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Die Konstruktion vom Kindsein und die Bedeutung der Kinderrechte aus Sicht der Kinder

©2016 Bachelorarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Die Soziale Arbeit und die Erziehungswissenschaften im Allgemeinen führen seit Jahren eine Diskussion über das soziale Konstrukt der Kindheit und das Kindsein von Kindern. Über diese beiden Begriffe wird diskutiert, wie Kindereinrichtungen der Sozialen Arbeit ihre pädagogischen Konzepte erarbeiten können.
Für die Darstellung des Kindseins und der Bedeutung der Kinderrechte wird neben einer theoretischen Erarbeitung ein Forschungsteil erläutert. Hierfür wurden in zwei Einrichtungen Gruppendiskussionen mit Kindern durchgeführt, um die Sichtweisen der Kinder erfassen zu können und darauf aufbauend in Kombination mit der theoretischen Erarbeitungen Aussagen über die Bedeutung der Kinderrechte treffen zu können. Des Weiteren werden die Aussagen der Kinder zu den Sichtweisen auf Erwachsene und Kinder dargestellt.
„Kinderrechte sind daher mehr als nur aufgeschriebene Gesetze von Juristen. Vielmehr stellen sie eine Gesinnung dar, die von der Offenheit und Respekt vor dem Kind und seinen Ausprägungen zeugt. Fachkräfte der Sozialen Arbeit, die mit Kindern arbeiten, sollten in ihrem Umgang nach den Kinderrechten agieren und diese in ihrer Kindheit Kindsein lassen.“
Kinderrechte sind ein Thema, welches seit knapp 130 Jahren von verschiedenen europäischen Pädagogen diskutiert wird und verschiedene Entwicklungen durchlief. Die UN-Kinderrechtskonvention ist seit ihrer Entstehung 1989 das bedeutendste Dokument für die Rechte der Kinder, deren Umsetzung und Bekanntheit in Deutschland noch immer nicht zufriedenstellend ist.
In der Bachelorarbeit wird daneben ein Bezug zu dem Konzept des Kindseins gezogen, welches bedeutend für die Erziehung der Kinder ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


8.1.1
Sichtweise auf Männer und Frauen als Geschlecht
8.1.2
Aussehen und Verhalten
8.1.3
Bezug zum Kindeswohl
8.1.4
Lernen von Kindern und Erwachsenen
8.2.1
Artikel 2
8.2.2
Artikel 5, 9 und 12
8.2.3
Artikel 13, 28 und 31
8.2.4
Artikel 19, 32 und 38
8.2.5
Artikel 23 und 24
9 Bedeutung für die Soziale Arbeit in Theorie und Praxis ... 65
10 Fazit ... 68
11 Literaturverzeichnis ... 70

1 Einleitung
egal wo sie leben, von wo sie kommen, wie alt sie sind, wie sie
aussehen oder welcher Religion sie angehören haben das Recht auf Schutz vor
Gewalt, auf Beteiligung, auf Bildung, auf Gesundheit, auf eine eigene Meinung und
viele weitere Rechte, die im Übereinkommen über die Rechte des Kindes der
Vereinten Nationen (VN-Kinderrechtskonvention) und in seinen beiden
Zusatzprotokollen verankert sind. Im Jahr 2014 fällt auf die Kinderrechte ein
besonderes Licht: Am 20. November 2014 feiert die Kinderrechtskonvention ihr 25-
jähriges Jubiläum. Dies ist für mich ein guter Anlass, uns allen ich meine der
Politik, der Wirtschaft, den Medien, den Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und
nicht zuletzt den Kindern selbst einmal mehr die Frage zu stellen: Kennen wir die
Kinderrechte? Achten wir sie im Alltag? Wo können die Rechte von Kindern noch
1
Diese Fragen warf die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Manuela Schwesig, anlässlich des Jubiläums 25 Jahre United Nations
Kinderrechtskonvention (UN-KRK) auf. Auch in der Sozialen Arbeit spielen die
Kinderrechte im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe eine wichtige Rolle.
Die Bachelorarbeit, welche im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain
im Wintersemester 2015/16 verfasst wurde, behandelt das Thema Kinderrechte und
ihre Bedeutsamkeit bei Kindern vorwiegend im Grundschulalter von sechs bis zehn
Jahren. Die Sichtweisen der Kinder auf die Kinderrechte, beziehungsweise ob und
wie diese im Alltag umgesetzt werden, ist eine sehr wichtige Perspektive, gerade für
die Soziale Arbeit, um die Kinder als Subjekte mit Rechten zu betrachten. Für die
Perspektive der Kinder auf die Kinderrechte wurde die Methode der narrativen
Gesprächsführung der qualitativen Forschung ausgewählt. Es fanden dazu
insgesamt drei Treffen mit Kindergarten- und Hortkindern statt. Die Methode der
narrativen Gesprächsführung wurde ausgewählt, weil Kinder zum einen damit sehr
gut erreicht werden können und zum anderen konnte ich mir meine in der
Erzieherausbildung erworbenen Fähigkeiten zunutze machen.
Das Thema Kinderrechte wurde ausgewählt, da es nach wie vor sehr aktuell sowohl
in der öffentlichen Diskussion als auch in der Sozialen Arbeit als Wissenschaft ist.
Hierbei sind 25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention 2014 und 20 Jahre UN-
Kinderrechtskonvention in Deutschland 2015 als hervorzuhebende Jubiläen ein
1
Zitat nach: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2014):
Übereinkommen über die Rechte der Kinder, S.5.
1

