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Entwicklung, Umsetzung sowie Auswirkungen der Insurance Distribution Directive auf die deutsche Versicherungswirtschaft

©2017 Masterarbeit 88 Seiten

Zusammenfassung

Die Insurance Distribution Directive war ursprünglich als Revision der EU- Vermittlerrichtlinie (Insurance Mediation Directive I) gedacht, umfasst aber mittlerweile als neue Richtlinie den fünffachen Umfang ihres Vorgängers. Mit dem alleinigen Ziel des Verbraucherschutzes wurde durch die Bemühungen der Europäischen Kommission und der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA eine Vermittlerrichtlinie geschaffen, deren Umsetzung das vertriebliche Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft fundamental verändern wird. Die Grundlogik einer verbraucherorientierten Versicherungsvermittlung folgt dem Gleichklang bedarfsgerechter Produkte (Vorgabe der sog. Product Oversight and Governance) in Form konkreter Produktgenehmigungsprozesse, bedarfsgerechter Information und Beratung in Form von Wohlverhaltenspflichten (Schulungen, etc.) und kundengerechter Versichererprozesse in Form transparenter Underwriting-, Vertrags-, Schaden- und Leistungsprozesse. Die am 23. Februar 2016 in Kraft getretene Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD ist bis zum 23. Februar 2018 in nationales Recht umzusetzen.
Die vorliegende Thesis beschäftigt sich mit allen oben genannten Facetten der IDD. Angefangen mit der Darstellung der Entstehung der IDD im europäischen Rechtsetzungsverfahrens, folgt ein kritischer Diskurs der daraus induzierten Geschäftsmodellveränderungen des Versicherungsvertriebs sowie -betriebs. Schlussendlich rundet der Autor die Auswirkungsanalyse aus der Perspektive der Versicherungsnehmer ab.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4.2. Auswirkungen auf den Versicherungsvertrieb
4.2.1.
Regulierung der Tätigkeitszulassung
4.2.2.
Regulierung der Tätigkeitsausübung
4.2.3.
Regulierungsintensität der Vertriebskanäle
4.2.4.
Folgen der Regulierungsintensität
4.3. Auswirkungen auf die Versicherungsnehmer
5. Zusammenfassung
Anhang
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der elektronischen Quellen
a) Alphabetische Sortierung
b) Nummerische Sortierung
Juristische Quellen
40
40
42
47
53
57
60
63
64
66
66
73
80

Abbildungsverzeichnis
Seite
x Abbildung 1: Phasen der Produktentwicklung
25

Abkürzungsverzeichnis
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Eu-
ropäischen Union
AltvPIB
Altersvorsorge-Produktinfomations-
blatt
AUV
Ausschließlichkeitsvertreter
BMWi
Bundesministerium
für
Wirtschaft
und
Energie
EG
Europäische
Gemeinschaft
EU
Europäische
Union
EIOPA
European
Insurance
and
Occupational
Pensions
Authority
EWG
Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft
GewO
Gewerbeordnung
GewO-GE
Gewerbeordnung-Gesetzesentwurf
GewO-RE
Gewerbeordnung-Referentenentwurf
IDD
Insurance
Distribution
Directive
IHK
Industrie-
und
Handelskammer
IMD
Insurance
Mediation
Directive
IPID
Insurance
Product
Information
Docu-
ment
KID
Key
Information
Document
POG-Anforderungen Product
Oversight
Governance
Ar-
rangements
PRIIP Packaged
Retail
and
Insurance-based
Investment Product
RTS
Regulatory Technical Standard
VAG Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG-GE
Versicherungsaufsichtsgesetz-Geset-
zesentwurf

VAG-RE Versicherungsaufsichtsgesetz-Refe-
rentenentwurf
VersVermG
Versicherungsvermittlergesetz
VB
Versicherungsberater
VM
Versicherungsmakler
VN
Versicherungsnehmer
VP
Versicherungsproduzent
VU
Versicherungsunternehmen
VV
Versicherungsvermittler
VVG
Versicherungsvertragsgesetz
VVG-GE
Versicherungsvertragsgesetz-Geset-
zesentwurf
VVG-InfoV
Versicherungsvertragsgesetz
Informa-
tionspflichtversordnung
VVG-RE
Versicherungsvertragsgesetz-Referen-
tenentwurf


