inhalt hängt ab vom zeitgeschichtlichen
Kontext, auf den er sich analytisch, kritisch oder normativ bezieht. Faßt man
das Politische als die Sphäre, die sich mit der ,,richtigen Ordnung" der Gesell-
schaft, also auch mit der Macht und deren institutionellen Bedingungen be-
schäftigt, und andererseits das Ökonomische als den davon getrennten Bereich,
in welchem die Güterversorgung der Gesellschaft stattfindet, so wird die Öko-
nomie dann politisch, wenn sie mit ihren Kategorien die Gesellschaft insgesamt
zu ordnen beansprucht. Danach ist politische Ökonomie ,,der Versuch, die
17
Vgl. ebd., S. 522
18
Vgl. Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main, 1994, S. 11
19
,,Der Begriff der Politischen Ökonomie wird uneinheitlich, ja extrem vielfältig verwendet." heißt es bei W. Zahln-
höfer im Staatslexikon, Bd. 4, Freiburg
7
1998, S. 466

8
richtige Ordnung der Gesellschaft mit den Kategorien des Ökonomischen (mit)
zu bestimmen sowie die institutionellen Bedingungen dazu anzugeben".
20
Der
Bereich der Wirtschaft, den Individuen gestalten, als politische Ökonomie ge-
faßt, ist demnach kein technischer Vorgang, sondern benennt ein soziales Ver-
hältnis mit wechselseitigen Auswirkungen.
Welchen Einfluß die neuartigen Informations- und Kommunikationstechniken,
die auch als ,,Nervensystem von Wirtschaft und Gesellschaft" bezeichnet wer-
den, und hier insbesondere das Kommunikationsmedium Internet, auf die
Sphären Wirtschaft und Politik sowie auf deren Wechselbezug bereits heute
haben oder voraussichtlich haben werden, soll Gegenstand der folgenden empi-
risch-deskriptiven Analyse sein. Zunächst allerdings ein Blick auf die Vorge-
schichte der heutigen Medienlandschaft.
20
Vgl. Lothar Kramm, a.a.O., S. 40

9
2
Die Genese des Internet als Prototyp einer
künftigen Kommunikationsinfrastruktur
2.1
Geschichte und Bedeutung technisch vermittelter zwischenmensch-
licher Kommunikation
2.1.1 Technologische Entwicklung
Seit der Mensch ,,zum Menschen" wurde, hat er bewußt und gezielt Informa-
tionen ausgetauscht - zunächst durch Gestik, Laute, Sprache, dann auch durch
sichtbare Einwirkung auf die Umwelt (Bearbeitung von Stein, Holz u.a. Mate-
rialien; Rauch- und Feuerzeichen u.ä.). Erste pictographische Schriften datieren
auf etwa 5300 v. Chr. (sakraler Schriftgebrauch), etwa 3500 v. Chr. entsteht die
nächste - ebenfalls pictographische - sumerische Schrift.
21
Bereits vor 300 000 Jahren haben Menschen gemeinschaftlich zusammengear-
beitet. Zur Verständigung über Arbeitsabläufe und -gegenstände war eine diffe-
renzierte Begriffsbildung als Grundlage gemeinsamen Vorgehens nötig. Die
Seßhaftigkeit und die planvolle Nutzung der Natur erforderten eine voraus-
schauende, quantifizierende Arbeitsplanung. So schufen sich die Agrargesell-
schaften um etwa 10 000 v. Chr. die ersten Zahlensymbole, die sich noch un-
mittelbar an der Lebenswelt orientierten: Die größten Zahlenwerte entsprachen
etwa der Anzahl der Menschen in der Gemeinschaft.
22
Ab etwa 3 000 v. Chr. wurden Stadtstaaten und Großreiche gebildet mit Ein-
wohnerzahlen jenseits unmittelbar erfaßbarer Quantitäten. Es bildeten sich Oli-
21
Vgl. Hans Hiebel: Kleine Medienchronik. München, 1997, S. 42
22
Vgl. Peter Berger: ,,Sozialgeschichte der Datenverarbeitung", in: Jürgen Friedrich et al. (Hrsg.): Informatik und
Gesellschaft. Heidelberg, Berlin 1995, S. 15

10
garchien mit dem Anspruch, die Geschicke der Gesellschaft stellvertretend zu
lenken. Es mußte das Zusammenwirken Hunderttausender von Menschen orga-
nisiert werden (Pyramidenbau, Bewirtschaftung des Nildeltas, Kriegführung,
religiöse Kulte). Um eine angemessene Organisations- und Verwaltungsstruk-
tur zu entwerfen, war das Denken in Modellen nötig; die Standardisierung,
Quantifizierung und Kontrolle der gesellschaftlichen Prozesse führte zur Her-
ausbildung von Zahlensystemen, Rechentechniken und der Buchhaltung.
