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Kompetenzprofil für RevisorInnen

©2017 Masterarbeit 136 Seiten

Zusammenfassung

Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit waren Überlegungen über das Erreichen von höchst möglicher Übersetzungsqualität. Der Ansatz der Arbeit besteht in der Überzeugung, dass das Erreichen von Übersetzungsqualität grundsätzlich möglich und erstrebenswert ist. Einerseits erlaubt es die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Übersetzungen den professionellen ÜbersetzerInnen, sich von den nicht professionellen abzuheben und den Status des Berufs zu erhöhen. Auf der Seite der KundInnen führt Qualität zu deren Zufriedenheit, weil sie für ihr Geld eine preiswerte Leistung bekommen. Die erhaltene Qualität der Produkte/ Dienstleistungen hilft überdies den KundInnen (sofern sie die Übersetzungen für ihre Geschäftstätigkeit nutzen), sich von der Konkurrenz abzuheben und einen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen. Die Definition von Kriterien, nach welchen Übersetzungen beurteilt werden, hilft des Weiteren den auszubildenden ÜbersetzerInnen ein Qualitätsverständnis zu gewinnen, welches ihre Beschäftigungschancen erhöht. Und schließlich muss die Translationswissenschaft Qualitätskriterien definieren, um für die Praxis relevant zu sein.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2
Notwendigkeit von Revision...46
2.3
RevisorInnen ...49
2.4
Revisionsauftrag...50
2.5
Übersetzungsfehler...51
2.6
Revisionsparameter ...52
2.6.1
Revisionsparameter nach Horguelin und Brunette ...53
2.6.2
Revisionsparameter nach Brunette ...54
2.6.3
Revisionsparameter nach Mossop...55
2.6.4
Revisionsparameter beim Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der EU60
2.7
Revisionsverfahren...62
2.8
Revisionsprinzipien...63
2.9
Revision und interpersonelle Beziehungen ...66
2.10
Revisionsqualität ...67
3
Kompetenz ...69
3.1
Translatorische Kompetenz...70
3.1.1
Translatorische Kompetenz als multidimensionales Konzept ...71
3.1.1.1
Die Sprachkompetenz...71
3.1.1.2
Die interkulturelle Kompetenz ...73
3.1.1.3
Die Sach-/Fachkompetenz...75
3.1.1.4
Die Recherchekompetenz ...75
3.1.1.5
Die Technikkompetenz...76
3.1.1.6
Die Transferkompetenz (übersetzerische Kompetenz)...77
3.1.1.7
Querschnittskompetenzen...81
3.1.1.8
Zusammenfassung ...82
3.1.2
Translatorische Kompetenz als ,,Superkompetenz"...83
3.2
Expertise...90
3.3
Revisionskompetenz...93
3.3.1
Translatorische Kompetenz ...96
3.3.1.1
Sprachkompetenz, Kulturkompetenz, interkulturelle Kompetenz ...96
3.3.1.2
Die Textkompetenz...98

3.3.1.3
Die Sach-/Fachkompetenz...99
3.3.1.4
Die Recherchekompetenz ...99
3.3.1.5
Die Technikkompetenz...100
3.3.1.6
Die Transferkompetenz ...100
3.3.2
Die revisionstheoretische Kompetenz...101
3.3.3
Die revisionsstrategische Kompetenz ...104
3.3.4
Die Qualitätskompetenz...104
3.3.5
Die ExpertInnenkompetenz ...105
3.3.6
Kompetenz im Umgang mit fremden Texten ...106
3.3.7
Dialogkompetenz ...107
4
Kompetenzprofil für RevisorInnen ... 108
5
Zusammenfassung... 113
6
Bibliographie ... 116
Anhang ... 126
6.1
Revisionsprinzipien der GD Übersetzung der Europäischen Kommission ... 126
6.2
Revisionsprinzipien nach Brian Mossop ... 127
Abstracts ... 128

Abkürzungsverzeichnis
AS
Ausgangssprache
AT
Ausgangstext
EK
Europäische Kommission
GD
Generaldirektion
Maschinelle Übersetzung
QM
Qualitätsmanagement
TW
Translationswissenschaft
TSP
Translation Service Provider
ÜW
Übersetzungswissenschaft
ZS
Zielsprache
ZT
Zieltext

Einleitung
Der Ausgangspunkt für das Schreiben der vorliegenden Arbeit waren Überlegungen über das
Erreichen von höchst möglicher Übersetzungsqualität. Der Ansatz der Arbeit besteht in der
Überzeugung, dass das Erreichen von Übersetzungsqualität grundsätzlich möglich und
erstrebenswert ist. Einerseits erlaubt es die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen
Übersetzungen den professionellen ÜbersetzerInnen, sich von den nicht professionellen
abzuheben und den Status des Berufs zu erhöhen. Auf der Seite der KundInnen führt Qualität
zu deren Zufriedenheit, weil sie für ihr Geld eine preiswerte Leistung bekommen. Die erhaltene
Qualität der Produkte/ Dienstleistungen hilft überdies den KundInnen (sofern sie die
Übersetzungen für ihre Geschäftstätigkeit nutzen), sich von der Konkurrenz abzuheben und
einen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen. Die Definition von Kriterien, nach welchen
Übersetzungen beurteilt werden, hilft des Weiteren den auszubildenden ÜbersetzerInnen ein
Qualitätsverständnis zu gewinnen, welches ihre Beschäftigungschancen erhöht. Und
schließlich muss die Translationswissenschaft Qualitätskriterien definieren, um für die Praxis
relevant zu sein.
1
Am Anfang dieser Arbeit standen also folgende Fragen: Wie kann gewährleistet
werden, dass eine Übersetzung überhaupt keine Übersetzungsfehler
2
enthält und sie von den
RezipientInnen in der jeweiligen Rezeptionssituation positiv, d.h. ohne jegliche Beanstandung,
wahrgenommen wird? Und, da der positive Eindruck seitens der RezipientInnen nicht
zwangsläufig Übersetzungsqualität bedeuten muss, wie wird gewährleistet, dass die
Übersetzung tatsächlich für die gegebene Anwendungssituation in allen relevanten Aspekten
,,richtig" ist? Ausgehend von diesen Fragen und der Überzeugung, dass ÜbersetzerInnen, wie
alle Menschen Fehler machen können, wurde der Schluss gezogen, dass für das Sicherstellen
von höchst möglicher Übersetzungsqualität neben der Auswahl eines/einer geeigneten (z.B. auf
das entsprechende Fachgebiet spezialisierten) ÜbersetzerIn, die Revision durch eine/n anderen
ÜbersetzerIn bzw. RevisorIn notwendig ist. Es soll versucht werden, nachzuweisen, dass den
entgegensetzten Meinungen, die Revision als Zeit- und Ressourcenverschwendung sehen,
sowie den Studien, die einen geringen Nutzen von Revision belegt haben, eine falsche
Vorstellung bzw. Realisierungsform von Revision zugrunde liegt - die nicht professionelle
Revision. Eine professionell ausgeführte Revision führt nämlich, genauso wie eine
professionell ausgeführte Translation, zum Erreichen der Translatfunktion und somit zur
Qualität. Dieses Bewusstsein um die Wichtigkeit von professioneller Revision scheint immer
noch relativ gering zu sein, obwohl das Thema Revision in den letzten Jahren sowohl in der
Translationsforschung als auch in der translatorischen Praxis vermehrt Beachtung fand. Um
dieses Bewusstsein stärken zu können, setzt sich die Arbeit zum Ziel, die Best Practices von
1
Zum Nutzen von Qualität für die verschiedenen Stakeholders vgl. z.B. Hönig (1998:15), Thelen (2009:197)
2
Zu Übersetzungsfehlern vgl. Abschnitt 2.5
1

professioneller Revision zu beschreiben und anhand von diesen, ein ideales Kompetenzprofil
für RevisorInnen zu erarbeiten. Im Einsatz von professionellen, kompetenten RevisorInnen
sieht diese Arbeit nämlich eine qualitätssichernde Maßnahme, die die höchstmögliche Qualität
von Übersetzungen sicherstellen kann. Eine selbstverständliche Voraussetzung für
professionelle Revision sollte in erster Linie die nachgewiesene (jahrelange)
Übersetzungserfahrung und Expertise sein. ÜbersetzerInnen mit wenig Erfahrung mit
Übersetzen sind für diese Aufgabe nicht geeignet (vgl. Abschnitte 3.2 und 3.3.5). Überdies wird
von der Hypothese ausgegangen, dass zwischen Kompetenzprofilen für ÜbersetzerInnen und
RevisorInnen durchaus Unterschiede bestehen. RevisorInnen müssen über dieselben
Kompetenzen verfügen, wie ÜbersetzerInnen, sie brauchen jedoch auch zusätzliche
Kompetenzen. Im Gegensatz zu den ÜbersetzerInnen arbeiten sie nämlich nicht mit den
eigenen, sondern mit fremden, bereits fertigen Übersetzungen, die sie optimal verbessern
müssen. Um bei dieser Aufgabe effizient zu sein, müssen sie in der Lage sein, sich nur auf die
für die Zweckerfüllung relevanten Aspekte zu konzentrieren und Abstand von den eigenen
Präferenzen nehmen zu können ­ nicht nur, um ökonomisch mit der Zeit umzugehen, sondern
auch um unnötigen Konflikten vorzubeugen. Damit gehen also spezifische Anforderungen
bezüglich theoretischem Wissen und sozialen Kompetenzen einher. Diese Forderung wird
jedoch nicht von alleine erfüllt und erfordert eine gezielte Sensibilisierung im Rahmen einer
Ausbildung.
Da die steigenden Anforderungen an Übersetzungsqualität auch die
Notwendigkeit von Revision nach sich ziehen, sollte dies in der Übersetzungsausbildung
berücksichtigt werden und in den Curricula translationswissenschaftlicher Institute sollte der
Revisionskompetenz mehr Raum gewidmet werden.
Die Methodik dieser Arbeit besteht in der theoretischen Argumentation, ausgehend von
der Auseinandersetzung mit den Phänomenen Qualität, Übersetzungsqualität, Revision,
Kompetenz, translatorische Kompetenz und Revisionskompetenz. Im abschließenden Kapitel
wird auf dieser Grundlage ein Kompetenzprofil für RevisorInnen entworfen. Auf eine
empirische Untersuchung und Überprüfung der Hypothese wird aus Gründen einer vermuteten
mangelnden Objektivität der Daten verzichtet. Eine Umfrage unter
ÜbersetzungsdienstleisterInnen bezüglich Anforderungen an RevisorInnen bzw. Unterschiede
im Kompetenzprofil von ÜbersetzerInnen und RevisorInnen könnte zwar interessante
Ergebnisse bringen, ob diese jedoch die Realität widerspiegeln würden, ist mehr als fraglich. In
der Praxis zeichnet sich nämlich eine Tendenz ab, trotz proklamierter Qualität überhaupt keine
Qualitätskontrollen durchzuführen oder nicht genug qualifizierte TranslatorInnen mit Revision
zu beauftragen
3
. Eine direkte Beobachtung in einem Übersetzungsbüro, die solche Praxis
3
Als Beleg für diese Behauptungen führe ich folgende Zitate an: ,,Looking closer at the market, there is a growing
tendency for global activity of the translation industry, among them the so called `envelop switchers' ­ smart
business people who are buying cheap translation services from freelance translators and selling them to their
clients without any quality control. In this way, translators are increasingly becoming academic slaves of the
translation industry paid per word or character."
(Schopp 2007:2)
,,Despite growing interest in revision in the professional translation market, there is little serious study of revision.
2

aufdecken würde, wäre wiederum in Form einer wissenschaftlichen Arbeit aus Gründen der
Loyalität gegenüber dem beforschten Subjekt kaum kommunizierbar. Deshalb will die Arbeit
eher einen idealen Kompetenzprofil für RevisorInnen entwerfen und dadurch das Bewusstsein
für die Wichtigkeit von professioneller Revision stärken, sowie der bereits durch die Normen
EN 15038 und ISO 17100 begründeten Praxis Rechnung tragen.
This contributes to the existence of `revision' by revisers who are incompetent in terms of specialist expertise,
stylistic sensitivity, and occasionally even ethical behaviour." (Chakhachiro 2005: 225) Zur Bestätigung dieser
These vgl. auch die Ergebnisse der Studie von Rasmussen und Schjoldager (2011).
3