1.
Einleitung
1.1.
Problemstellung
Mit einem Anteil von 6,41 % am deutschen Bruttoinlandsprodukt und einer Mitar-
beiterzahl von ca. 295.600 ist die Versicherungswirtschaft ein signifikanter Wirt-
schaftszweig in Deutschland.
1
Sie charakterisiert sich durch die Produktion und
Vermittlung von Versicherungsprodukten, die mittels einer Ausgabe von Zustands-
garantien einen Risikotransfer bewirken
2
, mit dem Ziel die Risikosituation des Ver-
sicherungsnehmers (im nachfolgenden VN) zu verbessern. Ein solcher Risikotrans-
fer bedingt unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, dass beide Parteien das
Geschäft als nutzenstiftend empfinden. Zur Bewertung dieses Risiko-Nutzen-Ver-
hältnisses werden entsprechende Risikoinformationen benötigt. Diese, wie z. B. die
Eintrittswahrscheinlichkeit, kann das Versicherungsunternehmen (im nachfolgen-
den VU) zwar durch den Besitz von Erfahrungswerten aus seinem versicherten Kol-
lektiv bestimmen. Allerdings besitzt nur der VN selbst Kenntnis über die vollstän-
digen Risikoinformationen einschließlich eventueller gefahrenerhöhender
Umstände. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Risikolebensversicherung, bei
der das VU zwar die Eintrittswahrscheinlichkeit nach dem Alter des VN bestimmt
3
,
diese sich aber noch durch Vorerkrankungen signifikant erhöhen kann. Aus dieser
Perspektive ist das VU der Prinzipal, der auf eine vollständige Bereitstellung der
Risikoinformationen des VN als Agenten angewiesen ist. Es besteht eine Informa-
tionsasymmetrie zu Gunsten des VN. Aus einer anderen Perspektive existiert eine
weitere Prinzipal-Agenten-Beziehung. Bei der Erläuterung des Versicherungsum-
fangs vertraut der VN als Prinzipal darauf, dass das VU ihm eine bedarfsgerechte
Versicherungsleistung anbietet. Um dies festzustellen, ist der VN auf die Lieferung
von Informationen über den Versicherungsumfang und die versicherten Risiken
seitens des VU angewiesen. Das VU besitzt somit, verstärkt durch die in der Regel
fehlende versicherungstechnische Fachkompetenz des VN, einen Informationsvor-
1
Vgl. GDV e.V. (2016), Statistisches Taschenbuch, S. 9-10, (Dokument 1 der CD).
2
Vgl. Farny, Dieter (2011), S. 10.
3
Auf Basis des Alters bzw. des Geburtsjahres wird, mit Hilfe der aktuellen Sterbetafeln und unter-
nehmensindividueller aktuarieller Schätzungen, die finale Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelt.
1

sprung gegenüber dem VN. Im Kontext dieser Beziehung befinden sich beide Ak-
teure in einem doppelten Prinzipal-Agent-Konflikt. Deren zweifache asymmetri-
sche Informationsverteilung stellt einen Anreiz für opportunistisches Verhalten bei-
der Akteure dar, welcher bei unterschiedlichen Zielsetzungen weiter verstärkt
wird
4
, denn VU sind als Wirtschaftsunternehmen gewinnorientiert und könnten sich
dadurch z. B. zum Einbau schwer verständlicher Ausschlüsse in den Versicherungs-
bedingungen verleiten lassen. Der VN wiederum kann seinen Nutzen durch die un-
vollständige Bereitstellung von Risikoinformationen und die damit einhergehende
Untertarifierung maximieren. Durch den Einbezug eines Versicherungsvermittlers
(im nachfolgenden VV) kann ein dritter Akteur als Intermediär in den Tauschpro-
zess involviert werden.
5
Seine Aufgabe ist es, die zweifache asymmetrische Infor-
mationsverteilung durch Bereitstellung angebotsbezogener Informationen und
nachfragebezogener Informationen abzubauen.
6
Sein Involvieren kreiert allerdings
zwei weitere kritische Prinzipal-Agenten-Beziehungen, in denen er jeweils als
Agent agiert, nämlich die zwischen VN und VV sowie die zwischen VU und VV.
7
Dabei entsteht ein Spannungsverhältnis, in dem der VV den Aufträgen seiner zwei
Prinzipale gerecht werden muss. Verstärkt wird diese schwierige Interessensaus-
gleichsfunktion
8
durch die traditionelle Vergütungssystematik der VV. Das vor-
herrschende Provisionsmodell
9
ermöglicht dem VV, im Rahmen seiner nachfrage-
lenkenden Wirkung in der Beratung Produktempfehlungen auszusprechen, die ihm
primär die höchste Vergütung einbringen und nur sekundär den Bedarf des VN ab-
decken. Die ursprüngliche positive Intention des Einsatzes eines VV kann sich
dadurch für VU und VN negativ auswirken. 18.943 Beschwerden über VU und 336
Beschwerden über VV, die im Jahr 2015 beim Versicherungsombudsmann e.V.
4
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 29.
5
Vgl. Lach, Helge (1995), S. 22.
6
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 13.
7
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 29.
8
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 30.
9
Beim Provisionsmodell erfolgt die Vergütung durch das VU und in Abhängigkeit des Versiche-
rungstarifs, als ,,prozentuale Beteiligung am Umsatz". Vgl. Schafstädt, Christian (2015), S. 57-59.
2

eingereicht wurden
10
, sind ein Beleg für die Existenz eines solchen opportunisti-
schen Verhaltens in der Versicherungswirtschaft. Gleichzeitig signalisiert dies ei-
nen Grad an Intransparenz innerhalb des Versicherungsvermittlermarktes, der aus
Sicht der verschiedenen Akteure unterschiedlich intensiv ausgeprägt ist. Aus Sicht
der VV und VU ist der Grad der Intransparenz aufgrund des jeweiligen Informati-
onsvorsprungs und der eigenen versicherungstechnischen Expertise sicherlich ge-
ringer als aus Sicht der VN.
11
Zum Schutze des Verbrauchers und um einem Markt-
versagen vorzubeugen, gilt es somit dem entgegenzutreten. Ein mögliches
Instrument zur Lösung ist die Einführung von Mindeststandards. Sie sollen dem
Missbrauch von Informationsasymmetrien entgegenwirken, indem sie den Vermitt-
lungsprozess mithilfe von Analyse-, Frage-, Beratungs-, Dokumentations- und Mit-
teilungspflichten
12
in ein prozessuales Korsett einbetten. Ein weiteres Instrument
ist die Schaffung von Markteintrittsbarrieren, um ein Level an Fachkompetenz und
einhergehender Beratungsprofessionalität der VV zu gewährleisten. Bereits die ,,In-
surance Mediation Directive"
13
(im nachfolgenden IMD), die als erste Versiche-
rungsvermittlungsrichtlinie von der europäischen Union umgesetzt wurde, hat mit-
hilfe der oben genannten Instrumente das Ziel, eine qualitätserhöhende Wirkung
auf die Beratungsleistung zu entfalten, verfolgt.
14
Dabei führte sie zwar zu einer
Erhöhung der Beratungsqualität, aber nicht zu einer Verbesserung der Marktrans-
parenz oder Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den VV.
15
Die Folge war die Entwicklung einer zweiten europäischen Versicherungsvermitt-
lungsrichtlinie, der ,,Insurance Distribution Directive"
16
(im nachfolgenden IDD).
Anders als die IMD ist die IDD darauf ausgerichtet alle Vertriebskanäle einer Ver-
10
Vgl. Versicherungsombudsmann e.V (2016), (Dokument 56 der CD).
11
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 31.
12
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 2.
13
Europäisches Parlament; Rat der europäischen Union (2003), Richtlinie 2002/92/EG, (Doku-
ment 42 der CD).
14
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 3.
15
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 207.
16
Europäisches Parlament; Rat der europäischen Union (2016), Richtlinie 2016/97, (Dokument 9
der CD).
3