entsprechender Anlass, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, zumal
momentan öffentlich über eine Verankerung der Kinderrechte ins Grundgesetz
diskutiert wird.
Die Leitfrage
elche Bedeutung haben die
Kinderrechte aus Sicht der Kinder im Hinblick auf die Konstruktion vom Kindsein?
Die Konstruktion vom Kindsein ist ein wichtiger Aspekt in der Verwirklichung und
Umsetzung der Rechte der Kinder. Die vorliegende Bachelorarbeit ist dreiteilig
aufgebaut. Nach einem theoretischen Teil und einem praktischen Teil werden die
wichtigsten Ergebnisse beider Teile im Schlussteil zusammengeführt. Der
theoretische Teil der Kapitel 2-6 umfasst in einem ersten Schritt Hintergründe und
Definitionen der Begriffe Kindsein, Kindheit und Kinderrechte, um darauf später
zurückgreifen zu können. Um die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 beschreiben
zu können, ist es notwendig sich zuvor mit der historischen Entwicklung zu
beschäftigen, die zu der Konvention geführt haben. Hierbei sollen wesentliche
pädagogische Vordenker und ihre jeweiligen Konzepte skizziert werden, die dazu
beigetragen haben, die Entwicklung erster Rechtsdokumente einzuleiten. Die zu
beschreibenden Dokumente sind die Genfer Erklärung zu den Rechten des Kindes
von 1929 und die UN-Erklärung zu den Rechten des Kindes von 1959. In einer sich
anschließenden Beschreibung der direkten Entstehung durch neue
Kinderrechtsbewegungen soll dann auf die UN-Kinderrechtskonvention von 1989
eingegangen werden. Hierbei sollen vor allem Aufbau, Funktion, wichtige Artikel und
Besonderheiten der Konvention ausgeführt werden. Abschließend wird in dem
theoretischen Teil auf die Umsetzung der Kinderrechtskonvention (KRK) in
Deutschland eingegangen.
Der praktische Teil der Bachelorarbeit befasst sich in den Kapiteln 6-8 mit der
narrativen Gesprächsführung über die Konstruktion vom Kindsein und die
Bekanntheit sowie Wichtigkeit der Kinderrechte. Hierfür sollen in einem ersten
Schritt die Hintergründe der Methode der narrativen Gesprächsführung beleuchtet
werden. Darauf aufbauend sollen dann die Planungen der Konzeption, die Methodik
und Abläufe der drei narrativen Gespräche erläutert werden. Diese werden dann in
einem nächsten Schritt analysiert und ausgewertet. Die Ergebnisse über die
Konstruktion vom Kindsein, Erwachsenen und die Bekanntheit sowie Wichtigkeit der
Kinderrechte sollen benannt und in Bezug zu den in den vorher genannten
Aspekten des theoretischen Teils gesetzt werden.
2

Kapitel 9 über die Bedeutung der Kinderrechte in Theorie und Praxis und welche
Aspekte sich daraus für die Soziale Arbeit ergeben, soll dann die Bachelorarbeit
vervollständigen.
2 Einführung in die Begriffe Kindheit, Kindsein und
Kinderrechte
Bei der Beschreibung der Kinderrechte aus Sicht der Kinder ist im ersten Schritt
notwendig, sich mit den Begriffen Kindheit und Kindsein auseinanderzusetzen und
deren Bedeutungen in Bezug auf die Kinderrechte einzuleiten. Hierbei soll nach der
Klärung des Begriffs Kindheit über die Neue Kindheitsforschung auf den Begriff
Kindsein eingegangen werden, der dann in Abgrenzung zu dem Begriff Kindheit
erläutert wird. Zuletzt soll auf den Aspekt der theoretischen Herleitung der
Kinderrechte anhand der Interessens- und Willenstheorie eingegangen werden, die
zusammenfassend mit Aspekten der Neuen Kindheitsforschung
sollen.
2.1 Der
Begriff
Kindheit
Im Folgenden soll sich mit dem Begriff der Kindheit im europäischen Kulturkreis
auseinandergesetzt werden, da dieser für die Etablierung der Kinderrechte der
maßgebende in Deutschland ist. Darüber hinaus gibt es weitere verschiedene
Kindheitsbegriffe, wie den der indigenen Bevölkerung in Amerika, in der es
beispielsweise keinen eigenen Begriff vom Kind gibt.
2
Bei der Betrachtung des Begriffes Kindheit und seiner Bedeutung ist es wichtig sich
vor Augen zu führen, dass die Kindheit aus Sicht der Kinder betrachtet wird und
nicht aus der Sicht eines Erwachsenen. So fordert der amerikanische Philosoph und
Pädagoge John Dewey die Kindheit nicht mit dem Leben eines Erwachsenen zu
begreifen, sondern an sich zu betrachten. Erwachsene würden dazu neigen, die
Kindheit als mangelhaft und als unreif zu bezeichnen, was aber nach Dewey nicht
zutrifft.
3
Allgemein kann der Begriff Kindheit nach dem Fachlexikon der Sozialen Arbeit von
Andreas Lange wie folgt definiert werden: Kindheit ist demnach ein
kulturgeschichtliches Konstrukt und weniger eine festgelegte biologische
2
Liebel, Manfred (2007): Wozu Kinderechte? Grundlagen und Perspektiven. Weinheim,
München: Juventa Verlag, S.52.
3
Maywald, Jörg (2015): Das Kind als Träger eigener Rechte. Der Kinderrechtsansatz in
Tageseinrichtungen für Kinder. In: unsere jugend, 67. Jahrgang. München, Basel: Ernst
Rheinhardt Verlag, Seite 106.
3