1 Qualität
In diesem Kapitel soll zunächst versucht werden, Antwort auf die Frage: ,,Was bedeutet
Qualität?" zu geben. In unterschiedlichen Bereichen der menschlichen Tätigkeit wird darunter
etwas anderes verstanden. Zunächst wird auf das Verständnis von Qualität im allgemeinen
Sprachgebrauch eingegangen und des Weiteren wird das Konzept im Kontext des
Qualitätswesens, der Translationswissenschaft (TW) und der translatorischen Praxis erörtert.
1.1 Qualität im allgemeinen Sprachgebrauch
Eine allgemeine Definition von Qualität in der Brockhaus Enzyklopädie und im Duden lautet:
,,Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften (einer Person oder Sache), Beschaffenheit,
(Güte)." (Brockhaus Enzyklopädie 2006: Qual, Duden 2016). In diesem neutralen Sinn wird
der Begriff Qualität jedoch immer weniger verwendet (vgl. Kamiske 2000:11). Im allgemeinen
Sprachgebrauch wird Qualität heutzutage überwiegend in folgenden zwei Bedeutungen
verwendet ­ als ,,charakteristische" oder als ,,gute" Eigenschaft (vgl. Duden 2016). In der
letzteren Bedeutung wird Qualität im Sinne von ,,gut" verstanden, sie wird mit ,,Güte"
gleichgesetzt, d.h. etwas ist qualitativ, wenn es subjektiv als gut empfunden wird (vgl. Schmitt,
Peter A. 1999
2
: 394, Duden 2016). Dieses Verständnis von Qualität im Allgemeinen
Sprachgebrauch scheint am Verbreitesten zu sein und deckt sich aufgrund der subjektiven
Beurteilung zum Teil mit dem Verständnis von Qualität in der Wirtschaft:
Die Beschaffenheit eines Sachguts (Produkt-Q.) oder einer Dienstleistung nach ihren
Unterscheidungsmerkmalen gegenüber anderen Gütern. Der Begriff Q. wird einerseits auf messbare,
stofflich-techn. Eigenschaften angewendet (objektive Q.). Er bringt zum anderen die Eignung, d.h. die
Nutzbarkeit des Gutes aus Sicht des Käufers für den vorgesehen Zweck zum Ausdruck und ist insoweit
subjektiv bestimmt (subjektive Q.). (Brockhaus Enzyklopädie 2006: Qual)
Qualität ist demnach die subjektiv empfundene ,,Güte", die zustande kommt, wenn eine Sache
oder Person die von den Individuen an sie gestellten Anforderungen erfüllt. In diesem Sinne
findet das Konzept der Qualität im Produktions- und Dienstleistungsbereich Anwendung, in
denen sie einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor darstellt. Dabei müssen die Anforderungen,
die an ein Produkt oder eine Dienstleistung gestellt werden, im Voraus bekannt sein, um die
erreichte Qualität später beurteilen zu können. Dieses Verständnis von Qualität liegt auch dem
funktionalen Ansatz der TW zugrunde, auf dem diese Arbeit basiert. Deshalb soll im Folgenden
die Entwicklung der Qualitätskonzepte bis zum heutigen Stand dargelegt werden, die die
Grundlage für das Qualitätsverständnis im Sinne der Skopostheorie bilden.
4

1.2 Qualität im Qualitätswesen
Die Beschäftigung mit Qualität und Qualitätssicherung ist heutzutage ein integraler Bestandteil
der Überlegungen in allen Bereichen der menschlichen Tätigkeit, in denen es um
Gewinnerzielung und demzufolge um das Abheben von den MitbewerberInnen bzw. um die
Erhaltung eines bestimmten Images geht. Die ersten gezielten Versuche, Qualität zu sichern,
wurden in der industriellen Fertigung unternommen. Allmählich entwickelten sich
verschiedene Qualitätsmanagementansätze, wobei mit der Entwicklung des
Dienstleistungssektors diese neben den Produkten auch auf Dienstleistungen angewandt
wurden. Der umfassende prozessorientierte Qualitätsmanagementansatz fand Einzug in die
Normenreihe ISO 9000, die heutzutage den Standard für das Qualitätsmanagement (QM)
darstellt, aus dem auch verschiedene branchenspezifische Normen abgeleitet werden. Das
Verstehen der Grundsätze dieses Ansatzes ist für diese Arbeit insofern wichtig, als sich auch
das Verständnis von Translationsqualität in dieser Arbeit maßgeblich an diesen orientiert:
Qualität bedeutet in erster Linie die Erfüllung von festgelegten (KundInnen-)Anforderungen.
1.2.1
Geschichtlicher Überblick über Qualitätsmanagementansätze
Die Beschäftigung mit der Qualität des Endproduktes kann zum ersten Mal mit der industriellen
Fertigung zu Zeiten von Frederick Winslow Taylor (1856-1915) in Verbindung gebracht
werden. Er war US-amerikanischer Ingenieur, Begründer der wissenschaftlichen
Betriebsführung (scientific management), die nach ihm als ,,Taylorismus" bezeichnet wurde
(vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2016). Taylor schlug vor, die Arbeit in Industriebetrieben in
kleinste Einheiten zu teilen, wodurch die Denkleistung reduziert und die
Arbeitsgeschwindigkeit gesteigert wurde. Dies führte zur massiven Steigerung der
Produktivität Anfang des 20. Jahrhunderts. Trotz diesen revolutionären Gedanken bestand die
Qualitätskontrolle der Produkte jedoch nur in einer Endabnahme am Ende des
Fertigungsprozesses. Solche statistischen Stichproben konnten zur Steigerung der Qualität der
Produkte nur im beschränkten Maße beitragen (vgl. Mertin 2006:16).
Erst Mitte des 20. Jahrhunderts erkannte man, dass Qualität nicht erprüft, sondern
produziert werden muss (vgl. Kamiske 2000:19). Die Produktqualität hängt nicht nur von der
Qualität der Fertigung ab, sondern Qualitätsüberlegungen müssten bereits am Anfang des
Prozesses, d.h. in der Entwicklungs- und Planungsphase, angestellt werden. Der Schwerpunkt
wurde daraufhin von den Endkontrollen auf die Organisation der gesamten Produktionskette
umgelegt
(vgl. Kamiske
2000:13).
Aus diesen Überlegungen heraus wurden in der Folge mehrere
Qualitätsmanagementmodelle entwickelt. Als Begründer der prozessorientierten Sichtweise
kann der US-amerikanische Wissenschaftler W. Edwards Deming (1900-1993) genannt
5

werden. Er wandte sich vom Taylorschen Prinzip der Arbeitsteilung ab, weil er den
Fertigungsprozess als eine zusammenhängende Wertschöpfungskette verstand, die aus
aufeinander bezogenen, sich gegenseitig beeinflussenden Abläufen besteht. Im Mittelpunkt der
Betrachtungen steht dabei die von den KundInnen erwartete Qualität, auf die die gesamte
Produktherstellung ausgerichtet ist. Mit diesem ersten prozessorientierten Ansatz wurden
erstmals analytische Verfahren hinsichtlich Input, Prozessablauf, Ressourcen und Output
eingeführt und durch das Messen der Effizienz und der Qualität, Prozesskontrollen und
kontinuierliche Prozessverbesserungen wurde das System der Qualitätskontrolle revolutioniert
(vgl. Mertin 2006: 16f.). Diese Qualitätsmanagementansätze wurden in der Mitte der 80er Jahre
weiterentwickelt. Armand V. Feigenbaum, Inhaber der General Systems Company, Ltd., schuf
ein Konzept des umfassenden Qualitätsmanagements, das er als Total Quality Control (TQC)
bezeichnete (vgl. Kamiske/Brauer 2008:50). Dieser Ansatz geht von der Grundidee aus, dass
Qualität nicht ausschließlich während des Fertigungsprozesses produziert wird, sondern, dass
alle Abteilungen eines Unternehmens für ihre Entstehung mitverantwortlich sein und folglich
miteingebunden werden sollten. Eine Weiterentwicklung der Arbeiten von Deming und
Feigenbaum stellt der umfassende Ansatz des Company-Wide Quality Control von Kaoru
Ishikawa, der vor allem als Total Quality Management (TQM) bekannt ist. Diesem Konzept
zufolge sollten alle Hierarchieebenen eines Unternehmens und das gesamte Umfeld (samt
KundInnen und LieferantInnen) auf das Erreichen der Qualitätsziele ausgerichtet sein (vgl.
Mertin 2006:17).
1.2.2
Qualität nach der ISO 9000-Normenreihe
Die Normenreihe EN ISO 9000 ff. stellt einen zusammenhängenden Satz von Normen für das
Qualitätsmanagement
dar. Es handelt sich dabei um einen prozessorientierten
Qualitätsmanagementansatz, bei dem
Qualitätssicherungsmaßnahmen
und
Qualitätssicherungsprozesse festgelegt werden. Die Normenreihe wurde 1987 eingeführt, 1994
überarbeitet und 2000 reformiert (vgl. Kamiske/Brauer 2008:67). Die Normen der ISO 9000
stellen sowohl im europäischen Raum als auch international einen anerkannten Standard für
Qualitätsmanagementsysteme
dar, nach dem sich interessierte Organisationen und
Unternehmen zertifizieren lassen können (vgl. Schmitt 1999
2
:395, Mertin 2006:138). Sie
wurden zunächst für die industrielle Produktferigung eingeführt und mit der Überarbeitung
1994 auf den Dienstleistungsbereich ausgedehnt (vgl. Mertin 2006:138, Kamiske/Brauer
2008:68). Folgende Einzelnormen sind Bestandteile der ISO-9000-Familie:
x DIN EN ISO 9000 ­ Qualitätsmanagementsysteme - Grundlagen und Begriffe (vgl. DIN
EN ISO 9000 (2000))
Die EN ISO 9000 legt die Grundlagen für Qualitätsmanagementsysteme fest und definiert die
in der Normenreihe EN ISO 9000 ff. verwendeten Begriffe zum Thema Qualität und
6