Infolge der Ausbreitung des Handels (Kaiser Augustus führte ein System der
Stafettenpost mit Relaisstationen entlang des römischen Fernstraßennetzes ein)
wurden diese Verfahren verfeinert und weiterverbreitet. so fand das arabische
Zahlensystem - etwa 600 n. Chr. in Indien entwickelt - im 12. Jahrhundert
breite Anwendung in Europa.
23
Um 1450 erfand Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern, wodurch
die Verbreitung von Schriften und damit Gedanken außerordentlich gefördert
wurde; dies war das wesentliche Element der Aufklärung. Mit dem Buchdruck
erfolgte ein epochaler Schritt von der eher ,,privat" und oral bestimmten, per-
sonalen ,,Live"-Kommunikation hin zur ,,öffentlichen", typographischen,
asynchronen Kommunikation. Das gesellschaftliche Wissen wurde verschrift-
licht, vervielfältigt und dadurch ,,veröffentlicht".
24
Die Kirche und die Mächti-
gen verloren ihr Bildungs- und Informationsmonopol. So erschienen von Lu-
thers Übersetzung des Neuen Testaments noch zu seinen Lebzeiten 100 000
Exemplare; seine 30 Publikationen wurden im Zeitraum 1517-1520 über 300
000mal verkauft.
25
Seit etwa 1600 gibt es regelmäßig erscheinende Zeitungen im heutigen Sinn.
Der raschen Informationsübermittlung durch Brieftauben und reitende Boten
erwuchs ab etwa 1850 eine ernsthafte Konkurrenz durch die elektrische Tele-
graphie und 30 Jahre später durch das Fernsprechen. Mit dem Bau von Rotati-
onsmaschinen und der Erfindung der Zeilensetz- und Gießmaschine Linotype
23
Vgl. ebd., S. 16
24
Vgl. Hans Hiebel, a.a.O., S. 15
25
Vgl. ebd., S. 54

11
durch O. Mergenthaler (1884) begann das Zeitalter der Massenpresse. Der öf-
fentliche, kommerzielle Hörrundfunk datiert auf etwa 1920, Telex auf etwa
1930, systematisch verbreitetes Fernsehen in Deutschland auf 1952 (schwarz-
weiß) bzw. 1967 (Farbe) und die elektronische Datenübertragung auf etwa
1970. Die technischen Kommunikations- und Übertragungssysteme wurden
ständig verbessert, so entstanden Satellitenfunk (ab 1965), Kabelfernsehen
(1974 in Deutschland), modernes Telefax (D 1989), Teletex (elektronisches
Bürofernschreiben, D 1981) und Bildschirmtext (D 1983). Die letzgenannten
beiden Medien weisen bereits weitgehende Ähnlichkeit mit dem Internet auf,
sind allerdings in der Regel standardisierte, reglementierte Dienste unter der
Hoheit einer staatlichen Telefongesellschaft (PTT).
Während Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen typische Medien der Massen-
kommunikation sind (,,einer sendet an alle")
26
, handelt es sich bei Telefon,
Telefax und Bürofernschreiben um die Verbindung zwischen zwei Kommuni-
kationspartnern und damit um Individualkommunikation. Sie erfordert ein
Vermittlungsnetz, das zu beliebiger Zeit beliebige Verbindungen herstellen
kann. Das Internet schließlich als multimediales Individualkommunikations-
medium integriert die Kommunikationsformen Text, Bild und Ton und reali-
siert durch die in ihm angelegte Möglichkeit der Interaktivität zumindest an-
satzweise die von Bert Brecht 1932 erhobenen Forderung nach dem ,,Rundfunk
als Kommunikationsapparat".
Franz Adam Löffler legte in seinem 1837 erschienenen Werk ,,Über die Ge-
setzgebung der Presse" eine erste Periodisierung der Mediengeschichte vor und
stellt diese als einen dialektischen Entwicklungsgang dar (vgl. das vereinfachte,
von H. Wagner ergänzte Schema in Abb. 1).