sicherungsvermittlung zu erfassen und greift erstmals tiefgreifend in die Geschäfts-
prozesse von VU ein.
17
18
Diese neue Ausrichtung soll zu einer weiteren Verbesse-
rung der Marktransparenz und zusätzlichen Steigerung der Beratungsqualität füh-
ren sowie gleichzeitig die Wettbewerbsbedingungen der VV harmonisieren.
19
Dabei ist es offensichtlich, dass sie, als zweiter Versuch der Europäischen Union
(im nachfolgenden EU), die Rahmenbedingungen in der Versicherungswirtschaft
neu definieren wird.
1.2.
Zielsetzung
Die Arbeit hat das Ziel, die Auswirkungen der IDD auf die deutsche Versicherungs-
wirtschaft aufzuzeigen. Dabei werden bisher feststellbare Auswirkungen sowie An-
sätze für mögliche Auswirkungen dargelegt. Limitiert wird die Arbeit durch das
noch nicht abgeschlossene deutsche und europäische Gesetzgebungsverfahren. Die
Grundlage bildet der bis zum 20.05.2017 verfügbare Wissensstand.
Im Vorfeld erfolgt eine Analyse über die Umsetzungsgenauigkeit der IDD. Insbe-
sondere die Überprüfung, ob sich der Telos der europäischen IDD in der deutschen
Umsetzung wiederfindet, steht hierbei im Mittelpunkt. Aufgrund der Tatsache, dass
die IDD die Angebotsseite der Versicherungswirtschaft reguliert, bilden diese nach-
folgend den Ausgangspunkt der Auswirkungsuntersuchung, bei der folgende Sach-
verhalte im Mittelpunkt stehen:
x Nach Erwägungsgrund 55 der IDD sollen VU ,,ein Verfahren für die Ge-
nehmigung jedes einzelnen Versicherungsprodukts unterhalten, betreiben
und überprüfen". In Verbindung mit den ,,Product Oversight Governance
Arrangements" (im Nachfolgenden POG-Anforderungen) nach Artikel 25
IDD ist es offensichtlich, dass die europäische Regulierung Einfluss auf die
Produktions- und Vertriebsleistung von VU nehmen möchte. Aus diesem
Grund soll untersucht werden, wie sich diese durch die IDD verändern wird.
17
Vgl. Däsler, Sascha (2016), IDD: Hoher Anpassungsdruck, S. 1, (Dokument 26 der CD).
18
Vgl. Ap Verlag (2016), Studie: Versicherer unterschätzen, S. 1, (Dokument 36 der CD).
19
Vgl. Erwägungsgrund 2, 10 und 24 IDD.
4

x Die Neujustierung der Markteintrittsbarrieren und Mindeststandards sowie
die Erweiterung des Anwendungsbereichs
20
werden den Versicherungsver-
mittlungsmarkt nach der IMD erneut beeinflussen. Dabei ist es offensicht-
lich, dass sich die IDD nicht auf die Versicherungsvermittlung beschränkt,
sondern eine ganzheitliche vertriebskanalunabhängige Perspektive ein-
nimmt.
21
Daher sollen die Auswirkungen auf den Versicherungsvertrieb
analysiert und die Frage beantwortet werden, ob es nach der IMD-
Einführung einen erneuten Wandel der Wettbewerbsstruktur im Versiche-
rungsvertriebsmarkt
22
geben wird.
x Nach Erwägungsgrund 10 der IDD steht die Verbesserung des Verbraucher-
schutzes im Mittelpunkt der Regulierung. In Anbetracht der skizzierten
möglichen Auswirkungen auf die Produktions-und Vertriebsleistung, sowie
den Versicherungsvertriebsmarkt, sollen die kausalen Auswirkungen daraus
für die VN aufgezeigt werden. Insbesondere die Frage, ob die Veränderun-
gen zu einer Verbesserung der Beratungsqualität tendieren werden, soll be-
antwortet werden.
Übergeordnet steht dabei die kritische Reflektion der Auswirkungen mit dem
Hauptziel der IDD, nämlich der Verbesserung des angestrebten Binnenmarktes für
die Versicherungsvermittlung, kritisch formuliert die Umsetzung der verfehlten
Ziele der IMD. Hierzu soll die vorliegende Arbeit ebenfalls eine abschließende Ant-
wort liefern.
1.3.
Gang der Arbeit
Die Arbeit ist in fünf Kapitel strukturiert. Nach der Einleitung folgt in Kapitel zwei
die Darstellung der historischen Entwicklung der IDD. In Verbindung mit der Dar-
stellung des technischen Entwicklungsprozesses innerhalb des europäischen Ge-
setzgebungsverfahrens soll der Leser ein besseres Verständnis der Notwendigkeit
und anschließenden Umsetzung der IDD erhalten. Der Umsetzungsprozess wird in
20
Vgl. Erwägungsgrund 7 IDD.
21
Vgl. Erwägungsgrund 5 IDD.
22
Im Nachgang an den erstmaligen Wandel der durch die IMD entstanden ist. Vgl. Höckmayr,
Gergana (2012), S. 207.
5