Zeitspanne, in der sich das Kind entwickelt.
4
Vielmehr ist eine Auseinandersetzung
mit der Konstruktion von Kindheit nötig, die eine Grundbedingung für professionelles
Arbeiten in der Sozialen Arbeit erklärt. In der Sozialen Arbeit existiert eine Vielzahl
von Modellen, die verschiedene Entwicklungsstufen der Kindheit beschreiben.
5
So
führt Andreas Lange ein vereinfachtes Modell ein:
Bezeichnung
Altersstufe
Neugeborene
Geburt bis zum 10. Lebenstag
Säuglinge
11. Lebenstag bis zum Ende des ersten
Lebensjahres
Kleinkinder
Zweites bis Fünftes Lebensjahr
Schulkinder
Sechstes bis Vierzehntes Lebensjahr
Tabelle 1: Eigene Darstellung in Anlehnung an Andreas Lange
6
Kindheit ist heute von verschiedenen Einflüssen geprägt, die eine Folge für die
Arbeit mit Kindern für die Soziale Arbeit haben. Durch die Individualisierung,
Verschulisierung und Sequenzalisierung kann die Kindheit als Bildungskindheit
gesehen werden. Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle, auch für das spätere
Erwerbsystem. Zudem ist die Kindheit durch eine hohe Bedeutung durch die Medien
geprägt.
7
Der Bereich der Freizeit ist durch Altersklassensysteme geprägt. Als Beispiele
können hier die Altersgruppen in Vereinen oder auch in sozialpädagogischen
Angeboten aufgeführt werden. Der Bereich der Freizeit ist zudem durch das Primat
des Ökonomischen geprägt, welcher ein breites Aufgabenspektrum für die
professionelle Arbeit mit Kindern zur Folge hat. Zuletzt gibt Andreas Lange wieder,
dass die Soziale Arbeit die besondere Aufgabe hat, sozial benachteiligte Kinder zu
fördern, so dass diese als Kinder, aber auch später im Erwachsenenalter in der
Gesellschaft partizipieren können.
8
Zusammenfassung:
Der Begriff Kindheit umschreibt ein soziales Konstrukt, weniger eine biologische
Zeitspanne und kann daher verschieden interpretiert werden. In einem
Modellvorschlag von Andreas Lange werden Kinder in die Altersstufen
Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder eingeteilt. Aufgrund von
verschiedenen gesellschaftlichen Phänomenen wie Individualisierung, Verschulung
4
Lange, Andreas (2011): Kindheit. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
(Hrsg.): Fachlexikon der Sozialen Arbeit, 7. Völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage,
Baden-Baden: Nomos, S. 516.
5
Lange, Andreas (2011): S.516.
6
Lange, Andreas (2011): S.517.
7
Lange, Andreas (2011):S.517. Der Begriff der Medien wird von Andreas Lange nicht weiter
ausgeführt, so dass darauf hingewiesen sein soll, dass vor allem die Sozialen und Digitalen
haben.
8
Lange, Andreas (2011): S.517.
4

und Sequenzalisierung ist die heutige Kindheit eine Bildungskindheit, die zudem
durch ein Primat des Ökonomischen geprägt. Für die Soziale Arbeit hat diese Form
der Bildungskindheit weitreichende Folgen, mit denen sich die Soziale Arbeit
auseinandersetzen muss. Vor allem die Unterstützung von benachteiligten Kindern
ist eine besondere Aufgabe der Sozialen Arbeit.
Im Gegensatz zum sozialwissenschaftlichen Konstrukt Kindheit soll im folgenden
Unterkapitel auf den Begriff Kindsein eingegangen werden.
9
2.2 Konstruktion vom Kindsein anhand der Neuen
Kindheitsforschung
Für die Auseinandersetzung mit den Begriffen Kindheit und Kindsein ist die
Neue
Kindheitsforschung entstand in den 1990er Jahren und versuchte sich von der
Einwicklungs- und Sozialisationsperspektive der Kindheit abzugrenzen. Der neue
Fokus wurde in die Ausgestaltung der Kindheit gelegt, so dass Kindheit als soziale
Kategorie und gesellschaftliches Konstrukt angesehen wurde. Hierbei können beide
Varianten unterschiedlich ausgestaltet sein. Des Weiteren setzte die Neue
Kindheitsforschung durch, dass Kinder als Subjekte beziehungsweise Akteure
gesehen wurden und nicht nur als Objekte, abhängig von den Erwachsenen.
10
Bei
anzusehen, da sie als soziale Akteure aktiv ihr Umfeld nach ihren Interessen und
Möglichkeiten mit gestalten.
11
Die Aufgabe der Neuen Kindheitsforschung besteht
darin, Kindern Gehör zu verschaffen, weshalb sich die Neue Kindheitsforschung
vor allem auf qualitative und partizipative Methoden stützt. Hierbei wird versucht den
Kindern die Möglichkeit zu geben, dass diese sich in ihrer Sprache artikulieren
können, um die erwachsene Voreingenommenheit überwinden zu können.
12
Die Neue Kindheitsforschung basiert dabei auf der Vorstellung, dass Kinder keine
homogene Masse sind, sondern aufgrund ihrer Heterogenität als einzelne
Individuen zu begreifen sind. Jedes Kind ist dabei einzigartig und sollte mit seinen
Erfahrungen, Empfindungen und Urteilen ernst genommen werden.
13
9
Bock, Karin (2010): Kinderalltag- Kinderwelten. Rekonstruktion Analysen von
Gruppendiskussionen mit Kindern. Opladen (u.a.): Barbara Budrich Verlag, S.20.
10
Liebel, Manfred (2007): S. 32.
11
Liebel, Manfred (2007): S.35-36.
12
Liebel, Manfred (2007): S.36.
13
Liebel, Manfred (2007): S.36.
5

Zusammenfassung:
Das entscheidende Konzept für das Kindsein wurde im Wesentlichen von der
1990er Jahre geprägt. Kindheit wurde von nun
an als ein soziales Konstrukt gesehen und Kinder als Subjekte beziehungsweise
Akteure. Somit sind Kinder keine Objekte mehr, sondern werden als Experten ihrer
Lebenssituation gesehen. Die Neue Kindheitsforschung hat sich als Aufgabe
gesetzt, Kindern Partizipationsmöglichkeiten zu geben und ihnen im Rahmen ihrer
Möglichkeiten zu helfen. Eine Grundvoraussetzung der Neuen Kindheitsforschung
ist die Vorstellung, dass Kinder einzelne Individuen mit eigenen Erfahrungen und
dadurch eine sehr heterogene Gruppe sind.
2.3 Der Begriff Kindsein in Abgrenzung zum Begriff
Kindheit
Lebenswelten oder Peer-Kulturen leben zu können oder Teil einer Kinderwelt zu
sein
14
Bei dem Begriff Kindsein werden drei Ebenen angesprochen, wie Kindsein
verstanden werden kann. Zum einen ist mit Kindsein der Gegenpart zu den Eltern in
einer Familie gemeint und zum anderen bedeutet Kindsein eine Übernahme einer
Rolle in der Gesellschaft. Die Rolle besteht darin, dass Kinder Kinder sind. Des
-Kinder-
Beziehung betrachtet, sondern in ihrer sozialen Relationierung. Somit ist im
Wesentlichen unter Kindsein die soziale Praxis zu verstehen, in der Kinder in ihrer
kindlichen Lebenswelt leben.
15
Betrachtet man Kindsein als soziales Konstrukt in der Praxis, so können
verschiedene Kindheits- und Kinderbilder festgestellt werden, die verschiedene
Inhalte und Vorstellungen transportieren,
die sowohl nacheinander als auch nebeneinander in einer Gesellschaft existieren
16
Zusammenfassung:
Das Konzept Kindsein ist ein wichtiger Aspekt, um die Lebenswelt der Kinder
verstehen zu können. Unter dem Konzept Kindsein können drei Ebenen verstanden
14
Zitat nach: Bock, Karin (2010): S.20.
15
Bock, Karin (2010): S.19f.
16
Zitat nach: Kluge, Norbert (2003): Anthropologie der Kindheit. Zugänge zu einem
modernen Verständnis von Kindsein in pädagogischer Betrachtungsweise. Bad
Heilbrunn/OBB: Julius Klinkhardt Verlag, S.214.
6