27
Die Erfindung des Radios hat
danach die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Vermittlung, das Live-Prinzip,
erreicht. Allerdings ist das Radio nur ein Hörmedium; dieses Defizit wird, was
26
Zur Problematik des Begriffs ,,Massenkommunikation", der auf dem Werk ,,Psychologie der Massen" von Gustave
Le Bon beruht, siehe Hans Wagner: Journalismus I: Auftrag: gesammelte Beiträge zur Journalismustheorie. Erlangen
1995, S. 15-17
27
Vgl. Hans Wagner: KommunikationsWissenschaft (ZeitungsWissenschaft), München/Mülheim
2
1989, S. 358-359

12
das Sehen angeht, überwunden vom Schwarz-Weiß-Fernsehen und schließlich
durch das Farbfernsehen die Distanz zum natürlichen Sehen weiter aufgeho-
ben.
28
,,Multimedia via Internet" könnte als Weiterentwicklung des Farbfern-
sehens begriffen werde, das dessen Eigenschaften bietet und darüber hinaus
noch ein Medium der Individualkommunikation - mit dem lange geforderten
,,Rückkanal" - sein kann, wahlweise live (synchron) oder zeitversetzt (asyn-
chron). ,,Nur virtuelles Medium" wäre in diesem Sinne seine Beschränkung.
Karl Steinbuch stellte bereits 1978 fest: ,,Beim gegenwärtigen Stand der Tech-
nik gibt es praktisch keine denkbare Kommunikationsform, die technisch nicht
realisiert werden könnte"
29
- es sei alles, auch die Übertragung von Geruch,
Geschmack oder Getast nur eine Frage der Finanzierung, ebenso die Frage der
Erreichbarkeit an allen Orten. Es seien also weniger die Techniker zu befragen
als die politisch Entscheidenden und die Finanzierenden.
30
Die enormen Fort-
schritte der Mikroelektronik - seit 1970 hat sich die Integrationsdichte der
Speicherchips jährlich um etwa 50 % erhöht, während die Kosten pro Bit jähr-
lich um 30 % gefallen sind
31
- haben zwischenzeitlich zum Angebot eines heu-
tigen Heim-PC für ca. 1 500 DM geführt, der eine Leistungsfähigkeit ver-
gleichbar einem kommerziellen Großrechner für 15 Mio. DM vor 25 Jahren
hat. Im Laden eines typischen PC-Händlers steht heute mehr Rechenkapazität
als damals in der gesamten deutschen Industrie verfügbar war
32
. Bei Fort-
schreibung der bisherigen Entwicklung könnten im Jahr 2010 private Haushalte
- ohne grundlegende Umschichtung ihrer Konsumbudgets - über eine Rechen-
leistung von 1000 und mehr der heutigen Pentium-PC-Generation verfügen, bei
einem Arbeitsspeicher von 2-64 Gbyte und Massenspeicher bis zu 16 000
TByte (das Hunderttausendfache heutiger kommerzieller Online-Dienste), wo-
28
Ebd., S. 359-361
29
Karl Steinbuch: Maßlos informiert. Die Enteignung unseres Denkens. München 1978, S. 84
30
Vgl. ebd.
31
Vgl. Peter Pribilla/Ralf Reichwald/Robert Goecke: Telekommunikation im Management. Stuttgart 1996, S. 135 f.
32
Lt. H.-O. Henkel auf der ZVEI-Mitgliederversammlung am 30.5.95 in Frankfurt a.M. Vgl. ZVEI-Mitteilungen
12/95

13
bei dieser PC nicht wie ein heutiger PC auszusehen braucht; entscheidend ist
seine Zugriffsmöglichkeit auf das Netz.
33
Nach wie vor sind jedoch erhebliche Investitionen in die Netzinfrastruktur nö-
tig, so daß Günter Müller
34
feststellt, daß es nach wie vor weniger ein techni-
sches als ein politisches Problem ist, solche Netze (,,Datenautobahn") haben zu
wollen. Auch ist die Entwicklung der Akzeptanz und Entwicklung neuer Medi-
en nur mit großer Unsicherheit vorherzusagen, wie viele historische Fehlpro-
gnosen belegen (Tab. 1). So wurde das erste Berliner Telephonbuch als ,,Buch
der hundert Narren" bezeichnet, während für die Zahl der künftigen Internet-
Nutzer euphorische Prognosen veröffentlicht werden. Waren es allerdings frü-
her oft einsiedlerische Erfinder, die quasi im ,,Elfenbeinturm" ihre Erfindungen
ausbrüteten, experimentieren heute mit den neuen Möglichkeiten Hunderttau-
sende oder Millionen, wodurch sich die Durchsetzung neuer Techniken sehr
beschleunigt, sofern eine kritische Masse der Akzeptanz erreicht wird.