Kapitel drei behandelt. In Abschnitt 3.1. erfolgt die Einordnung der IDD als kon-
zeptionelle Grundlage für das folgende deutsche Gesetzgebungsverfahren. In Ab-
schnitt 3.2. wird der Referentenentwurf zur Umsetzung der IDD (im nachfolgenden
Referentenentwurf)
23
präzise mit den Inhalten der IDD verglichen, um die entspre-
chenden Abweichungen bei der Umsetzung aufzuzeigen. Abschnitt 3.3. rundet die
Abweichungsanalyse durch einen finalen Abgleich mit dem Gesetzesentwurf zur
Umsetzung der IDD (im nachfolgenden Gesetzesentwurf)
24
ab. In Kapitel vier ste-
hen die Auswirkungen der IDD im Mittelpunkt. Beginnend mit den Geschäftspro-
zessen der VU erfolgt in Abschnitt 4.1.1. die Betrachtung der Auswirkungen auf
die Produktpolitik in ihren jeweiligen Facetten der Produktentwicklung (siehe Ab-
schnitt 4.1.1.1.), der Produktgestaltung (siehe Abschnitt 4.1.1.2.) und des Produkt-
managements (siehe Abschnitt 4.1.1.3.). Abschnitt 4.1.2. knüpft an diese Ergeb-
nisse an und überprüft ihren Einfluss auf die Sortimentspolitik. Abschnitt 4.1.3.
rundet die kausale Betrachtung durch eine Analyse der Auswirkungen auf die Ver-
triebspolitik ab. Der Verfasser begrenzt sich explizit auf diese Geschäftsprozesse,
da Sie unmittelbar oder mittelbar durch die POG-Anforderungen und die umzuset-
zenden delegierten Rechtsakte
25
angesprochen werden. Eine vollumfängliche Un-
tersuchung der Auswirkungen müsste u. a. noch die Kommunikations-, Prämien-
und Schadenleistungspolitik umfassen. Diese Umsetzung ist aufgrund der Umfang-
restriktion dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Abschnitt 4.2. ist den Auswirkun-
gen auf den Versicherungsvertrieb gewidmet. Nach erfolgter Betrachtung der regu-
lierungsinduzierten Veränderungen in der Zulassung (siehe Abschnitt 4.2.1.) und
Ausübung (siehe Abschnitt 4.2.2.) von Versicherungsvertriebstätigkeiten erfolgt in
Abschnitt 4.2.3. eine Analyse der Regulierungsintensität der Vertriebskanäle, um
mögliche differenzierte Auswirkungen feststellen zu können. Die daraus resultie-
renden Folgen für die Akteure im Versicherungsvertrieb werden in Abschnitt 4.2.4.
ausgewertet. Abschnitt 4.3. rundet die Auswirkungsanalyse mit einer Betrachtung
23
Vgl. BMWi (2016), Referentenentwurf eines Gesetzes, (Dokument 13 der CD).
24
Vgl. BMWi (2017), Entwurf zur Umsetzung eines Gesetzes, (Dokument 40 der CD).
25
Delegierte Rechtsakte sind ein Mittel im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Vgl. Kapitel 2.
6

der Folgen für die VN ab. Abschließend werden die ausgearbeiteten Erkenntnisse
dieser Arbeit in Kapitel fünf resümiert.
2.
Die Weiterentwicklung der Insurance Mediation Directive: Die Insurance
Distribution Directive
Die Errichtung eines freien Marktes aller europäischen Mitgliedstaaten, des soge-
nannten Binnenmarktes, ist ein seit der Gründung des europäischen Wirtschafts-
raums angestrebtes Ziel
26
, welches durch die Verabschiedung europäischer Richt-
linien verwirklicht wurde.
27
Diese legislativen Maßnahmen erstrecken sich durch
alle Wirtschaftsbereiche und betrafen mit der Vermittlerrichtlinie der europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft
28
(im nachfolgenden EWG) erstmalig die Versicherungs-
wirtschaft. Sie verfolgte das Ziel, die Ausübung der Niederlassungs- und Dienst-
leistungsfreiheit für VU zu erleichtern. Im Jahr 1999 erkannte die Europäische Ge-
meinschaft (im Nachfolgenden EG) als Nachfolgerin der EWG, dass die Richtlinie
nicht den gewünschten Abbau der Binnenmarkthindernisse bewirkte
29
, mit der
Folge, dies im Rahmen des Finanzmarktrahmen-Aktionsplans ändern zu wollen.
30
Auf dieser Grundlage entstand die Richtlinie 2002/92/EG, die am 09.12.2002 vom
europäischen Rat verabschiedet und im weiteren Zeitverlauf als IMD bekannt
wurde.
Die legislative Umsetzung der IMD erfolgte in Deutschland durch die Neuregelung
des Versicherungsvermittlergesetzes (im Nachfolgenden VersVermG), welches am
22.05.2007 schlussendlich mit einer deutlichen Verspätung in Kraft trat. Ursprüng-
lich hätte die Umsetzung bis zum 15.01.2005 erfolgen müssen.
31
Das neue Vers-
VermG induzierte neben diversen Änderungen im Versicherungsaufsichts- (im
Nachfolgenden VAG) und Versicherungsvertragsgesetz (im Nachfolgenden VVG)
auch die Einführung des § 34d der Gewerbeordnung (im Nachfolgenden GewO).
26
Vgl. Der Bundesminister der Justiz (1957), Vertrag zur Gründung der EWG, S. 2, (Dokument 4
der CD).
27
Vgl. Püttgen, Frank J. (2011), S. 47.
28
Europäischer Rat (1977), Richtlinie 77/92/EWG, (Dokument 41 der CD).
29
Vgl. Erwägungsgrund 5 IMD.
30
Vgl. Europäische Kommission (1999), Umsetzung, S.11, (Dokument 11 der CD).
31
Vgl. Beenken, Matthias (2010), S. 53.
7