werden: Kindsein als Gegenpart zu den Eltern, Kindsein als Rolle in einer
Kindheits- und Kinderbildern, die verschiedene Inhalte oder Vorstellungen haben.
2.4 Theoretische Aspekte der Kinderrechte in Bezug auf die
Willens- und Interessenstheorie
Kinderrechte werden oft mit Kinderinteressen gleichgesetzt. Wird dieser Aspekt aber
theoretisch betrachtet, fällt auf, dass diese Thematik komplexer ist. Bei der
Herleitung der Kinderrechte von den Menschenrechten ist es hilfreich die rechts-
und moralphilosophische Debatte um die Menschenrechte aufzugreifen, in der vor
allem auf Interessen Bezug genommen wird.
17
In der Debatte werden vorwiegend
Positionen der Willenstheorien und der Interessenstheorie vertreten. Hierbei vertritt
die Interessenstheorie, dass
grundlegende Aufgabe der Menschenrechte
darin bestehe, wesentliche menschliche Interessen zu schützen
18
In der
Geltung der Menschenrechte auf der einzigartigen
menschlichen Fähigkeit zur Freiheit aufgebaut
19
Welche Bedeutung haben diese beiden Theorien nun für die Kinderrechte? Die
Willenstheorie basiert auf einem engen Rechtsbegriff, da die Rechte nur auf einer
einzigen menschlichen Fähigkeit, der Freiheit und der Möglichkeit nach dieser zu
handeln, besteht. Die Grundvorstellung basiert darauf, dass nur diejenigen Rechte
haben, die autonome Subjekte mit freiem Willen sind und ihre Rechte auch nutzen
könnten. Dies hat die Folge, dass denjenigen gesellschaftlichen Gruppen keine
Rechte zugesprochen werden, die ihren freien Willen nicht ausdrücken können. Zu
diesen Gruppen zählen unter anderem auch die Kinder. Die Aufgabe der
Gesellschaft bestünde nun darin, diesen Gruppen bei der Durchsetzung ihrer
Rechte zu helfen.
20
Dennoch lehnen Vertreter der Willenstheorie es ab, dass Kinder
Träger eigener Rechte sind und geben als Begründung wieder, dass ein Kind nicht
in der Lage ist, sich adäquat für seine Rechte einzusetzen und mit diesen
umzugehen.
21
Ein bekannter Vertreter der Willenstheorie, James Griffin, lehnt es
zum Beispiel ab, Kindern Menschenrechte zuzugestehen.
22
Einzig in dem Punkt,
dass Kinder ein Recht auf Leben haben, räumt er den Kindern als ein
Menschenrecht ein. In allen anderen Menschenrechten lehnt Griffin es ab, diese
17
Liebel, Manfred (2015): Kinderinteressen. Zwischen Paternalismus und Partizipation.
Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 91.
18
Zitat nach: Liebel, Manfred (2015): S.91
19
Zitat nach: Liebel, Manfred (2015): S.91.
20
Liebel, Manfred (2015): S.92.
21
Liebel, Manfred (2015): S.94.
22
Liebel, Manfred (2015): S.94.
7

auch auf Kinder zu übertragen, da diese sich nicht ausreichend exakt bestimmen
ließen.
23
Somit steht die Willenstheorie in einem Kontrast zur Neuen Kindheitsforschung ,
nach der die Kinder Subjekte, auch in Bezug auf das Rechtliche,
24
sein sollen.
Demgegenüber räumt die Interessenstheorie allen Menschen, also auch Kindern,
Menschenrechte ein, weil alle Menschen ein elementares Interesse an ihren
Lebensverhältnissen haben. Daher bezieht die Interessenstheorie, über einen
weiteren Rechtsbegriff, auch moralische Rechte ein.
25
Allerdings bleibt die Frage
offen, inwiefern die zugestandenen Rechte auch als Handlungsrechte verstanden
werden können.
26
Bei der Zusprechung von Rechten an Kindern betont die
Interessenstheorie allerdings, dass Kinder die Rechte zwar haben, aber Vertreter
brauchen, die diese für sie ausüben können.
27
Hierbei wird unterstellt, dass
Erwachsene besser in der Lage sind, die Interessen der Kinder zu erkennen und
durchzusetzen als das Kind selbst, weshalb oft bei Handlungsrechten diese aus der
Perspektive der Erwachsenen gesehen und bewertet werden.
28
Allerdings ist die
Wahrnehmung der Kinder gleichsam bedeutend, da diese sich ebenfalls mit der
Welt auseinandersetzen und dementsprechend ihre Sichtweise Sinn ergeben kann
und daher auch ihre Berechtigung hat. Dementsprechend können Erwachsene von
Kindern lernen, zumal die Sichtweisen der Kinder nicht nur auf ihrem Kindsein
basieren, sondern auch immer durch ihre Erfahrungen in den jeweiligen
Verhältnissen, in denen sie leben, geprägt sind.
29
Dies kann an einer Bemerkung
enken wie ein
Erwachsenen nachdenken; der Mangel an Wissen und Erfahrung zwingen es zu
einer anderen Denkweise.
30
Die Sichtweisen der Kinder sollten daher nicht nur an
Maßstäben der Erwachsenen gemessen werden, sondern sollten als eigene
Standpunkte mit Interessen und Denkweisen verstanden werden.
31
Betrachtet man
im Rahmen der Interessenstheorie die Kinderrechte als Handlungsrechte, so ist
nicht entscheidend, dass das Kind von seinen zugestandenen Rechten aktiv
Gebrauch macht, sondern dass es die Möglichkeit hat, darüber mit zu entscheiden,
welche es aktiv nutzen möchte. Hierbei müssen aber die Bedingungen geschaffen
23
Liebel, Manfred (2015): S.96.
24
Liebel, Manfred (2007). S.32.
25
Liebel, Manfred (2015): S.93.
26
Liebel, Manfred (2015): S.94.
27
Liebel, Manfred (2015): S.94.
28
Liebel, Manfred( 2015): S.99.
29
Liebel, Manfred (2015): S.100.
30
Zitiert nach: Liebel, Manfred (2015): S.100.
31
Liebel, Manfred (2015): S.101.
8