2.1.2 Soziologische Aspekte
Der kanadische Kommunikationstheoretiker Herbert Marshall McLuhan
(1911-1980) begriff alle Kommunikationstechniken und -medien als Auswei-
tung der Körperorgane. 1969 schrieb er: ,,Jedes neue Medium, jede neue Tech-
nologie bedeutet eine Ausweitung des menschlichen Sensoriums, welches neue
Dimensionen seines Musters der Sinneskorrelation hervorhebt, also das Muster
des menschlichen Bewußtseins verändert, aber gleichzeitig die alten Medien
und die alten Technologien als Inhalt benützt."
35
Die Erfindung des phoneti-
schen Alphabets und des Buchdrucks haben demnach unser Sehen, Denken und
Begreifen
verändert. Ähnlich weitreichende Veränderungen vermutete er be-
reits 1966 für das Zeitalter der elektronischen Massenmedien und der Automa-
33
Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung/Klaus Schrape et al.: Künftige Entwicklung des Medien- und
Kommunikationssektors in Deutschland. Berlin 1996, S. 12 und 84
34
Vgl. Günther Müller: ,,Aufbau und Entstehen der Infobahn - Technische Realität durch politische Initiativen", in:
Günter Müller et al. (Hrsg): Zukunftsperspektiven der digitalen Vernetzung. Heidelberg, 1996, S. 25

14
tion. Die Lesekultur mit ihrer analytischen, objektivierenden und eher distan-
zierenden Auseinandersetzung mit der Welt sei geprägt durch lineares Denken
(Buchzeile). Elektronische, zeit- und raumüberwindende Übertragung wirke
vernetzend (,,globales Dorf") und dadurch zersetzend auf den gebildeten, linear
denkenden westlichen Menschen wie die Kurierstraßen des alten Rom auf die
stammesgebundenen Dorfbewohner.
36
Gerd Bacher bezeichnet McLuhans Buch ,,The Gutenberg Galaxy" (1962) als
,,... erstens das genialste Buch, das bis jetzt über die Wirkungsgeschichte von
Medien geschrieben wurde, und zweitens das am wenigsten gelesene."
37
Das
Industriezeitalter basierte für McLuhan auf der Literalisierung der europäischen
Massen, ermöglicht erst durch Gutenbergs typographische Maschine. Das Ende
dieses literalen Industriezeitalters begann mit der Erfindung des elektrischen
Lichts und des Telegraphen, weil das Elektrische schlechthin mit dem Mecha-
nisch-Literalen ein Gegensatzpaar bilde. Die Elektrizität in ihrer Gesamtheit ist
für McLuhan das ganz Andere, das alle Errungenschaften des literalen Zeital-
ters tendenziell ,,angreift", nicht das Fernsehen, welches angeblich das Buch
angreift.
38
Bereits 1976 schreibt er: "Für jene, die das Wesen des neuen Infor-
mationszeitalters verstehen, beginnen Arbeit, Lernen und Freizeitbeschäftigung
zu einem einzigartigen Prozeß ständiger Selbstverwirklichung zu verschmel-
zen."
39
Die Jahrhunderte währende Herrschaft des gedruckten Mediums als Kultur-
vermittler wird heute zweifellos ergänzt - nicht ersetzt! - durch elektronische
35
Marshall McLuhan: Wohin steuert die Welt? Massenmedien und Gesellschaftskultur (Aufsatzsammlung). Wien
1978, S. 49
36
Vgl. Martin Pape: Wörterbuch der Kommunikation, Neuwied, 1997, S. 205 f.
37
Vgl. Gert Bacher: ,,Nachgefragt: Entwicklungstendenzen der Medien", in: Hilmar Hoffmann (Hrsg.): Gestern
begann die Zukunft. Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutung der Medienvielfalt. Darmstadt 1994, S. 325
38
Vgl. ebd.