Qualitätsmanagement. Die Norm enthält des Weiteren einen Überblick über qualitätsbezogene
Ziele und Verantwortlichkeiten, die eine Organisation festzulegen und zu erfüllen hat. Zu
weiteren Inhalten der Norm gehören die Beurteilung von QM-Systemen sowie die Funktion
und der Nutzen der Dokumentation des Systems (vgl. Kamiske/Brauer 2008:67). Im Dezember
2005 wurde eine aktualisierte Norm DIN EN ISO 9000 (2005)-12 (vgl. DIN EN ISO 9000
(2005)-12) herausgegeben, die bis zu einer vollständigen Revision der Normenreihe als
Interimversion dient (vgl. Kamiske/Brauer 2008:71).
x DIN EN ISO 9001 ­ Qualitätsmanagementsysteme ­ Anforderungen (vgl. DIN EN ISO
9001 (2000))
Die DIN EN ISO 9001 legt Mindestanforderungen an ein QM-System fest, denen eine
Organisation zu genügen hat und ist somit für den Aufbau und Weiterentwicklung eines QM-
Systems von zentraler Bedeutung. Sie erläutert auch die Möglichkeiten, gewisse
Normanforderungen, sofern sie die Qualität der Produkte im anzuwendenden Unternehmen
nicht betreffen, auszuschließen. Die Zertifizierung des QM-Systems der Unternhmen erfolgt
auschließlich auf der Basis der DIN EN ISO 9001:2000 (vgl. Kamiske/Brauer 2008:68).
x DIN EN ISO 9004 ­ Qualitätsmanagementsysteme ­ Leitfaden zur Leistungsverbesserung
(vgl. DIN ISO 9004 (2000))
Die EN ISO 9004 stellt einen Leitfaden dar, der sowohl auf die Wirksamkeit als auch auf die
Wirtschaftlichkeit des QM-Systems ausgerichtet ist. Das Ziel dieser Norm besteht in der
internen Leistungsverbesserung sowie in der Verbesserung der Zufriedenheit der KundInnen.
Sie wendet sich an Organisationen, deren oberste Leitung beim Streben nach Ständiger (sic!)
Verbesserung (s.u.) über die Forderungen der DIN EN ISO 9001:2000 hinausgehen will (vgl.
Kamiske/Brauer 2008:68).
Mit der Revision der Normenreihe im Jahre 2000 wurden acht Prinzipien des QM (Quality
Management Principles) begründet:
1. KundInnenorientierung ­ Organisationen hängen von ihren KundInnen ab und sollten daher
die aktuellen und künftigen Erfordernisse der KundInnen verstehen, ihre Forderungen
erfüllen und danach streben, ihre Erwartungen zu übertreffen.
2. Führung ­ Das Management gibt den einheitlichen Zweck und die Richtung der
Organisation vor. Es sollte ein internes Umfeld schaffen und erhalten, in dem
MitarbeiterInnen sich voll für das Erreichen der Ziele der Organisation einsetzen können.
3. Einbeziehung der MitarbeiterInnen ­ MitarbeiterInnen aller Ebenen sind das Herz einer
Organisation und durch ihre volle Beteiligung wird ermöglicht, dass ihre Fähigkeiten zum
Vorteil der Organisation genutzt werden können.
7

4. Prozessorientierter Ansatz ­ Ein erwünschtes Ergebnis wird effizienter erreicht, wenn die
betroffenen Ressourcen und Aktivitäten als Prozesse geleitet werden.
5. Systemorientierter Managementansatz ­ Identifizierung, Verstehen und Managen des
Systems zusammenhängender Prozesse für ein bestimmtes Ziel verbessern die Wirksamkeit
und Effizienz einer Organisation.
6. Ständige Verbesserung ­ Ständige Verbesserungen sollten eine anhaltende Zielsetzung der
Organisation sein.
7. Sachliches Vorgehen bei der Entscheidungsfindung ­ Wirksame Entscheidungen basieren
auf der Analyse von Daten und Informationen.
8. Vorteilhafte LieferantInnenbeziehungen ­ Eine Organisation und ihre LieferantInnen sind
voneinander abhängig, und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen steigern die
Fähigkeiten beider, Werte zu schaffen. (vgl. Kamiske/Brauer 2008:69f.)
Durch die Festlegung dieser Prinzipien wurde ein großer Schritt Richtung Total Quality
Management gemacht. Alle MitarbeiterInnen samt der Unternehmensleitung sind für die
Erreichung der Qualitätsziele mitverantwortlich. Die ständige Verbesserung und Steigerung des
Qualitätsbewusstseins wird durch die Sicherstellung des Informationsflusses (Aufwertung von
Schulungen) erreicht. Prozess- und Systemorientierung führen zur Steigerung der Effizienz bei
der Erreichung des Gesamtziels ­ der KundInnenzufriedenheit (vgl. Kamiske/Brauer
2008:70f.).
Im Folgenden sollen die für diese Arbeit relevanten Termini des QM-Managements, wie
sie in der ISO 9000 (2005) definiert werden, angeführt werden:
x Qualität ­ ,,Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt" (DIN EN
ISO 9000 (2005):18)
x Anforderung ­ ,,Erfordernis oder Erwartung, das oder die festgelegt, üblicherweise
vorausgesetzt oder verpflichtend ist" (DIN EN ISO 9000 (2005):19)
x Kundenzufriedenheit ­ ,,Wahrnehmung des Kunden zu dem Grad, in dem die
Anforderungen des Kunden erfüllt worden sind" (DIN EN ISO 9000 (2005):19)
x Kompetenz ­ ,,dargelegte Eignung, Wissen und Fertigkeiten anzuwenden" (DIN EN ISO
9000 (2005):20)
x Kunde ­ ,,Organisation oder Person, die ein Produkt empfängt" (DIN EN ISO 9000
(2005):23)
x Produkt ­ ,,Ergebnis eines Prozesses" (DIN EN ISO 9000 (2005):24)
x Prozess ­ ,,Satz von in Wechselbeziehungen oder Wechselwirkung stehenden Tätigkeiten,
der Eingaben in Ergebnisse umwandelt" (DIN EN ISO 9000 (2005):23)
x System ­ ,,Satz von in Wechselbeziehung oder Wechselwirkung stehenden Elemente" (DIN
EN ISO 9000 (2005):20)
8

x Managementsystem ­ ,,System zum Festlegen von Politik und Zielen sowie zum Erreichen
dieser Ziele" (DIN EN ISO 9000 (2005):20)
x Qualitätsmanagement ­ ,,Aufeinander abgestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken
einer Organisation bezüglich Qualität" (DIN EN ISO 9000 (2005):21)
x Qualitätsmanagementsystem ­ ,,Managementsystem zum Leiten und Lenken einer
Organisation bezüglich der Qualität" (DIN EN ISO 9000 (2005):20)
x Qualitätssicherung ­ ,,Teil des Qualitätsmanagements, der auf das Erzeugen von Vertrauen
darauf gerichtet ist, das Qualitätsanforderungen erfüllt werden" (DIN EN ISO 9000
(2005):27)
x Fehler ­ ,,Nichterfüllung einer Anforderung" (DIN EN ISO 9000 (2005):27)
x Korrekturmaßnahme ­ ,,Maßnahme zur Beseitigung der Ursache eines erkannten Fehlers
oder einer anderen erkannten unerwünschten Situation" (DIN EN ISO 9000 (2005):27)
x Korrektur ­ ,,Maßnahme zur Beseitigung eines erkannten Fehlers" (DIN EN ISO 9000
(2005):27)
Im Sinne der modernen Qualitätsmanagementsysteme, die sich an der ISO 9000-Normenreihe
orientieren, kann also Qualität als ,,Vermögen einer Gesamtheit inhärenter Merkmale eines
Produktes, Systems, oder Prozesses zur Erfüllung von KundInnenanforderungen oder solcher
anderer interessierter Parteien" (Kamiske 2000:15) verstanden werden. Im Zentrum der
Qualitätsbetrachtungen steht die KundInnenzufriedenheit, die Erfüllung von
KundInnenwünschen. Die KundInnenanforderungen sind jedoch nicht willkürlich und müssen
zum Zwecke der Qualitätsprüfung genau dokumentiert werden: ,,Die Forderungen an eine
Dienstleistung müssen in Form von Merkmalen, die wahrnehmbar sind und vom Kunden
bewertet werden können, eindeutig festgelegt werden." (DIN ISO 9004-2 (1992):10)
Gleichzeitig führt die Normenreihe Begriffe wie Vertrauen und Verlässlichkeit ein und fordert
als Qualitätsziel ,,die Zufriedenheit des Kunden unter Beachtung der berufsspezifischen
Maßstäbe und der Berufsethik"
(1992:12). Durch ihre KundInnen-
und
Dienstleistungsorientierung stellt die ISO-9000-Reihe somit auch für die Festlegung von
Handlungsnormen für translatorische Dienstleistungen einen richtungsweisenden Ansatz dar
(siehe Abschnitte 1.4; 1.5; 1.6) (vgl. Budin 2007:55).
1.3 Qualität im Kontext des Übersetzens und der Translationswissenschaft
Die Frage nach der Qualität von Übersetzungen begleitet ÜbersetzungstheoretikerInnen bereits
seit Cicero (vgl. Brunette 2000:169). Die Kriterien, nach welchen eine Übersetzung als ,,gut"
oder ,,schlecht" bewertet wird, sind je nach Zweck der Bewertung und ihr zugrunde liegendem
theoretischen Hintergrund unterschiedlich. Mit den Worten von Juliane House: ,,Evaluating the
quality of a translation presupposes a theory of translation. Thus different views of translation
9