werden, dass das jeweilige Recht überhaupt aktiv genutzt werden kann, vor allem
bezogen auf die infrastrukturellen und geografischen Begebenheiten. So macht zum
Beispiel ein Recht auf Bildung wenig Sinn, wenn es in der entsprechenden Region,
in dem das Kind lebt, keine Schule gibt, weshalb dann ein Schulbesuch anderweitig
organisiert werden muss.
32
Zuletzt kann festgehalten werden, dass Kinder erst dann in der Interessenstheorie
zu Rechtssubjekten werden, wenn ihre Rechte als Handlungsrechte anerkannt
werden und ihnen Möglichkeiten gegeben werden, ihre Interessen durchzusetzen.
Dies kann beziehungsweise sollte mit der Unterstützung von Erwachsenen, die
dann auch im Sinne der Kinder handeln können, von statten gehen.
33
In Bezug auf
die Stellung des Kindes als Subjekt oder Objekt kann in Verbindung mit der Neuen
Kindheitsforschung angenommen werden, dass diese sich nicht gegenseitig
ausschließen, sondern ein Kind, dass über Handlungsrechte definiert wird, als
aktives Rechtssubjekt angenommen werden kann.
Zusammenfassung:
Bei der rechtlichen Betrachtung von Kinderrechten und Kinderinteressen werden in
der Forschung vor allem die Willenstheorie und Interessenstheorie diskutiert, wobei
die Willenstheorie auf der Vorstellung der Freiheitsrechte und die Interessenstheorie
auf der Vorstellung von Interessen von Menschen basieren.
Die Willenstheorie postuliert keine eigenen Rechte für Kinder, da Kinder keinen
Willen besäßen, also Subjekte mit einem eigenen rechtsfähigen Willen sind, die
ihnen die Möglichkeit der eigenen Kinderrechte einräumen würden. Die
Willenstheorie steht damit in einem Widerspruch zur Neuen Kindheitsforschung .
Demgegenüber ermöglicht die Interessenstheorie für Kinder eigene Kinderrechte,
da Kinder aufgrund von moralischen Rechten ein Interesse daran haben. Die
Verbindung der Kinderrechte mit Handlungsrechten ermöglicht dabei auch einen
rechtstheoretischen Hintergrund, allerdings benötigen die Kinder eine Unterstützung
bei der Durchsetzung ihrer Rechte, unter and
eue
Kindheitsforschung .
3
Historische Entwicklung der Kinderrechte
ind Menschen und daher ohne Einschränkung Träger aller
34
So beschreibt Jörg Maywald in einem ersten Zugang die
Kinderrechte. Er plädiert des Weiteren dafür, dass Kinder eigene Rechte brauchen,
32
Liebel, Manfred (2015): S.102f.
33
Liebel, Manfred (2015): S.103.
34
Maywald, Jörg (2015): S.99.
9

da diese in einem asymmetrischen Verhältnis zu Erwachsenen stehen. Kinder
35
, da sie sich als Kinder noch entwickeln
müssen. Somit bedarf es besonderer Rechte für Kinder, also einen speziellen
Menschenrechtsschutz, da Kinder besondere Bedürfnisse haben.
36
zu den Philosophen der Aufklärung im 18. Jahrhundert (vor allem Jean Jacques
37
Dennoch dauerte es weitere Jahrhunderte bis 1989,
als die erste Konvention über die Rechte der Kinder von der UN beschlossen wurde.
Hierzu war es in der historischen Entwicklung nötig gewesen, dass sich eine
getrennte Kindheit für die Kinder von den Erwachsenen herausgebildet hat. Zumal
für die Kinderrechte als erstes Maxim immer der Schutz der Kinder stand und
weniger die Freiheit, die als Basis unter anderem für die allgemeine Erklärung der
Menschenrechte diente.
38
Zusammenfassung:
Kinder sind nach Meinung von Jörg Maywald Träger von Kinderrechten, die sich an
die Menschenrechte anlehnen, zumal sich durch eigene Kinderrechte die
Bedürfnisse von Kindern besser befriedigen lassen und Kinder sich angemessen
entwickeln können. In der historischen Entwicklung musste erst eine Kindheit für
Kinder entstehen, damit Kinderrechte entwickelt wurden.
Der Gedanke nach eigenen Kinderrechten ist in Europa eine circa 300 Jahre alte
Idee, dennoch dauerte es bis ins Jahr 1989, bis es weltweite Kinderrechte gab.
3.1 Pioniere der Kinderrechte: Ellen Keys, Kate Wiggins,
Eglantyne Jebb und Janusz Korczaks - Überlegungen
über die Rechte der Kinder
In diesem Kapitel soll sich skizzenhaft mit den Vorläufern der UN-KRK
auseinandergesetzt werden, um eine historische Grundlage für die Entstehung der
Kinderrechte zu bekommen. Bedeutende Vorläufer der UN-KRK sind am Anfang
des 20. Jahrhunderts unter anderem Ellen Key, Kate Wiggins, Eglantyne Jebb und
Janusz Korczak.
35
Maywald, Jörg (2015): S.99.
36
Maywald, Jörg (2015): S.99.
37
Liebel, Manfred (2007): S.13.
38
Liebel, Manfred (2007): S.14.
10