39
als Schluß des Artikels ,,"Efficiency" speed-up destroys effektiveness". Vgl. McLuhan: Wohin steuert die Welt?
a.a.O., S. 153

15
Medien, die ihre eigenen Charakteristika haben.
40
Dabei sollte nicht übersehen
werden, daß ein Medium wie das Internet sehr wohl die literale Lesekultur un-
terstützen kann: Im Gegensatz zum passiven Fernsehzuschauer, der höchstens
,,zappen" oder abschalten kann, bestimmt der Internet-Surfer, was er an-
sieht/liest, wann und wie lange er dies tut und ob er selbst schreibt und sich
damit äußert. Er kann in seinem elektronischen Dokument gewissermaßen
,,vorwärts- und rückwärtsblättern", außerdem kann er es auch ausdrucken und
wie ein herkömmliches Druckstück verwenden. Der BMI-Ministerialdirektor
Bergsdorf hat diese Freiheit so ausgedrückt: ,,Das neue Grundgesetz von Mul-
timedia heißt: Jeder wird sein eigener Programmdirektor, jeder entscheidet
selbst, welchen Inhalten er die knappe Ressource seiner Aufmerksamkeit zu-
wendet."
41
Welche Konsequenzen diese neue Freiheit hat und in welchem Umfange sie
akzeptiert und genutzt wird, erscheint heute unklar. Tatsache ist, daß die Digi-
talisierung der Medien nach dem Muster des Internet dem Individuum in einem
Umfang neue Zugänge zu Medienangeboten schafft, wie dies nie zuvor mög-
lich war. Bereits 1983, als sich diese Entwicklung schemenhaft, vor allem in
Hinblick auf Hörfunk und (Kabel-) Fernsehen, abzeichnete, sprach der Politik-
wissenschaftler Ithiel de Sola Pool von ,,Technologies of Freedom", die den
einzelnen mit einem fast unendlichen Angebot an Medieninhalten aus der Ab-
hängigkeit von wenigen oligopolischen Anbietern befreien würden. Er plädierte
für weitere Deregulierungen, weil ,,konvergierende Technologien und die Ver-
ringerung von Kontrollen Wettbewerb schaffen werden".
42
Um eine medientechnische Innovation scharen sich zunächst technik-
interessierte Menschen, die in dieser Phase des ,,Ausprobierens" meist Produ-
zenten und Rezipienten zugleich sind. In dieser ,,Subkultur" ist die Verständi-
40
Als einige der wenigen Konstanten komunikationsgeschichtlicher Forschung gilt die Erkenntnis, daß ein neues
Medium ein altes noch niemals verdrängt (,,Rieplsches Gesetz"), allerdings häufig verändert hat. Vgl. Roland Burkart:
Kommunikationswissenschaft. Wien u.a.
2
1995, S. 335 (Fn. 262).
41
Zitiert nach (o.V): .,,Sites zur Elektronischen Demokratie": http://www.heise.de/tp/pol/8001
42
Ithiel de Sola Pool: Technologies of Freedom. Cambridge, Mass. 1983, S. 244; zit. nach: Hans J. Kleinsteuber:
,,Konzentrationsprozesse im Mediensystem der USA", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B8-9/96, S. 29

16
gung weitgehend über informelle Normen geregelt. Zur übrigen Gesellschaft
hin ist diese Gruppierung weitgehend abgegrenzt, Kubicek spricht von der
,,Kultivierung von Binnenöffentlichkeiten".
43
Die Binnenöffentlichkeit wird in
einer zweiten Phase zur Teilöffentlichkeit erweitert, wenn die Akteure ihr Me-
dium der Gesellschaft nutzbar machen wollen oder wenn Wirtschaft oder Poli-
tik einen Nutzen in der weiteren Verbreitung des neuen Mediums sehen. Dies
setzt differenziertere Organisationsstrukturen und formalere Regelsysteme so-
wie identifizierbare Images voraus. Ein Massenmedium schließlich ist dadurch
gekennzeichnet, daß unterschiedliche Teilöffentlichkeiten erreicht werden, was
eine entsprechende technische und kognitive Infrastruktur voraussetzt.
44
Von
den neuen Netzwerken wird nicht nur erwartet, daß sie eine kommunikative
Kultur, wie sie vor der Einführung der Schrift existierte, technisch wiederher-
stellen, sondern auch medienevolutionäre ,,Fehlentwicklungen" - z.B. das
Fernsehen als ,,tyrannisches Medium" - korrigieren.