lead to different concepts of translation quality, and hence different ways of assessing it."
(House 1997:1). In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Betrachtungsweisen bezüglich
Übersetzungsqualität gegenüber gestellt, um das für diese Arbeit relevante Verständnis davon
zu definieren. Vor allem soll der Unterschied zwischen einer äquivalenzorientierten und
funktionalen Wahrnehmung verdeutlicht werden. Es wird ein Überblick über wesentliche
Theorien der frühen ÜbersetzungstheoretikerInnen bis zu den Konzepten der neueren
Translationswissenschaft dargeboten. Es wird auf die Dichotomie Treue vs. Freiheit
eingegangen, der Äquivalenzbegriff wird erörtert, die übersetzungskritischen Modelle von Reiß
und House werden vorgestellt und schließlich wird der funktionalistische Ansatz und die aus
ihm ausgehenden Modelle der Qualitätsbewertung von Übersetzungen (Ammann, Nord, Hönig)
erläutert.
1.3.1
Treue vs. Freiheit
Die Frage, ob wortgetreu oder frei zu übersetzen ist, also die Dichotomie Treue vs. Freiheit,
bildete über Jahrhunderte hinweg ein Diskussionsdilemma unter ÜbersetzungsdenkerInnen.
Die Debatte wurde bereits von den ersten, in der Antike entstandenen,
übersetzungstheoretischen Schriften ausgelöst. In seiner Abhandlung zur Ausbildung von
Rednern De oratore warnt Cicero vor einer Wort-für-Wort-Übersetzung ut interpres, also als
Übersetzer. Dieser ist eine Übersetzung ut orator, als Redner, d.h. eine freie Übersetzung,
vorzuziehen. Zu Zeiten Ciceros waren nämlich bereits erste Übersetzungen aus dem
Griechischen ins Lateinische von Gnaeus Naevius und Livius Andronicus bekannt, die
durchaus wortwörtlich waren. Sowohl Cicero als auch Horaz mit seiner Ars poetica wandten
sich gegen diese Art der Übersetzung zugunsten der sinngemäßen Übertragung (vgl.
Woodsworth 1999
2
:39, Douglas 2001:125). Dieses Vorgehen ist vor allem auf die imperiale
Grundhaltung Roms zurückzuführen, die die Übersetzung in erster Linie als Mittel zur
Bereicherung der eigenen Literatur sah, die die griechische zu übertreffen hatte (vgl. Hohn
1999
2
:91).
Der Bibelübersetzer Hieronymus wird aufgrund seines Zitats aus dem Brief an
Pammachius oft zu den Vertretern der freien Übersetzung neben Cicero gestellt (vgl. z.B.
Bassnett-McGuire 1980:46):
Ich gebe es nicht nur zu, sondern bekenne es frei heraus, dass ich bei der Übersetzung griechischer
Texte - [...] ­ nicht nur ein Wort durch das andere, sondern einen Sinn durch den anderen ausdrücke;
und ich habe in dieser Sache als Meister den Tullius (Cicero). (Störig 1963:1)
Doch neben dem vielzitierten ,,non verbum e verbo, sed sensum exprimere de sensu" darf nicht
vergessen werden, dass Hieronymus bei der Übersetzung der Heiligen Schrift eben dem
entgegengesetzten Prinzip folgte ­ der wortwörtlichen Übersetzung, denn hier ist ,,auch die
10

Wortfolge ein Mysterium" (Störig 1963:1).
Dass die Bibelübersetzung eine besondere Spezifik in Bezug auf das Verhältnis
zwischen Treue und Freiheit birgt, wird auch aus dem Sendbrief vom Dolmetschen von Martin
Luther ersichtlich. Einerseits fordert er, man müsse
nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, [...] sondern die
Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen, und
denselbigen auf das Maul schauen, wie sie reden und danach dolmetschen (Störig 1963:21)
Während Luther auf diese Weise seine Missionstätigkeit vorantreibt, sieht er sich andererseits
dem Wortlaut der Heiligen Schrift verpflichtet, sodass er es an manchen Stellen für notwendig
hält ,,der deutschen Sprache Abbruch [zu] tun, denn von dem Wort [zu] weichen." (Störig
1963:25) Mit seiner Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen Treue und Freiheit
begründete Luther laut van Hoof die Übersetzungstheorie in Deutschland (van Hoof 1986:25
zit. nach Hohn 1999
2
:92).
Mit seiner 1813 erschienener Abhandlung Über die verschiedenen Methoden des
Ueberstzens schuf Friedrich Schleiermacher eines der bekanntesten übersetzungstheoretischen
Werke. Darin unterschied er zwei Wege des Übersetzens:
Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen;
oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. (Störig 1963:47)
Die zweite Methode, die dazu führen würde, dass sich die Übersetzung wie ein Original lesen
würde, lehnt Schleiermacher aufgrund seiner Wertschätzung des Fremden und seiner
Sprachauffassung ab. Da das menschliche Denken und die Sprache (Ausdruck) ein und dasselbe
sind, würde ein Wechsel der Zeichen zu einem Wechsel der Gedanken führen. (vgl. Hohn
1999
2
:94)
In der zweiten Jahrhunderthälfte zeichnet sich wiederum eine Rückkehr zu der
,,eindeutschenden" Methode der Aufklärung. Dies ist auf die zunehmende nationale
Gesinnung zurückzuführen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründet Walter
Benjamin seine Übersetzungstheorie, nach der der Inhalt des Originals zweitrangig ist und die
Ästhetik im Vordergrund stehen muss. Ab den 60er Jahren wurde die traditionelle Dichotomie
,,wörtlich oder frei" seitens mehrerer Wissenschaftsbereiche unter linguistischen, didaktischen,
hermeneutischen, literatur- oder kulturhistorischen Aspekten untersucht (vgl. Hohn
1999
2
:94f.).
11

1.3.2
Äquivalenz
In einer umfassenden Diskussion um die Betrachtung von Qualität im
translationswissenschaftlichen Kontext kann der Begriff der ,,Äquivalenz" nicht umgangen
werden. Bis zu der Etablierung des funktionalistischen Ansatzes war Äquivalenz als das
konstitutive Merkmal einer Übersetzung ein zentrales Konzept der linguistisch orientierten
Übersetzungstheorien. Die WissenschaftlerInnen waren bemüht, das Phänomen des
Übersetzens mit naturwissenschaftlichen Methoden zu beschreiben, um jegliche subjektiven
Elemente zu eliminieren. Unter Äquivalenz wurde eine Gleichheit oder zumindest Analogie
von Funktion oder Wirkung zwischen Ausgangstext (AT) und Zieltext (ZT) verstanden (vgl.
Nord 1999
2
a:145). Aus der linguistischen Perspektive heraus wurde versucht, das, was
übersetzt wird, zu erfassen, also den ,,Inhalt", das ,,Gemeinte" (Koller 1972:67). Den
Ausgangspunkt der Analyse bildet dabei der Ausgangstext, dessen Elemente zuerst auf zu
erhaltende Werte untersucht werden, die dann äquivalent (invariant) in der Zielsprache
wiedergegeben werden.
Zu den VertreterInnen dieses Ansatzes zählen u.a. Otto Kade, Gert Jäger und Albrecht Neubert
aus der Leipziger Schule in der DDR, Werner Koller, Wolfram Wilss und Katharina Reiß aus
der Bundesrepublik und Eugene A. Nida, Charles R. Taber und J.C. Catford aus dem
englischsprachigen Raum. Es wurden mehrere Äquivalenzkonzepte mit unterschiedlichen
Schwerpunkten entwickelt, von denen hier einige näher erörtert werden. Anschließend werden
die ersten übersetzungskritischen Modelle von Reiß (1971) und House (1977) vorgestellt, die
eine objektive Beschreibung von Qualitätskriterien für Übersetzungen zum Ziel hatten und die
noch von einer (impliziten) Äquivalenzrelation ausgehen (vgl. Nord 1999
2
b:60, Nord
1999
2
c:141, Kaindl 1999
2
:375).
Catford (1965:20) definiert Übersetzen als "the replacement of textual material in one
language (SL) by equivalent textual material in another language (TL)", wobei für ihn das
Suchen und Finden von zielsprachlichen Äquivalenten das zentrale Problem darstellt: ,,the
central problem of translation-practice is that of finding TL translation equivalents." (ebd.:21)
Catford unterscheidet zwischen formal correspondence (auf der Ebene der langue
4
) und textual
equivalence (auf der Ebene der parole). Zwischen Sprachen mit ähnlichen grammatischen
Strukturen, besteht formal correspondence, indem z.B. Präpositionen mit Präpositionen
übersetzt werden. Wenn dies nicht möglich ist, kann textual equivalence mithilfe sog.
,,translation shifts" hergestellt werden (z.B. wenn aus einer Sprache mit Artikeln in eine
Sprache ohne Artikel übersetzt wird).
Für Nida und Taber (1982:12), Vertreter eines linguistisch-kommunikativen Ansatzes,
bedeutet Übersetzen eine Reproduktion des AT in Form des ,,closest natural equivalent", wobei
4
vgl. Ferdinand de Saussures Unterscheidung zwischen dem abstrakten Sprachsystem (langue) und der konkreten
Sprachverwendung (parole)
12

bereits eine Äquivalenzhierarchie beansprucht wird:
Translating consists in reproducing in the receptor language the closest natural equivalent of the source
language message, first in terms of meaning and secondly in terms of style.
Sie unterscheiden zwischen formal correspondence und dynamic equivalence. Erstere kann mit
der verfremdenden, letztere mit der einbürgernden Übersetzung bzw. einer ,,treuen" und einer
,,freien" Übersetzung verglichen werden (vgl. Koller 1979:44, Stolze 1994:81). Der dynamic
equivalence ist Priorität vor der formal correspondence einzuräumen.
Für Kade gilt, dass sich SenderInnen und RezipientInnen auf dieselben Objekte der
wirklichen oder gedachten Welt beziehen, d.h. dass es zwischen Sprachzeichen und Realität
eine objektive Beziehung gibt - die Denotation: ,,Die Denotatsinformation ist somit
obligatorische Invariante in der Translation." (Kade 1981: 209 zit.n. Prunc 2007:58) Zieltexte,
die das Ktiterium der Invarianz der Denotation nicht erfüllen, sind mit Kade keine Translate
und somit nicht Gegenstand der Übersetzungswissenschaft (ÜW) (vgl. Prunc 2007:58).
Koller setzt sich in seiner mehrfach aufgelegten Einführung in die
Übersetzungswissenschaft (1979/1992/2001/2004/2011) mit den äquivalenzorientierten
Ansätzen außeinander und entwickelt eine eigene Äquivalenztypologie. Koller merkt kritisch
an, dass der Begriff Äquivalenz zu vielfältig und ungenau angewendet wird. Äquivalenz
bedeutet ,,eine Beziehung zwischen AS-Text (bzw. Textelementen) und ZS-Text (bzw.
Textelementen)" (Koller 1979:186). Damit sei jedoch noch nicht die Art der Beziehung
beschrieben. Diese müsse zunächst definiert werden. Zu diesem Zweck unterscheidet Koller
fünf Äquivalenztypen, die er als fünf Bezugsrahmen (vgl. Koller 1979:187) für die Festlegung
der Art der anzustrebenden Übersetzungsäquivalenz bezeichnet:
x Denotative Äquivalenz (inhaltliche Invarianz) ­ liegt vor, wenn der AT und der ZT
denselben außersprachlichen Sachverhalt (Denotation) treffen. Um das Problem der
lexikalischen Mehrdeutigkeit zu lösen, führt Koller für die denotative Äquivalenz eine
weitere Kategorisierung ein: Eins-zu-eins-Entsprechung, Eins-zu-viele-Entsprechung,
Viele-zu-eins-Entsprechung, Eins-zu-Null-Entsprechung, Eins-zu-Teil-Entsprechung.
Jedem dieser Äquivalenztypen ordnet er ein Übersetzungsverfahren zu, mit deren Hilfe
nach Koller die Herstellung von Äquivalenz möglich ist: Substitution, Diversifikation,
Neutralisation, Kompensation, Innovation. Wie Prunc anmerkt, ergeben sich für diese
Kategorisierung jedoch Probleme, da es eine 1:1 Entsprechung außer vielleicht genormter
Terminologie praktisch nicht gibt (vgl. Prunc 2007:59ff).
x Konnotative Äquivalenz ­ liegt vor, wenn ,,mit der spezifischen Art der sprachlichen
Erfassung des Denotats [...] zusätzliche konnotative Werte vermittelt" werden (Koller
1992/2004:240). In diesem Zusammenhang werden jedoch keine Übersetzungsverfahren
angeführt, sondern die ÜbersetzerInnen werden auf ihre Kreativität verwiesen (vgl. Prunc
2007:65).
13