Ellen Key
Ellen Key ist eine schwedische Pädagogin, die in ihre
.
.39
Sie wurde 1849 in
Sundsholm (Schweden) geboren und arbeitete überwiegend als Lehrerin in
Stockholm. Neben ihrem Einsatz für Kinder setzte sie sich vor allem für die
Emanzipation der Frau ein. Ellen Key gilt als Wegbereiterin der Pädagogischen
Bewegung
40
Ellen Key entwickelte ein Konzept der antiautoritären
Erziehung von Kindern, in dem sie unter anderem forderte:
leben
41
Des Weiteren regte sie an, Kinder in Frieden leben zu lassen, bis
sie an die Grenzen des allgemeinen Rechts stoßen, wie zum Beispiel Diebstahl
oder die Kriminalität.
An Ellen Keys erzieherischem Konzept kann kritisiert werden, dass sie sich mit
einem gewissen Hang zur Maßlosigkeit und Übertreibung sowie einem
Irrationalismus für die Rechte der Kinder einsetzte. Als Beispiel kann hier ihre
Beschreibung des Kindes als Majestät gelten, in dem Erwachsene zu einer
Bedeutungslosigkeit verkommen.
42
Weiter kann kritisiert werden, dass der von Key
erhobene Anspruch nach einem Jahrhundert der Kinder, wegen zum Beispiel der
beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert, nicht eingetreten ist. Hierdurch wird ein
Unterschied zwischen ihrem Anspruch und der Wirklichkeit deutlich.
43
Nichtsdestotrotz gilt Ellen Key als eine wichtige Wegbereiterin für die späteren
Rechte des Kindes durch die UN-Kinderrechtskonvention. 1926 verstarb Ellen Key
in Schweden.
44
Kate Wiggins
Kate Wiggins (1856-1923) setzte sich für die Rechte der Kinder ein, dass diese ein
Recht auf Gerechtigkeit und Kindheit haben.
45
bemängelt Wiggins die Überbewertung der Mutterschaft an, da diese übermächtig in
den Entscheidungen über das Kind sei und dabei selten gerecht ist. Die Mütter
könnten problemlos über das Kind in all seinen Facetten entscheiden, da das Kind
39
Krappmann, Lothar; Kerber- Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013): Die Sehnsucht nach
Anerkennung. Kinderechte in Geschichte und Gegenwart. Begleitbuch zu der Ausstellung im
Rochow- Museum Reckahn vom 24 .Mai bis 27. Oktober 2013, Reckahn: Rochow- Museum,
S. 30.
40
März, Fritz (2003): Ellen Key. In: Personengeschichte der Pädagogik. Ideen- Initiativen-
Illusionen. 3. Auflage. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S.593.
41
März, Fritz (2003): S. 594.
42
März, Fritz (2003): S. 594f.
43
Kauffmann, Heiko (2011): Die Rechte von Flüchtlingskindern in Deutschland. In: Geiger,
Gunter: Kinderrechte sind Menschenrechte. Kinderrechte in Deutschland. Opladen (u.a.):
Barbara Budrich Verlag. S. 123.
44
März, Fritz (2003): S.593.
45
Krappmann, Lothar; Kerber-Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013): S. 30.
11

rechtlos ist. Dem stellt sie ihre These gegenüber, dass ein Kind ein
unveräußerliches Recht auf eine Kindheit und ein Umfeld hat, das den Fähigkeiten
und Wünschen des Kindes entspricht. Folglich habe ein Kind ein Recht auf mehr
Gerechtigkeit und nicht auf Fremdbestimmung durch die Mutter.
46
Eglantyne Jebb
Eglantyne Jebb (1876-1928) gründete 1920 den ersten Interessenverband für
Kinder,
,
47
aufgrund ihrer Eindrücke des
massenhaften Kinderelends im Ersten Weltkrieg. Save the Children International
Union ist somit der erste internationale Lobbyverband für Kinder. In ihrem Fünf-
Punkte-Programm für die Rechte der Kinder verfasste sie grundlegende
Schutzverpflichtungen von Erwachsenen gegenüber Kindern und forderte die Eltern
der Kinder auf, die Kinder im Geiste des internationalen Friedens zu erziehen.
Jebbs Fünf-Punkte-Programm wurde später als Basis für die 1924 verfasste Genfer
Deklaration gelegt,
48
auf die in Kapitel 3.2 eingegangen wird.
Im Weiteren soll ausführlicher auf Janusz Korczak eingegangen werden, da er mit
seinem reformpädagogischen Ansatz eine der wesentlichen Grundlagen für die
Kinderrechte im 20. Jahrhundert darlegt.
Janusz Korczak
Ein bedeutender Vordenker war der am 22. Juli 1878 in Warschau geborene Arzt
Janusz Korczak. Er stammte aus einem jüdisch-polnischen Elternhaus und war vom
Tod des Vaters 1896 stark geprägt, von dem er lernte, dass es seine Pflicht sei, sich
um die Welt und die Menschen zu kümmern. Während seines Medizinstudiums
begann er sich um arme und verwahrloste Kinder zu kümmern. Nach Erhalt seines
Diploms zum Kinderarzt 1905 musste Korczak als Militärarzt im russisch-
japanischen Krieg dienen, ehe er in verschiedenen europäischen Städten sein
medizinisches Wissen erweiterte.
49
Während dieser Zeit arbeitete Korczak weiterhin
mit Kindern in Ferien-Sommer-Lagern und gründete 1912 in Warschau ein
Waisenhaus, das den Namen Dom Sierot trug. Hierbei gestaltete er das
Waisenhaus nach seinen reformpädagogischen Vorstellungen vor allem der
Teilhabe von Kindern und initiierte eine sogenannte Kinderrepublik, in der sich die
46
Krappmann, Lothar; Kerber-Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013): S.30.
47
Maywald, Jörg (2015): S.100.
48
Maywald, Jörg (2012): Maywald, Jörg (2012): Kinder haben Rechte! Kinderrechte kennen-
umsetzen- wahren. Weinheim, München: Beltz Verlag. S.23.
49
Rißmann, Michaela (2015): Korczak, Janusz. In: Lexikon Kindheitspädagogik, 1. Auflage
2015, Carl Link Verlag, S. 289.
12