45
,,Elektronische Gemein-
schaften" werden als Substitute längst vergangener öffentlicher Orte der Kon-
taktaufnahme und Kommunikation gewertet und deshalb auch als ,,elektroni-
sche" Cafés, Pubs oder ,,elektronische Agora" bezeichnet.
46
2.2
Die Evolution des Internet
2.2.1 Das Internet als ,,Kind des Kalten Krieges"
Dem ,,Sputnik-Schock" 1957 folgte ein verschärfter Wettlauf der beiden Su-
permächte um die Mobilität im Weltraum. 1966 landete die sowjetische Mond-
kapsel ,,Luna 9" als erstes Raumfahrzeug weich auf dem Mond, 1969 betrat
43
Vgl. Herbert Kubicek: ,,Das Internet auf dem Weg zum Massenmedium? - Ein Versuch, Lehren aus der Geschichte
alter und anderer neuer Medien zu ziehen.", in: Raymund Werle/Christa Lang (Hrsg.): Modell Internet? Entwick-
lungsperspektiven neuer Kommunikationsnetze. Frankfurt a.M./New York 1997, S. 227
44
Vgl. ebd.
45
Vgl. Josef Wehner: ,,Medien als Kommunikationspartner - Zur Entstehung elektronischer Schriftlichkeit im Inter-
net", in: Lorenz Gräf/Markus Krajewki (Hrsg.): Soziologie des Internet. Frankfurt a.M./New York 1997, S. 130 f.
46
Ebd.

17
Neil Armstrong nach Landung mit der US-Raumfahrtkapsel ,,Apollo 11" als
erster Mensch den Mond. Neben der friedlichen Nutzung wurde immer auch
eine mögliche Nutzung des Weltraumes im Kriegsfalle angestrebt; der ,,Kalte
Krieg" war maßgebliche Triebkraft auch für Naturwissenschaft und Technik.
Vor diesem Hintergrund beauftragte die Defence Advanced Research Projects
Agency (DARPA), eine Abteilung des US-Verteidigungsministeriums, die
Entwicklung eines ausfallgesicherten elektronischen Kommunikationsnetzes
mit dem Namen ARPANet (Advanced Research Projects Agency Network).
Zwischen zwei Kommunikationspunkten sollte auch dann eine Verbindung
möglich sein, wenn alternative Verbindungswege, beispielsweise infolge Ra-
ketenangriffs o.ä., zerstört wären. Die Lösung war ein vermaschtes Leitungs-
netz, bei dem die Informationsübermittlung nicht stets über dieselben, starren
Leitungswege geschah. Zunächst wurden 1968 drei Universitätsinstitute in Ka-
lifornien und Utah per Datenleitung verbunden, zwei Jahre später waren 15
Knotenrechner vernetzt, 1973 wurden erste internationale Verbindungen nach
England und Norwegen geschaffen.
47
Jede einzelne (Teil-) Nachricht bei die-
sem Übertragungsprinzip war mit der Empfängeradresse versehen und konnte
sich so, über zwischengeschaltete Computer, eigenständig verfügbare Wege bis
hin zum Empfänger suchen (Prinzip des ,,paket switching", der paketorientier-
ten Datenübertragung). Der Datenaustausch zwischen den Computer-
Endgeräten der jeweiligen Kommunikationspunkte wurde mit Hilfe des sog.
Internet Protocol (IP) koordiniert. So wurde sichergestellt, daß die kleinen
Datenpakete, die sich jeweils einen eigenen Weg mit größtmöglicher Leitungs-
kapazität gesucht hatten, beim Empfänger in der richtigen Reihenfolge wieder
zusammengesetzt wurden.
48
Das entstehende ARPANet wurde permanent ausgebaut und weiterentwickelt,
daneben entwickelten sich in den 70er und frühen 80er Jahren sowohl im
kommerziellen als auch im öffentlichen Bereich in den USA weitere Compu-
47
Vgl. Günther Gugel/Thomas M. Rother: Internet & Co. Tübingen 1997, S. 16
48
Diese technische Besonderheit ist auch der Grund, daß im Internet eine eindeutige Erfassung des Datenverkehrs mit
Erstellung von ,,Benutzerprofilen" u.ä. erfolgen kann. Welcher Zeitungsverlag kennt schon so genau seine Leser?