x Textnormative Äquivalenz ­ diese kann mit der Einhaltung der zielsprachlichen
Textkonventionen gleichgesetzt werden. Auf die Frage, ob und in welchem Maße die
Erhaltung der textnormativen Äquivalenz situationsbedingt wünschenswert ist, geht jedoch
Koller nicht ein (vgl. Prunc 2007:66).
x Pragmatische Äquivalenz (empfängerbezogene kommunikative Äquivalenz) ­ liegt vor,
wenn der Empfänger (Leser) eine Übersetzung ,,auf der Basis seiner
Verstehensvoraussetzungen rezipieren können soll" wobei die Übersetzung so auf den
Leser angepasst wird, dass ,,sie ihre kommunikative Funktion erfüllen kann" (Koller
1992/2004:216). Koller schließt jedoch Fälle, in denen die AT-AdressatInnen von den ZS-
AdressatInnen in wesentlichen Merkmalen abweichen und in denen pragmatische
Äquivalenz realisiert wird, als Übersetzungen aus und spricht nur noch von ,,übersetzender
Textreproduktion" bzw. ,,-produktion" (vgl. Prunc 2007:66f.)
x Formal-ästhetische Äquivalenz (Äquivalenz in formal-ästhetischer Textgestaltung) ­
bedeutet nach Koller in Anlehnung an Reiß eine ,,Analogie der Gestaltung" (Reiß 1976),
also eine Gestaltung des ZT, die ,,sich auf bestimmte ästhetische, formale und
individualistische Eigenschaften des AT" bezieht (Koller 1992/2004:216).
Eine Übersetzung ist desto qualitativ hochwertiger, je mehr Äquivalenzanforderungen erfüllt
werden konnten (vgl. Prunc 2007:59). Koller fordert, dass der/die ÜbersetzerIn eine Hierarchie
der zu erhaltenden Elemente (Invarianzen) aufstellt, von der aus er/sie eine Hierarchie der
Äquivalenzen ableitet.
Für Albrecht (1990:72) bedeutet Äquivalenz nicht mehr ,,Gleichheit", sondern
,,Gleichwertigkeit". Diese wird erfüllt, wenn zuvor definierte Faktoren in der Übersetzung
invariant bleiben (vgl. Albrecht 1990:73). Diese Faktoren sind durch den/die ÜbersetzerIn
eigenverantwortlich in der AT-Analyse zu eruieren und auf deren Basis sind
Invarianzanforderungen zu definieren (vgl. ebd:75). Eine gründliche AT-Analyse befähigt
den/die ÜbersetzerIn darüber zu entscheiden, was in der Übersetzung adäquat ist und die
Invarianzforderungen zu hierarchisieren (vgl. ebd. 75,78). Albrecht lehnt jedoch eine
Orientierung des/der ÜbersetzerIn an textexternen Faktoren ab, mit der Begründung, es handele
sich nicht mehr um eine Übersetzung, sondern um Bearbeitung o.Ä. (vgl. ebd.:79). Albrecht
postuliert des Weiteren, dass erst die Kenntnis der Invarianzanforderungen die Bewertung der
Qualität durch eine/n ÜbersetzungskritikerIn und ggf. Kritik an diesen erlaubt (vgl. ebd:75).
Eine andere Betrachtungsweise erfährt der Äquivalenzbegriff durch Neubert (1990), der
von textbezogener Äquivalenz spricht. Er relativiert die für die VertreterInnen des
Äquivalenzansatzes selbstverständliche Dominanz des AT, indem er postuliert, dass dieser für
den ZS-Leser nicht existiert und daher der ZT als Original fungiert (vgl. Neubert 1990:32). Er
fordert dementsprechend eine Anpassung der Übersetzung an die Kommunikationssituation in
der ZS-Kultur. Der/die ÜbersetzerIn geht dabei von der Makrostruktur des Gesamttextes aus
(Top-down-Perspektive) und wandelt auf der syntaktisch-lexikalischen Ebene die AT-
Mikrostrukturen in entsprechende ZS-Mikrostrukturen kreativ um (Bottom-up-Perspektive).
14

Diese Kreativität ist jedoch stets an den AT gebunden (vgl Neubert 1990:38). Nach Neubert
könne Äquivalenz nur auf der Textebene hergestellt werden (vgl. Neubert 1988:84). Diese
textbezogene Äquivalenz ist aufgrund der Dynamik der Verstehensprozesse dynamisch und
kann je nach der eingenommenen Perspektive unterschiedlich hergestellt werden. Der
Perspektivwechsel kann sich z.B. aus den Übersetzungsauftrag ergeben (vgl. Neubert 1988:82).
1.3.3
Übersetzungskritik
56
von Reiß
Eine der ersten, die sich mit der Entwicklung eines Modells für die Bewertung der Qualität von
Übersetzungen beschäftigte, war Katharina Reiß mit ihrem 1971 erschienenen Werk
möglichkeiten und grenzen der übersetzungskritik. kategorien und kriterien für eine
sachgerechte beurteilung von übersetzungen. Die Übersetzungskritik ist laut Reiß aus mehreren
Gründen wichtig: Sie kann in der Gesellschaft das Verlangen nach besseren Übersetzungen
wecken, die Herausbildung von sachgerechten Methoden kann in der
ÜbersetzerInnenausbildung hilfreich sein und schließlich kann dadurch
auch das
Sprachbewusstsein und der sprachliche sowie der außersprachliche Horizont des/der
Beurteilenden geschärft werden (vgl. Reiß 1978:7). Das Ziel Reiß ist die Festlegung von
objektiven Kriterien und sachgerechten Kategorien für die Beurteilung von Übersetzungen aller
Art (vgl. ebd.). Um einen umfassenden Rahmen für die Anforderungen, die an eine Übersetzung
überhaupt gestellt werden können, entwickeln zu können, fordert sie zunächst diese
Anforderungen je nach Texttyp bzw. ­art zu kategorisieren (vgl. Reiß 1978:8). Dabei stützt sie
sich an die von ihr entwickelte übersetzungsrelevante Texttypologie
7
(vgl. Reiß 1976). Erst
durch die Zuordnung einer Übersetzung zu der entsprechenden Textkategorie wird ein
Orientierungsrahmen für den/die ÜbersetzungskritikerIn geschaffen, nach dem er/sie sich bei
seiner/ihrer Beurteilung richten kann (vgl. Reiß 1978:8). Der Zweck einer Übersetzungskritik
sollte laut Reiß ,,die Feststellung, Beschreibung und Bewertung der angebotenen
Übersetzungslösungen in einem Zieltext (ZT) und dies nicht rein subjektiv, sondern
argumentativ und intersubjektiv nachvollziehbar" sein (Reiß 1989:72). Im Mittelpunkt des
Modells steht also die Objektivität der Bewertung, obgleich die subjektiven Faktoren nicht
verleugnet werden:
In jeder Übersetzungskritik ist eine gute und eine schlechte Beurteilung ausführlich zu begründen und
mit Nachweisen zu belegen. Dabei sollte der Kritiker stets Raum lassen für subjektiv mögliche andere
Entscheidungen. (Reiß 1978:12)
5
Für eine umfassende Übersicht über übersetzungskritische Modelle vgl. Koller 1979: 196-209, House 1997:1-27
6
Der Begriff der Übersetzungskritik hat sich Mitte der 90er Jahre gewandelt. Heutzutage wird darunter die Kritik
von literarischen, geisteswissenschaftlichen und klassisch-phlologischen Übersetzungen verstanden (vgl. Mertin
2006:159).
7
Diese stützt sich an Karl Bühlers Organonmodell, nach dem Zeichen drei Funktionen haben können: Darstellung,
Ausdruck und Appell. Dementsprechend unterscheidet Reiß zwischen inhaltsbetonten, formbetonten und
appellbetonten Texten.
15

Jeder Übersetzungskritik sind Grenzen gesetzt durch die subjektive Bedingtheit des hermeneutischen
Prozesses und durch die Persönlichkeitsstruktur des jeweiligen Übersetzers. (Reiß 1978:113)
Eine Übersetzungskritik sei nur objektiv, solange auch die subjektiven Gegebenheiten
mitberücksichtigt werden (vgl. Reiß 1978:115).
Reiß texttypologischer Ansatz ist der Äquivalenz verpflichtet:
Jeder Übersetzungsprozess ist ein bipolarer Vorgang, der sich in der Gestaltung eines zielsprachlichen
Textes unter ständiger Rückbindung an einen ausgangssprachlichen Text erfüllt. Dabei muß der
Übersetzer sich ständig bemühen, optimale Äquivalenzen in der Zielsprache zu finden und sich ebenso
konsequent am ausgangssprachlichen Text orientieren, um sich der Adäquatheit dieser Äquivalenzen
zu versichern. (Reiß 1978:11)
In einer Fußnote geht sie auf den Begriff näher ein:
Die ,,Äquivalenz" ist in übersetzungswissenschaftlichem Zusammenhang ein Kernbegriff. [...]
Äquivalenz soll beim Übersetzen hergestellt werden sowohl zwischen dem Gesamttext des Originals
und der zielsprachlichen Version als auch zwischen den einzelnen Übersetzungseinheiten.
,,Äquivalenz" ist nicht nur ,,Entsprechung", auch nicht Kopie der ausgangssprachlichen Einheit.
Äquivalenz ist, was ihr Name besagt: Gleich-Wertigkeit, d.h. die zielsprachliche ,,Entsprechung" ist als
optimal äquivalent zu betrachten, wenn sie nach Maßgabe des sprachlichen und situationellen
Kontextes, der Sprach- und Stilebene, der Intention des Autors etc. ausgewählt ist und im Sprachsystem
der Zielsprache die gleiche ,,Wertigkeit" besitzt wie die ausgangssprachliche Einheit in der
Ausgangssprache. (Reiß 1978:11f.)
Von einer generellen Äquivalenzorientiertheit Reiß Ansatzes zeugt auch ihre Forderung nach
der Bestimmung der Übersetzungsmethode in Abhängigkeit von dem Texttyp (vgl. Nord
1999
2
c
:
141). Im Gegensatz zu ihrem späteren, mit Vermeer entwickelten, funktionalistischen
Ansatz, postuliert sie, dass ,,nicht nur ein bestimmter Leserkreis oder ein spezieller Zweck, dem
eine Übersetzung dienen soll [...] die Übersetzungsmethoden bestimmen dürfen" (Reiß
1978:24). Sie spricht vom ,,Normalfall" (ebd.) der Übersetzung, die ,,ohne Abstriche,
Erweiterungen oder Verzerrungen das Original in eine zweite Sprache umzugießen und in der
Zielsprache ein äquivalentes Gegenstück zum Ausgangstext zu erarbeiten versucht" (Reiß
1978:24). In diesem ,,Normalfall" entscheidet nur der Texttyp über die Wahl der geeigneten
Mittel (vgl. ebd.). Dementsprechend kann auch eine Übersetzungskritik ohne die vorherige
Bestimmung des Texttyps nicht stattfinden:
Die Beurteilung einer Übersetzung sollte also, anstatt wie es nur zu oft geschieht, sich an einzelne
Elemente zu klammern oder das Ganze nach einigen Ausschnitten einzuschätzen, von einer ­ anhand des
Originals zu treffenden ­ Bestimmung des Texttyps ausgehen. (Reiß 1978:52f.)
16