Kinder zum Beispiel durch ein Kinderparlament, Kinderplebiszite oder
Kameradschafts-Gerichte selbst verwalteten. Nach einer weiteren Zeit als Militärarzt
im ersten Weltkrieg errichtete er in Pruszkow ein zweites Waisenhaus nach seiner
Reformpädagogik. Die Erfahrungen durch die Arbeit im Waisenhaus, seine früheren
Erfahrungen aus Ferienlagern und seine Erkenntnisse als Militärarzt mündeten in
seine pädagogischen Leitlinien über die Rechte der Kinder, die er 1928 unter dem
50
Als Resultat wurde
Korczak als Experte bei Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher,
in der Wissenschaft und Politik hoch angesehen. Im Jahre 1937 wurde ihm die
Anerkennungsmedaille der Polnischen Literarischen Akademie verliehen. Mit
Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden Korczak und sein Waisenhaus Teil des
Warschauer-Ghettos, in dem er ab 1941 illegal Schulunterricht organisierte. Ein Jahr
später wurde Korzcak, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mehr als 200
Kinder ins Todeslager Treblinka verlegt und dort ermordet.
51
Welche Bedeutung hat seine Tätigkeit für die heutigen Kinderrechte?
Von zentraler Bedeutung für ihn war, dass Kinder schon Persönlichkeiten sind und
sie es nicht erst werden
52
Korczak ist ein menschenrechtlich orientierter Pädagoge
gewesen, für den jedes Kind das Recht auf eine Anerkennung als voller Bürger
hat.
53
Hierbei hat ein Kind ein elementares Recht auf Achtung, daher sollen Kinder in
ihrem Entwicklungsprozess begleitet werden. Hiermit wirkt Korczaks
Reformpädagogik, mitsamt kritischer Betrachtung, bis heute nach. Vor allem bei
Fragen von Partizipation der Kinder und Stellung in der Gesellschaft wird sich mit
Korczak auseinandergesetzt.
54
In seinem Werk Magna Charta Libertas setzt sich
Korczak mit drei Grundrechten, die ein Kind hat, auseinander:
55
1. Das Recht des Kindes, das zu sein, was es ist.
2. Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag und
3. Das Recht des Kindes auf seinen Tod.
Zusammen mit der für ihn wichtigen Würde des Menschen und der freien
menschlichen Persönlichkeit ergibt sich für ihn, dass Kinderrechte identisch mit
Menschenrechten sind.
56
Mit dem ersten Grundrecht hat Korczak vor allem eine
erzieherische Sichtweise gemeint, dass
in der pädagogischen Situation
50
Rißmann, Michaela (2015): S.290.
51
Rißmann, Michaela (2015): S.291.
52
Zitat nach: Rißmann, Michaela (2015): S.291.
53
Krappmann, Lothar; Kerber- Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013), S.33.
54
Rißmann, Michaela (2015): S.292.
55
Kluge, Norbert (2003): S.227.
56
Rißmann, Michaela (2015): S.292.
13

jeweiliges Abwägen zwischen den Rechten sowie Pflichten von Heranwachsenden
und Erwachsenen
57
Über das zweite Grundrecht fordert Korczak, dass die Kindheit
nicht durch eine Erziehungsmaßnahme bestimmt wird, um sie nur auf die Zukunft
vorzubereiten. Stattdessen sollen Kinder selbstbestimmt jeden Tag in ihrer Kindheit
sein dürfen.
58
Das letzte Grundrecht ist geprägt von Korczaks Erfahrungen im
Ersten Weltkrieg, in dem er viele Menschen anonym sterben sehen musste, die
dann in ein Massengrab bestattet wurden. Korczaks daraus entwickelte Vorstellung
besteht darin, dass ein Mensch auch als Kind seinen eigenen individuellen Tod
haben sollte.
59
Ein weiterer Punkt der 2002 von der UN aufgenommen wurde, ist der
Weltkindergipfel, bei dem zum ersten Mal in der Geschichte der UN eine Konferenz
mit Kindern und nicht nur über sie abgehalten wurde. Dies war bereits in seiner
beschrieb dort ein Weltparlament der Kinder für ihre Selbstverwaltung, damit nicht
über Kinder gesprochen wird, sondern mit ihnen.
60
Zusammenfassung:
Für die Entwicklung der UN-Kinderrechtskonvention ist es notwendig die ersten
Vordenker zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu beleuchten. Erst durch die Pioniere
Janus Korczak, Ellen Key, Kate Wiggins und Englantyne Jebb wurde das Thema
über die Erziehung, die Stellung des Kindes in der Gesellschaft und die Entwicklung
der Kinderrechte zu einer präsenten Diskussion in Europa und Amerika. Über ihre
frühen pädagogischen Konzepte wurde die Basis für die ersten festgesetzten
Kinderrechte, wie die Genfer Deklaration von 1924 gelegt. Ein wesentlicher
Vordenker ist der jüdische Kinderarzt Janus Korczak gewesen, der in Polen
mehrere Kinderheime leitete, die von seinen neuen Konzepten stark profitierten.
Durch den Zweiten Weltkrieg konnten seine Konzepte erst nach seiner Ermordung
weiterentwickelt werden, die unter anderem die UN-Kinderrechtskonvention
beeinflussten.
3.2 Die Genfer Deklaration der Rechte des Kindes 1924 und
die UN-Erklärung zu den Rechten der Kinder von 1959
Der erste Meilenstein
57
Zitat nach: Kluge, Norbert (2003): S.229.
58
Kluge, Norbert (2003): S.228.
59
Kluge, Norbert (2003): S.227f.
60
Krappmann, Lothar; Kerber-Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013):S.32.
14