18
ternetze, die ebenfalls für die Entstehung des Internet relevant waren.
49
Seit
1972 existiert das TCP/IP-Protokoll
50
, das 1982 vom Department of Defense
als Netzwerkstandard für das ARPANet festgelegt wurde und bis heute zur
Verbindung unterschiedlicher paketorientierter Netze verwendet wird. 1984
wurde das ursprüngliche Netz aufgeteilt in das MILNet für militärische An-
wendungen und das ARPANet für zivile Zwecke incl. Forschung
51
. Die Natio-
nal Science Foundation (NSF), eine der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) vergleichbare Organisation, veranlaßte auf Anregung von Senator Al-
bert Gore den Ausbau des Computer Science Network (CSN), das u.a. auf dem
ARPANet aufsetzte, zum National Science Foundation Network (NSFNet), das
1986 in Betrieb ging.
52
Es verband die Ost- und Westküste der USA und sollte
ursprünglich Supercomputer verbinden, wurde jedoch bald für das Ressourcen-
Sharing und für Kommunikationszwecke genutzt. Da dieses Netz ebenfalls mit
dem TCP/IP-Protokoll arbeitete und sehr hohe Übertragungskapazitäten bot,
war es bald das Rückgrat (Backbone) des amerikanischen Teils des Internet,
das bereits Dutzende von TCP/IP-Netzen auf nationaler, regionaler und lokaler
Ebene umfaßte.
53
Die NSF übernahm nach dem Rückzug des Verteidigungsministeriums auch
die Finanzierung des ARPANet. Ende der 80er Jahre war das Internet immer
noch ein Zusammenschluß vorwiegend experimentieller, meist subventionierter
Netze für Spezialisten, aufgebaut und betrieben von nonprofit organizations
nach dem Mitgliedschaftsprinzip.
54
Während 1981 lediglich 213 Internet-
49
Vgl. Volker Leib, Raymund Werle: ,,Wissenschaftsnetze in Europa und den USA - Die Rolle staatlicher Akteure bei
ihrer Bereitstellung", in: Raymund Werle, Christa Lang (Hrsg.): Modell Internet? Entwicklungsperspektiven neuer
Kommunikationsnetze. Frankfurt a.M./New York 1997, S. 158
50
Ähnlich wie das diplomatische Protokoll regelt ein Netzwerkprotokoll die Verfahrensweisen vor und während des
Kommunikationsaustausches sowie bei dessen Beendigung
51
Vgl. Jörn von Lucke: Ursachen für den verzögerten Erfolg des Internet,... Abschnitt 4.1.1
(http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/dipl/jvlucke/kap-04)
52
Vgl. Harald Lux/Irene Heinen: Der Internet-Markt in Deutschland: Provider & Dienstleister. Heidelberg
2
1997, S. 3
53
Vgl. ebd. sowie Brian Kahin: ,,The Internet and the National Information Infrastructure", in: Günter Müller et al.
(Hrsg.), a.a.O., S. 41
54
Vgl. ebd., S. 42

19
Rechner (hosts) angeschlossen waren, waren es 1989 bereits 100.000, 1991
über 600.000 und 1997 über 13 Millionen, davon knapp 70.000 unter der
Hierarchie ,,de".
55
Mit dem TCP/IP-Protokoll hat sich damit ein herstellerun-
abhängiges Verbindungsprinzip für die Vernetzung fast beliebig vieler Rechner
durchgesetzt. Die Idee der offenen Netze, der ,,Open System Interconnection",
war somit realisiert, was zuvor von einzelnen Unternehmen und überstaatlichen
Normungsgremien mehrmals versucht, aber nie erreicht wurde. In einer bislang
ungewöhnlichen Weise wurden auch alle für das Netz relevanten Standards der
Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt; die Mitarbeit in den verschie-
denen Internet-Standardisierungs-Arbeitsgruppen stand in der Regel allen In-
teressenten offen, wobei ein Großteil der Kommunikation über E-Mail erfolg-
te.
56
Einzig die verwendeten Protokolle und die Standards definieren heute An-
fang und Ende des offenen Netzes Internet.