Reiß unterscheidet für ihre Übersetzungskritik vier Kategorien. Die wichtigste, jene, die ,,den
Texttyp im Auge hat" (Reiß 1978:53) nennt sie literarisch. Die zweite, sprachliche Kategorie,
bilden die innersprachlichen Instruktionen. Dazu zählen die semantischen Elemente, die
äquivalent, die lexikalischen Elemente, die adäquat, die grammatikalischen Elemente, die
korrekt, und die stilistischen Elemente, die korrespondierend zu übersetzen sind. Einen
übergeordneten Bezugsrahmen spielt auch hier der Texttyp, der über die Rangfolge der zu
bewahrenden Elemente entscheidet (vgl. Reiß 1978: 68f). Die dritte, pragmatische Kategorie
der Übersetzungskritik bilden die außersprachlichen Determinanten, also der Situationskontext
einer Übersetzung (vgl. Reiß 1978:88). Die vierte Kategorie bezeichnet Reiß als funktional.
Sollte der ZT eine andere, als die von dem/der AT-AutorIn intendierte Funktion erhalten
8
oder
sich an einen speziellen LeserInnenkreis wenden, sollte der/die ÜbersetzerIn darauf laut Reiß
ausdrücklich hinweisen, damit auch der/die ÜbersetzungskritikerIn nach anderen Maßstäben,
als bei den drei erstgenannten Kategorien beurteilen kann (vgl. Reiß 1978:105f). Nur in diesem
Fall richtet sich die Wahl der Übersetzungsmethode nämlich nicht nach dem Texttyp, sondern
nach dem Zweck der Übersetzung (vgl. Reiß 1978:93).
Qualität bedeutet nach Reiß also in Abhängigkeit von dem Texttyp: Bei inhaltsbetonten
Texten die Wahrung der Information, bei formbetonten Texten über die wünschenswerte
Invarianz der Information hinausgehende analoge ästhetische Wirkung und bei appellbetonten
Texten die im Original beabsichtigte Effektauslösung (vgl. Reiß 1978:53). Nur im Fall einer
Abweichung der AT- und der ZT-Funktion wird die Qualität einer Übersetzung nach der
Funktionserfüllung bewertet.
1.3.4
Übersetzungskritik von House
Eine weitere Wissenschaftlerin, die sich mit der Entwicklung eines übersetzungskritischen
Modells beschäftigte, ist Juliane House. Mit ihrem 1977 erstmals erschienenem Werk A Model
for Translation Quality Assessment und der 1997 revidierten Version Translation Quality
Assessment: A Model Revisited begründet sie eine Qualitätsbeurteilung von Übersetzungen, die
ebenfalls von einer Äquivalenzrelation zwischen AT und ZT ausgeht (vgl. Nord 1999
2
b:60,
Kaindl 1999
2
: 375). Ihr Bewertungsmodell basiert auf einer wissenschaftlichen Analyse des AT
und einer darauf basierenden Bewertung (vgl. House 1997:166). House verwendet die
Unterscheidung zwischen zwei Übersetzungstypen:
x covert translation (verdeckte Übersetzung) ist eine Übersetzung, die als solche nicht
erkennbar ist und in der Zielkultur wie ein Original rezipiert wird (vgl. House 1997:111-
115)
x overt translation (offenkundige Übersetzung) ist als eine Übersetzung erkennbar
8
In einem solchem Fall spricht Reiß von Übertragungen oder Übersetzungen im weiteren Sinne (vgl. Reiß
1978:115).
17

Dementsprechend unterscheidet House zwischen den covertly erroneous errors (verdeckt
irrtümlichen Fehlern) ­ Fehlern, die als mangelnde funktionale, situative oder soziokulturelle
Übereinstimmung zwischen AT und ZT zu definieren sind (vgl. House 1997:45) und overtly
erroneous errors (offen irrtümlichen Fehlern) ­ Fehlern, die sich in Form von Verstößen gegen
Normen der Zielsprache und bei offensichtlicher denotativer Nichtübereinstimmung von AT
und ZT demonstrieren (vgl. ebd.).
Für die Zwecke ihrer übersetzungskritischen Analyse unterscheidet House zwischen
vier Bewertungskriterien: Register, Genre, Sprache/Text und individueller Textfunktion (vgl.
House 1997:108). Als Register versteht sie dabei ,,what the context-of-situation requires as
appropriate linguistic realizations"(1997:105). Das Register wird in weitere drei Kategorien
unterteilt: field bezieht sich auf den Inhalt bzw. das Thema des Textes und seinen
Fachlichkeitsgrad, tenor umfasst den Situationskontext, die Beziehungen zwischen den
KommunikationspartnerInnen und die kommunikative Intention des Autors, mode beschreibt
das Medium (gesprochene/geschriebene Sprache) und die Kommunikationsrichtung
(monologisch/dialogisch). Eine dem Register übergeordnete Kategorie ist Genre. Genre wird
von House als ,,socially established category characterized in terms of occurence of use, source
and a communicative purpose or any combination of these" (House 1997: 107) beschrieben.
Diese Charakterisierung entspricht dem Verständnis von einer Textsorte. Die Textfunktion wird
von House in Anlehnung an Halliday (1973) in eine referentiell-inhaltsbezogene und
interpersonelle unterteilt (vgl. House 1997: 35). Soll eine Übersetzung eine andere Funktion als
der AT erfüllen, so spricht House nicht von einer Übersetzung, sondern von einer Version (vgl.
House 1981:200). Funktionale Äquivalenz kann demnach nur bei den ,,verdeckten"
Übersetzungen erreicht werden. Bei den ,,offenen" Übersetzungen sei dies unmöglich, und der
Übersetzung müsste immer eine sekundäre Funktion hinzugefügt werden (vgl. House
1981:204f.).
Wie Reiß/Vermeer (1984:51) anmerken, schwenkt House von einer
Textsortentheorie zu einer funktionalen Theorie, wenn die Entscheidung, ob eine overt oder
eine covert translation anzufertigen ist, von einem ,,spezifischen Zweck" bestimmt wird:
,,Further, it is clear that the specific purpose for which a 'translation' is required will determine
whether a translation or an overt version should be made." (House 1981:204) Diese Situation
stellt für House jedoch eine Ausnahme dar, in den meisten Fällen wird diese Entscheidung in
Abhängigkeit von der Textsorte getroffen (vgl. Reiß/Vermeer 1984:48, 51). Bei der
abschließenden Übersetzungsbewertung sollen die offen irrtümlichen und die verdeckt
irrtümlichen Fehler aufgelistet und in Bezug auf die Äquivalenzrelation zum AT gewichtet
werden (vgl. House 1981:245). Ähnlich wie Reiß fordert auch House die Miteinbeziehung der
subjektiven Elemente in die Bewertung (vgl. House 1997:46).
Die VertreterInnen der äquivalenzorientierten Ansätze gehen von einer Relation zwischen AT
und ZT aus, was vor allem den AT in den Vordergrund rücken lässt: Eine Übersetzung steht
18

immer in einer Beziehung zu einem AT. In der Herstellung von Äquivalenz ist der AT das
,,Maß der Dinge" (vgl. Reiß 1988, 1990). Dabei schließt das Äquivalenzkonzept Fälle von
Nichtäquivalenz per definitionem aus (vgl. Nord 1999
2
c:142). Diese Sichtweise wird von den
VertreterInnen des funktionalistischen Ansatzes kritisiert. Reiß/Vermeer (1984: 127f.) lehnen
den Begriff nicht grundsätzlich ab, (vgl. ebd:124) bemängeln jedoch seine fehlende
Differenziertheit bzw. Beschränkung auf nur einzelne Aspekte eines Textes. Weil ein Text nicht
nur Inhalt bzw. ,,Sinn" (Inhalt-in-Situation)
9
, sondern auch Form und Wirkung hat, könne bei
einer Änderung dieser Komponenten in einer Übersetzung nicht von Gleichwertigkeit, also
Äquivalenz zwischen AT und ZT die Rede sein. Das Voraussetzen von Sinn-, Form- und
Funktionsgleichheit zwischen AT und ZT als Regel und die Betrachtung der Abweichungen als
Ausnahmen (wie bei House) verkompliziert die Translationstheorie. Die drei Kriterien Sinn
und Form eines AT und Funktion eines ZT müssten voneinander getrennt werden. Erst die
funktionale Ausrichtung ermöglicht die Herausbildung einer allgemeinen Translationstheorie.
(vgl. Reiß/Vermeer 1984:48,52). Auch sei die von Koller (1972:114) geforderte
,,Wirkungsleichheit" insofern problematisch, als bereits bei der intralingualen Rezeption eines
Textes verschiedene Reaktionen ausgelöst werden (vgl. Reiß/Vermeer 1984:126).
Das Konzept der Äquivalenz wurde vor allem von Snell-Hornby (1986) heftig kritisiert,
die es als ,,Illusion" bezeichnete (vgl. ebd.:13). Dies begründet sie mit der Existenz von
mittlerweile 58 in der Literatur gezählten Äquivalenztypen, wodurch Äquivalenz ,,bis zur
Bedeutungslosigkeit verwässert worden" sei (ebd.). Auch Stolze zufolge sei es ,,unmöglich,
mittels interlingualer Äquivalenzen [...], die Übersetzung aus den Strukturen der Textvorlage
schrittweise abzuleiten, als würden hier einfach Zeichen der einen Sprache durch solche einer
anderen ersetzt" und bezeichnet eine solche Vorstellung als ,,irrig" (Stolze 1987:107). Eine
umkehrbare Zuordnung (Umkodierung) von sprachlichen Zeichen und (den dahinter stehenden
,,objektiven" Bedeutungen) von einer Sprache in eine andere ist aufgrund der Asymmetrien der
Sprachen und der kontextabhängigen Sinnbildung ein Trugschluss. Da ,,Wahrnehmung und
Sprachverwendung kultur-, kontext- und erfahrungsgebunden erfolgen", (Risku 1994:245)
führen konzeptuelle, kommunikative, soziale und kulurelle Unterschiede zu sprachlichen
Unterschieden (vgl. ebd. 244f.). Übersetzen besteht deshalb nicht in dem Suchen nach
sprachlichen Äquivalenten, sondern in der kultur-, kontext- und erfahrungssensiblen
Rekonstruktion von handlungsadäquaten Repräsentationen (vgl. Risku 1994:244). Es gibt nicht
,,die" Bedeutung, die es zu übertragen gilt, sondern den in Abhängigkeit von dem
zielkulturellen Kontext neu zu strukturierenden Sinn:
[...] translating is not a question of transferring meaning but of restructuring it, of recasting the textual
world of the ST [source language] into one which is accessible to the target group [...] (Kaiser-Cooke
1993:101).
9
Zur Terminologie vgl. Vemeer (1972)
19