Der neue § 34d GewO reformierte die Berufszulassung des VV, indem er für diesen
erstmals eine Erlaubnispflicht einführte.
32
Die Erlaubnis wird von der zuständigen
Industrie- und Handelskammer (im Nachfolgenden IHK) erteilt, wenn der VV ei-
nen guten Leumund
33
, geordnete Vermögensverhältnisse
34
, eine Berufshaftpflicht-
versicherung und einen Sachkundenachweis
35
vorweisen kann. Befreit von diesem
Grundsatz sind VV, die eine Patronatserklärung
36
ihres VU erhalten haben, pro-
duktakzessorische VV
37
, Annexvermittler bzw. sonstige Bagatellvermittler
38
sowie
VV mit einer Gewerbeerlaubnis eines anderen Mitgliedstaates der EU. Unabhängig
von ihrer Erlaubnispflicht müssen sich aber alle VV in ein öffentliches Versiche-
rungsvermittlerregister eintragen lassen.
39
Die Registrierungs- und Erlaubnispflicht
definierten somit erstmals signifikante Hürden für die Berufszulassung und konnten
als Markteintrittsbarrieren betrachtet werden.
40
Neben der Berufszulassung wirkte
sich die IMD auch auf die Berufsausübung aller VV aus. Die alte Gesetzgebung
unterschied den VV in Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler (im Nach-
folgenden VM).
41
Der Versicherungsvertreter hat als Erfüllungsgehilfe des VU
keine direkte Vertragsbeziehung zum VN und konnte deswegen schuldvertrags-
rechtlich von diesem nicht unmittelbar haftbar gemacht werden. Für vor- und nach-
32
Vgl. BT-Drucksache 16/1935 (2006), S. 1, (Dokument 8 der CD).
33
Ein guter Leumund bzw. persönliche Zuverlässigkeit liegt vor, wenn der VV keine Eintragung
im polizeilichen Führungszeugnis, durch z.B. eine rechtskräftige Verurteilung, erhalten hat. Vgl.
Reiff, Peter (2007), S. 9.
34
Geordnete Vermögensverhältnisse bedingen, dass sich der VV in keinem laufenden Insolvenz-
verfahren befindet oder im Insolvenzregister bzw. Schuldnerverzeichnis eingetragen ist. Vgl. Be-
enken, Matthias (2017), S. 124.
35
Die erforderliche Sachkunde kann ein VV mittels einer IHK-Sachkundeprüfung, einem ver-
gleichbaren akademischen Abschluss oder ununterbrochener längerer Versicherungsvermittlungs-
tätigkeit nachweisen. Vgl. §§1, 4 VersVermV.
36
Eine Patronatserklärung ist die schuldrechtliche Erklärung des VU für die Verpflichtungen des
VV gegenüber Dritten einzustehen. Vgl. Reiff, Peter (2007), S 9.
37
VV die neben ihrer Haupttätigkeit produktergänzende Versicherungen vermitteln. Vgl. §34 d
Abs. 3 GewO.
38
Vgl. §34 d Abs. 9 Nr. 1 GewO.
39
Vgl. §34d Abs. 7 GewO.
40
Vgl. Schwarzbach, Christoph; Klosterkemper, Christoph; Lohse, Ute; Schulenburg, Johann-
Matthias Graf von der (2011), S. 385.
41
Vgl. §34d Abs. 1 GewO.
8