Die Europäer mit ihren Post- und Fernmeldemonopolen entwickelten, parallel
zu dieser Invention in den USA, in den 70er und 80er Jahren Bildschirmtext-
und Videotext-Dienste. Diese Text-Informationsdienste wurden teilweise mit
sehr optimistischen Prognosen eingeführt, wider Erwarten vom Publikum al-
lerdings nur sehr zögernd angenommen. Einzig die französische PTT erzielte
mit ihrem Minitel-Informationssystem rasch eine weitreichende Verbreitung,
da sie jedem Telefonteilnehmer kostenlos anstelle des herkömmlichen, ge-
druckten Telefonverzeichnisses ein Minitel-Gerät als Informations- und Kom-
munikationsterminal gab. Mit diesem relativ kleinen, optisch ansprechenden
Gerät konnten alle nationalen Rufnummern stets aktuell abgerufen werden und
auch Bestellungen u.ä. getätigt werden. In Deutschland dagegen bekam der
Bildschirmtext (Btx)-Dienst der Deutschen Bundespost Telekom recht bald ein
Negativimage als ein teures, ,,Sex- and Crime"-Medium, so wie dies in
Deutschland teilweise auch für das Internet festzustellen war und ist. Außerdem
war Btx auch der Konkurrenz der kostenlosen, in der Austastlücke des Fern-
sehsignals übertragenen Videotext-Dienste ausgesetzt; diese waren etwa zeit-
55
Vgl. Lux/Heinen, a.a.O., S. 5 sowie Gugel/Rother, a.a.O.
56
Vgl. Leib/Werle, a.a.O., S. 163

20
gleich(!) eingeführt worden. Trotzdem: Alles, was heute als Novität im Internet
bejubelt wird, hat Fedida bereits 1971/73 gelistet und dem Bundespostminister
Gscheidle 1977 als Bildschirmtextanwendungen vorgetragen.
57
Die Entwicklung des eigentlichen Internet in Europa begann mit ersten IP-
Diensteangeboten ab 1990 und einem ersten europaweiten TCP/IP-Netz ab
1992 sehr viel später als in den USA. In Deutschland hielt der Verein zur För-
derung eines deutschen Forschungsnetzes e.V. (DFN-Verein) den Aufbau einer
IP-Infrastruktur lange nicht für erforderlich; man wartete auf Lösungen auf Ba-
sis der Open Systems Interconnection (OSI)-Normen.
58
2.2.2 Die NII-Initiative und das World Wide Web
In den USA wurde 1989 der Datenverkehr vom ARPANet ins NSFNet verla-
gert und, nachdem erste kommerzielle Dienste wie z.B. AlterNet erfolgreich
waren, ab 1990 das ARPANet ganz eingestellt. Staatliche Fördermittel führten
zum Ausbau des NSFnet (rund 12 Mio. $ p.a.) und anderer TCP/IP-Netze, bis
im Jahr 1995 die amerikanische Bundesregierung zur Überzeugung gelangte,
daß eine ausreichende Grundlage für private Netzbetreiber geschaffen sei: Die
NSF zog sich aus dem Betrieb des Netzes zurück und es wurden nur noch eini-
ge staatliche Netze und Forschungsnetze an Universitäten unterstützt; der
größte Teil des amerikanischen Internet-Verkehrs wird seither über kommer-
zielle Netze abgewickelt.
59
Der Nutzer zahlt in der Regel eine Pauschale für
das Internet-Angebot; die Verbindungskosten sind entweder in der Telefon-
Grundgebühr enthalten (bei Vereinbarung kostenloser Ortsgespräche) oder
werden von den Provider durch gebührenfreie Netznummern (,,800") über-
nommen.
60
Dies ist sicherlich ein ganz wesentlicher Grund für den enormen
Erfolg des Internet gerade in den USA. Andere Gründe sind darin zu sehen, daß
in den USA keine dem deutschen Btx- oder dem französischen Minitel-System
57
Vgl. Alois Lipka: ,,Nur kostengünstiger Nutzen führt zu einem Boom", in: Handelsblatt vom 27.8.1997
58
Vgl. Lux/Heinen, a.a.O., S.4
59
Vgl. ebd. sowie von Lucke, a.a.O.
60
Vgl. von Lucke, a.a.O.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1998
ISBN (eBook)
9783832416096
ISBN (Paperback)
9783838616094
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Politik München – Unbekannt
Note
1,5
Schlagworte
demokratie technologiepolitik informationsgesellschaft bruttosozialprodukt globalisierung
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