Die Herstellung von Äquivalenzen ist also sinnlos, es gilt, sich an der Funktion des ZT und dem
zielkulturellen Situationskontext zu orientieren: ,,Äquivalenz ist eine Selbsttäuschung, die uns
von der Mühe des Begründens der situationsspezifischen Wahl, die wir auf jeden Fall treffen
müssen, nur scheinbar befreit." (Risku 1994:247) Mit dem funktionalistischen
Paradigmenwechsel ändert sich auch das Qualitätsverständnis von Übersetzungen. Die
Vorstellung, dass die Qualität einer Übersetzung von dem Grad der Äquivalenzerfüllung
abhängig ist, wurde durch eine andere Sichtweise abgelöst, bei der die Funktionserfüllung im
Vordergrund steht.
1.3.5
Qualität und der funktionale Ansatz
Obwohl sich auch in den äquivalenzorientierten Theorien und Modellen bereits Ansätze über
die Wichtigkeit der kommunikativen Funktion einer Übersetzung fanden
10
, führte erst die durch
Reiß/ Vermeer (1984) begründete Allgemeine Translationstheorie, die als die Skopostheorie
bekannt ist, zu einer vorherrschenden Hinwendung zum funktionalistischen Paradigma und zur
grundsätzlichen Ablehnung des Äquivalenzkonzeptes in der Translationswissenschaft.
Nach der Skopostheorie orientiert sich der/die TranslatorIn bei der Produktion eines
Translats an dem Skopos, dem Zweck der Translation als oberstem Translationskriterium. Nicht
der Ausgangstext, also das Original und seine Funktion in der Ausgangskultur, sondern die
Funktion des Translats in einer Kommunikationssituation, in der es in der Zielkultur angewandt
wird, sind für die Translation von Relevanz. Dabei rückt die Kulturbedingtheit und
Situationalität der Translation als kommunikativen Handelns ebenfalls in den Vordergrund. In
seinem Beitrag Übersetzen als kultureller Transfer definiert Vermeer Translation wie folgt:
Eine Translation ist eine Handlung, ein Translat ein Handlungsprodukt. Translation habe ich irgendwo
11
definiert als ein Informationsangebot in einer Sprache z der Kultur Z, das ein Informationsangebot in einer
Sprache a der Kultur A funktionsgerecht (!) imitiert. Das heißt ungefähr: Eine Translation ist nicht die
Transkodierung von Wörtern oder Sätzen aus einer Sprache in eine andere, sondern eine komplexe
Handlung, in der jemand unter neuen funktionalen und kulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer
neuen Situation über einen Text (Ausgangssachverhalt) berichtet, indem er ihn auch formal möglichst
nachahmt. (Vermeer 1986: 33, Hervorh.en von der Verfasserin)
Die Ausführungen von Vermeer bedeuten also eine Relativierung, eine ,,Entthronung", (vgl.
Vermeer 1986:42) des Ausgangstextes zugunsten des Zieltextes, bzw. dessen Verwendung,
Funktion, in der Zielsituation. Der Ausgangstext wird schlicht zum ,,Ausgangssachverhalt",
zum ,,Informationsangebot", über das der Zieltext seinerseits eine Information bietet (vgl. Reiß/
Vermeer 1984:76) und der für die Zwecke der zielkulturellen Anwendung angepasst werden
muss. Reiß/Vermeer (1984:58) kritisieren die Vorstellung von Translation als
,,Bedeutungskonservierung", da der ,,Textsinn" erst in der Rezeption und Interpretation in einer
10
Siehe z.B. Kade: ,,Welche fakultativen Invarianten im konkreten Einzelfall gewahrt werden, wird weitgehend
vom Verwendungszweck des Translats abhängen." (Kade 1981: 210 zit.n. Prunc 2007:59)
11
vgl. Vermeer (1982)
20

konkreten Situation entsteht. Der Zieltext muss den AT also nicht mehr ,,abbilden" und eine
Funktionsänderung gegenüber der Funktion des AT ist durchaus möglich (vgl Reiß/ Vermeer
1984: 77). Der/die ÜbersetzerIn kann nicht nur Wörter und Sätze ,,transkodieren", sondern
muss die neuen funktionalen und kulturellen Bedingungen, die sich aus der neuen Situation
ergeben, berücksichtigen. Infolgedessen ist auch die Wahl der Translationsstrategie abhängig
von dem Skopos, was eine genaue Bestimmung des Einsatzgebiets von konkreten Strategien
ausschließt
(vgl. Dizdar 1998: 105).
Justa Holz-Mänttäri geht in ihrem Werk Translatorisches Handeln. Theorie und Methode.
(1984) bei der Relativierung des AT noch weiter. Die Begriffe ,,Ausgangstext" oder
,,Ausgangsmaterial" kommen nicht einmal vor. Die im AT enthaltenen Informationen, können,
wenn sie nicht funktional sind, von dem/der translatorisch Handelnden durch andere
Informationen ersetzt werden.
Resch (2003:20ff.) zeichnet die funktionale Neuorientierung (vgl. Snell-Hornby 1986)
der Translationswissenschaft als Überkommen der Treuemetaphorik und der ,,Illusion der
Äquivalenz" (Snell-Hornby 1986:13), also der Vorstellung vom Übersetzen als Reproduktion,
aus:
Für die funktionale Übersetzungstheorie bestimmen nicht der ästhetische Wert der sogenannten Originale
und ihre formalen Kennzeichen die übersetzerischen Entscheidungen, sondern die Funktion des Zieltextes
in der Kommunikationssituation, für die er gemacht wird. Das herkömmliche, simplistische Verständnis
vom Übersetzen als Reproduzieren, vom simplen Transkodieren auf Wort- und Satzebene wurde durch eine
differenzierte Sichtweise abgelöst. Professionelle Translation erfordert nach diesem Verständnis nicht nur
Sprachkompetenz, sondern auch Kulturkompetenz, Textkompetenz und Kommunikationskompetenz.
(Resch 2003:20)
In diesem Sinne wird Übersetzen als eine schöpferische ExpertInnentätigkeit, als
,,Neugestaltung" der Texte verstanden:
Demnach wäre das Übersetzen ­ wenn eine Definition in dieser absoluten Form überhaupt möglich ist ­
eine Neugestaltung des Textes, entsprechend einer vorgegebenen Situation als ,,Teil der Zielkultur". (Snell-
Hornby 1986:13)
Von den VertreterInnen der funktionalistischen Sichtweise wird also ein Verständnis von
Translation als einer grundsätzlich transkodierenden, substitutiven Tätigkeit zum Zwecke von
Äquivalenzherstellung strikt abgelehnt (vgl. Snell-Horby 1986, Stolze 1987:107, Vermeer
1986: 33, Resch 2003:20) Die Bewertung der Qualität von Übersetzungen richtet sich
dementsprechend auch nach anderen Kriterien als die äquivalenzorientierte. Erst die
Vorstellung vom Übersetzen bzw. translatorischen Handeln als einer zielgerichteten Tätigkeit
zog auch eine andere Betrachtungsweise bei der Evaluierung von Übersetzungen nach sich, in
deren Mittelpunkt der Zieltext steht: ,,Zu beurteilen ist einmal (und in den meisten Fällen
wahrscheinlich in erster Linie) das Translat per se. In zweiter Linie ist ein Translat als
Translation eines Ausgangstextes
zu beurteilen." (Reiß/Vermeer 1984: 113)
21

Im Folgenden werden einige Bewertungsmodelle, die dem funktionalistischen Ansatz
verpflichtet sind, näher erläutert.
1.3.5.1 Übersetzungskritik von Ammann
Margret Ammann
(1990) entwickelte
eine funktionale, rein zieltextorientierte
Evaluierungsmethode, bei der die Feststellung der Translatfunktion sowie der
AdressatInnenbezug im Vordergrund stehen. Ihr Modell stützt sich explizit auf die
Skopostheorie und die Theorie vom translatorischen Handeln als auch das von Vermeer
ausgearbeitete Modell für eine angewandte Übersetzungskritik (vgl. Vermeer Ms.).
Dementsprechend sollen im Vergleich zu den vorigen übersetzungskritischen Modellen keine
konkreten Bewertungskriterien festgelegt, sondern eine allgemeine Bewertungsmethodologie
begründet werden. Bei der Bewertung müssten der Ausgangs- und der Zieltext in erster Linie
auf den Skopos hin untersucht werden. Ammann selbst sieht ihre Erneuerung der vorherigen
Modelle in der Forderung nach der Feststellung der Funktion, während die ersteren einen
äquivalenzorientierten Vergleich auf Wörterebene für ausreichend hielten, ohne dabei nach der
Funktion des AT und des ZT zu fragen (vgl. 1990: 213). Da die Übersetzung ein eigenständiger
Text ist, sollte zunächst der Zieltext unabhängig untersucht werden. (vgl. Ammann 1990:
214f.). In Anlehnung an Vermeer und Holz-Mänttäri soll die Übersetzungskritik folgende fünf
Analyseschritte enthalten:
1) Feststellung der Translatfunktion
2) Feststellung der intratextuellen Translatkohärenz
3) Feststellung der Funktion des Ausgangstextes
4) Feststellung der intratextuellen Kohärenz des Ausgangstextes
5) Feststellung der intertextuellen Kohärenz zwischen Translat und Ausgangstext (vgl.
Ammann 1990:212)
Kohärenz bedeutet für Ammann dabei sowohl die Stimmigkeit des Inhalts bzw. Sinns,
Stimmigkeit der Form als auch Stimmigkeit zwischen Inhalt bzw. Sinn und Form. Kohärenz
kann Ammann zufolge auch intendierte Inkohärenz einschließen (vgl. Ammann 1990:212).
Bei der Feststellung der Translatfunktion sowie der intra- und intertextuellen
Kohärenzen steht dabei der AdressatInnenbezug im Mittelpunkt. Ammann geht davon aus, dass
ein Text erst durch die Rezeption durch das Zielpublikum seine Bedeutung gewinnt, die
wiederum durch die verschiedenen situativen Faktoren beeinflusst wird (vgl. Ammann
1990:217). Um den Rezeptions- und Interpretationsvorgang zu beschreiben, stützt sie sich an
Ecos Konzepts des Modell-Lesers (vgl. Eco 1985), den sie als jemanden, der aufgrund einer
bestimmten Lesestrategie zu einem Textverständnis kommt, definiert (1990:225). Das
gewünschte Textverständnis soll dabei durch die konsequente Verwendung jener
22