vertragliche Pflichtverletzungen des Versicherungsvertreters haftete somit im Au-
ßenverhältnis stets das VU.
42
Im Innenverhältnis kann dieser im Falle eines eigenen
Verschuldens vom VU in Regress genommen werden.
43
Im Gegensatz zum Versicherungsvertreter ist der VM Sachverwalter des VN. In
dieser Funktion haftete er schon damals im Falle einer Pflichtverletzung stets direkt
gegenüber dem VN.
44
Trotz dieser für den VN verbesserten Haftungssituation gal-
ten bei der Berufsausübung für VM keine vorgeschriebenen Mindestvorgaben, wie
z.B. in Form einer Prüfung, ob die gelieferte Beratungsleistung den individuellen
Beratungsbedarf des VN vollständig abdeckte. Die Folge war, dass die damalige
Gesetzgebung eine bewusste oder unbewusste Unterberatung
45
des VV akzeptiert
hatte und dadurch die Vermittlung anstatt die Beratung in den Vordergrund gestellt
wurde.
46
Deswegen und aufgrund der beschriebenen eingeschränkten Haftungsver-
antwortung eines Versicherungsvertreters wurde im Rahmen der IMD auch die Be-
rufsausübung maßgeblich neu definiert. Mit der Einführung umfangreicher Infor-
mations-, Analyse-, Frage-, Beratungs-, Dokumentations-, Mitteilungs-, Beratungs-
und Schadenersatzpflichten
47
wurde diesem Missstand versucht Rechnung zu tra-
gen. Sie waren eingebettet in die VVG-Informationspflichtverordnung (nachfol-
gend VVG-InfoV) bzw. die übergeordnete VVG Reform, die damit einen erstmali-
gen Mindeststandard in der Vermittlung von Versicherungsprodukten darstellte.
Mit Mindeststandards und Markteintrittsbarrieren erreichte die IMD eine höhere
Professionalisierung der Versicherungsvermittlung und trug gleichzeitig zur Ver-
besserung des Verbraucherschutzes bei.
48
Allerdings führte der verfolgte Ansatz
der Mindestharmonisierung
49
dazu, dass bei der Umsetzung der Mindeststandards
42
Vgl. Reiff, Peter (2007), S. 2.
43
Vgl. Beenken, Matthias (2010), S. 72.
44
Vgl. Traub, Wolfgang (1995), S. 38-39.
45
Eine Unterberatung tritt ein, wenn die Versicherungsvermittlung trotz unzureichender Deckung
des individuellen Beratungsbedarfs erfolgreich durchgeführt wurde. Vgl. Höckmayr, Gergana
(2012), S. 69-70.
46
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 107.
47
Vgl. Höckmayr, Gergana (2012), S. 108-116.
48
Vgl. Europäische Kommission (2010), Consultation document, S. 2, (Dokument 21 der CD).
49
Die Mindestharmonisierung ist eine Technik zur Rechtsangleichung innerhalb der EU, bei der
Mindeststandards vereinbart werden von denen die Mitgliedstaaten abweichen können, um stren-
gere Anforderungen festzulegen. Vgl. Wagner, Matthias (2001), S. 53-55.
9

in nationales Recht einzelne Länder weit über diese hinausgingen. Beispielhaft
hierfür ist das teilweise eingeführte Provisionsverbot des Vereinigten Königreichs
oder der Niederlande
50
, mit der Folge, dass ein stark fragmentiert regulierter euro-
päischer Versicherungsvermittlungsmarkt entstand.
51
Im Zusammenhang mit der
Verabschiedung der Solvency-II-Richtlinie
52
, die eine Änderung des Risikoprofils
der VU gegenüber dem VN bewirkte
53
, wurde dann am 17.12.2009 erstmals die
notwendige Adjustierung der IMD vom europäischem Parlament gefordert. Um
dieser Forderung gerecht zu werden, leitete die europäische Kommission am
26.11.2010 eine öffentliche Anhörung zur Evaluierung der IMD ein, die bis zum
28.02.2011 andauerte. Dabei wurden neben dem weiterhin unzureichend hergestell-
ten Binnenmarkt folgende vier Problemfelder erkannt:
Erstens variierte die Informationsqualität, die ein VN innerhalb der Versicherungs-
vermittlung erhält, signifikant in Abhängigkeit des vermittelten Versicherungspro-
dukts. Zweitens wurden die vorhandenen Interessenkonflikte weiterhin vom VN als
intransparent wahrgenommen. Drittens basierte die Definition der Versicherungs-
vermittlung auf dem Aktivitätsprinzip, d. h., der Direktvertrieb
54
von Versiche-
rungsprodukten wurde aufgrund des fehlenden VV nicht als Versicherungsvermitt-
lung eingestuft, sodass sich dieser Zweig des Versicherungsvertriebs dem
Anwendungsbereich der IMD und den damit verbundenen Pflichten entziehen
konnte. Viertens schränkten die Benachrichtigungssysteme durch ihre technische
Komplexität die Kommunikation von grenzüberschreitenden Tätigkeiten der VV
ein. Zusätzlich deckte die parallel laufende Neuregulierung des Wertpapierhandels
in Form der Markets in Financial Instruments Directive II signifikante Inkonsis-
tenzen zwischen der Regulierung von Investmentprodukten, die einzeln oder inner-
halb eines Versicherungsmantels vertrieben werden, auf.
55
50
Vgl. Habschick, Marco; Evers, Jan (2008), Anforderungen an Finanzvermittler, S. 124-138,
(Dokument 25 der CD).
51
Vgl. Europäische Kommission (2010), Consultation document, S. 5, (Dokument 21 der CD).
52
Europäische Parlament (2009), Richtlinie 2009/138/EG, (Dokument 24 der CD).
53
Vgl. Erwägungsgrund 139 Richtlinie 2009/138/EG.
54
Im Sinne des Innendienst, des angestellten Außendienst und des eigenen Onlinevertriebskanals.
55
Vgl. Europäische Kommission (2010), Consultation document, S. 3-6, (Dokument 21 der CD).
10