Vollversammlung des Völkerbundes (Vorläufer der heutigen UN) beschlossenen
Vereinbarung, verpflichteten sich zum ersten Mal auf internationaler Ebene die
50 Mitgliedsstaaten des Völkerbundes
61
Kindern Rechte einzuräumen und zu
achten.
62
Das Grundkonzept der Deklaration stammt von Eglantyne Jebb und ihrer
Organisation Save the Children International Union.
63
Die von Jebb vorgelegte
Charta des Kindes wurde von den Mitgliedern des Völkerbundes, aufgrund seiner
Friedensbotschaft einstimmig angenommen.
64
Inhaltlich bezogen sich die Rechte
allerdings auf Verpflichtungen der Erwachsenen gegenüber ihren Kindern und
weniger auf Anerkennung und Autonomie der Kinder, weshalb ihre Ausrichtung mit
Schutz der Kinder beschrieben wird. Die Sorge für das Kind stand im Mittelpunkt
und weniger seine freie Selbstbestimmung,
65
da das Grundziel der Deklaration
gewesen ist, auf die schweren ökonomischen und sozialen Bedarfslagen der Kinder
nach dem Ersten Weltkrieg einzugehen.
66
Ein weiterer Punkt der Deklaration ist die Tatsache gewesen, dass die Rechte nicht
einklagbar waren, da keine internationale Gerichtsbarkeit vorgesehen war. Auch
wenn sich 1934 die Staaten verpflichteten, die Prinzipien in ihrer nationalen
Gesetzgebung zu verankern, gab es keine Möglichkeit für den Völkerbund diese
durchzusetzen, weshalb es durch die faschistischen Diktaturen in Europa ab den
1930er Jahre zu massenhaften Verletzungen der Deklaration kam. Auf Grund des
Zweiten Weltkrieges gerät die Genfer Deklaration in den Hintergrund und es kam
-War-
67
Nach dem Ende des Zweiten. Weltkrieges und der Gründung der
UN 1945 wurde eine weitere Debatte um die Einsetzung von Kinderrechten geführt.
Schlussendlich flossen in eine Erklärung der UN zu den Rechten der Kinder von
1959 Aspekte der Genfer Konvention und der Londoner Konferenz ein, wobei die
Erklärung der UN keine Rechte im eigentlichen Sinne waren, sondern aus heutiger
Sicht nur als Vorläufer der heutigen Kinderrechtserklärung von 1989 zu bewerten
sind.
68
In der ab 1948 kontrovers geführten Debatte, ob besondere Kinderrechte
benötigt werden oder aber die Kinderrechte durch die allgemeine Erklärung der
Menschenrechte von 1948 abgedeckt sind, dauerte, wie bereits erwähnt, bis 1959.
61
Kluge, Norbert (2003): S.230.
62
Liebel, Manfred (2007): S.16.
63
Kerber- Ganse, Waltraut (2009): Die Menschenrechte des Kindes. Die UN-
Kinderrechtskonvention und die Pädagogik von Janusz Korczak. Versuch einer
Perspektivenverschränkung. Opladen Farmington Hills MI: Verlag Barbara Budrich, S.15.
64
Krappmann, Lothar; Kerber-Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.] (2013): S.32.
65
Liebel, Manfred (2007): S.16.
66
Liebel, Manfred (2007): S.17.
67
Liebel, Manfred (2007): S.17.
68
Liebel, Manfred (2007): S.17, Krappmann, Lothar; Kerber-Ganse, Waltraut; (u.a.) [Hrsg.]
(2013): S.32.
15

In der inhaltlichen Ausgestaltung war die Erklärung von 1959 mit insgesamt 10
Artikeln umfassender als ihre Vorläufer. Nach Artikel 1 sollte jedes Kind die
festgelegten Rechte ohne jegliche Form von Diskriminierung wahrnehmen können.
Das Kind wurde erstmals als selbstständiges Rechtssubjekt gesehen, obgleich es
weiterhin als schutzbedürftig galt, da man ein Kind für körperlich und geistig unreif
hielt.
69
Des Weiteren sollen die Kinder die Möglichkeit zu Erholung und Spiel
bekommen, damit sie sich in Freiheit und Würde entwickeln können. Ein Kind,
ebenso wie ein Kind mit Behinderungen, soll von allen Formen von Ausbeutung,
Vernachlässigung und Grausamkeiten geschützt werden.
70
Zudem bezog sich die
Erklärung nicht nur auf materielle Bedürfnisse, sondern auch auf das Bedürfnis nach
Liebe und Verstanden werden. Ähnlich wie die Genfer Deklaration war die UN-
Erklärung von 1959 nicht einklagbar, so dass es keinen Anspruch auf dessen
Durchsetzung für Kinder gab.
71
Eine Besonderheit der Genfer Deklaration war, dass
diese sich nicht direkt an die Kinder gerichtet hat, sondern als Adressat die
Erwachsenen, Institutionen und die Regierungen von Staaten hat. Obgleich jeder
als Adressat. Stattdessen hat die Deklaration einen Fokus auf die Beziehung der
Eltern zu dem Kind.
72
Zusammenfassung:
Die zwei wesentlichsten institutionalisierten Vorstufen der Kinderrechte sind die
Genfer Deklaration zu den Rechten des Kindes von 1924 des Völkerbundes und die
UN Erklärung zu den Rechten des Kindes von 1959. Beide Vorstufen besaßen
allerdings keine einklagbaren Rechte und waren in der Diskussion stets umstritten.
Auch im Vergleich zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hatten
beide Vorstufen einen untergeordneten Stellenwert.
Inhaltlich richteten sich die Vorstufen weniger direkt an die Kinder sondern eher an
die Erwachsenen, Institutionen und Staaten, die sich für den Kinderschutz und die
Kindheit einsetzen sollten.
3.3 Kinderrechtsbewegungen der 1970/80er Jahre
In den 1970er Jahren entstand in den USA eine erneute Kinderrechtsbewegung, die
sich gesellschaftliche Schichten, vor allem die schwarze Bevölkerung erfolgreich um
69
Liebel, Manfred (2007): S.18.
70
Kerber- Ganse, Waltraut (2009): S.47.
71
Liebel, Manfred (2007): S.18.
72
Kerber- Ganse, Waltraut (2009): S.47.
16

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783961160945
ISBN (Paperback)
9783961165940
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule RheinMain - Wiesbaden Rüsselsheim Geisenheim – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2017 (April)
Note
1,0
Schlagworte
empirische Arbeit Kindsein Kinderrechte Erziehungswissenschaft Pädagogik
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Titel: Die Konstruktion vom Kindsein und die Bedeutung der Kinderrechte aus Sicht der Kinder
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