Textmerkmale, durch die ein bestimmtes Lektüremuster konstituiert wird, herbeigeführt
werden (vgl. 1990:223). Die Herstellung des Textverständnisses wird durch das Scene-and-
frames-Konzept von Vannerem/Snell-Hornby (1986) und Vermeer/Witte (1990) erörtert. Ein
wichtiges Kriterium Ammanns Ansatzes ist die Nachvollziehbarkeit, weil auch die
KritikerInnen bei der Textrezeption subjektiven Einflüssen unterliegen. Um diese möglichst zu
relativieren, sollen die theoretischen Grundlagen offengelegt werden (vgl. Ammann
1990:212f.).
Auch bei der Übersetzungsbewertung sollten in erster Linie die
Interpretationsmöglichkeiten des Zielpublikums berücksichtigt werden und die eigene
Interpretation und Strategie der KritikerInnen soll nicht in den Vordergrund treten (vgl.
Ammann 1990:228). Obwohl Ammann ihr Modell auf literarische Übersetzungen anwendet,
erhebt sie damit Anspruch auf eine allgemeine Theorie der Übersetzungskritik. Die von Mertin
(2006:163) hervorgebrachten Kritikpunkte zu Ammanns Methode umfassen eine nicht
detailliert beschriebene Vorgehensweise bei der Feststellung der intra- und intertextuellen
Kohärenzen, und vor allem die Absenz einer Fehlerdefinition, Fehlerklassifikation,
Fehlergewichtung und abschließender Fehlerbewertung, die besonders für Fachübersetzungen
unabdingbar ist.
1.3.5.2 Fehlerklassifikation von Nord
Für Christiane Nord ist bei der Beurteilung der Übersetzungsqualität ebenfalls der Skopos bzw.
die Funktion des Zieltextes in der Zielkultur ausschlaggebend:
Jede Übersetzungsleistung kann nur in Bezug auf ein vorgegebenes (funktionales) Übersetzungsziel
beurteilt werden. Dieses Übersetzungsziel muss dem Übersetzer/der Übersetzerin bekannt sein. (Nord
2006:17)
Und: ,,[D]ie Brauchbarkeit für diese Funktion (=,Funktionsgerechtigkeit) ist das eine
Kriterium, an dem die Qualität des Translats gemessen wird." (Nord 2006: 15)
Diese intendierte Übersetzungsfunktion muss durch einen Übersetzungsauftrag
12
definiert werden (vgl. Nord 1999
2
b:60). Je nach Funktion der Übersetzung werden auch die
Fehler unterschiedlich gewichtet ­ z.B. Fehler, die gegen das sprachliche Regelwerk der
Zielsprache verstoßen, werden nicht als eigentliche Übersetzungsfehler gewertet, sondern
lediglich als Zeichen für mangelnde Sprachkompetenz des/der ÜbersetzerIn (vgl. Nord
2006:23f.). Als einen eigentlichen Übersetzungsfehler definiert Nord eine ,,Nicht-Erfüllung der
durch den Übersetzungsauftrag bestimmten Anforderungen" bzw. ,,Verstöße gegen den
Übersetzungsauftrag" (Nord 1999
2
d:385, 386). Diese Implikationen sind auch für die
Translationsdidaktik insofern von Bedeutung, als diese in erster Linie nicht auf die Vermittlung
von Sprachkompetenz, sondern der translatorischen Kompetenz ausgerichtet sein sollte. D.h.,
12
Risku merkt an, dass der Übersetzungsauftrag zunächst untersucht und nicht automatisch befolgt werden muss
(vgl. Risku 1997:68)
23

dass methodisch funktionsgerechte Übersetzungen, die noch sprachliche oder stilistische
Mängel aufweisen, sprachlich einwandfreien Lösungen vorzuziehen sind, die methodisch
inadäquat sind (vgl. Nord 1999
2
d:386).
Nord nimmt folgende Klassifizierung von Übersetzungsfehlern vor, wobei sie drei
Haupttypen und einen zusätzlichen Typ unterscheidet:
- pragmatische Fehler (P) ­ ergeben sich aus mangelnder Berücksichtigung der ZT-
Pragmatik (AdressatInnenspezifik, Textfunktion, die traditionellen Inhalts-
oder
Sinnfehler
13
)
- kulturelle Fehler (K) ­ Missachtung der ZT-Normen oder Konventionen (Textsorte,
Textaufbau)
- formale Fehler (F) ­ Nichteinhaltung formaler Aspekte (Orthographie, Interpunktion,
Layout, Typographie)
- Sprachfehler ­
umfasst traditionelle Kategorien wie
- Lexik (L) mit Subklassen wie Phraseologie (L/Phras) und Idiomatik (L/Idiom)
-
Syntax (Sy) mit Subklassen Satzbau (Sy/Sb) und Worstellung (Sy/Ws)
- Grammatik (Gr) mit Subklassen Morphologie (Gr/Morph), Kasus (Gr/Kas), Modus
(Gr/Mod) und Tempus (Gr/Temp)
-
Stil (St) mit Subklassen Register (St/Register) und Stilebene (St/Ebene)
- Textualisierung (Tx) mit Subklassen Thema-Rhema-Gliederung (Tx/Th-Rh), Kohäsion
(Tx/Koh), Intertextualität (Tx/Intertext), Fokus (Tx/Fok)
Eine weitere Unterkategorisierung kann je nach Bedarf weiter erfolgen (vgl. Nord 1999
2
d:386).
Aufgrund der durch das funktionale Konzept anerkannten Verschiedenartigkeit der
Übersetzungsziele, ist es laut Nord für die Transparenz der Korrektur wichtig, neben der
Fehlerart auch die entsprechende Fehlergewichtung anzugeben (vgl. Nord 1999
2
d:387).
1.3.5.3 Therapeutische und diagnostische Fehlerevaluierung von Hönig
Auch Hans G. Hönig (1998) vertritt bei der Qualitätsbeurteilung von Übersetzungen einen
funktionsorientierten Ansatz: Die Qualität einer Übersetzung hängt von der Erfüllung deren
Funktion ab (vgl. Hönig 1998:21). Dabei unterscheidet er zwischen der therapeutischen und
der diagnostischen Evaluierung. Die therapeutische Evaluierung fragt nach der Fehlerursache
und bewertet die sprachliche Kompetenz bzw. Inkompetenz des Übersetzers/der Übersetzerin.
Die diagnostische Evaluierung betrachtet nur solche Textdefekte als Übersetzungsfehler bzw.
13
Die funktionale Perspektive erlaubt jedoch die Relativierung dieser Fehlerart, sofern die Textfunktion nicht
primär darstellend ist (vgl. Nord 1999
2
d: 386)
24

,,Übersetzerfehler"
14
, die als solche ,,von einem relevanten Nutzer (Adressaten) der
Übersetzung erkannt werden" (Hönig 1999
2
b:379) und beurteilt deren Auswirkungen auf das
Textverständnis. Die diagnostische Fehlerevaluierung sieht somit auf sprachlicher Ebene
gemachte Fehler als kein Zeichen für translatorische Inkompetenz, solange sie keine negative
Auswirkungen
auf das Textverstehen seitens der NutzerInnen haben.
Hönig merkt an, dass die therapeutischen und diagnostischen Bewertungskriterien, die
u.a. z.B. den offen irrtümlichen und den verdeckt irrtümlichen Fehlern bei House entsprechen,
oft nicht getrennt und systematisch dargestellt werden (vgl. Hönig 1999
2
b:380f.). Des Weiteren
stellt Hönig kritisch fest, dass die universitäre ÜbersetzerInnenausbildung bei der Bewertung
von Übersetzungen uneinheitliche Kriterien benutzt, wobei sowohl ein theoretischer Rahmen
als auch die Berücksichtigung von in der Praxis gängigen KundInnenanforderungen aussteht
(vgl. Hönig 1998:6, Hönig 1999
2
b:379). Nord und Hönig gehen also von demselben Standpunkt
aus, indem sie z.B. sprachliche Fehler, solange sie die Funktion des Translats nicht
beeinträchtigen, nicht als grundsätzlich qualitätsmindernd betrachten.
Die hier angeführten wissenschaftlichen Ansätze zur Qualitätsbewertung von Übersetzungen
stellen keinen Gesamtüberblick dar. Eine umfassendere Darstellung bietet Mertin (2006:155-
182) an. In Bezug auf das Verständnis von Qualität bzw. Qualitätsbewertung kann jedoch
Folgendes festgehalten werden: Seit dem Vorherrschen des funktionalistischen Paradigmas in
der Translationswissenschaft bedeutet Qualität in erster Linie die Funktionserfüllung. Eine
Übersetzung ist entweder funktionsgerecht oder eben nicht (vgl. Nord 1999
2
d: 386). Mit Sagers
Worten ausgedrückt: ,,There are no absolute standards of translation quality but only more or
less appropriate translations for the purpose for which they are intended." (Sager 1983:91)
Übersetzungsqualität wird nicht mehr als eine absolute Messgröße, die sich anhand von
einheitlichen Kriterien festmachen lässt, angesehen. Im Gegenteil, sie ist etwas relatives, was
immer abhängig von dem Skopos, der Funktion des Translats neu definiert werden muss. Dies
geschieht immer in Anlehnung an den Übersetzungsauftrag: ,,Nach einem funktionalen
Verständnis von Übersetzen wird der Maßstab, an dem die Qualität einer bestimmten
Übersetzung zu messen ist, durch den Übersetzungsauftrag festgelegt." (Nord 1999
2
d:385). Der
Übersetzungsauftrag erhält Informationen über die zielkulturelle Rezeptionssituation. In der
Praxis sind die Aufträge jedoch zu knapp ausformuliert, sodass professionelle ÜbersetzerInnen
die notwendigen Informationen aus der Übersetzungssituation erschließen müssen (vgl. Nord
1999
2
a:146). Nach diesem Verständnis ist ein Translat als ein Produkt zu betrachten, weshalb
die Anforderungen im Voraus verbindlich vereinbart werden müssen:
Auch ein Text kann und muß bei professioneller Herstellung wie jedes Produkt hinsichtlich seines
Verwendungszweckes in einer bestimmten Situation beschrieben werden. Spezifikationen sind Teil der
14
D.h. Fehler, die von der translatorischen Inkompetenz des Übersetzers/der Übersetzerin zeugen ­ zur
translatorischen Kompetenz vgl. Abschnitt 3.1
25

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783961161805
ISBN (Paperback)
9783961166800
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Zentrum für Translationswissenschaft
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
Qualität Übersetzungsqualität Revision Kompetenz Übersetzungskompetenz Revisionskompetenz Kompetenzprofil
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Titel: Kompetenzprofil für RevisorInnen
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