Gestützt von dieser Erkenntnis einigten sich am 11.04.2011 Experten aus den Mit-
gliedstaaten der EU und der EIOPA mehrheitlich auf eine Adjustierung der IMD.
Das dafür angewendete europäische Gesetzgebungsverfahren ist als sogenanntes
Lamfalussy-Verfahren bekannt. Erstmals eingesetzt bei der Umsetzung des Finanz-
marktrahmens-Aktionsplans im Jahre 2002 ist das Lamfalussy-Verfahren seitdem
ein integraler Bestandteil bei der Beschleunigung europäischer Gesetzgebungsver-
fahren im Finanzsektor. Das Lamfalussy Verfahren ist nach dem Vorsitzenden des
Ausschusses der Weisen, Herrn Baron Alexandre Lamfalussy, benannt und besteht
aus folgenden 4 Levels:
x Level 1: Rahmenrechtsakt
x Level 2: Durchführungsbestimmung
x Level 3: Verlautbarungen und Leitlinien
x Level 4: Kontrolle und Überwachung
56
In Level 1 wird nach Art. 294 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren von
europäischem Rat und Parlament eine Rahmenrichtlinie verabschiedet. Die Rah-
menrichtlinie erfüllt zwei Funktionen: Zum einen definiert sie Grundsätze und flan-
kiert die inhaltlichen Rahmenfelder der neuen Gesetzgebung. Zum anderen be-
stimmt sie die Art und den Umfang der Umsetzungsmaßnahmen bei gleichzeitiger
Delegierung der Umsetzung an die Akteure in Level 2. In Level 2 werden die grund-
sätzlichen Inhalte der Rahmenrichtlinie mittels Durchführungsverordnungen oder
delegierter Rechtsakte
57
entwickelt. Hierzu besitzt die EU-Kommission ein Vor-
schlagsrecht, bei dem es inhaltlich durch Konsultationen der European Securities
and Markets Authority, European Banking Authority und European Insurance and
Occupational Pensions Authority (im nachfolgenden EIOPA) unterstützt wird. So-
wohl Durchführungsverordnungen als auch delegierte Rechtsakte bedürfen einer
Zustimmung des europäischen Parlaments und des Rats. Zusätzlich erlässt die EU-
Kommission in Form von Verordnungen sogenannte technische Regulierungs- und
Durchführungsstandards. Im Gegensatz zu den Durchführungsverordnungen und
56
Vgl. Gampe, Jens (2009), 97-108.
57
Delegierter Rechtsakt ist ein auf die EU Kommission übertragener Gesetzgebungsakt, der
Rechtsakte mit allgemeiner Wirkung ohne Gesetzescharakter zur Änderung bestimmter nicht we-
sentlicher Vorschriften ermöglicht. Vgl. Herdegen, Matthias (2015), S. §8 Rdn 58.
11

den delegierten Rechtsakten sind diese rein technisch und fungieren als Antwort
auf die Frage wie die Inhalte der Gesetzgebung konkret einzuhalten sind. Alle in
Level 2 verabschiedeten Maßnahmen sind für die Mitgliedstaaten unmittelbar
rechtlich bindend. In Level 3 besitzt die für das Versicherungswesen zuständige
Aufsichtsbehörde EIOPA das Recht, weitere einheitliche Leitlinien und Empfeh-
lungen zur Interpretation der Ergebnisse aus Level 1 und 2 zu veröffentlichen.
Diese besitzen keine rechtlich bindende Funktion und bedürfen somit keiner zu-
sätzlichen Ermächtigung seitens europäischer legislativer Institutionen. Dennoch
müssen sich die nationalen Behörden entweder dazu verpflichten diese anzuwenden
oder ihr alternatives Handeln erläutern ­ comply or explain. In Level 4 erfolgt die
Umsetzung der europäischen legislativen Mittel in die jeweilige nationale Gesetz-
gebung sowie die dazugehörige Überwachung. Diese wird durch die ESMA unter
Mithilfe der nationalen Aufsichtsbehörden und des europäischen Parlaments um-
gesetzt.
Ein erster Entwurf der Rahmenrichtlinie wurde bereits am 03.07.2012 von der eu-
ropäischen Kommission veröffentlicht.
58
Dennoch bedurfte es weiterer drei Jahre,
bis sich das europäische Parlament, der Rat und die Kommission am 30.06.2015
offiziell auf eine weitere Reform des Versicherungsvertriebs einigten.
59
Eine we-
sentliche Neuerung bei der Zielsetzung war es, den Anwendungsbereich der Richt-
linie signifikant zu erweitern. Symbolisch wurde hierzu die angestrebte neue Richt-
linie von IMD II zur IDD umbenannt. Die vorangehende Ausarbeitung wurde von
informellen Konsultationen der EIOPA begleitet, die deren Ergebnisse am
30.10.2015 veröffentlichte. Darin plädierte die EIOPA, den Produktenwicklungs-
prozess mittels Aufsichts- und Lenkungsanforderungen zu regulieren und somit
erstmals seit der Deregulierung von 1994
60
in die operativen Geschäftsprozesse ei-
nes VU einzugreifen.
61
Die EU übernahm diesen Aspekt in ihrer finalen Rahmen-
58
Vgl. Europäische Kommission (2012), COM(2012) 360 final, S. 15-74, (Dokument 22 der CD).
59
Vgl. Europäische Kommission (2015) Commission welcomes, S.1, (Dokument 23 der CD).
60
Als Deregulierung wird der Abbau der Regulierungsdichte im Zuge der Verwirklichung des eu-
ropäischen Binnenmarkts bezeichnet. Vgl. Wolf, Oliver (2000), S. 41.
61
Vgl. EIOPA (2015), Consultation Paper, S. 10-11, (Dokument 15 der CD).
12

richtlinie, welche am 20.01.2016 vom europäischen Parlament und Rat unterzeich-
net wurde.
62
Die Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt am 02.02.2016 mar-
kierte dabei das Ende von Level 1 des Lamfalussy-Verfahrens. Seitdem befindet
sich die Entwicklung der IDD in Level 2, bei der die EIOPA von der europäischen
Kommission mandatiert wurde, sie bei der Konzeption von vier möglichen dele-
gierten Rechtsakten zu unterstützen. Hierzu zählen die delegierten Rechtsakte zu
Artikel 25 (Aufsichts-und Lenkungsanforderungen), Artikel 27 und 28 (jeweils In-
teressenkonflikte), Artikel 29, Absatz 2 (Kundeninformation) sowie Artikel 30 (Be-
urteilung der Eignung und Zweckmäßigkeit sowie Berichtpflichten gegenüber
Kunden) der IDD.
63
Nach Veröffentlichung eines Konsultationspapiers und an-
schließender öffentlicher Anhörung präsentierte die EIOPA hierzu am 01.02.2017
ihre finalen Empfehlungen
64
, welche in dem nachfolgenden Kapitel näher erläutert
werden.
Die Regulierung der europäischen Versicherungsvermittlung begann mit der Ziel-
setzung den avisierten europäischen Binnenmarkt herzustellen. Die IMD erweiterte
diese durch den Anspruch zum Wohle des Verbraucherschutzes eine qualitätsver-
bessernde Wirkung auf die Versicherungsvermittlung entfalten zu wollen. Zwar ist
die IDD rechtlich und bereits namentlich eine eigenständige Richtlinie, dennoch
basiert sie auf diesen ursprünglichen Zielsetzungen. Zusätzlich bedient sie sich mit
Mindeststandards und Markteintrittsbarrieren rechtlich derselben Mittel
65
, sodass
die IDD eindeutig als Weiterentwicklung der IMD anzuerkennen ist.
3.
Umsetzung der Insurance Distribution Directive
3.1.
Die IDD als konzeptionelle Grundlage
Das Rechtsetzungskonzept der Richtlinie besteht aus einem zweistufigen Rechtset-
zungsverfahren.
66
Die erste Stufe ist auf der Ebene der europäischen Institutionen
und die zweite Stufe ist das jeweilige nationale Gesetzgebungsverfahren, in dem
62
Vgl. Artikel 25 IDD.
63
Vgl. Artikel 38 IDD.
64
Vgl. EIOPA (2017), Technical Advice, S. 3, (Dokument 17 der CD).
65
Vgl. Abschnitt 4.2.1. und 4.2.2.
66
Vgl. Herdegen, Matthias (2015), §8 Rdn.41.
13

Europarecht in nationales Recht überführt wird. Der größte Vorteil dieses Konzepts
ist, dass mittels Durchführungsverordnungen in den von der Rahmenrichtlinie er-
fassten Bereichen bei Bedarf auf nationale Besonderheiten und Rechtsordnungen
der einzelnen Mitgliedstaaten Rücksicht genommen werden kann.
67
Adressaten ei-
ner Richtlinie sind die Mitgliedstaaten der EU.
Zur Umsetzung sind die jeweiligen
Mitgliedstaaten verpflichtet
68
, sodass auch die Rahmenrichtlinie der IDD inklusive
ihrer anschließenden Rechtsakte bis zum 23.02.2018 in nationales Recht zu über-
führen ist.
69
Die Überführung in nationales Recht erfolgt entsprechend dem jewei-
ligen Versfassungsrecht. In Deutschland kann dies durch Verabschiedung von Ge-
setzen, Verordnungen oder Verwaltungsakten erfolgen.
70
Die erste vorbereitende
Umsetzungsmaßnahme wurde bereits am 23.02.2016 kurz nach Inkrafttreten der
IDD getroffen. Hierbei hob der deutsche Gesetzgeber das Kapitel III A der IMD
zum 01.07.2017 auf, welches als sogenannte IMD 1,5 bekannt war und bis dato den
Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten regulierte.
71
Eine unmittelbar an-
schließende Nachfolgegesetzgebung konnte allerdings nicht ausgearbeitet werden,
da die IDD als prinzipienbasierte Richtlinie ausgestaltet ist. Bei der Umsetzung ei-
ner prinzipienbasierten Richtlinie gilt es zu beachten, dass lediglich Zielvorstellun-
gen (Prinzipien) vorgegeben werden. Dadurch besitzt die Richtlinie einen finalen,
ergebnisbezogenen Charakter, welcher im Gegensatz zu einer regelbasierten Richt-
linie nicht konditional wirken kann.
72
Dies hat die Folge, dass die Verantwortung,
ob und wie eines der Ziele (Prinzipien) eingehalten werden kann, auf die Unterneh-
men selbst übertragen wird
73
, mit der Konsequenz, dass ein entsprechend indivi-
dueller Spielraum hinsichtlich der Frage, ob ein Unternehmen rechtskonform agiert
oder nicht, entsteht. Um dieser theoretischen Unsicherheit entgegenzuwirken er-
folgt eine Reduzierung des prinzipienbasierten Rechts durch delegierte Rechtsakte
oder Durchführungsbestimmungen auf Level 2 des Lamfalussy-Verfahrens. Die
67
Vgl. Püttgen, Frank J. (2011), S. 48­49.
68
Vgl. Herdegen, Matthias (2015), §8 Rdn 41.
69
Vgl. Artikel 42 IDD.
70
Vgl. Püttgen, Frank J. (2011), S. 47.
71
Vgl. Choudhry, Umar (2016), IDD: Langer Marsch, S. 1, (Dokument 11 der CD).
72
Vgl. Bürkle, Jürgen (2014), S. 6-8.
73
Vgl. Krauel, Wolfgang; Winter, Frederik (2016), S. 3.
14

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783961161874
ISBN (Paperback)
9783961166879
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule RheinMain - Wiesbaden Rüsselsheim Geisenheim – Betriebswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Note
1,5
Schlagworte
IDD Versicherungsvertrieb Regulatorik Insurance Distribution Directive Versicherung
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Titel: Entwicklung, Umsetzung sowie Auswirkungen der Insurance Distribution Directive auf die deutsche Versicherungswirtschaft
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